I. Antike
Die Wirklichkeit einer dem religiösen Zwangsverhältnis entrissenen Ästhetik, die als eine abgeschwächte, weil den Subjektwechsel durch einen bloßen Wechsel der Perspektive ersetzende Form von Religion figuriert, wird durch die antike Polis belegt. Um die Notwendigkeit dieser Wirklichkeit zu begründen, genügt es freilich nicht, aufs psychologische Beharrungsvermögen der Betroffenen zu verweisen. Grund ist vielmehr die amphibolische Struktur der Polis, dies, dass in ihr landbesitzende Aristokratie und Handel- und Gewerbetreibende zusammenleben, was ein Nebeneinander von territorialem und kommerziellem Reichtum bedeutet. Die Handel- und Gewerbetreibenden nutzen die religiösen Konnotationen, mit denen der territoriale Reichtum der Aristokratie befrachtet ist, um letzterer ein liturgisches, gemeinwohldienliches Verhalten abzunötigen, wobei die Gemeinwohldienlichkeit dadurch sichergestellt wird, dass Nutznießer des territorialen Reichtums nicht die in der Polis versammelten Individuen oder Gruppen sind, sondern die Polis selbst, das zu einer quasigöttlichen Macht hypostasierte Gemeinwesen ist.
Warum also – um uns ohne viel Umschweife der Aufgabe einer solchen Erklärung zuzuwenden! – tritt in eben dem Augenblick, in dem der Kommerz erstmals seine säkularisierende Wirkung entfaltet und, indem er die bedrohlich evokative Macht territorialen Reichtums eskamotiert, die um den Preis eines ritualistisch-kultisch besonderen Verhältnisses zur Welt die Bedrohung zu bannen bestimmte religiöse Zwangsveranstaltung überflüssig werden lässt – warum tritt in just diesem Augenblick als eine quasi abgeschwächte, gewissermaßen entschärfte, weil die offene Schizophrenie des objektiven Subjektwechsels in die bewusste Entscheidung eines subjektiven Perspektivenwechsels überführende Form von Religion die Ästhetik an die Stelle der Religion? Warum ist, nachdem die Religion mangels politisch-ökonomischer Basis ausgespielt hat und das feiertäglich-sakrale Verhalten zur Welt dem alltäglich-säkularen Umgang mit der Welt das Feld zu überlassen beginnt, das es sich zuvor ebenso eifersüchtig wie gebieterisch mit ihm geteilt hat, nicht einfach nichts, will heißen, nichts als eben nur der alltäglich-säkulare Umgang mit der Welt, sondern jene ästhetische Haltung gegenüber der Welt, die sich letzterem wenn auch nicht als Gegenpraxis, so doch aber als theoretische Ergänzung kaum weniger entschieden beigesellt und aufdrängt, als das im Rückzug begriffene religiöse Verhalten das tat? Warum, noch einmal anders gefragt, tritt die bis dahin höchstens und nur als Moment und Korollar religiösen Verhaltens wahrnehmbare ästhetische Haltung, kaum dass das religiöse System, der sie einschließende und eben dadurch als solche ausschließende Mutterkuchen, abgetrieben ist, als vollständige Formation und selbständige Gestalt in Erscheinung und verkörpert den unmissverständlichen Anspruch, wenn schon nicht das religiöse Verhalten reell zu substituieren, es in seiner empirischen Wirkung zu reproduzieren, so immerhin doch als sein funktionelles Surrogat zu dienen, es in seiner systematischen Bedeutung zu simulieren?
Die nächstliegende Erklärung scheint in der menschlichen Psychologie zu liegen. Die religiösen Objektbeziehungen und Rituale, die heiligen Stätten und sakralen Geräte, die Tempel und Götterbilder, die festlichen Inszenierungen, Prozessionen und Opferhandlungen, sind ja seit alters gepflegte Traditionen, eingefleischte Gewohnheiten, und sind nicht schon deshalb verschwunden und aus dem Leben der Beteiligten getilgt, weil ihr nichtmenschlicher Bezugspunkt, die als ihr wahrer Regisseur und wirkliches Subjekt, als ihr Schöpfer oder Eigner behauptete Gottheit dank der im Zuge der Kommerzialisierung gesellschaftlichen Reichtums veränderten Empirie die ihr bis dahin eigene Bannkraft und Relevanz verliert. Psychodynamisch scheint ohne weiteres einsichtig, dass die Beteiligten den ihnen durch die Macht der Gewohnheit lieb gewordenen Objekten und Ritualen zugetan bleiben und in Ansehung ihrer eine Besetzungsenergie aufrechterhalten, zu Deutsch, eine Anhänglichkeit beweisen, die ausreicht, um die weitere Kultivierung der im Grunde sinnlos gewordenen Objekte, die fortgesetzte Praktizierung der eigentlich funktionslos gewordenen Rituale sicherzustellen.
Der Übergang von der religiösen Observanz zur ästhetischen Kontemplation erklärte sich demnach aus der einfachen Tatsache, dass die Gegenstände, Vorstellungen und Verhaltensweisen, die den menschlichen Geist Jahrhunderte lang beschäftigen und in Bann schlagen, auch nach dem Entfallen ihres als ontologische Krisenbewältigung ausgewiesenen guten Grunds doch immer noch die Stellung halten und auf den an sie gewöhnten Geist ihre Wirkung ausüben, und hätte mithin die Bedeutung einer Metamorphose der zuvor objektiv-kategorialen, identitätslogisch konstituierten Vereidigung auf sie in eine subjektiv-dispositionelle, bloß psychologisch motivierte Fixierung an sie. Was vormals, um Hegel zu paraphrasieren, die Beschäftigung ernster Männer war, zeigte sich, durch die Macht der Gewohnheit auch nach dem Tod ihres objektiven Anlasses am Leben gehalten, zum Kinderspiel herabgesunken oder, um es fallspezifischer zu formulieren, was vormals funktionelle Zwangsübung war, findet, nachdem das Zwangsmoment verschwunden ist, als habituelles Lustspiel seine Fortsetzung.
Freilich würde, nach allem, was wir über das menschliche Seelenleben wissen, diese psychologische Erklärung eine allmähliche Abschwächung und Abdankung des als ästhetische Lust fortdauernden religiösen Zwangs implizieren. Ohne objektiv treibendes Motiv werden rein subjektiv bedingte Trieb- und Gewohnheitsregungen zu Leerlaufreaktionen, die zwar noch lange Zeit anhalten mögen, die aber, weil ihnen der sächliche Anlass, der nicht je schon aus der eigenen Energie gespeiste wirkliche Anreiz fehlt, das Schicksal des Perpetuum mobile teilen und an ihrer Zirkelhaftigkeit, ihrer sich verzehrenden Immanenz, zugrunde gehen, in sich selbst erlöschen. Von solcher Abschwächung, solchem Erlöschen kann aber im Falle der antiken Ästhetik definitiv nicht die Rede sein. Was da das religiöse Verhältnis mehr und mehr verdrängt und ersetzt und an die Stelle der sakralen Objekte Artefakte, an die Stelle der feierlichen Prozessionen festliche Aufführungen, an die Stelle des kultischen Opfers, der rituellen Darbringung, das kultivierte Werk, die exzellente Darstellung, treten lässt, ist mitnichten von der Art, dass es allmählich die Lust verlöre und den Geist aufgäbe; im Gegenteil wächst und gedeiht es und nimmt schließlich im gesellschaftlichen Leben einen mit der religiösen Sphäre früherer Zeiten praktisch deckungsgleichen Raum ein, gewinnt für die Ausgestaltung des menschlichen Daseins eine Präsenz und Bedeutung, die dem Gewicht und Anspruch des in Konkurs gegangenen religiösen Betriebes in nichts nachsteht.
Wenn bei der das religiöse Verhalten ersetzenden ästhetischen Haltung überhaupt eine Veränderung statthat, so keine der Intensität und Präsenz, sondern eine der Intentionalität und Referenz, eine Veränderung mit anderen Worten, die nicht die Objektivität des ästhetischen Bezuges, sondern nur die Identität des Bezugspunkts, nicht den jenseits allen bloßen Triebgrunds gelegenen Realgrund für die ästhetische Haltung, sondern höchstens und allein dessen empirische Beschaffenheit betrifft. Ein rein psychologisches Verständnis der sich von seiner Integration ins religiöse Verhalten emanzipierenden und als eigenständige Haltung letzteres beerbenden Ästhetik scheint also zu kurz zu greifen. Die Suche nach einer mehr noch empiriologischen Begründung der ästhetischen Haltung scheint unabweislich. Unabweislich scheint mit anderen Worten, dass wir die ästhetische Haltung, die Vereinnahmung der vom religiösen Verhalten überlieferten Objekte und Rituale durch Ästhetik und das Festhalten der Ästhetik an ihnen, nicht einfach nur auf die subjektive Gewohnheit, den Konservativismus des Trieblebens zurückführen können, sondern dafür eine objektive Notwendigkeit, einen in den Objekten und Ritualen selbst gelegenen guten Grund aufspüren müssen.
Nun ist ein solch guter Grund, eine solch objektive Notwendigkeit ja in den Objekten und Ritualen als religiösen traditionell gegeben und von Haus aus vorausgesetzt. Und gleichzeitig aber ist dieser Grund, diese objektive Notwendigkeit, durch die mittels kommerzieller Funktion initiierte politisch-ökonomische Entwicklung der betreffenden Gesellschaften außer Kraft gesetzt und zum Verschwinden gebracht. In objectu der religiösen Objekte, in ritu der kultische Rituale ist der gute Grund, die objektive Notwendigkeit unter den qua handelsstädtische Gemeinschaft geschaffenen Bedingungen ebenso sehr da wie nicht da, ebenso sehr traditionell gesetzt wie aktuell aufgehoben. Wie, wenn diese Zweideutigkeit, die in der zur Disposition gestellten religiösen Objektivität zum Ausdruck kommt, diese Unentschiedenheit, die die aufgelassene rituelle Sache selbst an den Tag legt, der gute Grund, die objektive Notwendigkeit für die quasi spontan sich einstellende und das religiöse Verhalten beerbende ästhetische Haltung wäre?
Dabei ist, um gleich Klartext zu reden, was wir wie ein objektlogisches Paradox oder eine ritualspezifische Zweideutigkeit einführen, in Wirklichkeit weit mehr als das, nämlich Niederschlag eines empiriologischen Widerspruchs, Ausdruck eines realpolitischen Missverhältnisses. Aktuell nicht mehr da und traditionell doch noch da ist mithin unter handelsstädtischen Bedingungen die objektive Notwendigkeit der religiösen Objekte und kultischen Rituale deshalb, weil die Ablösung und Ersetzung der territorialherrschaftlichen Gesellschaftsformation und ihrer Art von symbolisch-evokativem, ein ontologisch anderes Gut beschwörendem Reichtum durch das kommerzielle Gesellschaftssystem und seine Art von metaphorisch-transaktivem, in identitätslogisch alternativen Äquivalenten sich darstellendem Reichtum keineswegs so radikal und vollständig vor sich geht, wie oben suggeriert. Erstens nämlich bleiben die von der kommerziellen Funktion ins Leben gerufenen und ihre Erzeugung von Reichtum auf das kommerzielle System gründenden antiken Handelsstädte eingebettet in oder jedenfalls angebunden an ein weites Umfeld territorialer Herrschaften, in denen die alte fronwirtschaftliche Produktion und Distribution eines als pleromatisches Herrengut erscheinenden Reichtums andauert und in denen deshalb auch die dieser Art Reichtum als ebenso bannkräftige wie sanktionsmächtige Objekte und Rituale korrespondierenden götterkultlichen Darbringungen und opferkultlichen Veranstaltungen unverändert in Kraft bleiben und – bis auf weiteres zumindest – ihre volle Geltung behalten. Und zweitens und wichtiger noch ist der alte, territoriale, die religiösen Objekte und Rituale begründende beziehungsweise substantiierende Reichtum nicht nur im territorialherrschaftlichen Umfeld, außerhalb des handelsstädtischen Bereichs, sondern mehr noch in der Handelsstadt selbst, in ihrem eigenen ökonomischen Kontext und Sozialgefüge nach wie vor präsent und virulent.
Tatsächlich ist konstitutives Merkmal der antiken Handelsstadt ihre amphibolische Struktur, dies, dass in ihr das treibende kommerzielle Element, das in der vornehmlich handwerklichen Produzentengemeinschaft neuen Typs seinen gesellschaftlichen Ausdruck findet, sich mit einem tragenden territorialen Fundament verbindet, dessen maßgebendes gesellschaftliches Corpus eine Schicht von aristokratischen Grundbesitzern ist, von Landeigentümern, deren Güter quasi das ausgedehnte Glacis der Handelsstadt bilden und die, ursprünglich Gefolgsleute oder Vasallen eines theokratischen Territorialherren, den ökonomischen Aufstieg der Handelsstadt nutzen, um sich aus der Abhängigkeit von ihrem theokratischen Herrn zu befreien und zu über ihre Besitzungen frei verfügenden Despoten oder Domini, zu kleinen Territorialherren eigenen Rechts aufzuschwingen. Wie es die kommerziell organisierte Produzentengemeinschaft ist, die den aristokratischen Grundbesitzern und ihrem bäuerlichen Gefolge gleichermaßen das Motiv und den Bezugspunkt ihrer Emanzipation vom theokratisch-territorialherrschaftlichen System und ihrer Verselbständigung zu kleinen Territorialherren eigenen Rechts liefert, so sind es andererseits die aristokratischen Grundbesitzer, die der Produzentengemeinschaft und ihren kommerziellen Organisatoren den erforderlichen geographischen Raum und militärischen Schutz bieten und somit ökonomische Kontinuität und politische Autonomie sichern. Beide soziale Elemente brauchen einander und gehen eben deshalb die gleichermaßen für Polis und Urbs typische Verbindung ein.
Die Teilhabe und Mitwirkung einer aristokratischen Grundherrschaft am handelsstädtischen Gemeinwesen hat aber nun zwangsläufig zur Folge, dass von deren Landgütern territorialer, nichtkommerzieller Reichtum in die Stadt eingeführt wird und einen wesentlichen Bestandteil der vor Ort verfügbaren Ressourcen bildet. Und dieser grundherrliche Reichtum bringt, eben weil er nichtkommerzieller Natur und Herkunft ist, ein gefährliches Ungleichgewicht, eine bedrohliche Schieflage in die Stadt, indem er der aristokratischen Schicht, die über ihn verfügt, ermöglicht, unabhängig vom kommerziellen System und seinem Distributionsmechanismus so viel ökonomische Macht zu entfalten und politischen Einfluss auszuüben, dass dadurch in der Tat das Prinzip, mit dem das für die Handelsstadt maßgebende kommerzielle System steht und fällt, das Prinzip der Leistungsäquivalenz, der Aufrechenbarkeit und Austauschbarkeit der von den Einzelnen geleisteten Beiträge zum Gemeinwesen, in Frage gestellt und letztlich außer Kraft gesetzt wird. Mit dem auf ihren Landgütern erwirtschafteten Reichtum, der ja das gesammelte Produkt der dort praktizierten fronwirtschaftlichen Ausbeutung ist, vermag die Aristokratie in der Handelsstadt eine ökonomische Stellung einzunehmen, die ihr erlaubt, unter Umgehung des kommerziellen Äquivalenzprinzips, sprich, am Markt vorbei soviel soziales Gewicht zu gewinnen und sich soviel politischen Einfluss zu erkaufen, dass das Kräfteverhältnis zwischen den gesellschaftlichen Gruppen beziehungsweise die Machtverteilung in den städtischen Entscheidungsgremien ins Wanken und gar aus den Fugen gerät.
Die Lösung für dieses Problem besteht, wie andernorts 4 ausführlich dargestellt, in der als Liturgie bekannten Einrichtung, der der Aristokratie auferlegten und durch die Aussicht auf die Ehre und den Ruhm, die damit verknüpft sind, zur Neigung gemachten Pflicht, ihren Reichtum in den Dienst des Gemeinwesens zu stellen, ihn gemeinwohldienlich zu verwenden. So erfolgreich diese Strategie sich erweist und so sehr es mit ihrer Hilfe gelingt, den territorialherrschaftlichen, nicht kommerziell vermittelten Reichtum der Aristokratie als den potenziell Zwietracht säenden, die Balance in der Stadt destabilisierenden ökonomischen Faktor, der er ist, zu entschärfen – sie schafft ein weiteres Problem, mit dessen Lösung sie selber steht und fällt, das Problem der Rechtfertigung eben dieser von ihr durchgesetzten liturgischen Verwendung.
Schließlich ist dieser territoriale Reichtum, wie oben dargelegt, angestammtes Eigentum und Privileg der als Schöpfer beziehungsweise Erhalter der Welt firmierenden Götter und Inhalt und Gegenstand der den Göttern geweihten Opferkulte und rituellen Veranstaltungen, und indem die mit der kommerziellen Funktion und ihrer spezifischen Produzentengemeinschaft im Bunde stehende landbesitzende Aristokratie diesen territorialen Reichtum unmittelbar, sprich, unvermittelt durch kommerziellen Austausch, in die Stadt bringt, bringt sie nolens volens die auf ihn lautenden religiösen Titel und die auf ihm lastenden sakralen Hypotheken mit in die Stadt. Der Reichtum, der aus den umliegenden Territorialherrschaften in die Stadt gelangt, gelangt durch die Handelstätigkeit dorthin, ist also kommerziell vermittelt, und so gewiss diese seine kommerzielle Vermittlung den territorialen Charakter des Reichtums und seine damit einhergehende religiöse Bestimmtheit und kultische Gebundenheit entkräftet und aufhebt, so gewiss müsste die oben konstatierte Tatsache, dass in diesen Territorialherrschaften die alten religiösen Bindungen und Verbindlichkeiten ja fortbestehen und Aktualität behalten, die Handelsstadt nicht weiter tangieren. Der territoriale Reichtum der eigenen Aristokratie hingegen gelangt unvermittelt in die Stadt und lässt die mit ihm verknüpften dogmatischen Ansprüche und kultischen Verpflichtungen eine auch intra muros der im Wesentlichen kommerziell verfassten Handelsstadt unabweisliche Relevanz und Geltung reklamieren.
Tatsächlich sind es diese dem territorialherrschaftlichen Reichtum der Aristokratie anhaftenden sakralen Rücksichten und kultischen Verbindlichkeiten, die dem von der kommerziellen Funktion organisierten Gros der Bürgerschaft, dem Volk, zusammen mit der Aussicht auf Ruhm und Ehre dazu dienen, der Aristokratie einen gemeinwohldienlichen Gebrauch eben jenes Reichtums, mithin das als Liturgie, als Wirken fürs Volk, bestimmte Verhalten, abzunötigen. Wenn die Aussicht auf Ruhm und Ehre das Zuckerbrot ist, das die Bürgerschaft für die mit ihrem territorialen Reichtum liturgisch sich engagierende Aristokratie bereithält, so sind die sakralen Rücksichten und kultischen Verpflichtungen, die mit dem territorialen Reichtum von Haus aus einhergehen, die Peitsche, mit der die Bürgerschaft jeden Versuch der Aristokratie in Schach hält, sich auf der Basis dieses ihres Reichtums selbstsüchtig in Szene zu setzen, machtgierig aufzuspielen oder wollüstig dem Genuss hinzugeben. Weil im territorialen Reichtum der Aristokratie die dogmatischen Eigentumstitel und kultischen Verfügungsansprüche der religiösen Mächte ebenso akut wie präsent sind, kann die Bürgerschaft den privaten Gebrauch, den die Aristokratie von ihrem der territorialen Sphäre entzogenen und in die Stadt mitgeführten Reichtum macht, und die persönliche Verfügung, die sie über ihn beansprucht, unter das Verdikt sakrilegischer Zweckentfremdung stellen und die Aufhebung beziehungsweise Aussetzung des Verdikts daran knüpfen, dass die Aristokratie diesen ihren Reichtum zuvörderst in den Dienst des Gemeinwesens stellt, sprich, liturgisches Wohlverhalten an den Tag legt.
Allerdings stellt die Verwendung des territorialen Reichtums zum Wohle der Bürgerschaft nicht als solche bereits oder automatisch einen Ausweg aus dem Dilemma dar, das die Entwendung dieses Reichtums aus der territorialherrschaftlichen Sphäre, dem Kultraum der Götter, und seine Überführung in die Handelsstadt, den kommerziellen Freiraum, heraufbeschwört. Das Verdikt sakrilegischen Verhaltens, das die aristokratische Verwendung des als Eigentum der Götter firmierenden territorialen Reichtums für selbstsüchtige Zwecke, für die Befriedigung persönlichen Machtstrebens und privater Gelüste, trifft, trifft unmittelbar natürlich ebenso sehr den Einsatz dieses Reichtums zum Nutz und Frommen der städtischen Bürgerschaft. Im einen wie im anderen Fall wird der Reichtum seinen nichtmenschlichen Herrn und Eignern, den Göttern, und ihren dogmatischen Ansprüchen beziehungsweise kultischen Prärogativen entzogen und menschlichen Bedürfnissen und Belangen zugewendet. Im einen wie im anderen Fall wird der Reichtum kompensationslos, ohne rituelle Gegenleistung beziehungsweise sakramentale Konzessionierung aus der sakralen Sphäre in die profane Welt, aus der Obhut der Götter in die Hände der Menschen transferiert.
So gesehen, ist es mit dem liturgischen Einsatz des territorialen Reichtums, damit, dass die Aristokratie auf den persönlichen Gebrauch und den privaten Konsum des Reichtums Verzicht leistet und ihn zum Nutz und Frommen des Gemeinwesens verwendet, nicht getan. Jedenfalls nicht, solange das Gemeinwesen als gleichbedeutend und deckungsgleich mit den in der Stadt angesiedelten Menschen genommen, solange nichts weiter darunter verstanden wird als die einfache Summe der die Handelsstadt bewohnenden und in ebenso unterschiedlichem Maße an ihren politischen Entscheidungen beteiligten wie auf verschiedene Weise ökonomisch in ihr engagierten, vom banausos bis zum agathos, vom Handwerker bis zum Aristokraten reichenden Bürger.
Soll der Verdacht oder Vorwurf eines nefariösen Raubes an den Göttern, eines sakrilegischen Umspringens mit ihrem Hab und Gut und ihren daraus sich herleitenden Ansprüchen und Privilegien entkräftet werden, so muss das Gemeinwesen mehr sein als bloß die Summe der in der Handelsstadt zusammenlebenden menschlichen Subjekte, muss es ein Moment von übermenschlicher Subjektivität, die dem Göttlichen vergleichbare Qualität einer als absolute Eigenheit sich geltend machenden Andersartigkeit aufweisen, so dass sich die liturgische Sorge für das Gemeinwesen nicht in einer Begünstigung und Dotierung eben dieser menschlichen Subjekte, der handelsstädtischen Bevölkerung oder Menschenmenge als solcher erschöpft und vielmehr sich auf jene andersartige Wesenheit bezieht, die mehr ist als die Summe ihrer Teile, auf jenes eigenartige Gebilde gemünzt ist, das, eine Ansammlung von Subjekten, eine Menge Menschen umfassend und in sich enthaltend, doch zugleich diese Ansammlung qualitativ in eine transzendentale Einheit sui generis transformiert, diese Menge Menschen objektiv in ein kategoriales Ganzes von eigenen Gnaden aufhebt.
Nur wenn das Gemeinwesen seinen unmittelbaren, humanen Inhalt quasi transzendiert und sich zu dessen bleibender Form, seiner existierenden Idee, hypostasiert, nur wenn es sich von den Menschen, die es bilden, gewissermaßen abstrahiert, um sich ihnen als ein Gebilde, das umgekehrt sie formt, als sie bestimmende Matrix, zu oktroyieren, gewinnt es jene Eigenart und Fasson, die es als Adressaten und Empfänger des von der Aristokratie auf nichtkommerziellem Weg in die Stadt gebrachten Reichtums davor schützt, als Frevler an den Göttern und ihrem sakrosankten Eigentum dazustehen. Das Gemeinwesen kann sich in dieser abstrahierten Form und hypostasierten Gestalt in einem Konkurrenzverhältnis zu den Göttern wiederfinden, es kann sich in einen Kompetenz- und Zuständigkeitsstreit mit ihnen verstricken, aber so wahr es in dieser abstrahierten Form seinen unmittelbaren Inhalt, die empirischen Subjekte, transzendiert und sich auf einer nach Maßgabe ihrer Übermenschlichkeit der Sphäre der Götter vergleichbaren Ebene etabliert, so wahr ist es dem Verdacht eines nefariösen Übergriffs und Vorwurf sakrilegischen Fehlverhaltens entzogen.
Dies also ist die Lösung, die die Bürgerschaft der im Bunde mit der territorialen Macht der Aristokratie gegründeten Handelsstadt für das Problem, das der nicht kommerziell vermittelte, territoriale Reichtum der Aristokratie mit sich führt, findet und durch die sie die liturgische Verwendung dieses Reichtums, zu der sie die Aristokratie bewegt, jeden Verdachts der Profanisierung von Sakralem, jeden Vorwurfs der nefariösen Vermenschlichung göttlicher Dinge überhebt. Dabei ist diese Lösung nicht etwa, wie auf den ersten Blick scheinen könnte, ein bodenloses Konstrukt, eine manipulative Erfindung; vielmehr hat sie durchaus ihr fundamentum in re, ist sie eine in den objektiven Verhältnissen der Handelsstadt implizierte Gegebenheit. Jenes den Menschen, die es umfasst und enthält, als abstraktiv-eigene Entität aufgesetzte, den empirischen Individuen, die es summiert und organisiert, als hypostatisch-objektive Realität vorgeordnete Gemeinwesen, in dem die Lösung besteht und auf das die Bürgerschaft die liturgischen Leistungen bezieht, die sie der Aristokratie abfordert, ist nämlich, wenn man so will, Resultat der amphibolischen Konstitution der Handelsstadt.
Weder die kommerzielle Funktion mit der von ihr ins Leben gerufenen und ihr anhängenden eigenständigen Produzentengemeinschaft allein noch gar die territorialherrschaftliche Komponente der Handelsstadt, die mit ihr gemeinsame Sache machende Aristokratie für sich genommen, sind als das für das handelsstädtische Gemeinwesen grundlegende und es tragende Element zu betrachten. Vielmehr ist das handelsstädtische Gemeinwesen Produkt des Zusammenwirkens beider, etabliert es sich quasi auf einem durch dies Zusammenwirken geschaffenen und nach Maßgabe der Tatsache, dass weder die einen noch die anderen es als ihr Werk in Anspruch nehmen können, eigenständigen Plateau. Nur weil die kommerzielle Funktion und ihre Produzentengemeinschaft von der Aristokratie den erforderlichen Freiraum zur Verfügung gestellt bekommt und bei ihr den zur Verteidigung dieses Freiraums nötigen Rückhalt findet, existiert die Handelsstadt und das in ihr bestehende Gemeinwesen. Und nur weil die Aristokratie in der kommerziellen Funktion und ihrer Produzentengemeinschaft die Chance gewahrt und wahrnimmt, sich ökonomisch besser zu stellen und politisch vom theokratischen System der Königsherrschaft zu emanzipieren, ist die Handelsstadt und das in ihr bestehende Gemeinwesen fundiert und von Dauer.
So gesehen, ist dies Gemeinwesen quasi im Koinzidenzpunkt der differenten Interessen der beiden sozialen Gruppierungen, im Schnittpunkt ihrer unterschiedlichen Intentionen, verankert und kann deshalb, obwohl als bloßer Funktionszusammenhang realiter deckungsgleich mit den beiden und sie einfach nur umspannend, formaliter als ein sie überspannender Überbau erscheinen, der, da die Konstruktion, die ihn trägt, nicht unmittelbar sie selbst, sondern ihre jeweils durch die der anderen Gruppierung ebenso sehr verstellten wie vermittelten Interessen und Intentionen sind, das realistische Bewusstsein, dass er in ihnen gründet und sie ihn tragen, durch den suggestiven Eindruck zu verdrängen und zu ersetzen vermag, dass vielmehr sie von ihm abhängen und er sie hält.
Das Gemeinwesen kann, wie gesagt, statt als faktisch-operatives Ergebnis seiner menschlichen Subjekte, vielmehr als ihre hypostatisch-objektive Voraussetzung erscheinen – muss es aber nicht! Wie immer auch als Gebilde sui generis aus den Bedingungen seiner amphibolischen Konstitution erklärlich, bleibt das Gemeinwesen doch seiner empirischen Wahrheit nach eine Kreation der Gruppen, die es bilden, und als sie organisierender bloßer Funktionszusammenhang untrennbar mit ihrer sozialen Existenz verknüpft und könnte als solcher, wenn sie nur wollten, auch fern aller abstraktiven Verselbständigung oder Hypostasierung von ihnen wahrgenommen werden. Indes, die beteiligten Gruppen wollen nicht und ziehen es vor, ihrem Gemeinwesen jenes Moment von eigenständiger Determination oder hypostatischer Unvermitteltheit zu konzedieren, kraft deren es sie transzendiert und aus seiner Transzendenz ihnen als ihrer empirischen Existenz präsupponiertes Transzendental, als ein Ganzes, in dem sie nicht bloß ihre Struktur, ihr System, sondern mehr noch ihre Matrix, ihre Idee erkennen, entgegentritt.
Und der Grund dafür ist, wie gesagt, das Problem des nichtkommerziellen, territorialen und mit den religiösen Hypotheken, die ihn belasten, von der Aristokratie in die Handelsstadt eingeführten Reichtums, sprich, die Notwendigkeit, diesen Reichtum ins handelsstädtische System zu integrieren, ohne sich durch den Vorwurf eines sakrilegischen Beginnens, den Verdacht nefariösen Tuns der Gefahr sozialer Diskriminierung auszusetzen beziehungsweise politisch angreifbar zu machen. Indem die Bürgerschaft die Aristokratie zu liturgischem Verhalten verpflichtet, bewahrt sie sie vor dem möglichen Vorwurf eines sakrilegischen Beginnens. Und indem sie das liturgische Verhalten der Aristokratie nicht auf die Einwohnerschaft der Stadt als solche, sondern auf das die städtische Gemeinschaft zur Idee ihrer selbst, zu einem Nachbild, das sich als Vorbild geriert, verdoppelnde Gemeinwesen Polis bezieht, entzieht sie zugleich auch sich selbst dem eventuellen Verdacht nefariösen Tuns.
Weil die Aristokratie kraft des von ihr geltend gemachten wesenskultlichen Bezugs den territorialen Reichtum, den sie in die Stadt bringt, bereits von sich aus entsakralisiert oder säkularisiert hat, ist in Wahrheit der Verweis auf die Götter und ihre sakralen Ansprüche auf den territorialen Reichtum ein Strategem der Bürgerschaft, die die territoriale kultische Macht als funktionalisierte Größe, nämlich als quasi eine Straf- und Sanktionsmacht für den Fall in Anschlag bringt, dass die Aristokratie es versäumt, ein ihrem Wesensbezug gemäßes, sprich, gemeinwohldienliches Verhalten an den Tag zu legen.
Die Notwendigkeit einer Integration des territorialen Reichtums der Aristokratie in den kommerziell bestimmten Zusammenhang der Stadt also ist es, was die Bürgerschaft veranlasst, den Reichtum, zu einem repräsentativen Teil jedenfalls, zu liturgisieren, sprich, der städtischen Allgemeinheit und Öffentlichkeit verfügbar zu machen, und was sie zugleich zwingt, diese Allgemeinheit und Öffentlichkeit ihrer empirischen Unmittelbarkeit zu entheben und in der quasireligiösen Übermenschlichkeit eines mehr als die Summe seiner Teile bildenden Ganzen, einer die empirischen Individuen transzendierenden politischen Person sui generis, kurz, als die Polis, sich etablieren zu lassen. Dabei ist dies zur Polis hypostasierte Gemeinwesen quasireligiös, aber nicht religiös, den Göttern und Heroen vergleichbar, nicht aber ihnen gleich. Die Polis befindet sich zwar auf derselben Ebene wie die Götter, ist ihnen topisch ebenbürtig, aber gleichzeitig erfüllt sie eine ganz und gar andere Funktion als jene, ist ihnen dynamisch fremd.
Funktion und Aufgabe der als Götter introduzierten Mächte ist es, wie gezeigt, ein ontologisch verschiedenes Subjekt in seiner unmittelbar weltverneinenden oder vielmehr weltvernichtenden Wirksamkeit so zu entkräften und zu neutralisieren, dass die Menschen der ihnen andernfalls ins Haus stehenden unendlichen Entwertung und absoluten Entwirklichung ihres Daseins entrinnen und ein affirmatives Verhältnis zur Welt aufrecht erhalten können. Die Götter sind das andere Subjekt, nur es um seine Indifferenz und Negativität gebracht und in den Schöpfer und Erhalter der menschlichen Welt umfunktioniert.
Der Preis, den die Menschen dafür zahlen müssen, ist, dass sie die Welt und ihren kultürlichen und natürlichen Reichtum, die von Menschenhand geschaffene Objektivität in specie und die von Natur gegebene Gegenständlichkeit in genere, eben jenen Schöpfern und Erhaltern der Welt übereignen und anheim stellen, dass sie den Göttern ein privilegiertes Verhältnis zu jener kultürlichen Objektivität und natürlichen Gegenständlichkeit und einen prärogativen Anspruch darauf einräumen müssen. Um diesen Preis erträglich, will heißen, mit den Ansprüchen ihres eigenen, innerweltlichen Daseins vereinbar zu machen, artikulieren und konzentrieren sie die göttlichen Privilegien und Prärogative, geben ihnen einen spezifischen Inhalt beziehungsweise räumen ihnen ein paradigmatisches Betätigungsfeld ein und scheiden so die Welt in eine sakrale, von den Göttern vorzugsweise in Anspruch und in Besitz genommene Sphäre und einen profanen, von den Göttern, die auf ihre sakrale Sphäre fixiert und von ihr okkupiert sind, den Menschen überlassenen und zur Verfügung gestellten Bereich.
Diese Aufspaltung der Welt in sakral und profan hebelt nun zwar das kommerzielle System aus, indem es den gesellschaftlichen Reichtum seiner territorialen Überflussqualitäten entkleidet, ihn aus Überfluss zu Überschuss, aus einem Aktual der Fülle zu einem Potenzial der Erfüllung werden lässt, damit dem anderen Subjekt den Boden entzieht und so denn auch den das andere Subjekt umzufunktionieren bestimmten Göttern im Prinzip ihre Notwendigkeit verschlägt. Aber weil das kommerzielle System den territorialen Reichtum, der als Erscheinungsort des anderen Subjekts virulent zu werden droht und der eben deshalb den das andere Subjekt zu ersetzen und umzufunktionieren bestimmten Göttern übereignet und zur Verfügung gestellt wird, beileibe nicht in toto aus der Welt schafft, weil dieser territoriale Reichtum vielmehr teils außerhalb der Handelsstadt fortbesteht, von wo aus er allerdings keinen Schaden anrichten kann, weil er ja nur durch kommerzielle Vermittlung in die Stadt gelangt, teils aber auch und vor allem aufgrund des aristokratischen Elements der handelsstädtischen Konstitution in der Stadt selbst nach wie vor eine Rolle spielt, wo er als kommerziell unvermitteltes Moment, als quasi frei flottierende Manövriermasse Zwietracht zu säen und das kommerzielle System auszuhebeln droht, steht die Bürgerschaft vor dem Problem, diesen territorialen Reichtum in den handelsstädtischen Zusammenhang zu integrieren und für die Stadt nutzbar zu machen, ihn zu liturgisieren, zum Wohle des Volkes zu verwenden, ihn aus einem potentiell Zwietracht säenden und das kommerzielle System aushebelnden in einen aktuell Eintracht stiftenden und das System untermauernden Faktor zu verwandeln – und zwar so (und hierin liegt die zusätzliche Komplikation), dass sie sich nicht dem Verdacht und Vorwurf eines sakrilegischen Vergehens gegen die Götter und nefariösen Umspringens mit ihren Ansprüchen und Prärogativen aussetzt.
Zur Lösung dieses komplizierten Problems beschwört die Bürgerschaft das hypostatische Gemeinwesen Polis. Funktion und Aufgabe der qua Polis introduzierten Macht ist es, die unter ihr befasste Gesamtheit der Bürgerschaft so zu formieren und aufzuheben, sie als transzendental-übermenschliche Totalität und Identität ihrer empirisch-menschlichen Vielzahl und Mannigfaltigkeit so voraus- und entgegenzusetzen, dass sie in einer Differenz zu letzterer erscheint, die spezifisch genug ist, um der generischen Verschiedenheit, in der die Götter sich gegenüber den Menschen und ihnen voraus behaupten, wie man will, die Stirn zu bieten oder die Waage zu halten und also sie, die Polis, in den Stand zu setzen, sich als Adressatin und Nutznießerin des sonst den Göttern zufallenden territorialen Reichtums anstelle der letzteren zu profilieren und zu inszenieren.
Wenn die Götter dazu da sind, die Indifferenz und Negativität des vom territorialen Reichtum auf den Plan gerufenen anderen Subjekts zu bannen, sprich, in die Anteilnahme und Positivität eines kreativen Verhältnisses zur Welt und konservativen Umgangs mit ihr umzumünzen, und wenn die daraus konsequierende Hypothek der vorrangige Eigentumstitel der Götter auf die Welt und ihr prärogatives Nutzrecht an ihr ist, dann ist wiederum die Polis dazu da, unter den Bedingungen einer den territorialen Reichtum nicht zwar zum Verschwinden bringenden, wohl aber in gleichermaßen seiner systematischen Geltung und empirischen Bedeutung entschieden einschränkenden politisch-ökonomischen Entwicklung jenes Privileg und Prärogativ den Göttern zu entziehen und es einer mit den Menschen und ihren Bedürfnissen im Prinzip übereinstimmenden Entität, einer mit der Bürgerschaft wenn auch nicht der generischen Form, so doch aber dem spezifischen Inhalt nach identischen Instanz zu übereignen. Die Götter sichern der von Unwirklichkeit und Entwertung bedrohten Welt Wirklichkeit und Bestand und fordern dafür einen privilegierten Zugriff auf sie und eine vorrangige Verfügung über sie; die Polis ermöglicht den Menschen, sich dieses Privileg und Prärogativ der Götter halbwegs zurückzuholen und es nämlich einer Macht zu übertragen, die, wenn schon nicht kategorialiter, so doch aber realiter nichts weiter im Sinn hat als die Bürgerschaft, die sie einschließt und unter sich befasst, die mit anderen Worten zwar nicht de jure, wohl aber de facto nichts weiter im Schilde führt als die Interessen und Intentionen der Menschen, die sich ihr, der hypostatisch gesetzten Totalität, subsumieren und durch sie repräsentieren lassen.
Um freilich diesen die Menschen halbwegs, sprich, de facto oder inhaltlich, wenn auch nicht de jure oder förmlich als das Subjekt der Welt restituierenden Ersatz für die Götter, diese die übermenschlich-göttlichen Mächte als Bezugspunkt und Adressat der Welt und ihres Reichtums substituierende hypermenschlich-politische Macht zur Geltung zu bringen und konkrete Bedeutung gewinnen zu lassen, braucht es mehr als bloß die simple Setzung des gemeinwesentlichen Ersatzes, mehr als die abstrakte Behauptung der substitutiven Macht Polis. Es braucht, wie oben schon gesagt, die Inszenierung der Gesetzten, die Profilierung des Substituts.
Der Grund dafür ist, dass die quasigöttliche Macht Polis die Götter zwar substituiert, aber nicht eigentlich entbehrlich macht, dass sie als Kultort des in – wie man will – ihr oder ihm seine objektive Identität behauptenden Gemeinwesens die Götter und ihre Kultstätten nur unter der Bedingung abzulösen und aufzuheben imstande ist, dass sie sie ebenso sehr durch ihre eigene Präsenz reaffirmiert, sie ebenso wohl in ihrer spezifischen Gestalt bewahrt. Und dies wiederum ist einem geradezu dilemmatisch zu nennenden Problem geschuldet, das sich bei der Ersetzung der Götter durch die quasigöttliche Macht Polis auftut – dem Problem, dass der Fortbestand, die Insistenz, der Götter tatsächlich eine nicht minder wichtige gesellschaftliche Funktion erfüllt als der Einstand, die Präsenz, der Polis selbst und dass nämlich so, wie die Polis dazu taugt, die Götter zu entmachten und, ohne ihren Zorn und ihre Rachsucht zu riskieren, zur Preisgabe ihres tradierten Anspruchs auf den territorialen Reichtum zu veranlassen, die Götter wiederum dazu dienen, die irdischen Herren des territorialen Reichtums, die Aristokratie, unter Kontrolle zu halten und zu einer mit den Interessen der Gesamtbürgerschaft verträglichen Verwendung des von den Göttern preisgegebenen territorialen Reichtums zu nötigen.
Wenn oben die liturgische Integration des von der Aristokratie eingeführten territorialen Reichtums in den handelsstädtischen Zusammenhang so dargestellt wurde, dass die durch den ökonomischen Machtfaktor des territorialen Reichtums dem Gemeinwesen drohenden sozialen Spannungen und politischen Konflikte eine das machtfaktorelle Moment neutralisierende Verwendung des territorialen Reichtums für gemeinschaftsdienliche Zwecke nötig machen, dies aber wiederum die Kreation der quasigöttlichen Instanz Polis als Adressatin des Reichtums erforderlich werden lässt, weil sonst dessen gemeinschaftsdienliche Verwendung Gefahr läuft, als sakrilegischer Übergriff, als nefariöses Vergehen gegen den Anspruch und Titel der Götter, der traditionellen Herren der Welt, auf den territorialen Reichtum zu erscheinen, dann ist diese Darstellung zwar im Prinzip richtig, aber zugleich auch eine höchst elliptische Wiedergabe, insofern sie die für das Verständnis des ganzen Vorganges wichtige Information unterschlägt, dass die zur Einführung der quasigöttlichen Instanz Polis nötigende Göttermacht im vorliegenden Kontext keineswegs mehr etwas herkömmlich Gegebenes, selbstverständlich Vorausgesetztes, sondern ihrerseits bereits eine von der Bürgerschaft ins Machtspiel um den territorialen Reichtum eingeführte beziehungsweise in ihm neu zur Geltung gebrachte Figur und Setzung ist, die dem Zweck dient sicherzustellen, dass die den territorialen Reichtum in die Stadt transferierende und dort über ihn verfügende Aristokratie überhaupt jene liturgische Konsequenz zieht, sich mit anderen Worten überhaupt bereit findet, ihren in die Stadt gebrachten Reichtum statt für eigene Zwecke und selbstische Absichten vielmehr im Interesse des Gemeinwesens, zum Wohle der Bürgerschaft, einzusetzen.
Tatsächlich ist die in der profan-menschlichen Verwendung des territorialen Reichtums beschlossene Gefahr, sich gegenüber den traditionellen Herrn und rituellen Eignern jenes Reichtums eines Sakrilegs und nefariösen Beginnens schuldig zu machen, nicht erst im Augenblick der liturgischen Zuwendung des Reichtums an die Bürgerschaft, seiner Transformation in öffentliches Vermögen gegeben. Vielmehr ist diese Gefahr zuvörderst und vor allem da virulent, wo die mit der Stadt paktierende territorialherrschaftliche Fraktion, die von der theokratischen Herrschaft sich emanzipierende Aristokratie, ihren Territorien, ihren Gütern, den Reichtum entzieht, um ihn in ihre neue Heimstatt, das handelsstädtische Gemeinwesen mitzunehmen und dort darüber zu verfügen. Indem die Aristokratie den Reichtum den Territorien entzieht, entzieht sie ihn zugleich den mit den Territorien seit alters verknüpften Kulten und Kultstätten und den als die wahren Herren und Eigner des territorialen Reichtums die Kulte beanspruchenden und die Kultstätten bewohnenden Göttern, als deren Statthalter und Majoresdomuum sie, die Aristokraten firmieren, insofern sie zum Hof des Territorialherren gehören, Teil der theokratischen Herrschaft sind. Hier ist es, wo sich die Aristokratie primär dem Verdacht sakrilegischen Verhaltens aussetzt und wo sie deshalb auch vordringlich mit den Göttern und ihrem angestammten Anspruch auf den territorialen Reichtum ins Reine kommen muss.
Die Art, wie sie das tut, ist nicht unähnlich der Art und Weise, wie anschließend die handelsstädtische Bürgerschaft zwecks Liturgisierung des Reichtums die Macht der Götter durch die Kreation und Einführung der göttergleichen Instanz Polis konterkariert und bricht. Nur dass die Aristokratie gegen die Götter nicht die Polis, sondern ihr eigenes, der Macht der Götter entzogenes Wesen, einen aretologischen Sonderstatus jenseits und außerhalb der von den Göttern beherrschten Welt, ein nicht von dieser Welt seiendes unverbrüchliches Selbstsein geltend macht. Wenn es die grundlegende Funktion der Götter ist, die irdische Welt als Wirklichkeit zu reaffirmieren, als Ding von Wert zu sanktionieren, dann macht sich die Aristokratie dadurch von den Göttern unabhängig, dass sie auf deren Reaffirmation und Sanktion kurzerhand verzichtet und die Welt so nimmt, wie sie in Wahrheit ist und sich im Grunde erweist, als eine des Grunds entbehrende illusionäre Erscheinung, einen an chronischer Substanzlosigkeit krankenden flüchtigen Schemen.
Was der Aristokratie solchen radikalen Verzicht ermöglicht, ist das von ihr adoptierte Wesenskonzept, die Vorstellung von einem jenseits der irdischen Wirklichkeit zeitlos perennierenden wahren Sein, einem zur Welt der Götter und der Menschen transzendenten apriorischen Wesen, an dem das Individuum aufgrund seines ihm ebenso ewig zugehörigen wie zeitlich von ihm abgefallenen Selbstes oder kraft seiner ebenso substanziell in ihm aufgehobenen wie prozessual von ihm differenten Identität teilhat. Dank jenes Konzepts vom Wesen zwar in dieser Welt sich aufhaltend, aber doch gleichzeitig nicht in ihr aufgehend, im irdischen Schein heimisch, aber doch gleichzeitig noch ein anderes wahres Sein beanspruchend, kann das aristokratische Individuum sich in dieser schemenhaften Welt, dieser Welt der bloßen Erscheinungen, tummeln und entfalten, ohne doch – wie noch seine heroischen Vorläufer und mythologischen Vorfahren – ihr mit Haut und Haar und auf Gedeih und Verderb verfallen zu sein oder ohne, besser gesagt, der Scheinhaftigkeit und Vergänglichkeit dieser Welt mehr zu schulden als eben nur jenes Haut und Haar oder jenes Gedeih und Verderb, das dem Wesen des Individuums, seinem innersten Kern, seinem aretologischen Selbst geradeso äußerlich und entbehrlich ist wie die Erscheinungswelt insgesamt, das irdische Dasein überhaupt.
So also entledigt sich kraft ihres Wesensbezuges und ihres durch ihn ermöglichten Verzichts auf die bis dahin für unabdingbar erachtete Substanzialität und Positivität der Welt die Aristokratie der diese Substanzialität garantierenden, diese Positivität sanktionierenden Götter und ihres ebenso kultisch realisierten wie dogmatisch stipulierten Anspruchs auf den territorialen Reichtum, den sie hiernach frei von jeglichem Schuldgefühl, frei von allem Bewusstsein, ihn seinen rechtmäßigen Eignern, seinen geheiligten Nutznießern zu rauben, sprich, ein Sakrileg zu begehen, in ihre neue Heimstatt, die Handelsstadt, mit der sie im Bunde ist, überführen kann, um dort nach Gutdünken über ihn zu verfügen, selbstherrlich mit ihm zu schalten und walten.
So erfreulich freilich für die Aristokratie selbst diese durch keine göttlichen Prärogative und kultischen Rücksichten beschränkte freie Verfügung über den ihren Landgütern entzogenen Reichtum ist, so zweifelhaft und besorgniserregend erscheint sie der übrigen Bürgerschaft. Diese freie Verfügung über den territorialen Reichtum ist es ja, die die oben erwähnte Gefahr sozialer Spaltungen und politischer Konflikte heraufbeschwört, weil teils objektiv die Existenz fremdbürtigen, kommerziell unvermittelten Reichtums für ein ökonomisches Ungleichgewicht in der Stadt sorgt, das zu Fraktionsbildungen und Machtkämpfen geradezu einlädt, teils subjektiv die Selbstherrlichkeit und geistige Freiheit der Aristokratie, die eine Frucht des wesenskultlichen Entmythologisierungsprozesses, der säkularisierenden Entgöttlichung der Welt ist, das qua Selbstsucht und Eigensinn passende Motiv für solche Fraktionsbildungen und Kämpfe um Macht und Ansehen liefert.
Will die Bürgerschaft der Gefahr einer durch den territorialen Reichtum, über den die Aristokratie ebenso freihändig zu verfügen Miene macht, wie sie ihn freigeistig mitbringt, dem städtischen Gemeinwesen drohenden Zerreißprobe wehren, so muss sie den territorialen Reichtum als diese dem Egoismus und der Überheblichkeit der Aristokratie zur freien Verfügung stehende Manövriermasse beziehungsweise Sprengladung neutralisieren beziehungsweise entschärfen. Wie aber soll sie das tun? Sie könnte der Aristokratie ihre kraft Wesenskult errungene Freiheit von der göttlichen Macht und den kultischen Observanzen bestreiten, die Partei der Götter ergreifen und darauf dringen, dass die Aristokratie unverändert die traditionellen sakralen Ansprüche anerkennt und die herkömmlichen kultischen Verpflichtungen erfüllt. Damit aber würde sie die Aristokratie quasi auf ihre Landgüter, ihre Territorien zurücktreiben, sie wieder in den ebenso agrarisch determinierten wie territorial fundierten rituellen Zyklus einbinden, aus dem sie doch gerade zugunsten einer handelsstädtischen Existenz ausgebrochen ist, und würde also in dem Maß, wie sie das Bündnis mit der Aristokratie in Gefahr brächte, die territoriale Basis und daran geknüpfte militärische Macht, die doch die Handelsstadt für ihr Überleben und ihre Selbstbehauptung braucht, in Frage stellen. Der Aristokratie ihre per Wesenskult errungene Freiheit von göttlicher Bevormundung und kultischer Observanz uneingeschränkt konzedieren aber darf sie ebenso wenig, weil sie ihr damit ja die gleichermaßen uneingeschränkte Verfügungsgewalt über den territorialen Reichtum zugestände und einer durch den frei verfügbaren Reichtum im Zweifelsfall angestachelten persönlichen Geltungssucht und privaten Machtgier Tür und Tor öffnete.
Die Lösung, die die Bürgerschaft für dieses Dilemma findet, besteht in einer eingeschränkten Konzession, einer vorbehaltlichen Anerkennung des von der Aristokratie reklamierten wesenskultlich-freiheitlichen Sonderstatus, ihres entmythologisiert-aretologischen Selbstseins. Während die Bürgerschaft sich selbst unverändert den Göttern unterworfen und ihren dogmatischen und kultischen Ansprüchen verpflichtet weiß, konzediert sie der Aristokratie die Möglichkeit einer wesensbedingten Dispensation von der traditionellen Religion, einer im Wesensbezug begründeten Entbindung vom Glauben an die Wahrheit der alten göttlichen Satzungen und die Verbindlichkeit der überkommenen rituellen Formen. Freilich räumt sie unmittelbar nur die Möglichkeit einer solchen, im Wesensbezug fundierten Emanzipation von der Religion und geistigen Freiheit ein und lässt diese Möglichkeit erst dann als Wirklichkeit, dieses Verum nur dann als Faktum gelten, wenn die Aristokratie auch ein der geistigen Freiheit entsprechendes praktisches Verhalten an den Tag legt und nämlich ihren Reichtum, statt ihn für die Geltungssucht der eigenen Person befriedigende Zwecke und in privativ-machtgieriger Absicht zu verwenden, vielmehr dem Gemeinwesen zur Verfügung stellt, gemeinwohldienlich einsetzt.
Dass die Bürgerschaft der Aristokratie eben dieses dem Gemeinwesen frommende Verhalten abverlangt, ist dabei durchaus nicht zufällig und hat seine eigene, erkennbare Logik. Schließlich geht ja, wie erwähnt, die wesenskultliche Emanzipation von einer Welt der die irdischen Dinge substantiierenden Götter und der das menschliche Dasein auf Erden sanktionierenden Opferkulte Hand in Hand mit der ontologischen Entwirklichung dieser Welt zur Erscheinungswelt und der modallogischen Entwertung des Daseins zum vergänglichen Schemen und flüchtigen Schattenspiel. Mit solch wesenskultlicher Einsicht in die Scheinhaftigkeit der Welt, die Substanzlosigkeit des Daseins, verträgt sich aber eine an eben diese Welt fixierte privative Geltungssucht, eine auf eben dies Dasein bauende persönliche Machtgier denkbar schlecht. Zu wesenskultlicher Freiheit und aretologischem Selbstsein passen vielmehr einzig und allein Indifferenz gegenüber der als bloße Erscheinung gewahrten Welt, Ungebundenheit an das als vergängliche Fuge erkannte Dasein. Wie aber könnte man solche objektive Indifferenz und materielle Ungebundenheit denen, die sie als faktischen Beweis für den die göttliche Welt entmythologisierenden und das eigene Selbst autonomisierenden Wesensbezug fordern, überzeugender demonstrieren und im Wortsinne bestechender vorführen als dadurch, dass man ihnen den materiellen Anteil an der Welt freigebig abtritt, sie an dem objektiven Zugriff aufs Dasein, den man sein eigen nennt, großzügig teilhaben lässt?
In dem Maße, wie die Aristokratie ihren nichtkommerziell-territorialen Reichtum nutzt, um der übrigen Bürgerschaft mit liturgischen Leistungen zu Diensten zu sein, ist die Begünstigte gern bereit, ihr die wesenskultliche Freiheit von göttlicher Herrschaft und die aretologische Sichselbstgleichheit zu attestieren, die sie braucht, um ihren Reichtum ohne Rücksicht auf göttliche Prärogative und kultische Verpflichtungen genießen, frei über ihn verfügen zu können. Dass die Aristokratie sich damit in den vitiosen Zirkel verstrickt, sich die freie Verfügung über ihren territorialen Reichtum nur um den Preis erkaufen zu können, dass sie sich eben dieser freien Verfügung im Vorhinein begibt beziehungsweise sich die Verfügung vorweg gemeinwohldienlich determinieren, liturgisch konditionieren lässt, kann als die Ironie der Geschichte gelten. Eine Ironie allerdings, die dadurch entschärft wird und der Aristokratie am Ende überhaupt verborgen bleibt, dass der ihr abgenötigte Verzichtsmodus und Sinn fürs Gemeinwohl in der Anerkennung der Bürgerschaft, ihrem den aristokratischen Wesensbezug bestätigenden Attest eine Art Kompensation für das, worauf verzichtet werden muss, so etwas wie eine versöhnliche Pointe bereithält und nämlich zwar die persönliche Geltungssucht und die privative Machtgier der Aristokratie ohne Frage frustriert, dafür aber immerhin ihr erlaubt, dem von der Befriedigung solcher Geltungssucht und Machtgier subjektiv kaum zu unterscheidenden Genuss gesellschaftlichen Ruhms und öffentlicher Ehre zu frönen.
So also macht mit Hilfe der von der Aristokratie wesenskultlich entkräfteten und demgegenüber von ihr selbst aber nach wie vor hochgehaltenen Götter die Bürgerschaft ein bestimmtes, gesellschaftspolitisch-praktisches Verhalten der Aristokratie zur conditio sine qua non der Anerkennung des von ihr beanspruchten wesenkultlichen Sonderstatus und aretologischen Selbstseins. Verhält sich die Aristokratie liturgisch korrekt, wie von der Bürgerschaft gefordert, ist letztere bereit, ersterer ihren Wesensbezug und ihre darin beschlossene Freiheit von göttlicher Bevormundung und kultischen Verpflichtungen zu konzedieren. Weigert sich die Aristokratie, sich gemeinwohldienlich zu verhalten und dies durch die liturgische Verwendung ihres territorialen Reichtums deutlich zu machen, so bestreitet die Bürgerschaft ihr den Wesensbezug, erkennt sie als den Göttern ebenso untertan und verpflichtet wie sich, die übrige Bürgerschaft, und erklärt deshalb den geltungssüchtigen beziehungsweise machtgierigen Gebrauch, den die liturgisch ungebundene Aristokratie von ihrem Reichtum macht, für sakrilegisch, dem Anspruch und Willen der Götter widerstreitend.
Basis dieser bürgerschaftlichen Intervention und gemeinwohldienlichen Einflussnahme auf die Aristokratie ist also das auf Seiten der Bürgerschaft unveränderte Festhalten an der religiösen Tradition, das ungebrochene Insistieren auf der überkommenen Sanktionsmacht und Kultfunktion der Götter. Indes, gar so unverändert und ungebrochen ist bei näherer Betrachtung das Verhältnis zur göttlich-kultischen Sphäre doch wohl nicht! Schließlich ist die Bürgerschaft ja bereit, der sich liturgisch korrekt verhaltenden Aristokratie eine als wesenskultlicher Sonderstatus oder aretologisches Selbstsein artikulierte entmythologisierende Stellung gegenüber den Göttern und säkulare Freiheit von deren sakralen Ansprüchen einzuräumen und der Aristokratie diese ihre Emanzipation von den Göttern, diese ihr konzedierte gottlose Selbstherrlichkeit nur dann zu bestreiten und abzusprechen, wenn sie es an dem von ihr geforderten sozialen Wohlverhalten fehlen lässt. So sehr also die Bürgerschaft persönlich am Götterglauben festhalten, so sehr sie subjektiv den dogmatischen Ansprüchen und kultischen Verpflichtungen der polytheistischen Religion verhaftet bleiben mag, gesellschaftlich gesehen vollzieht auch sie eine der wesenskultlichen Entmythologisierung des aristokratischen Bewusstseins wenn schon nicht ebenbürtige, so jedenfalls doch korrespondierende Abdankung der Götterkulte als ebenso fraglos positiver wie unmittelbarer Existenziale oder Rahmenbedingungen ihres irdischen Daseins, ihrer Befindlichkeit in der Welt.
Wenn die Götter der Bürgerschaft dazu dienen müssen, über Sein oder Nichtsein des von der Aristokratie reklamierten Wesensbezugs und darin beschlossenen gottlos-selbstmächtigen Status zu entscheiden, büßen sie objektiv auch für die Bürgerschaft selbst ihre ihnen in der religiösen Tradition zukommende selbstverständliche Substanzialität und naturgegebene Wirklichkeit ein und finden sich in dem Sinne problematisiert, dass sie nicht mehr als unmittelbarer Selbstzweck, als eine übergesellschaftliche Macht sui generis firmieren, sondern als Mittel gesellschaftsinterner Zwecke, als eine Funktion im Dienste der Lösung sozialer Konflikte figurieren, als eine Realität, die von der Bürgerschaft nur dann als substanziell affirmiert, als wirklich geltend gemacht wird, wenn ihre ansonsten gelten gelassene Vernachlässigung oder gar Leugnung durch die Aristokratie zu praktischen Konsequenzen im Verhalten der letzteren führen, die dem Gemeinwesen schädlich oder verderblich zu werden drohen.
Sub specie dieser bürgerschaftlichen Funktionalisierung der Götter stellt sich nun aber auch das als Adressat der liturgischen Zuwendungen kreierte hypostatische Gebilde Polis in einem anderen Lichte dar. Seine Schaffung wurde oben damit begründet, dass der gemeinwohldienliche Gebrauch des territorialen Reichtums, den die Bürgerschaft der Aristokratie bei Strafe des andernfalls gegen sie zu erhebenden Vorwurfs eines sakrilegischen Beginnens abtrotzt, sich seinerseits des Sakrilegs und nefariösen Vergehens verdächtig macht, wenn er unmittelbar der Bürgerschaft, den empirischen Individuen, aus denen sie besteht, zugute kommt, und dass, um diesem Verdacht zu entgehen, die Bürgerschaft als Empfänger des liturgisch eingesetzten territorialen Reichtums eine das empirische Menschsein übersteigende und zur idealisch-transzendentalen Totalität verdoppelnde Macht sui generis, eben das die Masse der empirischen Individuen gleichermaßen umfassende und in sich aufhebende und als Urbild den Menschen hypostatisch vorausgesetzte, statt als ihr Erscheinungsbild historisch mit ihnen gesetzte göttergleiche Gemeinwesen Polis ausgeben muss.
Nicht, dass diese Darstellung der Sache formell oder dem theoretisch-logischen Mechanismus nach falsch wäre! Reell gesehen und von der praktisch-psychologischen Veranstaltung her betrachtet, ist sie aber nicht die ganze Wahrheit! Funktionalisiert und in den Dienst profaner Interessen und sozialen Wohlverhaltens gestellt, wie sie bei genauerem Hinsehen auch da sich zu erkennen geben, wo sie auf den ersten Blick unverändert in Geltung und in alter Frische erhalten scheinen, ließen die Götter wohl mit sich reden und würden, wenn es die Bürgerschaft darauf anlegte, einer ohne Rekurs auf das hypostatische Wesen Polis praktizierten Liturgie, sprich, einer direkten Zuwendung des territorialen Reichtums an die empirischen Individuen beziehungsweise die sozialen Gruppen, in denen diese organisiert sind, nicht im Wege stehen. Wenn die Götter trotz ihrer relativen Entsubstanzialisierung und Funktionalisierung, trotz ihrer sozialstrategischen Entmächtigung und Modifizierung genutzt werden, um als Adressaten des territorialen Reichtums eine ihnen kongeniale Macht, eben die quasigöttliche Polis, als zwingendes Erfordernis erscheinen zu lassen und durchzusetzen, dann wohl deshalb, weil die Bürgerschaft weiß oder zumindest ahnt, dass eine allzu volkstümliche Liturgie, sprich, eine direkte Zuwendung des territorialen Reichtums an die empirischen Individuen und deren Gruppen eben das Gespenst ökonomischer Verteilungs- und politischer Machtkämpfe am Ende doch noch heraufzubeschwören geeignet ist, das die liturgische Veranstaltung gerade zu bannen dient.
Keine Frage, dass die unkontrollierte aristokratische Verwendung des territorialen Reichtums einer Selbstsucht und Machtgier, einem Geltungsbedürfnis und einer Selbstherrlichkeit Vorschub leisten würde, die geeignet wäre, das Gemeinwesen in Fraktionskämpfe und bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen zu verwickeln. Keine Frage aber auch, dass eine unsublimiert populistische Zuwendung des aristokratischen Reichtums an die einzelnen Bürger und bürgerschaftlichen Gruppen im Zweifelsfall zu dem gleichen Ergebnis führen würde, indem sie entweder die Bürgerschaft unmittelbar zum Streit um die Zuwendungen anstacheln oder der Aristokratie Gelegenheit geben müsste, mittels der Zuwendungen doch noch sozialen Einfluss zu gewinnen und politische Partisanen zu rekrutieren und so einer nicht zum Streben nach Ruhm geläuterten Selbstsucht zu frönen, eine nicht ins Ehrverlangen transformierte Machtgier zu befriedigen.
Als von der Bürgerschaft funktionalisierte und nämlich das Polis-Konzept profilierende Faktoren bleiben die Götter und ihre Kulte erhalten. Athene, Poseidon, Hermes, Dionysos werden zu Epiphanien, Aspekten der quasigöttlichen Polis, und ihre Kulte dienen dazu, die handelsstädtische Vergesellschaftungsform hochzuhalten und zu bekräftigen. Auf diese Weise werden sie zu Garanten einer liturgischen Integration des territorialen Reichtums der Aristokratie in den für die Handelsstadt maßgebenden kommerziellen Zusammenhang.
Die von der Aristokratie mittels wesenskultlichem Selbstsein entkräfteten und von der Bürgerschaft nicht ohne Problematisierung ihrer Wirklichkeit und Geltung demgegenüber hochgehaltenen Götter finden sich also im Interesse einer gefahrlosen Integration des von Haus aus ihnen zustehenden territorialen Reichtums in den kommerziellen Austauschzusammenhang der Stadt gleich doppelt funktionalisiert: Zum einen erfüllen sie die Aufgabe, ex negativo ihres andernfalls reaffirmierten Anspruchs auf den territorialen Reichtum der Aristokratie ein dem wesenskultlichen Selbstsein, das sie von jenem Anspruch entbindet, entsprechendes gemeinwohldienliches, sprich, liturgisches Verhalten abzunötigen, und zum zweiten sorgen sie ex positivo der sie allein zu substituieren tauglichen hypostatischen Macht Polis dafür, dass es das Gemeinwesen als solches, das handelsstädtische Ganze ist, dem der territoriale Reichtum zugute kommt und dass nicht das liturgische Wohlverhalten der Aristokratie unmittelbar in sein Gegenteil umschlägt und sich als eine in Gestalt populistischer Wohltaten den Bürgersinn korrumpierende und die bürgerschaftliche Einheit zersetzende, einzige große Sabotageaktion erweist.
Was Wunder dann, dass die Götter auch für die sie substituierende Polis Bedeutung und in ihr Präsenz behalten? Was Wunder, dass diese Substituierung der Götter durch die Polis in der Rolle des Adressaten territorialen Reichtums sich nicht etwa als ersatzlose Streichung der letzteren durch die erstere, als radikaler Verdrängungsakt vollzieht, sondern vielmehr als eine absorptive Assimilation, als referenzieller Aufhebungsprozess vor sich geht? Weil sie bei der Überführung des territorialen Reichtums aus aristokratischer Hand ins Eigentum der Polis, bei der Integration des territorialen Reichtums in den von kommerziellem Reichtum geprägten Zusammenhang des Gemeinwesens, eine wichtige, zweifache Rolle spielen und teils dafür sorgen, dass die Aristokratie sich vom territorialen Reichtum nicht zu hybrider Selbstherrlichkeit anstiften, sondern vielmehr zu gemeinwohldienlichem Verhalten motivieren lässt, teils sicherstellen, dass dies gemeinwohldienliche Verhalten in ordnungsgemäßen Bahnen verläuft und an die geeignete Adresse gerichtet ist, können die Götter nicht einfach verschwinden, sondern müssen erhalten bleiben und in das sie zu substituieren bestimmte Polis-Konzept vielmehr aufgenommen und eingearbeitet werden.
Als für das Polis-Konzept, das sie substituiert, und für dessen Wirksamkeit Anlass und Maß gebende Faktoren müssen sie im Rahmen der Polis präsent und sichtbar bleiben. Nichts anderes meint die obige Rede von einer Hand in Hand mit der Substitution der Göttermacht gehenden Profilierung des Polis-Konzepts. Indem die Polis als quasigöttliche Macht und deshalb sanktionierte Adressatin des territorialen Reichtums an die Stelle der Götter tritt, prägen diese zugleich doch Aussehen und Charakter dessen, was an ihre Stelle tritt, treten sie als ihrer Ersatzbildung eingeschriebene Charaktere, als quasi deren Gesichtszüge in Erscheinung. Die von der Bürgerschaft als hypostatisch-quasigöttliche Macht hochgehaltene Polis nimmt selber göttliche Gestalt an, nimmt, genauer gesagt, die Gestalten der Götter an, gegen die sie hochgehalten wird und die aber, weil sie zugleich für dies Hochhalten der Polis unabdingbar, eine ebenso maßgebende wie richtungweisende Bedingung sind, als Erscheinungen, Epiphanien, Aspekte der Polis zusammen mit ihr hochgehalten werden.
So kehrt Athene, eine alte, auch auf attischem Territorium verehrte Muttergottheit, als das namengebende Erscheinungsbild der athenischen Polis wieder – als eine von allen mütterlich-territorialherrschaftlichen Konnotationen gründlich gereinigte jungfräuliche Stadtgottheit, entsprungen dem Haupt und Verstand des Zeus, dem Sitz der Metis, der messenden, wägenden, ratenden Klugheit, des für die Handelsstadt und ihr Kalkül maßgebenden Verstandes, und zugleich Schutzherrin der für das Bestehen und Gedeihen der Handelsstadt grundlegenden Tätigkeiten und Produkte, der Handwerke, Künste und Wissenschaften, der Öl- und Weinerzeugung. Dass die als Gottheit der Polis wiederkehrende Athene zugleich Kriegerin und als solche Wahrerin des Friedens ist, trägt der amphibolischen Natur der antiken Handelsstadt Rechnung, der Tatsache, dass sich in ihr kommerzielles Kalkül mit territorialer Kampfkraft, kaufmännisch-handwerklicher Unternehmungsgeist mit aristokratisch-bäuerlicher Wehrhaftigkeit liiert zeigt.
So wird aus dem stürmischen, Wasserwüsten erschütternden, Schiffe zertrümmernden Poseidon ein im Wortsinn tragendes Element der Polis, der Beherrscher und Hüter des Meeres, das sich als der Entfaltungsraum par excellence der Polis erweist, die Gestalt und das Sinnbild des Mediums, in dem und mittels dessen die Polis ihren Handel pflegt und auf das sie, wie der Weihakt des Kimon, der im Poseidontempel das Halfter seines Pferdes aufhängt, sinnreich dartut, ihre neue, kraft Handelstätigkeit sich von der territorialen Herrschaft emanzipierende Macht gründet.
So verwandelt sich der territoriale Feldsteingott Hermes, der phallisch-starre Grenzzieher und Reviermarkierer, in den Inbegriff der Flexibilität und Mobilität, den Gott der Kaufleute und Diebe, der nicht mit Gewalt, sondern mit List oder Kalkül operierenden Appropriateure, in den Schutzpatron jenes für die Polis maßgebenden Menschenschlags, der dadurch, dass er herumkommt, Grenzen überschreitet und mit anderen Austausch pflegt, dass er als Akteur stricto sensu, als Handelnder oder Händler in und mit seiner Umwelt transagiert, sein Glück beziehungsweise Gewinn macht.
So verkehrt sich schließlich Dionysos, der Gott eines phantasmagorischen Naturreichtums, der die sozialkritische Funktion erfüllt, gegen die mit Hilfe des Götterpantheons praktizierte territorialherrschaftliche Unterdrückung und Ausbeutung einen orgiastischen Befreiungs- und Entfesselungskult zu zelebrieren, in einen Partisan der Polis, der, indem er die Erinnerung an die nicht zuletzt durch sein eigenes Wirken bezeugten Widersprüche, Gräueltaten und Agonien der alten opferkultlich territorialherrschaftlichen Ordnung wachhält, zum Propagandisten der durch die Polis und ihre Verfassung erreichten Dispensation und Emanzipation von eben jener Streit und Chaos ebenso zuverlässig generierenden wie zu bannen behauptenden alten Ordnung avanciert.
Die wegen ihrer konstitutiven Funktion bei der Inkraftsetzung des Polis-Konzepts erforderliche Integration der Götter in den Poliszusammenhang und Einarbeitung ins Profil der Polis zieht aber nun auch nolens volens jene andere Prozedur nach sich, auf die die obige Rede von einer Hand in Hand mit ihrer Profilierung gehenden Inszenierung der Polis verweist. Diese Prozedur ergibt sich zwingend aus der bei Gelegenheit unserer Überlegungen zur Entstehung der Götterkulte explizierten Tatsache, dass die unter Bedingungen territorialherrschaftlicher Reichtumsproduktion als Schöpfer und Erhalter der Welt firmierenden göttlichen Mächte ja in der Konsequenz des Bemühens, ihren privilegierten Anspruch auf die Welt hinlänglich zu konzentrieren, ihre prärogative Verfügung über die Aktivitäten und Realitäten des menschlichen Daseins hinlänglich zu beschränken, um den Menschen selbst Entfaltungsraum in der Welt und Verfügungsgewalt über ihr eigenes Dasein und seine objektiven Existenzbedingungen zu erhalten – dass also in der Konsequenz dieser in der Aufspaltung der Welt in Sakrales und Profanes resultierenden Bemühungen die göttlichen Mächte einen Teil der Welt, eben das Sakrale, als ihre hauseigene Sphäre, ihre Domäne überlassen bekommen, dass sie mit anderen Worten Kultstätten okkupieren, Kultgegenstände besitzen, Opferhandlungen fordern, dass Feste und Prozessionen für sie veranstaltet werden, dass Rituale und verbale Aktivitäten stattfinden, die gleichermaßen von ihnen herrühren und an sie adressiert sind.
Diese zur Sphäre des Sakralen ausgebreitete und Orte, Objekte, Handlungen und Haltungen umfassende Empirie von göttlichen Gnaden und zum Ruhme der Götter ist natürlich mitbetroffen, wenn nun die Götter wegen ihrer für die Entstehung und Erhaltung des Polis-Konzepts konstitutiven Rolle diesem Konzept einverleibt und als Erscheinungsbilder oder Figuren, als Charaktere oder Profile der Polis neu interpretiert werden. So gewiss die Götter in jenen Kultstätten, Kultobjekten und Kulthandlungen ihre topische Präsenz haben und ihre faktische Evidenz gewinnen, so gewiss muss auch diese, den Göttern Präsenz und Wirklichkeit verleihende sakrale Sphäre den neuen politischen Göttergestalten angepasst und also in einem der Verwandlung der Götter in Epiphanien der Polis entsprechenden Sinne umgemodelt werden.
Die Polis ist eben kein bloßes Konzept, kein bloßes Gedankending, sondern die wie immer auch hypostatische Darstellung, die wie immer auch idealische Repräsentation der wirklichen Handelsstadt und ihrer Gesellschaft, und so gewiss diese Wirklichkeit der Handelsstadt, dieses Dasein der Gesellschaft die sakrale Sphäre, die in Kultstätten, Kultobjekten und Kulthandlungen bestehende irdische Domäne einschließt, so gewiss ist es nicht damit getan, die Götter sich zu physiognomischen Bestimmungen oder Charakterzügen der Polis, wie man will, konkretisieren oder verflüchtigen zu lassen, sondern muss nun auch jene den Göttern eigene Wirklichkeit, die sakrale Sphäre, ins Ausdrucksmedium der zu Polismomenten verflüchtigten oder konkretisierten Götter verwandelt werden.
Das ist der Grund, warum uno actu der mit dem Aufstieg der Polis einhergehenden Entmächtigung der alten Religion und Entwurzelung und Vernachlässigung der territorialen Götter und ihrer lokalen Kulte eben diese Götter mitsamt Kult im Rahmen der Polis eine Renaissance erleben, warum im Rahmen der Polis für die Götter umgekehrt proportional zu ihrer im menschlichen Alltagsleben abnehmenden Bedeutung und im gesellschaftlichen Reproduktionszyklus schwindenden Präsenz neue, prunkvolle Tempel errichtet, Paraphernalien jeder Art, kostbare Kultgeräte und kunstvolle Bildwerke, gefertigt und aufwendige Feste, Prozessionen, Spiele und Aufzüge veranstaltet werden. So sehr diese neuen religiösen Bauten, Objekte, Rituale und Handlungen an die traditionelle opferkultliche Religion anknüpfen und sie pro forma fortführen – pro materia ihrer gesellschaftlichen Funktion und politischen Zwecksetzung sind sie neu in dem grundlegenden Sinne, dass sie nicht mehr den alten lokalen Gottheiten, den als Apotropäon gegen die Indifferenz und Negativität des anderen Subjekts firmierenden selbsttragenden Kultmächten, geweiht sind, sondern den die Hypostase jener handelsstädtischen Vergesellschaftungsform, die vom Fluch des anderen Subjekts und seiner Negativität befreit, gleichermaßen profilierenden und inszenierenden freischwebenden Göttergestalten, den zum Charakter der Polis gleichermaßen verflüchtigten und konkretisierten Repräsentationsfiguren gelten, zu denen die alten Kultmächte aufgehoben erscheinen.
Prototypisch hierfür sind neben dem regelrechten Staatskult, der um die Namensgeberin der Stadt und sinnbildliche Verkörperung ihrer Qualitäten, Leistungen und Produkte getrieben wird, vor allem die dem Ein- heits- und Friedensstifter Zeus geweihten sportlichen Wettkämpfe, die, hervorgegangen aus alten Totenspielen, nun aber nicht mehr durch heroische Stellvertreter der Vorfahren deren prägende Macht und Vorbildlichkeit beschwören, sondern die Kraft und Tüchtigkeit unter Beweis stellen, die die lebendigen Gemeinwesen ihren Repräsentanten verleihen, und die aus den Mysterienspielen des Dionysoskults hervorgegangenen Schauspiele, die nun nicht mehr wie jene dem Zweck dienen, dem sozialkritischen Affekt und Widerstand der bäuerlichen Unterschicht gegen die theokratisch sanktionierte, territorialherrschaftlich-fronwirtschaftliche Unterdrückung und Ausbeutung ein naturkultliches Ventil zu schaffen, sondern deren Aufgabe es nurmehr ist, die durch diese Art von dramatischer Ventilfunktion bezeugten tödlichen Widersprüche und zerstörerischen Konflikte der theokratisch-territorialherrschaftlichen Ordnung in Erinnerung zu rufen, um das handelsstädtische Gemeinwesen, die Polis, als die Retterin und Befreierin zu feiern, der es gelungen ist, die Widersprüche zu überwinden und die Konflikte ad acta zu legen.
In allen Fällen scheinen die Kultstätten, Kultobjekte und Kulthandlungen dahingehend revidiert und neu gestaltet, dass sie Gottheiten zu inszenieren und zu zelebrieren dienen, die, weit entfernt davon, auf eigene Rechnung beziehungsweise incognito dessen, den sie einst zu ersetzen und umzufunktionieren dienten, sakrifizielle Zuwendungen und rituelle Obödienz zu verlangen, Aufmerksamkeit und Devotion einzig und allein noch als Erscheinungsbilder oder Repräsentationsfiguren des handelsstädtischen Gemeinwesens Polis erhalten, dem als einem seiner kultischen Fremdbestimmung ledigen, politisch selbstmächtigen Gebilde sie den Platz räumen müssen und das sie doch zugleich braucht und in Dienst nehmen muss, um gegen alle in den eigenen Mauern entstehenden ökonomischen Schieflagen und politischen Verwerfungen diesen seinen Platz behaupten und sich selbst aufrechterhalten zu können.
Versuchen wir, zu rekapitulieren und auf den Punkt zu bringen, was wir herausgefunden haben und wo wir angelangt sind. Im Prinzip lässt die Handelsstadt mit ihrer neuen, kommerziellen Form von Reichtum die Götter und alle mittels ihrer praktizierte religiöse Sanktionierung und kultische Substantiierung des menschlichen Daseins in specie und der irdischen Welt in genere in dem Maße überflüssig werden, wie der neue, kommerzielle Reichtum nicht länger jenes unendlich indifferente, absolut negative andere Subjekt heraufbeschwört, dessen menschliches Dasein und irdische Welt betreffende Entwirklichungs- und Entwertungsdrohung die religiöse Sphäre als eine, wie man will, neurotische Reaktionsbildung oder systematische Umfunktionierungsveranstaltung zu bannen dient.
Das Problem der Handelsstadt besteht aber darin, dass sie, ihrem Namen zum Trotz, kein rein auf kommerziellen Reichtum gegründetes Gebilde, sondern ein amphibolisches Konstrukt ist und ihre Lebensfähigkeit und Haltbarkeit der Tatsache verdankt, dass die Handelsfunktion und die in ihr Marktsystem mehr oder minder integrierten Gruppen von Handwerkern und Kaufleuten die Unterstützung aristokratisch-bäuerlicher Schichten finden, für die der kommerzielle Zusammenhang durch den Lebensstandard, den er bietet, und die Freiheiten, die er eröffnet, attraktiv genug ist, um sie ihrem angestammten Milieu, der territorialherrschaftlichen Sphäre, zu entfremden und mitsamt ihrem territorialen Besitz zur Handelsstadt überlaufen, sich ihr als Bürger anschließen zu lassen, womit denn die letztere allererst die nötige territoriale Basis und personale Stärke gewinnt, um sich im Kreise ihrer territorialherrschaftlichen Nachbarn behaupten und ihren kommerziellen Aktivitäten lange genug nachgehen zu können, um sich als ebenso nützlicher wie wehrhafter Stadtstaat den durch Furcht diktierten Respekt nicht weniger als die bedürfnisinduzierte Gewogenheit dieser Nachbarn zu sichern.
Diese für den Bestand des handelsstädtischen Gemeinwesens grundlegende Gruppe bringt, zumindest in ihren aristokratischen Großgrundbesitzerteilen, territorialen nichtkommerziellen Reichtum in hinlänglicher Quantität in die Stadt, um die ökonomische Kräfteverteilung und von daher das politische Machtgleichgewicht zu stören. Als ein ihr aus nichtkommerziellen Quellen zufließendes Privateigentum kann die Aristokratie ihren in die Stadt mitgebrachten Reichtum nutzen, um durch Klientel- beziehungsweise Fraktionsbildung sozialen Ehrgeiz und politische Machtgelüste zu befriedigen.
Allerdings ist für die Aristokratie dieser territoriale Reichtum, den sie in die Stadt mitbringt, nicht wie der kommerzielle Reichtum von Haus aus frei verfügbar. Um über ihn verfügen zu können, muss die Aristokratie ihren Reichtum auf künstlich-reflexive Weise einem vergleichbaren Entmythologisierungs- und Entsakralisierungsprozess unterwerfen, wie dies auf natürlich-transaktivem Weg die kommerzielle Funktion tut, indem sie aus Überfluss Überschuss, aus einem Vorschein der Fülle die Verheißung von Erfüllung werden lässt. Solchem Emanzipationszweck dient der Wesenskult, der, indem er die irdische Welt als scheinhaft und vergänglich entlarvt und zugleich dem aristokratischen Individuum die Möglichkeit eröffnet, auf ein als Kern der eigenen Person, als das unvergängliche Selbst begriffenes zeitloses Sein, eben das Wesen, zu rekurrieren, der Aristokratie erlaubt, sich den dogmatischen Ansprüchen und kultischen Verpflichtungen der in der irdischen Welt ihre objektive Grundlage, die Substanz ihres Daseins behauptenden Götter zu entziehen. Diese durchaus erfolgreiche Entmythologisierungs- und Entsakralisierungsstrategie, durch die sich die Aristokratie die freie, von göttlicher Bevormundung und religiösen Beschränkungen entbundene Verfügung über ihren territorialen Reichtum sichert, wird nun aber den nichtaristokratischen Gruppen der Bürgerschaft zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Bemühungen, die aristokratisch freie Verfügung über den territorialen Reichtum in Zaum zu halten beziehungsweise in die rechten Bahnen zu lenken und vor der oben beschriebenen Gefahr durch sie heraufbeschworener konfliktträchtiger Klientelbildungen und sprengkräftiger Machtkämpfe zu bewahren. Indem die Bürgerschaft der Aristokratie zwar die Möglichkeit solcher wesenskultlichen Freiheit von göttlicher Bevormundung und opferkultlichen Bindungen konzediert, deren Wirklichkeit aber konditioniert, will heißen, sie als wirklich gegeben nur anerkennt, wenn die Aristokratie ein entsprechendes praktisches Verhalten an den Tag legt, sprich, zu einer liturgischen, gemeinwohldienlichen Verwendung ihres territorialen Reichtums gewillt und bereit ist, gelingt es ihr, die Aristokratie an die Kandare zu nehmen und ihr die Einheit des Gemeinwesens bedrohendes Geltungsbedürfnis in ein dieser Einheit sich verschreibendes Streben nach Ehre, ihre den Frieden der Stadt bedrohende Machtgier in eine diesem Frieden sich weihende Ruhmsucht umzufunktionieren.
Bei dieser verhaltenspraktischen Probe aufs Exempel wesenskultlicher Freiheit, der die Bürgerschaft die Aristokratie unterwirft, kommen nun aber nolens volens die Götter wieder ins Spiel und fällt ihnen nämlich ex negativo ihrer von der Bürgerschaft problematisch aufrechterhaltenen und kriteriell geltend gemachten Existenz die Rolle der über das Verhalten der Aristokratie quasi polizeilich wachenden und richterlich befindenden Macht zu. Verhält sich die Aristokratie korrekt und übt Liturgie, so verzichten die Götter auf ihre Ansprüche auf den liturgisch eingesetzten territorialen Reichtum und lassen der Aristokratie bei ihrer innerstädtischen, allem ländlich-territorialen Brauch und Ritus zuwiderlaufenden Verwendung des Reichtums freie Hand beziehungsweise sanktionieren diese sie als die traditionellen kultischen Mächte entmächtigende neuartige Verwendung sogar. Lässt es der Aristokrat aber an dem entsprechenden gemeinwohldienlichen Verhalten fehlen, so zeigt er damit, dass sein Anspruch auf wesenskultliche Emanzipation unfundiert und verwirkt ist, und prompt treten die Götter mit ihren traditionellen sakralen Titeln und rituellen Ansprüchen wieder in Erscheinung und Kraft: Aus Selbstmächtigkeit und Eigengesetzlichkeit, Autonomie und Edelmut wird unvermittelt Nefas und Hybris, Frevel und Übermut.
Und nicht nur dienen die Götter negativ dazu, eine krisen- und konfliktträchtig eigensüchtige Verwendung des nichtkommerziell-territorialen Reichtums durch die Aristokratie und privative Verfügung über ihn zu verhindern, sie sorgen durch ihre Intervention mehr noch positiv dafür, dass der gemeinwohldienliche Einsatz des Reichtums sich nicht selber dadurch Lügen straft beziehungsweise in sein Gegenteil, in ein Danaergeschenk, verwandelt, dass er dem Gemeinwesen in seiner empirischen Unmittelbarkeit, in der Partikularität seiner Individuen und Gruppen, statt ihm als solchem und ganzem, ihm als die Partikularitäten in sich aufhebender systematischer Totalität zugewendet wird und zugute kommt. Sie, die als übermenschliche Subjekte, höhere Mächte, wie man will, festgehaltenen oder wieder ins Spiel gebrachten Götter nämlich sind es, die jede Zuwendung des ihnen von Haus aus zustehenden, territorialen Reichtums an individuelle Bürger oder Gruppen von Bürgern nicht weniger mit dem Vorwurf des Sakrilegs und Frevels zu konfrontieren erlauben als den eigensüchtig-privativen Gebrauch jenes Reichtums durch die Aristokratie selbst und die damit aber das oben explizierte Konstrukt der Polis erzwingen, die mit anderen Worten die Bedingung dafür darstellen, dass als Adressat der gemeinwohldienlichen Verwendung nur eine ihnen ebenbürtige Macht, das Gemeinwesen als eine quasigöttlich-übermenschliche Instanz, ein empirische Individuen und soziale Gruppen ebenso abstraktiv transzendierendes wie hypostatisch repräsentierendes Gebilde in Frage kommt.
So also dienen die Götter, die das andere Subjekt ebenso bannenden wie beschwörenden oder ebenso verdrängenden wie vertretenden übermenschlichen Subjekte der tradierten opferkultlichen Religion, dazu, die im nichtkommerziell-territorialen Reichtum, den die Aristokratie, die der territorialherrschaftlichen Sphäre entstammende Landbesitzerschicht, in die Handelsstadt mitbringt, beschlossene Krisenträchtigkeit und Konfliktgefahr zu beseitigen beziehungsweise zu bewältigen. Indem die Bürgerschaft gegen die zwecks freier Verfügung über ihren territorialen Reichtum sich wesenskultlich von den Göttern, den opferkultlichen Reichtumseignern, emanzipierende Aristokratie die letzteren wieder ins Spiel beziehungsweise weiter zur Geltung bringt, sorgen sie dafür beziehungsweise wachen sie darüber, dass nicht nur negativ die Aristokratie davor bewahrt bleibt, den Reichtum eigensüchtig und privativ zu verwenden, ihn zum Schaden des städtischen Gemeinwesens zu missbrauchen, sondern dass mehr noch positiv der Reichtum in die richtigen Kanäle geleitet und in dem wohlverstandenen Sinne liturgisiert wird, dass er dem Gemeinwesen als solchem und als ganzem zum Wohle gereicht.
In der Tat eine bemerkenswerte Umfunktionierung der Götter! Sie, die von Haus aus Herren und Eigner des territorialen Reichtums sind, opferkultlichen Anspruch auf ihn erheben, müssen nun in eigener Person und mit ihren eigenen Kulten dafür sorgen, dass dieser von ihrem Majordomus, dem aristokratischen Grundbesitzer, ihnen entrissene und in den handelsstädtischen Kontext überführte territoriale Reichtum eben und ausgerechnet jenem handelsstädtischen Kontext zugewendet und zur Stütze wird, der doch durch den Paradigmenwechsel, den er mit sich bringt, durch den kommerziellen Reichtum, den er an die Stelle des territorialen treten lässt, den letzteren seiner Maßgeblichkeit und Verbindlichkeit beraubt und damit sie, die Götter, in ihrer im territorialen Reichtum gründenden Evidenz und Macht generell in Frage stellt und partiell entkräftet.
Um zu verhindern, dass die Aristokratie diese kommerzielle Entmachtung der Götter und ihrer Kulte im Sinne einer wesenskultlich vollständigen Entwirklichung und Entwertung der göttlichen Sphäre nutzt, um dann mit der säkularisierten göttlichen Habe, dem ihrer freien Verfügung anheim fallenden territorialen Reichtum, Schindluder zu treiben und ihn nämlich im Rahmen der Handelsstadt für die Zwecke profaner Eigensucht und sozialer Machtgier zu verwenden, bringt die Bürgerschaft gegen diese von Seiten der Aristokratie drohende Gefahr die Götter wieder ins Spiel und funktioniert sie um in Förderer und Garanten der Handelsstadt, die als Gemeinwesen par excellence, als die hypostatische Verkörperung der in ihr zusammenlebenden einzelnen Bürger und gesellschaftlichen Gruppen, kurz, als Polis einen von ihnen, den Göttern, sanktionierten Anspruch auf den ihnen, den Göttern, von der Aristokratie entzogenen territorialen Reichtum erhebt oder, anders gesagt, mit ihrer, der Götter, Billigung den territorialen Reichtum für sich reklamiert und als quasi Erbin oder Verweserin der in ihrer Gestalt ebenso sehr aufgehobenen wie reproduzierten Götter mit Beschlag belegt.
Indem die Bürgerschaft die von der Aristokratie wesenskultlich entkräfteten Götter weiter in Kraft behauptet und als gleichermaßen kriterielle Instanzen und Sanktionsmächte dazu nutzt, die Aristokratie zu gemeinwohldienlichem, liturgischem Verhalten zu bewegen, verwandeln sich die Götter paradoxerweise in Repräsentanten und funktionelle Figuren eben des handelsstädtischen Unternehmens, das ihnen kraft seiner neuen, kommerziellen Form von Reichtum in die Parade fährt und ihnen ihre auf dem alten, territorialen Reichtum basierende Selbstherrlichkeit und Verfügungsgewalt verschlägt. Ausgerechnet diese Basis ihrer bisherigen Herrschaft, den von ihrem abtrünnigen Majordomus, dem aristokratischen Grundherrn, in die Handelsstadt entführten territorialen Reichtum, müssen sie als prüfende und gegebenenfalls strafende Mächte mithelfen, der letzteren zuzuwenden und zur Stütze werden zu lassen und finden sich dafür ironischerweise mit nichts weiter als mit einer quasi postumen Existenz als Charaktere und Masken, Profile und Repräsentationsfiguren der sie als Polis im Doppelsinne aufhebenden und nämlich gleichermaßen verdrängenden und bewahrenden Handelsstadt belohnt.
Dabei erschöpft sich, wie gesagt, diese von der nichtaristokratischen Bürgerschaft gegen die Aristokratie durchgesetzte Aufhebung der Götter, ihre Umfunktionierung in figurale Zeugen und funktionale Garanten eben des handelsstädtischen Gemeinwesens, das sie als territorial fundierte Subjekte, als lokale Ursprungsmächte entwurzelt und entkräftet, keineswegs in einer bloßen Revision ihrer selbst, einer Uminterpretation ihres Profils, sondern erfordert, um Evidenz und Überzeugungskraft zu erlangen, ebenso wohl eine Neuinszenierung der ganzen, von ihnen okkupierten irdischen Sphäre, sprich, eine Umrüstung der ihnen geweihten und gleichermaßen ihre Präsenz und ihre Wirkmächtigkeit bezeugenden Orte, Kulte und Rituale. Sie erfordert mit anderen Worten den oben erwähnten Umbau ihrer Tempel zu Repräsentationsbauten, die in dem Maße, wie sie ihnen als den neuen Stadtgottheiten Tribut zollen, von der Macht und dem Vermögen der Stadt selbst Zeugnis ablegen. Sie erfordert eine Umgestaltung der alten Toten- und Opferkulte in Wettstreite und Kampfspiele, die als zu Ehren der neuen Stadtgötter veranstaltete immer zugleich von der Kraft und Tüchtigkeit der Stadt selbst und ihrer Bürger künden. Sie erfordert eine Verwandlung der gegen die theokratischen Opferkulte aufgebotenen dionysischen Naturmysterienkulte in Inszenierungen, die von der Unentrinnbarkeit der theokratischen Ordnung und aller an ihr immanent geübten Kritik und von der qua Polis gestaltgewordenen Notwendigkeit künden, aus jener Ordnung herauszuspringen und unter sie jenen Schlussstrich zu ziehen, den allein der kommerzielle Paradigmenwechsel, die handelsstädtische Substitution des territorialen durch kommerziellen Reichtum ermöglicht.
Die liturgische Integration des territorialen Reichtums ist der Zirkelhaftigkeit verdächtig. Die Umrüstung der kultischen Sphäre, die die Übereignung des Reichtums an die Polis sanktionieren soll, verschlingt einen Großteil eben dieses Reichtums. Die praktische Bedeutung der Trierarchie für die Polis liegt zwar auf der Hand, aber die unter dem Schlagwort Choregie zu fassenden kultischen Leistungen zehren den größten Teil des Reichtums auf. Der daraus zu ziehenden Einsicht, der zufolge die Verschwendung des territorialen Reichtums wegen der destabilisierenden Wirkung, die dieser auf die Handelsstadt hat, der eigentliche, negative Zweck der Veranstaltung ist, steht allerdings das Bewusstsein der Beteiligten entgegen, die jene der Verschwendung verdächtige Verwendung des Reichtums als höchst positives, der Polis unmittelbar dienliches Tun gewahren.
Dass die Umfunktionierung der Götter aus substanziellen Schutz- und Abwehrmächten gegen das in ihnen eskamotierte andere Subjekt in funktionelle Schutzpatrone und Garanten des durch sie repräsentierten handelsstädtischen Kollektivsubjekts eine regelrechte Umrüstung ihrer Präsenz auf Erden, eine Neugestaltung ihrer ganzen kultischen Sphäre erheischt, hat nun freilich eine eigentümliche Engführung, um nicht zu sagen Zirkelbildung im Umfunktionierungsprozess zur Folge. Solche Umrüstung verlangt, insofern sie den Bau und die Ausstattung neuer Tempelanlagen, die Ausrichtung von Festen und Veranstaltung von Prozessionen und Zeremonien, die Errichtung von Kampfstätten und Gymnasien, die Einrichtung von Bühnen und Einstudierung von dramatischen Aufführungen beinhaltet, die Mobilisierung gewaltiger materieller Ressourcen, den Einsatz umfänglicher sächlicher und finanzieller Mittel. Woher diese Mittel nehmen? Sie dem kommerziellen Kreislauf zu entziehen, das heißt, die Handeltreibenden und die handwerklichen und bäuerlichen Produzenten mit den Kosten der Umrüstungsveranstaltung zu belasten, kommt nicht in Frage, weil dies die Handeltreibenden um ihren Gewinn, sprich, um das treibende Motiv ihres Handelns, die Akkumulation zwecks Expansion, bringen und die Produzenten faktisch wieder zu Fronarbeitern in fremden Diensten degradieren würde und weil damit die kommerzielle Dynamik praktisch zum Erliegen käme, sprich, die Handelsstadt den Verstand ihres Daseins verlöre.
Bleibt als Ressource, als Finanzquelle nur der territoriale Reichtum, den die Aristokratie von ihren Landgütern in die Stadt überführt. Er, dessen liturgische Zuwendung an die Polis durch die Umfunktionierung der Götter und Umrüstung ihrer Kulte sichergestellt werden soll, wird ebenso wohl und primär ge- und verbraucht, um diese Umrüstung ins Werk zu setzen. Das Mittel, die Vereinnahmung der Götter als repräsentativer Erscheinungsbilder oder integrierender Charaktere der Polis, wird zum Zweck; der Zweck, die Übereignung des von Haus aus den Göttern als substanziellen Mächten zustehenden territorialen Reichtums an die Polis als legitime Erbin der in ihr zu funktionellen Figuren aufgehobenen Götter, erschöpft sich zum größten Teil in der Herstellung und Beischaffung des Mittels, das zu ihm dienen, ihn erfüllen soll.
Zum größten Teil, wohlgemerkt – vollständig nicht! Als im Vollsinne liturgische Leistung nämlich lässt sich die Trierarchie verstehen, die von der Aristokratie übernommene Aufgabe, aus ihrem privaten Vermögen Schiffe auszurüsten und der Polis zu Verteidigungszwecken zur Verfügung zu stellen. Hier ist in der Tat die Polis selbst, die Erhaltung und Sicherung des handelsstädtischen Gemeinwesens, dasjenige, wofür der territoriale Reichtum nicht nur mit passiver Billigung, sondern mehr noch auf aktives Betreiben seiner ursprünglichen Eigner, der in Garantiemächte der Polis umfunktionierten Götter, eingesetzt und verwendet wird. Alle anderen Leistungen hingegen, die mit wesentlicher Hilfe des territorialen Reichtums erbracht werden, der Bau und die Ausstattung der neuen Tempelanlagen, die Ausrichtung der Feste und Wettkämpfe, die Inszenierung der Bühnenspiele, die als Choregie apostrophierte Liturgie, die als pars pro toto für den ganzen Komplex religiös-kultureller Aufwendungen einsteht – sie alle dienen, recht besehen, bloß der Aufgabe, eben jene Kooperationsbereitschaft der Götter sinnenfällig werden, ihre Umfunktionierung in Garantiemächte der Polis in die Länge und Breite ihrer kultischen Präsenz und rituellen Verehrung zum Ausdruck kommen zu lassen.
Fürwahr ein aufwendiges und der Zirkelbildung verdächtiges, merkwürdiges Verfahren! Wenn die Umfunktionierung der Götter in Galionsfiguren der Polis und die Umrüstung ihrer Kulte in politische Manifeste des Gemeinwesens dem Zweck dient, den territorialen Reichtum, die sakrale Habe der Götter, der persönlichen Verfügung und privativen Verwendung der in die Stadt übergewechselten Majoresdomuum der Götter, der Aristokratie, zu entziehen und dem Gemeinwesen als solchem, als gruppenübergreifender, hypostatischer Totalität zuzuwenden, und wenn nun aber eben diese zweckdienliche Umfunktionierung und Umrüstung bereits einen Großteil des territorialen Reichtums verschlingt, um den es doch eigentlich zu tun ist, lohnt dann überhaupt noch der ganze Aufwand, und kommt die Prozedur nicht eher einem Schildbürgerstreich, einem Akt schierer Selbstvereitelung gleich? Was soll man von einem Verfahren halten, bei dem, positiv ausgedrückt, das, was in die rechten Kanäle geleitet werden soll, beim Graben der Kanäle selbst verloren geht, oder, negativ gefasst, das, was den falschen Händen entzogen werden soll, durch den Entzug als solchen verschleudert wird? Allem Anschein nach kein sehr sinnvolles oder zweckdienliches Verhalten – es sei denn, Sinn und Zweck der Veranstaltung ist der Verlust des territorialen Reichtums als solcher, seine Verschleuderung selbst.
So ironisch-rhetorisch diese Möglichkeit, wenn wir sie aussprechen, auf den ersten Blick erscheinen und so abwegig, um nicht zu sagen, widersinnig die an sie sich haltende Sinngebung oder Zwecksetzung anmuten mag, von vornherein abtun und ausschließen sollten wir sie nicht. Ehe wir unter dem Eindruck des in die Übertragung territorialen Reichtums von den Göttern auf die Polis gesetzten Zwecks der Veranstaltung ein Verfahren, das selber verschlingt und verbraucht, was es doch nur treuhänderisch transferierbar, nur durch Reduktion der Götter auf die Polis konvertierbar machen soll, für offensichtlich dysfunktional, um nicht zu sagen, absurd erklären und uns mit diesem negativen Befund bescheiden, sollten wir immerhin die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass wir es uns mit jenem angenommenen und durch die Praxis seiner Umsetzung offenkundig ad absurdum geführten Zweck eines liturgischen Transfers territorialen Reichtums zu leicht machen, wenn wir ihn als etwas sich von selbst Verstehendes, als fraglos Positives voraussetzen, und sollten prüfen, ob nicht die unter der Voraussetzung jenes Zwecks unbestreitbare Dysfunktionalität oder gar Absurdität jener Praxis ein anderes Ansehen gewinnt, wenn wir die letztere, statt als sich selbst widerlegendes Unding, vielmehr als Einwand oder gar Veto gegen das unhinterfragt Sinnvolle, das als selbstverständlich vorausgesetzte Zweckmäßige solchen Reichtumstransfers begreifen, ob nicht mit anderen Worten jene Praxis, wenn wir auf Basis ihres als Gegenindikation wohlverstandenen Widersinns, auf Grund ihrer symptomatischen Anzeige den als fragloses Positivum angenommenen Zweck in Frage stellen und problematisieren, sich umgekehrt nun als auf ihre Art sinnvoll erweist und eine ganz eigene Zweckmäßigkeit hervorkehrt.
Und tatsächlich, wenn wir so dialektisch das Negative nicht als sich unmittelbar selber annullierend, sondern als vielmehr das Positive kritisierend begreifen und uns die widersinnige Umsetzung des angenommenen Zwecks der Veranstaltung nicht sowohl zum Beweis des Widersinns der Umsetzung dienen lassen, sondern als Hinweis auf den Widersinn des Zwecks selbst ernst nehmen, wird uns rasch klar, wie berechtigt diese dialektisch veränderte Sichtweise ist. Uns wird klar, dass auch ein der Polis, dem Gemeinwesen als ganzem, zugewendeter und übereigneter, statt aristokratischen Individuen zu ihrem privaten Gebrauch und für ihre persönlichen Ambitionen überlassen bleibender nichtkommerziell-territorialer Reichtum keineswegs die selbstverständlich segensreiche Erwerbung und selbstredend gemeinwohldienliche Errungenschaft ist, als die wir sie voraussetzten. Uns wird klar, dass er, noch so vielen und ausgeklügelten Vorkehrungen, ihn in die rechten Kanäle zu leiten und in die rechten Hände gelangen zu lassen, zum Trotz, eine kritische Masse darstellt, die den auf kommerziellem Austausch basierenden Reproduktionsprozess des Gemeinwesens aus der Bahn zu werfen und ebenso sehr die politische Grundorientierung der Handelsstadt zu alterieren wie die daran geknüpfte Balance der gesellschaftlichen Gruppen zu kippen geeignet ist.
Wird er gemeinwohldienlich verwendet, um die Handelsstadt aufzurüsten und militärisch stark zu machen, so befördert solche Verwendung die Lust und Neigung der letzteren, sich mit Gewalt und durch kriegerische Exaktion zu verschaffen, was sie bislang gehalten und disponiert ist, durch das Do ut des kommerzieller Transaktionen zu erwerben. Das heißt, der der Polis zwecks Stärkung ihrer Wehrkraft zugewendete territoriale Reichtum führt sie in Versuchung, sich aus einer Handelsstadt in einen Raubritterstaat zu verwandeln. Besteht die gemeinwohldienliche Verwendung des territorialen Reichtums hingegen darin, ihn sei's in Gestalt materialer Güter, sei's in Form von allgemeinem Äquivalent an die Bürgerschaft zu verteilen, um deren Lebensstandard zu verbessern, so bringt das die Bürger teilweise oder gar zur Gänze um das Motiv, sich durch Beiträge zum Markt diesen Lebensstandard zu erarbeiten; das heißt, es schwächt ihre Arbeitsmoral und führt zu einem teilweisen oder gar vollständigen Versiegen der Quelle, aus der sich das Marktgeschehen speist und aus der die Handeltreibenden ihren sie zur Aufrechterhaltung und zum Ausbau des Marktes motivierenden Reichtum schöpfen. So oder so muss sich der der Polis zugewendete territoriale Reichtum störend auf die Lebensform und Funktionsweise der Handelsstadt auswirken und sie zu Umorientierungen und Interessenverlagerungen disponieren, die mit ihrer kommerziellen Konstitution, mit dem Verstand ihres neuartigen, marktwirtschaftlichen Daseins, unvereinbar sind.
So gesehen, stellt sich nun aber die vermeintliche Verschwendung oder zirkelschlüssige Konsumtion des Reichtums in einem entschieden günstigeren Licht dar und gewinnt eine unverhoffte Rationalität und Zweckmäßigkeit. Indem unter dem Vorwand, die dogmatischen Bedingungen und kultischen Voraussetzungen für den Transfer des territorialen Reichtums aus der sakral-religiösen Sphäre der Götter in den profan-politischen Raum der Polis schaffen zu müssen, die Bürgerschaft dafür sorgt, dass ein Großteil des territorialen Reichtums in die Schaffung der Bedingungen und Voraussetzungen selbst fließt, also für die Vorbereitung des Transfers als solchen aufgebraucht wird, verhindert sie in Wahrheit, dass der Reichtum im Raum der Polis den besagten nachteiligen Einfluss auf die Entwicklung der Polis, die erwähnten schädlichen Folgen für den Bestand der Polis zeitigen kann.
Weil der nichtkommerziell-territoriale Reichtum, auch wenn er der aristokratischen Willkür entzogen und im wohlverstanden liturgischen Sinne dem Gemeinwesen zugewendet wird, doch keineswegs unbedingt ein Segen für die Polis, sondern im Zweifelsfall ihr kaum weniger gefährlich ist als seine aristokratisch privative Verwendung oder seine Individuen oder einzelne Gruppen begünstigende Verteilung, gewinnt jene Technik, die unter dem Vorgeben, den Grund für seine Übereignung an das Gemeinwesen legen zu müssen, ihn in actu eben jener Grundlegung aufzehrt und zum Verschwinden bringt, das Ansehen eines ebenso sinnvollen wie gelungenen Coups. Eines Coups, der für umso gelungener gelten kann, als ja nicht der pauschal ganze territoriale Reichtum für diese in der Umfunktionierung seiner göttlichen Eigner und Umrüstung ihrer kultischen Sphäre bestehende, vermeintlich bloße Vorbereitung seiner Übertragung an die Polis verpulvert wird, sondern die Bürgerschaft durchaus Augenmaß beweist und, wie die liturgische Einrichtung der Trierarchie zeigt, den Teil des territorialen Reichtums, der tatsächlich dem handelsstädtischen Gemeinwesen von Nutzen sein kann, von solch religiös verbrämtem Potlatch ausnimmt.
Soweit mit anderen Worten der territoriale Reichtum eine Funktion im Rahmen der handelsstädtischen Strategie zu erfüllen vermag und dazu dienen kann, den Bau und die Ausrüstung von Trieren, Kriegsschiffen, zu finanzieren, die für den Schutz der offenen Flanke der Handelsstadt, ihrer Küsten, und für die Sicherung ihrer maritimen Handelswege, kurz für den politischen Bestand und das ökonomische Gedeihen der Polis nötig sind, wird er entsprechend eingesetzt und verwendet. Im Übrigen aber, wo er keine solche, klar definierte Funktion erfüllt, sondern höchstens dazu taugt, das Gemeinwesen zu militärischen Abenteuern beziehungsweise seine Bürger zu müßigem Wohlleben zu verführen, wird er in jenes die Religion politisierende beziehungsweise den sakralen Kult in zivile Kultur überführende Umfunktionierungs- und Umrüstungsprojekt gesteckt, das ihn verschlingt und aufbraucht, während es vorgibt, ihn bloß für das Gemeinwesen verfügbar zu machen, ihn nur der Polis in die Hände zu spielen.
Und dabei werden beide Arten, den territorialen Reichtum zu verwenden, die mit seiner Hilfe erbrachten militärisch-strategischen Rüstungs- und Verteidigungsleistungen, die unter die Rubrik Trierarchie fallen, und die mit seinen Mitteln bestrittenen kultisch-religiösen Umfunktionierungs- und Umrüstungsveranstaltungen, für die parte pro toto die Choregie einsteht, ungeachtet ihrer grundlegenden Verschiedenheit, ungeachtet mit anderen Worten der Tatsache, dass es sich im einen Fall um eine Verwendung des Reichtums handelt, die dem ersichtlich positiven Zweck dient, gleichermaßen die Unabhängigkeit des Gemeinwesens von der Außenwelt und seine Verbindungswege zu ihr zu sichern, während es im anderen Fall um eine Verschwendung des Reichtums geht, die nur den offensichtlich negativen Sinn hat, den Gefahren und Konflikten vorzubeugen, die der Reichtum für die Polis, wenn er ihr zur Gänze zur Verfügung steht, heraufbeschwört – dabei werden also beide grundverschiedenen Arten, mit dem territorialen Reichtum zu verfahren, von der Bürgerschaft unterschiedslos als liturgisch, als gemeinwohldienlich eingestuft.
Ohne im Mindesten zu erkennen zu geben, dass sie sich der fundamentalen Differenz bewusst ist, die die als Trierarchie firmierende polisdienliche Verwendung des territorialen Reichtums, die diese Bezeichnung verdient, von der als Choregie figurierenden Verschwendung des Reichtums trennt, die polisdienlich nur eben in dem negativen Sinne ist, dass sie den in Größenwahn oder Müßiggang bestehenden Schaden abwendet, den eine über die Trierarchie hinausgehende Zuwendung territorialen Reichtums an die Polis in ihr zu stiften geeignet ist – ohne das mindeste Anzeichen solchen Bewusstseins also tut die Bürgerschaft so, als sei die in der Errichtung neuer Kultstätten, der Veranstaltung religiöser Feste, der Abhaltung ritueller Wettkämpfe und der Inszenierung dramatischer Aufführungen bestehende Verschwendung des Reichtums eine ebenso unmittelbar liturgische Leistung wie jene Ausgaben für die Rüstung und Verteidigung, als diene sie einem ebenso positiven Zweck, sei sie von nicht geringerer unmittelbarer Nützlichkeit für den Bestand der Polis. Nützlich ist sie ja auch, aber nicht in dem geradlinig schlüssigen Verstand eines mittels Reichtum geleisteten Beitrags zum aktiven Aufbau und zur positiven Erhaltung der Polis, sondern nur im zirkelschlüssigen Sinn eines durch Tilgung und Beseitigung des Reichtums geleisteten Beitrags zur Abwendung des der Polis mit solchem Reichtum ins Haus stehenden Schadens beziehungsweise drohenden Verderbens.
Ist denn aber wirklich denkbar, dass die Bürgerschaft diesen gravierenden Unterschied nicht gewahrt? Ist sie tatsächlich der Selbsttäuschung und Verblendung fähig, die es braucht, um die beiden so verschiedenartigen und ungleichwertigen Beiträge zum Gemeinwesen, die mittels territorialem Reichtum geleistet werden, als gleichartig zu betrachten und als ebenbürtig zu behandeln, ihnen mit anderen Worten unterschiedslos die Qualität liturgischer Beiträge, gemeinwohldienlicher Leistungen im uneingeschränkt positiven Sinne zuzuerkennen? Und wenn es keine Selbsttäuschung ist, was die Bürgerschaft vermag, der Choregie diese, sie der Trierarchie an die Seite stellende, unmittelbar affirmative Gemeinnützigkeit beizumessen, bleibt uns dann nicht nur, ihr das Bewusstsein von der objektiven Unstatthaftigkeit ihrer Klassifizierung der Choregie als Liturgie zu unterstellen und mithin anzunehmen, dass sie sich absichtlicher Täuschung und Verstellung schuldig macht, dass sie mit anderen Worten, um die im Grunde rein negative Bedeutung, um nicht zu sagen, zynische Bewandtnis jener aufwendigen religiös-kultischen Umfunktionierungs- und Umrüstungsveranstaltungen zu verschleiern, bewusste Fassadenbauerei beziehungsweise Spiegelfechterei betreibt?
Lässt sich aber vorstellen, dass die ganze handelsstädtische Population, ohne eine Miene zu verziehen und ohne durch kleinste Fehlleistungen oder geringste Symptomhandlungen das doppelte Spiel, das sie treibt, preiszugeben, diese Verstellung durchzuhalten vermag, dass sie über Generationen hinweg mit dem tiefsten Ernst und dem größten Eifer architektonische Großbauten errichtet, kollektive Rituale ausbildet, kunstvolle Werke kreiert, kulturellen Aktivitäten frönt, während sie mit alledem doch nichts weiter bezweckt, als nichtkommerziellen Reichtum in potenzieller und aktueller Form, in Form von Arbeitskraft und Arbeitsprodukten zu vergeuden, um zu verhindern, dass er dem kommerziellen Reichtum in die Quere kommt und dessen Zirkulations- und Akkumulationsprozess sei's durch einen strukturell bestimmten Paradigmenwechsel, die Überführung der Handelsstadt in einen Raubstaat, sei's durch motivational bedingte Funktionsstörungen, die Verwandlung der für ihren Unterhalt Arbeitenden in ausgehaltene Müßiggänger, unterminiert und zum Stillstand bringt?
Ehe wir uns indes weiter damit aufhalten, offenkundig Undenkbares und Unvorstellbares dennoch zu denken und uns vorzustellen, sollten wir uns klar machen, dass seiner ganzen Form nach das Dilemma, in das wir uns hier verstrickt finden, dem gleicht, in das wir uns wenige Absätze zuvor durch unsere Überlegungen schon einmal verwickelt fanden, der obigen Ungereimtheit nämlich, dass der vermeintliche Zweck, die Übereignung territorialen Reichtums an die Polis, durch das angewandte Mittel, die Umfunktionierung der Götter und Umrüstung ihrer Kulte in Garanten und Legitimationsgründe solcher Übereignung, insofern Lügen gestraft wird, als das Mittel den Reichtum unter dem Vorgeben, ihn seinem Zweck zuzuführen, in Wahrheit vielmehr selber zum größten Teil aufzehrt und verschlingt. Dort entzogen wir uns dem Dilemma dadurch, dass wir den vermeintlichen Zweck, statt ihn als das Mittel widerlegend, weil ihm widersprechend, vielmehr als durch das Mittel widerlegt, weil in ihm sich selbst negierend begriffen. Resultat dieses dialektischen Verfahrens war ein neuer, durch das Mittel vermittelter Zweck – der zur Abwendung der Gefahren, die solche Übereignung des territorialen Reichtums für die Polis heraufbeschwört, verfolgte Zweck einer Verschwendung und Beseitigung des Reichtums.
Aber dieser uns dem obigen Dilemma entziehende, weil den alten Zweck, die Übereignung des Reichtums, in die Revision des Mittels, der Umfunktionierung der Götter und Umrüstung ihrer Kulte, schickende neue Zweck stürzt uns nun sogleich in ein weiteres Dilemma, weil er zwar in genere oder aus unserer abstrakten Perspektive die Diskrepanz oder Nichtentsprechung in der Zweck-Mittel-Relation aus der Welt schafft, in specie oder aus der konkreten Sicht derer, die sich des Mittels bedienen und es praktizieren, aber in keinem faktischen Konkordanz- oder empirischen Entsprechungsverhältnis zu letzterem erscheint. So gut es uns gelingen mag, den alten, vermeintlichen Zweck, die Übertragung des gesamten territorialen Reichtums auf das urbane Gemeinwesen, als für die Bürgerschaft maßgebendes Motiv zu diskreditieren, so schlecht glückt es uns doch aber, der Bürgerschaft den an die Stelle des alten tretenden neuen Zweck, die Verschwendung und Beseitigung des Reichtums, als die sie bestimmende Absicht zu vindizieren.
Weit entfernt davon, dass die Bürgerschaft sich mit dem ihr unterstellten, rein negativen Beginnen einer mittels Umfunktionierung der Götter und Umrüstung ihrer Kulte durchgesetzten Liquidation des in den Händen des Gemeinwesens nicht weniger als in denen seiner Aristokratie dem Bestand und dem Gedeihen der Handelsstadt gefährlichen nichtkommerziellen Reichtums d'accord erklärte, scheint sie vielmehr, wenn anders wir sie nicht völliger Verblendung oder Verlogenheit zeihen wollen, mit jener religiösen Umfunktionierungs- und rituellen Umrüstungsveranstaltung einen unzweifelhaft positiven Sinn zu verbinden, scheint sie, wie ihr Insistieren auf einem originär liturgischen, gemeinwohldienlichen Nutzen der Veranstaltung anzeigt, darauf zu bestehen, dass in unmittelbarer Reflexion-in-sich das Mittel, eben die Umfunktionierungsveranstaltung, weit entfernt davon, seinen Zweck in jener negativen Aufgabe der Reichtumsverschwendung zu erschöpfen, vielmehr eine eigene Zweckdienlichkeit oder Nützlichkeit beweist, die sich der Zweckmäßigkeit der anderen, als Trierarchie firmierenden Reichtumsverwendung durchaus vergleichen lässt und die deshalb wie jene als originär liturgische Leistung anerkannt zu werden verdient.
Worin aber könnte diese Zweckdienlichkeit oder Nützlichkeit, diese als direkter Beitrag zum Gemeinwohl, als unumwunden liturgische Leistung, zu verstehende Wirkung, die die Bürgerschaft der parte pro toto als Choregie figurierenden religiösen Umfunktionierungs- und rituellen Umrüstungsveranstaltung zuschreibt, wohl bestehen? Erinnern wir uns, dass es oben der als selbstverständlich vorausgesetzte, als fragloses Positivum angenommene Zweck einer Übereignung territorialen Reichtums an die Polis war, was uns in die Bredouille brachte, weil der vermeintliche Zweck durch das ihn ins Werk zu setzen gedachte Mittel einer Umfunktionierung der Götter und Umrüstung ihrer Kulte vielmehr in dem Maße Lügen gestraft wurde, wie dies Mittel durch den Verbrauch des territorialen Reichtums dessen Übereignung an die Polis vielmehr hintertrieb und vereitelte. Und erinnern wir uns, dass wir nur die Metapher vom Lügenstrafen ernst nehmen, sprich, das Mittel als Widerlegung des vermeintlichen Zwecks begreifen mussten, um uns die Augen aufgehen und uns, wie des Negativen jenes vermeintlichen Zwecks, der nachteiligen Folgen einer Übereignung des territorialen Reichtums an die Polis gewahr werden, so als den im Mittel verfolgten wahren Zweck der Veranstaltung die durch Verschwendung des territorialen Reichtums erreichte Verhinderung seiner Übereignung an die Polis, positiv ausgedrückt, die Erhaltung der Polis im Status quo beziehungsweise auf der Grundlage ihres nicht durch den nichtkommerziell-territorialen Reichtum aus dem Lot gebrachten kommerziell-kapitalen Bereicherungsmechanismus erkennen zu lassen.
Wenn jetzt der auf solche Weise ermittelte neue Zweck, die Bewahrung der im kommerziell-kapitalen Reichtum bestehenden Basis der Polis durch Beseitigung des diese Basis bedrohenden nichtkommerziell-territorialen Reichtums, uns ebenfalls fragwürdig wird und nämlich bei abermaliger Betrachtung des angeblich ihm dienenden Mittels durch es, das Mittel, wenn auch vielleicht nicht wie der alte vermeintliche Zweck kategorisch oder als ganzer Lügen gestraft, so immerhin doch spezifisch oder als einziger in Abrede gestellt wird, und wenn mit anderen Worten jene Veranstaltung einer Umfunktionierung der Götter und Umrüstung ihrer Kulte dem Bewusstsein derer zufolge, die sie ins Werk setzen, sich beileibe nicht in der Funktion einer rein negativen Beseitigung territorialen Reichtums erschöpft, sondern die Beseitigungsfunktion nutzt, um den territorialen Reichtum einer positiven, eben liturgischen, Verwendung zuzuführen, ihn mit anderen Worten qua Choregie eine nicht minder als konstruktiver Beitrag zum Bestand des Gemeinwesens betrachtete Aufgabe erfüllen zu lassen, wie er sie qua Trierarchie erfüllt, was liegt da näher, als auch ihn, den neuen, negativ bestimmten Zweck, in die Revision des ihn als solchen dementierenden Mittels zu schicken und ihn in dem Sinne der bestimmten Negation zu unterwerfen, dass wir, wie seiner durch das Mittel indizierten Unwahrheit oder jedenfalls Unzulänglichkeit inne, so denn des Mittels als eines, uno actu seiner Erfüllung, der Aufhebung dieser seiner Unwahrheit oder Unzulänglichkeit dienlichen Instrumentes ansichtig werden.
Die mit der Umrüstung der Götterkulte verknüpfte und die Aufwendungen hierfür, die aus dem territorialen Reichtum bestritten werden, des Verdachts reiner Verschwendung überhebende positive Leistung besteht darin, dass in einer dem Leben in der Polis angepassten Form jene die Wahrnehmung und das Verhalten bestimmenden Archetypen und Paradigmata der traditionellen Religion wieder geltend gemacht beziehungsweise in Geltung erhalten werden, die der Markt in seinem Geltungsbereich außer Kraft setzt und durch das Wertverhältnis und seine Äquivalenzbeziehungen substituiert. Weil der Markt für die nichtkommerziellen Lebensbereiche keine allgemeinen Anschauungsformen und verbindlichen Verhaltensweisen parat hat und zur Verfügung stellt, drohen in jenen Sphären Partikularisierung und Idiosynkratisierung, Zersplitterung der Wahrnehmungsformen und Auflösung der Handlungsnormen.
Und in der Tat, wenn wir aus dieser Perspektive die Sache ins Auge fassen, erscheint uns der neue vermeintliche Zweck der religiösen Umfunktionierungs- und Umrüstungsveranstaltung, die Bewahrung der im kommerziell-kapitalen Reichtum bestehenden Basis der Polis durch Beseitigung des diese Basis bedrohenden nichtkommerziell-territorialen Reichtums, weit fragwürdiger und zweideutiger als zuvor und kehrt ähnliche Schattenseiten oder problematische Aspekte hervor, wie es oben der alte vermeintliche Zweck, die als ebenso selbstverständliches wie eindeutiges Positivum angenommene Übereignung des territorialen Reichtums an die Polis tat. Zwar stimmt es nämlich, dass die kommerziell-handelskapitale Akkumulation die Basis der Polis und des mit ihr Wirklichkeit werdenden eigentümlichen Gesellschaftstyps ist und dass der Bewahrung dieses für die Polis grundlegenden Bereicherungsmechanismus und also auch seiner Sicherstellung gegen Gefahren, die ihm von Seiten des fremdbürtig territorialen Reichtums drohen, eine über Sein und Nichtsein der Handelsstadt entscheidende Bedeutung zukommt. Tatsache ist aber auch, dass, für sich genommen und unabhängig von solcher Gefährdung durch den territorialen Reichtum betrachtet, jene Basis keineswegs so unbedingt positiv und uneingeschränkt gutzuheißen ist, wie in der Formulierung des neuen vermeintlichen Zwecks der religiösen Umfunktionierungs- und Umrüstungsveranstaltung suggeriert, und dass sie vielmehr selber Probleme mit sich bringt und ihre eigenen Gefahren heraufbeschwört.
Diese Probleme und Gefahren, die mit dem kommerziell-handelskapi- talen Bereicherungsmechanismus als solchem verknüpft sind, die besagten Schattenseiten, die ihn begleiten, ergeben sich aus dem Paradigmenwechsel im allgemeinen Objektbegriff, in dem er resultiert und durch den er das traditionelle Verhältnis der Menschen zu ihrer natürlichen und kultürlichen Umgebung gründlich alteriert. Impliziert wurde dieser Paradigmenwechsel bereits oben, wo von der Ablösung der traditionellen, territorialen Kategorie des Reichtums durch das neue, kommerzielle Reichtumskonzept die Rede war und diese Ablösung als Überführung des Reichtums aus Überfluss in Überschuss, aus einem Vorschein aktueller Fülle in eine Verheißung potenzieller Erfüllung charakterisiert wurde.
Was sich durch die kommerzielle Neufassung der Reichtumskategorie im Verhältnis der Menschen zu der sie umgebenden Objektivität insgesamt ändert, ist deren Bedeutung und Funktion. Die Objekte erhalten etwas, was sie bis dahin nicht hatten – eine als ihr Wert bestimmte Identität. Sie hören auf zu sein, die sie waren, und finden sich einem anderen, ihrem Wert, gleichgesetzt beziehungsweise zu ihm aufgehoben. Insofern dieser ihnen als ihre Identität zukommende Wert ein anderes Objekt, ein objektiv Anderes ist als sie selbst, bedeutet er in paradoxer Verkehrung das Gegenteil dessen, was mit Identität gemeinhin verbunden wird: Er bedeutet für die Objekte kein Zusichkommen, keine Sichselbstgleichheit, sondern Entäußerung, Selbstverlust. Beziehungsweise erweist er sich den Objekten nur dann als Zusichkommen, Sichselbstgleichheit, als Identität im Sinne des Wortes, wenn sie bereit sind, unter Aufgabe ihrer selbst, ihrer Unmittelbarkeit, in ihm sich restlos aufgehoben, durch ihn sich rückhaltlos repräsentiert zu finden. Für ihre restlose Auslieferung, ihre rückhaltlose Selbstverleugnung belohnt finden sich die Objekte durch die Funktion, die der Wert ihnen verleiht beziehungsweise die sie durch ihre Identifizierung mit ihm, durch ihr Wertsein, erlangen: Der Wert ist Pretium, der Preis, den die Objekte zahlen müssen, um über andere Objekte Verfügung zu erlangen, sich in andere Objekte verwandeln zu können, ohne ihre Identität einzubüßen. Die Identifizierung der Objekte mit ihrem Wert ist mit anderen Worten die Bedingung dafür, dass sie allgemeine und durchgängige Geltung gewinnen, dass sie andere werden können, ohne aufzuhören, sie selbst zu sein.
Um aber von dem hypostatischen Jargon, in den wir philosophierend verfallen sind, wieder herunterzukommen: Natürlich sind es nicht die Objekte selbst und als solche, nicht die Objekte an sich, die einen Wert haben, einen Preis zahlen, prospektive Geltung gewinnen, sondern sie tun es für die Menschen, für die Subjekte, die sich zu ihnen verhalten, mit ihnen umgehen, sie beanspruchen oder besitzen. Für die in kommerziellen Zusammenhängen sich wiederfindenden Subjekte gewinnen die Objekte jenes als ihre Identität, als ihr Wert, sich behauptende eigene Sein, das ihnen erlaubt, sich als diese Sichselbstgleichheit, als dieser Wert, in beliebigen anderen Objekten, anderen objektiven Gestalten zu behaupten und durchzuhalten. Die Menschen können kraft dieser ihm als Werteigenschaft immanenten Identitätsfunktion ihr Objekt die Gestalt wechseln lassen, ohne es zu verlieren, und vielmehr so, dass sie es nun in der anderen Gestalt besitzen, über es als das andere Objekt unverändert verfügen können. Allerdings verfügen sie auch über dieses andere Objekt wiederum nur nach Maßgabe seines Wertes, nur in actu jener Identität, die als sein sichselbstgleiches Anderssein es in seiner Unmittelbarkeit, in seiner empirischen Beschaffenheit, seinen natürlichen Eigenschaften aufhebt; durcheinander auswechselbar, miteinander austauschbar, ineinander konvertierbar und insofern den Menschen, die sie besitzen, Zugang zur im Prinzip gesamten Objektivität eröffnend und Verfügung über im Prinzip alle anderen Objekte verleihend sind sämtliche Objekte nur als Gegenstände von Wert, nur im ideellen Moment dieser ihrer sie in ihrer Unmittelbarkeit, in ihrer materiellen Beschaffenheit aufhebenden, das heißt, ebenso ostentativ ignorierenden wie stillschweigend implizierenden Identität.
Verlieren sie ihre Identität oder sehen die Menschen von ihr ab, so fallen die Objekte aus dem durch die kommerzielle Funktion konstituierten und als Objektivität bestimmten Zusammenhang jäh heraus und werden zur reinen Privatsache, zu einem Konglomerat natürlicher Eigenschaften, das diejenigen, die darüber verfügen, nutzen, das sie gebrauchen oder verbrauchen, zur Lebensgestaltung instrumentalisieren oder zur Bedürfnisbefriedigung konsumieren können, das aber, für sich genommen, keine gesellschaftliche Bedeutung mehr hat und keinerlei öffentliche Funktion mehr erfüllt, weil diese Bedeutung und Funktion gebunden bleibt an eben jene Identität, den Wert, der das Ensemble natürlicher Eigenschaften allererst zum Objekt synthetisiert, es als ein Ding mit Eigenschaften konstituiert.
Wie steht es nun aber mit den Dingen, bevor der kommerzielle Zusammenhang ihnen Wert, ihre neue Identität, verleiht, bevor er sie als Objekte mit prospektiver Verfügung über die übrige Objektivität konstituiert? Sind sie da nur erst Dinge mit Eigenschaften, nichts weiter als jenes Ensemble aus nutzbaren materialen Qualitäten, als das sie zurückbleiben, wenn sie ihren Wert ablegen oder verlieren? Keineswegs! Auch in den territorialherrschaftlich-fronwirtschaftlichen Gesellschaften, die den handelsstädtisch-marktwirtschaftlichen Gemeinschaften historisch vorausgehen und dann in Parallelität zu letzteren existieren, haben die Dinge durchaus ihre Identität und erschöpft beziehungsweise verliert sich ihre Objektivität keineswegs im Ensemble ihrer natürlichen oder kultürlichen Brauchbarkeit – nur ist diese den Dingen eigene Identität dort nicht ihr Wert, sondern ihr Typus, nicht die prospektive Verfügung über andere Dinge, die sie verleihen, sondern der respektive Bezug auf die als Ding an sich firmierende originale Sache, die in ihnen zur Erscheinung kommt.
Wie oben ausgeführt, ist es zentrales Problem der frühen, nichtkommerziellen Gesellschaften, deren Reproduktionstätigkeit in der Erzeugung territorialen Reichtums resultiert, dass ex improviso dieses Reichtums eine Perspektive entsteht, sub specie deren der gesellschaftliche Reichtum selbst im Besonderen und die um seine Erzeugung zentrierte Lebenswelt jener Gesellschaften im Allgemeinen sich einer durchschlagenden ontologischen Entwirklichungs- oder modallogischen Entwertungsdrohung konfrontiert finden. In der Figur eines im Augenblick des Eintretens von Reichtum unvermittelt auftauchenden, toto coelo anderen Subjekts beschwört der Reichtum eine verschiedene Existenz, die, weit entfernt davon, bloß ein anderer Seinszustand, eine andere Art von Realität zu sein, sich zu dem Dasein derer, die den Reichtum erzeugen, vielmehr verhält wie Sein zum Schein, Wirklichkeit zur Illusion.
Diese mit dem Reichtum verknüpfte unbedingte Entwirklichungs- und absolute Entwertungserfahrung können und dürfen die betreffenden Gesellschaften nicht gelten lassen. Sie entziehen sich ihr beziehungsweise konterkarieren sie dadurch, dass sie eben jenes andere Subjekt, das mit seinem unvermittelten Auftauchen ihrem Dasein das Sein und ihrer Welt die Wirklichkeit zu verschlagen droht, in fundamentaler Umkehrung seiner Intention und Bedeutung in den Begründer ihres Daseins und den Erhalter ihrer Welt umfunktionieren. Der Preis, den sie für diese Rettung des Seins ihres Daseins und diese Bestätigung der Wirklichkeit ihrer Welt zahlen, ist, dass sie im Prinzip ihr ganzes Dasein und ihre gesamte Welt dem in den Schöpfer und Erhalter eben dessen, was es an sich doch für null und nichtig erklärt, umfunktionierten anderen Subjekt anheim stellen und überlassen, ihr ganzes Dasein und ihre gesamte Welt als ebenso sehr das Eigentum und Haben wie das Tun und Werk des anderen Subjekts anerkennen müssen.
Im Prinzip – nicht aber in der Praxis! In der Praxis entziehen sie sich, wie oben gesehen, dieser Verpflichtung, das andere Subjekt zum Dank für seine Begründung und Sanktionierung ihres Daseins und ihrer Welt als alleinigen Herrn des ganzen Daseins und einzigen Eigentümer der gesamten Welt anerkennen zu müssen, durch die heroologische beziehungsweise religiöse Zweiteilung der Welt, dadurch mit anderen Worten, dass sie die Welt in eine sakral-originale und eine profan-derivative Sphäre aufspalten. Die erstere belegt dabei das in den Heros oder die Götter umfunktionierte andere Subjekt als seine unmittelbare Wirklichkeit, sein eigentliches Objekt, seine angestammte Heimstatt mit Beschlag, während die letztere bloß einen abgeleiteten Modus, eine ähnliche Reproduktion oder ungefähre Kopie der ersteren darstellt, also zwar im Prinzip ebenfalls Opus und Topos des Heros beziehungsweise der Götter ist und ohne ihre Kreation beziehungsweise Sanktion nicht existent beziehungsweise von Bestand wäre, aber doch zugleich in einer den Menschen, ihren Bedürfnissen, Schwächen und Unvollkommenheiten angepassten Form erscheint und eben deshalb auch vom Heros oder von den Göttern den Menschen weitgehend überlassen bleibt, ihnen zur relativ freien Verfügung steht.
Dort der unverfälschte heroische Archetyp, das unmittelbare göttliche Original, hier das durch menschliches Denken, Wollen und Fühlen vermittelte Phänomen, die das Original ebenso sehr entstellende wie kolportierende Kopie! Ohne das als Paradigma figurierende Original gäbe es die Kopie als solche nicht, wäre diese eine unverbundene Mannigfaltigkeit, eine inhaltslose Anschauung; insofern ist das Original die als reine Sichselbstgleichheit wohlverstandene Identität der Kopie, findet das Exemplar im Paradigma seinen als permanenten Selbstbezug begreiflichen Bestand. Aber gleichzeitig ist die Kopie verschieden vom heroisch gesetzten Original, weicht das Exemplar ab von seinem göttlich sanktionierten Paradigma, ist sie das heroisch-göttliche Original, aber entstellt und alteriert durch menschliches Vorstellen und Bedeuten, ist sie das sakrale Paradigma, aber profanisiert und degradiert durch alltägliche Inanspruchnahme und Verwendung.
In ihrer ganzen materialen Beschaffenheit, in all ihren realen Qualitäten reproduzieren die Dinge und Verhältnisse, mit denen die Menschen alltäglichen oder profanen Umgang pflegen, den vom Heros gesetzten originalen Typus, repräsentieren sie die von den Göttern sanktionierte paradigmatische Identität – nur dass eben dieser Umgang, den die Menschen mit ihnen pflegen, die Dinge und Verhältnisse ihrer reinen Sichselbstgleichheit berauben, sie in Ungleichheit mit sich selbst versetzen, dass die durch den Umgang mit ihnen ins Spiel gebrachten menschlichen Interessen und Schwächen, Eigenheiten und Voreingenommenheiten den Typus zwar nicht idealiter verdrängen und ersetzen, ihn wohl aber realiter überlagern und entstellen, oder das Paradigma zwar nicht formaliter entkräften und verflüchtigen, es wohl aber materialiter verunklaren und trüben.
Und diese den irdischen Dingen bis dahin als respektiver Selbstbezug innewohnende heroisch-göttliche Originalität oder sakrale Identität wird nun aber durch den besagten kommerziellen Paradigmenwechsel, die mittels Äquivalententausch bewirkte Überführung der traditionellen Kategorie territorialen Reichtums in die neue Bestimmung kommerziellen Vermögens beziehungsweise Verwandlung von als aktuelle Fülle firmierendem Überfluss in als Erfüllungspotenzial fungierenden Überschuss in der Tat verdrängt und ersetzt, außer Kraft gesetzt und zum Verschwinden gebracht. An die Stelle des respektiven Bezuges, der die Dinge ihren archaischen Typus reproduzieren, ihr sakrales Paradigma repräsentieren lässt, aber so, dass sie durch die Intervention des Subjekts, durch das menschliche Interesse, das sie in Anspruch nimmt, sich in Ungleichheit mit sich selbst gebracht und zur vom Original abweichenden Kopie relativiert, zum das Paradigma entstellenden Exemplar pejorisiert finden, tritt die prospektive Beziehung, die die Dinge in Gleichheit mit anderem versetzt, aber so, dass diese ihre neue Identität, diese in ihrem Anderssein bestehende Sichselbstgleichheit die Dinge in ihrer unmittelbaren Beschaffenheit, ihrer materialen Konkretion überhaupt suspendiert und negiert.
Wo die Identität, die das sakrale Original der Kopie, das göttliche Paradigma dem Exemplar verleiht, die Dinge als eigene, spezifische setzt, indem sie ihre ganze naturale Beschaffenheit, all ihre materialen Qualitäten präformiert, da bezahlen die Dinge ihre neue Identität, die ihnen ermöglicht, sich auf Anderes zu erstrecken, im Anderen sich als sich selbst zu behaupten, damit, dass sie sich in ihrer Spezifik, ihrer qualitativen Beschaffenheit ausgeblendet und neutralisiert und auf die generische Materie als solche, auf abstrakte Stofflichkeit reduziert finden, in der sich die Eigenheiten in ein uniformes Kontinuum, die Qualitäten in ein homogenes Maß verwandelt zeigen, das Unterschiede nurmehr als quantitative kennt, das mit anderen Worten die Dinge nicht mehr als Wesen sui generis, sondern als Größen generis omnis, nicht mehr als einer Spezies angehörige Individuen, sondern als zählbare, teilbare, messbare Einheiten kennt.
Dabei ist dieser Identitätswechsel, diese Verdrängung des sakralen Typus durch den kommerziellen Wert deshalb irrevozibel beziehungsweise erweist sich diese Ersetzung des göttlichen Paradigmas durch das sächliche Pretium deshalb als endgültig, weil der dem Identitätswechsel zugrunde liegende kommerzielle Prozess ja zugleich mit seiner Entkräftung und Abdankung der traditionellen Reichtumskategorie im Besonderen und habituellen Realitätswahrnehmung im Allgemeinen auch jene dem traditionellen Reichtum und der habituellen Realität entspringende ontologische Krise ad acta legt und erledigt, die überhaupt verantwortlich ist für die als Typus und Paradigma firmierende alte Identität. Wie oben gezeigt, ist es das ex improviso territorialen Reichtums auftauchende andere Subjekt und dessen unbedingte Indifferenz oder absolute Negativität, was den Reichtum mitsamt seinen Erzeugern in die Krise drohender ontologischer Entwirklichung und modallogischer Entwertung stürzt und die letzteren deshalb zwingt, jenes andere Subjekt in den Schöpfer und Garanten eben dessen umzufunktionieren, was es durch seine Indifferenz restlos zu revozieren, durch seine Negativität für nichts zu erklären droht: die durch menschliche Arbeit hervorgebrachte Objektivität in specie und die das menschliche Dasein bedingende Realität in genere. Resultat und Beweis dieser dem anderen Subjekt per Umfunktionierung abgenötigten heroischen Schöpfungstat beziehungsweise göttlichen Garantieleistung ist der Typus oder das Paradigma – jene ursprüngliche Identität oder archaische Grundgestalt, die auch noch in den vom Ursprungsakt, von der heroischen Schöpfung oder göttlichen Satzung entferntesten, durch menschliche Inanspruchnahme oder alltäglichen Gebrauch entstelltesten Dingen und Bewandtnissen zum Tragen kommt und die da macht und bis in alle dinglichen Eigenschaften oder qualitativen Beschaffenheiten hinein sicherstellt, dass das Ding wirklich und wahrhaftig ist, dass es unverbrüchlich es selbst und nicht überhaupt nichts ist.
Die als Typus oder Paradigma firmierende Identität zeigt sich nun also irrevozibel erledigt und ein für alle Mal überflüssig, weil mit der Verdrängung des territorialen durch den kommerziellen Reichtum ja auch die mit ersterem in der Figur eines toto coelo anderen Subjekts auftauchende ontologische Entwirklichungs- oder modallogische Entwertungsgefahr verschwindet und also die in der Objektivität des Typus oder Realität des Paradigmas resultierende Notwendigkeit entfällt, durch Umfunktionierung des anderen Subjekts in den archaischen Schöpfer oder olympischen Erhalter der Welt die Entwirklichungs- und Entwertungsdrohung zu bannen. An sich ist diese definitive Erledigung der archetypischen oder paradigmatischen Identität der Dinge und Bewandtnisse kein Problem, da ja die kommerzielle Uminterpretation der Reichtumskategorie im Besonderen und des Objektbegriffs im Allgemeinen einhergeht mit einer durch die kommerzielle Funktion den Dingen verliehenen anderen und neuen Identität, nämlich jener oben als Wert oder Pretium bestimmten Eigenheit, die, so gewiss sie die Dinge in ihrer materialen Beschaffenheit, ihren qualitativen Eigenschaften suspendiert und negiert und als ihr eigenes Anderssein setzt, ihnen als diesem Anderssein ihrer selbst Sichselbstgleichheit verbürgt und erlaubt, sich als das unanfechtbaren Bestand und unverbrüchliche Kontinuität beweisende Maß aller Dinge zu behaupten, sprich, sich in allen anderen Dingen als ausschließlich quantitativ variierte Identität zu bewähren. In dem Maß, wie der kommerzielle Reichtum den territorialen verdrängt und ersetzt, verdrängt und ersetzt die prospektive oder maßstäbliche Gleichheit mit vielem anderem, die als der Wert firmiert, die respektive oder qualitative Gleichheit mit dem ursprünglich einen, das als der Typus figuriert.
Eine Schwierigkeit entsteht allerdings dadurch, dass die den Dingen durch ihre Kommerzialisierung verliehene neue Identität, die ihnen beigemessene Wertigkeit, an bestimmte Konditionen gesellschaftlichen Verhaltens oder Tuns geknüpft ist und nur so lange in Kraft bleibt, wie sich die über die Dinge verfügenden Subjekte auf dem Boden des kommerziellen Systems bewegen, wie sie mit anderen Worten die Dinge, über die sie verfügen, als potenziell oder aktuell im kommerziellen Austausch stehende Objekte begreifen und einsetzen. In dem Augenblick, in dem sich das Subjekt verführen lässt oder gemäß eigenem Dafürhalten beziehungsweise Vorhaben beschließt, die suspendierte materiale Beschaffenheit und qualitative Bestimmtheit der Dinge wieder ins Auge zu fassen und zur Geltung zu bringen, in dem Augenblick mit anderen Worten, in dem das Subjekt die Dinge als Objekte gesellschaftlichen Nutzens und Austauschs abdankt und wieder als Gegenstände persönlichen Interesses und Gebrauchs wahrnimmt und mit Beschlag belegt, büßen sie ihre neue, quantitativ bestimmte Identität als Wertobjekte ein und kehren in jenen alten Zustand zurück, in dem sie als subjektiv modifizierte Reproduktionen eines qualitativen Typus, als privativ alterierte Exemplare eines definitiven Paradigmas identifiziert wurden.
Nur dass jetzt durch die kommerzielle Aufhebung der traditionellen Reichtumskategorie die dieser entsprechenden Heroen- und Götterkulte gegenstandslos geworden und abgedankt sind und dass die den Kulten entspringende Identität des archaischen Typus und originalen Paradigmas nicht mehr zur Verfügung steht! Dass mit anderen Worten das subjektive Verhältnis zu und der konsumtive Umgang mit den aus dem kommerziellen Zusammenhang ausscheidenden und seiner Identitätsstiftung verlustig gehenden Dingen nicht länger durch den respektiven Bezug zu einem vom Heros als Archetyp kreierten Original beziehungsweise von den Göttern als die Sache selbst sanktionierten Vorbild stereotypisiert und der Forderung nach sozialer Allgemeingültigkeit und kommunaler Verbindlichkeit unterworfen sind, sondern sich mangels der mit dem Typus gegebenen Übereinstimmung in der Wahrnehmung der Dinge, eines durch das Paradigma garantierten konzeptionellen Grundkonsenses, dem idiosynkratischen Meinen und Dafürhalten, der höchstens noch durch kollektive Vorurteile und empirische Gewohnheiten mit einem gewissen Maß an Allgemeinheit und Soziabilität ausgestatteten Willkür des Einzelnen überlassen und ausgeliefert finden!
Weil die kommerzielle Bestimmtheit der Dinge, ihre Identität als Wertgegenstand, die ihnen unmittelbar eigene materielle Beschaffenheit oder qualitative Brauchbarkeit, ihre nützlichen Eigenschaften, ja keineswegs eliminiert und aus der Welt schafft, sondern nur suspendiert und aus dem Blickfeld rückt, sind in dem Augenblick, in dem die Dinge ihre kommerzielle Identität, ihre Wertgegenständlichkeit verlieren und als Gebrauchsgegenstände, als Befriedigungsmittel statt als Austauschobjekte in den Händen des Subjekts zurückbleiben, jene nützlichen Eigenschaften wieder da und manifest, jetzt allerdings ohne den archetypisch-paradigmatischen Rückbezug auf das vom Heros kreierte beziehungsweise von den Göttern sanktionierte Original und vielmehr unmittelbar gebunden an die sinnlich-begriffliche Auffassung des einzelnen Subjekts, direkt relativiert durch die privativ-persönliche Wahrnehmung des menschlichen Individuums.
Die notwendige Folge dieser mit dem Wegfall ihrer archetypischen Originalität oder paradigmatischen Identität einhergehenden Privatisierung oder Idiosynkratisierung der Dinge wäre ein den ganzen nichtkommerziellen gesellschaftlichen Bereich, das ganze als Privatleben apostrophierte gesellschaftliche Leben außerhalb des Marktes bedrohender Prozess sozialer Partikularisierung und kommunaler Auflösung. Weil die kommerziell gesetzte Identität der Dinge und Bewandtnisse, ihre qua Anderssein perennierende Sichselbstgleichheit, ihr Wert, sie als solche, sie in ihrer natürlichen oder kultürlichen Unmittelbarkeit, ihrer qualitativen Beschaffenheit, zwar keineswegs aus der Welt schafft und eliminiert, wohl aber ausblendet und suspendiert, scheint in der Tat dies die notwendige Konsequenz, dass überall da, wo die kommerzielle Identität ihre Kraft und Relevanz verliert und die suspendierte qualitative Beschaffenheit der Dinge und Bewandtnisse wieder ins Blickfeld rückt und zum Tragen kommt, in allen nicht vom Markt bestimmten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens also, im privaten Konsum, im familiären Miteinander, in der festlichen Versammlung, im feiertäglichen Spiel und im feierabendlichen Zeitvertreib, kurz, im konsumtiv-kontemplativen Umgang mit der Welt, es dem Individuum, dem empirischen Subjekt und seinem höchstens und nur durch Brauch und Gewohnheit sozialisierten beziehungsweise konventionalisierten Gutdünken überlassen bleibt, dieser Unmittelbarkeit Bedeutung beizulegen, Sinn beizumessen, sie zu beurteilen und zu bewerten, sich rezeptiv ein Bild von ihr beziehungsweise reaktiv etwas aus ihr, kurz, sie dingfest zu machen, sie zu identifizieren.
Jene Bestimmungshilfe oder Identifizierungsmatrix, als die sich traditionell und mit der Selbstverständlichkeit seiner rituellen Verehrung und opferkultlichen Pflege das heroische Original oder göttliche Paradigma bewährt und durch die sich jeder Umgang mit den als Kopien des Originals oder Exemplare des Paradigmas wohlverstandenen Dingen und Bewandtnissen, mögen sie auch noch so profan und alltäglich sein, zu einer Art von sozialem Konformismus und funktioneller Stereotypie disponiert findet – jene originale Sichselbstgleichheit oder paradigmatische Identität, sie ist mitsamt der relativen Allgemeinheit und kollektiven Verbindlichkeit der Wahrnehmung und des Verhaltens, die sie gewährleistet, durch die neue allgemeine und verbindliche Identität des kommerziellen Werts eskamotiert, ohne dass diese neue Identität – auf den Markt, die Sphäre des kommerziellen Austauschs, beschränkt, wie sie nun einmal ist! – eine vergleichbar umfassende Geltung und durchgängige Wirksamkeit wie das durch sie Eskamotierte erlangen könnte.
Und die Konsequenz dessen ist, dass überall dort, wo jene auf den Markt beschränkte Identität, der kommerzielle Wert als die im Anderssein sichselbstgleich perennierende Äquivalenz der Dinge und Bewandtnisse, außer Kraft und Geltung gesetzt wird, das heißt, in der ganzen nicht von Arbeit und Geschäftigkeit, Produktion und Zirkulation bestimmten Sphäre des gesellschaftlichen Lebens also, die Gefahr einer aller regulativen Allgemeinheit und normativen Verbindlichkeit spottenden Idiosynkratisierung und Partikularisierung, Zersplitterung und Auflösung droht.
Die kunstreligiöse Beibehaltung beziehungsweise Wiederaufnahme der territorialherrschaftlich tradierten Archetypen und Paradigmata erfüllt also mehrere Funktionen und dient nicht zuletzt dem Zweck, ein Mindestmaß an Allgemeingültigkeit der sinnlich-dinglichen Wahrnehmung und Verbindlichkeit des praktisch-empirischen Umgangs mit den Dingen zu gewährleisten. Das bringt den zusätzlichen Gewinn, die Handelsstadt in relativer kultureller Kontinuität und Übereinstimmung mit dem sie umgebenden rein territorialherrschaftlichen Milieu zu erhalten. Es ändert aber nichts an der wesentlichen Differenz der in der Polis gepflegten kultischen Archetypen und Paradigmata , die nicht mehr als ursprungsmythische Originale oder Ur-Sachen gelten, sondern nurmehr als kunstreligiös-säkulare Modelle und Prototypen dienen.
Diese Gefahr zu bannen und ein gewisses Maß an Allgemeinheit der persönlichen Wahrnehmung und Verbindlichkeit des privaten Verhaltens in der Handelsstadt sicherzustellen, ist der affirmative Zweck der auf liturgischem Wege, mittels des territorialen Reichtums, den die Aristokratie in die Stadt mitbringt, ins Werk gesetzten Umfunktionierung der Götter in repräsentative Charaktere der Polis und Umrüstung ihrer Kulte in kollektive Selbstvergewisserungsveranstaltungen der Bürger der Polis. Weit entfernt davon, sich, wie oben suggeriert, in der rein negativen Bedeutung einer Beseitigung jenes Teils territorialen Reichtums zu erschöpfen, für den die Handelsstadt keine gemeinwohldienliche Verwendung hat und der im Zweifelsfall die ökonomische Grundlage der Polis zerrüttet und ihre politische Ordnung untergräbt, hat die Investition territorialen Reichtums in die Umrüstung der Götterkulte zu Selbstdarstellungs- und Selbstvergewisserungsveranstaltungen der Polis durchaus ihren positiven Sinn und praktischen Nutzen, der die Bürgerschaft jeden Verdachts eines extrem zynischen Verhaltens oder zutiefst falschen Bewusstseins überhebt und in der Wertschätzung, die sie jener Umrüstung entgegenbringt, und den hohen Erwartungen, die sie mit ihr verknüpft, bestätigt.
Die kontinuierte Hege oder vielmehr in revidierter, der Handelsstadt und ihren Bedürfnissen angepasster Form wiederaufgenommene Pflege der Götter und ihrer Kulte erfüllt demnach eine ganze Reihe nützlicher Funktionen, die in der eben explizierten Gewährleistung eines Mindestmaßes an Allgemeingültigkeit der sinnlich-dinglichen Wahrnehmung und Verbindlichkeit des praktisch-empirischen Umgangs mit den Dingen gipfelt.
Erstens also, um zu rekapitulieren, löst die Umfunktionierung der Götter in Repräsentationsfiguren der Stadt das Problem des in die Stadt eingeführten aristokratisch-territorialen Reichtums und seines den kommunalen Frieden bedrohenden spalterischen Potenzials, indem die so als Schutzmächte der Stadt vereinnahmten Götter teils darauf sehen, dass die mit wesenskultlichen Mitteln ihrer religiösen Verpflichtungen sich entschlagende und ebenso sehr praktisch zum Libertinismus wie theoretisch zum Agnostizismus disponierte Aristokratie keinen dem Gemeinwohl abträglichen egoistischen beziehungsweise privativen Gebrauch von ihrem Reichtum macht, sondern ihn dem Gemeinwesen zuwendet, teils sicherstellen, dass das begünstigte Gemeinwesen nicht die in der Stadt versammelten empirischen Individuen und einzelnen Gruppen sind, sondern die den Göttern vergleichbare hypostatische Macht Polis.
Zweitens und mehr noch sorgt die der Umfunktionierung der Götter korrespondierende kostenaufwendige Umrüstung ihrer Kulte in das bürgerschaftliche Kollektiv bestätigende und erbauende Veranstaltungen dafür, dass aller über die für Rüstung und Verteidigung erforderlichen Mittel hinausgehende territoriale Reichtum quasi im Akt seiner Übereignung an die Polis aufgezehrt und so daran gehindert wird, als freiflottierend-nichtkommerzielles Staatsvermögen die kommerzielle Grundlage des städtischen Lebens zu erschüttern oder gar zu zerstören.
Und weit entfernt davon, sich in solch rein negativer, abstrakt konsumtiver Funktion zu erschöpfen, erfüllt drittens und zu guter Letzt die Umrüstung der Götterkulte die positive Funktion, dem städtischen Leben jenes Moment von Gleichsinnigkeit der Wahrnehmung und Einklang im Verhalten zu bewahren beziehungsweise zurückzugeben, das ihm mit der drohenden Konsequenz einer Partikularisierung und Auflösung allen sozialen Konsenses und jeder kulturellen Homogenität das kommerzielle Treiben überall dort, wo seine eigene Form von Allgemeinheit und Verbindlichkeit keine Geltung beansprucht, zu verschlagen droht.
So gewiss es die überlieferten Götterkulte mit den ihnen eigenen Lehrinhalten und rituellen Praktiken sind, die der Welt des gemeindlichen Kollektivs und seinem Verhältnis zu ihr einen allgemeinen Sinn und eine verbindliche Form verleihen, indem sie im Prinzip alles, was in der Welt ist und was in ihr geschieht, Wasser und Feuer, die Olive, das Korn und den Wein, den Ackerbau und die Seefahrt, Krieg und Frieden, Geburt, Ehe, Krankheit und Tod, als kraft heroischen Ursprungs beziehungsweise göttlichen Vorbilds stereotypisiert und kodifiziert erweisen, so gewiss nutzt die revidierte Fortsetzung beziehungsweise Wiederaufnahme dieser Kulte, ihre Umrüstung in bürgerschaftlich-kommunale Selbstdarstellungs- und Selbstvergewisserungsveranstaltungen jene stereotypisierten Vorstellungen und kodifizierten Verhaltensweisen zur Bewahrung eines Mindestmaßes an gemeinsamer Wahrnehmung und übereinstimmender Praxis und zur Abwehr der in der Begrenztheit der neuen, kommerziellen Identität der Dinge und Bewandtnisse, ihres Wertes, beschlossenen zerstörerischen Tendenz zur Idiosynkratisierung und Privatisierung der Sicht, die der Einzelne von der Welt hat, und des Umgangs, den er mit ihr pflegt.
Die wenn nicht aus freien Stücken, so doch aus eigenem Antrieb von der Bürgerschaft unternommene kultische Beibehaltung beziehungsweise Wiederaufnahme der die Welt in allen ihren Einzelheiten und Verhältnissen archetypisch artikulierenden oder urbildlich kodifizierenden mythologischen Originale und göttlichen Paradigma bringt noch den zusätzlichen Gewinn, die Handelsstadt vor einer ihr andernfalls drohenden Entfremdung und Isolation in Bezug auf das sie umgebende territorialherrschaftliche Milieu zu bewahren. Schließlich bleibt die Entstehung und Entwicklung der als Polis firmierenden und durch die Kohabitation beziehungsweise Kollaboration von kaufmannschaftlich-handwerklichem Marktsystem und aristokratisch-bäuerlichem Grundbesitz konstituierten antiken Handelsstadt ein relativ punktuelles und auf die Peripherie der Alten Welt, auf den ägäischen Raum, beschränktes und höchstens noch sporadisch auf die Küsten des westlichen Mittelmeeres ausgreifendes Phänomen, das im krassen Gegensatz zum weit überwiegenden Erscheinungsbild seiner Umgebung, den fortdauernden territorialherrschaftlich-theokratischen Gesellschaften mit ihren auf persönlicher Abhängigkeit und Untertänigkeit basierenden Machtverhältnissen, ihrer fronwirtschaftlichen Produktion und herrschaftlichen Distribution des gesellschaftlichen Reichtums und ihren dafür den Grund und die Sanktion liefernden althergebrachten Götter- und Opferkulten steht.
Würde auf Basis der durch die marktwirtschaftlich-kommerzielle Liquidation der territorialen Reichtumskategorie ermöglichten Entmächtigung der göttlichen Mächte und ihrer kultisch-normativen Setzungen und konstitutiv-paradigmatischen Begründungen und nach Maßgabe der wesenskultlich-intellektuellen Emanzipation von der traditionellen Religion, die, ungeachtet ihrer fortdauernden Fundierung im territorialen Reichtum, die mit der kommerziellen Funktion verbündete Aristokratie in Anlehnung an jenen politisch-ökonomisch fundierten Entmächtigungsprozess vollzieht – würde diese gleichermaßen objektiv-kommerzielle und subjektiv-intellektuelle Entmythologisierung und Befreiung von traditionellen religiösen Bindungen im vollen Umfange Raum greifen und Geltung erlangen, die Handelsstadt würde sich mit ihrem neuen, als kommerzielles Wertbewusstsein realisierten Identitätsdenken und den in der unwillkürlichen Konsequenz des letzteren den Einzelnen im Blick auf Dinge und Bewandtnisse ermöglichten idiosynkratischen Ansichten und privaten Umgangsformen nur zu rasch aus dem durch das territorialherrschaftlich-theokratische Umfeld repräsentierten, traditionellen Konsens herauskatapultieren und sich, was sowohl die Anschauung von der Welt und die Realitätsvorstellungen als auch die Sitten und Gebräuche betrifft, in einer gleichermaßen das Verständnis der Nachbarn und die Verständigung mit ihnen zunehmend erschwerenden Entfremdung und Isolation wiederfinden. Das aber wäre umso fataler, als bei aller politischen Unabhängigkeit, die die Handelsstadt gegenüber den territorialherrschaftlichen Nachbarn behauptet, sie doch zugleich durch die kommerziellen Beziehungen, die sie zu ihnen unterhält, ökonomisch von ihnen abhängig ist und dem Austausch mit ihnen tatsächlich ihr Wachstum und Gedeihen verdankt.
So gesehen, ist es in der Tat ein höchst willkommener Zusatzeffekt jener Aufrechterhaltung eines gewissen Maßes an Allgemeingültigkeit des außerhalb des Marktgeschehens tendenziell entfesselten und sich selbst überlassenen individuellen Wahrnehmens und persönlichen Verhaltens durch die Fortsetzung beziehungsweise Wiederaufnahme der die Welt archetypisch präfigurierenden und paradigmatisch normierenden Götterkulte, dass dadurch auch der Zusammenhang mit den religiösen Traditionen der territorialherrschaftlich-theokratischen Handelspartner und ihren polytheistisch-opferkultlichen Systemen gewahrt bleibt und zumindest der Anschein einer Handelsstadt und Territorialstaat nach wie vor verbindenden und als Verständigungsgrundlage fortbestehenden Affirmation und Sanktionierung der Welt durch das in eine Vielzahl göttlicher Mächte zergliederte andere Subjekt und seine entsprechend vielfältige kultische Präsenz erweckt wird.
Mehr als ein Anschein freilich kann das nicht sein: Der Affinität der von der Polis hochgehaltenen Gottheiten und in wie immer revidierter Form beibehaltenen kultischen Veranstaltungen mit den von den territorialherrschaftlichen Nachbarn verehrten Göttern und gepflegten Kulten haftet ein unabweisbares Moment von Simulation und Scheinbarkeit an. Schließlich ist, wie gezeigt, bei den von der Polis nach wie vor anerkannten Gottheiten und weiterhin praktizierten Kultveranstaltungen die traditionelle Zwecksetzung und Funktion so gründlich verändert, dass an eine wirkliche Kontinuität und sachliche Übereinstimmung dieser Gottheiten und kultischen Veranstaltungen mit den in eben jener Tradition unverändert verhafteten Göttern und Kulten der territorialherrschaftlichen Nachbarn schlechterdings nicht zu denken ist. Traditionsgemäß haben die Götter und ihre Kulte die Aufgabe, der Indifferenz und Negativität zu wehren, die ex improviso gesellschaftlichen Reichtums in Gestalt eines toto coelo anderen Subjekts auftaucht und die den gesellschaftlichen Reichtum in specie und die menschliche Welt in genere mit Entwirklichung und Entwertung bedroht. Die Lösung dieser Aufgabe besteht eben in den kultisch verehrten Göttern selbst, insofern diese das in Begründungsinstanzen und affirmative Sanktionsmächte, in heroische Schöpfer und göttliche Erhalter umfunktionierte andere Subjekt sind, das eben die menschliche Welt, die es ex improviso gesellschaftlichen Reichtums ursprünglich zu ignorieren und zu negieren Miene macht, im Gegenteil archetypisch erschafft und paradigmatisch vorgibt. Die Kulte fungieren dabei als Erinnerungs- oder vielmehr Beschwörungsfeste, die jene archetypischen und paradigmatischen Objekte und Verhältnisse immer neu aufs Tapet bringen und in Szene setzen und als Vergegenwärtigung und Bekräftigung der Wirklichkeit und des Werts der den heroischen Archetypen und göttlichen Paradigmen nachgebildeten und in ihnen ihre Sichselbstgleichheit findenden menschlichen Dinge und alltäglichen Bewandtnisse fungieren.
Mit solcher Selbstvergewisserung der menschlichen Welt und Abwehr der ihr und dem, was in ihr ist, andernfalls drohenden ontologischen Entwirklichung und modallogischen Entwertung haben die von der Bürgerschaft der Polis kontinuierten beziehungsweise in revidierter Form wiederaufgenommenen Kulte nichts mehr zu schaffen. Mit der neuen, kommerziellen Einstellung zur Welt ist ja die traditionelle, territoriale Reichtumskategorie und die ihr entspringende Indifferenz- und Negativitätserfahrung obsolet und erübrigt sich also im Prinzip auch jene religiöse Umfunktionierungsveranstaltung, die aus dem gestaltlos einen Verneiner und Verwerfer die vielgestaltig vielen Schöpfer und Erhalter der Welt werden lässt, deren schöpferischer Einsatz für die Welt und konservatorischer Beitrag zu ihr jene ursprünglichen Dinge und Beschaffenheiten, jene heroischen Archetypen und göttlichen Paradigmata sind, die der religiöse Kult monstriert und die da machen, dass die Welt mitsamt allem, was sie enthält, ist und Wirklichkeit hat und sich nicht als verschwindender Schein enthüllt und zunichte wird.
Wenn die Polis diese Archetypen und Paradigmata beibehält und die ihrer Demonstration und Reaffirmation gewidmeten kultischen Darbietungen weiter pflegt, dann nicht, um die Verwerfung und Vernichtung fernzuhalten, mit der sich andernfalls die kultürliche und natürliche Welt des Menschen von Seiten jenes anderen Subjekts konfrontiert findet, das sich hinter den die Archetypen kreierenden beziehungsweise die Paradigmata sanktionierenden Heroen und Göttern als ihre durch sie verdrängte abgründige Substanz verbirgt, sondern um der Partikularisierung und Auflösung zu wehren, mit der die auf den Markt und sein Austauschsystem beschränkte neue, kommerzielle Identität der Dinge und Bewandtnisse die Bürgerschaft und ihr Verhältnis zur Welt überall da, wo jene beschränkte Identität keine Geltung beansprucht und außer Kraft tritt, bedroht. Bei den von der Polis als kultischer Inhalt beibehaltenen oder in revidierter Form wiederaufgenommenen Archetypen und Paradigmata handelt es sich also nicht mehr eigentlich um Archetypen, um das Sein der irdischen Empirie stiftende beziehungsweise die Wirklichkeit des menschlichen Daseins garantierende Originale oder Ur-Sachen, sondern bloß um Muster oder Vorbilder, um Normen für das menschliche Dasein setzende Modelle beziehungsweise der Wahrnehmung und dem Verhalten Orientierung und Halt gewährende Prototypen. Die irdische Welt und menschliche Empirie steht nicht mehr als solche in Frage, ist nicht mehr in ihrem ontologischen Bestand bedroht; bedroht ist sie nurmehr in der Konsens garantierenden Allgemeingültigkeit, in der sie sich den Subjekten präsentiert, der Gemeinschaft stiftenden Verbindlichkeit der Wahrnehmung und des Verhaltens, die sie den Einzelnen abverlangt. Allein diese durchaus diesseitige, in der Immanenz des Lebens der Polis bleibende Bedrohung zu bannen, dienen die in revidierter Form fortgesetzten beziehungsweise wiederaufgenommenen Kulte.
Dass die kultisch beschworenen Prototypen der Wirklichkeit und Modelle des Umgangs mit der Welt nicht nur die polisinterne Allgemeingültigkeit dinglichen Wahrnehmens und Verbindlichkeit sächlichen Verhaltens auch außerhalb der Sphäre des Marktes und ihrer Identitätsstiftung sicherstellen, sondern mehr noch die Kontinuität mit der Wirklichkeitserfahrung und dem Weltverständnis der in ihren territorialherrschaftlich-theokratischen Traditionen verharrenden Nachbarn zu gewährleisten helfen, ist dabei, wie gesagt, ein hochwillkommener Nebeneffekt – willkommen deshalb, weil ja eben der Markt und die ihn organisierende kommerzielle Funktion für einen ständigen Kontakt und Austausch mit jenen Nachbarn sorgen.
Aber auch dieser Zusatzeffekt ändert nichts daran, dass die umgerüstete sakrale Sphäre der in Garantiemächte der Polis umfunktionierten Götter und die in dieser Sphäre beschworenen Prototypen und Modelle, der Ölbaum der Athene, der Wein des Dionysos und das Korn der Demeter, die von Zeus sanktionierten Rechtsformen, die von Apoll dekretierte Musik und von Asklepios verordnete Heilkunst, die von Poseidon ebenso ermöglichte wie bedrohte Schifffahrt, die von Athene, Artemis oder Hekate vorgegebenen weiblichen Aktivitäten, die per Wettkampf antizipierten kriegerischen Fertigkeiten, das ex negativo des Heroenschicksals in der Tragödie verklärte maßvoll-bürgerliche Leben, die mittels Festritualen kodifizierte Kunst der Versöhnung und friedlichen Vergesellschaftung – dass all dies nicht eine von außerhalb der irdischen Welt und des menschlichen Daseins diese mit Entwirklichung und Entwertung bedrohende ontologisch differente Sphäre beschwört und bannt, sondern bloß empiriologisch-disparate Gefahren ostentiert und abwehrt, die in der irdischen Welt und im menschlichen Dasein selbst lauern und den gesellschaftlichen Zusammenhang in der Polis und die Erfahrungskontinuität ihrer Bürger in Frage stellen.
Die mittels der Aufrechterhaltung beziehungsweise Wiederaufnahme des kultisch-sakralen Bereichs als normativ oder musterhaft geltend gemachten objektiven Prototypen und Verhaltensmodelle bleiben also strikt immanent, bezogen auf eine polisinterne Empirie, die außerhalb des marktzentrierten Geschehens alle normative Allgemeinheit und kommunikative Verbindlichkeit einzubüßen droht und die eben deshalb zur Sicherung ihres kommunikativen Zusammenhalts und ihrer Erfahrungskonkordanz auf jene durch die Religion tradierten Prototypen und Modelle zurückgreift. Deren Schöpfer und Erhalter ist jetzt nicht mehr das in Heroen beziehungsweise Götter umfunktionierte und dadurch der ursprünglichen Indifferenz und Negativität, kraft deren es das menschliche Dasein und die irdische Welt mit Entwirklichung und Entwertung bedroht, entrissene andere Subjekt, sondern das die Götter sich als Repräsentationsfiguren anverwandelnde und mittels ihrer Integration und Ostentation die empirische Handelsstadt als Polis zum Transzendental ihrer selbst aufhebende und so die Individuen und Gruppierungen der Stadt in der apperzeptionellen Einheit einer Bürgerschaft konstituierende Gattungssubjekt.
So wenig die in den Kulten der Handelsstadt beschworenen und erinnerten Archetypen und Paradigmata noch Originale oder Ur-Sachen sind, die den irdischen Dingen und den menschlichen Verhaltensweisen das Sein überhaupt oder die Wirklichkeit als solche zu attestieren und zu garantieren dienen, so sehr sie nurmehr Modelle und Prototypen darstellen, die diesen Dingen und Verhaltensweisen ihre gemeinschaftliche Bedeutung, ihre Allgemeingültigkeit, und ihren kommunikativen Wert, ihre Verbindlichkeit, dort zu vindizieren und zu vermitteln bezwecken, wo die durch den kommerziellen Austausch konstituierte Allgemeinheit und Verbindlichkeit nicht mehr greift und außer Kraft tritt, so wenig ist das Subjekt, das sie hervorbringt und erhält, noch das nach außen gerichtete, gegen die Gefahr, die es ursprünglich selber darstellt, aufgebotene Apotropäon des in Götter, die die Welt affirmieren und sanktionieren, umfunktionierten anderen Subjekts, der Olymp, sondern das ausschließlich nach innen gewendete, gegen die Gefahr der Partikularisierung und Auflösung, die mit der neuen, kommerziellen Identität der Welt einhergeht, eingesetzte Transzendental des bloß die empirischen Subjekte des menschlichen Daseins hypostasierenden und aus ihrer hypostatischen Verdoppelung heraus bestimmenden und kontrollierenden Gattungssubjekts, die Polis.
So gesehen, vollzieht sich hier aber eben das, was oben als der Übergang von der Religion zur Ästhetik oder vom Bezirk des Heiligen zum Bereich des Schönen charakterisiert wurde: Die in der umgerüsteten kultisch-sakralen Sphäre als Modelle für die stadtbürgerliche Wahrnehmung und als Prototypen stadtbürgerlichen Verhaltens fortdauernden heroischen Archetypen und göttlichen Paradigmata sind nicht mehr Resultat eines veritablen Subjektwechsels, sondern Konsequenz eines bloßen Perspektivenwechsels. Das Subjekt, das sie begründet und trägt, vollzieht nicht mehr in dem Maß einen radikalen Bruch mit den empirischen Subjekten, für die es seine Begründungsfunktion und Trageleistung vollbringt, wie es jenes in ontologischer Differenz zu den empirischen Subjekten auftauchende Alterego seiner selbst zu ersetzen und umzufunktionieren dient; vielmehr präsentiert es sich durchaus in Kontinuität zu den empirischen Subjekten, denen es jene Modelle und Prototypen zur Verfügung stellt, allerdings so, dass sie, die empirischen Subjekte, in ihm aufgehoben und transzendental verdoppelt erscheinen und es selbst in eine Art prägende Erfahrungsinstanz und korrektive Normgeberin für das, was sie gewahren und tun, verwandelt dasteht.
Eben dies meint ja die Rede vom Gattungssubjekt Polis, dass die Kollektivinstanz, die die Modelle und Prototypen gibt und garantiert, nicht mehr wie das als Heros oder als Götter firmierende andere Subjekt initiiert und determiniert ist durch das ontologische Widerfahrnis eines vernichtend alternativen Seins, einer toto coelo verschiedenen Wirklichkeit, und den Zwang, diesem alternativen Sein gleichzeitig Rechnung tragen und den Stachel ziehen zu müssen, sondern dass diese Kollektivinstanz introduziert und konstitutiert wird durch die ganz und gar empirische Erfahrung historischer, dem menschlichen Dasein in der Handelsstadt drohender theoretischer und praktischer Partikularisierungsprozesse und Auflösungstendenzen, denen sich durch den Rekurs auf durch die kultische Tradition gegebene modellbildnerisch haltgebende oder prototypisch richtungweisende objektive Wahrnehmungsweisen und rituelle Verhaltensformen entgegenwirken beziehungsweise steuern lässt.
Und der als ästhetisches Verhältnis apostrophierte und an die Stelle des religiösen Subjektwechsels tretende Perspektivenwechsel, den die empirischen Subjekte in der Handelsstadt mit schöner Regelmäßigkeit vollziehen, wenn sie ihr Alltagsverständnis ablegen und ihre Alltagsgeschäfte ruhen lassen, um die Welt kontemplativ statt aktiv ins Auge zu fassen und mit ihr kultisch-feiertäglichen statt praktisch-werktäglichen Umgang zu pflegen – dieser ihr Perspektivenwechsel bedeutet demnach, dass sie nicht mehr gewissermaßen die Seinsebene vertauschen und mit den anderen Augen der Heroen und Götter, jenen anderen Augen, die den vernichtenden Blick des transzendent anderen Subjekts zu verdrängen und umzufunktionieren dienen, die für die Welt grundlegenden Archetypen und das menschliche Dasein prägenden Paradigmata anbeten und zelebrieren, sondern dass sie nurmehr qua empirische Subjekte ihre Sichtweise ändern und aus dem transzendental vorausgesetzten Blickwinkel eines zur Polis hypostasierten und sie, all ihrer empirischen Differenzen zum Trotz, zur generischen Einheit einer egalen Gemeinschaft aufhebenden Kollektivsubjekts jene überlieferten Archetypen und Paradigmata als für ihre alltägliche Wahrnehmung der Welt und ihr werktägliches Verhalten im Dasein maßgebende Modelle und musterbildende Prototypen anerkennen und zur Geltung bringen.
Kein religiös gespaltenes Bewusstsein mehr, kein Bewusstsein, das als ein Geist sui generis die Welt und den Umgang mit ihr für die menschlichen Subjekte vorgibt und realisiert, sondern bloß ein ästhetisch verdoppeltes Bewusstsein, ein Bewusstsein, das den empirischen Subjekten ihre Wahrnehmung der Welt und ihr Verhalten in ihr vorzeichnet und organisiert, liegt jenen überlieferten Archetypen und Paradigmata zugrunde, die die umgerüsteten Götterkulte beibehalten beziehungsweise neu in Szene setzen, um den Erfahrungsinhalten und den Verhaltensformen im handelsstädtischen Leben ein gewisses Maß an Allgemeinheit und Verbindlichkeit, Mustergültigkeit und Beispielhaftigkeit zu sichern.
Demnach markieren also die von der Polis umgerüsteten kultischen Objekte und Rituale tatsächlich jenen ominösen Übergangspunkt, der oben als Punkt der Ablösung der Religion durch Ästhetik beschrieben und als dessen auszeichnendes Merkmal die Ermäßigung des für die Religion und ihre sakrale Sphäre konstitutiven und die Identität des empirischen Menschen aufsprengenden Subjektwechsels zu einem bloßen, das Sakrale ins Phänomenale, das selbstbezüglich Manifeste ins weltbezogen Repräsentative, das transzendente Sein ins transzendentale Sollen, die Ur-Sache ins Vorbild verwandelnden und die Identität des empirischen Menschen zur kollektiven Einheit eines Gattungssubjekts hypostasierenden und überhöhenden Perspektivenwechsel angegeben wurde.
Damit drängt sich nun allerdings die Frage auf, warum im vorliegenden Fall der Übergang nur halbherzig vollzogen wird und die Ästhetik der Polis, die Reduktion der Kultobjekte auf Wahrnehmungsmodelle und der Ritualformen auf Verhaltensmuster, eingebettet bleibt in einen fortgesetzt religiösen Kontext, eine die traditionellen Götter in ihrer umfunktionierten Form als Figuren der Polis beschwörende und verehrende Praxis kultischer Veranstaltungen und ritueller Verrichtungen. Warum, wenn es nurmehr darum geht, die von der Religion geheiligten Objekte und sanktionierten Handlungen für die Herstellung eines gewissen Maßes an Objektwahrnehmungskonsens und Uniformität der Verhaltenspraxis zu nutzen, machen sich die Bürger der Handelsstadt die Mühe, das diese Objekte und Haltungen von Haus aus stiftende und sanktionierende sakrale Ambiente in toto beizubehalten, sprich die religiösen Urheber und Erhalter jener Objekte und Handlungen, die durch den kommerziellen Reichtum im Prinzip abgedankten territorialen Götter, umzufunktionieren und ihre der zeremoniellen Ostentation jener Objekte und rituellen Handlungen geweihten Kulte umzurüsten, um beides, die Götter und ihre Kulte, auch weiterhin in Ehren zu halten und zu pflegen? Warum können sie nicht kurzerhand jene sakralen Objekte und geheiligten Handlungen auf ästhetische Phänomene, sprich, auf durch die schiere Tradition und Gewohnheit verbürgte und als Bezugspunkte für das empirische Dasein und Orientierungshilfen fürs alltägliche Leben nützliche, weil Allgemeinheit und Verbindlichkeit schaffende Wahrnehmungsmodelle und Verhaltensmuster reduzieren und den ganzen, zu ihrer Schöpfung und Legitimierung ursprünglich erheischten religiösen Apparat für obsolet erklären und ad acta legen?
Indes, die Frage beantwortet sich eigentlich von selbst. Besser gesagt, sie hat sich bereits beantwortet – nämlich dort, wo wir als wesentlichen Grund für die Beibehaltung und wie immer revidierte Fortsetzung der Götter und ihrer Kulte den vom einen Strukturelement der antiken Handelsstadt, von der landbesitzenden Aristokratie, in die Stadt eingeführten nichtkommerziell-territorialen Reichtum und die Notwendigkeit erkannten, die der Einheit und Eintracht der Stadt aus diesem Reichtum erwachsenden Gefahren zu bannen und womöglich ins Gegenteil, in einen dem Gemeinwesen förderlichen Prospekt, zu verwandeln.
Wie gezeigt ist es der doppelte Zweck, teils der Aristokratie allen von persönlicher Machtgier und privativer Selbstsucht getriebenen Gebrauch, den sie von ihrem Reichtum etwa zu machen tendiert, zu verschlagen und sie zu einer liturgischen, gemeinwohldienlichen Verwendung des Reichtums anzuhalten, teils dafür zu sorgen, dass es tatsächlich das Wohl des Gemeinwesens und nicht das von Gruppen, Fraktionen, Klientelen ist, dem der Reichtum zugute kommt, was die in Repräsentationsfiguren der Polis umfunktionierten Götter und ihre in bürgerliche Selbstdarstellungs- und Selbstvergewisserungsveranstaltungen umgerüsteten Kulte zu erfüllen dienen. Und wie des Weiteren gezeigt, nutzt die Bürgerschaft diese Umrüstung der Kulte zu dem wiederum doppelten Zweck, teils negativ die überflüssigen und im Zweifelsfall nur das kommerzielle Getriebe der Handelsstadt aus dem Takt bringenden Teile des der Polis zufließenden territorialen Reichtums konsumtiv aus der Welt zu schaffen, teils positiv mit Hilfe solchen kultischen Konsums das eben erläuterte Desiderat einer Etablierung modellhafter Objektvorstellungen und Inszenierung mustergültiger Verhaltensweisen zu erfüllen, die für das erforderliche Maß an Allgemeinheit und Verbindlichkeit, Konsens und Uniformität, auch in den außerkommerziellen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens sorgen.
Dies letztere, die als Ästhetik firmierende Modellierung der Wahrnehmung und Stereotypisierung des Verhaltens, ist also gar nicht das primäre oder auch nur originäre Anliegen jener Umrüstung der Götterkulte, sondern bloß kommoder Bestandteil und nützliche Zusatzleistung einer durch die amphibolische Konstitution der Handelsstadt und deren ökonomische Implikationen erforderlich werdenden und mit religiösen Mitteln, sprich, mittels der Umfunktionierung der Götter und Umrüstung ihrer Kulte, betriebenen Politik. Statt uns zu fragen, warum die ästhetische Wendung und Revision der religiös tradierten archetypischen Objekte und Paradigmata des Verhaltens überhaupt noch der Sanktionierung durch die Götter und kultischen Beschwörung bedarf, müssten wir also eher die List und Raffinesse bewundern, mit der uno actu einer mit religiösen Mitteln verfolgten rein politisch-ökonomischen Gefahrenabwehr- und Konfliktbewältigungsstrategie ein anderes und gar nicht unmittelbar damit zusammenhängendes Problem, das Problem nämlich eines durch die Kommerzialisierung der Stadt sowohl innerhalb der Bürgerschaft als auch im Verhältnis zu den territorialherrschaftlichen Nachbarn in Frage gestellten hinlänglichen Übereinstimmung aller nicht von der kommerziellen Beziehung bestimmten Objektwahrnehmung und ausreichenden Konformität allen nicht vom Markt geregelten Sozialverhaltens angegangen und einigermaßen zufrieden stellend gelöst wird.
An ihrer religiös fundierten Ästhetik, ihrer Kunstreligion, hält die Polis auch noch fest, als der territoriale Reichtum der Aristokratie als konstitutiver Faktor längst der Vergangenheit angehört und im Zuge des Aufstiegs der Polis zur volksherrschaftlichen Hegemonialmacht an seine Stelle der tributär abgeschöpfte kommerzielle Reichtum der anderen Handelsstädte getreten ist. Angesicht dieser Entwicklung scheint die sokratisch-platonische Religionskritik und Säkularisierungsforderung nur konsequent. Die theoretische Religionskritik geht einher mit einem praktischen Sanierungsprogramm, das allen Reichtum aus der Stadt verbannen und die marktvermittelte Gesellschaft durch eine ebenso gemeinwohldienlich wie arbeitsteilig unmittelbare, sprich, ohne Vermittlung des Marktes funktionierende Produktionsgenossenschaft ersetzen soll.
Die Ästhetik ist also hier, in der Welt der klassischen Antike, nichts, was, wie oben suggeriert, die Religion im Sinne der Überführung eines radikal ontologischen Subjektwechsels in einen bloß empiriologischen Perspektivenwechsel zu transformieren und abzulösen taugt, sondern sie bleibt eingebunden in einen fortdauernden religiösen Kontext – den Kontext der traditionellen Götterkulte, die jetzt zur Bewältigung beziehungsweise Verhütung der durch den amphibolischen Charakter der Handelsstadt und die beiden Formen von Reichtum, die in ihr aufeinander treffen, heraufbeschworenen Konflikte dienen und deren apperzeptionelle Einheit jetzt die das Gemeinwesen ebenso sehr hypostasierende wie in Gestalt der Götter personalisierende oder figürlich artikulierende quasigöttliche Polis ist. Nur als Moment und integrierender Bestandteil dieser ins politische Glaubensbekenntnis transformierten Religiosität kann und darf dann die Ästhetik als eine die traditionellen sakralen Archetypen und rituellen Paradigmata in reale Prototypen und soziale Verhaltensmuster überführende Disziplin der Objektwahrnehmung und des alltäglichen Umgangs Raum greifen und ihres Amtes walten, sprich, für ein Mindestmaß an normativer Allgemeinheit des Denkens und kommunikativer Verbindlichkeit des Handelns sorgen.
Dies aber, dass sie beides, den kohabitativ-politischen und den kommuni- kativ-ästhetischen Zweck, erfüllt und uno actu ihrer Kultivierung der antiken Handelsstadt sowohl die durch deren amphibolische Struktur bedrohte ökonomische und soziale Stabilität zu bewahren als auch ihre durch die Begrenztheit des Geltungsbereiches des Marktes gefährdete epistemologische und ethische Konformität zu erhalten dient, macht die zur Religion der Polis umgestalteten und synthetisierten traditionellen Götterkulte der Bürgerschaft lieb und teuer und lässt letztere bis in die Spätzeit des städtischen Gemeinwesens eisern an ihnen festhalten und nur bei Strafe der Verfolgung und notfalls sogar Hinrichtung des Frevlers an ihr rütteln. Eben das bekommt Sokrates zu spüren, weil er die von der Polis vereinnahmten und ihren Bedürfnissen gemäß revidierten Götterkulte in Frage stellt und als dem Wirklichkeitssinn der Bürger abträgliche Lügengeschichten und Scheinproduktionen anprangert.
Dabei ist die Skepsis beziehungsweise Ablehnung, mit der er und seine sophistischen Kollegen dem Sinn und Nutzen der poliseigenen Götterverehrung und Religionsübung begegnen, ja keineswegs aus der Luft gegriffen, keineswegs Ergebnis eines bloß subjektiv-reflexiven Aufbegehrens gegen eine vom Kollektiv geltend zu machende objektive Verbindlichkeit. Vielmehr zeigt sich zu dem Zeitpunkt, zu dem jene Skepsis laut wird, im Ausgang des fünften und im Laufe des vierten vorchristlichen Jahrhunderts nämlich, jene politische Religionsübung tatsächlich in dem Maße obsolet, wie ihre realgeschichtliche Grundlage, die besagte amphibolische Konstitution der Handelsstadt und die mit dieser Konstitution einhergehende Existenz zweier wesentlich verschiedener Formen von Reichtum mittlerweile obsolet geworden sind.
Tatsächlich gehört ja der die Probleme machende territoriale Reichtum einer in der Stadt Wohnsitz nehmenden grundbesitzenden Aristokratie längst der Vergangenheit an. An die Stelle dieses quer zum marktwirt- schaftlich-kommerziellen Vermögen stehenden fronwirtschaftlich-territo- rialen Reichtums tritt im Zuge der Transformation der Polis Athen in eine gegenüber den anderen Handelsstädten der Ägäis und Kleinasiens eine hegemoniale Vormachtstellung erringende Metropole der bundesgenos- senschaftlich-tributäre Reichtum, den Athen bei den Bundesgenossen erhebt und eintreibt. Beweggrund jener Transformation der Polis ist die Pauperisierung und Deklassierung größerer Teile des bürgerlichen Mittelstands und der unteren Schichten, die wiederum Folge der Entfaltung des kommerziellen Systems zum maßgebenden, wo nicht alleinigen Bereicherungsmechanismus in der Handelsstadt ist.
Wie diese kommerzielle Entfaltung die Aristokratie und ihren aparten Reichtum abschafft, indem sie die territoriale Basis der Aristokratie, ihren Landbesitz, als käufliche Ware dem Markt integriert und die Aristokratie selbst einer fortan als Oligarchie firmierenden homogenen Schicht vermögender Kaufleute, Unternehmer und Grundbesitzer, sprich, einer höchstens und nur mehr mit dem ironischen Begriff eines Geldadels als aristokratisch wahrzunehmenden Oberschicht eingliedert, so bringt sie damit eben das zum Verschwinden, was, wie gezeigt, die Fortsetzung beziehungsweise revidierte Wiederaufnahme der Götterkulte mit ihren diversen, teils der ökonomischen Konsistenz, politischen Einheit und sozialen Selbstbestätigung des Gemeinwesens, teils seiner ästhetischen Homogenität und kulturellen Kontinuität im Innern ebenso wie im Verhältnis zu den territorialen Nachbarn dienlichen Funktionen erforderlich werden ließ. In dem Maße, wie der territoriale Reichtum der Aristokratie mitsamt den Konflikten, die er in der Handelsstadt heraufzubeschwören droht, obsolet wird und sich als Realkategorie auflöst, werden natürlich auch die Mächte und Veranstaltungen, die gegen seine Konfliktträchtigkeit aufgeboten werden, die auf ihm fußenden Götter, die die Bürgerschaft in Garanten seiner wohldosierten Übereignung an die Polis umfunktioniert, und die zu diesem Zwecke umgerüsteten Götterkulte, entbehrlich.
Zwar sind auch die an die Stelle des territorialen Reichtums der Aristokratie tretenden Tribute der anderen Handelsstädte, die diese unter dem Vorwand bundesgenossenschaftlicher Beiträge an die Polis Athen entrichten müssen, nach Maßgabe ihrer kompensationslosen Übereignung an letztere nichtkommerzieller Natur und insofern ein in den kommerziellen Zusammenhang der Polis introduzierter Fremdkörper. Aber anders als der territoriale Reichtum der Aristokratie sind die bundesgenossenschaftlichen Tribute kein ebenso frei flottierendes wie ungeplantes Vermögen, das sich in der Handelsstadt im Zweifelsfall als konfliktträchtiger Störfaktor zur Geltung bringt und den geordneten kommerziellen Betrieb des Gemeinwesens aus den Fugen geraten zu lassen droht, sondern sie werden im Gegenteil von der Handelsstadt erstrebt und sind von ihr fest in den Etat des Gemeinwesens eingeplant, um als Heilmittel oder Palliativ für die bereits eingetretenen gravierenden sozialen Konflikte und politischen Krisen zu dienen, die die Handelsstadt durch ihr eigenes kommerzielles Tun heraufbeschworen hat und die das Gemeinwesen in den Konkurs zu treiben Miene machen.
Diese Mittel müssen also auch gar nicht erst wegen latenter Konflikt- und Krisenträchtigkeit religiös aufgefangen, das heißt, liturgisch umgewidmet und in die rechten Kanäle des zur quasigöttlichen Macht Polis hypostasierten Gemeinwesens geleitet werden, und von daher sind jene götterkultlichen Veranstaltungen, die solche Kanalisierung des Reichtums sicherstellen, eigentlich überflüssig. Wenn die Veranstaltungen, der Bau von Tempelstätten und öffentlichen Versammlungsorten, die Herstellung von kultischen Bildwerken, Gerätschaften und Dekorationsobjekten jeglicher Art, die Abhaltung von Ritualen, Prozessionen und Festen, die Aufführung von Schauspielen und die Austragung von Wettkämpfen, dennoch weitergehen und in jener kurzen Zeit hegemonialer Bundesherrlichkeit sogar eine regelrechte Hypertrophierung erfahren, dann deshalb, weil die unter dem Deckmantel bundesgenossenschaftlicher Beziehungen betriebene Ausbeutung des ägäischen Handelssystems gewaltigen Überfluss in die Stadt schwemmt, der nicht nur erlaubt, die pauperisierten und deklassierten Schichten der Polis mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen, sondern darüber hinaus auch noch ermöglicht, ihnen durch den Ausbau und die Verschönerung, die Modernisierung und Kultivierung ihres städtischen Lebensraumes ein kompensatorisches Gefühl objektiven Wohlstands und kollektiver Bedeutung zu vermitteln, und weil als Instrument zur Erfüllung der letztgenannten Aufgabe die von der Polis zuvor durch Umrüstung der traditionellen Götterkulte ausgebildeten Formen szenischer Selbstdarstellung und ritueller Selbstvergewisserung sich geradezu aufdrängen. Der wesentliche Unterschied ist, dass jetzt nicht mehr die zur sakralen Macht hypostasierte Stadt, die quasigöttliche Polis, sondern die apotheotisch verklärte Bürgerschaft, das zum demokratischen Souverän erhobene Volk, als Adressat und Nutznießer der götterkultlichen Veranstaltungen wahrgenommen wird.
Freilich währt die hegemoniale Herrlichkeit nur kurze Zeit, weil die Finanziers des athenischen Wohllebens, die anderen Handelsstädte der Ägäis, sich mit ihrer Milchkuh-Rolle nicht abfinden, geschweige denn, befreunden können und weil sie im Verein mit dem vexierbildlichen Kontrahenten der handelsstädtischen Metropole, dem der Überführung der traditionellen Territorialherrschaft in eine rein aristokratische Republik entsprungenen spartanischen Staat, Athen zu Boden und zur Aufgabe seiner hegemonialen Aspirationen zwingen. Das Resultat des athenischen Falls ist ein auf seine kommerziellen Aktivitäten beschränktes und aller zusätzlichen Ressourcen, egal ob in Gestalt aristokratisch-territorialen Reichtums oder in Form militärisch-hegemonialer Tribute, beraubtes Gemeinwesen, das, aus einer – durch sein kommerzielles Tun heraufbeschworenen – Krise in die nächste stürzend, steuerlos durch die Geschichte treibt und, durch und durch profanisiert und auf ein zynisches Überlebensinteresse beziehungsweise praktisches Selbsterhaltungskalkül reduziert, für aufwendige religiöse Inszenierungen oder politische Kulte weder mehr die Mittel noch den Bedarf hat.
So gesehen, scheint es durchaus logisch und eines philosophisch-reflek- tierten Bewusstseins würdig, wenn die Sophisten im Allgemeinen und die von Sokrates begründete eristische Schule im Besonderen Religionskritik treiben und die Götter mitsamt ihren Kulten und den diese begründenden Mythen für obsolet und entbehrlich erklären. Und so gesehen, scheint die Reaktion der Polis auf diese Entmythologisierungs- und Säkularisierungsbestrebungen der Philosophie, die in dem Todesurteil gipfelt, das über den Drahtzieher Sokrates wegen Frevels gegen die Götter verhängt wird, eher einem hirnlosen Traditionalismus und verknöcherten Ordnungsdenken geschuldet, als dass sie empirisch fundiert beziehungsweise politisch begründbar wäre. Indes, bei näherem Zusehen zeigt sich die Sache komplizierter, als auf den ersten Blick zu vermuten. Wenn nämlich die sokratische Sophistik die in ein Glaubensbekenntnis oder Selbstvergewisserungsinstrument der Polis umfunktionierte traditionelle Religion in Grund und Boden kritisiert und die Götter mitsamt ihren Kulten kurzerhand ad acta zu legen empfiehlt, so tut sie das nicht etwa, um bloß der neuen Realität eines nurmehr in handelskapitaler Form existierenden und seines territorialherrschaftlichen Antagonisten ein für alle Mal ledigen Reichtums Rechnung zu tragen, sondern sie tut es in Verfolgung eines Sanierungsprogramms oder Konzepts zur Rettung der Polis, zu dem eben die mittlerweile Faktum gewordene Alleinherrschaft des kommerziellen Reichtums und die dieser Alleinherrschaft entspringenden krisenproduzierenden ökonomischen Unterschiede und sozialen Differenzen beziehungsweise konfliktträchtigen Verteilungs- und Umverteilungsansprüche der Bürgerschaft sie animieren und dessen Artikulation und Kodifizierung Platon, ein Schüler des Sokrates, übernimmt.
Kernpunkt des Sanierungsprogramms ist dabei die Forderung, das, was die sozialen Krisen produziert und die politischen Konflikte heraufbeschwört, nämlich die kommerzielle Funktion und den ihrer Tätigkeit entspringenden Reichtum toto coelo aus der Stadt zu verbannen, sprich, in einer unschwer als paradox erkennbaren Wendung die als Handelsstadt und Drehscheibe internationalen Verkehrs firmierende Polis als eine Stadt ohne Handel und internationale Beziehungen neu zu konstituieren. Was aber, wenn, wie die letztere Formulierung schon deutlich macht, die wesentliche Leistung der Neukonstitution der Stadt die radikale und restlose Preisgabe ihres alten Konstitutivs, ihrer marktgesellschaftlichen Organisation, ist, was bleibt dann eigentlich als positiver Inhalt der Polis übrig, was kann dann überhaupt noch Sinn und Zweck des städtischen Lebens sein?
Übrig bleiben soll nach den Vorstellungen der im Platonismus ihre affirmative Auflösung findenden sokratischen Schule das, was der grundlegende Mechanismus der Handelsstadt, der kommerzielle Austausch in seiner systematischen Fassung als Markt, hervorgetrieben und zur das städtische Leben prägenden Wirklichkeit erhoben hat, nämlich eine arbeitsteilig produzierende, in eine Vielzahl von Handwerken und Gewerben auseinandergelegte, vielerlei Spezialtätigkeiten ausübende und durch ihre Spezialtätigkeit aber zugleich kooperative, ihren Beitrag zum Erhalt des Ganzen leistende, dem allgemeinen Wohl dienende Bürgerschaft – sie aber nun nicht mehr bezogen auf den Markt, den von der kommerziellen Funktion geschaffenen und untrennbar mit der Akkumulation, der Erwirtschaftung von Reichtum und Überfluss verknüpften Distributionsmechanismus eines wertvermittelt-zirkulativen Austauschs der speziellen Produkte, sondern sie, die Bürgerschaft, eingeschworen auf ein den Markt erübrigendes Verfahren unmittelbarer Partizipation, einer Vielzahl individueller arbeitsteiliger Beiträge zu einem subsistenziellen Fundus der Gemeinschaft, aus dem diese wiederum die Individuen mit dem Lebensnotwendigen versorgt.
Weil der Distributionsmechanismus des Marktes wegen seiner unlöslichen Koppelung an die Akkumulation, die Anhäufung von zu nichts als zu weiterer Akkumulation bestimmtem Reichtum, und wegen der damit unvermeidlich einhergehenden ökonomischen Verwerfungen, sozialen Spaltungen und politischen Konfrontationen sich in den Augen der in die platonische Wissenslehre einmündenden sokratischen Spielart des Sophismus hoffnungslos diskreditiert hat, ersinnt die platonische Wissenslehre einen politischen Zustand jenseits oder, besser gesagt, diesseits des Marktes, eine arbeitsteilig-kooperative Gesellschaft, die sich nicht mehr in der Weise synthetisiert, dass die Beiträge der einzelnen zum Kollektiv wesentlich auf den in ihnen als Wert objektivierten Bedürfnisbefriedigungsanspruch des Beiträgers an die anderen abgestellt sind und wegen dieser monomanen Ausrichtung auf das eigene Interesse ihren Wert, ihre Tauglichkeit, für die Bedürfnisbefriedigung des Beiträgers zu sorgen, erst im empirischen Nachhinein des kommerziellen Austauschs, sprich, nach Maßgabe ihrer Fähigkeit unter Beweis stellen, die Bedürfnisbefriedigung anderer zu garantieren, sondern deren Synthesis wesentlich und positiv an der spontanen Bereitschaft der Individuen hängt, durch ihre Arbeit etwas für die Befriedigung anderer und das Gemeinwohl Nützliches beizutragen und für diese von vornherein vom Altruismus oder Gemeinsinn diktierte Leistung nun umgekehrt vom Gemeinwesen mit dem für die eigene Subsistenz Nötigen versorgt zu werden.
Nicht der Egoismus, der Anspruch auf die Befriedigung eigener Bedürfnisse soll mehr das für die Arbeit des Individuums Maßgebende sein, indem er letzteres dazu zwingt, einen wertvollen, das heißt, seinerseits ein Bedürfnis der anderen befriedigenden Beitrag zu leisten und das Gelungene dieses Beitrags, eben seinen Wert, auf die Probe des Marktmechanismus zu stellen und sich im Austausch empirisch bewähren, sprich, als ein Mittel zum Zweck der eigenen Bedürfnisbefriedigung unter Beweis stellen zu lassen. Vielmehr soll das Individuum von sich aus darauf aus sein und unmittelbar nichts anderes im Sinn haben, als diesen Beitrag zur Befriedigung der anderen, sprich, zum Gemeinwohl zu leisten, und soll dafür sicher sein können, von der Gemeinschaft das Seine oder Lebensnotwendige zu erhalten, ohne groß danach streben, sich darum eigens Gedanken machen zu müssen.
Von der Umkehrung der Prioritäten, dem Wechsel vom nur durch Beiträge zum Kollektiv zu befriedigenden Egoismus zum die Befriedigung des Eigeninteresses natürlicherweise implizierenden Kollektivismus, verspricht sich die sokratisch-platonische Heilslehre das Überflüssigwerden und den Wegfall jenes kommerziellen Austauschsystems, das im ersteren Fall erforderlich ist, um die Erfüllung der für die eigene Bedürfnisbefriedigung gestellten Bedingung einer Befriedigung der Bedürfnisse anderer gleichermaßen systematisch zu gewährleisten und empirisch nachzuweisen, und das aber von denjenigen, die es betreiben, zum Vehikel einer Akkumulationsstrategie gemacht wird, die, wie sie – systematisch-strukturell oder sozial gesehen – in einer qualitativen Vervielfältigung und quantitativen Hypertrophierung der Bedürfnisse und einer fortlaufenden Expansion und Eskalation der zur Befriedigung der Bedürfnisse nötigen Arbeitsanstrengung konsequiert, so – politisch-ökonomisch oder real genommen – auf eine wachsende Ungleichverteilung der Befriedigungsmittel und ökonomischen Ressourcen und auf die daraus resultierenden und das Gemeinwesen mit seinem Zerfall und Untergang bedrohenden sozialen Krisen und politischen Konflikte hinausläuft
Dieser in der Logik einer im Egoismus der Einzelnen implizierten und per Markt entfalteten Dynamik also hofft der Platonismus die Spitze abzubrechen. Kraft der Ersetzung egoismusvermittelter produktiver Leistungen des Individuums für das Gemeinwesen durch a priori vom Kollektiv bestimmte subsistenzielle Beiträge der Einzelnen zur Gemeinschaft hofft er, die gesellschaftliche Reproduktion auf ein Fundament zu stellen beziehungsweise auf einem Niveau zu stabilisieren, das jeden Anreiz für die Ausbeutung der Bedürfnisse beziehungsweise der zu ihrer Befriedigung erforderlichen Arbeit, sprich, jeden Ansporn für die mittels kommerziellem Austauschmechanismus betriebene Akkumulation von jeweils zu neuerlicher Akkumulation dienlichem Reichtum hinfällig werden lässt und die kooperativ-arbeitsteilige Gesellschaft, die jene kommerzielle Akkumulationsstrategie hervorgetrieben hat, als von ihrem kommerziellen Triebgrund kategorisch getrennte und damit ihrem historischen Werden amnestisch enthobene Naturgegebenheit festschreibt.
Indem der Einzelne in seiner arbeitsteiligen Okkupation maßgeblich für andere tätig ist und das eigene Interesse sich ebenso maßgeblich durch das Tun der anderen vermitteln lässt, entfällt jene Orientierung des gesellschaftlichen Tuns am eigenen Bedürfnis, die Ausgangspunkt der kommerziellen Entwicklung ist, und kann sich, so die Hoffnung des Platonismus, die gesellschaftliche Reproduktion auf einem niedrigen, aber stabilen subsistenziellen Niveau einspielen. So gewiss das, was der Einzelne durch seiner Hände beziehungsweise seines Kopfes Arbeit zur Gemeinschaft beiträgt, nicht mehr durch das per definitionem seiner Natur qualitativ und quantitativ zur Hypertrophie neigende eigene Bedürfnis, sondern nurmehr durch das Erfordernis, den anderen die Subsistenz zu sichern, bestimmt ist, so gewiss kann sich die ebenso unmittelbare wie einfache subsistenzielle Versorgung der Gemeinschaft als der durch kein sei's konsumtives, sei's akkumulatives persönliches Interesse mehr gestörte und entstellte alleinige Zweck der kommunalen Arbeitsorganisation etablieren.
Bleibt freilich das Problem, wie sicherzustellen ist, dass der subsistenzielle Beitrag zur Gemeinschaft, den die Einzelnen ohne Rücksicht auf ihre eigenen Bedürfnisse und quasi im unvermittelten Interesse am Gemeinwohl leisten, tatsächlich auch den Bedürfnissen der anderen beziehungsweise den Reproduktionserfordernissen der Gemeinschaft entspricht. Schließlich entfällt ja mit dem marktförmig kommerziellen Austausch eben der gesellschaftliche Mechanismus, der bis dahin die Harmonie oder jedenfalls Korrespondenz zwischen den Bedürfnissen in der Gemeinschaft und den zur Befriedigung dieser Bedürfnisse von den Einzelnen mittels der Arbeit ihrer Hände und Köpfe produzierten Gütern gewährleistet. Hoffen beziehungsweise erwarten, dass die anderen Befriedigungsmittel für sie produzieren, können die Einzelnen bislang ja nur, wenn sie im Austausch für diese von ihnen erstrebten Befriedigungsmittel ihrerseits etwas produzieren und anbieten können, was von anderen als Befriedigungsmittel begehrt wird. Nur wenn mit anderen Worten das, was die Einzelnen für die anderen produzieren, deren Bedürfnisse anspricht, hat es einen Wert im oben explizierten Sinne eines sichselbstgleichen Andersseins, einer als Passepartout wohlverstandenen Identität, und kann deshalb die Produkte der anderen, die das eigene Bedürfnis ansprechen, platzhalterisch repräsentieren und sich am Ende leibhaftig gegen sie austauschen.
Insofern ist das eigene Interesse und die Notwendigkeit, den anderen im Austausch gegen die Befriedigung dieses eigenen Interesses etwas Äquivalentes, ihrem Interesse Entsprechendes zu bieten, der kommerziell, auf dem Markt, zu bewährende Garant dafür, dass die Arbeit der Einzelnen tatsächlich Dinge und Sachverhalte hervorbringt, die in der Gemeinschaft vorhandene Bedürfnisse befriedigen und damit effektive Beiträge zur gesellschaftlichen Reproduktion darstellen. Was aber, wenn nun das eigene Interesse als Motiv und Ansporn für die gesellschaftlich nützliche Arbeit des Einzelnen, seine Produktion gemeinschaftsdienlicher Befriedigungsmittel nicht mehr in Anschlag zu bringen ist? Was, wenn, wie der Platonismus ja will, der Einzelne sich nicht mehr vom eigenen Bedürfnis bestimmen lässt und aber, weil die Mittel zu dessen Befriedigung von anderen produziert werden, bei seiner Produktion seinerseits auf die Bedürfnisse der anderen Rücksicht nehmen und, dass ihm dies gelungen, per kommerziellen Austauschakt beweisen muss, sondern unmittelbar, quasi selbstlos, für die arbeitsteilige Kooperative wirkt, durch Ausübung der ihm in der Gemeinschaft zufallenden Profession seinen Beitrag zum Erhalt der Gemeinschaft leistet und dafür von der Gemeinschaft mit den für seine eigene Bedürfnisbefriedigung nötigen Gütern versorgt wird – was eigentlich stellt dann sicher, dass er auch ohne den Ansporn durch sein eigenes Interesse den Bedürfnissen der anderen Genüge leistet und etwas den subsistenziellen Erfordernissen der Gemeinschaft Gemäßes, etwas der gesellschaftlichen Reproduktion Dienliches hervorbringt? Was anstelle des Marktes und der von ihm erzwungenen Probe aufs Exempel des Austauschs sagt ihm, welche Dinge und Sachverhalte er im Interesse der anderen in specie und der Kooperative in genere durch seiner Hände beziehungsweise seines Kopfes Arbeit zu erzeugen und beizutragen hat?
Im Rahmen des eine Reduktion der Polis auf eine marktlose Erzeugergemeinschaft propagierenden Platonischen Sanierungsprogramms gewinnen die alten Archetypen und Paradigmata erneut Bedeutung, jetzt aber nicht mehr als ästhetisch vorbildliche Wahrnehmungsmodelle und Verhaltensmuster, sondern als Ideen, als das gesamte Dasein und seine Aktivitäten prägende Grundstrukturen, metaphysisch urbildliche Matrizen oder Gießformen für das Leben in der Polis. Die Ideen werden jetzt auch nicht mehr kultisch, durch Rekurs auf die Götter, sondern anamnestisch, durch die Intervention des Platonischen Philosophen selbst, gewonnen und zur Geltung gebracht.
Genau im Bemühen um eine Lösung dieses Problems, um eine ohne kommerziellen Austausch und Markt funktionierende Gewährleistung der Sachdienlichkeit und subsistenziellen Angemessenheit der Arbeitsleistungen, die der Einzelne im Rahmen der arbeitsteiligen Kooperative erbringt, rekurriert nun aber der Platonismus auf jene kultisch beschworenen archetypischen Objekte und paradigmatischen Verhaltensweisen, die, wie oben dargelegt, die Polis in Umrüstung der traditionellen Götterkulte bemüht, um Wahrnehmungsmodelle und Verhaltensmuster vorzugeben, die in ihrer sakral kodifizierten Form und ihrer rituell zelebrierten Fassung für soviel Allgemeinheit der Wahrnehmung und Verbindlichkeit des Verhaltens sorgen, dass der soziale Konsens und die kulturelle Homogenität teils in der Bürgerschaft selbst, teils mit den territorialen Nachbarn der Polis in etwa gewahrt bleibt.
Von Haus der Polis aus finden, wie gezeigt, diese kultisch sanktionierten prototypischen Objekte und normativen Akte ihren Geltungsbereich in den nicht vom Markt beherrschten beziehungsweise vom Markt entbundenen Sphären der Gesellschaft, dort also, wo die als kommerzieller Wert bestimmte, marktvermittelte, objektive Identität der Dinge und Verhältnisse außer Kraft tritt beziehungsweise gar nicht erst in Kraft ist und wo das Privatleben, die konsumtiv unmittelbare oder subjektiv vereinnahmende Beziehung zu Dingen und Sachverhalten Raum greift. Unter der Bedingung des marktvermittelten Werts der Dinge und Sachverhalte, ihrer durch das Erfordernis ihrer Austauschbarkeit bestimmten Identität, bedarf der Einzelne jener prototypischen Objektvorstellungen und normativen Verhaltensdirektiven nicht, weil sie ihm ja bereits als ebenso zwingende wie stillschweigende Implikationen des Werts, als die Erwartungen und Ansprüche der anderen, ohne deren Erfüllung die Dinge und Sachverhalte keine als Wert bestimmbare Identität erlangen, entgegentreten. Eben dies macht die Objektivität der wertbestimmten Beziehung, das Moment von wertbildender Arbeit in ihr aus, dass es darum geht, nicht einfach die eigenen Bedürfnisse an Dingen und Sachverhalten zu befriedigen, sondern erst einmal die den Bedürfnissen anderer entsprechenden Erwartungen und Ansprüche in den Dingen und Sachverhalten zum Tragen zu bringen und Geltung erlangen zu lassen, um dann durch den per kommerziellen Austausch geführten Nachweis, dass dies vollbracht ist und also die durch wertbildende Arbeit zugerichteten Dinge den Erwartungen und Ansprüchen der anderen entsprechen und deshalb ihrerseits einen Anspruch auf äquivalente, von den anderen zugerichtete und den eigenen Erwartungen und Ansprüchen genügende Dinge und Sachverhalte begründen, Zugang zu letzteren zu gewinnen.
In der Sphäre des Marktes also und der ihm zuarbeitenden gesellschaftlichen Produktion erübrigt sich die kultische Dekretierung prototypischer Wahrnehmungsmodelle und normativer Verhaltensmuster, weil diese Modelle und Muster je schon in den Erwartungen und Ansprüchen der anderen vorausgesetzt und gegeben sind und sich dank des kommerziellen Austauschmechanismus als allgemeine Vorstellungen und verbindliche Vorgaben zur Geltung bringen können. Als wichtig und in der Tat nötig erweisen sich diese kultisch sanktionierten Wahrnehmungsmodelle und Verhaltensmuster erst in der Privatsphäre und der dort stattfindenden persönlichen Konsumtion, weil da der aus dem Markt ausgeschiedene Einzelne gegenüber den Dingen und Sachverhalten seine Triebregungen und Bedürfnisse ohne Rücksicht auf die anderen und ohne die per Austauscherfordernis von Seiten der anderen über ihn ausgeübte Kontrolle wirksam werden lassen kann und sich daraus die oben geschilderte und sowohl die Konsistenz der internen Verhältnisse als auch die Kontinuität der Beziehungen nach draußen bedrohende Gefahr einer idiosynkratischen Partikularisierung allen sozialen Konsenses und privativen Auflösung jeder kulturellen Homogenität ergibt. Dieser Gefahr zu wehren, dient die von der Polis gepflegte kultische Wiederaufnahme der sakralen Archetypen und rituellen Paradigmata in der Rolle von ein Mindestmaß an Allgemeingültigkeit der Wahrnehmung und Verbindlichkeit des Verhaltens sichernden prototypischen Mustern und normativen Modellen.
Jetzt aber, da der Platonismus mit seinem politischen Reformprogramm eine gesellschaftliche Reproduktion ohne Marktmechanismus propagiert, will er diese kultisch sanktionierten Wahrnehmungsmodelle und Verhaltensmuster über das Privatleben und die in ihm stattfindende Konsumtion hinaus auch auf die arbeitsteilige Kooperative und die von ihr betriebene Produktion ausgedehnt und in ihr unmittelbar zur Geltung gebracht wissen. Weil der Markt mit seinem kommerziellen Austauscherfordernis nach dem Willen des platonischen Reformprogramms entfällt, entfallen natürlich ebenso die mittels der Erwartungen und Ansprüche der anderen vorgetragenen und die Wahrnehmung und das Handeln der produzierenden Einzelnen bestimmenden beziehungsweise regulierenden Objektvorstellungen und Verhaltensweisen, und insofern ist es durchaus konsequent, dass der Platonismus das Fehlen dieser Bestimmungsgründe der Wahrnehmung und Regulative des Verhaltens dadurch zu kompensieren sucht, dass er auf jene Sphäre des Privatlebens und Konsums rekurriert, in der letztere als kultisch sanktionierte Wahrnehmungsmodelle und Verhaltensmuster das konsumierende Subjekt unmittelbar zu beeinflussen und zu orientieren dienen, um sie von dort auf den Produktionsbereich zu übertragen und nun ebenso unmittelbar auch das produzierende Subjekt in seinen Vorstellungen und seinen Handlungen durch sie determinieren und dirigieren zu lassen.
Dabei soll das Wörtchen ,,unmittelbar" der Tatsache Rechnung tragen, dass jene Modelle und Muster natürlich auf indirekte Weise auch schon dort, wo sich die arbeitsteilige Kooperative die Distribution ihres gesellschaftlichen Produkts durch den Marktmechanismus vermitteln lässt, auf den produzierenden Einzelnen einwirken und ihn in seiner Wahrnehmung und seinem Verhalten bestimmen. Schließlich ist dieser produzierende Einzelne ja zu anderen Zeiten und in anderer Funktion ebenso wohl konsumierender Einzelner und unterliegt als solcher dem Einfluss und der Suggestion jener im sozialen Umgang und kulturellen Leben außerhalb des Marktes kultisch sanktionierten prototypischen Objekte und normativen Sachverhalte. Und dieser kultische beziehungsweise rituelle Einfluss, dem er als Konsument unterliegt, bedeutet schließlich nichts anderes, als dass die Erwartungen und Ansprüche, mit denen er zu Markte geht, von jenen kultisch bekräftigten prototypischen Objektvorstellungen und normativen Sachverhalten durchdrungen und bestimmt sind.
So gewiss der Einzelne als produzierender auf die Erwartungen und Ansprüche, mit denen seine Austauschpartner auf den Markt kommen, Rücksicht nehmen und sie ins Kalkül des möglichen Austauschs ziehen, sprich, sie in actu seiner Produktion erfüllen muss, so gewiss sind die diese Erwartungen und Ansprüche bestimmenden kultisch bekräftigten Objektvorstellungen und Sachverhalte demnach auch für ihn nicht nur als konsumierenden, sondern ebenso wohl als produzierenden maßgebend. Nur dass unter Bedingungen des als Marktmechanismus funktionierenden kommerziellen Austauschverfahrens jene in den konsumtiven Erwartungen und Ansprüchen der anderen kraft kultischer Bestimmung implizierten Objektvorstellungen und Sachverhalte auf den produzierenden Einzelnen nur vermittelt, nämlich modifiziert oder jedenfalls moduliert durch die mit ihm in Austausch tretenden anderen und deren private Triebnatur oder idiosynkratische Interessen, einwirken, während sie nun, nach dem vom Platonismus verfügten Wegfall des kommerziellen Austauschprozesses, dem produzierenden Einzelnen unmittelbar, als ihm kategorisch diktierte Anweisungen, als interesselos stereotype Determinationen seiner Wahrnehmung und seines Verhaltens aufstoßen sollen.
In der Tat ist dies die entscheidende Implikation der vom Platonismus projektierten Übertragung oder Ausdehnung des Geltungsbereichs der kultisch beschworenen prototypischen Objekte und normativen Verhaltensweisen vom konsumtiven Sozialleben auf das kollektive Arbeitsleben, dass letztere sich für den in arbeitsteiliger Kooperation befassten Einzelnen als allgemeingültig und verbindlich nicht mehr per medium oder modum des sozialen Austauschprozesses der empirischen Subjekte mit ihrem Wollen und Meinen, sondern durchaus per actum und decretum einer jeden sozialen Austauschprozess antizipierenden und das Wollen und Meinen der empirischen Subjekte transzendentalistisch definierenden unmittelbaren Evidenz oder Bewusstseinspräsenz erweisen.
Und während so die in Wahrnehmungsmodelle und Verhaltensmuster des polisinternen Lebens umgewandelten Archetypen und Paradigmata der territorialherrschaftlich-götterkultlichen Religion nach dem Willen des Platonismus ebenso sehr eine andere Form des Einwirkens auf die Subjekte annehmen wie ihren sozialen Geltungsbereich erweitern und nämlich zu allgegenwärtigen, den produktiven ebenso wie den konsumtiven Bereich, kurz, das ganze politisch-ökonomische Leben unmittelbar bestimmenden prototypischen Objekten und normativen Sachverhalten werden, sollen sie gleichzeitig ihre religiöse Einbettung, ihre Fundierung in den zu Galionsfiguren der Polis umfunktionierten Göttern und in deren zu Selbstvergewisserungsveranstaltungen der Polis umgerüsteten Kulten einbüßen.
Und das, wie gesagt, mit Grund! Weil nach ihren volksherrschaftlich-hegemonialen Exzessen und dem zum Peloponnesischen Krieg ausgedehnten Schiffbruch, den sie dabei erleidet, die Polis als reine Handelsstadt, als ein seine Existenz wesentlich auf den kommerziellen Austausch gründendes Gemeinwesen, dasteht und allen ihrer ursprünglich amphibolischen Verfassung beziehungsweise dem aristokratischen Element dieser Verfassung entspringenden nichtkommerziell-territorialherrschaft- lichen Reichtum ein für alle Mal hinter sich gelassen hat, sind in der Tat ja die, wie oben dargestellt, zur Bewältigung und Integration jenes territorialherrschaftlichen Reichtums und zur Beseitigung des Konfliktstoffs und Störfaktors, den er potenziell darstellt, unternommenen Anstrengungen zur Umfunktionierung der traditionellen Götter in Garantiemächte der Handelsstadt und Umrüstung ihrer überkommenen Kulte objektiv überflüssig und scheint insofern nur konsequent, dass der Platonismus den Verzicht auf jene götterkultlichen Veranstaltungen propagiert und die bis dahin mit kultischen Mitteln beschworenen Wahrnehmungsmodelle und Verhaltensmuster, die er weiterhin braucht, um der kollektiven Wahrnehmung die Allgemeingültigkeit und dem gemeinschaftlichen Verhalten die Verbindlichkeit zu sichern, und deren Geltungsbereich und Wirkungsform er sogar erweitert und intensiviert, nunmehr ohne göttlichen Rückhalt und kultisches Brimborium, quasi als selbstredende beziehungsweise sich von selbst verstehende Prototypen und Normen ins Spiel zu bringen sucht.
Von daher betrachtet und auf den ersten Blick gesehen könnte, was der Platonismus tut, einfach nur als am Platze seiende Säkularisierung und Ästhetisierung erscheinen. Es könnte mit anderen Worten scheinen, als befreie der Platonismus jene konsensuellen Objektmodelle und habituellen Aktionsmuster einfach nur von ihrer obsolet gewordenen Einbettung in die Sphäre religiöser Fundierung oder götterkultlicher Sanktionierung und lasse sie erstmals als die empirische Wahrnehmung regulativ determinierende menscheneigene Kodifizierungen und das profane Verhalten normativ dirigierende gesellschaftsspezifische Orientierungen, kurz, als ästhetische Phänomene sans phrase, Geltung gewinnen. Dem widerstreitet freilich diametral, dass der Platonismus selbst von einem ästhetischen Verständnis der von ihm unter dem Gattungsnamen Idee propagierten Wahrnehmungsmodelle und Verhaltensmuster so wenig etwas wissen will, dass er sogar explizit die bildenden Künste und die Dichtung aus dem Gemeinwesen verbannt sehen möchte und einzig der Musik eine rein pädagogisch-therapeutisch gefasste Rolle in der Gemeinschaft zuzugestehen bereit ist. Und in der Tat ist, schaut man genauer hin, was der Platonismus qua Ideen zur Geltung zu bringen strebt, von der in den kultischen Rahmen eingepassten ästhetischen Funktion, die die Modelle und Muster vorher hatten, denkbar weit entfernt.
Als auf den Bereich des konsumtiven Soziallebens beschränkte sollen die von der Polis im Rahmen eines umgerüsteten Kultbetriebes beschworenen Modelle und Muster zwar die Subjekte zur Ordnung relativer Allgemeingültigkeit und Verbindlichkeit rufen und ihre Wahrnehmung der Dinge und ihr gesellschaftliches Verhalten vor idiosynkratischer Partikularisierung und privativer Auflösung bewahren, aber sie sind weit entfernt davon, das leisten zu sollen, was der Platonismus ihnen abfordert, indem er sie auf die Sphäre des produktiven Arbeitslebens ausdehnt – weit entfernt mit anderen Worten von der ihnen nunmehr zugemuteten Aufgabe einer Fixierung der Objektivität selbst und als solcher, einer aller Wahrnehmung und allem Verhalten vorausgehenden Stereotypisierung der wahrzunehmenden Dinge und Kodifizierung der verhaltensrelevanten Sachverhalte.
Solange die Modelle und Muster sich in ihrem Geltungsanspruch auf das konsumtive Sozialleben beschränken, bleiben sie vermittelt durch die Subjekte und deren biologisch-historische Triebstruktur beziehungsweise biographisch-charakterologische Bedürfnislage und wirken nur in dieser, durch den kommerziellen Austausch und seine Institution, den Markt, zum Tragen gebrachten Vermitteltheit ein auf die durch menschliches Tun und Machen, durch die menschliche Handlung und Arbeit geschaffene Objektivität und ins Werk gesetzte Realität. Das heißt, sie sind zwar maßgebend für die Dinge und richtungsweisend für die Sachverhalte, aber doch immer nur als mit den menschlichen Besonderheiten und den subjektiven Befindlichkeiten zuvor vereinbarte und diesen insofern einen gewissen Spielraum lassende, ein bestimmtes Maß an Einfluss konzedierende Regulative und Direktiven.
Jetzt aber, da nach dem Willen des Platonismus der Markt entfällt und die durch ihn hindurch auf die Gestaltung der dinglichen Welt und die Einrichtung gesellschaftlicher Verhältnisse einwirkende Subjektvermitteltheit und biologisch-biographische Moduliertheit jener der Wahrnehmung und dem Verhalten Orientierung und Halt verleihenden Modelle und Muster ebenfalls obsolet werden, sollen die letzteren, damit sie ihre normative Allgemeingültigkeit und kommunikative Verbindlichkeit behalten, als unvermittelt solche und mit kategorischer Kompromisslosigkeit den technischen Umgang mit der Welt und den praktischen gesellschaftlichen Verkehr, sprich, das Verhältnis zu den Dingen und das Verhalten untereinander, bestimmen und prägen. Was dem Einzelnen bis dahin unter Bedingungen einer kommerziellen Austausch übenden Gesellschaft durch die Objektvorstellungen und intersubjektiven Erwartungshaltungen der anderen als seine Arbeit und sein Handeln disponierende technische Regulative und praktische Direktiven nahegelegt beziehungsweise aufgezwungen wird, das soll ihm jetzt als im eigenen Geist unmittelbar gegebene und diesem höchstens und nur maieutisch in Erinnerung gerufene theoretische Kategorien oder ursprüngliche Ideen vorgeschrieben und verordnet sein.
Tatsächlich verlieren als platonische Ideen die von der Polis kultisch übernommenen und in ästhetische Wahrnehmungsmodelle und Verhaltensmuster umgedeuteten Archetypen und Paradigmata allen ihnen dadurch vindizierten und auf das konsumtive Sozialleben beschränkten regulativen Charakter und normativen Sinn und werden zu auch und wesentlich für das produktive Arbeitsleben Geltung beanspruchenden Konstitutiva des irdischen Lebens als solchen und Determinanten der menschlichen Erfahrung überhaupt. Sie hören auf, ästhetisch vorbildliche, die Empirie und das Verhalten zu ihr bestimmende Konstrukte zu sein, und werden zu metaphysisch urbildlichen, die Physis und den Umgang mit ihr prägenden Strukturen. Sie sind keine Wahrnehmungsmodelle mehr, sondern Erzeugungskategorien, sind keine das Verhältnis zur Realität leitenden Prototypen und Normen mehr, sondern die Realität selbst setzende Matrizen oder Gießformen. Wenn man so will, werden sie wieder zu den im Rahmen der traditionellen territorialen Kulte beschworenen heroischen Originalen beziehungsweise göttlichen Ur-Sachen, nur dass sie als Ideen oder Urbilder jetzt auf keine heroischen Schöpfer oder göttlichen Urheber mehr verweisen, sprich, nicht mehr theologisch begründet, sondern grundlos metaphysisch sein sollen.
Und dass sie nun nach dem Willen des Platonismus der theologischen Begründung entraten und vielmehr als metaphysisch hintergrundslose Gegebenheiten firmieren, wirkt bei genauerem Hinsehen nur konsequent, da sie ja dank der beschriebenen, von der Polis geleisteten Umfunktionierung der Götter und Umrüstung ihrer Kulte als durch die letzteren begründete und sanktionierte Phänomene in ihrer Geltung auf den Bereich des konsumtiven Soziallebens eingeschränkt und darin auf bloß regulative Modell- und normative Musterfunktionen reduziert sind und also für die ihnen vom Platonismus zugedachte neue Aufgabe von das kollektive Arbeitsleben und durch es hindurch das ganze menschliche Dasein und seine Objektwelt prägenden Matrizen und Gießformen schlechterdings nicht mehr taugen. So gewiss die von der Polis in ästhetische Wahrnehmungsmodelle und Verhaltensmuster umgewandelten traditionellen Archetypen und Paradigmata jetzt als Ideen und Urbilder wieder eine die materiale Objektivität und den sozialen Umgang mit und in ihr in toto determinierende konstitutive Bedeutung und urtümliche Stereotypie, kurz, eine die Physis und Empirie durch und durch prägende metaphysisch-kategorische Buchstäblichkeit gewinnen sollen, so gewiss ist für die auf eben jene Modellgebung und Musterbildung zugeschnittenen Götter und ihre entsprechend revidierten Kulte kein Platz mehr und nichts mehr mit ihnen anzufangen.
Es ist also – entgegen unserer obigen These vom Realismus der sokratisch-platonischen Philosophie – keineswegs nur und nicht einmal primär die Einsicht in den historischen Stand einer um ihre aristokratisch-territoriale Komponente gekürzten und auf das Paradigma kommerziellen Reichtums reduzierten Polis, was den Platonismus zur religionskritischen Absage an die Götter und ihre Mythen und Kulte disponiert, sondern die innere Logik des platonischen Reformprogramms selbst. Eine heroische Urheberschaft oder göttliche Begründung der Ideen und Urbilder implizierte bei aller übermenschlichen Qualität der ins Treffen geführten heroischen Urheber oder göttlichen Stifter noch zuviel subjektive Entscheidungsbefugnis und autorschaftliche Verfügungsgewalt und würde der voraussetzungslosen Gegebenheit und kategorischen Unbedingtheit, die der Platonismus jenen Ideen und Urbildern vindizieren und durch die er ihnen absolute Geltung und eine das menschliche Dasein durch und durch determinierende Prägekraft verleihen möchte, nicht gerecht.
Zwar müssen auch die Ideen, weil sie nicht unmittelbar manifest, nicht empirisch in Geltung sind (wären sie das, bedürfte es ja keines sokratisch-platonischen Reformprogramms, brauchte es keine Sanierung der Polis!), sondern nur erst latent vorhanden, nur erst Geltung beanspruchend sind – zwar müssen deshalb auch sie beschworen und zur Erscheinung gebracht werden, aber nicht durch Rekurs auf die Götter, nicht kultisch, sondern bloß anamnestisch, durch die Intervention des platonischen Philosophen selbst. Weil die Ideen metaphysisch voraussetzungslose Prinzipien, von sich aus bestehende Kategorien und Wesenheiten, und keine ästhetisch gesetzten Normen, von den Göttern geschaffenen Modelle und Verhaltensweisen mehr sein sollen, bedarf es, um sie zur Geltung zu bringen, auch keiner ätiologischen Herleitung, keines Rückgriffs auf die als Schöpfer und Urheber firmierenden Götter mehr, sondern allein noch einer maieutischen Hilfestellung, eines Eingriffs des als Wegweiser oder Geburtshelfer funktionierenden philosophischen Menschen, des platonischen Weisen.
So also will die von der sokratischen Kritik in die Wege geleitete platonische Dogmatik das handelsstädtische Gemeinwesen durch die Idee sanieren und seinem dem kommerziellen Zugleich der Bildung von Reichtum und der Entstehung von Armut geschuldeten und nolens volens in sozialen Verwerfungen und politischen Konfrontationen resultierenden Zerrüttungszustand entreißen – dadurch mit anderen Worten, dass er den als für den desolaten Zustand der Polis verantwortlich erkannten kommerziellen Austausch aus der Stadt verbannt, das Gemeinwesen auf ein in Selbstversorgung sich erschöpfendes arbeitsteilig-kooperatives Kollektiv reduziert und die bislang direkt oder indirekt mittels des kommerziellen Austauschs garantierte Kollektivität oder Allgemeingültigkeit der Wahrnehmung und Kommunalität oder Verbindlichkeit des Verhaltens der als maieutische Hilfestellung verstandenen ebenso umfassenden wie unmittelbaren Indoktrination des Gemeinwesens durch den Philosophenkönig oder Weisen überlässt.
Weil damit aber die im kommerziellen Austausch implizierte Vermittlung der normativen Objektvorstellungen und prototypischen Verhaltensweisen durch die subjektiven Bedürfnisse und persönlichen Erwartungshaltungen der Austauschenden entfällt und der marktbestimmte soziale Prozess in einer ideenfixierten kommunalen nature morte zum Erliegen gebracht wird, ist nolens volens Ergebnis des platonischen Reformprogramms jenes Schreckensbild vom arbeitsteilig festgefügten Ameisenstaat oder geschichtslos immerwährenden Zwangsarbeitslager, das in der Folge alle radikalen politischen Reformer fasziniert und zu immer neuen, durch ihre Wirklichkeitsferne glücklicherweise sich selber ad absurdum führenden Utopien inspiriert hat.
Kein Wunder jedenfalls, dass die wie zwar ihre Armut, so aber eben auch ihren Reichtum auf den Kommerz gründende Bürgerschaft der Polis in ihrer überwiegenden Mehrheit diesem Reformvorhaben ablehnend gegenübersteht, der darin implizierten Absage an die götterkultlich-ästhetische Sanktionierung regulativ-allgemeingültiger Wahrnehmungsmodelle und normativ-verbindlicher Verhaltensmuster zugunsten einer wesenskultlich-metaphysischen Etablierung absolut-bestimmender Ideen und kategorisch-prägender Urformen die Gefolgschaft verweigert und derart entschlossen ist, diesen Reformbestrebungen von Anfang an einen Riegel vorzuschieben, dass sie notfalls, wie das Beispiel des wegen Frevels gegen die Götter hingerichteten Sokrates zeigt, mit öffentlicher Macht und staatlicher Gewalt für die Aufrechterhaltung jener götterkultlich-ästhetischen Begründung der in der Polis für konzeptionellen Konsens und habituellen Einklang sorgenden Objektvorstellungen und Verhaltensweisen sorgt.
Den Römern gelingt im Unterschied zu den Athenern eine mittels Pietas-Konzept vollständige Integration des territorialen Reichtums in die Stadt. Allerdings kommt es hierbei zu einer Verdrängung des transaktiv-kommerziellen Charakters der städtischen Gemeinschaft durch deren Verwandlung in ein exktraktiv-imperiales Kollektiv. Das auch ihr und wegen der konsumtiven Fülle, die ihre Extraktionspolitik in die Stadt spült, sogar verschärft sich stellende Problem, ein Mindestmaß an Allgemeingültigkeit der Wahrnehmung und Verbindlichkeit des Verhaltens zu gewährleisten, löst mangels eigener Ressourcen die römische Urbs durch den Rückgriff auf das der griechischen Polis verfügbare Repertoire an Wahrnehmungsmodellen und Verhaltensmustern. Allerdings sind die Modelle und Muster mangels kultischer Sanktion und ritueller Funktion jetzt rein ästhetisch, haben damit keinen monumentalen, sondern nurmehr einen ornamentalen Sinn und erliegen als nicht mehr modellbildend, sondern höchstens noch modemachend dem selbstzerstörerischen Konsum des neronischen Imperiums.
Der Vorwurf mangelnden Realitätssinns und reaktionärer Verblendung trifft dabei freilich, wie der historische Fortgang zeigt, auch bereits sie, die gegen die platonisch-metaphysischen Neuerer auf der religiös-ästhetischen Tradition beharrende Polis selbst, und ihr Festhalten am Erprobten erweist sich letztlich als ebenso illusorisch wie das platonische Streben nach einer radikalen Reform. Tatsächlich nämlich hat eine andere handelsstädtische Gesellschaft der Antike, die römische, mittlerweile eine Entwicklung vollzogen, die nicht nur das der amphibolischen Konstitution der Handelsstadt entspringende und das Schicksal der griechischen Polisgesellschaft prägende Dilemma zweier divergenter Reichtumsformen, den Konflikt zwischen herrschaftlich-territorialem und handwerklich-kommerziellem Reichtum, überwindet und die zur Bewältigung des Konflikts getroffenen institutionellen und rituellen Maßnahmen weitgehend überflüssig macht, sondern die mehr noch das, was den Konflikt hervorruft, die Einführung territorialen Reichtums in das städtische Gemeinwesen, in ein den kommerziellen Austausch wenn nicht überflüssig werden lassendes, so doch zu einem sekundären Moment beziehungsweise auxiliären Faktor degradierendes Konstitutiv der Stadt, einen für das städtische Leben und in der Tat Überleben unabdingbaren Sachverhalt verwandelt.
Was der römischen Gesellschaft im Unterschied zur griechischen gelingt, ist eine vollständige Integration des territorialen Reichtums der römischen Aristokratie, der landbesitzenden Patrizierfamilien, in den städtischen Kontext, seine unmittelbare Nutzbarmachung für das Gemeinwesen, ohne dass die Patrizier nennenswert Zeit und Raum für die Entfaltung persönlichen sozialen Geltungsbedürfnisses und die Entwicklung privativen politischen Machtstrebens finden. Aus Gründen, die eng mit dem gegen die Macht der Götterreligion von der Aristokratie geltend gemachten Ahnenkult und mit dessen gemeinwohldienlich-affirmativer Zentrierung auf die Stadt als Kultstätte der Ahnen zusammenhängen, 5 sind die Patrizier von vornherein disponiert, den von ihren Gütern stammenden Reichtum vorzugsweise, wo nicht ausschließlich, im Dienste des handelsstädtischen Gemeinwesens zu verwenden und also, der Hauptfunktion gemäß, die sie in letzterem erfüllen, wesentlich und primär für dessen politische Behauptung und militärische Erhaltung einzusetzen.
Dabei bewirkt nun allerdings der Geist dieses rückhaltlosen Engagements für das Gemeinwesen, dass die politische Behauptung eher die Züge einer Entfaltung hegemonialer Macht annimmt und die militärische Erhaltung sich die Form fortschreitender territorialer Expansion gibt. Die Stadt Rom wird mit anderen Worten zum Ausgangs- und Mittelpunkt einer Reichsbildung, in deren Verlauf immer größere und immer entferntere Territorien durch Eroberungs- und Feldzüge dem römischen Herrschaftsgebiet bundesgenossenschaftlich assoziiert oder als geradewegs unterworfene Provinzen einverleibt werden. Könnte diese Reichsbildung anfangs noch den kommerziellen Aktivitäten zugute zu kommen und im Dienste einer Ausweitung der Handelsbeziehungen und Erschließung neuer Märkte zu stehen scheinen, so zeigt sich bald schon, dass sie den kommerziellen Rahmen sprengt und einer anderen, nichtkommerziellen Form der Bereicherung Vorschub leistet. Weil die Behauptung und Verwaltung der Rom assoziierten beziehungsweise von Rom annektierten Gebiete die finanziellen Kräfte der die Expansionspolitik tragenden Patrizier übersteigt, rekurrieren diese in zunehmendem Maße auf Methoden der direkten Ausbeutung und Besteuerung der eroberten Gebiete. Das heißt, sie behandeln die bundesgenossenschaftlichen Territorien und die Provinzen im Prinzip wie ihre eigenen Landgüter und schöpfen den fremden Reichtum mittels militärischer Gewalt und bürokratischem Zwang ab, um ihn in die Erhaltung und weitere Entfaltung ihrer Schöpfung, des Römischen Reiches, zu stecken.
Diese Methode einer nichtkommerziell-extraktiven Aneignung von Reichtum erweist sich als so effektiv und fruchtbar, dass die patrizische Oberschicht imstande ist, gleichzeitig mit ihrem Wirken für das Staatswesen, ihrem Auf- und Ausbau des Imperiums, immense private Reichtümer anzuhäufen und ein immer luxuriöseres Leben zu führen. Die daraus und aus dem innerstädtischen wirtschaftlichen Verfall, mit dem ihre koloniale Ausbeutungspolitik einhergeht, resultierende zunehmende Kluft zwischen Reich und Arm und die durch diese Kluft provozierten sozialen Spannungen und Konflikte sucht sie, da sie ja gleichzeitig die pauperisierten Schichten als Träger ihrer imperialistischen Politik braucht, durch Zuwendungen an ihre jeweiligen plebejischen Klientelen und durch die kostenlose Versorgung der städtischen Volksmasse als ganzer mit Lebensmitteln und Unterhaltungsangeboten, Brot und Spielen, zu überbrücken beziehungsweise zu beschwichtigen.
Das vormals wenn nicht maßgebende, so jedenfalls doch richtungweisende kommerzielle Element des städtischen Gemeinwesens tritt dabei nolens volens in den Hintergrund. Weit entfernt davon, dass es noch als Motiv für die militärisch-bürokratische Expansion in Frage käme, geschweige denn, gebraucht würde, hat sich letztere zu einem eigenständigen Herrschafts- und Beschaffungsinstrument entfaltet und reduziert ersteres auf einen nurmehr für die Distribution des Beuteguts tauglichen Erfüllungsgehilfen.
Anders als in der griechischen Polis spielt also in der Urbs Romana der aus der Beschränktheit einer Frucht aristokratischen Landbesitzes befreite und zu einem Produkt der patrizischen Ausbeutung eines ganzen mittelmeerischen Imperiums universalisierte territoriale Reichtum mitnichten mehr die Rolle des potenziellen Störfaktors eines wesentlich kommerziell strukturierten, durch Marktmechanismen vermittelten Gemeinwesens. Vielmehr firmiert er jetzt als dessen Grundlage, auf der die kommerzielle Funktion mit ihrem Marktsystem höchstens noch als dienstbares Faktotum Verwendung findet.
Was Wunder, dass hier all jene kultischen Veranstaltungen entfallen können, die in der griechischen Polis den als bedrohlicher Fremdkörper erfahrenen territorialen Reichtum unter Kontrolle zu bringen dienen und die, wie gezeigt, sowohl dafür sorgen, dass dieser Reichtum als konfliktträchtiges Mittel für privative Geltungssucht und persönliches Machtstreben ausgeschaltet und dem Gemeinwohl zugewendet wird, als auch sicherstellen, dass es sich hierbei um das Gemeinwohl im Sinne des Wortes handelt und nämlich der Reichtum der Bürgerschaft als ganzer, als politischer Einheit, statt als vielen Einzelnen und verschiedenen Gruppen zugute kommt, und dass darüber hinaus auch nur so viel von dem Reichtum gemeinwohldienlich eingesetzt wird, wie mit der kommerziellen Konstitution der Handelsstadt, ihrer ökonomischen Fundierung im Markt und dem ihm entspringenden kommerziellen Reichtum vereinbar ist, dass mit anderen Worten in einer Art raffiniertem Zirkelschluss sämtlicher dem Gemeinwesen zugewendete territoriale Reichtum, soweit er nicht für die militärische Verteidigung und territoriale Erhaltung der Handelsstadt gebraucht wird, in die kultischen Mechanismen seiner Übereignung an das Gemeinwesen fließt und von ihnen quasi in actu seiner Übereignung aufgezehrt wird.
All das kann, wie gesagt, im römischen Fall entfallen, weil hier der für die Auslösung des territorialen Reichtums aus dem territorialherrschaft- lich-theokratischen Kontext und für seine ungestrafte Überführung in die Stadt verantwortliche Ahnenkult dessen ebenso unmittelbare wie uneingeschränkte gemeinwohldienliche Verwendung garantiert und weil dank dieser Ausgangslage der territoriale Reichtum zu einer positiven Gegebenheit des Gemeinwesens avanciert, die, weit entfernt davon, dem kommerziell-transaktiven Erwerb von Reichtum Konkurrenz zu machen und als Störfaktor aufzustoßen, als eine nichtkommerziell-extraktive Methode der Reichtumsbeschaffung diesen vielmehr kurzerhand ersetzt und auf die Rolle einer bloßen Hilfsfunktion beschränkt.
Solchermaßen durch den patrizischen Ahnenkult und die auf ihm aufbauende imperiale Expansionstendenz zum tragenden Fundament oder zur positiven Substanz des römischen Gemeinwesens erhoben, bedarf der im Zuge der imperialen Expansion aus dem ganzen Mittelmeerraum in die Stadt strömende territoriale Reichtum natürlich keiner kultischen Veranstaltungen nach Art der von der griechischen Polis ausgebildeten, die einer etwaigen, mit ihm verknüpften Schädlichkeit oder Negativität zu wehren dienten. So gewiss der territoriale Reichtum in der römisch-patrizischen Republik und anschließend dann im Römischen Reich den kommerziellen Reichtum definitiv substituiert und so gewiss es ihm mehr noch gelingt, die kommerzielle Funktion sich, dem nunmehr tragenden Fundament des Gemeinwesens, dienstbar zu machen und zu integrieren, so gewiss kann ihn die römische Bürgerschaft – die patrizische Oberschicht als seine primären Nutznießerin und die plebejische Unterschicht als sekundär Begünstigte – ganz ohne liturgische Einschränkungen und kultische Vorkehrungen gelten lassen und genießen.
Ein Problem freilich teilt bei aller Verschiedenheit der ökonomischen Basis und daraus resultierenden Unterschiedlichkeit der religiös-kulti- schen Veranstaltungen beziehungsweise kommunal-kulturellen Einrichtungen die Urbs Romana mit der athenischen Polis: das Problem nämlich eines im konsumtiven Sozialleben, sprich, außerhalb des kommerziellen Austauschsystems, das den in der produktiven Sphäre geschaffenen Reichtum distribuiert, zu gewährleistenden Mindestmaßes an Allgemeingültigkeit der Wahrnehmung und Verbindlichkeit des Verhaltens. Auch wenn im römischen Fall die Produktionstätigkeit sich zunehmend auf den Kriegsdienst reduziert und die Produktionsleistungen immer stärker die Gestalt von Kriegsbeute und kolonialen Zwangsabgaben annehmen, bleibt doch auch hier eine Tatsache, dass die erbeuteten und konfiszierten Güter in dem Augenblick, in dem sie den zu distribuieren bestimmten Markt verlassen und in die Sphäre des privaten Konsums und des durch ihn konstituierten spezifischen Soziallebens überwechseln, ihre als Wert definierte Identität verlieren, ohne anstelle der verlorenen Identität ein heroologisches Paradigma oder einen götterkultlichen Typus aufrufen zu können, der ihrer Wahrnehmung beziehungsweise dem Verhalten ihnen gegenüber die nötige konsensuelle Uniformität beziehungsweise konventionelle Stereotypie zu sichern vermöchte, und dass also der idiosynkratischen Wahrnehmung beziehungsweise dem privaten Gebrauch dieser Güter durch die einzelnen Subjekte im Prinzip Tür und Tor geöffnet sind.
Und das Problem erscheint im römischen Fall sogar verschärft, weil die zum Konstitutiv des römischen Gemeinwesens erhobene nichtkommer- ziell-extraktive Aneignung von Reichtum, der die kommerzielle Funktion nurmehr als Erfüllungsgehilfe und Distributionsmechanismus dient und zuarbeitet, sprich, die Degradierung des ganzen Mittelmeerraums zum kolonialen Ausbeutungsobjekt, im quantitativen wie im qualitativen Sinn eine ungeheure Amassierung und Hypertrophierung des in die Stadt strömenden Reichtums zur Folge hat. Sowohl was die Masse, als auch was die Vielgestaltigkeit der Güter und Verhaltensweisen angeht, die in die Stadt fließen und für die Bürger verfügbar und genießbar werden, kann die Reichtum auf kommerziellem Weg akquirierende griechische Polis der den Reichtum mit nichtkommerziellen Mitteln extrahierenden römischen Urbs nicht annähernd das Wasser reichen, und entsprechend größer als für die Bürger der Polis ist denn auch für die römischen Bürger die Versuchung und Gefahr, sich durch den massierten Luxus und die vielfältigen Befriedigungsformen den objektiven Konsens der Wahrnehmung und den kollektiven Einklang der Verhaltensweisen verschlagen und sich zu einem ebenso triebhaft-konsumtiven wie asozial-privativen Umgang mit der Welt, einer ebenso partikularen wie exzessiven Lebensführung hinreißen zu lassen.
Die Griechen lösen, wie gezeigt, das Problem der durch die Aufspaltung der Gesellschaft in öffentliches Marktsystem und soziale Konsumsphäre der letzteren drohenden Gefahr der Partikularisierung und Auflösung und sichern ihr ein Mindestmaß an konsensueller Allgemeingültigkeit der Objekte und kommunaler Verbindlichkeit des Verhaltens dadurch, dass sie den zwecks Umwidmung und gemeinwohldienlicher Verwendung beziehungsweise systemaffirmativer Verschwendung des nichtkommerziell-territorialen Reichtums aufwendig und in revidierter Form wiederaufgenommenen religiösen Ritualen und kultischen Veranstaltungen die Zusatzfunktion einer Evokation und Bekräftigung der alten, durch Heroen- und Götterkulte kreierten und sanktionierten archetypischen Objekte und paradigmatischen Haltungen in der Bedeutung regulativer Wahrnehmungsmodelle und normativer Verhaltensmuster aufbürden.
Das aber können die Römer nicht aus eigener Kraft, und zwar aus dem gedoppelten Grund, weil sie territorialen Reichtum als von Haus des Ahnenkults aus gemeinwohldienliches Positivum zur Geltung bringen, das keiner weiteren rituellen Beschwörung und kultischen Bekräftigung bedarf, und weil sie durch die Erhebung des Ahnenkults zum Legitimationsinstrument der innerstädtischen beziehungsweise stadtdienlichen Verwendung territorialen Reichtums sich den Rückgriff auf die als konkurrierende Veranstaltungen durch den Ahnenkult verdrängten Heroen- und Götterkulte ohnehin verbaut haben. Und der Ahnenkult wiederum stellt archetypische Objekte und paradigmatische Verhaltensformen nicht zur Verfügung, weil er konsensuelle Allgemeingültigkeit und kommunale Verbindlichkeit nicht rituell, nicht durch eidetische Kulte und dogmatisches Ethos, sondern konventionell, durch praktische Bräuche und empirischen Usus, bewirkt. Eben dieses Brauchtum, dieser Usus aber findet sich nun durch den Ansturm des kolonialen Reichtums über den Haufen geworfen, und jeden habituellen Rückhalts und kulturellen Gegenmittels beraubt, erleben die Römer die ihrem kommunalen Leben drohende Partikularisierung und Auflösung als zugespitzt und verschärft zur schieren Desorientierung und heillosen Verwirrung.
In dieser Notlage aber rekurrieren sie nun mangels eigener archetypisch-kultischer Identifizierungsmittel und paradigmatisch-ritueller Orientierungshilfen auf das den Griechen verfügbare religiöse Repertoire und übernehmen in einem gewaltigen Prozess kultureller Anleihe und Anpassung all die kultisch kodifizierten Objektvorstellungen und rituell sanktionierten Einstellungen, all die von der Polis ausgebildeten Wahrnehmungsmodelle und Verhaltensmuster, die ihnen als Bollwerk gegen die drohende Desorientierung und Verwirrung ihre eigene Tradition nicht zur Verfügung stellt. Diese von den Griechen zur Homogenisierung oder Konsensualisierung der Wahrnehmung geschaffenen Kultobjekte und zur Stereotypisierung oder Kommunalisierung des Verhaltens ausgebildeten kulturellen Umgangsformen werden von den Römern adaptiert, ohne dass allerdings der quasireligiöse kultische Rahmen und rituelle Hintergrund mit übernommen würde. An ihm haben die Römer ja ebenso wenig Bedarf wie an der als Bewältigung beziehungsweise Beseitigung des Störfaktors territorialer Reichtum firmierenden politisch-ökonomischen Funktion, die bei den Griechen die aufrechterhaltenen beziehungsweise wiederaufgenommenen Götterkulte und rituellen Veranstaltungen erfüllen.
Ihres religiösen Kontextes entkleidet, interessieren die von den Griechen übernommenen Kultobjekte und Verhaltensweisen, Vorstellungen und Einstellungen die Römer in der Tat nur ästhetisch, nur als die – Allgemeingültigkeit beschwörenden – Wahrnehmungsmodelle und die – Verbindlichkeit gewährleistenden – Verhaltensmuster, die sekundär zu begründen und zu sanktionieren, die Griechen ihre primär zur Bewältigung des störfaktorellen territorialen Reichtums eingesetzten Kulte und Rituale nutzen. Was für die Griechen ein wie sehr auch willkommener Nebeneffekt der um einer politisch-ökonomischen Problemlösung willen in revidierter Form fortgesetzten religiösen Tradition, ist für die Römer die Hauptsache oder vielmehr der ausschließliche Zweck: Ihnen geht es, wenn sie die ästhetischen Darstellungsformen und Verhaltensweisen der Griechen übernehmen, nicht um deren kultischen Kontext und rituellen Rahmen, sondern einzig und allein um sie selbst beziehungsweise ihre regulative Funktion und normative Wirkung, mit anderen Worten darum, sie in der ihnen bereits von den Griechen zugewiesenen modellbildenden Eigenschaft oder Mustergültigkeit als konsensuelles Bollwerk und kommunales Abwehrmittel gegen die durch den Überfluss und Luxus, der in die Stadt strömt, gleichermaßen initiierte und angeheizte idiosynkratische Zersplitterung des empirischen Bewusstseins und privative Auflösung der gemeinsinnigen Praxis in Anspruch zu nehmen.
Freilich ergibt sich hier ein gravierendes Problem, das diese Inanspruch- nahme entschieden handikapt. Die rein ästhetische, will heißen, um ihre kultische Fundierung oder rituelle Sanktionierung gebrachte Überhöhung der Wirklichkeit um deren regulativer Kodifizierung beziehungsweise normativer Stereotypisierung willen erweist sich als nicht im Entferntesten allgemeingültig und verbindlich genug, um dem empirischen Ansturm dieser Wirklichkeit gewachsen zu sein. Die ihres religiösen Rückhalts beraubten und als rein ästhetische Anschauungsformen beziehungsweise Attitüden adoptierten Wahrnehmungsmodelle und Verhaltensmuster sind mit anderen Worten außerstande, die erdrückende Masse und umwerfende Vielfalt der Sinnesregungen und Triebreize, die diese über die Stadt als gewaltiger Waren- und Dienstleistungsstrom hereinbrechende Wirklichkeit bei den einzelnen Bürgern, und zumal bei denen der vorzugsweise begünstigten patrizischen Oberschicht, weckt und entfacht, ernstlich zu schematisieren und zu disziplinieren, kategorial zu bändigen und real zu beschränken. Weil die rein ästhetisch genutzten, auf bloße Modelle für die Empirie und Muster für die Praxis beschränkten kultischen Objekte und rituellen Verhaltensweisen keine monumentale Bedeutung mehr besitzen, sondern nur noch einen ornamentalen Sinn beanspruchen können, weil sie nicht mehr mythologisch mahnen, an eine archetypisch einstige Wirklichkeit erinnern, sondern nur noch phänomenologisch spiegeln, die als Präsens gegebene Wirklichkeit reflektieren, können sie diesem empirischen Präsens und praktischen Dasein auch keinen ernsthaften Widerstand mehr entgegensetzen, können sie die Wirklichkeit so, wie sie ist oder vielmehr unaufhaltsam wird und sich hypertroph entfaltet, auch nicht mehr in Bann schlagen, ihr keinen Einhalt mehr gebieten, sondern bleibt ihre Wirkung darauf beschränkt, diese eskalierende Empirie immer wieder durch ihre Abbildung, ihre ästhetische Fassung, aufzufangen und für kurze Zeit zur Besinnung kommen zu lassen, diese rasende Praxis immer wieder durch ihre ästhetische Kodifizierung, ihre quasirituelle Normierung sich selbst vor Augen zu stellen und für kurze Zeit in der Selbstanschauung zu fixieren.
Die frei von religiösen Bindungen, rein ästhetisch beschworenen Kultobjekte und rituellen Formen sind nicht mehr modellbildend, sondern nur noch modemachend, nicht mehr mustergültig, sondern nur noch trendsetzend; die Wirklichkeit eines in imperialen Dimensionen sich entfaltenden haltlosen Konsums treibt sie ständig über sich hinaus und unterwirft sie einer unaufhörlichen Mimikry, kraft deren sie eben dem sich anverwandeln, was sie dem Wandel entheben sollen, eben das nur beschreiben und kommentieren, was sie zu bestimmen und zu determinieren gedacht sind.
Gleichermaßen Gipfelpunkt und Sinnbild dieser Ästhetik, die als Mode begleitet, wogegen sie sich als Modell verwahren, und die als Trend bloß wiederholt, was sie als Muster bannen soll, ist der im Angesicht des von ihm in Brand gesteckten Rom den Untergang Trojas besingende Nero, der die Wirklichkeit mörderisch inszeniert, um sie ästhetisch reproduzieren zu können, und dem also Wahrnehmungsmodell und Verhaltensmuster so sehr zum bloßen Konterfei und Spiegel der konsumtiv entfesselten und um jeden Halt gebrachten Wirklichkeit geworden sind, dass ihm beide als austauschbar beziehungsweise deckungsgleich erscheinen und die Empirie in eben dem Maße zur Exemplifizierung des Paradigmas taugt, wie umgekehrt das Paradigma sich als die vorbehaltlos einfache Probe aufs Exempel der Empirie erweist.
Fußnoten
- ... andernorts4
- Siehe Reichtum und Religion, Zweites Buch: Die Herrschaft des Wesens, Bd. 2: Die Polis, Kap. 2, Freiburg 1998.
- ... zusammenhängen,5
- Siehe Reichtum und Religion, Zweites Buch: Die Herrschaft des Wesens, Dritter Band: Der Konkurs der Alten Welt, Kap. 2, Freiburg 2001.