III. Moderne
Zur Kolportage sinkt das Genrebild in dem Augenblick herab, in dem an seine Stelle das genialische Kunstwerk tritt. Dessen Subjektivismus beziehungsweise Impressionismus ist Reaktion auf die Entstehung des modernen Bewusstseins, das wiederum Frucht der Totalisierung des kapitalen Verwertungsprozesses ist, der das genrebildliche Insistieren auf einer dem Prozess entzogenen stabilen Wirklichkeit nicht mehr zulässt und eine Konversion des Bewusstseins erzwingt. An die Stelle des konservativen Bedürfnisses nach Stabilität und Kontinuität und der es reaffirmierenden Modellbildung und Mustergültigkeit tritt die progressive Lust an Abwechslung und Unterhaltung und einem sie befriedigenden Modemachen und Trendsetzen.
Die im Stillleben gipfelnde genrebildliche Tradition der neuzeitlichen Ästhetik währt gut zwei Jahrhunderte, bis sie um die Wende vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert abbricht oder, besser gesagt, eine entscheidende Brechung erfährt. Sie dauert nämlich zwar fort, und dies bis in die Jetztzeit hinein, aber nicht mehr als Hauptstrang der ästhetischen Entwicklung, als Kunst auf der Höhe ihres Schaffens beziehungsweise im Stande des größten Avancements, sondern herabgesunken zur Kolportage und zur Innendekoration, zu einem mit rührenden Familienszenen, röhrenden Hirschen und Blumenstücken hausieren gehenden bürgerlichen Ausstattungsdekor beziehungsweise kleinbürgerlichen Haus- und Salonschmuck. In ihrem progressiven, Anspruch auf Modellbildung und Mustergültigkeit erhebenden Strang, als Kunst im weniger gewohnheitsmäßig-gebrauchsgegenständlichen als maßgebend-gegenstandsbestimmenden Sinne, macht die Malerei hingegen eine Wandlung durch, in deren Konsequenz an die Stelle des Realismus und der Detailtreue des Genrebilds der Subjektivismus und der Erfindungsgeist des genialischen Kunstwerks tritt. Nicht mehr dem Objekt, wie es sich dem Auge zeigt, wie es dem Subjekt begegnet, gilt das Interesse der künstlerischen Darstellung, sondern das Objekt, wie es sich im Auge spiegelt, wie das Subjekt es auffasst, rückt ins Zentrum der darstellerischen Bemühungen. Und nicht mehr um die möglichst adäquate Präsentation, die ebenso detaillierte wie sachgemäße Wiedergabe des wahrgenommenen Objekts ist es dem Künstler zu tun, sondern was er mit zunehmender Ausschließlichkeit anstrebt, ist eine möglichst authentische Repräsentation der Objektwahrnehmung selbst, deren ebenso evokative wie lebendige Vergegenwärtigung.
Auf den ersten Blick scheint dieser Wechsel gleichermaßen des Fokus der Darstellung und der Wiedergabetechnik, diese Verschiebung vom sächlichen Objekt zur persönlichen Sichtweise und von der detaillierten Reproduktion zur involvierten Repräsentation auch eine Veränderung des Zwecks der Veranstaltung, der mit der ästhetischen Tätigkeit und dem ästhetischen Genuss verknüpften Absicht und verbundenen Aspiration, sprich, eine Abkehr von dem oben der neuzeitlichen Ästhetik attestierten konservatorisch-präventiven Programm zu beinhalten, ihrem zentralen Bemühen, die Wirklichkeit um den Preis selbst ihrer Enthistorisierung und Naturalisierung, ihrer Überführung in die präsente Ungleichzeitigkeit und starre Lebendigkeit einer nature morte, gegen den sie zu ständiger Kursorik, zu permanenter Vergänglichkeit verurteilenden kapitalistischen Verwertungsprozess zu erhalten und zu kontinuieren.
Dass es nicht mehr um das wirkliche Objekt selbst und seine detailliert-adäquate Wiedergabe, sondern nurmehr um den Eindruck geht, den die Wirklichkeit im Subjekt hinterlässt, und um die reflektiert-authentische Vergegenwärtigung dieses Eindrucks, ließe sich ohne weiteres dahingehend verstehen, dass Kunstschaffender und Kunstgenießender ihren Anspruch auf Stillstellung und Erhaltung der Wirklichkeit, ihr Bemühen, das praesenti casu Gegebene vor seiner heteronomen Funktionalisierung und abstraktiven Verflüchtigung durch den kapitalen Verwertungsprozess zu bewahren und um den Preis selbst seiner Verwandlung in nature morte als dauerndes Dasein, als nicht sowohl modo perfecto, sondern modo concreto perennierendes Präsens fortzusetzen – dass also Kunstproduzierender und Kunstkonsumierender diesen Anspruch, diese Forderung aufgegeben und eine Wendung in die Innerlichkeit angetreten, dass sie mit anderen Worten das Interesse, die objektive Wirklichkeit zu konservieren und gegen ihre fortlaufende Alteration durch den kapitalen Verwertungsprozess stillzustellen, verloren und durch das Bedürfnis ersetzt haben, die Eindrücke, die jene objektive Wirklichkeit im Subjekt hervorruft, die Nachbilder, die sie im Geiste erzeugt, festzuhalten und mittels ästhetischer Äußerung eine eigene Objektivität, eine Wirklichkeit sui generis gewinnen zu lassen.
Die Vorstellung und Annahme eines grundlegenden Wechsels des mit der neuzeitlichen Ästhetik verknüpften Interesses, eines Wandels des Bedürfnisses, das mit der Erzeugung und Betrachtung von Kunst befriedigt wird, führt indes in die Irre. Schaut man genauer hin und berücksichtigt also die realen Veränderungen, die der vom kapitalen Verwertungsanspruch diktierte gesellschaftliche Prozess mittlerweile ins Werk gesetzt hat, erkennt man, dass es sich bei jenem um die Wende vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert einsetzenden Rückzug in die Innerlichkeit, jenem Wechsel von der realistisch-detaillierten Wiedergabe der Wirklichkeit, wie sie sich objektiv präsentiert, zur impressionistisch-involvierten Darstellung der Wirklichkeit, wie sie sich im Subjekt widerspiegelt, eher um eine empirische Anpassungsleistung als um eine systematische Umorientierungsaktion handelt, dass die Ästhetik immer noch das gleiche Ziel verfolgt, es ihr mit anderen Worten nach wie vor um die präventive Erhaltung und definitive Konservierung einer durch den Verwertungsanspruch fortwährend heteronomisierten und fortlaufender Abstraktion unterworfenen Wirklichkeit geht, freilich unter Bedingungen, unter denen diese objektive Wirklichkeit bereits so sehr zum Spielball und zur Manövriermasse des Verwertungsprozesses geworden ist, dass es nicht einmal mehr möglich scheint, sie im Modus relativer Vergangenheit und Ungleichzeitigkeit, in dem die Ästhetik sie bis dahin wiederzugeben und darzustellen vermochte, fest und präsent zu erhalten.
Die Wirklichkeit stillzustellen und festzuhalten, sie, wie die neuzeitliche Ästhetik tut, als modellbildende und mustergültige gegen ihre fortlaufende Ausmusterung und Transformation durch den vom Verwertungsanspruch diktierten gesellschaftlichen Prozess vor Augen zu stellen und zu behaupten, setzt ja voraus, dass jener Ausmusterungs- und Transformationsprozess den Betroffenen immerhin noch die Zeit lässt, die zu konservierende, vor ihrer ständigen Entwirklichung und Entwertung zu bewahrende Wirklichkeit sich zu eigen zu machen, sich in sie einzuleben und an sie zu gewöhnen. Die Betroffenen müssen Gelegenheit haben, mit der Wirklichkeit vertraut genug zu werden und sie hinlänglich als ihre spezifische condition humaine zu realisieren, um ihre heteronom bestimmte Veränderung und abstraktiv permanente Verflüchtigung als einen Verlust zu erfahren, den wenn schon nicht praktisch zu verhindern (denn das steht nicht in ihrer Macht), so immerhin doch ästhetisch zu konterkarieren, sie sich gleichermaßen durch ihren materialistischen Anspruch auf Lebensqualität und ihr biographisches Kontinuitätsbedürfnis getrieben finden.
Genau diese Aneignung der Wirklichkeit und Gewöhnung an sie aber hintertreibt der kapitale Verwertungsprozess in dem Maße, wie er sich aus seinen manufakturellen Anfängen herausarbeitet und industrialisiert, wie er dank Mechanisierung der Arbeit und technischer Innovation in immer rascherem Tempo und in immer kürzeren Abständen eine immer umfassendere und immer diversifiziertere Güterwelt hervortreibt, ein Ensemble aus materiellem Inventar und kulturellem Milieu, das, ständigem Wandel unterworfen und sich permanent selber verdrängend und verwerfend, sich in seinen früheren Versionen, in dem, was es eben noch war, ablösend und ersetzend, den Betroffenen gar keine Gelegenheit mehr lässt, sich mit der einen oder anderen Version zu identifizieren, sich an das, was ist und was der Ungleichzeitigkeit überantwortet zu werden, dem Modus der Vergangenheit zu verfallen droht, hinlänglich zu binden, um es als erhaltenswert wahrzunehmen und als ein wie auch immer genrebildlich idealisiertes beziehungsweise stilllebenförmig verklärtes konkretes Präsens und unvergängliches Dasein ästhetisch zu beschwören und zu bekräftigen.
Ohne die Zeit und Gelegenheit, diese Identifizierung zu vollziehen und dieses Bindungsgefühl zu entwickeln, erfahren die betroffenen Subjekte die immer neuen materiellen Objekte und kulturellen Bedingungen, mit denen der kapitale Verwertungsprozess in Verfolgung seines durch alle Materialisierungen und Kulturschöpfungen perennierenden Akkumulationstriebs sie konfrontiert, als einen Gestaltenreigen, einen Erlebniszusammenhang, der vernichtet, um hervorzubringen, der nimmt, um zu geben, und dem man sich getrost überlassen und ausliefern kann, weil nicht nur Verlust und Gewinn sich die Waage halten, sondern weil in der Bilanz sogar der Gewinn überwiegt, weil Hand in Hand mit dem verwertungsbedingt wachsenden Tempo der Veränderungen und Transformationen der Wirklichkeit ja auch eine immer größere Masse und Vielfalt des materiellen Inventars und kulturellen Milieus geht, das diese sich verändernde Wirklichkeit bildet und in dem ihre Transformationen resultieren.
Dafür, dass der kapitale Prozess ihnen keine Zeit mehr lässt, sich in seine Kreationen einzuleben und sie zu ihrer emotional und habituell vertrauten Umgebung und festen Heimstatt zu machen, entschädigt er die Betroffenen mit immer zahlreicheren Gütern und vielfältigeren Reizen: Die Lebensqualität und zuverlässige Befriedigung, die seine Beschleunigung und höhere Umschlagsfrequenz ihnen raubt, finden sie durch die Erlebnisqualität und konsumtive Abwechslung kompensiert, die er mit sich bringt.
Was Wunder, dass sie in Anpassung an den mit der Unwiderstehlichkeit eines Naturereignisses ihnen widerfahrenden Prozess den Standpunkt beziehungsweise Blickwinkel wechseln und, statt weiter einem Verlust und einer Verarmung nachzuhängen, die ihnen die Geschwindigkeit und Frequenz der prozessbedingten Veränderung und Transformation kaum mehr als solche zu erfahren erlauben, nun umgekehrt dem materialen Gewinn und der kulturellen Bereicherung entgegenblicken und sich zuwenden, in dem jener rasante Veränderungs- und Transformationsprozess fortlaufend resultiert. Was Wunder, dass sie die wenn schon nicht reale, so doch phänomenale Perspektive des Verwertungsprozesses übernehmen und, statt sich noch länger um die Konservierung von etwas zu bemühen, das objektiv immer vergänglicher und gegenstandsloser wird, vielmehr dazu übergehen, sich prozesskonform, sprich progressiv, zu verhalten und das im Negativ der Vergänglichkeit und Gegenstandslosigkeit beschlossene Positiv der Abwechslung und Erscheinungsfülle als Kompensation zu akzeptieren oder gar als Gewinn zu verbuchen.
Tatsächlich vollziehen die Betroffenen mit ihrer als Anpassung an die Beschleunigung des kapitalen Verwertungsprozesses und die Erhöhung seiner Umschlagsfrequenz wohlverstandenen Kehrtwendung, ihrer Wendung von der realen Verlusterfahrung zur phänomenalen Gewinnerwartung, von der negativen Beurteilung des Vorganges zur positiven Betrachtung des Geschehens, von der Kritik an der Kursorik des Prozesses zur Affirmation seiner Gestaltungskraft, kurz, von zum Konservativismus verhaltender Reserve zu für alles aufgeschlossener Teilnahme einen fundamentalen Perspektivenwechsel, der geeignet ist, das sich zu Anfang der Neuzeit einstellende manifeste Bewusstsein von der grundlegenden Abstraktheit und Heteronomie, die der Markt mit seinen auf nichts als den Wert gemünzten Aktivitäten dem menschlichen Dasein im Allgemeinen und der gesellschaftlichen Wirklichkeit im Besonderen vindiziert, zu tilgen und den naiven Realismus beziehungsweise die falsche Unmittelbarkeit, mit der die Menschen vorher dem Markt und der durch ihn vermittelten gesellschaftlichen Wirklichkeit begegnen, erneut in Geltung zu setzen.
Möglich werden, wie oben erläutert, jener traditionelle naive Realismus und jene habituelle falsche Unmittelbarkeit vor Beginn der Neuzeit dadurch, dass sich die mit dem Bedürfnisbefriedigungsanspruch der Konsumenten unvermittelte und ihn formaliter ausschließende Wertakkumulationsabsicht des Marktes doch aber stets nur per medium oder besser gesagt via Erfüllung jenes Anspruchs zu realisieren vermag, sprich, ihren Weg immer wieder über die Beschaffung materialer Güter, realer Befriedigungsmittel nehmen muss. An diesen materialen Gütern interessiert die kommerzielle Absicht zwar nur deren Wert beziehungsweise Mehrwert, den sie per Austausch auf dem Markt möglichst umgehend zu realisieren sucht; weil in der Konsequenz solcher Wertrealisierung aber die materialen Güter selbst in die Hände der Konsumenten gelangen und ihnen zwecks Bedürfnisbefriedigung zufallen, haben es letztere leicht, die durch die materialen Güter hindurch realisierte kommerzielle Absicht zu ignorieren oder jedenfalls ihren Zweck auf die ihnen, den Konsumenten, verschaffte Befriedigung von Bedürfnissen reduziert zu finden. Die Konsumenten haben es leicht, die in der Befriedigung ihrer materialen Bedürfnisse bestehende und von den Marktbetreibern nolens volens zu erfüllende soziale Funktion des kommerziellen Austauschs zu dessen wesentlichem, wo nicht einzigem Zweck zu erklären und die Augen vor der Negativität und Indifferenz der oben als Verwertungsabsicht apostrophierten kapitalen Zielsetzung zu verschließen, die per medium oder via Erfüllung jener sozialen Funktion, per medium oder via Bereitstellung und Distribution von als Bedürfnisbefriedigungsmittel tauglichen materialen Gütern in der Wahrheit ihrer abstrakten Selbstbezüglichkeit ausschließlich verfolgt wird.
Dieses Augenverschließen vor dem als Verwertungsabsicht perennierenden reinen Selbstbezug oder Insichkreisen des sich mittels Erfüllung der sozialen Funktion des Güteraustauschs verfolgenden kapitalen Zwecks wird aber, wie ebenfalls oben dargelegt, in dem Maße erschwert und in der Tat unmöglich gemacht, wie zu Beginn der Neuzeit der als Handelskapital firmierende kommerzielle Wert sich mehr und mehr der bis dahin ihm zwar zuarbeitenden, aber noch nicht von ihm konstitutionell erfassten und institutionell beherrschten Produktionssphäre bemächtigt und Kapital sans phrase, produktives, die Produktion organisierendes und determinierendes Kapital wird.
Indem die Wertrücksicht beziehungsweise Verwertungsabsicht nunmehr nicht erst beim fertigen, von fremder Hand geschaffenen Produkt einsetzt, um durch Vermarktung des Produkts den in es investierten Wert, das gegen es ausgetauschte allgemeine Äquivalent als nichtäquivalent, als mehrwertig zu realisieren, sondern sich bereits dem Produktionsprozess selbst inkorporiert, um durch die Investition von Wert in die Produktionsbedingungen, durch die gegen allgemeines Äquivalent als Produktionsfaktoren eingetauschten Arbeitsmittel und Arbeitskräfte das Produkt von vornherein und in eigener Regie als nichtäquivalenten, mehrwertigen Wert zu erzeugen und auf dem Markt nur noch als solchen, als das, was er ab ovo seiner Entstehung, ab ovo der Produktwerdung ist, sich realisieren zu lassen – indem die Wertrücksicht beziehungsweise Verwertungsabsicht diesen Regress vom fertigen Produkt auf die produktive Fertigung, vom Resultat der Arbeit auf das Prinzip der Arbeit selbst nimmt, macht sie unübersehbar manifest, was bis dahin noch hinlänglich ignorierbar war, um latent bleiben zu können: dass dem Produkt sub specie der sich produktionsprozessual offenbarenden Verwertungsabsicht keinerlei eigene Realität, kein substanzieller Bestand beigemessen wird, dass es sich vielmehr darin erschöpft, als rein funktioneller Träger von Wert Durchgangsmoment des Verwertungsprozesses zu sein. In dem Maße, wie das Handelskapital als Kapital sans phrase zum A und O des ganzen Produktions- und Distributionsvorganges wird und die materialen Güter oder Befriedigungsmittel, in denen es sich immer wieder verkörpern muss, nicht weniger bedingt und setzt als aufhebt und absetzt, verschlägt es den letzteren alle selbständige Wirklichkeit und allen unmittelbaren Wert und lässt sie in genere der sozialen Wahrnehmung und Sicht als das manifest werden, was sie in specie der kommerziellen Absicht und Unternehmung seit jeher sind – flüchtiger Scheinleib, durch den hindurch der Wert sich transfiguriert, kursorisches Material, durch das hindurch das Kapital sich akkumuliert.
Und die in dieser Manifestation des kapitalen Werts als des A und O aller materialen Wirklichkeit beschlossene Entwirklichung und Entwertung der letzteren wird noch empirisch dadurch akzentuiert und verstärkt, dass die Kapitalisierung der Produktionsbedingungen, in der die Kommerzialisierung der Produkte zu Beginn der Neuzeit resultiert, tatsächlich ja zu einer Beschleunigung und steigenden Frequenz der Produktionsprozesse sowie zu einer wachsenden Menge und Diversität der Produkte führt. Dass das als Kapital sans phrase sich der Produktionssphäre bemächtigende Handelskapital die Produktion seiner Akkumulations- und Verwertungsabsicht unterwirft und anpasst, bedeutet ja nicht nur generell-systematisch, dass es die materialen Güter, die subsistenzielle und konsumtive Wirklichkeit, die es hervorbringt, zu einem bloßen Vehikel oder Durchgangsmoment seiner Verwertung abstrahiert und heteronomisiert, sondern impliziert auch und mehr noch speziell-empirisch, dass es bestrebt ist, diesen mittels der materialen Hervorbringungen betriebenen kapitalen Verwertungsvorgang möglichst rasch, möglichst umfangreich, möglichst vielfältig und möglichst häufig ins Werk zu setzen. Je rascher der kapitalistisch organisierte Produktionsprozess vonstatten geht, je größer die Zahl der gleichzeitig ablaufenden Fertigungsverfahren ist, je vielfältiger die materialen Güter sind, die dadurch hervorgebracht werden, und je häufiger diese in immer weiterer Masse und neuer Vielfalt resultierenden Verfahren sich wiederholen, umso besser erfüllt – immer vorausgesetzt, es gelingt, die massenhaften und vielfältigen materialen Güter auf dem Markt abzusetzen! – der Produktionsprozess als der Wertschöpfungsprozess, der er in Wahrheit ja ist, seinen Zweck.
Die Entwirklichung und Entwertung, die der materialen Realität durch ihre vollständige Integration in den Prozess kapitaler Selbstverwertung widerfährt, hat also durchaus ihre temporalen, quantitativen, qualitativen und modalen Aspekte, die die systematische Abstraktion und Heteronomisierung, als die diese Entwirklichung und Entwertung sich vollzieht, empirisch erfahrbar werden lassen – in objectu oder vielmehr actu eines Ensembles materialer Güter, die in immer erdrückenderer Masse und verwirrenderer Vielfalt in Erscheinung treten und dabei immer schneller und flüchtiger auftauchen und wieder verschwinden, immer häufiger die Gestalt wechseln und einander immer kursorischer verdrängen und ersetzen.
Gegen diese nicht nur systematisch unleugbare, sondern mehr noch empirisch erfahrbare abstraktive Entwirklichung und heteronomisierende Entwertung bieten, wie gezeigt, diejenigen, die am Bestand und Erhalt ihrer Wirklichkeit, an der Integrität und Kontinuität ihres materialen Daseins und Lebensmilieus vornehmlich interessiert sind, die neuzeitliche Ästhetik mit ihrem im Sinne einer modellbildnerischen Wiedergabe und mustergültigen Präsentation dieser Wirklichkeit konservierenden Realismus, mit ihrer aller Kursorik und Flüchtigkeit des Verwertungsprozesses, der die Wirklichkeit erfasst hat, präventiv entgegenwirkenden Detailtreue auf. Und das, wie die über zwei Jahrhunderte lang die Wahrnehmung der Wirklichkeit, das Bild vom Lebensmilieu beherrschende Genremalerei bezeugt, mit beachtlichem Erfolg! Der Erfolg hängt freilich daran, dass da noch etwas ist, was sich als bleibende Wirklichkeit identifizieren, als beständiger Wert erkennen lässt. Und das wiederum setzt, wie oben erläutert, voraus, dass der abstraktive Veränderungs- und progressive Transformationsprozess, in den die kapitale Verwertungsabsicht die Wirklichkeit hineintreibt, immerhin noch sukzessive genug vor sich geht, hinlänglich langsam verläuft, um den Betroffenen Gelegenheit zu geben, das, was der abstraktive Prozess jeweils an neuem Konkretem setzt, die transformative Progression an veränderten Lebensbedingungen bringt, sich zu eigen zu machen, sich an es zu gewöhnen, sich in es einzuleben.
Und genau diese Voraussetzung wird aber nun mit der um die Wende vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert einsetzenden Industrialisierung und mit der durch sie in Gang kommenden mechanischen Serialisierung und maschinellen Automatisierung der Gütererzeugung hinfällig. Der abstraktive Veränderungs- und heteronome Transformationsprozess, dem die materiale Güterwelt und das soziale Lebensmilieu durch die Industrialisierung verfallen, gewinnt ein so großes Tempo, ein solches Volumen, eine derartige Vielgestaltigkeit und eine so hohe Umschlagsfrequenz, dass an ein Festhalten und Sichzueigenmachen dieser rasant, massenhaft, vielfältig und wandlungsfähig auftauchenden und wieder verschwindenden Wirklichkeit nicht mehr zu denken ist und die Betroffenen gut daran tun beziehungsweise gar nicht umhin können, sich jenem Prozess und seinem Progress zu überlassen und, statt den Wandel als einen Raub von Gehabtem und Verlust an Gewohntem wahrzunehmen und dagegen auf der Substantialität und Kontinuität ihres Daseins und Lebens zu insistieren, ihn vielmehr als Chance zur Erneuerung und Gewinn an Erfahrung zu goutieren und aus ihm den Reiz und die Befriedigung ständigen Werdens und fortlaufenden Erlebens zu ziehen. Statt einem Bestand des realen Daseins und einer Beständigkeit des sozialen Milieus nachzutrauern, die der industrielle Verwertungsprozess ohnehin nicht mehr zulässt, stellen sich die Betroffenen um und beginnen, die materiale Abwechslung zu besetzen, die der Prozess bringt, und die phänomenale Unterhaltung zu bejahen, für die er sorgt.
Es schlägt mithin die Geburtsstunde des modernen Bewusstseins, das, weit entfernt davon, den verwertungsbedingt ständigen Wandel der Daseinsbedingungen und Wechsel des Milieus und Inventars als Entzug der existenziellen Substanz und Verlust der biographischen Kontinuität, mithin als Entwirklichung des Daseins und Entwertung der Lebenswelt zu erfahren und sich dem nach Möglichkeit zu widersetzen, diesen Wandel und Wechsel im Gegenteil als glückliche Bereicherung eines andernfalls grauen Alltags und als willkommene Erfüllung einer ansonsten leeren Monotonie zu erleben. Und mit der Geburt dieses modernen Bewusstseins entfällt eigentlich auch das Bedürfnis nach und Motiv zu der in der Genremalerei das Zentrum ihrer die Wirklichkeit zu konservieren und ihre Kontinuität präventiv zu beschwören bestimmten neuzeitlichen Ästhetik.
Indem die verwertungsbedingt wachsende Beschleunigung des Verän- derungs- und Transformationsprozesses, wie sie in der vom Geschwindigkeitsrausch diktierten Entwicklung des Verkehrs- und Transportwesens ihren symbolischen Ausdruck findet, nicht mehr als Verlust an Stabilität und Trennung von Liebgewordenem, sondern nurmehr als Gewinn an Mobilität und Aufbruch zu neuen Ufern wahrgenommen wird, indem die Masse und Vielfalt des vom Verwertungsprozess zum Leben Erweckten und auf den Markt Geworfenen, wie sie schließlich im demonstrativen Panoptikum der Weltausstellungen und Warenhäuser gipfelt, nicht mehr als irritierende Reizüberflutung und desorientierende Aggression erfahren, sondern vielmehr als inspirierende Diversion und faszinierende Attraktivität erlebt wird und indem, kurz, der fortlaufende Wandel und die in ständiger Selbstverdrängung bestehende Innovation, wie sie im Zwang zur Mode und zu immer neuen Produktpaletten mittlerweile imperativische Geltung gewonnen haben, nicht mehr als verarmend und kontinuitätszerstörend, sondern im Gegenteil als bereichernd und unterhaltend beziehungsweise Abwechslung bietend erscheinen, ist für das Entwirklichungsbewusstsein und Entwertungsgefühl, mit dem auch und gerade die vom kapitalistischen Verwertungsprozess konsumtiv Profitierenden diesem bis dahin begegnen und das ihre Einsicht in die innere Abstraktheit und heimliche Heteronomie der dem Prozess entspringenden Realität und entsprechenden Objektivität wach hält, weder in die Länge und Breite der empirischen Wahrnehmung noch im Kernpunkt des systematischen Begriffes mehr Platz.
Solches die Einsicht in die Abstraktheit und Heteronomie der Realität, die dem Verwertungsstreben entspringt, wach haltendes Entwirklichungsbewusstsein und Entwertungsgefühl setzt ja voraus, dass man am Gegebenen hängt, das Bestehende erhalten sehen möchte, und eben deshalb die Ersetzung des Gegebenen durch anderes, seine Verdrängung durch Neues primär und maßgeblich als Raub am Dasein und Beeinträchtigung des Milieus erfährt. Gelten aber das Gegebene und Bestehende im Einklang mit der Kursorik und Umschlagsgeschwindigkeit des Verwertungsprozesses nurmehr und von vornherein als verschwindend Gegebenes und vorübergehend Bestehendes, an dem man so wenig hängt und an dessen Erhalt man so wenig interessiert ist, dass man im Gegenteil seine baldige Ersetzung durch anderes und Verdrängung durch Neues erwartet und erhofft und mit Langeweile und Überdruss reagiert, wenn es nicht weichen will und man darauf sitzen bleibt, so ist es aus mit allem durch den Verwertungsprozess bis dahin hervorgerufenen Entwirklichungsbewusstsein und Entwertungsgefühl: Der Verlust des Alten spielt für das Bewusstsein, das der Lust aufs Neue verfällt, keine Rolle mehr, die Vergängnis des Bestehenden verliert für das Gefühl, das in der Sensation des Erscheinenden aufgeht, jede Bedeutung. Damit aber entfällt eigentlich auch das Bedürfnis nach der Ästhetik, der künstlerischen Vergegenwärtigung der Wirklichkeit, die ja eben der Aufgabe dient, das Gegebene und Bestehende festzuhalten und zu bewahren, es in actu seiner Wiedergabe und Abbildung als modellbildendes Faktum und mustergültiges Datum gegen den verwertungsbedingten Veränderungs- und Transformationsprozess, der es fortlaufend zu verdrängen, immer neu zu ersetzen droht, zu konservieren und zu kontinuieren.
Wenn das moderne Bewusstsein in, wie man will, einer Art von Identifikation mit dem Aggressor oder einer Form von Desertion zum Gegner aus negativ positiv, aus das Neue als Verlust und Verarmung fürchtender Anhänglichkeit ans Alte eine das Alte als langweilig und lästig verwerfende Begeisterung fürs Neue werden lässt, dann hat die in der Genremalerei beziehungsweise im Stillleben ihr ebenso sehr programmatisches wie topisches Zentrum findende neuzeitliche Ästhetik gleichermaßen das faktische Motiv ihrer Existenz und ihre praktische Funktionsberechtigung eigentlich verloren. Für das moderne Bewusstsein, das sich dem phänomenalen Strom und sensationellen Reiz des verwertungsbedingten Veränderungs- und Transformationsprozesses ergibt und dem sich mangels mentaler Reserve und intentionalen Vorbehalts gegenüber jenem Prozess das Bedürfnis nach Stabilität und Kontinuität gewährender Modellbildung und Mustergültigkeit in die Lust am Abwechslung und Unterhaltung bietenden Modemachen und Trendsetzen auflöst – für dieses moderne Bewusstsein wird das zum Erleben forcierte Leben, für das der Prozess den Takt schlägt, so sehr zum modus vivendi, dass die ästhetische Existenz, die kontemplative Vergegenwärtigung und reflexive Festschreibung eines für ebenso normativ wie definitiv erklärten Status quo, ihm gar nicht mehr in den Sinn kommt, und wird die als Gestaltenreigen perennierende Phänomenalität, zu der der Prozess die Realität entfaltet, so verführerisch und bestrickend, dass ihm das präventive Bemühen und der konservative Anspruch der neuzeitlichen Ästhetik, dem Gestaltenreigen eine Kontinuität gewährleistende Grundfigur, ein als realistische Abbildung verbindliches Modell, abzugewinnen beziehungsweise die Phänomene auf einen als ihr Wesen erscheinenden Typus, ein kraft detaillierter Wiedergabe bestandsicherndes Muster zurückzuführen, nicht das Geringste mehr sagen und bedeuten.
Mit der durch die Totalisierung und Beschleunigung des kapitalen Verwertungsprozesses bedingten und als Modernisierung zu bezeichnenden Konversion des Bewusstseins vom Konservativismus und Ritualismus zu einem auf sensationelle Unterhaltung und Abwechslung gegründeten Leben hat sich das traditionelle ästhetische Anliegen eigentlich erledigt. Dass die Kunstschaffenden selbst an ihrer ästhetischen Mission festhalten, ist verständlich: Sie sichert ihnen die Existenz und verleiht ihrem Dasein sozialen Sinn. Dass die kunstsinnige Oberschicht die Kunst weiter goutiert und protegiert, erklärt sich aus der Popularisierung beziehungsweise Vulgarisierung ihrer bisherigen Lebenswelt und Lebensweise durch deren verwertungsprozessuale Integration in das Kontinuum allgemeinen bürgerlichen Wohlstands und Konsums: Jener exklusiven Existenz und distinkten Stellung, die ihr das empirische Sein nicht mehr zu garantieren vermag, sucht sich die Oberschicht mittels ästhetischen Sinns zu versichern.
Eigentlich hat sich mit der Geburt des modernen Bewusstseins das Anliegen der neuzeitlichen Ästhetik erledigt – aber eben nur eigentlich! Tatsächlich dauert, wie bemerkt, das ästhetische Interesse, das des schaffenden Künstlers wie auch das des schauenden Betrachters, fort, freilich in jener veränderten Form, die oben in der Weise beschrieben wurde, dass ein Rückzug in die Innerlichkeit stattfinde, ein Wechsel von der realistisch-detaillierten Wiedergabe der Wirklichkeit, wie sie sich objektiv präsentiert, zur impressionistisch-involvierten Darstellung der Wirklichkeit, wie sie sich im Subjekt widerspiegelt. Betrieben und getragen wird diese dem modernen Bewusstsein eigentlich widerstreitende Fortdauer des ästhetischen Interesses durch die bis dahin an der Ästhetik vornehmlich Interessierten, die höheren Stände einerseits, denen der Bestand und die Kontinuität ihrer wohlhäbigen Existenz und ihres annehmlichen Milieus am Herzen liegt und die deshalb diese Existenz und dieses Milieu der Kursorik und Vergänglichkeit, die der Verwertungsprozess erzwingt, bannkräftig entgegenzusetzen willens sind, und andererseits die Kunstschaffenden, die im Auftrag und auf Rechnung der höheren Stände in Gestalt einer als Genremalerei modellbildnerisch-realistischen Wiedergabe und mustergültig-detailgetreuen Darstellung der Wirklichkeit, um deren Bestand und Kontinuität es geht, solche Entgegensetzung ästhetisch, das heißt, wenn schon nicht handgreiflich, so jedenfalls doch sinnenfällig ins Werk setzen.
Was die Letztgenannten, die Kunstschaffenden, angeht, so ist unschwer verständlich, dass sie an ihrem Metier, das ihrem Leben nicht nur den materialen Unterhalt sichert, sondern auch und vor allem sozialen Sinn verleiht, hängen und auf dessen Fortsetzung nach Kräften insistieren. Und, wie gesagt, nicht nur, weil dies Metier ihnen den materialen Unterhalt sichert, sondern auch und vor allem, weil es ihrem Leben und Wirken sozialen Sinn verleiht! Sie können gar nicht anders, als den das moderne Bewusstsein mit phänomenaler Unterhaltung und sensationeller Abwechslung faszinierenden und mitreißenden, verwertungsbedingt beschleunigten und mit immer höherer Frequenz ablaufenden Prozess der Produktion von Wirklichkeit als ein sie, die Künstler, auszubooten und zur Funktionslosigkeit zu verdammen bestimmtes Konkurrenzunternehmen zu erfahren. Ihre verantwortungsvolle und von der Gesellschaft beziehungsweise von deren höheren Ständen im ideellen nicht weniger als im materiellen Sinne honorierte Aufgabe ist es bis dahin, die erhaltenswerte und zu kontinuierende Wirklichkeit durch Reflexion, das heißt, durch eine von ihnen, den Künstlern, zu leistende Ermittlung dessen, was sie modellhaft-real auszeichnet und mustergültig-konkret ausmacht, als ein in seiner tatsächlichen Ungleichzeitigkeit zur Gegenwart, die sich verwertungsprozessual verändert, wie auch immer verklärtes und idealisiertes Präsens zu reaffirmieren, sprich, zu konservieren.
Diese Aufgabe einer prozesskonträren ästhetischen Reflexion der Wirklichkeit aber erübrigt sich in dem Maße, wie der Verwertungsprozess selbst quasi künstlerisch tätig wird und mit der Billigung beziehungsweise dem Beifall des von ihm mit- beziehungsweise hingerissenen modernen Bewusstseins die Wirklichkeit, die er hervortreibt, nicht zwar modellbildend wiedergibt, wohl aber modemachend entwirft, sie nicht zwar mustergültig darstellt, wohl aber trendsetzend auslegt. Im Zuge seiner Beschleunigung und Frequenzerhöhung übernimmt der Verwertungsprozess im Blick auf die durch ihn vermittelte beziehungsweise zunehmend ihm entspringende Realität eine dem Kunstschaffen durchaus vergleichbare und es eben deshalb zu verdrängen und zu substituieren geeignete Funktion, die Funktion nämlich einer den Bestand und das Bestehen der empirischen Wirklichkeit betreffenden Klärungs- und Identifizierungsverfahrens – nur dass die Methode des Verfahrens nicht reflexiv, sondern projektiv ist, nicht auf die Festschreibung und habituelle Realisierung der Wirklichkeit, sondern auf ihre Fortschreibung und phänomenale Potenzierung zielt, dass es mit anderen Worten bei dem vom Verwertungsprozess selbst angestrengten Klärungs- und Identifizierungsverfahren nicht wie beim genrebildlichen Kunstschaffen darum geht, die Aktualität als solche vorzuführen, sie gegen das in ihr lauernde und sie zur Flüchtigkeit und Vergänglichkeit verdammende Potenzial zu behaupten und zu kontinuieren, sondern im genauen Gegenteil darum zu tun ist, diese Aktualität in ihrem ganzen Potenzial auszuschöpfen, sie mit anderen Worten als flüchtigen Spring- und vergänglichen Ausgangspunkt dessen zu mobilisieren, was sich ebenso sehr an ihrer Statt wie nach ihrer Maßgabe an Weiterem aus ihr herausholen und an Neuem mittels ihrer kreieren lässt.
Weit entfernt davon, dass noch der Anspruch bestünde, die empirische Wirklichkeit in ihrer Sichselbstgleichheit zu erhalten, und dass diese Aufgabe der ästhetischen Reflexion des Kunstschaffenden, seiner modellbild- nerisch-realistischen Darstellung und mustergültig-detailgetreuen Wiedergabetätigkeit zufiele, geht jetzt vielmehr die Forderung dahin, die empirische Wirklichkeit mit systematischer Konsequenz in anderes zu überführen und in immer Neues zu transformieren, und übernimmt diese Aufgabe der Prozess selbst mit seinem modemachenden Sinn für das an der Wirklichkeit, was auf Neugier weckende und Bedürfnis erregende Veränderungen zielt, beziehungsweise seinem trendsetzenden Gespür für das im Aktuellen, was Unterhaltung und Abwechslung bietende Neuerungen ermöglicht. Nicht also mehr die auf dem Gegebenen insistierende realisatorische Reflexion des Kunstschaffenden als eines Festhalters und Verewigers, sondern die auf alles Mögliche zielende inventorische Projektion des Modeschöpfers als eines Vorgreifers und Beschleunigers ist gefragt.
Was Wunder, dass sich die Kunstschaffenden ausgebootet und in gleichermaßen ihrer ideellen Daseinsberechtigung und ihrer materiellen Existenzgrundlage bedroht finden und sich nach Kräften gegen dieses ihnen vom industriellen Verwertungsprozess und dem modernen Bewusstsein, das zu ihm desertiert, zugedachte Schicksal verwahren und wehren? Alle Verwahrung und Auflehnung freilich würde dieser kleinen und traditionell ebenso sehr im Windschatten der adligen und mit dem gesellschaftlichen Aufstieg der Bourgeoisie auch mehr und mehr bürgerlichen Oberschicht segelnden wie faktisch in Diensten der letzteren stehenden und von ihr ausgehaltenen Gruppe wohl wenig helfen, wenn nicht die Oberschicht selbst als weit gewichtigere und nämlich gleichermaßen ökonomisch fest etablierte und politisch stark positionierte soziale Gruppe diese Reserve beziehungsweise ablehnende Haltung der Kunstschaffenden gegenüber dem industriellen Verwertungsprozess und dem von ihm inaugurierten modernen Bewusstsein teilte und sich quasi der Verweigerungshaltung und der Widerstandsbewegung der letzteren anschlösse.
Dabei stimmt allerdings der Grund für ihre Reserviertheit beziehungsweise ablehnende Haltung keineswegs mit dem der Kunstschaffenden überein. Weder in ihrer Existenzgrundlage noch in ihrer Daseinsberechtigung findet sich die Oberschicht durch jenen beschleunigten und in seiner Umschlagsfrequenz erhöhten Verwertungsprozess und die dadurch bewirkte Veränderung und Transformation der Objektwelt und der Lebensbedingungen der Gesellschaft, ihres materialen Inventars und sozialen Milieus bedroht, da all das ja weder an ihren Vermögensverhältnissen noch an ihrer gesellschaftlichen Stellung, weder an ihrem personalen Wohlstand noch an ihrem sozialen Status etwas ändert.
Freilich ändert es etwas an ihrer bisherigen Sicht auf die Welt und Lebenseinstellung, an ihrer Neigung mit anderen Worten, die Wirklichkeit so, wie sie ist, zu reaffirmieren und den gewohnten Umgang mit ihr zu kontinuieren, kurz, an ihrem Traditionalismus und Ritualismus, der ja letztlich, wie gezeigt, die soziale Basis und den emotionalen Beweggrund für die neuzeitliche Ästhetik abgibt als für eine Methode, die als Objektwelt bestehende Wirklichkeit und das als Lebensmilieu gegebene Dasein gegen den Verwertungsprozess, der auf die Vergänglichkeit der Wirklichkeit dringt und die ständige Transformation des Daseins betreibt, genrebildlich-modellhaft zu beschwören und mit der Mustergültigkeit des Stilllebens bannkräftig geltend zu machen.
Indes, bereits in diesem per industrielle Beschleunigung und kommerzielle Eskalation des Verwertungsprozesses geführten Frontalangriff gegen ihre traditionalistisch komfortable Lebenswelt und ihre ritualistisch gewohnte Lebensweise den zureichenden Grund zu sehen, aus dem auch die Oberschicht dem Prozess und der von ihm durchgesetzten Modernisierung des allgemeinen Bewusstseins mit Reserve begegnet und Widerstand leistet, griffe zu kurz. Schließlich gilt ja für die Oberschicht im Besonderen, was, wie oben ausgeführt, für die Gesellschaft im Allgemeinen gilt, dass nämlich Anhänglichkeit an die bestehende Wirklichkeit und Insistieren auf dem gegebenen Dasein dies voraussetzen, dass hinlänglich Zeit und genug Gelegenheit bleibt, sich in jene Wirklichkeit einzuleben und an sie zu gewöhnen, sich jenes Dasein zu eigen zu machen und sich mit ihm zu identifizieren. Und schließlich ist es ja genau diese Voraussetzung, die der Verwertungsprozess durch seine industrielle Beschleunigung und Eskalation hinfällig werden lässt, kraft deren die feste Realität sich in eine unablässige Abfolge von einander verdrängenden ephemeren Phänomenen verflüchtigt, das alltägliche Leben sich in einen nicht enden wollenden Gestaltenreigen aus sensationellen Erlebnissen auflöst.
Woran soll die wegen der privilegierten Stellung, die die bestehende Lebenswelt und die gegebene Lebensweise ihr einräumen, bis dahin an deren Erhalt und Kontinuität besonders interessierte und eben deshalb für die Ästhetik als eine Methode, solchen Erhalt zu beschwören und solche Kontinuität zu behaupten, engagierte Oberschicht denn noch hängen, wenn das zu Erhaltende unter dem Druck des Verwertungsprozesses gar nicht mehr als solches greifbar wird und vielmehr die Gestalt eines in unablässiger Entfaltung begriffenen, mitreißenden Phantasmas annimmt, womit sich noch identifizieren, wenn das zu Kontinuierende alle Haltbarkeit einbüßt und nurmehr in der Verlaufsform eines proteischen Faszinosums erscheint, an dem das allein Beständige eben der ständige Wandel ist?
Der verwertungsbedingt akzelerierte und eskalierte sensationelle Ver- änderungs- und phänomenale Transformationsprozess, der die Realität erfasst und keine Zeit und Gelegenheit mehr lässt, sie zu besetzen und sich anzueignen, sich an sie zu gewöhnen und in sie einzuleben, verschlägt also damit der Oberschicht die objektive Grundlage oder Bedingung der Möglichkeit für den bis dahin von ihr kultivierten Traditionalismus und Ritualismus und macht es ihr eigentlich gleichermaßen leicht und zum alternativlosen Gebot, jene als Geburtsstunde des modernen Bewusstseins apostrophierte Desertion oder vielmehr Konversion zu vollziehen, die darauf hinausläuft, die Integrität, die der Bestand eines gewohnten Lebens und die Kontinuität eines bewährten Daseins sichern, gegen die Attraktivität zu vertauschen, die von einem Strom abwechslungsreicher Erlebnisse und von einer Abfolge unterhaltsamer Episoden ausgeht. Und anders als für die Kunstschaffenden, für die diese Desertion oder Konversion den Verlust ihres materialen Unterhalts und ihres sozialen Lebenssinns bedeutet, hat sie für den materialen Wohlstand und die soziale Stellung der Oberschicht keinerlei nachteilige Folgen und gibt es für diese also auch gar keinen Grund, sich ihr zu verweigern und eine traditionelle Lebenswelt und rituelle Lebensweise, die gegenstandslos geworden und also objektiv hinfällig sind, gegenüber einer Welt voller Unterhaltungswert und einem Leben voller Abwechslung hochzuhalten, die sich ihr unaufhaltsam aufdrängen und sie mit der ganzen Macht ihrer Allgegenwart und Sinnenfälligkeit in Bann schlagen.
Warum also, wenn das so ist, hält die Oberschicht dennoch an der Ästhetik fest, warum halten ihre Angehörigen als Kunstrezipienten den Produzenten von Kunst, den Kunstschaffenden, unverändert die Stange, geben ihnen Aufträge, honorieren sie und räumen den Werken ihrer Protegés in ihren Villen und Stadtresidenzen einen Ehrenplatz ein, stellen die ästhetischen Produktionen in ihren Salons zur Schau? Der Grund für dieses nicht ohne weiteres plausible beharrliche Festhalten an der ästhetischen Tradition, diesen Beweis von Treue gegenüber dem durch den industriellen Verwertungsprozess und seine sensationelle Veränderung beziehungsweise phänomenale Transformation der Wirklichkeit eigentlich gegenstandslos gewordenen Anspruch, die letztere modellbildnerisch zu reaffirmieren und mustergültig zu repräsentieren – der Grund für diesen Treuebeweis ist in der Tatsache zu sehen, dass der Verwertungsprozess ja nicht nur der Oberschicht ihre traditionelle Lebenswelt entzieht und ihre rituelle Lebensweise raubt (der Verlust wäre, wie gesagt, angesichts der sensationellen Flut von Erlebnissen und der phänomenalen Vielfalt von Abwechslungen, die der Prozess stattdessen für sie bereithält, zu verschmerzen), sondern dass er ihr zugleich auch die als Exklusivität figurierende personale Identität und das als Privilegiertheit erscheinende soziale Prestige verschlägt, die mit jener traditionellen Lebenswelt und rituellen Lebensweise bis dahin aufs engste verknüpft sind.
Nicht nur nämlich, dass der kapitale Verwertungsprozess im Zuge seiner industriellen Beschleunigung und Eskalation die materiale Wirklichkeit und das soziale Milieu immer rascher erzeugt und immer häufiger wechselt, er treibt beides auch gleichzeitig immer massierter und diversifizierter hervor und legt es also darauf an, dass diese immer massenhaftere Wirklichkeit und dieses immer vielfältigere Milieu immer mehr Menschen betrifft und interessiert, eine immer zahlreichere Gesellschaft anzieht und vereinnahmt. Schließlich ist der Erfolg des Verwertungsprozesses, das heißt, die so weit wie möglich gesteigerte Selbstverwertung und Akkumulation des als Kapital funktionierenden Werts, abhängig nicht nur vom Tempo und der Umschlagsgeschwindigkeit der Produktion, sondern auch vom Volumen und der Diversität der Produkte. Nicht nur, wie schnell und wie oft wiederholt, sondern auch, wie viel und in wie vielfältiger Form der kapitalistische Produktionsprozess Wirklichkeit erzeugt und auf den Markt wirft, entscheidet über die Höhe des Gewinns, den er abwirft, und über die Rate, mit der das im Produktionsprozess investierte Kapital sich rentiert, seinen in der Selbstvermehrung bestehenden Zweck erreicht. Und schließlich erfordern das größere Volumen und die größere Vielfalt der im Zuge des Verwertungsprozesses hervorgetriebenen Wirklichkeit nolens volens größere Menschenmassen, sprich, breitere Bevölkerungsschichten, die sie begehren und sie dadurch, dass sie sie konsumieren, in dem, worum es beim Verwertungsprozess in Wahrheit geht, in ihrem Wert, realisieren.
Die daraus resultierende fortschreitende Popularisierung beziehungsweise, aus Sicht der Oberschicht, zunehmende Vulgarisierung der vom Verwertungsprozess produzierten Lebenswelt und inszenierten Lebensweise aber konfrontiert nun die Oberschicht selbst mit einem gravierenden Statusproblem und droht sie in der Tat in eine tiefe Identitätskrise zu stürzen. Traditionell, will heißen, ihrem in vorkapitalistische, feudalherrschaftlich-hierarchische Zeiten zurückreichenden Herkommen nach, zeichnet sie sich dadurch aus, dass sie sich von den anderen Gruppen der Gesellschaft qualitativ verschieden und distinktiv abgehoben behauptet, dass sie einen zumeist der genealogischen Herkunft, seltener gemeinschaftsdienlichen Leistungen entspringenden charismatischen Charakter und vornehmen Stand für sich in Anspruch nimmt, eine gleichermaßen personal und sozial begründbare Differenz, die zwischen ihr und den übrigen gesellschaftlichen Gruppen eine gar nicht oder nur schwer überbrückbare Kluft aufreißt, eine an eine Artenschranke gemahnende Diskretheit schafft, und die die letzteren aus welchen Gründen auch immer akzeptieren und respektieren.
Und an dieser persönlichen Qualität und ständischen Distinktion, dieser Exklusivität und Privilegiertheit, die die Oberschicht traditionell beansprucht, ändert sich mit der Karriere des Marktes zur gesellschaftlich maßgebenden Institution und Synthetisierungsinstanz par excellence und mit der daraus konsequierenden Erhebung der kapitalistischen Produktionsweise zur allbeherrschenden gesellschaftlichen Reproduktionsform auch erst einmal gar nichts. Im Gegenteil, die Masse und Vielfalt der Güter, die der vom Markt generierte kapitalistische Produktionsapparat hervortreibt, der materiale Reichtum, den er schafft, kommt erst einmal wesentlich ihr, der kraft ihres charismatischen Charakters und ihres vornehmen Standes als primäre Nutznießerin der Früchte der Natur und der Erzeugnisse menschlicher Arbeit firmierenden, sprich, zu Wohlstand und Genuss privilegierten Oberschicht zugute. Ihre Mitglieder sind die traditionellen Konsumenten, die so, wie sie vorher schon den gesellschaftlich produzierten Überfluss als ihnen kraft Geburt oder Funktion zustehenden Teil mit Beschlag belegten, so auch jetzt sowohl dank des Vermögens, das sie von Haus aus mitbringen, als auch wegen des entwicklungspolitischen Vorschubs, den sie dem kapitalistischen System und seinem Markt leisten, beziehungsweise wegen der machtpolitischen Unterstützung, die das System durch sie erfährt, und der sozialpolitischen Sanktion, die sie ihm sichern, wie selbstverständlich Hauptbegünstigte der dem Füllhorn des Systems in immer größerer Masse und Vielfalt entströmenden materialen Segnungen sind. Vom System mit zahlreicheren und vielfältigeren Konsumgütern und Lebensgestaltungsmöglichkeiten ausgestattet, als ihr jemals zuvor zu Gebote standen, kann die Oberschicht ihren traditionell behaupteten personal exklusiven Charakter und habituell beanspruchten sozial distinkten Status unverändert kontinuieren und findet beides durch ihren neuen Wohlstand und gesteigerten Konsum sogar noch untermauert und reaffirmiert.
Dass die Oberschicht diesen ihre Lebenswelt ebenso annehmlich wie ihre Lebensweise bequem gestaltenden Segen nur unter der Bedingung genießt, dass der Verwertungsprozess, der den Segen hervortreibt, auf seine eigenen Kosten kommt und dass also der materiale Segen immer wieder der erweiterten Reproduktion des Kapitals als Durchgangsmoment dient und, sobald er diesen Zweck erfüllt hat, durch neuen und anderen, dem gleichen Zwecke dienenden Segen ersetzt beziehungsweise verdrängt wird, dass mit anderen Worten über der Wirklichkeit und den Köstlichkeiten, die der Verwertungsprozess ihr beschert, immer schon das Damoklesschwert fortlaufender Entwirklichung und unaufhaltsamer Entwertung schwebt – dies ist, wie oben dargestellt, der Preis, den sie für ihre Vorzugsbehandlung im Rahmen des kapitalistischen Verwertungsprozesses, für die Begünstigung, die sie von Seiten des kapitalistischen Systems erfährt, zahlen muss.
Ein Preis, den sie freilich nicht einfach zu zahlen bereit ist und dem sie sich mittels Ästhetik zu entziehen sucht, dadurch also, dass sie ihre ständig von Veränderungen, sprich, von Entwirklichung bedrohte Lebenswelt und immer wieder von Transformationen, sprich, von Entwertung heimgesuchte Lebensweise durch von ihr kommissionierte und honorierte Kunstschaffende genrebildlich-modellhaft beziehungsweise stilllebenförmig-mustergültig zu beschwören und zu konservieren unternimmt. Indem sie mittels modellbildnerisch-künstlerischer Vergegenwärtigung, mittels musterschaffend-ästhetischer Repräsentation ihre Lebenswelt als aller Veränderung zum Trotz festen Bestand behauptet, ihre Lebensweise als allen Transformationen zuwider kontinuierlichen Vorgang festhält, gelingt es ihr, in den Genuss jener materialen Segnungen des Verwertungsprozesses zu kommen, ohne sich dem mit ihnen eigentlich verknüpften Fluch eines Wirklichkeit zerstörenden fortlaufenden Verdrängungsprozesses und die Gegenwart entwertenden unaufhörlichen Erneuerungszwangs stellen zu müssen oder ihm gar zu verfallen.
Allerdings wirkt, wie gesagt, das den Bestand der Lebenswelt sichernde und die Kontinuität der Lebensweise garantierende Rezept genrebildlicher Ästhetik nur so lange, wie der verwertungsbedingte Veränderungs- und Transformationsprozess noch langsam genug und hinlänglich schrittweise vor sich geht, um den Betroffenen die Möglichkeit zu bieten, sich an die jeweils veränderte Lebenswelt zu gewöhnen und in sie einzuleben, mit der jeweils neuen Lebensweise vertraut zu werden und sich mit ihr zu identifizieren. Genau diese Möglichkeit aber entfällt mit der Beschleunigung und Erhöhung des Umschlagstakts, die im Zuge seiner Industrialisierung und Maschinisierung beziehungsweise Automatisierung der kapitale Verwertungsprozess erfährt. Angesichts der keine Zeit und Gelegenheit für die Ausbildung von festen Lebensstilen und kontinuierlichen Lebensgewohnheiten mehr lassenden Rasanz und Unbeständigkeit der vom Verwertungsprozess kreierten lebensweltlichen Moden und lebensartlichen Trends bleibt auch und gerade der als Hauptnutznießerin des Verwertungsprozesses firmierenden Oberschicht gar nichts anderes übrig, als zu dem ihr traditionell ebenso objektiv freundlich gesonnenen, sprich, sie mit materialen Segnungen überschüttenden, wie konsumtiv beschwerlich erscheinenden, sprich, ihre Lebenswelt mit ständiger Entwirklichung und ihre Lebensweise mit immer neuer Entwertung bedrohenden Gegner, der Kapitalmacht, überzulaufen und sich in Ausbildung eines modernen Bewusstseins den Verlust an beständigem Leben durch den Gewinn an erlebnisreicher Abwechslung, den Raub erhaltenswerter Kontinuität durch den Reiz unaufhörlicher Unterhaltung kompensieren zu lassen.
Mit dem Vollzug dieser als Geburt des modernen Bewusstseins apostrophierten Konversion muss die Oberschicht allerdings auch in Kauf nehmen, dass ihre traditionelle Lebenswelt und Lebensweise sich nicht nur ungleich rascher verändern und einem mit immer höherer Taktfrequenz ablaufenden Verdrängungs- und Ersetzungsprozess unterliegen, sondern dass sie darüber hinaus immer weniger ihr exklusives Eigen und ihre privilegierte Existenz sind, dass sie vielmehr immer breiteren Schichten der Gesellschaft zugänglich werden, dass immer größere soziale Gruppen an ihnen teilhaben und in ihren Genuss gelangen. Wie gesehen, liegt es ja in der Logik des Verwertungsprozesses, dass die Güterproduktion im Besonderen und die Erzeugung verwertbarer Wirklichkeit im Allgemeinen nicht nur möglichst schnell und in möglichst rascher Wiederholung vor sich gehen, sondern dass sie auch immer weiter an Masse und Vielfalt gewinnen, was wiederum zwangsläufig bedeutet, dass immer mehr Menschen, immer breitere Bevölkerungsschichten an der Realisierung der verwerteten Wirklichkeit, ihrer konsumtiven Überführung in erneut für die Wertbildung verfügbares allgemeines Äquivalent, in Kapital, beteiligt und damit denn also in den Genuss der bis dahin vornehmlich der Oberschicht vorbehaltenen materialen Früchte des Verwertungsprozesses gebracht werden müssen.
Und genau hier rächt sich nun aber die enge Verbindung, die zu Anfang der Neuzeit, zu Beginn des marktgenerierten kapitalistischen Verwertungsprozesses, die traditionell von der Oberschicht beanspruchte persönliche Exklusivität und gesellschaftliche Privilegiertheit mit dem materialen Wohlstand und den konsumtiven Segnungen eingeht, die der Verwertungsprozess vornehmlich für sie, die Oberschicht, bereithält und als deren primäre Adressatin und Hauptnutznießerin er sie etabliert. Jetzt erweist sich als fatal, dass der materiale Wohlstand und der konsumtive Segen, mit dem der Verwertungsprozess die Oberschicht bedenkt, zum wesentlichen Ausdruck ihres personalen Prestiges und maßgebenden Beweismittel für ihren sozialen Status wird. Dienen nämlich der umfängliche Wohlstand, den sie genießt, und der demonstrative Konsum, den sie pflegt, erst einmal tatsächlich dazu, ihr personales Prestige zu verstärken und ihren sozialen Status zu untermauern, so erweist sich beides indes in dem Maße, wie es im Zuge der Akzeleration des Verwertungsprozesses seine weitgehende Beschränkung auf die Oberschicht einbüßt und in die Gesellschaft hinein expandiert, immer weitere Kreise der Bevölkerung einbezieht, als ein zweischneidiges Schwert, ein Segen, der sich in einen Fluch verkehrt und nämlich eben jene persönliche Exklusivität und gesellschaftliche Privilegiertheit, die er vorher verstärkte und untermauerte, jetzt im genauen Gegenteil unterwandert und demontiert.
Wenn der Wohlstand und Konsum im Zuge seiner Ausbreitung und Popularisierung aus einem essentiellen zu einem graduellen Merkmal der Oberschicht, aus dem maßgeblichen zum verhältnismäßigen Kennzeichen ihrer schichtspezifischen Existenz wird, gilt eben dies auch für die auf jenen Wohlstand und Konsum als auf sein fundamentum in re bauende personale Exklusivität und soziale Distinktion, das persönliche Prestige und das gesellschaftliche Privileg. Die eigene personale Bedeutung und besondere soziale Stellung, auf die die Oberschicht bis dahin Anspruch erhebt, verliert ihren qualitativen Charakter und nimmt eine rein quantitative Bestimmtheit an. Aus der ständehierarchischen, ein anderes Sein reklamierenden Elite wird eine klassengesellschaftliche, auf ein größeres Haben pochende Oberschicht, der qualitative Standesunterschied verflüchtigt sich zum quantitativen Abstand, der nurmehr Besitzklassen trennt, die distinktive Nobilität, die der besonderen Geburt oder dem ausnehmenden Verdienst entspringt, reduziert sich auf die relative Vornehmheit, die sich aus größerem materiellem Eigentum oder funktionellem Vermögen speist.
Das heißt, die Oberschicht findet sich durch die Popularisierung, um nicht zu sagen, Vulgarisierung des bisher ihr vorbehaltenen Wohlstands und sie auszeichnenden Konsums um ihre diskrete Existenz und ihre distinkte Stellung gebracht und ins Kontinuum der bürgerlichen Gesellschaft eingereiht, auf das Unterschiede nur mehr des Grades, nicht mehr des Wesens zulassende Niveau der mittlerweile alle Mitglieder des Sozialcorpus als solche definierenden Teilhabe an den Segnungen des kapitalistischen Marktes heruntergebracht.
Die Kunst ist nicht mehr dazu da, die materiale Lebenswelt und reale Lebensweise der Oberschicht als Bestand zu repräsentieren und als kontinuierlich zu reaffirmieren, sondern dient nurmehr dazu, der Oberschicht das mit jener Lebenswelt und Lebensweise traditionell verknüpfte Exklusivitätsgefühl und Distinktionsbewusstsein zu erhalten. Weil jene Lebenswelt und Lebensweise aber der verwertungsprozessualen Popularisierung beziehungsweise Vulgarisierung zum Opfer fallen, muss der Künstler aus Eigenem, aus seiner Subjektnatur Ersatz für die verloren gegangene Objektivität schaffen. An die Stelle des realistischen Sittengemäldes tritt der impressionistische Seelenspiegel. Symptom dieser Wendung ist die im Wortsinn tonangebende Rolle, die im neunzehnten Jahrhundert die Musik übernimmt.
Der in der relativen Nivellierung oder komparativen Verbürgerlichung, die Resultat der ökonomischen Revision der hierarchischen Ordnung ist, beschlossene Verlust ihres traditionellen personalen Prestiges und sozialen Privilegs kommt die Oberschicht hart an. Ihn zu kompensieren, wo nicht gar zu vermeiden, und sich jene existenziell diskrete Identität und jenen traditionell distinkten Status in irgendeiner Form zu erhalten, ist ihr ein echtes Anliegen. Und genau hierzu, zu dieser Vermeidung beziehungsweise Kompensation des Verlusts, bietet ihr nun aber das Festhalten an der genrebildlichen Ästhetik, die sie eigentlich mit ihrer Konversion zum modernen Bewusstsein als gegenstandslos aufgeben müsste, eine Handhabe. Schließlich ist die ästhetische Beschwörung, die genrebildliche Vergegenwärtigung beziehungsweise stilllebenförmige Verewigung des Bestands und der Kontinuität der vorzugsweise, wo nicht ausschließlich ihr, der Oberschicht, vom kapitalistischen Verwertungsprozess geschenkten wohlhäbigen Lebenswelt und konsumtiven Lebensweise während der vergangenen zwei, drei Jahrhunderte auszeichnendes Merkmal und wesentlicher Ausweis ihres mit jener Lebenswelt verknüpften und in jener Lebensweise gründenden personalen Prestiges und sozialen Privilegs.
Dass die Oberschicht diese ihre wohlhäbige Lebenswelt und konsumtive Lebensweise ästhetisch zu reaffirmieren und festzuhalten sucht, dass sie beides mit modellbildnerischem Realismus zu konservieren und mit mustergültiger Detailtreue ins bleibende Bild zu bannen unternimmt, dass sie sich also mit Hilfe der von ihr protegierten Künstler bemüht, dieser Lebenswelt und Lebensweise gegen alle ihr vom kapitalistischen Verwertungsprozess gleichzeitig mit ihrer Hervorbringung innervierte fortlaufende Entwirklichungs- und fortwährende Entwertungstendenz Bestand und Beständigkeit, Integrität und Kontinuität zu sichern, stellt in dieser mehrhundertjährigen neuzeitlichen Tradition ebenso sehr die differentia specifica des von der Oberschicht in Anspruch genommenen personalen Prestiges und sozialen Privilegs dar, wie die wohlhäbige Lebenswelt und konsumtive Lebensweise selbst deren fundamentum in re bilden.
Eben wegen der quasi gleichrangigen Bedeutung, die demnach im Hinblick auf die Begründung und Rechtfertigung des von der Oberschicht reklamierten personalen Nimbus und sozialen Status ihrer Lebenswelt und Lebensweise einerseits und deren genrebildlich beschworener Integrität und Kontinuität andererseits, mit anderen Worten, dem von der Oberschicht praktizierten demonstrativen Konsum und der von ihr gepflegten ostentativen Ästhetik zukommt, kann nun aber die Oberschicht, wenn ersterer, der demonstrative Konsum, dank seiner in der Akzeleration und Ausbreitung des kapitalistischen Verwertungsprozesses beschlossenen Popularisierung und Vulgarisierung jenen Nimbus und Status nicht mehr zu untermauern vermag und sich als Realfundament der von ihr beanspruchten exklusiven Identität und essentiellen Distinktion disqualifiziert, auf die Idee verfallen, letztere, die ostentative Ästhetik, als alleiniges Beweismittel und entscheidendes Kriterium für dieses dennoch von ihr reklamierte und als ihr unverbrüchliches Eigen behauptete personale Prestige und soziale Privileg geltend zu machen.
Können schon die wohlhäbige Lebenswelt und konsumtive Lebensweise im Zuge ihres Übergreifens auf breitere Volksschichten, ihrer Diffusion in die bürgerliche Gesellschaft, der Oberschicht nicht mehr ihre essentielle Verschiedenheit und distinktive Besonderheit garantieren und nicht verhindern, dass sich Adel auf bloße Vornehmheit reduziert, Charisma durch Einfluss, Vermächtnis durch Vermögen, Autorität durch Macht ersetzt wird, die qualitative Differenz des Standes sich zum quantitativen Klassenabstand nivelliert, so bleibt als Garant jener der Oberschicht teuren personalen Eigenheit und sozialen Apartheit immerhin noch die jene wohlhäbige Lebenswelt und konsumtive Lebensweise in ihrem Bestand und ihrer Beständigkeit zu reaffirmieren und zu konservieren gewohnte Ästhetik, die ja traditionell ein kaum weniger wichtiges ideelles Kenn- und Wahrzeichen jener von der Oberschicht beanspruchten Eigenheit der Person und Apartheit des Standes ist als die das materielle Fundament von beidem bildende Lebenswelt und Lebensweise selbst – ein Kenn- und Wahrzeichen, das sich im Unterschied zu der im Zuge ihrer Popularisierung beziehungsweise Vulgarisierung alle Grundlegungsfunktion und Beweiskraft einbüßenden Lebenswelt und Lebensweise nach wie vor als Urteilskriterium und Beweismittel für personales Prestige und soziales Privileg von der Oberschicht geltend machen lässt und ihr dank der um ihrer materialen Subsistenz und sozialen Funktion willen auf eine Aufrechterhaltung und Fortsetzung ihrer künstlerischen Profession nur zu erpichten Kunstschaffenden auch nach wie vor zur Verfügung steht.
Freilich ändert mit dieser ihr von der Oberschicht nunmehr zugedachten, speziellen Aufgabe die neuzeitliche Kunst nolens volens ihre Bedeutung und Funktion. So gewiss sie nicht mehr dazu da ist, die materiale Lebenswelt und reale Lebensweise der Oberschicht, die deren qualitatives Prestige und distinktes Privileg begründen, als Bestand zu repräsentieren und als kontinuierlich vorzustellen und damit gegen die ihnen von Seiten ihres eigenen Kreators, des kapitalen Verwertungsprozesses, drohende Entwirklichung und Entwertung zu behaupten, sondern bloß noch dazu dient, diese Exklusivität und Distinktion der Oberschicht, die deren in zunehmende Kontinuität zum bürgerlichen Milieu und Verhalten gebrachte Lebenswelt und Lebensweise nicht mehr zu begründen vermögen, als dennoch vorhanden zu demonstrieren und als unverbrüchlich gegeben zu suggerieren, so gewiss hat die Ästhetik jetzt keine reale, sondern nur noch soziale Relevanz, reaffirmiert sie keinen empirischen Standort, kein objektives Anwesen, keine gesellschaftliche Existenz mehr, sondern nur noch einen systematischen Stellenwert, ein relatives Ansehen, eine gesellschaftliche Eminenz, führt sie mit anderen Worten nicht mehr vor, dass die ihr Verhafteten und Verpflichteten ein ihrem Charakter und Status gemäßes besonderes Leben führen, sondern zeigt nur noch an, dass die Betreffenden das Leben, das sie mit der bürgerlichen Gesellschaft zunehmend teilen, dennoch auf eine ihrem exklusiven Charakter und distinkten Status gemäße und damit von beidem zeugende und für beides einstehende besondere Weise führen.
Das also ist die funktionelle Wandlung, die in Reaktion auf die industrielle Beschleunigung und kommerzielle Eskalation des Verwertungsprozesses und die dadurch provozierte Geburt des modernen, dem sensationellen Erleben, der Abwechslung und Unterhaltung, sich verschreibenden Bewusstseins die neuzeitliche Ästhetik durchmacht und kraft deren sie aus einer Veranstaltung, die die gesamte Lebenswelt und Lebensweise der Oberschicht genrebildlich zu repräsentieren und stilllebenhaft zu konservieren dient, zu einem Unternehmen wird, das das mit jener Lebenswelt und Lebensweise ursprünglich verknüpfte personale Prestige und soziale Privileg der Oberschicht, das jene Lebenswelt und Lebensweise im Zuge ihrer Popularisierung und Vulgarisierung, ihrer Verbürgerlichung und Demokratisierung nicht mehr zu untermauern und zu gewährleisten vermögen, dennoch unter Beweis zu stellen und zu kontinuieren beansprucht.
Als eine dem modernen Bewusstsein, zu dem auch die Oberschicht konvertiert, von letzterer beigegebene idiosynkratische Reservation oder salvatorische Klausel, das von ihr nach wie vor reklamierte personale Prestige und soziale Privileg betreffend, erfüllt die Ästhetik nicht mehr die traditionelle Funktion, der realen Entwirklichung und Entwertung entgegenzuwirken, von der die wohlhäbige Lebenswelt und konsumtive Lebensweise, die der kapitale Verwertungsprozess hervortreibt, uno actu ihrer Hervorbringung bedroht sind, sondern übernimmt die spezielle Aufgabe, der sozialen Nivellierung und Deklassierung zu wehren, von der die Oberschicht wegen der fortschreitenden Popularisierung ihrer Lebenswelt und Vulgarisierung ihrer Lebensweise, wegen der Tatsache also, dass dank der prozessualen Beschleunigung, realen Ausweitung und materialen Vervielfältigung der kapitalistischen Wertschöpfung immer breitere Schichten der Gesellschaft an jener Lebenswelt partizipieren und jene Lebensweise imitieren, mittlerweile betroffen ist.
Freilich scheint diese von der Oberschicht vollzogene Umfunktionierung der Ästhetik in ein bloßes Beweismittel für persönliches Charisma beziehungsweise ihre Reduktion auf ein reines Statussymbol an einem logischen Problem, um nicht zu sagen, einem unauflösbaren Widerspruch zu kranken. Auch nämlich, wenn die Ästhetik nicht mehr die Wirklichkeit und den Wert der Lebenswelt und Lebensweise selbst zu reaffirmieren, sondern nurmehr die Fortdauer und Geltung der mit der Lebenswelt und Lebensweise bislang verknüpften personalen Qualität und sozialen Distinktion zu garantieren dient, braucht sie doch einen Gegenstand, mittels dessen sie die geforderte Garantieleistung erbringen, ein sächliches Medium, in dem sie das als nach wie vor existent behauptete persönliche Prestige und gesellschaftliche Privileg zur Darstellung kommen lassen, vor Augen führen und fasslich machen kann. So gewiss Ästhetik ein bestimmter Wahrnehmungs- beziehungsweise Darstellungsmodus und eine besondere Verhaltens- beziehungsweise Umgangsform ist, so gewiss braucht sie eine Objektivität, die sie auf die ihr eigene Art wahrnehmen beziehungsweise darstellen, eine Realität, zu der sie sich auf ihre besondere Weise verhalten, mit der sie ihren spezifisch gearteten Umgang pflegen kann.
Diese Objektivität und Realität, deren die Ästhetik für ihre darstellerische Reaffirmationstätigkeit, ihr ebenbildliches Repräsentationsgeschäft bedarf, war bislang eben jene traditionelle Lebenswelt und Lebensweise der Oberschicht, die sich jetzt indes so gründlich dysfunktionalisiert und desavouiert zeigt. Und zwar dysfunktionalisiert und desavouiert nicht nur als Grundlage des persönlichen Charismas und des sozialen Status der die Ästhetik pflegenden gesellschaftlichen Oberschicht, sondern auch und ebenso sehr als Gegenstand und Betätigungsfeld der Ästhetik selbst! Schließlich unterliegen im Zuge und in der Konsequenz der Beschleunigung und Ausweitung des kapitalen Verwertungsprozesses beziehungsweise der Erhöhung seiner Umschlagsfrequenz und Vervielfältigung seiner Produktionspalette die traditionelle Lebenswelt und Lebensweise der Oberschicht ja nicht nur der besagten Popularisierung und Vulgarisierung, sondern erliegen ebenso sehr auch, wie oben ausgeführt, einer Kursorik und Flüchtigkeit, die sie, weil die Betroffenen gar nicht mehr die Zeit und Gelegenheit finden, sich an das, was der Verwertungsprozess ihnen beschert, zu gewöhnen und in es einzuleben, als solche untauglich macht, dem reaffirmierenden und konservierenden Beginnen der Ästhetik, ihrer modellbildnerisch-realistischen Reproduktions- und detailgetreu-musterschaffenden Repräsentationstätigkeit zum Inhalt und Gegenstand zu dienen.
So wenig jene wohlhäbige Lebenswelt und konsumtive Lebensweise wegen ihrer gesellschaftlichen Ausbreitung und Verallgemeinerung noch als Grundlage für einen Anspruch auf persönliche Exklusivität und soziale Privilegiertheit taugen, so wenig kommen sie überhaupt noch als Objekt ästhetischer Betrachtung und Betätigung in Frage, weil sie durch ihre Schnelllebigkeit und überwältigende Vielfalt, das rasche Tempo, in dem sie entstehen und wieder vergehen, die hohe Frequenz ihres Formenwechsels und Gestaltenreigens jenes moderne Bewusstsein hervortreiben, das mit seiner Absage an ein hedonistisch-beständiges Dasein und ein ritualisiert-kontinuierliches Leben und mit seiner Konversion zur erlebnisreich sensationellen Abwechslung und reizvoll-spektakulären Unterhaltung, mit seinem Desinteresse an Modellbildung und Mustergültigkeit und seiner Begeisterung für Mode und Trend das auf Bestand und Beständigkeit, Stabilität und Kontinuität abgestellte ästhetische Programm der Neuzeit gar nicht mehr braucht und zu schätzen weiß – ein modernes Bewusstsein, zu dem im Übrigen ja, wie bemerkt, auch die Oberschicht selbst sich mittlerweile nolens volens bekennt.
Woher also, ohne zu stehlen, soll die Oberschicht, wenn sie um ihres personalen Prestiges und sozialen Privilegs willen dennoch an jenem traditionellen Programm einer ästhetischen Vergegenwärtigung und Beschwörung der Wirklichkeit festhält, diese Wirklichkeit nehmen? Wo soll sie eine Objektivität finden, die sich dem ästhetischen Zugriff nicht durch ihre verwertungsbedingte Haltlosigkeit und Veränderlichkeit, Flüchtigkeit und Austauschbarkeit entzieht?
Tatsächlich aber kann die Oberschicht diese Frage für müßig erklären und braucht sich über sie nicht den Kopf zu zerbrechen, weil die Sachwalter der Ästhetik, die Kunstschaffenden, deren ideelle Daseinsberechtigung und materielle Existenzgrundlage ja von der Verfolgung jenes ästhetischen Programms abhängt, das Problem bereits gelöst haben. Und zwar gelöst haben durch den oben als Rückzug in die Innerlichkeit apostrophierten Wechsel gleichermaßen des Fokus der ästhetischen Darstellung und der künstlerischen Wiedergabetechnik, die – um die obige Formulierung aufzugreifen! – Verschiebung des Kunstschaffens vom sächlichen Objekt zur persönlichen Sichtweise und von der detaillierten Reproduktion zur involvierten Repräsentation.
Dieser Wechsel von der realistisch-detaillierten Wiedergabe der Wirklichkeit, wie sie sich objektiv präsentiert, zur impressionistisch-involvierten Darstellung der Wirklichkeit, wie sie sich im Subjekt widerspiegelt, lässt sich nach den zuvor angestellten Überlegungen als Konsequenz der Einsicht in die ästhetische Unhaltbarkeit der vom kapitalistischen Verwertungsprozess mittlerweile produzierten Objektivität, in die Untauglichkeit dieser Objektivität gleichermaßen für den Zweck einer ästhetisch zelebrierten Bestandssicherung und Kontinuitätsgarantie und für die darin implizierte Absicht einer Reaffirmation und Aufrechterhaltung des personalen Nimbus und des sozialen Status der Teilhaber am ästhetischen Geschäft, verstehen und als Versuch interpretieren, für diese draußen, in der betrachteten Welt, nicht mehr zu habende Objektivität drinnen, im betrachtenden Subjekt selbst, Ersatz zu schaffen. Lässt sich die vom Verwertungsprozess auf Trab gebrachte oder, besser gesagt, einer phantasmagorischen Haltlosigkeit überantwortete äußere Empirie für jene ästhetische Beschwörung und Konservierung der Wirklichkeit, die doch die Oberschicht als Wahrzeichen ihres personalen Prestiges und sozialen Privilegs braucht, nicht mehr in Anspruch nehmen, so muss eben das dieser äußeren Empirie entspringende innere Abbild, der Eindruck, den die Objektwelt im Subjekt macht und hinterlässt, für den ästhetischen Zweck herhalten, der künstlerischen Absicht als Gegenstand dienen.
Nicht das jeder ästhetischen Vereinnahmung, jeder künstlerischen Verwendung für Zwecke lebensweltlicher Privilegiertheit und lebensartlicher Distinktion spottende äußere spektakuläre Werden und sensationelle Erleben, zu dem der kapitale Verwertungsprozess den Takt schlägt und das er dem eben dadurch sich als modernes konstituierenden Bewusstsein als dessen ineins empirischen Modus und systematischen Rhythmus vorschreibt, sondern das Leben, das dieses ins Subjekt reflektierte Erleben im Inneren entfaltet, das Sein, das das im persönlichen Dasein aufgehobene Werden dort erhält, ist nunmehr der Stoff, an dem die Kunst ihr Material findet, und der Geist, aus dem sie ihre Inspiration zieht.
Kann das ästhetische Subjekt den Bestand und die Beständigkeit, die sie der Lebenswelt und Lebensweise der Oberschicht traditionell zu vindizieren beansprucht, in der vom Verwertungsprozess auf Touren gebrachten empirischen Lebenswelt selbst und faktischen Lebensweise als solcher partout nicht mehr finden, kann es die vom Verwertungsprozess nicht mehr bloß ergriffene, sondern regelrecht hingerissene, nicht mehr nur relativ geprägte, sondern vielmehr definitiv gesetzte äußere Wirklichkeit als gleichermaßen Basis und Objekt seines modellbildnerischen Vorweises solchen Bestands und musterschaffenden Nachweises solcher Beständigkeit nicht mehr in Anspruch nehmen, so muss es die Bemühungen um die draußen nicht mehr zu habende Stabilität des Wahrgenommenen und Kontinuität des Verhaltens ins eigene Innere transferieren, muss es seine Aspirationen auf das der Entwirklichung trotzende Bestehende und das der Entwertung entzogene Bleibende, um das es der neuzeitlichen Ästhetik zu tun ist, statt sie aufs reelle Dasein, aufs äußere Objekt zu richten, vielmehr in den Bereich des essentiellen Widerscheins, der subjektiven Erinnerung verlegen. Der Kunstschaffende muss seinen Anspruch, den Bestand der Lebenswelt und die Beständigkeit der Lebensweise zu beschwören und zu reaffirmieren, von Lebenswelt und Lebensweise selbst loslösen und abwenden und in die Reflexion treiben, verinnerlichen, um ihn nurmehr hinsichtlich der Spiegelung des Eindrucks, den die Lebenswelt im Bewusstsein erzeugt, geltend zu machen, ihn bloß noch in specie des Eindrucks, den die Lebensweise im Geiste hinterlässt, als eingelöst zu erweisen.
Er muss also jene Kehrtwendung vollziehen, jene Verinnerlichungsbewegung durchlaufen, der zufolge es der künstlerischen Wiedergabe und Darstellung nicht mehr um die Sache selbst, um den Bestand und die Beständigkeit des Objekts, kurz, um Realismus und Detailtreue, sondern nurmehr um die Idee der Sache, um die Stabilität und Kontinuität der subjektiven Auffassung des Objekts, kurz, um die Wirklichkeit des Eindrucks, den die Sache macht, die Authentizität oder Klangtreue der vom Objekt hinterlassenen Impression zu tun ist.
Alle unter der Ägide des modernen Bewusstseins aufrechterhaltene Ästhetik ist, nicht zwar in der spezifischen Verwendung, wohl aber im generischen Sinne des Wortes Impressionismus. Kann der Kunstschaffende die Stabilität der Lebenswelt und Kontinuität der Lebensweise, auf deren Genuss und Ausübung die Teilhaber am ästhetischen Unternehmen ihren Anspruch auf personales Prestige und soziale Privilegiertheit, auf einen exklusiven Charakter und einen distinkten Status gründen, nicht mehr draußen, in der gesellschaftlichen Wirklichkeit finden, so muss er diese Stabilität und Kontinuität in seinem eigenen Inneren, in seiner Seele, suchen, muss er sie ebenso sehr in eigener Regie wie aus eigener Machtvollkommenheit als den Modus setzen, in dem die zur inneren Befindlichkeit aufgehobene äußere Lebenswelt in ihm erscheint, sie als den Duktus offenbaren, in dem die zur Empfindungsform reflektierte Lebensweise seine Seele okkupiert.
Redendes Zeugnis dieser Wendung von der Außenwelt zur als deren eigengesetzliche Spiegelung beziehungsweise spontane Übersetzung wohlverstandenen Innenwelt, von der Objektdarstellung zur Manifestation des Subjekts, kurz, vom genrebildlichen Realismus zum seelenkundlichen Impressionismus, ist die verstärkte Bedeutung, die im neunzehnten Jahrhundert die Kunstgattung der Musik erlangt, mit dem Ergebnis, dass diese aus der Funktion eines andere gesellschaftliche Aktivitäten wie Staatsakte, Festlichkeiten und Soupers begleitenden Hintergrundgeschehens und Unterhaltungsbeitrags herauswächst und die Bedeutung einer Kultveranstaltung, eines ästhetischen Ereignisses von eigenen Gnaden erlangt. So gewiss es in der Konsequenz der kontrapunktisch, um nicht zu sagen, gegenläufig an die Entstehung des modernen Bewusstseins gekoppelten impressionistischen Umorientierung der neuzeitlichen Ästhetik letztlich nicht mehr um äußere Wahrnehmungen, sondern um innere Empfindungen, nicht mehr um den wirklichen Gegenstand, sondern um das wahre Gefühl, das der Gegenstand erregt, zu tun ist, so gewiss erscheint die Musik als die diese Umorientierung paradigmatisch zum Ausdruck bringende Kunstgattung.
Nicht zufällig war oben im Zusammenhang mit jener Wendung vom äußeren Gegenstand zum inneren Eindruck, den der Gegenstand hinterlässt, von Klangtreue die Rede: Nichts repräsentiert besser und unmittelbarer diese Innerlichkeit, diese subjektive Spiegelung, die nun der Kunst dazu dient, die draußen, in der Objektwelt selbst, nicht mehr zu habende Stabilität des Daseins und Kontinuität der Erfahrung zu beschwören und zu reaffirmieren, als die durch das Gehör Einlass ins Subjekt findende Musik, die ohne Intervention des Raumsinns, der Erscheinungsform jener Außenwelt, wirksamen Schwingungen und Erschütterungen, mit denen die Außenwelt nicht als Erscheinung, sondern als Ereignis, nicht als Topos, sondern als Dynamos, nicht als Art, sondern als Weise, nicht als Apparat, sondern als Instrument, nicht als Gegenstand, sondern als Reiz den biologischen Rhythmus anspricht und das Lebensgefühl erregt.
Dabei kann natürlich, aller Paradigmatik zum Trotz, die Musik die bildende Kunst im Allgemeinen und die Malerei im Besonderen nicht insgesamt ersetzen. Schließlich kann sich jener ins Innere verlegte ästhetische Stabilititäts- und Kontinuitätsnachweis nicht auf den abstrakten Eindruck und die flüchtige Impression beschränken, die eine auf materiale Vibrationen und Luftschwingungen reduzierte Außenwelt in der Seele des Subjekts hervorruft und hinterlässt, sondern muss sich auch und wesentlich auf das Bild und die Spiegelung erstrecken, die die Objektivität als ganze, die durch die Sinne in genere und das Auge in specie vorgestellte Realität im Geiste der Person erzeugt und zum Erscheinen bringt – und eben deshalb bleibt die bildende Kunst im Allgemeinen und die Malerei im Besonderen ein wesentliches ästhetisches Darstellungsmittel. Freilich legt auch das bildnerische Darstellungsmittel selbst noch einmal Zeugnis von der paradigmatischen Bedeutung ab, die durch die impressionistische Wendung der Ästhetik die Musik gewinnt, indem nämlich teils im neuen Genre der Programmmusik die Klangkunst als quasi malende Musik die Bildkunst sich einzuverleiben sucht, teils und vor allem in der Fortentwicklung der Oper zum Musikdrama Verdischer und Wagnerscher Prägung die durch das Wort zu szenischem Leben erweckte bildende Kunst sich mittels Musik zu einem für das neunzehnte Jahrhundert Maßstäbe setzenden Gesamtkunstwerk zu totalisieren beansprucht.
Dies also, die impressionistische Wendung der Kunst, die Verlagerung der das Herzstück aller neuzeitlichen Ästhetik bildenden Suche nach Stabilität der Lebenswelt und Kontinuität der Lebensweise ins Innere des Subjekts, in die Spiegelung, die die Lebenswelt im Subjekt selbst erhält, die Reflexion, die die Lebensweise in seiner Seele erfährt – dies also ist die Lösung, die die Kunstschaffenden für das ihre materielle Existenz und ihren sozialen Status bedrohende Problem einer vom Verwertungsprozess vollständig vereinnahmten und für jenen ästhetischen Zweck nicht mehr verfügbaren Außen- und Objektwelt finden und die sie der um eine mediale Manifestation ihres Anspruchs auf personales Prestige, eine reale Grundlage für ihre Behauptung sozialer Privilegiertheit verlegenen Oberschicht offerieren. Und die Oberschicht, die sich von den Kreationen eines Verwertungsprozesses umbrandet beziehungsweise überflutet findet, der durch seine Beschleunigung, Vervielfältigung und Massierung ihre Lebenswelt und Lebensweise, ihr materiales Milieu und ihre realen Gewohnheiten einer unaufhaltsamen Popularisierung und Vulgarisierung überantwortet, sprich, als Grundlage für ihren Anspruch auf Exklusivität und Distinktion dementiert und außer Kraft setzt, diese Oberschicht nimmt das Angebot der Kunstschaffenden dankbar an und ist nur zu bereit, sie als Mäzenin neu zu protegieren beziehungsweise – da es ja bei jener Geburt des modernen Bewusstseins dank der Beharrlichkeit der um ihre Subsistenz und ihren Status kämpfenden Kunstschaffenden zu gar keiner wirklichen Unterbrechung des ästhetischen Geschäftes kommt und der Übergang fließend ist – weiterhin zu beschäftigen, ihnen Aufträge zu erteilen und ihnen für ihre Produktionen Honorare zu zahlen.
Mit dem Wechsel der Kunst vom genrebildlichen Realismus zum spiegelbildlichen Impressionismus geht ein mehrfacher Funktionswandel des Kunstschaffenden einher. Er wird aus einem werkmeisterlichen Faktotum zur beschränkten Fachkraft. Gleichzeitig verändert sich seine Stellung zu seinen Auftraggebern. Er steht nicht mehr im Sold der letzteren, sondern agiert als freischaffender Dienstleister. Vor allem aber verleiht ihm die Tatsache, dass er es ist, der jetzt die ästhetische Wirklichkeit aus sich heraus setzt und für ihre Existenz einsteht, eine ganz neue Bedeutung: Er avanciert zum charismatischen Schöpfer, zum Genie.
Allerdings hat die verwertungsprozessual bedingte Modernisierung des gesellschaftlichen Bewusstseins und hat die Verbindlichkeit, die das moderne Bewusstsein für alle Schichten, die Oberschicht eingeschlossen, gewinnt, weitreichende Folgen für das Verhältnis der letzteren zu den von ihr nicht sowohl in Gnaden wiederaufgenommenen als vielmehr so, als wäre nichts vorgefallen, weiterhin in Anspruch genommenen Kunstschaffenden selbst. Erstens nämlich ändert sich, wie bereits gezeigt, deren Funktion, die ihnen von der Oberschicht zugewiesene Aufgabe und abgeforderte Dienstleistung. Die bestand ja traditionell darin, der Oberschicht ihre materiale Lebenswelt und reale Lebensweise als ebenso stabil wie kontinuierlich vorzuführen und damit zugleich als Grundlage für den von ihr beanspruchten exklusiven personalen Charakter und distinkten sozialen Status zu reaffirmieren und zu konservieren. Die Tauglichkeit für diesen Zweck aber haben die Lebenswelt und Lebensweise im Zuge ihrer verwertungsprozessualen Popularisierung und Vulgarisierung verloren, so dass die, der Macht des Faktischen folgend, zum modernen Bewusstsein konvertierende Oberschicht beide nun Seite an Seite und in prinzipiellem Einvernehmen mit den übrigen Schichten der Gesellschaft erlebt und genießt und sich von letzteren höchstens noch durch einen ihren vormals beanspruchten qualitativen Standesunterschied, ihren distinkten Adel, ebenso sehr vereitelnden wie ersetzenden quantitativen Klassenabstand, einen höheren Grad von Vornehmheit abzusetzen vermag.
Und deshalb bieten ihr, die sich dennoch und ungeachtet ihrer als Demokratisierung und Nivellierung erfahrenen Konversion zum modernen Bewusstsein ihre Exklusivität und Distinktion erhalten möchte, die Kunstschaffenden nun anstelle der für jenen Zweck disqualifizierten Lebenswelt und untauglichen Lebensweise eine subjektive Interpretation, eine verinnerlichte Lesart, eine impressionistische Spiegelung an, die kraft innerer Reflexion des Äußeren, kraft seiner Integration in den Bestand und die Beständigkeit des Seelenlebens, der Lebenswelt und Lebensweise ihren zur bildnerischen Darstellung herausfordernden Modellcharakter, ihre zur repräsentativen Wiedergabe einladende Mustergültigkeit, kurz, ihre draußen nicht mehr zu habende ästhetische Qualität und Eignung zu revindizieren und sie damit eben auch und vor allem als Basis für die personalen Aspirationen und sozialen Ansprüche derer, die am ästhetischen Geschäft teilhaben und aus ihm Gewinn ziehen, zu erhalten behauptet.
Der Funktionswandel, den die Kunstschaffenden mitsamt ihrem ganzen Tun und Vollbringen damit erfahren, liegt auf der Hand. Ihre Kunst ist ja demnach nicht mehr dazu da, die materiale Lebenswelt und reale Lebensweise der Oberschicht mitsamt der in beidem gründenden faktischen Exklusivität und praktischen Privilegiertheit gutzusagen und als eine ebenso substanzielle wie beständige Wirklichkeit zu beschwören und zu reaffirmieren, sondern dient nurmehr dem Zweck, die zu jener Grundlegung nicht mehr fähige Lebenswelt und Lebensweise so zu reflektieren und zu interpretieren, dass sie die Begründungsleistung, wenn schon nicht objektiv-bildlich, so wenigstens doch subjektiv-spiegelbildlich, oder wenn schon nicht faktisch-praktisch, so immerhin doch symbolisch-simu- latorisch erbringt.
Die Kunst kann nicht mehr ein empirisches Leben der Oberschicht, aus der sich deren Charisma und Distinktion quasi natürlich ergibt, beschwören und reaffirmieren, sie kann bloß noch ein Lebensgefühl der Oberschicht fundieren und stützen, das jenes Charisma und jene Distinktion als nach wie vor vorhandene zu beglaubigen taugt und das sich aus der wirklichen Lebenswelt und Lebensweise, die die Oberschicht zunehmend mit den anderen gesellschaftlichen Gruppen teilt, eben nurmehr künstlich, sprich, durch eine als impressionistische Interpretation wirksame ästhetische Reflexion erzeugen und gewinnen lässt. Während die Oberschicht an einer sich mehr und mehr verbreitenden und verallgemeinernden Wohlstandswelt und konsumtiven Lebensweise als am fait accompli jedes modernen Bewusstseins partizipiert, lässt sie sich gleichzeitig vom Künstler durch eine als impressionistische Vereinnahmung funktionierende Verinnerlichung diese Wohlstandswelt und konsumtive Lebensweise reflexiv so umgestalten und interpretativ so zurichten, dass das als ästhetische Wirklichkeit de profundis des Subjekts, als Artefakt von Gnaden seines Schöpfers erscheinende Ergebnis dazu taugt, denen, die sich zu ihm verhalten, an ihm Gefallen finden und es wertzuschätzen wissen, kurz, die an es glauben, jenen Anspruch auf Exklusivität und Distinktion, auf qualitative Würde und essentiellen Rang dennoch und gegen alle unmittelbare Empirie, gegen die anderslautende Botschaft, die vom generell wohlstandsgesellschaftlichen Milieu und vom gleichmacherisch konsumgesellschaftlichen Betrieb ausgeht, zu erhalten und zu bestätigen.
Damit aber ist klar, dass die Kunstschaffenden eine gegenüber ihrer traditionellen Rolle veränderte Funktion wahrnehmen. So gewiss sie nicht mehr dazu dienen, der Oberschicht eine ihr exklusiv vorbehaltene Lebenswelt und eine sie qualitativ auszeichnende Lebensweise ästhetisch zu vermitteln, sprich, als ihre ebenso substanzielle wie dauerhafte conditio humana vorzuführen und zu bekräftigen, sondern nurmehr dazu da sind, durch eine auf die Oberschicht gemünzte ästhetische Vermittlung, sprich, Stabilität der persönlichen Erfahrung und Kontinuität des gesellschaftlichen Bewusstseins beschwörende Interpretation der allgemeinen Lebenswelt und bürgerlichen Lebensweise jenem von der Oberschicht traditionell gemachten Exklusivitätsvorbehalt und als qualitative Differenz erhobenen Distinktionsanspruch eine reale Basis zu verschaffen oder jedenfalls einen phänomenalen Vorwand zu liefern, so gewiss erfüllen sie, die Kunstschaffenden, eine im Vergleich zu ihrer traditionellen Funktion ebenso beschränkte wie besonderte Aufgabe. Aus Werkmeistern oder universalistischen Artefaktota, die die Oberschicht mit einem selbstherrlich-materialen Lebensgefühl oder prestigeträchtig-realen Wirklichkeitssinn versorgen, werden sie zu Fachkräften oder spezialisierten Artisten, die nichts weiter mehr tun, als ein ideales Selbstbewusstsein und soziales Statusbedürfnis zu befriedigen, das die Oberschicht neben ihrem materialistischen Genuss des bürgerlichen Lebens und in Ergänzung ihres realistischen Sinns für die konsumgesellschaftliche Wirklichkeit aufrechtzuerhalten und zu kultivieren beansprucht. Aus zentralen Reflektoren der der Oberschicht vorbehaltenen Lebenswelt und Lebensweise mutieren sie zu exzentrischen Projektoren, die eine Lebenswelt und Lebensweise, die keineswegs mehr exklusive Domäne und Privileg der Oberschicht sind, so spiegeln und transformieren, dass letztere in ihrer Wahrnehmung des Gespiegelten und in ihrem Umgang mit dem Transformierten ihr anhaltendes Bedürfnis nach Exklusivität und Privilegiertheit, aller ansonsten vollzogenen Konversion zum modernen Bewusstsein, sprich, aller im Übrigen vorbehaltlosen Partizipation an der verwertungsprozessual erzeugten gesamtgesellschaftlichen Kultur und gemeinbürgerlichen Konsumtion zum Trotz, befriedigt finden kann.
Dieser Einengung und Spezialisierung der von den Kunstschaffenden ausgeübten Funktion und erbrachten Leistung entspricht die Veränderung speziell ihres Arbeitsverhältnisses und generell ihrer sozialen Beziehung zu ihrer Mäzenin und Auftraggeberin, der traditionellen, wenngleich zunehmend durch arrivierte bourgeoise Gruppen ergänzten und erweiterten und in Habitus und Charakter von den Emporkömmlingen beeinflussten und geprägten Oberschicht. Die Kunstschaffenden sind nicht länger ständige Begleiter, Satelliten, der Oberschicht, gehören nicht mehr ihrer Korona oder quasi ihrem Hof oder Haushalt an, sondern sind Einzelgänger, Kometen, die ihre eigene Bahn ziehen und bei Bedarf von der Oberschicht herangezogen werden, die sie entweder mit Aufträgen versieht oder ihnen bereits auf eigene Faust geschaffene Kunstwerke abkauft. Sie sind keine abhängig Beschäftigten, keine Domestiken, keine Angestellten mehr, sondern freischaffende Dienstleister, selbständig Wirtschaftende, freie Unternehmer.
Die gesellschaftliche Eigenständigkeit und Unabhängigkeit, die ihrem Wechsel vom universellen, das schöne Leben beglaubigenden Kunstmeister zum partiellen, den Kunstsinn befriedigenden Artisten entspricht, kann den Kunstschaffenden im Blick auf ihre ökonomische Lage und ihre soziale Stellung zum Vorteil gereichen, aber auch zum Nachteil ausschlagen. Gelingt es ihnen, die Oberschicht für ihre Kreationen zu interessieren und ihr diese als für die Bekräftigung ihrer Exklusivität und die Bestätigung ihrer Privilegiertheit geeignetes Beweismittel zu suggerieren, können sie sich gegenüber ihrer künstlerischen Konkurrenz durchsetzen und die Nachfrage nach ihren Werken nutzen, um hohe Preise zu erzielen und großes Ansehen zu eringen und tatsächlich mehr Geld einzunehmen und Lorbeeren zu ernten, als ihnen unter traditionellen Bedingungen jemals möglich war. Findet hingegen ihre Arbeit keine Anerkennung in der Oberschicht und werden ihre Werke dort nicht goutiert, so fehlt ihnen die Patronage und Protektion, die sie traditionell als zu Haus und Hof gehörende Dienstleute dieser oder jener Herrschaft oder dieses oder jenes patrizischen Milieus genossen, und sie stürzen unter Umständen ins Bodenlose hinab, versinken in bitterer Armut und elender Vergessenheit.
Vielleicht aber die augenfälligste und für das Bild, das sie nunmehr abgeben, folgenreichste Veränderung, die der Wechsel vom Kunstmeister traditioneller Provenienz zum Artisten neuer Prägung für die Kunstschaffenden mit sich bringt, ist nicht funktioneller und sozialer, sondern, wenn man so will, essentieller Natur. Sie betrifft nicht die neue berufliche Rolle der Kunstschaffenden, ihr Wirken als Spezialisten für die Befriedigung von Kunstsinn, und nicht ihre veränderte gesellschaftliche Position, ihre Stellung als für die Versorgung der Kunstsinnigen mit den nötigen Kunstwerken zuständige freischaffende Produzenten, sondern sie resultiert aus der Tatsache, dass die Kunstschaffenden nun nicht mehr unmittelbar die Lebenswelt und Lebensweise der Oberschicht, deren leibhaftige Wirklichkeit und Kultur zum Gegenstand ihrer ästhetischen Tätigkeit machen können, sondern gezwungen sind, diese Lebenswelt und Lebensweise modo obliquo und nämlich per medium ihres, der Künstler, eigenen Inneren, reflektiert durch ihr eigenes Subjektsein, gespiegelt in ihrem eigenen Seelenleben erscheinen zu lassen und wahrzunehmen. Nur so gelingt es ihnen ja, ihrer traditionell ästhetischen Aufgabe nach wie vor gerecht zu werden und eine hinlänglich stabile und kontinuierliche Wirklichkeit Gegenwart gewinnen und erstehen zu lassen, eine Wirklichkeit, bei der die draußen nicht mehr zu habende, als objektive Gegebenheit und sächlicher Zusammenhang nicht mehr erfahrbare Gediegenheit und Dauer durch die Substantialität des subjektiven Seins und die Kontinuität des persönlichen Erlebens substituiert wird.
Unschwer erkennbar, dass damit den Kunstschaffenden eine ungleich größere Bedeutung und ungleich grundlegendere Funktion zufällt, als sie traditionell besaßen. Aus bloßen Vermittlern eines bereits Vorhandenen, Maklern dessen, was der Fall ist, werden sie zu Medien, die das, was sie vermitteln, um es vermitteln zu können, erst einmal selber ins Werk setzen müssen, zu Moderatoren, die, um ihr Publikum mit den gewünschten Produkten versorgen zu können, diese überhaupt erst hervorbringen, sie als solche produzieren oder zumindest redaktionell bearbeiten müssen. Sie erfüllen nicht mehr nur eine präsentative oder demonstrative Funktion, sondern übernehmen eine konstitutive oder kreative Rolle. Sie verwandeln sich aus Simulatoren oder Imitatoren in Improvisatoren oder Generatoren. Kurz, sie werden aus Akteuren oder Darstellern zu Autoren oder Herstellern, aus dem schaffenden Meister wird das schöpferische Genie.
Die Erhebung und Verklärung des Kunstschaffenden zum Genie ist ebenso unmittelbare wie natürliche Konsequenz der neuen medialen Rolle, die ihm beim Übergang der Ästhetik vom Realismus zum Impressionismus zufällt, Konsequenz der Tatsache, dass er als Subjekt, sein Innen- und Seelenleben es ist, was den Stoff liefert, von dem nunmehr die Kunst zehrt und aus dem sie gemacht ist, genauer gesagt, dass die in seinem Inneren geschehende Spiegelung, die mittels seiner Subjektivität vor sich gehende Reflexion es ist, was allererst der materia prima der Kunst, der äußeren Empirie, der draußen vorfindlichen Lebenswelt und statthabenden Lebensweise die Beschaffenheit und Fasson verleiht, die aus ihr eine ästhetisch relevante Wirklichkeit, ein für die künstlerische Wiedergabe, die bildnerische Reproduktion geeignetes, wo nicht prädestiniertes Objekt macht. Nicht mehr, dass der Kunstschaffende die Welt einfach so, wie sie ist, wahrnähme und sie in bildliche Form brächte, sie in ihrer objektiv ästhetischen Beschaffenheit und Verfasstheit realisierte – vielmehr ist er selbst es, er höchstpersönlich, der, indem er sie ins Auge fasst und sie sich einverleibt und anverwandelt, ihr allererst die Bestimmtheit oder Konstitution vindiziert, die sie zum ästhetischen Stoff und Gegenstand künstlerischer Bearbeitung und Wiedergabe macht.
Im paradoxen Gegensatz zur Spezialisierung und funktionellen Einengung, die im Zuge der Entstehung des modernen und als solches nicht mehr ästhetisch gestimmten, sprich, nicht mehr an einer modellbildnerischen Stabilität der Lebenswelt und mustergültigen Kontinuität der Lebensweise, sondern höchstens noch an dem Prestige und Status, der mit beidem verknüpft ist, interessierten Bewusstseins der Kunstschaffende erleidet – im paradoxen Gegensatz dazu erfährt er eine als exzessive Ausweitung seiner Kompetenz und qualitative Aufwertung seiner Leistung erscheinende Essentialisierung, die ihn aus einem Akteur zum Autor werden lässt, ihn in den Rang eines spontanen Erzeugers statt bloß reproduktiven Verwesers von Wirklichkeit erhebt, kurz, ihn zu einer Schöpfungskraft sui generis verklärt, ihn zum Genie macht. Genie, die Kreation und Reproduktion, Schöpfung und Nachschöpfung in der Person des Künstlers koinzidieren lassende Originalität, ist fortan die Grundbedingung für das Gelingen und den Erfolg alles ästhetischen Schaffens.
So sehr freilich systematisch die genialische Konstitution des Kunstschaffenden nunmehr Grundbedingung für das Gelingen und den Erfolg des künstlerischen Werks ist, so sehr erscheint empirisch umgekehrt der Erfolg als ebenso einziger wie letzter Beweis dafür, dass eine genialische Konstitution tatsächlich vorliegt, eine Wirklichkeit nicht bloß darstellende, sondern mehr noch stiftende Originalität, eine nicht bloß aktuell Gegebenes reproduzierende, sondern potenziell Bereitliegendes aktualisierende Schöpfungsmacht in Subjektgestalt vorhanden ist. Dies bringt die erwähnte neue soziale Stellung der Kunstschaffenden, ihre Freiberuflichkeit oder professionelle Unabhängigkeit von ihrer traditionellen Mäzenin und Auftraggeberin, der Oberschicht, mit sich – eine Unabhängigkeit, die sie zwingt, in Konkurrenz mit ihresgleichen ihre Werke zu Markte zu tragen und dort feilzubieten, statt sie im mehr oder minder unmittelbaren Dienste der Herrschaft zu produzieren und dieser gegen ein mehr oder minder als Alimentierung, als Unterhaltszahlung geleistetes Honorar zu überlassen. So gewiss der Künstler sich erst durch seinen Verkaufserfolg auf dem Markt als solcher bewähren muss, so gewiss fällt der Oberschicht als der maßgeblichen Käuferin und Konsumentin de facto die Beglaubigung des mittlerweile im Künstler verkörperten Genies, der Nachweis der in den Kunstschaffenden am Werke seienden Schöpfungsmacht zu.
Dass so de facto oder empirisch die kunstsinnigen Konsumenten über Sein oder Nichtsein des Genies entscheiden, ändert freilich nichts daran, dass aus Sicht der kunstsinnigen Konsumenten selbst das Genie und seine Schöpfungsmacht völlig unabhängig von allem konsumtiven Dafürhalten oder Käuferurteil existiert, dass es mit anderen Worten de jure oder systematisch eine objektive Voraussetzung, eine, wie man will, natur- oder gottgegebene Tatsache darstellt und dass es sich demgemäß bei der auf dem Markt getroffenen Entscheidung, dem Erfolg oder Misserfolg beim Verkauf, nicht sowohl um ein Urteil als vielmehr um ein Ordal handelt, dass also dem Kunstwerk durch seine Käufer nicht sowohl Wert beigemessen, Genie zugesprochen wird, sondern dass die Käufer nichts weiter tun, als dem gegebenen Wert des Kunstwerks zu huldigen, vom im Kunstwerk offenbaren Genie Zeugnis abzulegen. Ganz im Sinne der kalvinistischen Gnadenwahl ist der Erfolg des Kunstwerks nicht etwa Begründung, sondern nur Bestätigung des Genies, keine konstitutive Bedingung oder wesentliche Voraussetzung der dem Künstler eigenen Schöpfungsmacht, sondern nur deren äußeres Kennzeichen, ihr charakteristischer Ausweis. Wie könnte das auch anders sein? Wäre die Anerkennung durch die Kunstsinnigen tatsächlich konstitutiv für das Genie, der Erfolg der Schöpfung entscheidend für das schöpferische Sein, die Kunstsinnigen fänden dem wesentlichen Interesse, das sie mit dem Kunstgenuss verknüpfen, ihrem Interesse, sich mittels Ästhetik ihrer personalen Exklusivität und sozialen Privilegiertheit zu versichern, allen Grund und Boden entzogen.
Schließlich brauchen sie, um ihren Anspruch auf Exklusivität und Privilegiertheit aufrecht erhalten zu können, einen glaubhaften Ersatz für die materiale Lebenswelt und reale Lebensweise, die, ästhetisch beschworen und wiedergegeben, künstlerisch haltbar und stetig gemacht, traditionell jenen Anspruch zu befriedigen diente. Und schließlich finden sie diesen Ersatz, wie gezeigt, im Kunstschaffenden selbst, in der Spiegelung und Reflexion, die die äußere Lebenswelt und reale Lebensweise in dessen Innerlichkeit erlebt, durch sein Seelenleben erfährt. Glaubhaft aber ist der Ersatz, die aus der Außenwelt ins Innere des Künstlers transponierte Wirklichkeit, der aus einem realistischen in ein impressionistisches Phänomen überführte Stoff, aus dem die Kunstwerke gemacht sind, natürlich nur, wenn er wirklich und wahrhaftig dem Künstler selbst entstammt, einen ebenso originalen wie spontanen Inhalt des kunstschaffenden Subjekts darstellt und nicht bloß eine Projektion derer ist, die sich des Künstlers für ihre Zwecke personalen Prestiges und sozialer Distinktion bedienen, nicht bloß von letzteren dem Kunstschaffenden aus Eigeninteresse unterstellt und zugesprochen wird.
Genau das aber wäre ja der Fall, wenn der Erfolg des Kunstschaffens auf dem Markt, die Anerkennung der Leistung des Künstlers durch die Kunstsinnigen über dessen Genie entschieden. Die Kunstsinnigen würden, um ihren an den Kunstgenuss geknüpften Anspruch auf Exklusivität und Distinktion zu befriedigen, sich das Genussmittel in eigener Regie zubereiten, aus eigener Machtvollkommenheit zumessen, würden mithin ihren Anspruch auf Exklusivität und Distinktion, statt ihn sich objektiv begründen, von fremder Hand erfüllen zu lassen, durch eine subjektive Entscheidung zu rechtfertigen, ihn quasi eigenhändig, durch ein von ihnen behauptetes Faktum, einen Popanz im Sinne des Wortes, einzulösen suchen. Wie könnte solch eine Art der Selbstbedienung oder Selbstbefriedigung die Kunstsinnigen selbst zufrieden stellen und in ihrem Anspruch bestätigen, geschweige denn, die Gesellschaft als ganze von der Rechtmäßigkeit ihres Anspruchs überzeugen und zu dessen Anerkennung nötigen?
Der feste Glaube an die Fähigkeit des Künstlers in persona, die äußere Wirklichkeit ihrer verwertungsbedingten Scheinhaftigkeit und Flüchtigkeit zu entreißen, sie aus ihr herauszureflektieren und seelisch so zu bearbeiten, impressionistisch derart zu transformieren, dass sie Stabilität und Kontinuität, Konsistenz und Insistenz, Substanz und Dauer beweist und mithin Tauglichkeit zur Repräsentation als Kunstwerk gewinnt, kurz, der ästhetische Geniekult, ist demnach unabdingbare Implikation des parallel zum – von ästhetischen Aspirationen freien – modernen Bewusstsein und im Verbund mit ihm von der Oberschicht prolongierten und kultivierten Kunstsinnes. So wahr die Oberschicht, um ihr Bedürfnis nach Exklusivität und Distinktion befriedigen zu können, einen Ersatz für die als Gegenstand der Ästhetik untauglich gewordene äußere Lebenswelt und Lebensweise braucht und so wahr sie diesen Ersatz im ebenso funktionell spezialisierten wie sozial verselbständigten Künstler selbst findet, so wahr huldigt sie in ihm dem Genie, einem durch seine Kreativität und Originalität dem göttlichen Schöpfer beziehungsweise der zeugenden Natur ähnlichen und als Monstrum der Natur, als Heros, verehrten homo faber.
Für sie, die Kunstsinnigen, die um die Fundiertheit und Haltbarkeit ihres an den Kunstgenuss geknüpften Anspruchs auf Charisma und Status besorgt sind, hängt alles von der genialischen Konstitution des Künstlers, sprich, davon ab, dass er in eigener schöpferischer Person, in eigener, subjektiver Machtvollkommenheit für die Wirklichkeit und den Wert dessen, was er schafft, einsteht, dass er unabhängig vom gesellschaftlichen Dafürhalten im Allgemeinen und vom Geschmack der Kunstsinnigen im Besonderen Substanz kreiert und Kontinuität garantiert – weshalb denn auch die Kunstsinnigen, um jeden Verdacht der Abhängigkeit des schöpferischen Künstlers von ihnen und der Promotion, die sie ihm auf dem Markte angedeihen lassen, sprich, dem Erfolg, den er dort erzielt, zu zerstreuen und ex negativo einer jedem Einfluss von ihrer Seite entzogenen, rein für sich seienden schöpferischen Subjektivität, eines künstlerischen Subjekts, das als ein veritabler creator absconditus im Verborgenen wirkt und sich selbst genügt, auszuräumen, den komplementären Topos des verkannten Genies in die Welt setzen.
Um dem kruzifikatorischen Spagat zwischen Größenwahn und Scheitern, den ihm sein Geniestatus aufzwingt, zu entrinnen, rekurriert der impressionistisch-moderne Künstler auf das Vorbild des romantischen Kunstschaffenden. Der macht aus der Not der relativen Ungleichzeitigkeit und Zurückgebliebenheit seines gesellschaftlichen Milieus eine Tugend, indem er dieses Milieu zum relikthaften Zeugnis einer Substantialität und Kontinuität verklärt, die nicht von dieser Welt ist. Von der christlich-residualen Reliquie unterscheidet das romantisch-obsolete Relikt, dass es nicht dazu da ist, das Subjekt an ein himmlisches Sein zu gemahnen, sondern dazu dient, es mit seinem irdischen Dasein zu versöhnen.
Dass die um des beschränkten Zwecks einer Aufrechterhaltung ihres Anspruchs auf personale Exklusivität und soziale Distinktion willen an ihren ästhetischen Aspirationen festhaltende und zu diesem Zweck den Kunstschaffenden, wenngleich nicht mehr als hauseigenes Faktotum, sondern als freiberuflichen Artisten weiter protegierende und honorierende Oberschicht letzteren im paradoxen Zugleich mit seiner Spezialisierung oder funktionellen Partikularisierung zu einer Spezies sui generis heroisiert, zu einer Substanz in Subjektform totalisiert, liegt in der Logik eben jenes Zwecks der Oberschicht begriffen und braucht deshalb nicht weiter zu verwundern. Verwunderlich freilich bleibt, warum beziehungsweise wie der Künstler selbst diese seine – wie immer auch fachidiotisch definierte – Heroisierung, diese seine Verklärung zum – wie sehr auch im Geltungsbereich eingeschränkt – gottgleichen oder naturmächtigen Genie akzeptieren beziehungsweise verkraften kann. Schließlich kennt der Künstler sich selbst und seine kreatürlichen Grenzen, weiß, dass er ein von schöpferischer Allmacht und heroischer Originalität weit entfernter Mensch unter anderen ist, weiß, dass sein Genie, die ihm als einer Spezies sui generis, einem Monstrum der Natur, attestierte Schöpfungsmacht eine allemal im Rahmen des artgenossenschaftlichen Wirkens bleibende und höchstens und nur durch ihr Maß an Inspiration oder ihren Grad von Versiertheit sich unterscheidende, höchst normale Kunstfertigkeit ist, und muss deshalb seine kultische Erhöhung, seine Entmenschlichung zum Genie als eine Herausforderung betrachten, die sein Verhältnis zu sich selbst beziehungsweise seine seelische Gesundheit auf eine harte Probe stellt und aufs Äußerste strapaziert.
Tatsächlich stellt sie ihn vor die kruzifikatorische Alternative, entweder der Suggestion der ihm zugesprochenen Schöpfungsmacht und Genialität zu erliegen und der einen oder anderen Form von Größenwahn zu verfallen oder sich der Bürde der ihm nachgesagten genialischen Natur nicht gewachsen zu fühlen und an der Unerfüllbarkeit der damit verknüpften Leistungsanforderungen zu zerbrechen.
Wie eine Umschau in den letzten anderthalb Jahrhunderten der neuzeitlichen Kunstgeschichte, ihrer als Moderne firmierenden Phase, zeigt, herrscht an Beispielen für das eine und für das andere, den Größenwahn und das klägliche Scheitern, kein Mangel. Dennoch bleiben, aufs Gesamt der Künstlerbiografien gesehen, diese Beispiele für das alternative Unheil, das der Geniekult bei den Kunstschaffenden anrichtet, doch eher die Ausnahme oder der Einzelfall – und genau das ist das Verwunderliche, angesichts der Belastung, der der Geniekult die Betreffenden aussetzt, und der sub specie solcher Belastung anzunehmenden Unentrinnbarkeit jener Alternative. Wie erklärt sich die relative Immunität der Kunstschaffenden gegen die Krankheit der Hybris und des Versagens, was ermöglicht es ihnen, das fragile Gebilde ihrer nur allzu menschlichen Konstitution, ihrer empirischen Subjektivität, dem Druck und der Last der ihnen widerfahrenden substanziellen Heroisierung und funktionellen Hypertrophierung zum Trotz, intakt und leistungsfähig zu erhalten?
Um das zu verstehen, müssen wir noch einmal auf die Geburtsstunde des unter dem Eindruck der Beschleunigung und Vervielfältigung des kapitalen Verwertungsprozesses das ästhetische Interesse an Bestand und Beständigkeit durch das sensualistische Bedürfnis nach Unterhaltung und Abwechslung ersetzenden modernen Bewusstseins und auf die damit in paradoxer Gegenläufigkeit verknüpfte Entstehung des künstlerischen Geniekults zurückkommen und uns klar machen, dass die in letzterem implizierte und auf die beschriebene Weise gleichermaßen funktionell und sozial durchschlagende Veränderung der Aufgabe und Rolle der Kunstschaffenden keineswegs so systematisch einheitlich und topisch gleichzeitig, wie oben suggeriert, vor sich geht und vielmehr einen durch Uneinheitlichkeit der Entwicklung charakterisierten Vorlauf, eine von Ungleichzeitigkeit heimgesuchte Vorgeschichte hat.
Sowohl regional, das heißt, innerhalb der einzelnen staatlichen Territorien, in die die auf soziale, kulturelle, konfessionelle und sprachliche Homogenisierung dringende kapitalistische Entwicklung den europäischen Kontinent auseinandersprengt, als auch national, das heißt, zwischen den verschiedenen staatlichen Territorien, vollzieht sich die zur Entstehung des modernen Bewusstseins führende industrielle Beschleunigung, Massierung und Vervielfältigung des kapitalistischen Verwertungsprozesses keineswegs homogen und synchron, im gleichen Maße und im Gleichtakt. Es gibt durchaus Regionen und Länder, in denen die alte, noch hauptsächlich der traditionellen Oberschicht vorbehaltene und noch wesentlich von ihr kultivierte Lebenswelt und Lebensweise fortbesteht und noch nicht oder nur zögerlich beziehungsweise partiell jenem industriellen Wandel erliegt, während sie andernorts bereits der mit solchem Wandel verknüpften Kursorik und Diskontinuität verfällt, die sie als Gegenstand ästhetischer Betrachtung und Bearbeitung disqualifiziert, und dabei zugleich aber auch eine Popularisierung und Vulgarisierung erlebt, die der Oberschicht die Möglichkeit raubt, ihren Anspruch auf Exklusivität und Distinktion weiterhin auf sie zu gründen.
Wo diese Säumigkeit oder Verzögerung statthat und wo sich also die wirtschaftlichen Bedingungen und gesellschaftlichen Verhältnisse noch gänzlich oder weitgehend unverändert behaupten, sehen sich die Kunstschaffenden den empirisch oder objektiv gleichen lebensweltlichen Gegebenheiten und lebensartlichen Gepflogenheiten wie zuvor konfrontiert und können deshalb eigentlich auch in ihrem ästhetischen Tun, ihrem künstlerischen Wirken wie gewohnt fortfahren.
Allerdings können sie das nur eigentlich. Tatsächlich nämlich vermögen sich jene fortdauernden lebensweltlichen Gegebenheiten und lebensartlichen Gepflogenheiten, auch wenn sie von den mit der Beschleunigung, Massierung und Eskalation des kapitalistischen Verwertungsprozesses einhergehenden Veränderungen noch gar nicht unmittelbar betroffen sind beziehungsweise im Großen und Ganzen unberührt bleiben, dem mittelbaren Einfluss jenes Prozesses schlechterdings nicht entziehen und werden im Banne seines Erscheinens von einer Art Austrocknung und Verknöcherung heimgesucht, erstarren unter seinem medusischen Blick zu Stein.
Angesichts des dynamischen Treibens, das der kapitalistische Verwertungsprozess entfaltet, und des neuen Lebens, das er erzeugt, verändert jene unbeirrt fortdauernde beziehungsweise reaktiv sich behauptende alte Lebenswelt und traditionelle Lebensweise ihr physiognomisches Aussehen und ihre konstitutionelle Beschaffenheit, verliert gleichermaßen ihre äußere Fasson und ihre innere Spannkraft und verfällt einem jähen Vorgang des Alterns und Ergrauens, der sie bis zur Unkenntlichkeit entstellt oder, besser gesagt, denen, die sie als den Inhalt und Gegenstand ihrer künstlerischen Tätigkeit zu betrachten und zu bearbeiten gewohnt sind, als bis zur Unkenntlichkeit entstellt erscheinen lässt. Was ihnen eben noch als ebenso substanzielle wie kontinuierliche Wirklichkeit vor Augen stand und sich als Material und Gegenstand ihres als modellbildnerische Beschwörungs- und mustergültige Reaffirmationstätigkeit betriebenen künstlerischen Schaffens förmlich aufdrängte, präsentiert sich vor dem Hintergrund beziehungsweise im Fluchtpunkt der vom industriellen Verwertungsprozess andernorts aus dem Boden gestampften neuen gesellschaftlichen Realität plötzlich als verfallen und ruiniert, öde und obsolet, kurz, nicht mehr wert, mit ästhetischen Mitteln repräsentiert und konserviert zu werden.
Gleichzeitig freilich ist, was so unter dem andernorts beziehungsweise in der Ferne entzündeten Feuer- und Lichtschein einer ebenso sensationellen wie phänomenalen Gütermasse und Warenvielfalt allen eigenen Glanz und alle natürliche Farbe, alles einnehmende Wesen und alle anheimelnde Vertrautheit einbüßt, seine im Traditionellen verharrende gesellschaftliche Wirklichkeit also, das Einzige, was dem in diesen Kontext gebannten Künstler an Lebenswelt zur Verfügung, an Lebensweise zu Gebote steht, was mit anderen Worten ihm, für den das industrielle Feuer eben nur andernorts oder in weiter Ferne brennt, Licht und Wärme spenden kann. Während andernorts und in der Ferne der industriell akzelerierte und eskalierte Verwertungsprozess das moderne Bewusstsein auf den Plan ruft und den dortigen Berufskollegen damit die Chance eröffnet, gemäß dem fortdauernden Interesse an ästhetischer Repräsentation und Reaffirmation, das um der Befriedigung ihres Bedürfnisses nach Exklusivität und Distinktion willen die Oberschicht im Rahmen und auf dem Boden jenes modernen Bewusstseins kultiviert, die geschilderte impressionistische Umorientierung und genialische Umfunktionierung der künstlerischen Tätigkeit zu vollziehen, findet er, der in den rückständigen Regionen und ungleichzeitigen Territorien tätige Kunstschaffende alter Schule, sich an eine Wirklichkeit gefesselt, die ihn durch ihre historisch unveränderte Existenz zum genrebildlichen Realismus und zum stilllebenhaften Traditionalismus verpflichtet, während sie sich gleichzeitig im Widerschein des in der Ferne vom industriellen Verwertungsprozess entfachten Feuers und entzündeten Lichts verfallen und verkommen, grau und öde erweist und deshalb das ihr abgeschaute Genrebild als lebenden Leichnam, das Stillleben, das sie hergibt, als ihr abgenommene schiere Totenmaske erscheinen lässt.
Was Wunder, dass der so in die Klemme ungleichzeitiger Geschichte geratene Kunstschaffende ein tiefes Ressentiment ausbildet – Ressentiment gleichermaßen gegenüber der als lebender Leichnam fortdauernden Wirklichkeit, an die er sich gefesselt findet, während andernorts der industrielle Verwertungsprozess eine neue, im unironischen Sinne lebendige, von Kraft, die des Todes spottet, erfüllte Wirklichkeit hervortreibt, und aber auch gegenüber eben jener andernorts entstehenden Wirklichkeit, in deren Widerschein seine eigene Wirklichkeit, sein dem industriellen Verwertungsprozess entzogenes beziehungsweise sich gegen ihn sperrendes Milieu und Dasein hippokratische Züge annimmt und sich als lebender Leichnam darbietet.
Dies letztere, dass es die neue, industriell erzeugte Wirklichkeit ist, die seine als rückständig erscheinende Wirklichkeit ergrauen beziehungsweise erbleichen und zum blutlosen Tableau erstarren lässt, weist nun aber, recht verstanden oder, besser gesagt, zielstrebig interpretiert, dem von doppeltem Ressentiment Erfüllten einen Ausweg aus seinem Dilemma, jenen Ausweg nämlich, der unter dem Namen Romantik Schule macht und der im Wesentlichen darin besteht, die Leichenblässe und Totenstarre, in der die industriell fortschrittliche Wirklichkeit ihr rückständig traditionelles Pendant erscheinen lässt, als ein alchimistisch-purgatorisches Phänomen, ein scheidekünstlich-klärendes Resultat zu begreifen und festzuhalten.
Statt sich faszinieren und seiner eigenen Wirklichkeit entfremden zu lassen, hält mit anderen Worten der in seiner dilemmatischen Not zur Romantik getriebene Kunstschaffende an dieser ihm fremd gewordenen Wirklichkeit fest und erkennt in ihr das Vorbild des Künftigen, das richtungweisende Resultat des historischen Prozesses. Was ihm seine im Gewahrsam ihrer Ungleichzeitigkeit ruinierte Wirklichkeit bedeutet, ist das ,,Alles ist eitel" zeitlicher Sterblichkeit, historischer Vergänglichkeit, die, so sehr hier und jetzt seine eigenen Wirklichkeit sich von ihr erfasst und ihr verfallen zeigt, doch ebenso sehr auf jene in der Gleichzeitigkeit einer industriell fortschrittlichen Wirklichkeit erscheinende Zukunft, wie man will, zurückfällt oder ausgreift, die, so sehr sie sich mit ihrer Präsenz und Lebendigkeit brüstet und eben dadurch ihr rückständig traditionelles Pendant ins fahle Licht der Leichenblässe taucht, doch aber, so wahr sie Moment ein und desselben historischen Prozesses, Geschöpf ein und derselben chronischen Vergänglichkeit ist, dem gleichen Verfall wie letzteres geweiht, letztlich dem unfehlbar gleichen Ruin ausgesetzt ist.
Statt sich von der ihm fernen und in der Tat entzogenen industriellen Wirklichkeit blenden zu lassen, nimmt er seine eigene, leichenblasse Wirklichkeit als Aufklärung über das Los der Eitelkeit und Nichtigkeit, dem letztlich auch erstere verfällt, gewahrt er in seinem eigenen, ruinierten Dasein die Wahrheit über schlechterdings alles irdische Geschehen und historische Vorgehen und wird, indem er an dieser seiner fahlen Wirklichkeit festhält, auf diesem seinem öden Dasein besteht, zu einem wahrhaft, weil von Grund auf – à fonds perdu aller historischen Hoffnung – Aufgeklärten, einem veritablen Wahrheitszeugen.
Auf den ersten Blick oder dem unmittelbaren Anschein nach ist diese Wahrheit, die das Festhalten an seiner im Spiegel des fernen industriellen Fortschritts verfallenen Wirklichkeit, seinem im Lichte des anderweitig lebendigen Treibens verödeten Dasein dem Kunstschaffenden alter Schule eröffnet, ein rein negatives Resultat, eine alles als nichts manifestierende und insofern an ihr selber nichtige Offenbarung, die zu nichts anderem taugt, als ihn, den Kunstschaffenden, mit Schwermut zu erfüllen und in der Tat in Verzweiflung zu stürzen. Und so gesehen ist sein Festhalten an jener durch den historischen Fortschritt widerlegten Wirklichkeit, die ihn festhält, sein Insistieren auf jenem durch den kapitalen Verwertungsprozess ungleichzeitig gemachten und ad acta gelegten Dasein, das ihn sistiert, nichts weiter als ein Versinken in Hoffnungslosigkeit, ein Akt der Verzweiflung.
Noch einmal betrachtet und in seiner positiven Bedeutung gefasst, kommt freilich dieses Festhalten am Überholten und Obsoleten einer Abdankung der historischen Perspektive als solcher, einem Ausscheren aus dem unter dem Banner des Fortschritts exerzierten und aber nun als einziger großer Gespensterzug oder Todesreigen durchschauten Marsch in die Zukunft gleich und macht insofern den Blick frei für einen toto coelo anderen Prospekt, öffnet den Geist für eine diametrale Kehrtwendung, einen radikalen Sinneswandel. So gewiss mit seinem Festhalten an der überholt gewohnten Wirklichkeit, mit seinem Insistieren auf dem obsolet eigenen Dasein der Kunstschaffende nicht nur die aus dieser seiner Wirklichkeit hervorgegangene und zur ungleichzeitig lebendigen Zukunft absentierte neue Wirklichkeit des kapitalen Verwertungsprozesses dementiert und verwirft, sondern damit zugleich den ganzen Prozess selbst als unwirklichen Gestaltenreigen, als ebenso sinn- wie substanzlose Entwicklung revoziert und für nichtig erklärt und mithin aber auch in dem, woran er festhält, der eigenen Wirklichkeit nämlich, nur ein Moment jenes Prozesses, eine durch die Entwicklung, in der sie steht, ad absurdum geführte und zunichte gemachte Episode erkennt, so gewiss wird ihm eben diese seine eigene Wirklichkeit in all ihrer offenbaren Absurdität und Nichtigkeit zu einem tropischen Ereignis, einem Wendepunkt, der ihm nichts Geringeres bedeutet als die Chance, sich einer anderen, durch die scheinbare Lebendigkeit der Hervorbringungen des Verwertungsprozesses bislang verschütteten beziehungsweise verschatteten wahren Wirklichkeit zuzuwenden, ein Sein ins Auge zu fassen, das nicht von dieser, durch den Verwertungsprozess kreierten Welt ist und das erst ins Blickfeld treten kann, wenn letztere an ihr als Verfallenheit offenbares Ende gekommen, von ihrem im Ruin manifesten Schicksal ereilt ist.
Eben die verfallene und verkommene Wirklichkeit, die den in ihr Befangenen mit Ressentiment erfüllen muss, wenn er sie vor dem Hintergrund der lebendig fortschreitenden Wirklichkeit des industriellen Verwertungsprozesses betrachtet, erfüllt ihn, sobald er jene lebendige in dieser seiner moribunden Wirklichkeit gespiegelt, letztere als das auch ersterer bereitete Sterblichkeitslos, den ihr präsentierten todsicheren Wechsel auf die Zukunft Gestalt gewinnen und mithin beide, die lebendige und die moribunde Wirklichkeit, in der absoluten Indifferenz einer zu nichts als zum Verderben und zur Vernichtung bestimmten Entwicklung preisgegeben und verloren gewahrt, mit tiefster Melancholie, die wiederum, als Verzweiflung, als abgründiger Zweifel an jeglichem Weitermachen in den vorgezeichneten Bahnen, am Sinn jeglichen gewohnt historischen Fortschreitens gefasst, ihm zum Ausgangspunkt einer als positive Wendung wohlverstandenen resoluten Richtungsänderung, sprich, zum Anlass und Ansporn werden kann, den ganzen historischen Prozess fahren zu lassen und sein Sinnen und Trachten einer Wirklichkeit zuzuwenden, die im Vorhinein allen Prozesses vollkommen präsent ist, in zeitloser Gegenwärtigkeit fix und fertig dasteht und die deshalb auch durch allen Prozess nicht eingeholt, sondern nur im Stich gelassen, nicht hervorgebracht und zu Tage gefördert, sondern nur unter den Teppich gekehrt und dem Vergessen anheimgegeben werden kann.
So wahr die eigene Wirklichkeit für den in sie gebannten Kunstschaffenden diese Bedeutung eines über alles historische Dasein, über alles, was sich wirklich und wirksam gebärdet, gehaltenen Gerichts und gefällten Urteils gewinnt, so wahr muss sie sich für ihn nicht darin erschöpfen, Gegenstand jenes in Schwermut versinkenden abgründigen Zweifels, der da Verzweiflung heißt, zu sein, sondern kann ihm vielmehr als Schibboleth des Ausstiegs aus dem chronisch Falschen und des Wechsels ins wahre Wesen, als negatives Wahrzeichen der positiven Entscheidung gegen den bannkräftig permanenten Schein und für das haltgebend ewige Sein dienen.
Als dies zur positiven Entscheidung für das zeitlose Sein, das ist, und gegen das chronische Werden, das scheint, mahnende beziehungsweise aufrufende negative Wahrzeichen oder desolate Schibboleth verändert nun aber seine rückständige, vom Ruin der verwertungsprozessualen Entwicklung erfasste und heimgesuchte Wirklichkeit für den Kunstschaffenden vollständig ihr Aussehen und ihre Bewandtnis. Statt sein Ressentiment gegenüber dem zu erwecken, was sie im historisch-immanenten Sinn permanent zu sein versäumt, ebenso wie gegenüber sich selbst, weil sie es zu sein versäumt, erfüllt sie ihn vielmehr mit Begeisterung für das, was sie in ontologisch-transzendenter Bedeutung ein für alle Mal zu sein verspielt hat und worauf sie aber in dem Maße, wie sie sich jenes historisch-immanenten Versäumnisses schuldig macht und hinter ihrem prozessualen Soll zurückbleibt, als auf das Fazit ihres eigenen Scheiterns zu verweisen beziehungsweise wovon sie als von der Wahrheit des in ihr parte pro toto vor den Fall gekommenen und als von Grund auf falsches Beginnen entlarvten historischen Treibens Zeugnis abzulegen vermag. Statt ihm den Weg in die Zukunft zu verlegen, eröffnet seine desolate Wirklichkeit dem Kunstschaffenden den Blick auf die Ewigkeit, statt ihn an ein vorzeitiges Ende gekommen zu zeigen, erweist sie sich ihm als Mittel der Initiation, als Umschlagspunkt für die Erfahrung einer als endlose Voranfänglichkeit perennierenden zeitlosen Gegenwart.
Wenn man so will, gewinnt diese desolate Wirklichkeit für den an sie gefesselten, auf sie wider Willen fixierten Kunstschaffenden die oben explizierte alte, ihr zu Beginn der Neuzeit von der Ästhetik verliehene Bedeutung zurück, einer als Verklärungsleistung wohlverstandenen Klärungsfunktion als gleichermaßen Grundlage und Gegenstand, Basis und Objekt zu dienen. Nur dass die Verklärung jetzt nicht mehr, wie gewohnt, darin besteht, die Wirklichkeit mit ästhetischen Mitteln als modellbildend und mustergültig zu repräsentieren und unter Beweis zu stellen und damit ihrer im Grunde, den ihre ästhetische Bearbeitung nur manifestiert, eigenen Stabilität und Kontinuität zu überführen und zu versichern, sondern dass es jetzt vielmehr darum geht, sie ex negativo ihres Rücktritts vom beziehungsweise Aussteigens aus dem historischen Prozess zum Indiz und Kronzeugen einer Stabilität und Kontinuität zu machen, die, eben weil der historische Prozess sie aller von ihm erfassten und produzierten Wirklichkeit ein für alle Mal raubt und verschlägt, auch nicht mehr als äußerlich-wirkliche, sondern einzig und allein als innerlich-mögliche, nicht mehr als reale, sondern ausschließlich als ideale, nicht mehr mittels sinnlich-objektiver Wahrnehmung, sondern nur noch kraft geistlich-imaginativer Erinnerung zu erfahren und zu haben ist.
Diese desolate Wirklichkeit, die sich im Unterschied zur bloß noch sensualistisch wirksamen Wirklichkeit des kapitalen Verwertungsprozesses als nach wie vor ästhetisch relevant behauptet, ist, was ihre ästhetische Qualität angeht, ihre Eignung, als Stoff für modellbildende beziehungsweise mustergültige Kunstwerke herzuhalten, nicht mehr wie einst Fakt, sondern nurmehr Relikt, nicht mehr Realität, sondern nurmehr Residuum. Das heißt, sie kann die Stabilität und Kontinuität, die die Wirklichkeit des kapitalen Verwertungsprozesses partout nicht mehr aufweist und hergibt, auch ihrerseits nicht mehr verkörpern und manifestieren, sondern bloß noch bedeuten und symbolisieren, kann den Bestand und die Beständigkeit, die der kapitale Verwertungsprozess der von ihm produzierten Wirklichkeit effektiv austreibt, auch selber nicht mehr als ihre materiale Identität repräsentieren und geltend machen, sondern bloß noch in ihrer residualen Differenz reminiszieren und zu Protest gehen lassen.
Wenn also die desolate Wirklichkeit jener Stabilität und Kontinuität, die der kapitale Verwertungsprozess schlechterdings nicht mehr zulässt, die Treue hält, so nicht in dem Sinne, dass sie direkt und in physischer Gestalt, sprich, in selbstbewusster Präsenz, für solche Stabilität und Kontinuität einstünde, sondern bloß noch in der Bedeutung, dass sie modo obliquo und in metaphysischer Allegorik, sprich, in selbstverleugnender Deferenz, auf solche, wie aller empirischen Wirklichkeit, so auch ihr selbst, verloren gegangene Stabilität und Kontinuität hinweist. Die vom Verwertungsprozess der Wirklichkeit ausgetriebene Substanz und Beständigkeit bleibt nicht etwa in ihr, der vom Verwertungsprozess abgehängten, desolaten Wirklichkeit erhalten, hat keineswegs in ihr einen Rückhalt oder ein Rückzugsgebiet, sondern wird von ihr bloß als abwesend hochgehalten, findet in ihr nichts weiter als eine sie vor dem völligen Vergessen bewahrende Fehlanzeige, ein sie nicht zwar empirisch beweisendes, immerhin aber idealisch beschwörendes Memento.
Und dementsprechend verfolgt die Kunst, wenn sie diese desolate Wirklichkeit zur Grundlage und zum Gegenstand ihrer ästhetischen Bemühungen macht, auch nicht mehr das Ziel, sie als Trägerin beziehungsweise Verkörperung gegenwärtiger Stabilität und Kontinuität abzubilden und darzustellen, sondern nur noch die Absicht, sie als Wahrerin beziehungsweise Vertreterin abwesender Stabilität und Kontinuität vorzuführen und auszudeuten, und besteht die Verklärung, die sie jener desolaten Wirklichkeit angedeihen lässt, also nicht darin, letztere als den Leib oder den materialen Ort empirisch-manifester, äußerlich-realer Substanz und Beständigkeit epistemisch zu realisieren, sondern darin, sie angesichts oder vielmehr im blinden Gewahrsam einer Substantialität und Kontinuität, die höchstens und nur noch als ein esoterisch-latentes, innerlich-ideales Etwas gegeben ist, als deren Mal oder residualen Hort anamnestisch zu exegetisieren.
Eine solche Umdeutung der Ressentiment erregenden Desorientierung existenzieller Rückständigkeit in die Begeisterung weckende Referenzialität reverenzieller Zeugenschaft ist natürlich nur vor dem Hintergrund beziehungsweise in der Tradition der christlichen Heilslehre im Allgemeinen und des katholischen Heiligenkults im Besonderen möglich. Tatsächlich greift, rein formal betrachtet, das bedeutende Relikt, als das sich dem Kunstschaffenden seine desolate Wirklichkeit erweist, unmittelbar die Zeugnis ablegende Reliquie auf, als die die katholische Christenheit verehrt und hochhält, was von ihren aus dem zeitlichen Leben geschiedenen und ins ewige Leben eingegangenen Vorgängern und Wegbereitern, ihren Heiligen, an irdischer Habe oder Hülle zurück und übrig blieb. Und tatsächlich erfüllt, rein formal betrachtet, das ästhetische Relikt auch den gleichen Zweck wie die kultische Reliquie: Es verweist auf etwas, das nicht von dieser Welt ist und das, eben weil es nicht von dieser Welt ist, sich auch nur indizieren, nicht demonstrieren, nur negativ zu Protest geben, nicht positiv unter Beweis stellen lässt, etwas Außerweltliches, das mit anderen Worten von dem Innerweltlichen, das ihm die Treue hält und es bezeugt, auch nur im Modus allegorischer Obliquität oder ruinöser Selbstverleugnung, will heißen, nur in der Form einer sich in actu Lügen strafenden und nämlich als schiere Absenz zu erkennen gebenden Präsenz bezeugt oder vielmehr beschworen werden kann.
Inhaltlich freilich liegt der Unterschied zwischen dem ästhetischen Relikt des romantischen Kunstschaffenden und der kultischen Reliquie der katholischen Tradition auf der Hand. Zwar verweisen beide auf eine andere Welt, aber während die Welt, auf die die Reliquie verweist, eine toto coelo andere, eine von der irdischen ontologisch verschiedene, kurz, das Himmelreich ist, ist die Welt, auf die das Relikt verweist, bloß eine omni modo andere, eine zum fernen Säkulum historiologisch vergangene, kurz, ein aus dem historischen Kontinuum herausgesprengtes und in diesem Sinne mythologisches Zeitalter, eine Ursprungszeit. Und während demgemäß das als ewiges Leben toto coelo andere Sein, das ex negativo ihrer residualen Beschaffenheit die katholische Reliquie bezeugt, ein jenseitiger Zustand ist, der dem diesseitigen Dasein Konkurrenz macht und in den man überwechseln und eingehen kann, um sich dem Leid und Elend des Daseins ein für alle Mal zu entziehen, ist das zum mythologischen Säkulum omni modo entrückte Sein, das ex negativo seiner desolaten Verfassung das romantische Relikt beschwört, eine innerliche Kondition, auf die man sich besinnen und in die man sich zurückziehen kann, um dem Druck der avancierenden Gegenwart standzuhalten und die von der Faktizität der letzteren ausgehende und die eigene rückständige Wirklichkeit entwertende Kraft und verwerfende Dynamik immer wieder zu neutralisieren oder gar zu brechen.
Tatsächlich ist diese intentionale Verschiebung der entscheidende Punkt der im Wechsel von der Reliquie zum Relikt statthabenden Ermäßigung der himmlischen Jenseitigkeit zur irdischen Innerlichkeit, anders gesagt, der ontologischen Transzendenz zur essentiallogischen Idealität. Während mit der soteriologisch-messianischen Perspektive, die sich an die residuale Reliquie knüpft, das Subjekt das Ziel verfolgt, der bestehenden, als qualvoll und fatal erfahrenen Wirklichkeit den Rücken zu kehren und den Laufpass zu geben, dient der dem desolaten Relikt abgewonnene esoterisch-romantische Prospekt der Absicht des Subjekts, in und gegenüber einer herrschenden Wirklichkeit, von der es das eigene Dasein abgehängt und schierer Ödnis und Banalität überführt findet, nicht nur die Stellung zu halten, sondern sich mehr noch als durch dies eigene Dasein eines Bestands und einer Beständigkeit teilhaftig zu zeigen, die allem, was die herrschende Wirklichkeit in dieser Hinsicht zu bieten hat, den Rang abläuft oder vielmehr Hohn spricht.
Anders als der katholische Christ, der sich mit der Aufgabe konfrontiert findet, in einer generell und total von Not und Elend erfüllten irdischen Welt etwas zu entdecken, das ihm, wenngleich bloß ex negativo, die Aussicht auf eine zu letzterer ontologisch-alternative, jenseitig-entrückte Wirklichkeit erschließt, und der dies Etwas in der Reliquie findet, steht der romantische Ästhet vor der Herausforderung, seinem hinter der herrschenden Wirklichkeit zurückgebliebenen und von ihr als ebenso armselig wie rückständig gesetzten Dasein etwas abzugewinnen, das letzteres in dem Maße rehabilitiert, wie es sich als von der herrschenden Wirklichkeit preisgegebene und schlechterdings nicht mehr zu rekuperierende essentiallogisch-höhere, innerlich-aufgehobene Wahrheit zu verstehen gibt, die es, das sie ex negativo oder im Modus der Verborgenheit bergende Dasein, als ihren restbeständigen Prospekt, ihr Relikt, erweist.
Der romantische Kult des Relikts weist dem modernen, impressionistischen Künstler den Weg, wie er sich durch Berufung auf eine zur herrschenden Realität alternative äußere Wirklichkeit von der Bürde entlasten kann, sich diese alternative Wirklichkeit genialisch aus den Fingern saugen beziehungsweise aus den Rippen schneiden zu müssen. Allerdings kann solche Wirklichkeit nicht die des romantischen Kunstschaffenden sein, da ja der impressionistische Künstler in der modernen Welt zuhause ist und an dem ungleichzeitigen Milieu des ersteren nicht teilhat. Die alternative Wirklichkeit, auf die er sich beruft, muss er also in dem Sinne adaptieren, dass er sie nicht als existenzielles Dasein, sondern bloß als funktionelles Mittel bemüht, weil sie ja nicht den Zweck erfüllt, ihn seiner historischen Geltung zu versichern, sondern bloß die Aufgabe hat, ihm seine seelische beziehungsweise personale Gesundheit zu erhalten.
Was aber, um nach dieser kurzen Abschweifung in den historischen Hintergrund der Romantik zu dem Punkt, von dem wir abgeschweift sind, zum Geniekult der modernen Ästhetik nämlich und der möglichen Überforderung des mit ihm befrachteten, zum genialischen Schöpfer hochstilisierten künstlerischen Subjekts, zurückzukehren – was also hat der romantische Kult des Relikts mit dem impressionistischen Geniekult und seinem Problem zu schaffen, beziehungsweise was kann er zur Lösung des letzteren beitragen, was hat er im Blick auf die Bewältigung der Gefahr des Größenwahns oder kläglichen Scheiterns zu bieten, die dem künstlerischen Subjekt aus seiner genialischen Rolle erwächst? Denn die Annahme, dass für jenes Problem des ästhetischen Impressionismus der Moderne der antimodern-romantische Kult des Relikts eine Lösung bereithält, ist ja der Grund, warum wir letzteren hier überhaupt ins Gespräch gebracht haben.
Auf den ersten Blick scheint für diese Annahme eines vom Kult des Relikts zu erwartenden konstruktiven Beitrags zur Lösung des Konstitutionsproblems des impressionistischen Geniekults wenig zu sprechen. Schließlich steht ja, anders als der antimodern-romantische Kunstschaffende, der sich zu einem von der verwertungsprozessual fortschrittlichen Wirklichkeit abgehängten und für ebenso obsolet wie rückständig erklärten Dasein verurteilt findet, der modern-impressionistische Künstler mit beiden Beinen fest in eben dieser fortschrittlichen Wirklichkeit und weiß sich ihr ebenso verhaftet, fühlt sich in ihr ebenso sehr zu Hause wie das moderne Bewusstsein, dem er voll und ganz angehört und das seinen ausschließlichen Horizont bildet. Und deshalb erfüllt seine ästhetische Suche nach Bestand und Beständigkeit auch nicht wie die des romantischen Kunstschaffenden ein kompensatorisch-existenzielles Desiderat, entspringt nicht der Absicht, ein obsoletes Dasein aufzuwerten und gegenüber der herrschenden Wirklichkeit als dennoch lebenswert oder gar im Vergleich mit letzterer höherwertig nachzuweisen, sondern verfolgt ausschließlich ein subrogatorisch-funktionelles Anliegen und dient, wie oben erläutert, dem Zweck, den Adressaten und Nutznießern der Kunstproduktion, der mittlerweile um bourgeoise Gruppen erweiterten traditionellen Oberschicht, das, was die herrschende Wirklichkeit partout nicht mehr hergibt, jene ästhetisch beschworene Substantialität der Lebenswelt und Kontinuität der Lebensweise, die der Oberschicht traditionell dazu dient, sich ihrer personalen Exklusivität und sozialen Distinktion zu vergewissern, aus eigener Kraft und mit eigenen Mitteln zu beschaffen.
Was mit seinem Streben nach ästhetischer Substanz und Dauer der impressionistische Künstler verfolgt, ist also nicht wie beim romantischen Kunstschaffenden ein existenzieller Zweck, sondern bloß ein professionelles Ziel, ist nicht die Befriedigung eines ihm eigenen, realen Lebensbedürfnisses, sondern bloß die Erfüllung eines ihm von anderen erteilten, sozialen Leistungsauftrags. Wie sollte bei so krasser Verschiedenheit der Aufgabenstellung eine Funktionalisierung und Nutzung der einen Kunstrichtung durch die andere, genauer gesagt, ein Beitrag des antimodern-romantischen Kunstschaffens zur Lösung des Problems, mit dem sich die modern-impressionistische Kunstproduktion konfrontiert sieht, möglich sein?
Das Problem besteht, wie gesagt, im Moment des dem Impressionismus aufgebürdeten genialischen Charakters oder freihändigen Schöpfertums, das heißt darin, dass der impressionistische Künstler, weil die herrschende Wirklichkeit die Substantialität und Kontinuität partout nicht mehr hergibt, nach der er im Auftrag der um ihre Exklusivität und Distinktion bangenden Kunstsinnigen strebt, die dafür taugliche Wirklichkeit, den Stoff, aus dem sich Kunst wirken lässt, aus ganz und gar Eigenem, aus seiner Subjektivität, initiieren und kreieren, sie der herrschenden Wirklichkeit in Gestalt der Eindrücke, die diese in seinem Inneren hinterlässt, der Spiegelungen, die sie in seiner Seele hervorruft, aus eigener Kraft nicht weniger als in eigener Regie abgewinnen muss. Der impressionistische Künstler muss, so sehr sie pro forma der herrschenden Wirklichkeit entstammt, die ästhetische Wirklichkeit, die ihm als Grundlage und Gegenstand seiner künstlerischen Tätigkeit dient, in dem, was sie als ästhetische ausmacht, was sie für Zwecke der künstlerischen Darstellung und Wiedergabe tauglich beziehungsweise brauchbar macht, sich aus den Fingern saugen, aus dem Hut seiner subjektiven Beschaffenheit und persönlichen Dazwischenkunft hervorzaubern.
Eben diese, durch seine subjektive Intervention geleistete, aus den Tiefen seines Innern, dem Resonanzboden seiner Persönlichkeit vollbrachte Überführung und Transformation der herrschenden Wirklichkeit, die das Zeug zu ästhetischer Substantialität und Kontinuität partout nicht mehr hat, in eine Realität, die diesen Bestand und diese Beständigkeit vielmehr zu bezeugen und unter Beweis zu stellen taugt, erhebt den impressionistischen Künstler zum Genie, vindiziert ihm eine gottähnliche oder heroische Schöpfungskraft, und in eben dieser Genialität, die ihm unterstellt wird, liegt aber auch das Problem, die besagte Gefahr nämlich der Überforderung seiner subjektiven Konstitution, der ihn als Person mit der Konsequenz des Größenwahns oder des Scheiterns aus den Fugen geraten lassenden allzu großen Zumutung. Objektivität zu bearbeiten und zu interpretieren, ist dem menschlichen Subjekt gegeben, Gotteswerk ist es, sie zu schaffen und ins Werk zu setzen. Genau solch Gotteswerk wird aber, wenn auch auf dem topisch und funktionell beschränkten Gebiet ästhetischer Produktion, dem als impressionistischer Künstler tätigen menschlichen Subjekt zugesprochen beziehungsweise abverlangt, mit dem Ergebnis des Geniekults, den die Kunstsinnigen um den Künstler treiben und in dessen Mittelpunkt sie ihn stellen. Wie sollte er dieser offenkundigen Überforderung seiner subjektiven Konstitution wohl auf Dauer gewachsen sein, wie sollte er dieser eklatanten Zumutung an seine von heroischer oder göttlicher Beschaffenheit himmelweit entfernte menschliche Natur ein Berufsleben lang standhalten können?
Um jenem Zwang, sich als gottähnlich-schöpferisches Genie zu gerieren, standhalten zu können, müsste der impressionistische Künstler, wie es dem Menschen frommt und seiner mit der Objektwelt als Gegebenheit operierenden, nicht sie als solche kreierenden und gebenden, subjektiven Konstitution entspricht, imstande sein, sich auf eine außerhalb und neben der für ästhetische Zwecke untauglichen herrschenden Realität in Wahrheit noch vorhandene und fürs Kunstschaffen brauchbarere Wirklichkeit zu berufen und zu stützen, statt genötigt zu sein, sie ganz aus Eigenem und von sich aus hervorzurufen und beizuschaffen, müsste er mit anderen Worten das, was er als gleichermaßen Inhalt und Gegenstand, Basis und Medium seines Vor- oder vielmehr Nachweises lebensweltlicher Substantialität und lebenspraktischer Kontinuität braucht, dem gegenteiligen Zeugnis der herrschenden Realität zum Trotz, als etwas draußen im ebenso existenziellen Unterschied zu letzterer wie reellen Zugleich mit ihr Bestehendes vorfinden können, statt sich zur Rolle des alleinigen Kronzeugen und auf nichts als auf sein eigenes Inneres pochenden Garanten solcher Bestand und Beständigkeit implizierenden oder jedenfalls indizierenden Inhaltlichkeit und Gegenständlichkeit verurteilt zu sehen.
Wie aber sollte ihm, dem impressionistischen Künstler, der ja mit beiden Beinen fest in der verwertungsprozessual herrschenden Wirklichkeit steht und keine andere kennt, geschweige denn, dass er in einer anderen zu Hause wäre, solch eine, Entlastung von der Bürde genialischer Eigenmächtigkeit und Selbstherrlichkeit bringende, weil von der herrschenden Realität objektiv unterschiedene und im Unterschied zu ihr Substantialität und Kontinuität implizierende Wirklichkeit unterkommen können, geschweige denn zugänglich sein, da ja eben der Ausschluss solch alternativer, Bestand und Dauer verkörpernder oder jedenfalls repräsentierender Wirklichkeit durch die herrschende Realität, der völlige Mangel an ihr, der Grund für die geniekultliche Notlösung, die Erhebung des impressionistischen Künstlers zum heroischen Wirklichkeitsstifter, ist und insofern diese Überlegung nichts weiter darstellt als eine Bekräftigung der Alternativlosigkeit oder Notwendigkeit der geniekultlichen Notlösung?
Genau hier indes kommt dem modern-impressionistischen Künstler der antimodern-romantische Kunstschaffende zu Hilfe. Eben das, was der erstere nicht hat und wegen der verwertungsprozessual herrschenden Realität, in der er zu Hause ist, auch gar nicht haben kann, eine Wirklichkeit nämlich, die im Unterschied zur herrschenden dem künstlerischen Bedürfnis nach lebensweltlicher Substanz und lebenspraktischer Dauer wenn auch nur ex negativo, so jedenfalls doch in objectu entgegenkommt und entspricht – eben diese alternative Wirklichkeit ist letzterem ja gegeben und steht ihm zu Gebote: in Gestalt nämlich seines von der herrschenden Realität abgehängten und als ebenso rückständig wie desolat gesetzten Daseins, das ihn mit Ressentiment erfüllt und am Ende gar in schiere Verzweiflung stürzen müsste, gelänge es ihm nicht, dies ungleichzeitige Dasein als ein der kultischen Reliquie nachgebildetes ästhetisches Relikt zu realisieren und damit nicht zwar zum Schauplatz oder Erscheinungsort, immerhin aber zum Anhaltspunkt oder Beweismittel für das werden zu lassen, was die herrschende Realität ausschließt und überhaupt nicht mehr kennt.
Was dem impressionistischen Künstler seine Realität verschlägt und vorenthält, genau das präsentiert und manifestiert zwar nicht, indiziert und ostentiert aber immerhin seinem romantischen Kollegen dessen Dasein in dem Maße, wie es sich durch den Progress der herrschenden Realität ruinöser Ungleichzeitigkeit und rückständiger Desolatheit überführt findet. Hier, in der im Doppelsinn von Separation und Mortifikation verschiedenen Welt seines romantischen Kollegen findet, wenn er dessen verbalem und realem Zeugnis, seinen ästhetischen Bekundungen und Erzeugnissen, Glauben schenken darf, der impressionistische Künstler jene ästhetisch brauchbare, weil lebensweltliche Substantialität und lebenspraktische Kontinuität wenn nicht verkörpernde und beweisende, so immerhin doch anzeigende und bezeugende Faktizität und Objektivität vor, die ihm seine eigene Realität verweigert und die sie ihn damit zwingt, aus dem hohlen Bauch seines zur genialischen Persönlichkeit hypostasierten Subjektseins zu schöpfen.
Nun trifft der impressionistische Künstler diese im Unterschied zur herrschenden Realität als Stoff für die Indikation lebensweltlichen Bestands und lebenspraktischer Beständigkeit brauchbare Wirklichkeit zwar nicht als seine eigene, sondern als die des anderen, seines romantischen Kollegen, an. Aber was eigentlich sollte ihn daran hindern, sie zu übernehmen und sich zu eigen zu machen, sprich, sie als Grundlage und Gegenstand auch und ebenso wohl seines dem Tun des romantischen Kunstschaffenden parallelen künstlerischen Bemühens, seines impressionistischen Strebens nach lebensweltlicher Substantialität und lebenspraktischer Kontinuität mit Beschlag zu belegen? Schließlich ist ja, sofern der romantische Kunstschaffende seine aparte, von der herrschenden verschiedene Wirklichkeit zu Recht geltend macht, diese ein neben jener und gleichzeitig mit ihr in der Welt vorfindliches Dasein, eine empirische und das heißt, im Kontinuum der einen, irdischen Welt perennierende Tatsache, mithin etwas, das jeder Erdenbewohner, so sehr er auch der herrschenden Realität verhaftet sein und ihm, dem aparten Dasein, entsprechend fern stehen mag, muss in Erfahrung bringen und für in seinem Kontext verfolgte theoretische oder praktische Absichten, für Zwecke des Denkens und Handelns in der Wirklichkeit, der er verhaftet ist, nutzbar machen können. Nichts kann mit anderen Worten den impressionistischen Künstler daran hindern, jene von seinem romantischen Kollegen bezeugte und dem in der romantischen Kunst abgelegten Zeugnis zufolge im Unterschied zur herrschenden für ästhetische Zwecke taugliche Wirklichkeit aufzugreifen und zur Lösung seines im Zwang zur Genialität bestehenden Problems nutzbar zu machen.
Und dass sie sich für die Problemlösung nutzbar machen lässt, liegt auf der Hand, denn genau dies ist ja das den impressionistischen Künstler zur Genialität, sprich, zu einem bodenlos subjektiven beziehungsweise hypostatisch substanziellen Schöpfertum nötigende Problem, dass es ihm an solcher für ästhetische Zwecke tauglichen Wirklichkeit fehlt, weil die herrschende Realität, in der er zu Hause ist, jene ausschließt und von ihr partout nichts mehr wissen will. Indem nun der romantische Kollege ihm eben diese für ästhetische Zwecke taugliche Wirklichkeit, an der er im Kontext seiner verwertungsprozessual avancierten Realität Mangel leidet, wenn auch nicht geradezu offeriert, so jedenfalls doch als vorhanden vorweist, hilft er ihm aus der Patsche und stellt ihm das, was er sich sonst aus den Fingern saugen oder, wenn man so will, aus den Rippen schneiden, kurz, kraft einer zur genialischen Konstitution hypostasierten Subjektivität hervorzaubern müsste, als eine empirische Gegebenheit, eine unabhängig von ihm bestehende und als solche erfahrbare Objektivität zur Verfügung. Mittels des rückständig-desolaten Daseins, das er als im Unterschied zur fortschrittlich-aktuellen Realität ästhetisch relevante Wirklichkeit wahrnimmt und realisiert, präsentiert der romantische Kunstschaffende dem impressionistischen Künstler den festen Boden und äußeren Gegenstand, der letzteren in dem Maße von der genialischen Innerlichkeit schierer Subjektivität befreit, wie er sich ihm als objektive Grundlage und reflexiver Bezugspunkt seiner künstlerischen Arbeit darbietet. Der impressionistische Künstler braucht nichts weiter zu tun, als diese Wirklichkeit zu übernehmen, um die Hybris oder Scheitern provozierende Last der geniekultlichen Zumutung loszuwerden – oder wenn schon nicht loszuwerden, so immerhin doch zu verringern und tragbar werden zu lassen.
Tatsächlich nämlich ist der impressionistische Künstler ebenso wenig imstande, sich jener Last des Geniekults überhaupt und in toto zu entledigen, wie es in seiner Macht steht, jene ihm vom romantischen Kunstschaffenden präsentierte und zur verwertungsprozessual herrschenden Realität alternative Wirklichkeit einfach zu übernehmen und sich als solche zu eigen zu machen. Schließlich ist er der herrschenden Realität, seiner Wirklichkeit, mit Haut und Haar verhaftet und durch sie von jener anderen Wirklichkeit, die der romantische Kunstschaffende als sein eigentümliches Dasein erfährt, nachdrücklich getrennt. Will er jene andere Wirklichkeit, die der romantische Kunstschaffende geltend macht, nutzen, um dem ihm andernfalls drohenden Zwang, sich eine ästhetisch brauchbare Alternative zur herrschenden Wirklichkeit genialisch aus den Rippen schneiden zu müssen, zu entrinnen, so kann er sie nicht einfach übernehmen, sie sich kurzerhand zu eigen machen (das wäre ja gleichbedeutend mit einem als Austritt aus der herrschenden Wirklichkeit wohlverstandenen Übertritt in sie, die vom romantischen Kunstschaffenden geltend gemachte Welt, einer regelrechten Konversion zu ihr), sondern er kann sie sich höchstens und nur im Rahmen seiner verwertungsprozessual herrschenden Realität zum Vorbild, besser gesagt, sich an ihr nach Maßgabe dieser herrschenden Realität, in der er selber zu Hause ist, ein Beispiel nehmen.
Das heißt, er muss sich nolens volens zu einer Übertragungsleistung verstehen, die jenes andere Dasein, das er sich zwecks Lösung seines mit dem Geniekult verknüpften Problems zu eigen machen will, seinem Dasein in der verwertungsprozessual herrschenden Realität anpasst, mit seiner durch dies Dasein determinierten Erfahrung vermittelt. So gewiss die herrschende Realität ihm das, was er für seine ästhetischen Absichten braucht, nicht bietet und ihn nötigt, sich andernorts danach umzusehen, will er sich nicht zu bodenloser Genialität versteigen, als hybrider Schöpfer gerieren, so gewiss zwingt sie ihn doch aber dazu, das Gefundene dem durch die herrschende Realität definierten Kontext einzugliedern, es dem Erfahrungshorizont, in dem seine Realität ihn verhält, zu assimilieren.
Eben in dieser adaptiven Relation oder interpretativen Assimilation besteht das unverzichtbare Moment von Genialität, das der impressionistische Künstler, ungeachtet der Hilfestellung, die ihm die von der Romantik offerierte und zur herrschenden Realität alternative Wirklichkeit bei seinem ästhetischen Beginnen und Vollbringen leistet, mobilisieren und beweisen muss. Zwar braucht er sich die für seine ästhetischen Absichten geeignete Wirklichkeit nun nicht mehr aus den Rippen zu schneiden, aber immerhin muss er sie sich auf den Leib schneidern, sprich, sie als die seinem Erfahrungshorizont äußerliche und fremde Wirklichkeit diesem projektiv anverwandeln. Er braucht sie sich, um noch einmal die andere Metapher zu bemühen, zwar nicht mehr aus den Fingern zu saugen, aber das Ingenium, sie für sein Realitätsverständnis handgerecht und fasslich zu machen, muss er jedenfalls aufbringen. Dank der Wirklichkeit, die ihm die Romantik vorgibt und offeriert, genügt eine genialische Disposition, die den Heroismus ablegen und im menschlichen Rahmen bleiben kann, die keine ontologische Schöpfungsmacht, sondern nurmehr empiriologische Einbildungskraft beweisen muss und sich nämlich darauf beschränken kann, die objektiv gegebene Alternative inspiriert zu interpretieren, statt sie aus subjektiver Machtvollkommenheit als solche geben, sie initiativ kreieren zu müssen.
Diese Adaptions- und Interpretationsleistung, auf die dem impressionistischen Künstler die vom romantischen Kunstschaffenden als kunsttaugliche Alternative hochgehaltene Wirklichkeit erlaubt, sein Genie zu beschränken und zu konzentrieren, weist zwei wesentliche Aspekte auf – einen funktionell-formalen und einen substanziell-materialen. Da ist zum einen die Tatsache, dass anders als für den romantischen Kunstschaffenden für den impressionistischen Künstler jene andere Wirklichkeit ja keinerlei existenzielle Bedeutung hat, kein Dasein ist, dem er sich ausgesetzt und in das er sich gebannt fände. Für ihn ist sie ja nichts weiter als ein Mittel, das ihm erlaubt, seinen Auftraggebern, den Kunstsinnigen, eine ihr Bedürfnis nach Exklusivität und Distinktion befriedigende Erfahrung von Substanz und Dauer zu vermitteln, ohne dafür die solcher Erfahrung diametral widerstreitende herrschende Realität durch eine freihändig aus seinem Innern, aus schierer Subjektivität geschöpfte Alternative substituieren, kurz, sich als von Hybris oder Scheitern bedrohtes Genie betätigen beziehungsweise gerieren zu müssen.
Für den romantischen Kunstschaffenden hingegen ist jene alternative Wirklichkeit, die er zur Geltung bringt, mitnichten nur Mittel, sondern im Gegenteil der geheime Zweck der Veranstaltung, insofern jene Substantialität und Kontinuität, die er ihr als wenn auch nicht in ihr leibhaftig manifestierte und gestaltgewordene, so immerhin doch als durch sie relikthaft indizierte und bezeugte abgewinnt, ja wesentlich dazu dient, ihn mit ihr selbst zu versöhnen und dem Ressentiment zu wehren, mit dem sie ihn in der offenbaren Rückständigkeit und Desolatheit, in der sie vor dem Hintergrund einer verwertungsprozessual avancierten Realität erscheint, andernfalls erfüllen müsste.
Damit bewegt sich die romantische Kunst noch ganz und gar im Rahmen der klassischen neuzeitlichen Ästhetik, die ja von Anfang an der Absicht dient, eine gegebene Lebenswelt und Lebenspraxis gegen allen sie mit permanenter Entwirklichung und Entwertung heimsuchenden kapitalen Verwertungsprozess als ebenso stabil und kontinuierlich zu repräsentieren und zu reaffirmieren, sie gleichermaßen eines substanziellen Bestands und einer essentiellen Beständigkeit zu überführen. Nur dass die Wirklichkeit der klassischen neuzeitlichen Ästhetik, die Lebenswelt und Lebensweise der traditionellen Oberschicht, so sehr sie auch bereits dem Verwertungsprozess entsprungen und durch ihn produziert ist, sich doch immer noch im schönen Schein einer letzterem entzogenen und von ihm unabhängigen Faktizität zu behaupten und zu präsentieren vermag und deshalb auch die genrebildliche Stabilität und Kontinuität, die die Kunst dieser Wirklichkeit nachzuweisen und mittels deren sie sie zu reaffirmieren und zu konservieren unternimmt, die Sichselbstgleichheit eines sich in seiner Erscheinung ausdrückenden Wesens an den Tag legt, eines Inneren, das sich in seinem Äußeren manifestiert und verkörpert findet, wohingegen die Wirklichkeit der romantischen Ästhetik ein vom Verwertungsprozess überholtes und abgehängtes, sprich, der Rückständigkeit und Desolatheit überführtes Dasein ist und die Stabilität und Kontinuität, die der romantische Kunstschaffende per medium dieses Daseins beschwört, deshalb auch kein in letzterem positiv manifestes, von ihm unmittelbar verkörpertes, phänomenologisch durch es unter Beweis gestelltes Wesen mehr sein, sondern höchstens und nur noch als ein von ihm ex negativo indiziertes und bezeugtes, in ihm als reine Fehlanzeige in Erscheinung tretendes, kurz, mythologisch zitiertes Gewesenes figurieren kann.
Aber so groß die Differenz zwischen der genrebildlichen Kunst der klassischen Ästhetik, die das, was ist, repräsentiert und reaffirmiert, und der allegorischen Kunst der romantischen Ästhetik, die durch das, was ist, nur beschwört und zitiert, was ebenso unwiederbringlich vergangen wie unvergesslich gewesen ist, auch sein mag, so wenig die antimodern-romantische Wirklichkeit, die nach dem Vorbild der Reliquie als wüste und öde Hinterlassenschaft, als Relikt einer zur Vorzeit entrückten Stabilität und Kontinuität geltend gemacht wird, mit der neuzeitlich-klassischen Wirklichkeit, die als lebendige und farbige Manifestation, als Epiphanie eben dieser zeitlos in ihr aufgehobenen Stabilität und Kontinuität erscheint, kompatibel ist – so wenig also das eine mit dem anderen auch reell zu tun haben mag, funktionell kommen beide darin überein, dass der Inhalt und Gegenstand des Kunstschaffens nicht weniger der Zweck als das Mittel der Veranstaltung ist, dass die künstlerische Darstellung der Wirklichkeit, das Bemühen, sie als von Bestand und als beständig vorzuführen, letztlich dazu dient, sie selbst zur Geltung zu bringen und zu reaffirmieren, egal, ob jene Reaffirmation darin resultiert, sie in all ihrer Lebendigkeit zu demonstrieren und zu realisieren, oder bloß darauf hinausläuft, sie allem Anschein der Ruiniertheit und Desolatheit zum Trotz als kraft ihres indikativen, wo nicht gar evokativen Charakters intakt und lebendig nachzuweisen und zu rehabilitieren.
Und funktionell unterscheiden sich damit beide künstlerischen Absichten, die neuzeitlich-klassische und die antimodern-romantische, gleichermaßen von der modern-impressionistischen Kunsttätigkeit, die tatsächlich ja die für ästhetische Zwecke taugliche Wirklichkeit, die sie sich, weil ihre eigene, moderne Realität der ästhetischen Qualität ermangelt, sei's notgedrungen-genialisch aus den Fingern saugt, sei's einfallsreich-kongenialisch dem romantischen Vorbild abschaut, nicht als existenzielles Dasein erfährt, sondern nur als ein funktionelles Mittel verwendet, um dem eigentlichen Zweck ihrer Profession zu genügen und nämlich für ihre Auftraggeber, die Kunstsinnigen, den schönen Schein von Stabilität und Kontinuität, Substanz und Dauer zu erzeugen, den diese vor Augen haben müssen, um ihrer personalen Exklusivität beziehungsweise sozialen Dinstinktion versichert zu sein. Sowenig der impressionistische Künstler, der der modernen, verwertungsprozessual avancierten Realität fest verhaftet und in ihr zu Hause ist, in jener zu letzterer alternativen Wirklichkeit seine reale Lebenswelt und soziale Lebensweise hat, sowenig ist sie für ihn ein existenzielles Anliegen, etwas, das er braucht, um sich als geschichtlich gleichzeitige Person und gesellschaftlich ebenbürtiges Wesen zu wissen, sondern bloß ein funktionelles Erfordernis, etwas, das ihm erlaubt, seinen persönlichen Beruf auszuüben und gesellschaftliche Nützlichkeit zu beweisen.
Die alternative Wirklichkeit, die sich der impressionistische Künstler vom romantischen Kunstschaffenden abschaut, ist von der herrschenden Realität nicht wie bei letzterem durch einen historiologisch-chronischen Hiatus, sondern bloß durch einen empiriologisch-topischen Abstand getrennt. Sie ist keine rückständige, sondern eine randständige Wirklichkeit und präsentiert sich vornehmlich in naturaler, sozialer oder kolonialer Form, sprich, in Gestalt von natürlichen Rückzugsgebieten, gesellschaftlichen Randgruppen und exotischen Kulturen.
Zu diesem funktionell-formalen Unterschied in der Art und Weise, wie der wenn schon nicht in den Fußstapfen, so jedenfalls doch in den Spuren der genrebildlichen Klassik wandelnde romantische Kunstschaffende einerseits und der in der Moderne angekommene impressionistische Künstler andererseits jene zur herrschenden Realität alternative Wirklichkeit erfahren und behandeln, kommt nun noch eine substanziell-materiale Differenz hinzu, die sich zwangsläufig aus der erwähnten Tatsache ergibt, dass der impressionistische Künstler jene von seiner Realität verschiedene romantische Wirklichkeit, die er sich zum Vorbild beziehungsweise an der er sich ein Beispiel nimmt, mit dem Erfahrungshorizont seiner Realität vermitteln muss, dass er sie nicht kurzerhand übernehmen kann, sondern sie seinem Realitätsverständnis anpassen, nach Maßgabe seiner Vorstellung von Realität interpretieren und revidieren muss. So gewiss der impressionistische Künstler in keinem existenziellen Verhältnis zur Wirklichkeit des romantischen Kunstschaffenden steht, so gewiss hat die funktionelle Beziehung, die er stattdessen zu ihr unterhält, zur Folge, dass er gezwungen ist, sie umzumodeln und in Anschauungsformen und Erfahrungsweisen zu übersetzen, die mit seiner Realität leichter kompatibel, sprich, mit deren herrschender Präsenz besser vereinbar sind.
Dabei zeigt das Stichwort Präsenz bereits an, worin die Inkompatibilität der von der romantischen Ästhetik geltend gemachten Wirklichkeit mit der den impressionistischen Künstler umfangenden Realität besteht und worauf die Vermittlungsanstrengung, das Bemühen um Vereinbarkeit der ersteren mit letzterer deshalb gerichtet sein muss: Was die romantische Wirklichkeit inkompatibel macht, ist ihre als Ungleichzeitigkeit ausgesprochene Absenz, dies, dass sie, wiewohl ihrerseits etwas hier und jetzt Gegebenes, Gegenwart, sich doch zugleich der herrschenden Realität im Modus der Vergangenheit, das heißt, als etwas, was jene einmal war und nicht mehr ist, vorstellt und damit aber deren als Präsenz ausgesprochenen Sinnzusammenhang und Erfahrungsraum unterminiert beziehungsweise konterkariert.
Suchte der impressionistische Künstler die vom romantischen Kunstschaffenden als dessen Dasein und Lebenswelt geltend gemachte andere Wirklichkeit unmittelbar zu erfassen und umstandslos zu übernehmen, er müsste feststellen, dass diese zwar in der Tat nicht sein Dasein, sein existenzielles Milieu, sondern eine von seiner eigenen Realität, seinem heimischen Habitat getrennte und verschiedene Wirklichkeit ist, dass sie aber, weil sie ihm ja als ungleichzeitige Version seiner eigenen Realität begegnet, seine eigene Realität im Modus der Vergangenheit darstellt, ihm auch nicht einfach als der letzteren äußere und fremde Wirklichkeit entgegentritt, ihm nicht einfach als ebenso andere wie seiner Objektwelt modallogisch gleichgeordnete Objektivität gegenübersteht, weshalb sie ihn nötigte, aus seiner eigenen Realität herauszutreten und sich auf sie, die andere Wirklichkeit, in dem initiatorischen Sinne einzulassen, sich an sie in dem traduktorischen Verstand zu erinnern, der gleichbedeutend mit Bewusstseinsspaltung oder Selbstentfremdung ist, den im Normalfall am ehesten das Traumerleben kennt und zu dessen Bezeichnung gemeinhin der das Zugleich von Vertrautheit und Fremdheit, An- und Abwesenheit zu markieren bestimmte Begriff der Absence bemüht wird.
Weil jene andere, romantisch geltend gemachte Wirklichkeit seine, wenn auch im Modus der Vergangenheit erscheinende, eigene Realität ist, wäre sie ihm vertraut oder existenziell nah genug, um ihn bei ihrem Anblick aus sich herausgehen und persönlich Anteil an ihr nehmen, sich in sie vertiefen, an sie erinnern zu lassen, statt sie nur als Wahrnehmungsinhalt oder Objekt der Erkenntnis ins Auge zu fassen; aber gleichzeitig wäre sie doch hinlänglich eine andere für ihn, wäre sie ihm fremd und verschieden genug, um ihn dazu zu bringen, auf seiner eigenen Realität und deren Sinnzusammenhang zu insistieren, metaphorisch gesagt, nicht außer sich zu geraten und bei Sinnen zu bleiben, und demnach sich, sein beim Anblick jener romantischen Wirklichkeit aus sich herausgegangenes und sich an sie als an seine eigene Realität im Modus der Vergangenheit erinnerndes Selbst, im Stich zu lassen, sprich, dessen an der anderen Wirklichkeit reminiszierend gemachten und insofern es selbst, seine Sichselbstgleichheit, in Frage stellenden Erfahrungen zurückzuweisen und zu verwerfen, zu blockieren und zunichte zu machen.
Konfrontiert mit einer anderen Wirklichkeit, die nicht minder durch einen historiologisch-chronischen Hiatus als durch eine empiriologisch-topische Distanz von seiner eigenen Realität getrennt ist und die ihm deshalb auch nicht weniger Anlass böte, zu ihr zu desertieren und sich mit ihr zu identifizieren, wie sie ihm Gelegenheit gäbe, sie als andere wahrzunehmen und zu realisieren, sähe sich der impressionistische Künstler, um nicht der Schizophrenie zu verfallen, sprich, sich zwischen einem Selbst, das sich als Subjekt der anderen Wirklichkeit erlebt, und einem Selbst, das die andere Wirklichkeit als Objekt erfährt, entscheiden zu müssen und nicht zu können, gezwungen, die Notbremse zu ziehen und nämlich eine die Wahrnehmung und Erkenntnis betreffende Vereitelungsstrategie zu verfolgen. Weil der an seine eigene Realität gebundene und in ihr verharrende und insofern der anderen Wirklichkeit des vormodern-romantischen Kunstschaffenden als einem Objekt gegenüberstehende modern-impressionistische Künstler doch zugleich nicht umhin könnte, diese andere Wirklichkeit als seine eigene Vergangenheit in Betracht zu ziehen und sich demzufolge an sie zu erinnern, sich reminiszierend in sie zu vertiefen, und damit aber Gefahr liefe, sich um den Preis des Verlusts seiner eigenen Realität und des durch sie gegebenen Sinnzusammenhangs oder Realismus in jener anderen Wirklichkeit wiederzufinden, sprich, sich in ihr zu verlieren, bliebe ihm gar nichts anderes übrig, als seine Zuflucht zu der als Absence firmierenden Bewusstseinsspaltung zu nehmen: Während er seinem in die andere Wirklichkeit vertieften Selbst das Feld und es in ihm sich selbst überließe, zöge er sich, das in der herrschenden Realität verharrende Selbst, gleichzeitig von dem in die andere Wirklichkeit Vertieften zurück, bräche den Kontakt zu ihm ab und nähme somit als das in der herrschenden Realität verharrende Selbst im Sinne nicht etwa einer objektiven Fehlanzeige, sondern einer subjektiven Kommunikationsstörung nichts von dem wahr, was das in die andere Wirklichkeit vertiefte Selbst erlebte oder in Erfahrung brächte, beziehungsweise könnte – die Sache weniger schizophren und dem Identitätsanspruch des Betreffenden zuträglicher formuliert – als das in der herrschenden Wirklichkeit verharrende, praesenti casu existierende Selbst sich an nichts von dem erinnern oder – dem Sinnzusammenhang der herrschenden Realität gemäßer ausgedrückt – auf nichts von dem besinnen, was es als das in die andere Wirklichkeit vertiefte Selbst erlebt oder erfahren hätte – eben weil es dies Etwas ja nur in Abwesenheit erlebt, die Erfahrung absente statu gemacht hätte.
Nur durch diese in einem Abbruch des Wahrnehmungs- und Erkenntnisvorgangs resultierende Selbstverleugnung beziehungsweise Selbstlähmung könnte der impressionistische Künstler verhindern, dass er jene ihm in der doppelten Bedeutung einer existenziellen Gegenwart des romantischen Kunstschaffenden und einer referenziellen Vergangenheit seiner eigenen Realität erscheinende andere Wirklichkeit auch tatsächlich doppelt sähe und ein sinnverwirrend überblendetes Bild von ihr empfinge, mit dem er im Blick auf die Lösung seines geniekultlichen Problems, die er sich von ihr erhoffte, absolut nichts anfangen könnte und das höchstens dazu taugte, ihn seiner eigenen Sphäre, der verwertungsprozessual herrschenden Wirklichkeit, zu entfremden und ihm mithin jede praktische Basis für die Ausübung seiner künstlerischen Profession zu verschlagen.
Will der modern-impressionistische Künstler dieser fatalen Verwirrung seines Wahrnehmungs- und Erkenntnisvermögens entrinnen, mit der ihn die andere Wirklichkeit des vormodern-romantischen Kunstschaffenden bedroht, so kann und darf er letztere nicht einfach übernehmen, sie sich nicht kurzerhand zu eigen machen, sondern muss sie einem Adaptions- und Interpretationsverfahren unterziehen, das, wie nach dem Gesagten unschwer einsehbar, in der Auflösung und Tilgung der Vergangenheitsform besteht, in der sie ihm unmittelbar erscheint. Er muss den chronischen Hiatus, in dem die andere Wirklichkeit sich ihm darbietet, zur topischen Distanz ermäßigen, muss, mit anderen Worten, die historiologische Kluft, die ihn von der anderen Wirklichkeit trennt, im Sinne einer bloß empiriologischen Diskretheit überbrücken, muss, noch einmal anders gesagt, die andere Wirklichkeit aus einem ungleichzeitigen Konterfei der herrschenden Realität in deren gleichzeitiges Komplement überführen.
Statt als ebenso zurückgelassenes wie überholtes Moment der historischen Entwicklung der verwertungsprozessual herrschenden Gegenwart präsentiert sich die andere Wirklichkeit nun als ein ebenso ausgegrenzter wie abseitiger Topos des systematischen Entfaltungsraums der herrschenden Realität, statt eine rückständige Erscheinungsform der letzteren zu bilden, stellt sie sich als deren randständige Nebenerscheinung dar, statt als desolate Vorform die herrschende Realität vexierbildlich zu spiegeln, bietet sie ihr als dissidente Gegenversion kontrafaktorisch Paroli.
Dabei sind es vor allem drei Seinssphären, durch die und in denen die vom impressionistischen Künstler aus einem rückständigen und desolaten Dasein in eine randständige und dissidente Gegenwelt, kurz, aus einem chronisch-ungleichzeitigen in ein topisch-gleichzeitiges Phänomen uminterpretierte andere Wirklichkeit Gestalt gewinnt – der naturale, der soziale und der koloniale Bereich. Am verbreitetsten und wichtigsten ist die als Freiluftbewegung apostrophierte Hinwendung des impressionistischen Künstlers zur Natur als einer dem kapitalen Verwertungsprozess und dem von ihm geschaffenen städtisch-mechanischen Lebenszusammenhang sei's natürlich-organisch entgegengesetzten, sei's ländlich-agrarisch entrückten Wirklichkeit sui generis.
Mit diesem Rekurs auf die außermenschliche Natur oder jedenfalls eine Natur, in die der Mensch sich noch einfügt und in der er halbwegs verschwindet, statt mit ihrer Beherrschung und ihrer Verwertung befasst zu sein und sich in ihr dominant in Szene zu setzen, bewegt sich der impressionistische Künstler ganz und gar im Schlepptau des romantischen Kunstschaffenden, für den im Unterschied zur genrebildlich-klassischen Kunstproduktion die vom Menschen nicht oder nicht mehr okkupierte Natur ja ebenfalls ins Zentrum rückt, nur dass ganz im Einklang mit der Überführung und Umsetzung der ungleichzeitig-chronischen Perspektive in einen gleichzeitig-topischen Aspekt die Natur für den impressionistischen Künstler jetzt eine empiriologisch gegebene und nichts als sich selber vorstellende Gegenwelt zur vom Menschen und seiner verwertungsprozessualen Arbeit gemachten und beherrschten Realität bildet, während sie für den romantischen Kunstschaffenden eine historiologisch befrachtete Vor- oder Hinterwelt der verwertungsprozessualen Realität darstellt, die die dem Dasein des Kunstschaffenden eigene Rückständigkeit symbolisiert, Chiffre der in dieser Wirklichkeit zugrunde gegangenen, zum Relikt erstarrten und aber eben deshalb den Blick auf Bleibendes, Ewiges eröffnenden Geschichte ist. Anders als für den romantischen Kunstschaffenden stellt sich für den impressionistischen Künstler die ins Zentrum gerückte Natur nicht als Ruine, als Resultat historischen Verfalls beziehungsweise verfallener Geschichte, sondern als das blühende Leben, als Manifestation eines von der Hektik und Schwindsucht der verwertungsprozessualen Realität unberührten, dem Werden und Vergehen der letzteren im Sinne elysischer Vollendung entzogenen Wachsens und Gedeihens dar.
Eine der romantischen Kunst unbekannte andere Wirklichkeit, die im Zuge der Überführung des zur verwertungsprozessualen Realität ungleichzeitigen chronisch-rückständigen Daseins der Romantik in ein zur verwertungsprozessualen Realität gleichzeitiges topisch-randständiges Phänomen der impressionistische Künstler neu erschließt, liefert der soziale Bereich – in Gestalt nämlich gesellschaftlicher Randgruppen, die, weit entfernt davon, als ein von der herrschenden Realität überholtes und zurückgelassenes Dasein zu erscheinen, sich vielmehr als eine von ihr aus eigenem Antrieb sich separierende und bewusst von ihr sich fernhaltende Existenz präsentieren. Fahrendes Volk, Artisten des Jahrmarkts, der Bühne und des Cabarets, Bohèmekreise, die Geschöpfe des Nachtlebens und Unterweltmilieus und die Künstlerzirkel selbst werden vom impressionistischen Künstler als Randgruppen wahrgenommen und dargestellt, die der verwertungsprozessualen Realität aus mehr oder minder freien Stücken den Rücken kehren und die Gefolgschaft verweigern und sich eben deshalb als kunsttaugliche Sujets anbieten, als eine alternative Wirklichkeit, die der genialischen Kunstproduktion die für ihr Bemühen um Bestand und Beständigkeit, um Authentizität des Erlebens und Kontinuität des Erinnerns brauchbaren Stoffe liefert, die sie in der von zwanghafter Veränderungssucht und Neuerungswut getriebenen verwertungsprozessalen Realität nicht mehr zu finden vermag.
Und zu diesen beiden, der verwertungsprozessualen Realität entzogenen beziehungsweise gegen sie sich verwahrenden Bereichen der naturalen Marginalität und des sozialen Dissidententums kommt als dritte, dem romantischen Dasein nachgebildete und aber aus chronischer Ungleichzeitigkeit in topische Gleichzeitigkeit überführte kunsttaugliche Sphäre noch die koloniale Exotik hinzu. Nicht etwa im Sinne ungleichzeitiger Geschichte, das heißt, als von der zivilisatorischen Entwicklung überholte Wilde und Primitive, sondern durchaus nur in der Bedeutung gleichzeitiger Gegenkulturen, das heißt, als von den zivilisatorischen Errungenschaften unverbildete und im Einklang mit ihrer inneren Bestimmung und ihrem äußeren Milieu perennierende Naturvölker oder Eingeborene, verkörpern die Gesellschaften und Stammesgemeinschaften der kolonialen Sphäre für den impressionistischen Künstler eine zur verwertungsprozessualen Realität, in der er zu Hause ist, alternative Wirklichkeit, die mit eben dem winkt, was seine kunstsinnigen Auftraggeber von ihm verlangen – mit sichselbstgleich authentischen Erfahrungen und wiederholbar kontinuierlichen Reminiszenzen, die, wenn auch nicht mehr in der Gestalt eines den Auftraggebern eigenen Daseins, so immerhin doch in effigie eines ihnen durch das Genie des Künstlers nahegebrachten eigentümlich anderen Seins den schönen Schein von stabiler Lebenswelt und beständiger Lebensweise erzeugen, den gegen die Entwirklichungs- und Entwertungstendenzen des realen Verwertungsprozesses zu beschwören und aufrecht zu erhalten, seit jeher die Aufgabe der neuzeitlichen Ästhetik ist und dessen Beschwörung jetzt allerdings den Auftraggebern nurmehr dazu dient, gegen den nivellierenden Popularisierungsdruck, gegen den deklassierenden Vulgarisierungssog, der vom industriell akzelererierten Verwertungsprozess auf das gesellschaftliche Bewusstein ausgeht, sich jenes Moment von personaler Exklusivität und sozialer Distinktion zu erhalten, das mit der Wahrnehmung und Wahrung solch schönen Scheins traditionell verknüpft ist.
Vorzugsweise diese drei Sphären des Naturalen, des Sozialen und des Kolonialen sind die alternative Wirklichkeit, die nicht zwar als im Vergleich mit der verwertungsprozessualen Realität desolat-rückständige Regionen, als Räume, die der kapitale Verwertungsprozess hinter sich gelassen hat, wohl aber als im Verhältnis zur verwertungsprozessualen Realität dissident-randständige Sektoren, als Zonen, die der kapitale Verwertungsprozess ausgespart hat beziehungsweise die sich ihm entzogen haben, dem impressionistischen Künstler die für seine genialische Produktion geeigneten Stoffe und Sujets liefert und die ihm damit erspart, sie sich als ein Genie sans phrase aus den Fingern saugen beziehungsweise aus den Rippen schneiden zu müssen. Vornehmlich dieser drei am Vorbild des romantischen Daseins orientierten und aber in Anpassung an die verwertungsprozessuale Realität, in der er selbst zu Hause ist, die chronische Verschiedenheit in eine topische Differenz, sprich, das historisch Ungleichzeitige in systematisch Gleichzeitiges übersetzenden Sphären bedient sich der impressionistische Künstler, um, der Ästhetikuntauglichkeit der verwertungsprozessualen Realität zum Trotz, eine Wirklichkeit zu beschwören, die durch die Authentizität des Lebens und die Kontinuität des Erlebens, die sie beweist, den an ihr kunstsinnig Partizipierenden das Bedürfnis nach personaler Exklusivität und sozialer Distinktion befriedigt, ohne dass er, der Künstler selbst, sich zu einer allzu eigenmächtigen, genialisch-freihändigen Beweisführung genötigt sieht und sich damit der Gefahr aussetzt, entweder unter der Beweislast zusammenzubrechen und zu scheitern oder sich der Beweislast durch die Flucht in eine phantasmagorische Selbstherrlichkeit, in Größenwahn kurzerhand zu entledigen.
Die ökologischen und sozialen Nischen, die der impressionistisch-moderne Künstler als alternative Wirklichkeit reklamiert, erliegen dem Expansionsdrang des kapitalen Verwertungsprozesses. Mangels natürlicher Alternativen verfällt der Künstler darauf, die kunsttaugliche alternative Wirklichkeit der verwertungsprozessualen Realität künstlich, sprich, durch entdinglichende Reduktion und verfremdende Rekonstruktion abzugewinnen. Das reduktionistisch-konstruktivistische Resultat, die so genannte abstrakte Kunst, wird allerdings wiederum von der verwertungsprozessualen Realität als Anregung für eigene Produktionen aufgegriffen und dem Verwertungsprozess redintegriert. Das zwingt den Künstler zu einer ständigen Flucht- und Rückzugsbewegung, bis schließlich der Reduktionismus in der weißen Leinwand und der Konstruktivismus im leeren Bilderrahmen enden.
Freilich erweist sich, dass die nach dem Vorbild des romantischen Daseins konzipierten alternativen Wirklichkeiten, die der Genialität des impressionistischen Künstlers ein fundamentum in re, sprich, seiner Schaffenskraft den empirischen Halt materialer Stoffe und phänomenaler Motive bieten, ihrerseits nur von begrenzter empirischer Haltbarkeit und tatsächlich ebenso wenig von Dauer sind wie das romantische Dasein selbst. Was jenen alternativen Wirklichkeiten des impressionistischen Künstlers ebenso wie dem Dasein des romantischen Kunstschaffenden die Lebenszeit verkürzt und schließlich den Garaus macht, sind, wie zu erwarten und nicht anders möglich, der kapitale Verwertungsprozess selbst und seine unwiderstehliche Dynamik. Wie der Prozess dank seines als erweiterte Reproduktion wirksamen Wiederholungszwanges die von ihm erfasste Gesellschaft immer stärker durchdringt und ihr Wertschöpfungspotenzial, ihre industriellen Kapazitäten immer umfänglicher entfaltet und immer intensiver nutzt, so expandiert er auch nach außen, in die von ihm noch nicht erfassten geographischen Räume und demographischen Bereiche hinein und unterwirft mit anderen Worten seinem unersättlichen Wertschöpfungstrieb immer weitere Teile der physikalischen Welt und immer neue Sektoren des soziologischen Spektrums.
Das erste Opfer dieses seines Expansionsdrangs ist das romantische Dasein selbst, sind jene Gebiete und Länder, die sich erst einmal, aus welchen historischen Gründen auch immer, von den progressiven, in Sachen kapitalistischer Produktionsweise vorauseilenden Regionen und Nationen überholt und zurückgelassen finden und sich nun aber durch den industriellen Fortschritt der letzteren früher oder später vor die Alternative gestellt sehen, sich entweder aus eigener Kraft kapitalistisch weiterzuentwickeln und wieder Anschluss an die verwertungsprozessual Vorausgeeilten zu gewinnen oder aber deren Expansionsdrang zum Opfer zu fallen, sprich, unter Einbuße ihrer ökonomischen Eigenständigkeit, wo nicht gar ihrer politischen Autonomie, dem avancierten Industriesystem der anderen als quasikoloniales Ausbeutungsobjekt zu dienen. Dem Anpassungsdruck im Sinne der Konformisierung oder um den Preis einer Art von Kolonialisierung erliegend, verwandeln sich jene vormals rückständigen oder hinterwäldlerischen Gebiete in verwertungsprozessual avancierte Wirtschaftsräume, die aus ihrem verspäteten Eintritt in die kapitalistische Entwicklung unter Umständen sogar noch den Vorteil eines hohen technischen Ausgangsniveaus und einer entsprechend großen Fortschrittsdynamik ziehen und die jedenfalls all die Charakteristika beschaulicher Apathie, melancholischer Verfallenheit und bornierter Rückwärtsgewandtheit einbüßen, die sie dem in sie eingesperrten und an sie gefesselten Kunstschaffenden gezwungenermaßen, weil existenziellerweise, lieb und teuer werden lassen und die ihn zu seiner als Rehabilitationsversuch wohlverstandenen reliquarischen Ästhetisierungs- beziehungsweise romantischen Verklärungsbemühung antreiben.
Und gleichzeitig liquidiert die Expansion des kapitalen Verwertungssystems auch jene Lebensräume, jene ökologischen und sozialen Nischen, die als der alternativen Wirklichkeit des romantischen Daseins entsprechende und aber aus dessen Ungleichzeitigkeit in die Gleichzeitigkeit der verwertungsprozessualen Realität übersetzte Topoi der impressionistische Künstler auftut und die er vorzugsweise als Stoffe und Motivgeber für seine Kunstproduktion nutzt. Die freie Natur sich fortschreitend unterwerfend und als Siedlungsgebiet beziehungsweise als bewirtschafteten Raum aller Unberührtheit und jeglichen Eigenlebens beraubend, in die sozialen Rückzugsgebiete vordringend und sie entweder auflösend oder aber als vergnügungsindustrielle Sparten vereinnahmend und nutzbar machend, schließlich die koloniale Exotik entweder im Zuge der Ausbeutung kolonialer Naturschätze und der Schaffung von Billiglohnindustrien zerstörend oder aber touristisch erschließend und als Freizeit- und Erlebnisparks in den Dienst der Unterhaltungsbedürfnisse der hochkapitalistischen Industrienationen stellend, rückt der kapitale Verwertungsprozess den von der impressionistischen Kunst nach dem Vorbild des romantischen Daseins als alternative Wirklichkeit hochgehaltenen Nischen systematisch zu Leibe und staucht sie dermaßen zusammen beziehungsweise höhlt sie so sehr aus, dass sie sich zu einem keine stofflichen Anregungen und brauchbaren Motive mehr hergebenden Nichts, zu inhaltslosen Leerstellen, bedeutungslosen Vakanzen verflüchtigen.
Um den Verlust an alternativer Wirklichkeit, an außerhalb der verwertungsprozessualen Realität behaftbarer fremder Objektivität zu kompensieren, verfällt der impressionistische Künstler schließlich auf einen verzweifelten Ausweg: Er entschließt sich, solch alternative Wirklichkeit und fremde Objektivität ausgerechnet der sie doch eigentlich kategorisch ausschließenden verwertungsprozessualen Realität zu unterstellen und mittels der neuen kategorialen Techniken einer entobjektivierenden Reduktion und einer verfremdenden Rekonstruktion tatsächlich auch in ihr aufzuspüren. Was ihm die sich totalisierende Realität als zu ihr gegebene naturale, soziale oder koloniale Alternative, als ein aktuell verfügbares, sprich, natürlich vorhandenes Außerhalb ihrer selbst verschlägt, das trotzt in seiner dadurch als Gegenstandslosigkeit heraufbeschworenen Not der impressionistische Künstler ihr als eine in ihr selbst zu entdeckende phänomenale Gegenversion, als ihr eigenes potenziell erschließbares, sprich, künstlich zu schaffendes kontrafaktisches Inneres ab.
Durch den Siegeszug der herrschenden Realität der alternativen Stoffe und Motive beraubt, die ihm eine von ersterer noch weitgehend ausgegrenzte beziehungsweise sich halbwegs gegen sie verwahrende Natur, Unterwelt und Exotik bis dahin bot, wirft sich der impressionistische Künstler in seiner Not auf die herrschende Realität selbst, destruiert, dekomponiert und isoliert sie, nimmt sie auseinander, um sie sodann neu und nach eigenem Ermessen wieder zusammenzufügen, sie, wie es ihm einfällt und passt, zu assemblieren, zu collagieren, zu montieren, sodass ein technischem Kalkül statt organischem Impuls geschuldetes Produkt, ein Artefakt im nicht bloß prozessual-formellen, sondern mehr noch strukturell-inhaltlichen Sinn entsteht, das in dem Maße, wie es von der herrschenden Realität aufgrund der mit ihr veranstalteten Reduktion und getriebenen Verfremdung abweicht, den Anspruch erhebt, an die Stelle der durch die Totalisierung der ersteren verloren gegangenen alternativen Sphären zu treten und deren Funktion einer kunsttauglichen, weil im Unterschied zur herrschenden Realität Bestand und Beständigkeit, Stabilität und Kontinuität verkörpernden und das daran geknüpfte Bedürfnis der Kunstsinnigen nach Exklusivität und Distinktion zu befriedigen geeigneten Wirklichkeit zu übernehmen.
Das Ergebnis ist das, was unter dem generischen Namen abstrakte Kunst firmiert, sind Kunstwerke, deren Stoffe und Motive sich, wie gesagt, einer die Realität entdinglichenden Reduktion und verfremdenden Rekonstruktion verdanken, wobei die Reduktion sich im Wesentlichen als eine Verflüchtigung der Dingwelt zu primären Sinneseindrücken, zu Farben und Formen darstellt, während die rekonstruktive Verfremdung sich in der Hauptsache als Idiosynkratisierung, als Verwandlung der anerkannten Empirie in eigenwillige Vorstellungen, in Phantasmen und Surrealismen vollzieht. Mangels naturgegebener, gesellschaftsstrukturbedingter oder kulturerzeugter, kurz, natürlich alternativer Wirklichkeiten, die allesamt der Expansionsdynamik der verwertungsprozessual herrschenden Realität zum Opfer fallen, kreiert sich der hierbei vom naturalistisch-impressionistischen zum reduktionistisch-konstruktivi- stischen mutierende Künstler auf künstlich-innovativem Wege, sprich, dadurch, dass er die herrschende Realität selbst in sensorisch elementare Bestandteile zerlegt und diese zu phantasmagorisch arbiträren Erscheinungen wieder zusammenfügt, eine um den Preis gleichermaßen der Simplifizierung und der Privatisierung erkaufte Gegenwelt, die an die Stelle des Verlorenen zu treten und die bislang von letzterem wahrgenommene Funktion eines Stofflieferanten und Motivgebers für die Kunstproduktion zu übernehmen beansprucht.
Auf den ersten Blick könnte dies den Eindruck eines Rückgriffs auf beziehungsweise Rückfalls in jene Haltung freischaffender, rein nur aufs Subjekt und sein Inneres, seine Aneignung und Spiegelung der äußeren Realität, setzender Genialität erwecken, die, weil sie den durch sie des Impressionismus überführten, sprich, modernisierten Künstler der kruzifikatorischen Gefahr der Hybris oder des Scheiterns aussetzt, letzteren dazu bringt, sich ein Beispiel am romantischen Kunstschaffenden zu nehmen und in den natürlichen, gesellschaftlichen und kulturgeschichtlichen Randzonen beziehungsweise Exklaven der herrschenden Realität eine im Sinne nicht zwar historiologisch-chronischer Ungleichzeitigkeit, wohl aber empiriologisch-topischer Verschiedenheit alternative Wirklichkeit zu entdecken und als von der Bürde schierer, selbstherrlicher Subjektivität entlastendes fundamentum in re nutzbar zu machen. Indem nun diese alternativen Wirklichkeitssphären der expansiven Dynamik der herrschenden Realität zum Opfer fallen und ihr Verlust den naturalistisch-impressionistischen Künstler dazu zwingt, sich einen Ersatz für das Verlorene auf eigene Faust zu verschaffen und nämlich der herrschenden Realität selbst mittels reduktionistisch-konstruktivistischer Techniken auf Biegen und Brechen abzutrotzen, könnte dies so verstanden werden, als müsse der Künstler wieder das mangels alternativer Wirklichkeit die Stoffe und Motive seines Kunstschaffens sich aus den Fingern saugende beziehungsweise aus den Rippen schneidende, sprich, dem Spiegel seiner kreativen Seele, seiner selbstmächtig reflexiven Subjektnatur entnehmende Genie sans phrase oder, besser gesagt, à fonds perdu hervorkehren.
Der Schein trügt indes. Was den reduktionistisch-konstruktivistischen Künstler vom intuitionistisch-impressionistischen unterscheidet und dessen geniekultlicher Überhöhung entzieht, ist eben sein Festhalten an einer von der verwertungsprozessualen Realität objektiv unterschiedenen und als Realfundament seines künstlerischen Schaffens geltend gemachten Wirklichkeit. Auch wenn diese objektiv andere Wirklichkeit jetzt keine außerhalb der verwertungsprozessualen Realität natural, gesellschaftsstrukturell oder kulturell gegebene mehr ist, sondern aus der Realität selbst mit den technischen Mitteln reduktionistischer Zerlegung und konstruktivistischer Montage extrahiert werden muss, sie bleibt doch – zumindest dem Anspruch nach – eine vom Subjekt unabhängige Gegebenheit, eine sächliche Voraussetzung, deren sich der Künstler vorweg versichert, um sein Kunstschaffen zu entlasten und vor der schweren Bürde eines sich quasi göttlich gebärdenden Schöpfertums zu bewahren. In Gestalt von aus der verwertungsprozessualen Realität als simple Sinneseindrücke hypostatisch ausgefällten Formen und Farben und als private Vorstellungen mythologisch extrapolierten Phantasmen und Surrealismen erzeugt der Künstler eine Wirklichkeit, die hinlänglich objektiv erscheint, hinlänglich am ontologischen Status der verwertungsprozessualen Realität teilzuhaben beanspruchen kann, um die vakante Stelle der von letzterer liquidierten alternativen Sphären naturaler, soziostruktureller und kultureller Beschaffenheit einzunehmen und dem Künstler das Bewusstsein zu erhalten, nicht gänzlich auf eigene Faust, sondern auf einem fundamentum in re zu operieren.
Freilich ist jene alternative Wirklichkeit, weil der Künstler sie nun ebenso selbstherrlich wie eigenhändig der herrschenden Realität durch Reduktion entreißen und durch Verfremdung entgegensetzen muss, in stärkerem Maße sein persönliches Werk, salopp gesagt, auf seinem Mist gewachsen, ist sie in dem Sinne subjektbestimmter, dass sie ungleich mehr als zu impressionistischen Zeiten ein Produkt seines technischen Einfallsreichtums in Sachen Zerlegung und Wiederzusammensetzung, seiner artistischen Abstraktions- und Imaginationskraft ist. Einen Anspruch auf Genialität oder generische Originalität vermag er damit aber nicht zu begründen, sondern setzt sich höchstens dem Verdacht der Idiosynkrasie und manieristischen Partikularität aus. Basis seines Kunstschaffens ist nicht die Realität, wie sie sich in seiner Seele spiegelt, wie er sie reflektiert, sondern wie er sie mittels seiner Einblicke und Eingriffe zurichtet, sie durch seine Optik und seine Technik konstruiert. So gewiss er an ihr als einer gegebenen und in ihrer Gegebenheit das fundamentum in re seines künstlerischen Wirkens bildenden festhält, so gewiss hebt er sie nicht, wie das der genialisch-impressionistische Künstler, ehe er darauf verfällt, sich am romantischen Dasein ein naturalistisches Beispiel zu nehmen, notgedrungen tun muss, in toto auf und transformiert sie, sondern greift in sie ein und manipuliert sie.
Und eben deshalb, weil er in Gegebenes äußerlich eingreift, statt es als solches innerlich aufzuheben, weil er die objektive Realität, statt sie in subjektive Wirklichkeit zu transformieren, vielmehr als solche manipulativ reduziert und imaginativ rekonstruiert, setzt er sich dem Verdacht nicht sowohl der Hybris und Überheblichkeit als vielmehr der Willkür und Überspanntheit aus. So gewiss er weit entfernt von allem genialischen Anspruch ist, die äußere Realität als innere Wirklichkeit wiederzugeben, das objektiv Gegebene in eine subjektive Schöpfung zu transformieren, und sich vielmehr darauf beschränkt, die äußere Realität in seinem Sinne umzumodeln, in eine Kreation des Subjekts zu konvertieren, so gewiss ist die Gefahr, die er läuft, nicht eigentlich Selbstherrlichkeit, sondern eher Eigenbrötelei, keine an Autismus grenzende Autonomie, sondern ein zur Künstelei sich verlaufender Opportunismus.
Die mit der reduktionistisch-konstruktivistischen Ummodelung der Realität einhergehende Gefahr eines Subjektivismus, der nicht etwa Zeichen von Genie, sondern bloßer Ausdruck dieses oder jenes Spleens ist, und der deshalb nicht etwa dem Wahnsinn zu verfallen, sondern höchstens und nur in Blödsinn zu enden droht, wird noch dadurch verstärkt, dass die Ergebnisse des reduktionistisch-konstruktivistischen Kunstschaffens, der hypostatischen Privatisierung und phantasmagorischen Verfremdung der herrschenden Realität, ihrer technisch-artefiziellen Überführung in eine als Alternative geltend gemachte Wirklichkeit, die verwertungsprozessual herrschende Realität keineswegs kalt und unbeteiligt lässt und im Gegenteil interessiert und dazu animiert, die solchermaßen mit ihr getriebene künstlerische Privatisierung und Verfremdung als Anregung aufzugreifen und in den Verwertungsprozess zu redintegrieren, sprich, die ästhetischen Kreationen als innovative Einfälle für die weitere Wertschöpfung nutzbar zu machen, sie als Vorlagen und Modelle für neue Produkte und Produktformen zu vereinnahmen. Diese Anteilnahme des kapitalen Verwertungsprozesses am Treiben des reduktionistisch-konstruktivistischen Kunstschaffens ist auch gar kein Wunder, da ja die Techniken der abstrahierenden Reduktion und der verfremdenden Rekonstruktion im Prinzip die gleichen wie die von der verwertungsprozessual herrschenden Realität selber verwendeten, um nicht zu sagen, der Praxis der letzteren entlehnt sind und es für diese deshalb auch ein Leichtes ist und denkbar nahe liegt, solch ein Kunstschaffen als Beitrag zur verwertungsprozessualen Tagesordnung misszuverstehen und den, der es praktiziert, als ideengebenden Designer oder modemachenden Helfershelfer zu vereinnahmen, statt ihn als Ausbrecher aus der herrschenden Realität ernst zu nehmen oder gar als Schöpfer einer zu ihr alternativen und ihr ebenso dauerhaft wie reell entzogenen Wirklichkeit gelten zu lassen.
Die Folge dieser ebenso appropriativen wie affirmativen, ebenso vereinnahmenden wie einverständigen Einstellung der verwertungsprozessualen Realität zum reduktionistisch-konstruktivistischen Kunstschaffen ist, dass der Künstler ständig auf dem Rückzug und auf der Flucht vor den Zugriffen und Integrationszumutungen der letzteren ist, dass er im Bemühen, sich der Funktionalisierung seiner Kunst durch den Verwertungsprozess zu entziehen und seinen Schöpfungen die Qualität und Bedeutung einer zur herrschenden Realität alternativen und sich gegen deren Produkte und Moden verwahrenden und sperrig erweisenden Wirklichkeit zu erhalten, immer ausgefallenere und absonderlichere Wege einschlägt, dass seine Schöpfungen immer idiosynkratischer und manieristischer, immer eigenbrötlerischer und verrückter werden und es den an sie als an die Quelle personaler Exklusivität und sozialer Distinktion verwiesenen Kunstsinnigen immer schwerer machen, mehr in ihnen zu gewahren als den Ausdruck einer mit der technischen Verfügung über die Realität das Schindluder haltloser Zersetzung und hirnloser Klitterung treibenden subjektiven Eitelkeit und privativen Willkür.
So sehr verirrt sich am Ende der reduktionistisch-konstruktivistische Künstler auf der Flucht vor den Nachstellungen der verwertungsprozessualen Realität ins subjektivistisch Aparte und idiosynkratisch Preziöse, solche Kapriolen der Abstraktion und Verfremdung schlägt er im Bemühen, der Realität ein Schnippchen zu schlagen und ihr eine Wirklichkeit abzutrotzen, mit der jene nichts anfangen kann und die sich vielmehr als uneinholbar alternative zu behaupten vermag, dass er auf Kunstwerke verfällt, die sich in einer jene Realität betreffenden reinen Fehlanzeige oder Nichtigkeitserklärung erschöpfen und bei denen der Reduktionismus sich zum Bild als tabula rasa versteigt und der Konstruktivismus nurmehr den die tabula rasa umschließenden Bilderrahmen zustande bringt.