a. Realabstraktion und Erfahrung: Das Dilemma der hochbürgerlichen Geschichtswissenschaft

Dass das politisch-judizielle Repressionsverfahren, das die bürgerliche Gegenwart gegen die aufrührerische "weltbürgerliche Vereinigung" anwendet und mit dem sie ihrer vom Aufruhr bedrohten ökonomisch-strukturellen Unterdrückungstechnik zu Hilfe eilt, dazu taugt, jene von der bürgerlichen Gegenwart der "weltbürgerlichen Vereinigung" qua Lohnarbeitsverhältnis oktroyierte äußerlich-kategoriale Form und heteronom-reale Bestimmtheit praktisch aufrecht und in Wirksamkeit zu erhalten, ist unzweifelhaft und durch die Sozialgeschichte der vergangenen anderthalb Jahrhunderte zur Genüge belegt. Aber nicht minder unzweifelhaft scheint, dass dieses politische Repressions- und polizeiliche Gewaltverfahren ganz und gar untauglich ist, jener kategorialen Form und realen Bestimmtheit in theoretischer Hinsicht wieder zu eben der generellen Anerkennung und objektiven Geltung zu verhelfen, die der von der "weltbürgerlichen Vereinigung" anfangs nur ökonomisch-latent und schließlich aber politisch-manifest gegen sie als äußerlichen Formalismus und heteronomen Zwangsrahmen eingelegte Widerspruch sie nur zu entschieden hat einbüßen lassen. Oder vielmehr scheint klar, dass alle politische Repression und polizeiliche Gewaltanwendung einzig und nur geeignet sein kann, die theoretisch ausgemachte immanente Widersprüchlichkeit und sprengkräftige Grundlosigkeit jener sozialkontraktiven Form und privatrechtlichen Bestimmtheit der "weltbürgerlichen Vereinigung" zu unterstreichen und mit – durch keinerlei Rationalisierungsanstrengung mehr zu vertuschender – symptomatischer Evidenz zur Schau zu stellen. Mag nämlich der direkten Repression und nackten Gewalt in praxi noch so entschieden gelingen, dem der "weltbürgerlichen Vereinigung" als verbindliche Existenzform aufgezwungenen kategorialen Umfunktionierungs- und ökonomischen Unterdrückungsmechanismus die fatale Konkurrenz dieses als historischer Imperativ durch die "weltbürgerliche Vereinigung" selbst erhobenen materialen Emanzipations- und politischen Selbstbestimmungsanspruchs vom Halse zu schaffen und fernzuhalten! Theoretisch betrachtet, muss solch praktischer Erfolg deshalb stets ein Pyrrhussieg bleiben, weil in genau dem Umfang, wie ihre auf unmittelbare Prävention und umstandslosen Ausschluss zielende verdrängungsanaloge Absicht Wirklichkeit wird, sie, die repressive Gewalt selbst, gar nicht vermeiden kann, mit aller Verdrängungsanstrengung trotzender Offensichtlichkeit als ein unwillkürlich-symptomatischer Indikator und ein unverbrüchlich-ostentatives Mahnmal eben dessen zu figurieren, was sie verhindert und ausschließt. So gewiss, ihrer praktischen Funktion nach, die repressive Gewalt aufs willkürliche Trennen und spurlose Eskamotieren aus ist, so gewiss resultiert sie, ihrer theoretischen Figur nach, im unwillkürlichen Beziehen des Getrennten und im symptomatischen Ostentieren dessen, was sie eskamotiert. Und also die gleiche, nicht sowohl de profundis des ökonomischen Zustands als vielmehr ex principio der politischen Verfassung der "weltbürgerlichen Vereinigung" drohende und im Wortsinn revolutionär zu nennende Situation, die die repressive Gewalt die Aufgabe hat, praktisch zu konterkarieren und mit dem Bann einer in der Konsequenz ihrer Tätigkeit geheimen Verschlusssache zu belegen, kann sie doch aber zugleich nicht umhin, theoretisch zu exponieren und in der Bedeutung eines in actu ihres Tuns offenen Geheimnisses festzuhalten.

Nichts und schon gar nicht politische Repression und polizeiliche Gewalt können theoretisch also über die stricto sensu revolutionäre Situation hinweghelfen, die der von der "weltbürgerlichen Vereinigung" kraft ihrer Verwandlung in die "sozialistische Internationale" erhobene Anspruch auf eine der materialen Autonomie, die sie de facto des ökonomischen Prozesses sich erwirbt, de jure des politischen Procedere gemäße förmliche Selbstbestimmung hat entstehen lassen. Kein Weg führt, theoretisch betrachtet, für die bürgerliche Gegenwart an dem in der Tat umwerfenden Dilemma vorbei, dass sie ihre Interessen und Intentionen nunmehr ausgerechnet durch einen Agenten wahrnehmen und zur Geltung bringen lassen muss, der nicht etwa bloß aus Gründen der latenten Beschaffenheit seines ökonomischen Daseins, sondern mehr noch im Namen einer auf Basis solcher Beschaffenheit manifesten Bestimmung seiner politischen Existenz zugleich gegen diese, ihm von ihr aufgebürdete Rücksicht und Prokura als gegen eine plane Heteronomisierung seines wahren Interesses und seiner wirklichen Intention sich verwahrt und zur Wehr setzt. Kein Weg führt in theoretischer Hinsicht an der im wortwörtlichen Sinn subversiven Tatsache vorbei, dass die bürgerliche Gegenwart in der "weltbürgerlichen Vereinigung" nunmehr eine Grundlage besitzt, die ihr als fundamentum in re ihrer Selbstbehauptung und als ein ihren Interessen und Intentionen angemessenes Reproduktionsorgan gerade noch so lange zur Verfügung steht, wie sie mit Gewalt daran gehindert werden kann, ein Selbstverhältnis zu entwickeln, beziehungsweise das Eigenverhältnis, das sie de facto ihrer ökonomischen Autonomie längst hat, nun auch de jure der politischen Emanzipation, die sie mittlerweile anstrebt, zu realisieren. Und mithin nichts und schon gar nicht eine nolens volens ebenso ostentative wie repressive polizeiliche Gewalttätigkeit kann der bürgerlichen Gegenwart die bittere Erkenntnis ersparen, dass jene von Kant ihr prognostizierte "weltbürgerliche" Zukunft, die als eine unerwartet rasch und unverhofft entschieden sich präsentierende sie, statt ihr als neuem historischem Subjekt das Feld zu räumen beziehungsweise in ihr als einem qua neuer Anfang verbindlichen Ziel und Ende sich aufzuheben, vielmehr so vermessen war, kraft kategorialer Umfunktionierung in den zur Lohnarbeit versachlichten Frondienst ihrer persönlichen Selbstbehauptung zu stellen und um des privaten Vorteils ihrer historischen Fortdauer willen zu expropriieren – dass also jene in praesenti casu erschienene "weltbürgerliche" Zukunft unter der Hand des ihr zugemuteten verdinglichten Daseins und heteronomen Procedere inzwischen die Stellung und den Charakter eines sie, die bürgerliche Gegenwart, mindestens ebenso lebhaft kompromittierenden wie maskenhaft reaffirmierenden Präsens gewonnen hat. Wie anders nämlich, wenn nicht als zutiefst kompromittierend, stellt sich dies Präsens der von der bürgerlichen Gegenwart mit Mitteln einer sozialkontraktiven Abstraktion und privatrechtlichen Umfunktionierung im Augenblick ihres Eintretens zwangsrekrutierten "weltbürgerlichen" Zukunft mittlerweile dar? Dies Präsens, das in der Konsequenz der von ihm aus unverkennbar eigenem Antrieb wahrgenommenen Krafterweckungsinteressen und auf unverwechselbar besondere Weise verfolgten Anlagenentwicklungsintentionen jener ihm von der bürgerlichen Gegenwart im privaten Interesse ihrer erweiterten Reproduktion und mit der partikularen Intention ihrer profitablen Selbstbehauptung aufgehalsten Zwangsverpflichtung nachgerade so wenig mehr entspricht, dass es nicht bloß dem ganzen Inhalt seiner materialen Autonomie nach, sondern zugleich auch in aller Form eines kategorialen Souveränitätsanspruchs darauf aus sein muss, der im Ergebnis jener Zwangsvollstreckung als sein soziales Sein und seine zivile Existenz ihm nachgewiesenen äußerlich-kategorialen Form und heteronom-realen Bestimmtheit eben den kurzen Prozess zu machen, den, wenn zum rechten Zeitpunkt in Angriff genommen, das Abschütteln eines Jochs oder das Abstreifen einer Larve bedeuten. Dies Präsens, bei dem in der Tat inzwischen das offenbare substantielle Tun zum erscheinenden offiziellen Verhalten und die Geltung gewinnende subjektive Totalität zum Geltung habenden funktionellen Part so augenscheinlich, sich ins Verhältnis gleichermaßen einer umstandslos disjunktiven Ausschließung und einer spurlos revolutionären Substitution zu setzen, auf dem Sprung steht, dass es, um dort den als heteronome Formbestimmtheit sich niederschlagenden funktionellen Part gegen hier die in förmlicher Selbstbestimmung sich erhebende subjektive Totalität überhaupt aufrecht und, abstrakt wenigstens, in Geltung zu erhalten, nicht mehr nur einer pro forma des ersteren in Bezug auf die letztere entfalteten aufwendig-intensiven Verdrängungs- und Rationalisierungsaktivität, sondern mehr noch einer gegenüber der letzteren im Auftrag eben der bürgerlichen Gegenwart, die in der Aufrechterhaltung von ersterem die conditio sine qua non ihres eigenen Existierens erkennt, geübten rücksichtslos-aggressiven Repressions- und Gewalttätigkeit bedarf.

Es ist die Erfahrung dieses, im Zeichen seines revolutionären Selbstwiderspruchs die bürgerliche Gegenwart uno actu seiner offiziell reaffirmierenden Funktion substantiell kompromittierenden Präsens, die den für die bürgerliche Reflexion und Theoriebildung ebenso verbindlichen, wie für die bürgerliche Existenz und Lebenspraxis grundlegenden, gewohnten empirischen Zusammenhang in Frage stellt und zu sprengen droht. Oder vielmehr ist dies kompromittierende Präsens nichts anderes als der mittlerweile die bürgerliche Reflexion ebenso abgründig problematisierende, wie die bürgerliche Existenz sprengkräftig bedrohende, gewohnte Erfahrungszusammenhang selbst. In der Tat ist ja dies aus Gründen seines reprimiert sozialistischen Selbstverständnisses die bürgerliche Gegenwart kompromittierende Präsens offenbar das, was an die Stelle des auf Grund seiner absolutistisch mobilisierten Widerstandskraft mit der bürgerlichen Gegenwart konkurrierenden Präsens früherer Zeiten getreten ist. Und wie letzteres den empirischen Rahmen dafür darstellt, dass die Gegenwart noch auf die bescheidene Ausgangsposition einer ihre Selbstreflexion nur erst in der Form philosophischer Projektemacherei vorzutragen fähigen frühbürgerlichen beschränkt bleibt, so bildet ersteres allem Anschein nach die empirische Grundlage dafür, dass nun die Gegenwart vielmehr in der dominierenden Dauerstellung der alle Theoriebildung als automatisches Zueignungsgeschäft betreibenden entwickelten bürgerlichen sich breit machen kann. Als zugleich Geheimnis des Erfolgs und wesentlicher Inhalt des Übergangs der Gegenwart aus frühbürgerlicher Beschränktheit in hochbürgerliche Entwickeltheit galt dabei nach dem bisherigen Verständnis die von der Gegenwart selber zu vollbringende faktische Umarbeitung und systematische Integration eben jenes, ihr im absolutistischen Konkurrenzverhältnis empirisch vorliegenden, anfänglichen Präsens – das heißt, die Umwandlung jenes Präsens aus einem mit der Gegenwart unvermittelten elementaren factum brutum in ein gegenwartsspezifisches momenthaftes fait accompli, seine Überführung aus dort der ursprünglichen Äußerlichkeit einer kontingent-empirischen Rahmenbestimmung in hier die wesentliche Immanenz einer konsequent-empirischen Grundlegungsfunktion und, kurz, seine Erhebung aus der heterogen-prinzipiellen Andersartigkeit einer mit der Gegenwart konkurrierenden Empirie in die autogen-initiative Sichselbstgleichheit eines die Gegenwart reaffirmierenden Erfahrungszusammenhangs. Die Realisierung des zutiefst kompromittierenden Charakters des solch faktischem Umarbeitungs- und systematischem Integrationsprozess entspringenden und für die bürgerliche Gegenwart als entwickelte maßgebenden Präsens lässt nun aber nur zu deutlich werden, was es mit der Grundlegungsfunktion und der Sichselbstgleichheit des durch dies resultative Präsens gebildeten neuen Erfahrungszusammenhangs in Wahrheit oder vielmehr in Wirklichkeit auf sich hat. Als grundlegend erweist sich der neue Erfahrungszusammenhang eigentlich ganz und gar nicht für das Reproduktionsinteresse und die Selbsterhaltungsintention der in ihm als in seinem Objekt sich etablierenden bürgerlichen Gegenwart, sondern im genauen Gegenteil für die Krafterweckungsinteressen und die Anlagenentwicklungsintentionen der in ihm als Subjekt ihrer selbst sich organisierenden "weltbürgerlichen" Zukunft. Und als sichselbstgleich präsentiert sich der neue Erfahrungszusammenhang demnach in Wirklichkeit nicht dank seiner in regressiver Methode entschiedenen kategorialen Subjektion unter den ökonomischen Selbstbehauptungsmechanismus der bürgerlichen Gegenwart, sondern kraft seiner im unendlichen Urteil resultierenden materialen Reflexion in sich als in den politischen Selbstbestimmungsprozess der mit "weltbürgerlicher" Zukunftsperspektive ihm eingeborenen Subjektivität.

Eine dessen ungeachtet auf die bürgerliche Gegenwart bezügliche konstitutive Bedeutung und dennoch auf jene gemünzte relative Identität kann unter diesen Umständen der neue Erfahrungszusammenhang überhaupt nur im Medium der ihm kraft sozialkontraktiv-privatrechtlicher Umfunktionierung von der bürgerlichen Gegenwart aufgedrungenen kategorialrestriktiven Bestimmtheit und realabstraktiven Fasson prätendieren. Nur weil und insofern der bürgerlichen Gegenwart gelingt, den durch den Mechanismus ihres ökonomischen Tuns hervorgetriebenen neuen Erfahrungszusammenhang der in praesenti casu raumgreifenden und sich organisierenden "weltbürgerlichen" Zukunft des Anspruchs eines als spontane Selbstbeziehung historisch-wirklichen Subjekts zu berauben und im Charakter stattdessen eines in kategorialer Fremdbestimmtheit gesellschaftlich-vertraglichen Daseins dingfest zu machen, das heißt, nur insoweit die bürgerliche Gegenwart jenen neuen Erfahrungszusammenhang als eine der eigenen materialen Konkretion sich zu superstruieren und den eigenen lebendigen Inhalt also in Schach zu halten, bestimmte und ausgebildete Realabstraktion zu etablieren vermag, kann sie ihn überhaupt als eine ihr verfügbare Grundlage und als sie betreffende Identität ins Auge fassen und mithin als von ihren privaten Interessen fundamental beherrschtes Medium und durch ihre persönlichen Intentionen sichselbstgleich gesetztes Corpus mit Beschlag belegen. Real ist diese empirische Abstraktion, weil sie ihrem eigenen Dasein und Inhalt gegenüber mit kategorialer Vollmacht die Seite seiner rechtlich gültigen Bestimmtheit und gesellschaftlich verbindlichen Form vertritt. Abstrakt aber ist dieses reale Empirikum, weil es die Position rechtlicher Geltung und gesellschaftlicher Verbindlichkeit seinem eigenen Dasein und Inhalt gegenüber dergestalt vertritt, dass es zugleich doch in Reaktion auf die dem letzteren innewohnende Tendenz, jene Rechtsförmigkeit und gesellschaftliche Ordnung der Revision eines aus eigenen Stücken angestrengten Prozesses freier Selbstbestimmung und solidarischer Vergesellschaftung zu unterziehen, mit allen Mitteln nicht bloß der ökonomisch oblique ausgeübten, rationalisierenden Unterdrückung, sondern mehr noch der politisch direkt exekutierten, gewalttätigen Repression sich ebenso sehr gegen es abzudichten wie von ihm zu dissoziieren bestrebt ist.

Dass sich's praktisch mit dieser Realabstraktion gut leben lässt, kann und soll nicht bestritten werden. Aber ebenso unbestreitbar ist, dass sich auf sie theoretisch schlechterdings nichts bauen lässt. Vor der maskenhaften Starre und symptomatischen Perspektivlosigkeit dieses – um der Beherrschung und Ausbeutung seines eigenen Daseins und Inhalts willen – von der bürgerlichen Gegenwart inszenierten und reklamierten, realabstraktiven Erfahrungszusammenhangs muss, wenn schon nicht jede an letzteren sich haltende praktische Resolution, so umso gewisser aber alle auf ihm fußende theoretische Reflexion der bürgerlichen Gegenwart zuschanden werden. Das gilt auch und nicht zuletzt für die im Interesse der Herstellung historischer Identität von der bürgerlichen Gegenwart betriebene historiographische Reflexion. Zwar dient pro forma seiner empirischen Bestimmungs- und Realisierungsfunktion dieser realabstraktive Erfahrungszusammenhang dazu, die historiographische Reflexion der bürgerlichen Gegenwart aus dem präliminarisch-projektiven Vorgehen eines Intendanten konstruiert "philosophischer Geschichte" in das ausführlich-deskriptive Verfahren eines Produzenten "empirisch abgefasster Historie" überwechseln zu lassen. Aber weil dieser realabstraktive Erfahrungszusammenhang bei alledem nicht mehr ist als die mit allen Mitteln ökonomisch obliquer Unterdrückung und politisch direkter Repression aufrechterhaltene heteronome Fassade oder vexierbildliche Identität jener revolutionären Wirklichkeit, die er gleichermaßen auszubeuten erlaubt und in Schach zu halten dient, bleibt pro materia der ihm solcherart wesentlichen Unterdrückungs- und Irrealisierungsfunktion alle aus ihm resultierende "empirisch abgefasste Historie" eine um den Preis der Falschmünzerei erkaufte und auf Kosten nämlich der Erfahrung selbst lancierte Geschichte, eine Fiktion. In der Tat ist es genau dieser, in Sachen Erfahrung ebenso destruktiv unterdrückende wie abstraktiv fassadenhafte Charakter des ihrer "empirisch abgefassten Historie" zugrunde liegenden Erfahrungszusammenhangs, was der historiographischen Reflexion der entwickelten bürgerlichen Gegenwart allen Triumph vergällt und was sie mit staunenswerter Unvermitteltheit aus der formell eroberten Stellung eines die Vergangenheit in ihren wirklichen Interessen und Intentionen wahrnehmenden weltgeschichtlichen Chronisten69 wieder vertreibt und in die reell einzunehmende Haltung eines die Vergangenheit vielmehr unter der Hand heteronomer Interessen und Intentionen spurlos verschwinden sehenden historischen Relativisten verfallen lässt. In dem Maß, wie jener realabstraktive Erfahrungszusammenhang der historiographischen Reflexion der entwickelten bürgerlichen Gegenwart, mit dem Ergebnis ihrer Professionalisierung, formaliter dazu dient, die von ihr repräsentierte und propagierte Vergangenheit als "empirisch abgefasste Historie" zu substantiieren und das heißt, als ein im empirischen Zueignungsautomatismus durch die Interessen und Intentionen der Gegenwart vermitteltes und bestimmtes historisches Perfekt unter Beweis zu stellen – in eben dem Maß muss nun zugleich sein materialiter zutiefst gestörtes Selbstverhältnis das Ergebnis dieser seiner formellen Leistung diskreditieren und suspekt erscheinen lassen. Jener realabstraktive Erfahrungszusammenhang steht ja als solcher unter der Anklage, ein empirisches Surrogat für die in ihm unterdrückte Erfahrung oder der in der Entäußerung ebenso sehr wie in der Verleugnung seiner wirklichen Interessen und Intentionen bestehende empirische Schatten seiner selbst zu sein. Wie sollte da nicht die als "empirisch abgefasste Historie" durch ihn vermittelte und bestimmte Vergangenheit in den Verdacht geraten, ein à fonds perdu seiner wirklichen Natur und sichselbstgleich empirischen Bestimmtheit etablierter Wechselbalg und mithin historisches Perfekt höchstens und nur im Sinne der durch den empirischen Duktus ihrer Erfahrungsfeindlichkeit perfektionierten Fiktion eines historischen Romans zu sein?

Tatsächlich ist die historiographische Reflexion der entwickelten bürgerlichen Gegenwart Reflexion genug, um an der zwielichtigen Restringiertheit und privaten Abstrakheit dieser, im Zueignungsautomatismus ihr sich ergebenden "empirisch abgefassten Historie" Anstoß zu nehmen und den in actu ihrer empirischen Abfassung dringend der historiographischen Falschmünzerei verdächtigen Exemplaren der letzteren hiernach mit eben der aus Indignation und Verachtung gemischten Reserve gegenüberzutreten, die – wie zuvor bereits ausgeführt – den Charakter einer allumfassenden epistemologisch-theoretischen Grundbedenklichkeit annimmt. In der Tat aber ist die historiographische Reflexion der entwickelten bürgerlichen Gegenwart auch schon zum anderen professionell genug, um vor der gebotenen Konsequenz aus dieser ihrer reflexiven Reserve zurückzuschrecken. Wenn das, was an jener – den Interessen und Intentionen der entwickelten bürgerlichen Gegenwart gemäß – "empirisch abgefassten Historie" ihr epistemologisch-theoretisches Bedenken erregt, die Vermitteltheit und Bestimmtheit jener Historie durch eine Empirie ist, die im dringenden Verdacht steht, ein gegen sich selbst, gegen die eigene Erfahrungswirklichkeit, gegen die empirieimmanenten Interessen und Intentionen gewendetes Abstraktum im unredlichen Dienste und Alibi zum ausbeuterischen Vorteil einzig und nur der entwickelten bürgerlichen Gegenwart zu sein, so läge es in der natürlichen Konsequenz dieses, die historiographische Reflexion heimsuchenden Bedenkens, auf die im Verlies des Abstraktums oder hinter der Fassade des Alibis subsistierende unterdrückte Erfahrungswirklichkeit zu sprechen zu kommen, sei's um sie als empiriologisch-praktischen Vorbehalt gegen die per Abstraktum und Alibi produzierte historische Scheinevidenz zur Geltung zu bringen, sei's um sie als ontologisch-dogmatisches Realfundament für die Hervorbringung einer des Verdachts der Fiktion überhobenen, weil im historisch perfekten Zustand einer wahrhaft empirischen Sichselbstgleichheit repräsentierten Vergangenheit nutzbar zu machen. Aber diese "natürliche" Konsequenz zu ziehen, hieße mit der eigenen Profession zu brechen, wäre gleichbedeutend mit der Aufkündigung all der Rücksichten und Verbindlichkeiten, die der eben dadurch professionalisierten historiographischen Reflexion aus ihrem mit der entwickelten bürgerlichen Gegenwart geschlossenen Dienstleistungsvertrag70 erwachsen. Das, worauf die historiographische Reflexion bei ihrer Suche nach einem bedenkenlos akzeptablen Vermittlungsmoment und Bestimmungsgrund "empirisch abgefasster Historie", das heißt, nach einer für die Vergangenheit als nicht-fiktiv historisches Perfekt repräsentativen und verbindlichen Gegenwart sich nolens volens verwiesen findet, ist jenes, als revolutionärer Erfahrungszusammenhang die bürgerliche Gegenwart kompromittierende Präsens, das im Begriff steht, sich als das Politikum der in ihren sachlichen Bedingungen sich selbst verwirklichenden Wirklichkeit der "weltbürgerlichen" Zukunft, statt als das Ökonomikum eines in seinen verdinglichten Faktoren sich selber verwertenden Werts der bürgerlichen Gegenwart, das heißt, als Subjekt eines Selbstbestimmungsprozesses, statt als Objekt eines Kapitalisierungsvorgangs zu manifestieren. In diesem Konflikt des in der "sozialistischen Internationale" sich als Subjekt realisierenden "weltbürgerlichen" Präsens mit der ihm als proletarischem Objekt zugemuteten sozialkontraktiven Heteronomie und privatrechtlichen Entfremdung nun aber um einer fundierten Geschichtsschreibung und empirisch repräsentativ bewältigten Vergangenheit willen Partei für dies seiner Heteronomisierung widerstreitende "weltbürgerliche" Präsens zu ergreifen, hieße zugleich Stellung gegen eben die entwickelte bürgerliche Gegenwart zu beziehen, deren privativem Interesse und eigensüchtiger Intention solch kategoriale Heteronomisierung und reale Entfremdung des "weltbürgerlichen" Präsens einzig und allein entspringt und zu deren Lasten demnach denn auch das Erscheinen des letzteren im gesellschaftsförmlich-rechtsverbindlichen Modus jenes realabstraktiven Erfahrungszusammenhangs geht, den in Hinsicht auf die ihm zufallende Aufgabe einer Vermittlung und Begründung "empirisch abgefasster Historie" die historiographische Reflexion im Verdacht eines auf Kosten der Erfahrungswirklichkeit, die er kaschiert und ersetzt, operierenden empirischen Falschmünzers und automatischen Scheinerzeugers hat. Stellung aber gegen die entwickelte bürgerliche Gegenwart zu beziehen, wäre für diese professionalisiert historiographische Reflexion in der Tat gleichbedeutend mit ihrem als veritabler Selbstverlust erfahrenen Ausscheiden aus eben dem organisch-systematischen Zusammenhang, dem als spezifische Funktion sie sich verdankt und als dessen integrierendes Moment sie sich nach wie vor weiß. Das heißt, es wäre ihre Parteinahme gegen die entwickelte bürgerliche Gegenwart und deren realabstraktiven Erfahrungszusammenhang für die historiographische Reflexion synonym mit einer ins Ungewisse radikal neuer und befremdlich anderer Orientierungen hinein vollzogenen Abkehr gleichermaßen von ihrer lebenspraktisch-ökonomischen Subsistenzbasis und ihrem identitätslogisch-gesellschaftlichen Existenzgrund.

Fußnoten

... Chronisten69
Diese ebenso flüchtige wie formelle Position des weltgeschichtlichen Chronisten markiert am ehesten Hegel mit seiner Philosophie der Geschichte. Vornehmlich von ihm als dem Verkünder der konkret vollbrachten Idee, des empirisch realisierten "allgemeinen Programms der Weltentwicklung" (Burckhardt, a.a.O., S. 4), distanziert sich deshalb auch die nachfolgende professionelle Geschichtswissenschaft. Jenen Augenblick der Wahrheit einer empirischen Koinzidenz von Kantisch allgemeiner Idee, universaler Gattungsintention, und besonderer gesellschaftlicher Entwicklung, bürgerlichem Klasseninteresse, den Hegel behauptet und beschwört, muss die nachfolgende Geschichtswissenschaft als die Permanenz der Unwahrheit des Widerspruchs zwischen realabstraktiv-totalisiertem, bürgerlich-privativem Erfahrungszusammenhang und sozialistisch-internationalisierter, unterdrückt-allgemeiner Erfahrung, wenn auch nicht theoretisch zur Kenntnis nehmen, so jedenfalls doch reflexiv in Anschlag bringen. Deshalb muss sie die Position des weltgeschichtlichen Chronisten, wenn sie sie nicht als den Springpunkt eines nach Art des Kommunistischen Manifests vorzustellenden, radikalen Orts- und revolutionären Perspektivenwechsels akzeptieren will, schleunigst räumen.
... Dienstleistungsvertrag70
Wie wörtlich und unmetaphorisch die Rede vom "Dienstleistungsvertrag" unter Umständen. genommen werden muss, lässt das Beispiel des Erzhistorikers Ranke deutlich werden. Über ihn weiß E. Schulin zu berichten: "Noch größer als der unmittelbare wissenschaftliche Erfolg von Rankes Erstlingswerk... war der ersehnte berufliche Erfolg. Die ersten Exemplare hatte er zielstrebig an den Minister Altenstein, an Karl von Kamptz, den so genannten Demagogenverfolger, und Johannes Schulz ins preußische Kultusministerium geschickt.... In der Tat bekam er sofort eine außerordentliche Professur in Berlin. Für das Kultusministerium mit seiner restaurativen Tendenz und seiner Feindschaft gegen die liberalen Bewegungen war das Buch sehr willkommen." Traditionskritik und Rekonstruktionsversuch, Göttingen 1979, S. 47) Dass in diesem Fall der Dienstleistungsvertrag gar nicht eigentlich mit der bürgerlichen Gegenwart, sondern mit einer zwischen Feudalität und Bürgertum kompromissbildnerisch restaurativen Staatsmacht geschlossen wird, verweist auf die eigentümlichen Verhältnisse teils der Restaurationsperiode im Allgemeinen, teils des restaurativen Deutschlands im Besonderen (vgl. dazu Exkurs II).