6. Der Erlöser


Der Messianismus der jüdischen Religion kommt den Heilssuchern des Imperiums gerade recht. Angesichts des Verlusts allen Wesensbezuges, allen innerweltlich göttlichen Funkens, weckt das Konzept eines vom transzendenten Herrn des Seins in die Welt geschickten Heilsbringers und Mittlers neue Hoffnung. Dass mit dem Exemplar aus der Reihe möglicher Anwärter auf die Heilsbringerrolle, auf das die Wahl der Heilssucher fällt, so wenig Staat zu machen ist, entspricht der Weltfluchtperspektive. Dass so viel Gewicht auf seinen Tod gelegt und dass dieser so schmerzlich und schmählich zugleich ist, erklärt sich aus der Notwendigkeit, den Heilsbringer dem Format der menschlichen Heilssucher anzupassen, sein Heil für die Menschen erreichbar zu machen.

Mit ihrer gleichermaßen gnostisch-spirituellen und cäsaristisch-sakralen Anpassung des Messiaskonzepts an imperiumsweite Strategien und Sichtweisen hat nun aber die den Messianismus kultivierende jüdische Religion tatsächlich genau das Format erlangt, um den an der Küste ihres unwirtlichen Daseins und unseligen Lebens gestrandeten Ernüchterten und Klarsichtigen im Imperium, von denen oben die Rede war, jenen, die angesichts des kaiserkultlich-militärdespotischen Konkurses der alten Welt jeden Glauben an die Götterkulte und ihre die Wirklichkeit der Welt sanktionierende Macht eingebüßt und sich der Einsicht in die unüberbrückbar ontologische Differenz zwischen Erscheinung und Wesen, in die heillose Scheinbarkeit des chronisch vergänglichen Daseins und die rückhaltlose Jenseitigkeit des zeitlos vergangenen Seins ergeben, zugleich aber auch jegliche gnostische Illusion fahren gelassen haben, aus eigener Kraft aus hier der historisch erwiesenen Unwirklichkeit der Erscheinungswelt in dort die platonisch entfaltete Wirklichkeit der Wesenssphäre hinüberwechseln zu können – um also all jenen hoffnungs- und perspektivlosen Geschöpfen einer dem Verfall und der Zerstörung preisgegebenen demiurgischen Welt dennoch wieder Hoffnung zu machen und eine Perspektive zu geben.

Was die Religion der jüdischen Glaubensgemeinschaft den Desillusionierten präsentiert, ist ein Konzept der ontologischen Differenz, wie es radikaler kein Wesenskult zu bieten vermag: dort der als Herr des Seins und lebendiger Gott perennierende Schöpfer, der alles ist, was ist, alle Wirklichkeit in sich vereinigt und lebt, und hier die Welt, die einzig und allein als seine aus Nichts hervorgegangene Schöpfung, als ein seiner Einbildungskraft entsprungenes Projekt, als seiner Vorstellung, seinem Willen gedanktes Phantasieprodukt oder Kunstgebilde existiert und die eben deshalb auch nur so lange Bestand hat und sich nicht als schierer Schein, als das Nichts, aus dem sie wortmächtig beschworen oder kunstreich geschöpft worden ist, erweist, wie es dem Schöpfer gefällt, wie er es will, wie er an seinem Werk festhält.

Und tatsächlich übertrifft das Differenzkonzept der jüdischen Religion das der traditionellen Wesenskulte sogar an Radikalität, denn nicht einmal von der als heimlicher Wesensbezug konzipierten Möglichkeit zur inneren Sammlung, der als reservatio mentalis ausgesprochenen und sub specie der Wirklichkeit des Wesens, die die Welt zum Schein erklärt, als reservatio realis wohlverstandenen Rückbindung an das zeitlos vergangene Sein, die der traditionelle Wesenskult dem in die chronisch vergängliche Erscheinungswelt verirrten menschlichen Subjekt attestiert und deren Reklamation oder Aktualisierung er ihm zur Ehre eines aristokratisch höheren Selbstseins anrechnet – nicht einmal von diesem Moment innerweltlicher Wesenhaftigkeit will die jüdische Religion etwas wissen. Für sie ist der Mensch geradeso wie alle übrige Kreatur ein aus Nichts ins Dasein gerufenes Projekt des Schöpfers, eine vom lebendigen Gott geschaffene Kunstfigur, Spielzeug und Zeitvertreib des Herrn. Eine ontologische Kontinuität zwischen dem Dasein des Menschen und dem Sein Gottes, wie sie die traditionellen Wesenskulte behaupten, ist für die jüdische Religion undenkbar, ein Unding; was ihr zufolge die menschliche Kreatur vor der übrigen Schöpfung einzig und allein auszeichnet, ist jene epistemologische Intimität mit dem Schöpfer, jene identifikatorische Erkenntnis Gottes, die als der Sündenfall firmiert und die den, der an ihr festhält und ihr sein Leben verschreibt, in den als prekärer Pas-de-deux geschilderten und aus nichts als aus Prüfungen und Bestrafungen, Zurechtweisungen und Verfolgungen gewirkten Bund mit ihm versetzt.

Dass der jüdische Glaube demnach keinen göttlichen Funken in der menschlichen Kreatur gewahrt, dem Menschen nicht wie die traditionellen Wesenskulte ein ihn von der völligen Verfallenheit an die Erscheinungswelt a priori ausnehmendes unvergängliches Seinsmoment, einen ihm als Selbstsein unauslöschlich eingeschriebenen Wesensbezug zugesteht, kann freilich angesichts der desolaten Verfassung, in der sich dieser wesenhafte Kern des Menschen, dieses in aller Scheinverfallenheit angeblich perennierende Selbstsein präsentiert, schwerlich den Eindruck eines großen Verlustes machen. Schließlich hat sich, wie gezeigt, jenes wesenhaft höhere Selbstsein im Verlaufe seiner politischen Nutzung für die Begründung einer aristokratischen oder auch demokratischen Staatsführung und seiner philosophischen Inanspruchnahme für die Einrichtung einer idealischen Gesellschaftsordnung ebenso sehr theoretisch diskreditiert wie praktisch blamiert und ist am Ende zum hedonistisch-diätetischen, skeptisch-kritischen oder stoisch-moralischen Mentor, kurz zum Lebensberater und Sterbebegleiter einer versumpften, in der Sinnlosigkeit ihres Luxuslebens, ihrer materiellen Illusionen, versinkenden Oberschicht verkommen. Was von den traditionellen Wesenskulten als die über alle erscheinungsweltliche Immanenz triumphierende transzendente Wahrheit des Subjekts, sein von der chronischen Vergänglichkeit des Daseins unberührtes zeitlos vergangenes Sein hochgehalten wurde, hat sich mit anderen Worten als selbst nur ein Schein, als die Anmaßung und Falschmünzerei eines Bewusstseins entlarvt, das in Wahrheit nicht mehr ist als ein über die eigene flüchtige Empirie vermeintlich erhobenes Transzendental, der eigenen unentrinnbaren Immanenz imaginär entronnenes Reflexiv.

So gesehen, verlieren also die imperiumsweiten Sucher nach einem Ausweg aus der Sackgasse einer ebenso sehr um ihre kultische Sanktion wie um die gnostische Illusion, ihr entfliehen zu können, gebrachten verhassten irdischen Wirklichkeit wenig oder nichts, wenn sie jene wesenskultliche Annahme einer innerweltlichen Copula zum außerweltlichen Sein, eines vom Menschen aktualisierbaren göttlichen Funkens fallen lassen und sich der jüdischen Überzeugung von der vollständigen Kreatürlichkeit des Menschen, seiner rückhaltlosen Zugehörigkeit zur Erscheinungswelt anschließen. Sie verlieren nichts und gewinnen dafür aber etwas – nämlich den Glauben an den personalen Charakter jenes zeitlos vergangenen Seins, den Glauben daran, dass jene der erscheinungsweltlichen Immanenz in ontologischer Differenz entrückte transzendente Wirklichkeit in ihrer Wahrheit substanzielles Subjekt, lebendiger Gott ist.

Weil aus wesenskultlicher Perspektive die eben deshalb als zeitlos vergangenes Sein, Wesen, gewahrte transzendente Wirklichkeit immer schon sub specie ihres eigenen, angeblich in die Immanenz verirrten und in ihr als Selbstsein ebenso abstrakt perennierenden wie konkret scheinverfallenen subjektiven Moments oder reflexiven Faktors gewahrt wird, präsentiert oder vielmehr absentiert sie, die transzendente Wirklichkeit als solche, sich dort immer schon als ein subjektlos neutraler Topos, ein in seiner Indifferenz und Negativität verschlossenes absolutes Objekt. Die jüdische Glaubensgemeinschaft hingegen will von keinem der transzendenten Wirklichkeit entsprungenen und in der erscheinungsweltlichen Immanenz perennierenden subjektiven Moment oder reflexiven Faktor wissen, weshalb denn auch für sie die transzendente Wirklichkeit, weit entfernt davon, eine von aller Subjektivität geräumte reine Substanz oder absolute Objektivität zu sein, sich vielmehr als die ihres Subjektcharakters unmittelbar inneseiende Seinsmacht, die als Substanz in sich reflektierte Sichselbstgleichheit, kurz, als der Herr seines Seins, als lebendiger Gott darstellt.

Und dass hier also jegliche wesenskultliche Konzeption von einem in die erscheinungsweltliche Immanenz verirrten und in ihr ebenso sichselbstgleich wie in scheinverfallener Entfremdung existierenden Subjekt ausgeschlossen und das allein wirkliche Subjekt und lebendige Sein das in absoluter Transzendenz zur Erscheinungswelt perennierende bleibt, bedeutet wiederum, dass dies transzendente Subjekt bei aller modallogischen Indifferenz und ontologischen Negativität, in der es gegenüber der Erscheinungswelt verharrt, doch aber der Urheber und Schöpfer von letzterer und – zumindest in diesem moralisch neutralen Sinne – für sie verantwortlich sein muss. Weil außer dem lebendigen Sein nichts und niemand ist, der das in ontologischer Differenz zu ihm daseiende erscheinungsweltliche Gebilde hervorgerufen und geschaffen haben könnte, kann Urheber oder Autor jenes kunstreichen Scheins eben nur das lebendige Sein selbst sein.

Mit dieser seiner Urheberschaft und Verantwortung aber lässt sich der lebendige Gott, wie das Buch Genesis, die Konstitutionsgeschichte des jüdischen Glaubens, beweist, durchaus konfrontieren, ihr stellt er sich in einem höchst moralischen Sinne in dem Maße, wie ihn der konversive Erkenntnisakt Adams und seiner Nachfahren auf die geschilderte paradoxe, durch Anspruchslosigkeit Ansprüche geltend machende, durch Gehorsam Verpflichtungen auferlegende Weise dazu nötigt. Dank der identifikatorischen, zwischen essenzieller Selbstaufgabe und existenzieller Selbstfindung changierenden Bemühungen der gläubigen Kreatur um ihn zeigt sich Gott, der Herr, all seiner modallogischen Indifferenz und ontologischen Negativität zum Trotz kontaktierbar, ansprechbar, interessierbar, begegnet er eben dieser gläubigen Kreatur mit einer Zuwendung und Fürsorge, in deren unanfechtbarer Gewissheit sie kein Beweis der Ablehnung und Verwerfung durch ihn zu erschüttern und vielmehr jede Erfahrung göttlicher Zurückweisung und Verfolgung immer nur hiobisch zu bestärken vermag.

Die unverbrüchliche Zuwendung und Fürsorge des Schöpfers, sein bei aller pädagogischen Aufkündbarkeit moralisch unlösbarer Bund mit der gläubigen Kreatur, der ihm als sein Knecht Israel anhängenden Glaubensgemeinschaft, macht, dass er sie in der Versprengtheit und Desolatheit ihrer halbnomadisch marginalen Existenz, der Prüfung und Strafe, die er ihr auferlegt hat, nicht verlässt und sie vor der Bosheit der sie vertreibenden und verdrängenden übermächtigen Nachbarn, seinem Prüfstein und Zuchtmittel, allemal doch bewahrt. Die Fürsorge führt dazu, dass er angesichts des der Glaubensgemeinschaft in der ägyptischen Gefangenschaft drohenden Verderbens anderen Sinnes wird und beschließt, ihr in Gestalt eines eigenen Territoriums und einer nach Völkerart etablierten Königsherrschaft eine Zuflucht und Heimstätte zu geben. Schließlich geht die Fürsorge sogar so weit, dass er, um sie aus der vorexilischen Not und Bedrängnis zu retten beziehungsweise von der nachexilischen Unterdrückung und Ausbeutung zu befreien, bereit ist, ihr einen von ihm selbst bestellten Helfer, seinen persönlichen Gesandten, den Messias, zu schicken.

Genau dieser Messias aber ist nun die eigentliche Attraktion, die den Suchern nach einem Ausweg aus dem Jammertal, in das der imperiale Konkurs die Erde verwandelt, die jüdische Glaubensgemeinschaft zu bieten hat, er ist der wahre Gewinn, den ihnen der Glaube der Juden verheißt. Auf dem Hintergrund einer Konstellation, die mit ihrer kompromisslosen Trennung zwischen göttlichem Sein und kreatürlicher Welt, ihrer ontologischen Differenz zwischen lebendigem Schöpfer und künstlicher Schöpfung der eigenen, gnostisch strikt zwischen transzendentem Sein und immanentem Schein, zwischen platonischer Realität und mäontischer Materialität scheidenden Kosmologie so sehr entgegenkommt beziehungsweise entspricht, präsentiert sich den Suchern jener Messias als vollständiger Ersatz für das verloren gegangene Verbindungsglied zwischen den beiden Sphären, das einst die wesenskultliche Überzeugung vom höheren Selbstsein, das nicht zu dieser Welt gehört, auch wenn es sich in sie verirrt hat, parat zu haben schien – oder besser gesagt, der Messias offeriert sich ihnen als allen Ersatz überflüssig machende vollkommene Alternative zu dem Verlorengegangenen.

Verloren gegangen ist ihnen jede vom Wesenskult gespeiste Hoffnung auf ein in der erscheinungsweltlichen Immanenz mobilisierbares Transportmittel, um sich in die gnostisch ersehnte und zur urbildlichen Gegenwelt, zum platonischen Ideenreich entfaltete Sphäre des Wesens zu expedieren, jeder Glaube an ein aus eigener Kraft zu stellendes Rettungsboot, um aus den Fluten des Scheins in den Hafen des Seins hinüberzugelangen. Was ihnen nun aber die jüdische Religion statt dessen zu bieten hat, ist eine aus dem platonischen Ideenreich selbst und von dessen perennierendem Subjekt, dem Herrn des Seins, lancierte Hilfs- und Salvierungsaktion, ein aus dem himmlischen Hafen ausgesandtes Bergungsschiff, das sie, die im Meer ihres illusionären Daseins Treibenden aufnehmen und in eben die Geborgenheit überführen soll, in die sie mit eigenen Mitteln schlechterdings nicht zu gelangen vermögen.

Von Haus seiner testamentarischen Konzeption aus ist freilich diese als der Messias manifeste Copula, dieses Vehikel für den Transfer aus der Bodenlosigkeit der Erscheinungswelt in den Schoß des reinen Seins, das angesichts ihrer offenbaren heillosen Ohnmacht und kreatürlichen Hilflosigkeit den Heilssuchern der in Konkurs gegangenen imperialen Welt nur allzu willkommen ist und ihnen deshalb im metaphorischen nicht weniger als im buchstäblichen Sinn vom Himmel geschickt erscheint, gar nicht als ein aus der Transzendenz kommendes, dem göttlichen Sein entstammendes und also im ontologischen Verstand gottgleiches Wesen vorgestellt. Von Haus der in ihn gesetzten prophetischen Hoffnung aus ist, wie gesehen, der Messias kein Spross des Schöpfers, kein Sohn Gottes, sondern bloß ein Geschöpf königlichen Geblüts, ein von Gott Auserwählter und Gesalbter aus dem Stamme Davids.

Dass die Heilssucher des Imperiums in dem Messias der Juden nun einen Ersatz für das ihnen abhanden gekommene wesenskultliche Heilsmittel, eine ihnen, den im Diesseits rettungslos Scheinverfallenen, aus dem Jenseits entgegenkommende und sie aus ihrer Notlage dennoch zu erretten bestimmte Seinsmacht gewahren, ist insofern ein aufs Ganze der ontologischen Differenz gehendes Missverständnis, das ihrem unbeschadet aller Ernüchterung und Klarsicht brennenden gnostischen Verlangen nach Befreiung aus dem irdischen Jammertal entspringt und das seine causa sufficiens in der wesenskultlichen Tradition der Betreffenden, ihrer überkommenen Überzeugung von einem wenn nicht aktuellen, so zumindest doch potenziellen Wesensbezug der Erscheinungen, einer als coincidentia oppositorum im Schein perennierenden Empfänglichkeit fürs Sein hat, ein Missverständnis, zu dem es allerdings wohl nicht kommen könnte, hätte nicht die jüdische Religion selbst unter dem Eindruck des augusteischen Ideologems von der Gottessohnschaft des cäsarischen Herrn der Welt und des diesem Ideologem zugrunde liegenden heidnisch-opferkultlichen Epiphanieverständnisses den Messias bereits in eine geradezu lästerliche genealogische Affinität beziehungsweise ontologische Kontinuität zum lebendigen Gott gebracht.

Und haargenau das Gleiche gilt nun auch in Ansehung der Aufgabe, mit der die Heilssucher des Imperiums den Messias betraut sehen, der Botschaft und des Auftrags, womit Gott, der Herr, den Messias zu ihnen gesandt hat. Von Haus der prophetischen Perspektive aus ist das Reich Gottes, das der Messias errichten soll, ein durchaus irdisches Unternehmen, eine kreatürliche Institution: die Erscheinungswelt, transformiert in ein Manifest des Herrn, die Schöpfung, verwandelt in ein davidisches Jerusalem, in eine einzige, große Kultstätte, die ihrem Schöpfer die Ehre gibt, die im friedlichen Wettstreit einmütigen Lobpreises seine absolute Macht und unendliche Herrlichkeit bezeugt. Die unter dem Eindruck der imperiumsweiten Gnosis innerhalb der jüdischen Glaubensgemeinschaft selbst vorgenommenen Spezifizierungen dieses durch den Messias ins Werk zu setzenden Gottesreichs, die Spiritualität und Weltenthobenheit, die ihm sektiererischer, auf die Sektion, die strikte Scheidung des Wesens von allem, was unwesentlich oder wesenswidrig ist, dringender Eifer verleiht, machen es aber auch hier den Heilssuchern des Imperiums leicht, die messianische Botschaft misszuverstehen und in dem irdischen ein vielmehr himmlisches Jerusalem zu erkennen, will heißen, den aus dem platonischen Ideenreich in die dämonische Welt des Imperiums, aus der Wesenssphäre in die Erscheinungswelt herabgesandten Sohn Gottes mit nichts weiter als mit dem Auftrag betraut zu sehen, ihnen, den in der dämonischen Welt des Imperiums gefangenen Heilssuchern, das Tor zum platonischen Ideenreich, zum als Wesenssphäre wohlverstandenen messianischen Gottesreich aufzustoßen beziehungsweise ihnen den Weg dorthin zu weisen, besser gesagt, sie dorthin zu bringen.

So leicht und mühelos den Heilssuchern des Imperiums dank der von den unzufriedenen Teilen der jüdischen Glaubensgemeinschaft geleisteten Vorarbeit die interessierte Fehlinterpretation der messianischen Sendung von der Hand geht, so schwerwiegend und folgenreich erweist sie sich! Schon das Exemplar der Heilsbringergattung, auf das ihre Wahl fällt, die messianische Gestalt, die ihnen als Hoffnungsträger einleuchtet und für die sie sich deshalb entscheiden, lässt das deutlich werden. Dass aus der zweifellos zahlreichen Schar von Anwärtern auf die Messiasrolle, von religiös inspirierten Sozialrevolutionären, die Anhänger um sich sammeln, um der Repression des kolonialen Regimes und der mit ihm kollaborierenden eigenen Führung ein Ende zu machen und das von den Propheten verheißene Reich Gottes zu errichten – dass aus dieser zahlreichen Kandidatenriege ein so unscheinbarer Mensch den Zuschlag erhält, der sich nach einer in völliger Anonymität verbrachten Kindheit und Jugend einige wenige Jahre als Wanderprediger und Sektengründer im galiläischen Hinterland Judäas herumtreibt und an dem offenbar das Bemerkenswerteste sein früher Tod ist, muss aus Sicht der mit dem Messianismus von Haus aus verfolgten und von den jüdischen oder galiläischen Anwärtern vermutlich durchweg geteilten Reichsgründungsperspektive verblüffen und völlig unverständlich bleiben.

Was aus jüdisch-prophetischer Sicht nur als disqualifizierendes Scheitern erscheinen kann, drängt sich freilich dem synkretistisch-gnostischen Blick der Heilssucher des Imperiums im Gegenteil als auszeichnende Wirksamkeit dar. Schließlich geht es ja für die letzteren nicht um Durchsetzungskraft im Diesseits, nicht um die Fähigkeit des Messias, auf Erden die Macht zu ergreifen und sich als Reichsgründer zu bewähren, sondern ihnen ist es einzig und allein um den Zugang zum Jenseits zu tun, um die Kapazität des Messias, ihnen für ihre ersehnte Expedition in die platonisch zum Himmelreich entfaltete Wesenssphäre als Pfadfinder und Wegweiser zu dienen. Was haben sie davon, wenn der zu ihrer Rettung vom Himmel gesandte Sohn Gottes sich hier und jetzt in Harnisch wirft, den Mächten dieser Welt die Zähne zeigt und Triumphe auf Erden feiert, da sie, die durch den qualvoll-chronischen Konkurs des Imperiums hoffnungslos mit der Welt Zerfallenen und nurmehr an der Flucht aus ihr Interessierten, doch nichts weiter von ihm sich erhoffen, als dass er, den irdischen Mächten und allem weltlichen Treiben die kalte Schulter zeigend, ihnen zur Flucht verhilft, sprich, ermöglicht, aus dem erscheinungsweltlichen Dasein zu scheiden und eins mit dem göttlichen Sein zu werden?

Von daher ist, dass er, kaum auf die Erde gekommen, schon wieder mit Tode abgeht, dass er, statt sich im Diesseits häuslich einzurichten beziehungsweise dort Historisches zu leisten, nur so lange bleibt, wie er braucht, um seine Botschaft zu überbringen, seine Mission zu erfüllen, und dann selber eben die weltflüchtige Konsequenz zieht, um die seine Mission ja kreist, keineswegs ein Umstand, der die Heilssucher des Imperiums an der Eignung des Kandidaten irre machen müsste, sondern steht durchaus im Einklang mit einer in ihrem Sinne wohlverstanden messianischen Disposition. Dass der Messias in aller provinziellen Unauffälligkeit und kleinbürgerlichen Bescheidenheit durchs Leben wandelt, dass er seinen als Stippvisite konzipierten Besuch auf Erden ohne kriegerische Kraftakte und politische Großtaten hinter sich bringt, dass er es also, metaphorisch gesprochen, kurz und schmerzlos macht, passt bestens zu seiner nach Überzeugung derer, die in ihm den Messias erkennen, nicht auf das diesseitige Dasein, sondern aufs jenseitige Sein, nicht auf die Heilung der heillosen irdischen Verhältnisse oder vielmehr auf das Herumdoktern an ihnen, sondern auf die Errettung aus ihnen und Überführung in den himmlischen Hafen gerichteten Zielsetzung.

Die eben wie von ungefähr gebrauchte Metapher freilich hinkt. Kurz macht es der Messias, den sich die Heilssucher des Imperiums ausgesucht haben, zwar in der Tat, von schmerzlos aber kann schwerlich die Rede sein. Im Gegenteil ist ja nach dem Zeugnis seiner in den Evangelien festgehaltenen Missionsgeschichte das Einzige, wodurch er bei aller biographischen Unauffälligkeit und historischen Unscheinbarkeit hervorsticht und einer breiteren Öffentlichkeit außerhalb seines provinziellen Ambientes bekannt wird, ein höchst schmerzliches Ereignis: sein ebenso qualvoller wie spektakulärer Tod an einer Hinrichtungsstätte vor den Mauern Jerusalems. Sub specie der Kursorik, die der Messias an den Tag legt, der Zielstrebigkeit, mit der er nur auf Erden erscheint, um möglichst rasch und quasi stante pede wieder in die Himmelssphäre zurückzukehren, aus der er herabgesandt ist, könnte dieses sein ausführliches Sterben als unnötige Komplikation, als den Fortgang bloß störender Aufenthalt erscheinen. Man könnte erwarten, dass die Heilssucher wenig mit diesem Ereignis anzufangen wüssten und eher einen Betriebsunfall als einen heilsgeschichtlich maßgebenden Vorfall darin sähen. Genau das Letztere aber ist der Fall: Der ebenso umständliche wie schreckliche Tod ihres Messias gilt ihnen als ein grundlegendes Datum und konstitutives Moment seiner Mission auf Erden und in der Tat als das entscheidende Faktum, das letztlich über den Erfolg der Mission entscheidet.

Der Grund für diese zentrale Bedeutung, die der Tod des Messias erlangt, ist nicht schwer zu erkennen: Er liegt in den Anforderungen der Mission selbst beschlossen, in den Schwierigkeiten, mit denen die Erfüllung seines Auftrages den Messias konfrontiert. Sein ihm von Gott, seinem Vater, erteilter Auftrag lautet, aus der Wesenssphäre in die Erscheinungswelt hinabzusteigen, um die dort als allen Wesensbezugs bare Golems, als scheinverfallene Geschöpfe schmachtenden Menschen aus ihrer Scheinverfallenheit zu erretten und ihnen den Weg zum Sein zu weisen, ihnen zu zeigen und vorzuführen, wie sie aus dem Kerker der Erscheinungswelt, in dem sie hoffnungslos festsitzen, dennoch in die Freiheit der platonisch entfalteten Wesenssphäre hinübergelangen, des Reiches Gottes teilhaftig werden können. Wie aber soll der Messias das anfangen? Führt er ihnen die Sache als Sohn Gottes, als selber göttliches Wesen, vor, begeht er eine klassische petitio principii: Er setzt bereits voraus, was er doch gerade beweisen will. Dass es ihm, dem göttlichen Wesen, dem seienden Subjekt, ohne weiteres gegeben ist, aus der Erscheinungswelt, in der er im göttlichen Auftrag erscheint, wieder in die Sphäre des Wesens, in das Sein, das er hat, zurückzukehren, versteht sich von selbst und ist kein Kunststück. Das Kunststück besteht vielmehr darin, den Menschen als Menschen den Weg zu weisen, ihnen vorzuführen, dass sie trotz ihrer restlosen Zugehörigkeit zur Erscheinungswelt, ihrer rückhaltlosen Scheinverfallenheit, imstande sind, des göttlichen Seins teilhaftig zu werden, aus dem Kunstwerk der Schöpfung in das Leben des Schöpfers, aus der Kreatürlichkeit des Daseins in die Wirklichkeit des Wesens hinüber zu gelangen.

Der Sohn Gottes darf deshalb nicht bloß in der Erscheinungswelt erscheinen, sich als das göttliche Sein, das er ist, in den irdischen Schein hüllen, der er nicht ist, darf nicht nur kreatürliche Gestalt annehmen, den Menschen simulieren, vielmehr muss er als Eingeborener der Erscheinungswelt ins Dasein treten, muss dem Schein verfallen, Kreatur werden, kurz, er muss als Mensch existieren. Nur wenn er nicht bloß den Menschen simuliert, sondern als Mensch existiert, kann er glaubhaft machen, dass das mit ihm den Menschen gesandte Heilsmittel wirklich für sie und nicht nur für ihn selbst Geltung und Wirksamkeit hat, dass der von ihm ihnen gewiesene Weg ins Himmelreich wahrhaftig auch ihnen und nicht nur ihm zugänglich ist und offen steht.

Welch zuverlässigeres Zeichen seiner abgründigen Kreatürlichkeit, welch glaubhafteren Beweis seines authentischen Menschseins aber könnte es geben als das, was alle Kreatur als das Nichts, aus dem sie entsteht und zu dem sie wieder vergeht, enthüllt, alle Erscheinung zu dem Schein, der sie ist, verflüchtigt, alles irdische Dasein als der Offenbarungseid seines Machwerkcharakters am Ende erwartet – den Tod? In der Tat ist der Tod, den der Messias erleidet, der einzige sichere Beleg dafür, dass er nicht bloß epiphanisch, nicht bloß in effigie einer angenommenen irdischen Gestalt zugegen, sondern dass mit ihm Gott Mensch, die Schöpfermacht als solche kreatürlich geworden ist, dass er, der ist, paradox ausgedrückt, nicht nur zum Schein, sondern wirklich erscheint und dass demnach, wenn er denn aufersteht und wieder wesentlich wird, in sein Reich zurückkehrt, es der Mensch selbst ist, der den Schein mit dem Sein vertauscht, es das Geschöpf als solches ist, das die ontologische Kluft zum Schöpfer überwindet.

Kein Wunder also, dass die Heilssucher des Imperiums den Tod ihres Messias so sehr besetzen, dass sie sein Sterben so sehr ins Zentrum ihrer auf ihn fixierten weltflüchtigen Hoffnungen rücken und in ihren Erzählungen von dem Heil, das er ihnen bringt, der Schilderung dieses Sterbens so breiten Raum geben! So gewiss der dem Messias vom lebendigen Gott, seinem Vater, erteilte Auftrag dahin geht, den Menschen aus der Scheinhaftigkeit und Künstlichkeit, zu der ihn seine Kreatürlichkeit verurteilt, zu erretten und ihn ins Sein, ins ewige Leben zu führen, und so gewiss die Vergänglichkeit das unverbrüchliche Siegel jenes über den Menschen verhängten Verdikts bildet, der Tod das unauslöschliche Mal seiner Kreatürlichkeit ist, so gewiss also der göttliche Auftrag in Kurzform ebenso wohl lautet, den Menschen vom Tode zu erretten, so gewiss muss der Messias sich selbst der Vergänglichkeit stellen, um vorzuführen, dass diese kein unüberwindliches Hindernis ist, in die Ewigkeit zu gelangen, muss er in eigener Person den Tod erleiden, um zu zeigen, dass der Tod sogar für den ihm Verfallenen, den kreatürlichen Menschen, überlebbar ist.

Bleibt allerdings noch zu klären, warum der Tod, den der Messias erleidet, eine so krasse Form annehmen, warum sich sein Exitus in dieser ihn diskriminierenden und in der Tat kriminalisierenden Art und Weise vollziehen muss, warum der Messias mit anderen Worten nicht still und friedlich zugrunde gehen und aus dem Leben scheiden darf, sondern als Sünder hochnotpeinlich mit dem Tode bestraft, als Verbrecher spektakulär hingerichtet werden muss. Besser gesagt, es bleibt zu klären, warum die Heilssucher des Imperiums, statt an diesem biographischen Detail des von ihnen ausgewählten messianischen Exemplars, an diesem unrühmlichen Ende des von der römischen Besatzungsmacht exekutierten kleinen galiläischen Sozialrevolutionärs Anstoß zu nehmen und es als mit der himmlischen Sendung ihres Heilsbringers unvereinbaren Makel zu empfinden, es vielmehr als integrierenden Bestandteil der messianischen Konstitution, als für die Erfüllung des messianischen Auftrags wesentliche Bedingung begreifen.

Indes, der Verweis auf die eigentlichen Adressaten der messianischen Sendung, der Hinweis darauf, dass es ja nicht die ihrer Glaubenstradition verhafteten Juden selbst, sondern die Heilssucher des Imperiums sind, die dem von den Römern ans Kreuz gehefteten galiläischen Unruhestifter die Avancen seiner Umdeutung in einen den Menschen das gnostische Himmelreich aufschließenden Gottessohn machen – er löst, recht verstanden, bereits das Rätsel. Anders als die Juden mit ihrem Bekenntnis zur reinen Kreatürlichkeit oder irdenen Figürlichkeit des Menschen sind sie, die der heidnischen Völkerschar entstammenden Heilssucher des Imperiums, ja geprägt von der wesenskultlichen Tradition, das heißt, durchdrungen von dem aristokratischen Anspruch, dass der Mensch ein Moment des Wesens, einen göttlichen Funken in sich birgt, dass er, wie sehr auch scheinverfallen, in die Erscheinungswelt verirrt, doch aber ex negativo seiner Verfallenheit an den Schein dem Sein, das er gewesen, verhaftet, modo obliquo seiner Verirrung in die Erscheinungswelt ein von der Wahrheit und Wirklichkeit, die er preisgegeben hat, sichselbstgleich Zeugender bleibt.

Der als das Selbstsein des Menschen perennierende und durch keine erscheinungsweltliche Immanenz zu verwirkende transzendente Wesensbezug, durch keine aposteriorische Scheinverfallenheit zu verlierende apriorische Seinsbestand, den der Wesenskult postuliert, hat sich zwar als gänzlich untauglich entpuppt, dem Menschen den Weg heraus aus dem mäontischen Schein und zurück ins platonische Sein zu weisen, und treibt eben deshalb die heidnischen Heilssucher dem Messianismus als der Verheißung einer nicht mittels immanenter Resolution, sondern nur dank transzendenter Absolution, nicht aus eigener, subjektiver Kraft, sondern nur von Gnaden der objektiven Macht des Seins selbst zu leistenden Bergung und Errettung in die Arme. Im Blick auf die Wirksamkeit und erfüllende Präsenz der im Messias Mensch gewordenen göttlichen Seinsmacht aber stellt nun dieser vom Wesenskult dem Menschen vindizierte eigene Wesensbezug und als originär supponierte göttliche Funke eine gravierende, um nicht zu sagen, erdrückende Hypothek dar. Er ist die menschliche Prätention, die der göttlichen Intervention den Weg verbaut, ist die Anmaßung, die der Zumessung des messianischen Heils in die Quere kommt, ist die persönliche Sünde wider eben den versöhnlichen Geist Gottes, der Einzug halten will.

Damit der Mensch des göttlichen Heils teilhaftig, der Scheinhaftigkeit entrückt und der Wesentlichkeit überführt werden kann, muss das Pseudowesen, das er als seinen in aller Erscheinung perennierenden unverlierbaren Kern behauptet, zugrunde gehen, muss die Sichselbstgleichheit, die er als das ursprüngliche Erbe, quasi den unveräußerlichen Blutsadel seines Subjektseins in Anspruch nimmt, zuschanden werden, muss das darin bestehende Aufbegehren der sich als scheinbar lebendig aufspreizenden menschlichen Kunstfigur wider den in Wahrheit lebendigen Gott gesühnt werden, sprich, als das Vergehen, das es ist, vergehen.

Wie aber ließe sich diese Sühne im Falle des Mensch gewordenen Gottessohnes wohl besser ins Werk setzen und exekutieren beziehungsweise – da es sich ja nur erst um den Nachweis der Machbarkeit eines noch zu Vollbringenden handelt! – besser in Szene setzen und demonstrieren als durch die Verhöhnung und Schändung dessen, was beim Mensch gewordenen Messias, bei ihm als der jüdischen Tradition gemäß reinem Menschensohn dies Selbstsein vertritt, dies Wesensmoment repräsentiert – durch die Verwerfung mit anderen Worten seiner davidischen Abstammung, die Bestreitung seiner behaupteten Souveränität, die Verhöhnung seines anmaßlichen Königtums? Wie ließe sich die Notwendigkeit, dem Menschen zu seinem Heil jede dem Geiste Gottes, der lebendig macht, widerstreitende vermeintliche Selbstmächtigkeit auszutreiben, beim Messias besser veranschaulichen als durch das Ecce Homo, das die persona integra als versehrten Leib enthüllt, die Königswürde auf die Dornenkrone reduziert, dadurch also, dass dem Mensch gewordenen Gottessohn aus der Selbstherrlichkeit, die das als Sünde wider den Geist der Allmacht Gottes offenbare Erbe des Menschensohns ist, der Strick gedreht oder besser gesagt das Kreuz gezimmert, dass er, seiner vermeintlichen Unantastbarkeit zum Spott, gegeißelt und gequält, seiner hohen Würde und seinem Anspruch auf bleibenden Wert zum Tort, in all seiner Hinfälligkeit und Erbärmlichkeit bloßgestellt wird.

Diese als Bestrafung eines Verbrechens, des Verbrechens menschlicher Anmaßung, menschlichen Anspruchs auf selbstmächtige Wesentlichkeit, wohlverstandene Schändung und Kreuzigung ist also unter Bedingungen der vom Wesenskult dem Menschen vindizierten falschen Souveränität, sub conditione mit anderen Worten der Erbsünde, die Voraussetzung dafür, dass das von Gott dem Menschen durch den Messias gesandte Heilsmittel Raum greifen, dass die göttliche Intervention, die den Menschen aus der irdischen Erscheinungswelt in die himmlische Wesenssphäre zu übersetzen dient, wirksam, die Verlebendigung der menschlichen Kunstfigur, ihre Transfiguration, Ereignis, die Überwindung der ontologischen Kluft zwischen Kreatur und Schöpfer Wirklichkeit werden kann. Indem der Messias sich durch seinen Tod als Mensch und durch die Art und Weise seines Todes als ein um alle anmaßliche Selbstbehauptung gebrachter, aller falschen Würde entkleideter, alles Pseudowesens beraubter Mensch beweist, wird er als die leidende Kreatur, die erbärmliche Leiblichkeit, die er nurmehr ist, bereit für die Aufnahme eben des Heilsmittels, das er bringt, eben des lebendig machenden göttlichen Geistes, den er verkörpert, wird er, kurz, bereit für seine als gnostische Verwandlung von materiellem Schein in spirituelles Sein, von täuschender Realität in bleibende Idealität begriffene Verklärung.


Weil der Heilsbringer in der Konsequenz seines qua Auferstehung erfolgreichen Erdenwandels das Heilsmittel wieder mitnimmt und entrückt, begreifen die düpierten Heilssucher seinen Erdenwandel als Probelauf oder Demonstration und erwarten seine Rückkehr zwecks Realisierung des Demonstrierten. Die emotional durch freudige Erwartung überbrückte und funktional durch missionarisches Wirken ausgefüllte Wartezeit bringen sie real in Form der Nachfolge zu. Da dank der Hilfestellung des Imperiums die Nachfolge auch das Martyrium einschließt, bleibt nichts mehr als die Überwindung der abstrakten ontologischen Kluft übrig und bedarf es nur noch des Heilsmittels, um die Heilssucher ihren himmlischen Lohn finden zu lassen. Ihr inbrünstiges Verlangen, das Martyrium hier und jetzt belohnt zu wissen, gibt den Heilssuchern den Gedanken ein, dass sie vielleicht schon, ohne es zu wissen, im Besitz des Heilsmittels sind.

So also führt der Messias durch sein menschliches Leben oder vielmehr durch sein unmenschliches Sterben den Menschen erfolgreich vor, wie sie als vergängliche Kreaturen, als in all ihrer Erbärmlichkeit bloßgestellte heillose Geschöpfe dennoch das mit ihm als dem Sohn Gottes gesandte Heil erlangen und der Verklärung zum ewigen Sein teilhaftig werden können. Freilich fällt, wenn man so will, die Vorführung ein bisschen allzu erfolgreich aus. Indem der Messias sich durch sein Sterben als menschliche Kreatur ausweist und durch die Art und Weise seines Todes mehr noch als ein Geschöpf darbietet, das seine anmaßliche Selbstbehauptung gebüßt hat und sich in buchstäblichem Kadavergehorsam für den göttlichen Eingriff, die lebendig machende Operation bereit zeigt, geschieht, was geschehen soll: das mitgebrachte Heil tut seine Wirkung, der göttliche Funke, der Geist Gottes, der Ruach, das Pneuma fährt in den messianischen Leichnam und erweckt ihn zum ewigen Leben, verklärt ihn, entrückt ihn, versetzt ihn aus der materiellen Erscheinungswelt in die spirituelle Wesenssphäre, entzieht ihn seiner kunstfigürlichen Scheinhaftigkeit und überführt ihn der lebendigen Wirklichkeit des Schöpfers.

Die Operation ist gelungen und der Patient geheilt, sprich, aus der Welt des irdischen Scheins in das Reich des himmlischen Seins verschwunden. Aber verschwunden ist damit ja auch und zugleich das Heilsmittel, das der Messias den Menschen doch bringen wollte und das er in der unabsichtlichen Konsequenz seiner Vorführung, seines Bemühens, sie von ihrer Heilbarkeit zu überzeugen, wieder mitgenommen und ihnen, noch ehe sie es haben nutzen können, entzogen hat. In der Tat ein zweischneidiger Erfolg, der die Heilssucher düpiert und ratlos zurücklässt: Im Überschwang seiner Demonstration hat der Messias das, was er den Menschen als auch ihnen zugänglich vorführen wollte, den Weg zum Heil, vollständig durchlaufen und damit freilich die vorherige ontologische Kluft zwischen ihnen und ihm wieder aufgerissen. Im Eifer seiner Legitimationsbemühung hat er eben die Aktion, für die er sich legitimieren wollte, die Errettung der Menschen vom Tode, in eigener Sache, für die eigene Person vollzogen und damit aber als an ihnen zu vollbringende Tat vereitelt.

Über dem Geschäft, ihnen sein Heilsmittel zu verkaufen und sie durch Selbstanwendung, durch eine am eigenen Leib vorgenommene Probe von seiner Wirksamkeit zu überzeugen, hat er es vielmehr aufgebraucht und lässt seine Kunden mit nicht weniger leeren als kaufbereiten Händen zurück. Er, der Arzt, der so begierig war, die Menschen von ihrer Krankheit zum Tode zu heilen, dass er sich selber die Krankheit zuzog, um ihnen die Kraft seines Wundermittels vorzuführen und sie zu dessen Einnahme zu bewegen, stellt sich am Ende als der alleinige Nutznießer seiner ärztlichen Bemühungen, als der einzige sanierte Mensch heraus.

So sehr sich indes im ersten Augenblick den am leeren Grab zurückgelassenen Heilssuchern der Eindruck eines von ihrem Heilsbringer errungenen perfekten Pyrrhussieges aufdrängen mag, dies als das Ergebnis der messianischen Sendung gelten zu lassen, ist ihnen schlechterdings nicht möglich: Die Ironie der Geschichte wäre zu groß und das Amalgam aus Erfolg und Frustration zu unverdaulich. Und tatsächlich brauchen sie, dass dies das Ergebnis sein könnte, auch gar nicht ernsthaft in Betracht zu ziehen: Um sich des schrecklichen Gedankens eines im Triumph des Einen besiegelten Scheiterns aller zu erwehren, brauchen sie nichts weiter, als konsequent und ohne Panik an der Vorstellung von einer Demonstration, die der Messias gegeben hat, einem von ihm, dem Mensch gewordenen Gottessohn, mittels Leben, Tod und Auferstehung absolvierten Probelauf festzuhalten. Wenn der Messias der menschlichen Kreatur erst einmal bloß hat vorführen wollen, dass, allen in ihrer kreatürlichen Konstitution gelegenen, scheinbar unüberwindlichen Hindernissen zum Trotz, auch ihr der Weg zum Sein offen steht, so ist es nur folgerichtig, dass er diesen Weg demonstrativ bis ans Ende, bis an den Punkt seines transfigurativen Verschwindens, geht: Wie sonst soll er die in Kenntnis ihrer Konstitution Ungläubigen von der durch ihn, durch seine Heilskraft gewährleisteten Gangbarkeit des Weges zum Sein überzeugen?

Und ebenso folgerichtig scheint dann aber auch, dass er aus dem himmlischen Sein, in das er sich im Effekt seiner Demonstration expediert hat, zurückkehrt, um die Aktion selbst, die er ja nur erst als möglich vorgeführt hat und die sein Auftrag ist, die Errettung nämlich aller menschlichen Kreatur vom irdischen Schein, wirklich durchzuführen, dass er also, bildlich und im Einklang mit der Dramatik der Situation gesprochen, der Generalprobe die als Finale wohlverstandene Premiere folgen lässt.

Die im ersten Augenblick wie vor den Kopf geschlagenen Heilssucher fassen also wieder Mut und warten auf die Rückkehr des Messias, mit der in der logischen Konsequenz seines als Eignungstest oder Qualifikationsnachweis begreiflichen Lebens, Sterbens und Wiederauferstehens jederzeit und jedenfalls in Kürze zu rechnen ist. Und sie warten nicht einfach, harren nicht dumm und stumm des Kommenden, sondern blicken ihm hoffnungsfroh und voll Zuversicht entgegen: Wenn er sich absentiert und sie zurückgelassen hat, dann ja nicht ohne ein Präsent, ohne etwas zu hinterlassen – die frohe Botschaft nämlich, dass die menschliche Kreatur im Prinzip vom Tode errettet ist, dass im Paradigma des als Mensch auf die Erde gekommenen und zum Himmel aufgestiegenen Gottessohns die Transfiguration des Menschen, seine Überführung aus dem materiellen Schein ins spirituelle Sein beschlossene Sache, um nicht zu sagen, fait accompli ist.

Hat schon der Mensch gewordene Gottessohn ihnen, den Heilssuchern, das Heilsmittel, das er mitgebracht hat, durch seine eigene demonstrative Errettung erst einmal wieder entzogen, so lässt er sie doch nicht mit leeren Händen zurück, sondern gibt ihnen statt dessen die in seiner demonstrativen Errettung Ereignis gewordene Gewissheit des Heils, die Vorfreude auf es, bekanntermaßen die schönste aller Freuden. Den Ruach in erlösender, verklärender Funktion, das Pneuma als das durch seine Gestalt und Person, durch seine Existenz, wirksam werdende spirituelle Heil, hat der Messias zwar erst einmal wieder mitgenommen, aber den Ruach in erhebender, pfingstlich begeisternder Form, das Pneuma als den durch seine Erscheinung und Aktion, durch seine Geschichte, wirklich gewordenen heiligen Geist, hat er ihnen dagelassen. Dieser heilige Geist, diese durch das Ereignis seines Menschseins, durch die Geschichte seines Lebens, Sterbens und Auferstehens gleichermaßen geweckte und genährte frohe Erwartung des gewisslich kommenden Heils, hilft ihnen, die Wartezeit emotional zu überbrücken.

Und auch, dass er sie nun warten lässt, länger warten lässt als gedacht, braucht sie nicht zu bekümmern, weil sie ja, während sie warten, genug zu tun, weil sie kein Problem damit haben, die Wartezeit funktional auszufüllen. Schließlich ist wegen der geographischen und demographischen Beschränktheit seines Erscheinens und Wirkens die Zahl derer, denen er die frohe Botschaft gebracht und die er in den Wartestand versetzt hat, begrenzt und steht diese Begrenztheit seiner Wirksamkeit zugleich im eklatanten Widerspruch zu der Tatsache, dass seine Mission der menschlichen Kreatur als solcher gilt, dass der Messias gesandt ist, jeden Menschen, der aus dem Meer des Scheins dem Hafen des Seins zustrebt, zu bergen, jedem, der das Heil sucht, das Heil zu bringen. Solch eklatante Diskrepanz auszugleichen und auch die vielen Verlorenen und Ratlosen, Ängstlichen und Verzagten, die von der Ankunft des Messias und dem, was er vollbracht hat, noch nichts wissen, in frohe Erwartung zu versetzen, ist die apostolische Aufgabe der bereits der Wiederkunft des Messias Harrenden. Welch besseren Grund dafür, dass sie ihr Heiland warten lässt, als diesen Verkündigungsauftrag könnte es geben, was könnte geeigneter sein, sie mit dem Wartestand, in dem er sie verhält, auszusöhnen?

Bleibt die Frage, wie sie die Wartezeit, die emotional zu überbrücken und funktional auszufüllen, ihnen demnach keine Mühe bereitet, real zubringen sollen. Wie sollen sie, während sie in froher Erwartung apostolisch wirken, ihr praktisches Leben gestalten? Indes, auch diese Frage beantwortet sich quasi von selbst. Indem der Sohn Gottes Mensch geworden ist, um sich als solcher des himmlischen Heiles mächtig zu zeigen, hat er ja nicht einfach nur so dahingelebt, seine Zeit auf Erden irgendwie verbracht, sondern er hat ein vom Zweck seines Daseins auf Erden bestimmtes Leben geführt, hat in seiner Biographie eine aufs Heil gerichtete Zielstrebigkeit an den Tag gelegt. Er hat mit anderen Worten nicht nur abstrakt vorgeführt, dass es geht, sondern hat konkret vorgemacht, wie es geht. Was liegt da für den, der sein Leben im Warten aufs Heil verbringt, näher, als sich dieses dem Heil geweihte Leben zum Vorbild zu nehmen, sich in allen praktischen Fragen an ihm zu orientieren, ihn biographisch zu imitieren? Was liegt näher, als in Wort und Tat den Menschensohn gewordenen Sohn Gottes nachzuahmen und ebenso wie er die Abwendung von der Welt und die Umkehr, die Hinwendung zum Himmelreich, zu predigen, in Armut zu leben, Keuschheit zu üben, der Gewalt zu entsagen, die Menschen zu lieben, den Kranken und Siechen wohl zu tun?

Wenn es dieses praktische Verhalten, diese Lebensweise ist, was beim Messias am Ende in der Überwindung des Todes und der Verklärung, dem Erlangen des ewigen Heils, kulminiert hat, kann dann derjenige, der auf das gleiche Ende aus ist, etwas falsch machen, wenn er, solange er des Endes harrt, sich nach Kräften genauso verhält, ein möglichst ähnliches Leben führt?

Aber was heißt hier "etwas falsch machen"? Geht es wirklich nur darum, nichts falsch zu machen, zu vermeiden, was dem Endzweck entgegen sein, was das Erreichen des Ziels erschweren oder verhindern könnte, Fehler zu vermeiden, eine passive Bedingung der Möglichkeit für das Eintreten des Heils zu erfüllen? Geht es nicht auch und vielmehr um das Tun des Richtigen, das Zurücklegen eines zum Ziel führenden Weges, um ein Leben, mit dem ein Endzweck erreicht werden soll, kurz, darum, eine aktive Bedingung der Wirklichkeit für den Eintritt des Heils zu erfüllen? Schließlich ist ja, was sich die Heilssucher des Imperiums nachzuahmen bemühen, ein Leben, das im Original die Bedeutung eines regulären Heilsweges behauptet, einer via regia des als ontologischer Wechsel wohlverstandenen Fortgangs vom materiellen Schein zum spirituellen Sein, eines durch strikte Zielstrebigkeit ausgezeichneten, weil, wie im Rückblick klar erkennbar, in allen seinen Momenten auf den Kreuzestod und die Auferstehung gerichteten biographischen Prozesses.

Warum sollte dies paradigmatische Dasein, wenn es nachgeahmt wird, die ihm im Original eigentümliche Prozessualität und Zielbestimmtheit so völlig einbüßen und sich auf einen simplen Wartestand, ein bloßes statisches Platzhalter- oder konditionelles Lückenbüßertum reduzieren? Muss nicht auch für sie, die Heilssucher, der Erdenwandel ihres messianischen Herrn, dem sie nachzueifern, den sie quasi nachzuerleben bestrebt sind, die Bedeutung einer aktiven Vorbereitung auf das erwünschte Ende, einer progressiven Annäherung an den Punkt, an dem er die Erde verließ und ins Himmelreich heimkehrte, annehmen? Unmöglich lässt sich ein Leben, das in solch biographischer Affinität zu dem des Heilsbringers verläuft, als ein bloßes Herumstehen und Zeitverbringen begreifen; zwangsläufig müssen die mit so viel Bereitschaft zur Nachfolge, so viel imitativem Tatendrang Wartenden den Eindruck gewinnen, dass sie, während sie warten, dem, auf den sie warten, schon ein bisschen zumindest entgegengehen, sich wenigstens ein Stück weit auf den ominösen Flucht- und Wendepunkt zubewegen, an dem er sie verließ, als er gen Himmel fuhr, und an den er zurückkehren wird, um auch sie heimzuholen. Und am Ende nicht einmal nur ein Stück weit – denn so gewiss für die Heilssucher ihre imitatio dei den Sinn eines aktiven Nachvollzuges des vom Herrn zurückgelegten biographischen Weges zum Heil annimmt, so gewiss steht es in ihrer Hand, durch eine immer detailliertere Emulation ihres Paradigmas, eine immer genauere Befolgung der von ihm vorgegebenen Lehren und Verhaltensweisen den Heilsweg immer vollständiger zu bewältigen.

Je länger der Messias diejenigen, die seiner Wiederkehr harren, warten lässt, um so wichtiger wird für sie diese in der biographischen Imitation des Herrn, der Nachahmung seines Erdenwandels, implizierte Möglichkeit, dem Erwarteten entgegenzugehen und damit den Weg zum Heil, das er bringt, zu verkürzen. Zwar erkenntnistheoretisch-systematisch bleibt natürlich die unendliche, weil ontologisch begründete Kluft zwischen dem eigenen irdischen Dasein und seinem himmlischen Sein, die sich allein durch das verklärende Pneuma, das Heilsmittel, das mit ihm entrückt ward und das er wiederbringen wird, überbrücken und durch keine noch so getreuliche Nachahmung seines zum Heil führenden Erdenwandels überspringen lässt. Lebenspraktisch-empirisch allerdings findet diese die Heilssuchenden von ihrem Heilsbringer trennende Kluft ihre topische Darstellung und ihren chronischen Ausdruck in dem Abstand, der zwischen ihrem in weltliche Geschäfte verlorenen Dasein und seiner aufs Heil gerichteten Existenz liegt, dem Unterschied, der zwischen ihrer, vom Prospekt der irdischen Erscheinungen okkupierten Dissolution und seiner auf die Perspektive des himmlischen Wesens konzentrierten Resolution besteht. Und dieser topische Abstand lässt sich durchaus verringern, dieser chronische Unterschied lässt sich definitiv tilgen, sofern es den Heilssuchern gelingt, durch eine genaue Befolgung der Lehren ihres Heilsbringers und eine getreue Nachahmung seines Erdenwandels, sprich dadurch, dass sie wie er ihr Leben in Armut, Ehelosigkeit und asketischer Entsagung zubringen, wie er eine sie vor persönlichen Bindungen bewahrende universale Nächstenliebe üben und wie er in Krankheit und Leid die wahre, als Befreiung wohlverstandene Bestimmung des irdischen Lebens erkennen, seine Richtung aufs Heil einzuschlagen und seine dem Himmelreich geltende Resolution zu erlangen.

Je exakter es ihnen glückt, das in ihnen verkörperte biographische Exemplar auf das in ihm Gestalt gewordene messianische Paradigma abzubilden, ihr persönliches Dasein aufs Schema seiner Existenz zu reduzieren, um so mehr nähern sie sich dem Punkt, an dem der topische Abstand verschwindet und sich zu einem empirisch gar nicht mehr wahrnehmbaren systematischen Hiatus verflüchtigt und an dem der chronische Unterschied sich verliert und zu einer historisch überhaupt nicht mehr nachweisbaren ontologischen Differenz aufhebt. Nicht dass die Differenz damit beseitigt, die Identität erzielt wäre; es bleibt der Unterschied ums Ganze, eben die ontologische Kluft als solche, die nur das Heilsmittel, das Pneuma, zu überwinden vermag. Aber so sehr objektiv-systematisch die entscheidende Kluft bleiben mag, subjektiv-empirisch hat die zur völligen topischen Übereinstimmung und biographischen Synchronie tendierende Annäherung durchaus Realität und erfüllt die Betroffenen mit dem Bewusstsein, sich nach Kräften auf das Kommende vorbereitet, das Ihre zur Erlangung des Heils getan zu haben.

Vom Punkte einer perfekten Simulation und völligen Koinzidenz trennt die ihrem Messias Nachfolgenden, wenn sie die Nachfolge recht betreiben, ihr Leben wahrhaft paradigmatisch führen, am Ende höchstens noch das Ende selbst, jener die Resolution vollendende leidvolle Beschluss des Lebens, durch den die Erbsünde, die kreatürliche Anmaßung schöpferischer Kraft, der menschliche Anspruch auf originäre Wesentlichkeit bestraft und gesühnt und Raum für das Wirken und Walten des Heilsmittels, des Pneuma, geschaffen wird. Selbst für die Beseitigung dieses letzten, differenziellen Moments ist indes, wie sich zeigt, gesorgt – und zwar im Einklang mit der allgemeinen Paradoxie des Vorganges quasi von Staats wegen, ausgerechnet von Seiten des den Heilssuchern im Wege stehenden Imperiums selbst. Die imperiale Staatsmacht nämlich nimmt Anstoß an der mangelhaften staatsbürgerlichen Gesinnung, der zweifelhaften Untertänigkeit, die sich, wie schon in der jüdischen Anhänglichkeit an den einen, keine anderen Götter oder vergöttlichten Cäsaren neben sich duldenden lebendigen Gott, so vollends in der gnostisch-messianischen Wendung bekundet, die diesen lebendigen Gott und sein Sein zum alleinigen Inhalt und Ziel eines Erdenlebens erklärt, dessen eigene Bewandtnisse und irdischen Rücksichten daneben verblassen und sich zur schieren Eitelkeit, zum wesenlosen Tand verflüchtigen.

Sooft die imperiale Herrschaft das Bedürfnis anwandelt, ihre wankende Autorität, ihre bedrohte Verfügungsmacht über das Dasein und das Bewusstsein ihrer Untertanen zu reaffirmieren, macht sie es sich deshalb zur Gewohnheit, die Juden in genere und die Heilssucher, die in jenem jüdischen Messias von der traurigen Gestalt ihr Heil gefunden haben, in specie zu verfolgen und abzustrafen. Sie sucht die Betreffenden mit den für Verbrechen gegen den Staat, für die Beleidigung der imperialen Majestät vorgesehenen drakonischen Strafen heim, gibt ihnen einen ebenso schimpflichen wie qualvollen Tod. Damit aber bereitet sie ihnen das gleiche Ende, unterwirft sie der gleichen Tortur wie den wegen seiner staatsfeindlichen Umtriebe ans Kreuz gehefteten Messias selbst. Die Staatsmacht macht die Verfolgten zu Märtyrern, zu Blutzeugen, die durch ihr vergossenes Blut den Kreuzestod ihres Messias als paradigmatisch, als verbindliches Muster für ein dem Heil geweihtes Leben, unter Beweis stellen, und sorgt so quasi mit eigener Hand dafür, dass sie nach einem beispielhaft verbrachten Leben auch den letzten Akt im Geiste ihres Vorbilds vollziehen.

Die Staatsmacht sorgt mit anderen Worten dafür, dass die Heilssuchenden biographisch exakt an der Stelle und in genau der Weise enden, an der und in der auch ihr Heilsbringer sein Ende gefunden hat, und dass es ihnen also in der Tat gelingt, den innerweltlich topischen Abstand von ihm letztendlich auf Null zu reduzieren, die lebenspraktisch chronische Differenz zu ihm im Augenblick ihres Todes in eine perfekte Koinzidenz zu überführen. Wie ihr Messias stehen sie nach einem im Streben nach dem Heil, in Heiligkeit, verbrachten Leben und einer kraft passionierten Todes, kraft Martyrium, erreichten Befreiung von der Selbstherrlichkeit, der Sünde wider den Geist, auf dem Sprung ins himmlische Sein, und was sie von ihm trennt, ist allein noch die systematische Differenz, die ontologische Kluft, die das Mittel der Verklärung, das Pneuma, überwindet, das er, der Gottessohn, im Unterschied zu ihnen, den Menschenkindern, von Haus aus besitzt.

Die in der Nachfolge des Messias zu Heiligen und Märtyrern gewandelten Heilssuchenden sind in jedem irdischen Betracht, aus jeder
menschlichen Sicht geworden wie er, sind seines Schlages, seine Brüder und Schwestern: Kann er, der doch gekommen ist, sie zu sich zu holen, sie der Gemeinschaft mit ihm teilhaftig zu machen, sie seines himmlischen Seins zu überführen – kann er sie da wirklich noch länger warten lassen, sie bis zu dem nachgerade unabsehbaren Tag seiner Wiederkehr in dem Sprung, auf dem sie stehen, festhalten und von dem Heil, das sie in gänzlich anderem Sinne als dem einer bloß platonisch distanten Schau, im Sinne nämlich einer durch ihre hagiographische Annäherung quasi greifbar gewordenen Präsenz, vor Augen haben, fernhalten? Ist so viel Hinhaltetaktik überhaupt vereinbar mit dem guten Willen und hingebungsvollen Eifer des Heilsbringers? Kann er, der die Güte in Person, die verkörperte Nächstenliebe ist, die ihm nachstrebenden Menschen tatsächlich so sehr auf die Folter spannen, so sehr auf Distanz halten?

Ist aber eigentlich ausgemacht, dass er das tut? Ist überhaupt sicher, dass die ihm so getreulich Nachfolgenden im Augenblick des Märtyrertodes, den sie erleiden und der jede empirisch-biographische Distanz zu ihm tilgt, dennoch bis zur Stunde seiner Wiederkehr in systematisch-ontologischer Differenz zu ihm ausharren müssen und nicht vielmehr, des Heilsmittels teilhaftig, die Kluft zu ihm zu überbrücken und sich ihm beizugesellen vermögen? Wie, wenn die Heilssucher, die doch so fest auf ihren Messias bauen, so unbrünstig an ihn glauben, statt sich von Zweifeln an seinem guten Willen und seiner rückhaltlosen Liebe beschleichen zu lassen, vielmehr ihre eigene Urteilskraft, ihre Vorstellung vom Heilsprozess und dessen Verlauf in Frage stellen und sich zu einer mit ihren Hoffnungen, ihrem Glauben besser vereinbaren Sichtweise, einer Revision und Korrektur ihrer bisherigen Interpretation des messianischen Tuns und Lassens entschließen? Wie, wenn sie, statt die Tatsache, dass der Messias seine opferfreudigen Anhänger auf sich warten, wo nicht gar im Stich lässt, einen Schatten auf seine Motivation oder Resolution werfen zu lassen, diese Tatsache vielmehr als Beweis für ihre falsche Einschätzung dessen, was er auf Erden getan und geleistet hat, will heißen, als Indiz dafür nehmen, dass er es mit seiner Wiederkehr in Wahrheit auch gar nicht so eilig haben muss, weil er sie nicht nur in Ansehung der frohen Erwartung, mit der sie erfüllt, und des apostolischen Auftrags, mit dem sie beschäftigt sind, wohlgerüstet zurückgelassen, sondern sie auch hinsichtlich ihres praktischen Vermögens, ihm in die Ewigkeit nachzufolgen, sprich, hinsichtlich ihrer persönlichen Verfügung über das Heilsmittel, unendlich besser bedacht hat, als ihnen selber klar ist.

Beseelt vom inbrünstigen Verlangen, das die imitatio dei krönende Martyrium folgerichtig seinen himmlischen Lohn finden zu lassen, beginnen sie, an ihrer im Augenblick der ersten Verzweiflung über das Verschwinden des Messias konzipierten Lesart von seinem Erdenwandel als einem Probelauf, einem rein demonstrativen Vorauskommando, zu zweifeln und sich zu fragen, ob er nicht doch mehr vollbracht hat, als bloß in eigener, Mensch gewordener Person die Wirksamkeit des Heilsmittels vorzuführen und in der Konsequenz der erfolgreichen Vorführung, in der Konsequenz also der die eigene menschliche Person von der Erde in den Himmel entrückenden göttlichen Verklärung, das die letztere wirkende Heilsmittel wieder mitzunehmen und von der Erde verschwinden zu lassen. Schließlich kommt der Messias ja als der Mittler, als derjenige, der den Menschen das Heilsmittel bringt, um sie durch es die ontologische Kluft, die sie vom lebendigen Gott trennt, überwinden und des göttlichen Seins teilhaftig werden zu lassen! Sollte sich da sein Mittlertum im ersten Anlauf oder vielmehr Durchgang ernstlich auf das zirkelförmige, um nicht zu sagen tautologische Geschäft beschränkt haben, durch das mitgebrachte Heilsmittel nichts weiter als eben den Menschen zu vergöttlichen, in dem er, der Gott, sich zuvor vermenschlichte? Sollte er all den anderen Menschen, denen er sich doch beigesellt hat, wirklich nichts von seinem Heilsmittel mitgeteilt, sollte er seinen zwar kurzen, aber doch begegnungsreichen Aufenthalt auf Erden tatsächlich nicht zu dem Versuch genutzt haben, seinem Mittlerauftrag effektiv und nicht bloß demonstrativ, sinngemäß kommunikationslogisch und nicht bloß buchstäblich tautologisch gerecht zu werden?


Die von den Heilssuchern inbrünstig ersehnte und schließlich auch ausfindig gemachte Übertragung des Heilsmittels geschieht im Passahmahl, das in der jüdischen Tradition die Erinnerung an die Verschonung von der zehnten Plage und den Auszug aus der ägyptischen Knechtschaft wach hält. Übertragen wird das Heilsmittel aber nicht bei der Mahlzeit, die der Messias zu Lebzeiten mit seinen Jüngern teilt, sondern bei der Kommunion, der Wiederholung des Mahls nach dem Kreuzestod des Messias. Die nähere Betrachtung der Vorstellungen, die die Gläubigen mit dem Vorgang verbinden, scheint diese zwar vom Verdacht eines primitiven Beschwörungsversuchs freizusprechen, sie dafür aber dem Vorwurf traumtänzerischer Naivität oder gar schierer Verrücktheit auszusetzen.

Und da nun die Heilssucher im brennenden Interesse, das in der Nachfolge des Messias erlittene aktuelle Martyrium ihrer Glaubensgenossen beziehungsweise ihr potenziell eigenes seinen wenn nicht verdienten, so jedenfalls doch ersehnten Lohn finden zu lassen, die Biographie ihres Herrn, die Geschichte seines Erdenwandels, nach Hinweisen auf eine nicht nur erst demonstrativ die eigene Person, sondern bereits effektiv die Mitmenschen betreffende Mittlertätigkeit, kurz, auf eine schon zu seinen Lebzeiten vollbrachte Kommunikation des Heilsmittels durchforsten, dauert es nicht lange, und sie werden fündig. Ihr Fund besteht in einer Episode, die sich kurz vor seinem Kreuzestod ereignet und die in dem gegebenen Kontext so normal, so quasi alltäglich erscheint, dass sie genauso gut frei erfunden, in Kenntnis der Umstände konjekturiert, aus den historischen Verhältnissen extrapoliert sein könnte.

Was ist in der gegebenen Situation naheliegender, als dass der religiöse Aufrührer aus dem galiläischen Hinterland, der Messias von der traurigen Gestalt, beschließt, seine Mission im Zentrum des Landes, in Jerusalem – für ihn das Zentrum der Welt! –, publik zu machen und als universales Anliegen zu reklamieren? Was liegt näher, als dass er diesen Schritt zum Zeitpunkt eines der großen Feste, in diesem Fall des Passahfestes, unternimmt, wo er damit rechnen kann, ein angemessen großes und repräsentatives Publikum vor Ort vorzufinden? Und was liegt schließlich näher, als dass er als gläubiger Jude das Fest in der rituell vorgeschriebenen Form begeht und zusammen mit seinen Anhängern das Passahmahl hält, bei dem sie gemeinsam das zuvor im Tempel geschlachtete Opferlamm verzehren? So naheliegend und unspektakulär dies alles aber auch anmuten mag – durch den nachfolgenden Kreuzestod erhält das Passahfest, das der Messias mit seinen Jüngern begeht, eine ganz ungeahnte Aktualität und Virulenz. Oder umgekehrt: Durch den Inhalt und Sinn, den das Passahmahl tradiert, verleiht es dem bevorstehenden Kreuzestod eine völlig unerwartete Tragweite und Signifikanz.

Das "Fest der Verschonung" erinnert an die zehnte Plage, mit der Gott, der Herr, die Ägypter heimsucht, um sein Volk aus der Knechtschaft zu erlösen und zu erwirken, dass Pharao die Geknechteten endlich freigibt. Im Zuge dieser letzten und entscheidenden Heimsuchung lässt Gott im ganzen Land, bei Mensch und Tier, die Erstgeborenen sterben. Damit die Hauswesen seines Volkes von der Strafaktion ausgenommen, verschont bleiben, befiehlt er ihnen, ein Lamm oder Zicklein männlichen Geschlechtes zu schlachten, mit dem Blut des Schlachtopfers Pfosten und Oberschwelle der Haustür zu bestreichen und das gebratene Fleisch des Tieres gemeinschaftlich zu verzehren. Nach seinem Geheiß nehmen sie die Mahlzeit gegürtet und reisefertig, in Erwartung des bevorstehenden Auszuges ein. So bewehrt und gerüstet, bleiben sie von dem Würgeengel, den Gott durchs Land schickt und der an ihren markierten Häusern vorübergeht, verschont, retten ihr Leben und gewinnen ihre Freiheit.

Die Parallele drängt sich förmlich auf: Wie Gott einst den Seinen dadurch das Leben rettete, dass er sie ein Lamm schlachten, ein Schlachtopfer bringen ließ, genauso bewahrt er sie auch jetzt vor dem Tode – dadurch, dass er sie den Messias zum Opfer bringen, ans Kreuz schlagen lässt. Die traditionelle, an das damalige Schlachtopfer und die Errettung aus der ägyptischen Knechtschaft, die es ermöglichte, erinnernde Passahmahlzeit gewinnt so plötzlich eine hochaktuelle, auf den bevorstehenden Kreuzestod und die Befreiung aus der irdischen Knechtschaft, die er zu erwirken verspricht, vorausweisende Bedeutung. Indem der Messias mit seinen Anhängern das Passahmahl hält, begeht er nicht einfach ein gewohntes, ebenso inhaltsentleertes wie liebgewordenes Fest, sondern fordert die an der Mahlzeit Teilhabenden auf, die qua Passion bevorstehenden Ereignisse im Lichte des Geschehens zu verstehen, an das jenes Fest erinnert.

Dabei liegt der Unterschied zwischen den parallelisierten Vorgängen auf der Hand: Er besteht im Zweck der jeweiligen Veranstaltung, in der Beschaffenheit und den Dimensionen dessen, was hier und dort letztlich erreicht wird. Wenn dort und damals der Zweck der Opferung eines Lammes darin besteht, die Betroffenen vom Tode zu erretten und ihnen das mit Befreiung aus der Knechtschaft synonyme Leben zu erhalten, so ist damit das biologisch-existenzielle, irdisch-materielle Leben gemeint, das höchstens und nur metaphorisch für das ontologisch-essenzielle, himmlisch-spirituelle Leben zu stehen vermag, das hier und jetzt der Kreuzestod des Messias den Betroffenen zu gewinnen verspricht.

So unendlich verschieden und nämlich ontologisch different der Zweck jeweils aber auch sein mag, das Mittel zu ihm ist offenbar in beiden Fällen das gleiche – ein Opfertod, der gewaltsame Tod eines zum Schlachtopfer bestimmten Exemplars, der da macht, dass die übrigen Art- oder Hausgenossen, die übrigen vom Tode Bedrohten verschont bleiben. Und zwar – und hierin liegt die dem Passahmahl entlehnte entscheidende Neuerung in der Sichtweise der fündig gewordenen Heilssucher! – verschont bleiben nicht etwa bloß in dem generisch-resultativen Sinn, dass sie vom Tode errettet werden, dass sie, wiewohl den Tod erleidend, letztlich doch das Leben erlangen, sondern vielmehr in der spezifisch-prozessualen Bedeutung, dass sie vor dem Tode errettet werden, dass sie dank des Opfertodes jenes Exemplars das Leben behalten, es gar nicht erst verlieren müssen.

Auch nach der bis dahin von den Heilssuchern kultivierten Version, der zufolge es sich beim Leben und Leiden ihres Messias um eine Vorführung, einen demonstrativen Testlauf handelt, entreißt der Messias diejenigen, die an ihn glauben, dem Tode, bringt er ihnen Verschonung, rettet ihnen das Leben – nur ist der Modus seiner Hilfs- und Rettungsaktion die Nachfolge: Der Messias macht den Heilssuchenden durch sein Leben und sein Sterben vor, wie sie zu leben und zu sterben haben, weist ihnen den Weg, geht ihnen auf diesem Weg voraus und führt sie durch ihr an seinem Vorbild orientiertes irdisches Leben und leidvolles Sterben dem ewiges Leben spendenden Heilsmittel zu, das er, der vom Himmels gesandte Sohn Gottes, ihnen auf die Erde gebracht hat. Nur dass bei dieser Lesart vom Weg zum Heil das Problem entsteht, dass die Nachfolgenden am entscheidenden Punkte des Weges, dort nämlich, wo der Übergang vom irdischen zum ewigen Leben stattfinden soll, im Augenblick des Todes also, ihren Führer aus dem Auge verlieren, weil er kraft des Heilsmittels, des lebendig machenden Pneuma, die ontologische Kluft überwindet und ins himmlische Jenseits hinüberwechselt, während sie ohne das Heilsmittel, das er ihnen doch eigentlich bringen wollte und das er nun wieder mitgenommen hat, am äußersten Rande des Diesseits, am tödlichen Abgrund der unendlichen Differenz, die Schein von Sein trennt, mit nichts als der Hoffnung auf seine schließliche Wiederkehr zurückbleiben. Mag diese Hoffnung auch noch so sehr durch frohe Erwartung gestärkt und durch apostolisches Wirken gestützt werden – angesichts der Haaresbreite, der rein systematischen Differenz, die am Ende ihres Martyriums die dem Messias Nachfolgenden nurmehr vom Heil trennt, ist die Ungeduld naturgemäß ungeheuer und erscheint jedes weitere Warten als eine unerträgliche Zumutung, eine fast schon zynische Herausforderung an ihre Glaubensfestigkeit, ihr Gottvertrauen.

Ehe sie aber den Messias und den, der ihn gesandt hat, Gottvater und Gottsohn, der zynischen Hinhalterei, um nicht zu sagen, erbarmungslosen Quälerei zu verdächtigen beginnen, nehmen die Heilssuchenden lieber sich selbst in Verdacht mangelnden Durchblicks und fassen die Möglichkeit ins Auge, dass der Messias zu Lebzeiten mehr getan hat, als ihnen bloß in eigener Person die Wirksamkeit des Heilsmittels, des Pneuma, vorzuführen und ihnen seine Heilsmethode zur Nachahmung zu empfehlen, dass er ihnen in Wirklichkeit sein Heilsmittel bereits mitgeteilt, sie in Wahrheit bereits zu Pneumatikern gemacht hat und dass es an ihnen ist, der kostbaren Gabe, die er ihnen hinterlassen hat, und des Weges, auf dem er sie ihnen hinterlassen hat, inne zu werden.

Und da sie nun seine Biographie nach entsprechenden Anzeichen oder Hinweisen durchmustern, werden sie, wie gesagt, fündig und stoßen auf das Passahmahl, das, als inhaltliche Verständnishilfe oder Interpretationsanleitung im Blick auf den nachfolgenden Kreuzestod des Messias genommen, eine ganz andere und weit direktere Form der Verschonung und Lebensrettung suggeriert. Unter der Voraussetzung, dass es sich bei jenem einer aristotelischen Dramaturgie Ehre machenden, engen biographischen Zusammenhang zwischen Passahmahl und Kreuzestod nicht bloß um ein äußeres Zusammentreffen, eine chronologische Koinzidenz, sondern um eine innere Analogie, eine methodologische Korrespondenz handelt und dass also die Geschehnisse beim Auszug aus Ägypten, an die das Passahmahl erinnert, als Modell für das herhalten sollen, was bei dem den Auszug aus der Erscheinungswelt initiierenden Kreuzestod passiert – unter dieser Voraussetzung darf der letztere nicht einfach als ein demonstratives Tun, eine vorbildliche Aktion wahrgenommen, sondern muss vielmehr als eine stellvertretende Handlung, ein substitutiver Akt begriffen werden, das heißt, er nimmt den Charakter eines Vorgangs an, der nicht primär zur Nachfolge, sondern zur Teilhabe anhält, eines Ereignisses, das nicht in der Hauptsache dazu auffordert, sich an einem anderen ein Beispiel zu nehmen und durch Eigeninitiative die gleichen Früchte wie dieser zu ernten, sondern das dazu einlädt, aus der Initiative eines anderen Nutzen zu ziehen und an deren Früchten zu partizipieren.

Wie einst das Opferlamm, so stirbt demnach jetzt der Messias, um durch sein individuelles Sterben dem Kollektiv das Leben zu retten, erleidet er an der Haus- und Artgenossen Statt den Tod, damit sie selbst ihn nicht erleiden müssen. Wie dort, so besteht auch hier der eigentliche Sinn des Opfertodes nicht in der an die anderen gerichteten Aufforderung, dem Opfer in den Tod und in ein sich daraus regenerierendes Leben Gefolgschaft zu leisten, sondern in dem vom Opfer selbst erhobenen Anspruch, den anderen den an sich auch ihnen beschiedenen Tod zu ersparen, ihn als eine auch von ihnen zu begleichende Schuld an ihrer Stelle abzugelten und ihnen also unmittelbar, ohne Durchgang durch den Tod, das Leben zu sichern.

Dass es den Heilssuchenden mit der beschworenen Parallele vollständig ernst ist und dass sie wild entschlossen sind, das mittels Passahmahl zitierte Modell einer Errettung vor dem Tod durch Teilhabe an einem stellvertretenden Opfer auf den Kreuzestod abzubilden und dieses Modell dem alternativen Konzept einer Errettung vom Tod durch Nachahmung einer vorbildlichen Passion den Rang ablaufen zu lassen, geht unmissverständlich aus der Tatsache hervor, dass in ihrer synoptisch-evangelischen Version vom Verlauf der Mahlzeit der Messias selbst die Analogie expressis verbis herstellt, indem er auch und sogar den eigentümlichen Modus der Teilhabe, den der mosaische Originalvorgang vorgibt, übernimmt und auf den bevorstehenden Fall seines Opfertodes anwendet.

Dieser Modus ist das Mahl als solches, die Teilhabe am Schlachtopfer durch dessen Verzehr, ein vom Gedanken kommutativer Identifizierung bestimmter Akt, der bedeutet, dass der Tod des Opfers als stellvertretender, meinen eigenen Tod ersetzender und erübrigender nur Wirksamkeit erlangen kann, wenn es mir umgekehrt gelingt, an die Stelle des Opfers zu treten, seine Identität zu übernehmen und mich auf diese Weise der Notwendigkeit zu entziehen, noch einmal durchmachen und abgelten zu müssen, was mein Alter Ego bereits erlitten und gebüßt hat, eben weil es das Martyrium ja bereits vollbracht, den Todessold bereits entrichtet hat. Indem ich mir das Schlachtopfer einverleibe und anverwandele, werde ich eins mit ihm, erinnere es als mein eigen und kann das, was es getan und erlebt hat, als bereits geschehen und vergangen in Anspruch nehmen. Ich zehre im Wortsinne von seiner Geschichte und Erfahrung, die ich eben deshalb, weil ich von ihr zehren kann, nicht wiederholen, nicht mehr machen muss.

Diese vom mosaischen Muster vorgegebene Methode, sich durch Einverleibung die Identität des Opfers anzueignen und damit das, was ihm widerfahren ist, als bereits gemachte Erfahrung sich selbst zu ersparen, erweckt einen ebenso mimikryhaft-taschenspielerischen wie archaisch-primitiven Eindruck. Schon die offenbar der Devise, dass man ist, was man isst, verpflichtete Gleichsetzung von Erinnerung mit Einverleibung, von persönlicher Identifizierung mit leiblicher Anverwandlung wirkt, zumal in einem Kontext, in dem die Überwindung des materiellen Scheins der irdischen Leiblichkeit und der Auszug in das spirituelle Sein des ewigen Lebens auf der Tagesordnung stehen, merkwürdig genug und in der Tat höchst atavistisch. Vollends aber die Erwartung, durch jenen primitiven Identifizierungsmodus denjenigen, mit dem man sich identifiziert, rückwirkend als stellvertretenden Leistungsträger, als nicht nur im Dienste derer, die sich mit ihm identifizieren, sondern mehr noch an ihrer Statt Handelnden und Geschäfte Erledigenden reklamieren zu können, mutet absurd an und scheint einer veritablen Eskamotage gleichzukommen.

Genau diese Methode scheint der Messias indes zu empfehlen und diese an sie geknüpfte Erwartung zu bestätigen, wenn er, jedenfalls nach synoptischem Zeugnis, die beim Passahmahl in Erinnerung an den Verzehr des mosaischen Opferlamms genossene Nahrung, Brot und Wein, mit seinem Fleisch und Blut identifiziert und ihnen zu essen gibt. Damit vollendet er die Verkehrung des Passah aus einem der einstigen Verschonung und Befreiung geweihten Gedenkfest in einen interpretativen Vorgriff auf den bevorstehenden Kreuzestod und auf die Art und Weise, wie auch dieser Tod denen, die ihm beiwohnen, Verschonung und Befreiung bringt: Nicht nur sollen die Jünger seinen Tod am Kreuz so verstehen wie die einstige Schlachtung des Opferlamms – als stellvertretende, ihnen den Tod, den er an ihrer Statt erleidet, ersparende Handlung; sie sollen mehr noch die Wirksamkeit der Stellvertretung auf die gleiche Weise sicherstellen, wie das einst die für den Auszug gewandeten und gegürteten ägyptischen Juden taten – durch eine mittels Einverleibung erreichte Identifizierung mit dem Geopferten, die es denen, die sich identifiziert haben, erlaubt, das, was dem Geopferten widerfuhr, rückwirkend als das bereits abgegoltene eigene Schicksal wahrzunehmen.

Buchstäblich genommen und als wortwörtliche Handlungsanweisung verstanden, wirkt das Szenarium, das mit Hilfe des Passahfestes der Messias von seinem bevorstehenden Tod und den aus ihm zu ziehenden Konsequenzen entwirft, ebenso grotesk wie morbid. Unabhängig davon freilich geht, wie die nähere Betrachtung zeigt, eine solch buchstäbliche Übertragung des vergangenen Verhaltens auf die kommende Situation vollständig an deren Spezifik vorbei und mutet von daher auch ebenso unsinnig wie abwegig an. Was nämlich jede am Leichnam des Gekreuzigten zu vollziehende nekrophage Wiederholung des Passahmahls, wie sie die Worte, mit denen der Messias seinen Jüngern die Nahrung reicht, zu suggerieren scheinen – was also jede nekrophage Auslegung dieser Worte von vornherein konterkariert und gegenstandslos werden lässt, ist die schlichte Tatsache, dass nach dem Kreuzestod gar nichts da ist, was die Jünger sich einverleiben könnten, dass der Leichnam, den sie verzehren könnten, dank der Auferstehung des Herrn verschwindet und sich als verklärter Leib ihrer Vereinnahmung entzieht. Diese Tatsache ist nichts weiter als Folge der oben konstatierten seinstheoretischen Differenz zwischen dem dort und hier zu rettenden Leben, die, wie sich demnach zeigt, auch der verhaltenspraktischen Parallelisierung Schranken setzt.

Das Leben, das der Tod des Lamms in Ägypten zu retten dient, ist das unmittelbare der Überlebenden selbst: Durch seinen Tod und durch die Eskamotage der es zum Stellvertreter machenden inkorporativen Identifizierung mit ihm erhält das Lamm ihnen ihr Leben. Hingegen ist das Leben, das der Messias am Kreuz seinen Anhängern zu retten verspricht, ein durch seinen Tod allererst vermitteltes: Indem er durch sein Sterben den Tod überwindet und durch seine Auferstehung den Weg aus der Sphäre des materiellen Scheins in das spirituelle Sein als gangbar erweist, gewinnt er ihnen das, was sie noch gar nicht haben, das ewige Leben. Genau hier aber liegt das Problem! Dass er das im Unterschied zu dem, was beim Auszug aus Ägypten geschieht, durch seinen Tod nicht bloß negativ als das habituell irdische bewahrte und reaffirmierte, sondern positiv als toto coelo anderes vermittelte und initiierte Leben für sich selbst gewinnt, steht außer Frage und ist durch seine Auferstehung bezeugt. Gewinnt er es aber wirklich auch denen, die ihm nachfolgen, erringt er es tatsächlich stellvertretend für sie? Damit das nach Maßgabe des vom Messias beim Passahmahl beschworenen Vorbilds der Fall wäre, müssten sie sich ja durch seine Einverleibung nachträglich mit ihm identifizieren können: Sie würden so Teilhaber an seinem Schicksal, hätten den Tod dank seines stellvertretenden Sterbens bereits hinter sich und gelangten, da ihnen der Tod also erspart bliebe, unmittelbar in den Besitz des ewigen Lebens.

Indem er indes aufersteht, will heißen, erst einmal selbst in den Besitz des ewigen Lebens gelangt, das er denen, die an ihn glauben, gewinnen will, vereitelt der Messias eben dieses von ihm in Vorschlag gebrachte Strategem einer Teilhabe durch Einverleibung: Gleichermaßen verklärt und entrückt, büßt er seine materielle Existenz, seine der Einverleibung zugängliche Leiblichkeit ein und ist in der kraft ontologischer Differenz unerreichbaren Sphäre des himmlischen Wesens verschwunden. Die vom Messias selbst eröffnete Aussicht und genährte Hoffnung, durch eine dem Passahgeschehen abgelauschte primitive Anverwandlungstechnik oder atavistische Mimikry die Kluft zwischen materiellem Schein und spirituellem Sein überbrücken und sich das ewige Leben quasi erschleichen zu können, ist demnach schierer Schein und absolut eitel, weil hier ja offenkundig der Zweck, der erreicht werden soll, die Negation des Mittels voraussetzt, durch das er erreicht werden soll, oder weil, anders gesagt, die Mimikry, die dazu dient, die neue Identität zu gewinnen, auf ausgerechnet die Person sich bezieht, die vor der neuen Identität zunichte wird.

Im Grunde findet damit nur die vor der Parallelisierung des Passahgeschehens mit dem Kreuzestod den Heilssuchern bereits dämmernde und zu eben der verzweifelten Suche nach einem Ausweg, die auf die Parallelisierung verfällt, Anlass gebende bittere Einsicht ihre Bestätigung, dass wegen der zwischen Diesseits und Jenseits, Erscheinungswelt und Wesenssphäre bestehenden ontologischen Differenz nichts in der Welt das Heil der Wesenssphäre zu vermitteln und also denen, die danach streben, zu erschließen vermag, weil die betreffende Realität über den Schlüssel, das Heilsmittel, das Pneuma, kurz, die vermittelnde Kraft entweder nicht verfügt oder sich aber, wenn und sobald die Kraft ihr gegeben ist, durch sie aufgehoben und in die Wesenssphäre entrückt, sprich, der Erscheinungswelt, in der sie vermittelnd wirken soll, unmittelbar und ein für allemal vielmehr entzogen zeigt. Die Bestätigung dieser Einsicht ist um so bitterer, als sie ja nicht nur jede Möglichkeit auszuschließen scheint, dass der Messias zu seinen Lebzeiten das Heilsmittel seinen Anhängern bereits übermittelt, es ihnen heimlich hinterlassen haben könnte, sondern auch und mehr noch die mit seiner Wiederkehr verknüpfte Hoffnung auf eine spätere Erlangung des Heilsmittels in Frage stellt und am Ende gar zunichte macht: Warum sollte, was aus dem guten oder vielmehr bösen Grund der den Heilssuchern sattsam bekannten Unvermittelbarkeit der Sphären des materiellen Scheins und des spirituellen Seins beim ersten Mal fehlgeschlagen, nicht gelungen ist, beim zweiten Mal erfolgreicher ablaufen, besser gelingen?

In der Tat stellt sich ja aus dieser neuen Sicht, aus dieser Perspektive der bestätigten Einsicht in die der ontologischen Differenz geschuldete Unübertragbarkeit des Heilsmittels, jenes erste Mal, das Menschsein des Gottessohns, sein Erdenwandel nebst Kreuzestod und Verklärung, in einem ganz anderen und weit weniger hoffnungsfrohen Lichte dar. Jenes erste Mal wurde oben als ein Probelauf verstanden, als eine Demonstration im Dienste des Nachweises, dass kraft der im Heilsmittel, das der Gottessohn bringt, offenbaren Gnade Gottes auch der sterbliche Mensch des ewigen Lebens teilhaftig, auch die kreatürliche Scheinexistenz zum Sein des Schöpfers verklärt und in ihm aufgehoben werden kann. Nicht, dass der Mensch gewordene und das Schicksal des Menschen, den Tod, erleidende Gottessohn den Nachweis nicht führt, indem er nämlich aufersteht und ins Reich Gottes entrückt wird! Aber am Ende gelingt dem Messias das vielleicht nur, weil er als von Gott Gesandter das Pneuma bereits mitbringt und es als das ihm gegebene Potenzial im Augenblick seines alle menschliche Selbstbehauptung und Hoffahrt büßenden Todes am Kreuz zu aktualisieren vermag, und bleibt von daher das Entscheidende unbewiesen, das doch eigentlich durch die Menschwerdung des Gottessohnes bewiesen werden soll: die Übertragbarkeit des göttlichen Funkens auf die Kreatur sans phrase, die Vermittelbarkeit des Pneuma, das zum ewigen Leben verhilft, an den noch in keiner Weise darüber verfügenden sterblichen Menschen. Am Ende –im Gewahrsam nämlich der offenkundigen Vergeblichkeit jedes in Analogie zum Passahereignis unternommenen Versuchs, des Heilsmittels durch die Einverleibung und nekrophage Anverwandlung seines Trägers teilhaftig zu werden – erweist sich mit anderen Worten das Leben, Sterben und Auferstehen des Messias, weit entfernt davon, ein Testlauf, eine Demonstration, eine Probe aufs Exempel der Errettbarkeit des Menschen zu sein, vielmehr als reiner göttlicher Selbstläufer, als eine den Menschen als heillos solchen ausschließende, weil absolut in sich geschlossene Deduktion, als paradigmatischer Vorweis der unumstößlichen Wahrheit, dass nur des himmlischen Seins teilhaftig werden kann, wer im Grunde als in petto seiner himmlischen Herkunft bereits in seinem Besitze ist.

So also scheint die vom Messias per Passahmahl erteilte Handlungsanweisung in Desillusionierung einmünden zu müssen. Die offenkundige, ontologisch begründete Unmöglichkeit, diese spezielle Anweisung zur Erlangung des Heilsmittels zu befolgen, scheint dazu angetan, die Heilssucher an der generellen Übertragbarkeit des Heilsmittels, mithin am möglichen Mittlertum des Messias überhaupt verzweifeln zu lasse. Sub specie der Erkenntnis, dass es keine Vermittlung zwischen Sein und Schein gibt und geben kann, weil Schein als Schein über kein Mittel zum Sein verfügt und, wenn er denn über das Mittel zum Sein verfügt, eben Sein und dem Schein je schon unüberbrückbar entrückt ist – sub specie dieser desillusionierenden Erkenntnis erscheint nun der Heilsbringer als höchstens im ironischen Sinne solcher, erscheint er als einer, der das Heil zwar ohne Frage bringt, es aber auch unverrichteter Dinge wieder mitnimmt oder, besser gesagt, das Heil nur bringt, um sich selbst wieder aus der Sphäre herauszukatapultieren, in die er sich, Gott weiß warum, durch seine Menschwerdung vorübergehend eingelassen hat.

Um indes nicht völlig den Boden der christlichen Empirie und Wirklichkeit unter den Füßen zu verlieren und, in passender Metaphorik gesagt, die Kirche im Dorf zu lassen: Die Heilssucher selbst sehen ihre sie zum Passahmahl führende Suche nach einer Möglichkeit des Heilsmitteltransfers mitnichten, und schon gar nicht in dem eben suggerierten prinzipiellen Sinne, als gescheitert an, sind weit entfernt davon, die vom Messias qua Passahmahl erteilte Handlungsanweisung als ebenso impraktikabel und abwegig wie grotesk und morbid zu erfahren, sind, wie die Geschichte der christlichen Religion im allgemeinen und des Abendmahlssakraments im besonderen bezeugt, bar jeder Desillusionierung vielmehr sicher, fündig geworden zu sein und vom Messias den Zugang zum Heilsmittel und damit den Weg zum Heil gewiesen bekommen zu haben.

Und zwar sind sie deshalb nicht desillusioniert, sondern zeigen sich vielmehr auf der ganzen Linie zufriedengestellt, weil sie, wie uns im Eifer der Parallelisierung des Passahereignisses mit der Passionsgeschichte entgangen ist, die Passahmahlzeit, die der Messias mit den Seinen feiert, als Handlungsanweisung nicht im übertragenen Sinne verstehen, das heißt, im Sinne einer Aufforderung, nach dem Kreuzestod so zu verfahren, wie einst in Ägypten nach der Schlachtung des Lammes verfahren wurde, sondern sie als Handlungsanweisung in buchstäblicher Bedeutung aufzufassen, das heißt, in der Bedeutung eines Geheißes, nach dem Kreuzestod eben das Gleiche zu tun, was er hier und jetzt mit den Seinen tut – nämlich das Passahmahl zu halten, Brot zu essen und Wein zu trinken. Sie begreifen mit anderen Worten das Erinnerungsfest, das er mit ihnen begeht, zwar als Interpretationshilfe im Blick auf den Kreuzestod und auch durchaus als Direktive hinsichtlich ihres Verhaltens danach, aber eben nicht als Direktive, analog zu handeln, sprich, das zu wiederholen, woran das Fest erinnert, sondern als Anweisung zu einem rein tautologischen Verhalten, einer Wiederholung von nichts weiter als dem Erinnerungsfest selbst.

Und weil sie die Anweisung derart buchstäblich, derart tautologisch verstehen, kann sie nun natürlich auch nicht die Desillusionierung ereilen, die denjenigen heimsuchen muss, der die Anweisung metaphorisch interpretiert, sie auf den als Opferlamm firmierenden Gekreuzigten selbst überträgt und prompt an dem Problem scheitert, dass es da nichts zu verzehren und einzuverleiben gibt, weil auch die beste nekrophage Absicht nichts daran ändern kann, dass der verklärte Leib des vom Tode Auferstandenen jedem irdischen Zugriff und leiblichen Verzehr ein- für allemal entzogen ist. Die dem Messias anhängenden Heilssucher wiederholen vielmehr nach seinem Tode schlicht und einfach, was er ihnen vor seinem Tode vorgemacht und sie nachzumachen geheißen hat: Sie versammeln sich und halten das Passahmahl, gedenken durch den Verzehr des Brotes und den Genuss des Weines der das stellvertretende Opfer begründenden Einverleibung und Anverwandlung des Opferlammes. Nur, dass das Opferlamm, aller tautologischen Wiederholung des Gedenkfestes zum Trotz, nach der festen Überzeugung der Versammelten jetzt nicht mehr die tierische Erstgeburt der ägyptischen Vergangenheit, sondern der messianische Gottessohn der jüngsten Gegenwart sein soll!

Damit tut sich nun allerdings an Stelle der gerade erst gelösten Schwierigkeit einer dem Anschein nach vom Messias bemühten ebenso unsinnigen wie abwegigen Verhaltensanalogie gleich ein neues, nicht minder sinnverwirrendes Problem auf. Mag nämlich zwar, dass die dem Messias anhängenden Heilssucher das Erinnerungsfest, zu dem er sie vor seinem Tode versammelt, nicht als Aufforderung verstehen, nach seinem durch die Erinnerung als Opfer ausgewiesenen Tode das, woran das Fest erinnert, zu wiederholen, sondern bloß als Anweisung zu einer seinem Tode folgenden Wiederholung der kommemorativen Handlung selbst auffassen – mag also zwar dieser Umstand die Heilssucher und ihren sie instruierenden Messias vom Verdacht eines ebenso morbiden wie primitiven Beschwörungsversuchs entlasten – der Eindruck der Naivität und Traumtänzerei, den sie statt dessen nun erwecken, scheint kein sonderlich großer Gewinn. Wie anders nämlich denn als naiv und traumtänzerisch soll erscheinen, dass die Heilssucher nebst dem von ihnen als Veranstalter des Passahmahls ins Treffen geführten Messias das ganze Problem der Einverleibung und Anverwandlung in der Weise überspielen, es in der Weise für gelöst und ad acta gelegt erklären, dass sie in einer veritablen petitio principii das, was doch mitnichten vollbracht und offenbar auch gar nicht zu vollbringen ist, kurzerhand als vollbracht in Erinnerung rufen, dass sie per Gedenkfest als geschehen behaupten, was doch höchstens und nur in der alten Gestalt, in der seiner gedacht, und nie und nimmer in der neuen Form, in der es behauptet wird, geschehen sein kann?

Mag das Passahmahl als ein von Haus aus an die Schlachtung des ägyptischen Opfertieres und seinen Verzehr erinnerndes Fest durch das Abendmahl, das der Messias mit seinen Jüngern kurz vor seinem Kreuzestod hält, in förmlicher Umwidmung noch so sehr auf das bevorstehende Ereignis bezogen und nach dessen Eintritt als ein der messianischen Weisung gemäß auf es statt auf den ägyptischen Vorgang gemünztes Gedenkfest gesetzt erscheinen, inhaltlich ändert sich dadurch doch nicht das Geringste daran, dass es hier gar keinen Vorgang gibt, dessen gedacht werden könnte, dass eine dem Verzehr des ägyptischen Opferlamms vergleichbare Einverleibung gar nicht stattgefunden hat beziehungsweise hat stattfinden können und dass insofern die qua Abendmahl zelebrierte Erinnerung gar keine ist, weil sie sich entweder nach wie vor nur auf das ägyptische Ereignis bezieht oder aber, wenn auf den Kreuzestod bezogen, Erinnerung an etwas ist, das gar nicht geschehen ist, gar keine Wirklichkeit hat, beziehungsweise Wirklichkeit nur und ausschließlich in der Erinnerung selbst hat, einzig und allein in der Vorstellung oder Einbildung, die es als etwas, das stattgefunden hat, vergegenwärtigt, stattfindet.

Mit dieser letzteren, ironisch gemeinten Formulierung, mit der ja eigentlich nur der imaginäre, halluzinative Charakter solchen Gedenkens angeprangert werden soll, treffen wir nun aber, wie jeder mit dem Sakrament des christlichen Abendmahls halbwegs Vertraute weiß, haargenau den ganz und gar ernst gemeinten, unironisch affirmativen Sinn, den die christlichen Gläubigen selbst jenem Gedenkfest beilegen. Wir sprechen mit anderen Worten in ironischer Absicht aus, was in heiligem Ernst die Gläubigen selber denken – dass in diesem besonderen Fall die Vorstellung mit ihrem Gegenstand identisch ist, die Erinnerung mit dem, was sie erinnert, koinzidiert, die Einverleibung des Herrn in eben dem Augenblick statthat, in dem ihrer als stattgehabter gedacht wird.

Einmal mehr missachten beziehungsweise verfehlen wir demnach in vorurteilsträchtiger Bornierung auf eine vermeintlich intendierte perfekte Parallele zwischen dem ägyptischen Passahereignis und dem Vorgang beim Kreuzestod das Verständnis, das die Betroffenen selbst vom Geschehen haben. Haben wir bereits, was der Messias qua Passahmahl den Gläubigen ans Herz legt, als Anweisung zu einer regelrecht analogisch-partizipativen Handlung, statt bloß zu einer tautologisch-kommemorativem Wiederholung, mithin als ebenso unsinnigen wie abwegigen Aufruf zur Nekrophagie missverstanden, so unterstellen wir nun, kaum dass wir des tautologisch-kommemorativen Charakters der qua Abendmahl wiederholten Aktion inne geworden sind, den Gläubigen erneut ein falsches Motiv und meinen nämlich, in solch kommemorativer Handlung den Versuch einer fiktiven Erinnerung, einer retrospektiven Einbildung von etwas, das gar nicht stattgefunden hat, erkennen zu müssen, statt in ihr schlicht und einfach den Anspruch zu gewahren, kraft Erinnerung das Erinnerte Wirklichkeit werden, in der Retrospektive das Vergangene überhaupt erst Gegenwart gewinnen, das, was noch gar nicht war, stattfinden zu lassen.

Einmal mehr freilich will uns auch scheinen, dass mit dieser Revision unserer präjudiziellen Sicht von der Absicht und Bedeutung des gedenkfestlichen Geschehens, mit dieser unserer korrektiven Anpassung an das Verständnis, das die Betroffenen selbst, die Anhänger des Messias, vom Sinn und Nutzen des Ereignisses haben, im Blick auf eine vernünftige Erklärung, eine logisch nachvollziehbare Darstellung des Vorganges wenig oder nichts gewonnen ist. Oben war Ergebnis unserer Selbstkorrektur, unserer Bereitschaft, das Passahmahl als Aufforderung zu nichts weiter als einer dem Kreuzestod folgenden tautologisch-kommemorativen Wiederholung seiner selbst gelten zu lassen, dies, dass wir den Messias und seine Anhänger zwar vom Vorwurf der Primitivität und Taschenspielerei befreit, dafür aber grenzenloser Naivität und Traumtänzerei überführt sahen. Und jetzt ist Resultat unserer neuerlichen Revision, unserer Bereitschaft, jene dem Kreuzestod folgende tautologisch-kommemorative Wiederholung des Passahmahls nicht als Versuch zu werten, so zu tun, als hätte etwas stattgefunden, was gar nicht stattgefunden hat, sondern als Anspruch zur Kenntnis zu nehmen, das, was stattfinden soll, uno actu der Erinnerung an es stattfinden zu lassen – jetzt also ist Resultat dieser neuerlichen Revision, dass wir den Messias und seine Anhänger zwar vom Verdacht der Naivität und Traumtänzerei dispensiert finden, sie dafür aber für völlig verrückt und wahnsinnig halten müssen.

Ist es denn nicht völlig verrückt, zu glauben, dass ein Gedenkfest, das an eine Opfertötung in der Vergangenheit und den rituellen Verzehr des Geopferten erinnert und das offenbar jetzt auf den bevorstehenden Kreuzestod bezogen wird und sich eigentlich nur als eine das Verhalten gegenüber dem künftigen Opfer, dem Gekreuzigten, antizipierende analogische Handlungsanweisung verstehen lässt – dass also dieses Gedenkfest, wenn es nach dem Kreuzestod einfach nur wiederholt wird, das, was es vermeintlich antizipierte, in dem doppelten Sinne vielmehr ersetzt, dass es nicht nur an die Stelle des eigentlich zu Vollbringenden tritt, sondern es mehr noch ebenso tatsächlich wie stellvertretend vollbringt? Ist es nicht schierer Wahnsinn anzunehmen, dass ein- und dieselbe Handlung, die vor dem Ereignis etwas danach zu Leistendes symbolisch vorstellt, nach dem Ereignis dies zuvor symbolisch Vorgestellte in die Tat umsetzt, faktisch leistet? Und ist dabei nicht die besondere Pointe oder der Gipfel des Wahnsinns darin zu sehen, dass jene vor dem Kreuzestod symbolisch antizipierte Handlung, die nach dem Kreuzestod plötzlich durch die Wiederholung der symbolischen Antizipation als solcher vollbracht sein soll, in Wahrheit überhaupt nicht vollbringbar ist, weil ja, wie gezeigt, das, worum es bei der Handlung geht, nämlich die in harscher Analogie zum ägyptischen Passahmahl vorgestellte Einverleibung und Anverwandlung des Gekreuzigten, je schon durch dessen leibliche Verklärung, seine leibhaftige Entrückung in die absolute Differenz des spirituellen Seins ad infinitum vereitelt, ein- für allemal verunmöglicht ist?


Eben das, was die Kommunion als dem Verzehr des ägyptischen Opferlamms analogische Einverleibung des Gekreuzigten beziehungsweise als symbolische Vergegenwärtigung solcher Einverleibung unmöglich macht, nämlich die Verklärung des Leibes und Spiritualisierung des Blutes, erweist sich als die Bedingung der Möglichkeit, sie als – Einverleibung und Erinnerung koinzidieren lassende – tautologische Tat, als mittels Brot und Wein vollzogenen empirischen Akt zu verstehen. Der Messias wird so zum Erlöser, dessen Leben und Sterben kein bloßer Probelauf ist, sondern der Zubereitung des Heilsmittels dient. Die Erlösung bleibt indes ein Gnadenakt und wahrt insofern die theologische Tradition des jüdischen Glaubens. Zugleich macht die sakramentale Erlösung das Martyrium, dem sie doch eigentlich nur zum sicheren Erfolg verhelfen sollte, überflüssig.

Indem wir diese Pointe des Wahnsinns aber benennen, geht uns plötzlich auf, dass der gute oder jedenfalls zureichende Grund für ihn eben hierin liegt: dass die heilssuchenden Anhänger des Messias, konfrontiert mit der Unmöglichkeit, die symbolische Vorstellung in die Tat umzusetzen, und erfüllt von dem unwiderstehlichen Verlangen, dies dennoch zu tun, exakt das, was die symbolisch vorgestellte Tat verunmöglicht, die Verklärung des Leibes, als Chance begreifen, die symbolische Vorstellung für die Tat selbst zu nehmen, den himmlischen Leib im irdischen Leibessymbol, im Brotlaib, Gestalt gewinnen, das spirituelle Blut im materiellen Lebenssymbol, im Wein, Präsenz erlangen zu sehen. Indem wir uns das in der Auferstehung des Messias, seiner leibhaftigen Verklärung und lebendigen Entrückung, bestehende Bindeglied zwischen dort der spezifischen Form der Vereitelung der scheinbar analogischen Handlungsanweisung und hier der von den Anhängern des Messias gezogenen eigentümlichen Konsequenz einer statt dessen tautologischen Wiederholung der Anweisung selbst vor Augen führen, wird uns mit einemmal klar, dass der Wahnsinn wenn auch nicht unbedingt sinnvoll ist, so doch aber ohne Frage Methode hat, dass die Verrücktheit, wenn sie sich schon nicht zwangsläufig aus der Sache ergibt, doch aber einer durchaus nachvollziehbaren Logik entspringt. Wir erkennen, dass auf vertrackte Weise eben das, was die erinnernde Vorstellung einer analogen Einverleibung des Schlachtopfers ad absurdum führt, dessen Verklärung nämlich, erklärt, warum die analogisierende Vorstellung als solche die Bedeutung der – Einverleibung und Erinnerung in sich koinzidieren lassenden – tautologischen Tat annehmen kann, begreifen, dass eben das an dem Ereignis, was das Passahmahl als dessen symbolische Vergegenwärtigung widerlegt, nämlich die Spiritualisierung, zugleich doch das Passahmahl als uno actu der symbolischen Vergegenwärtigung empirischen Vollzug des Ereignisses selbst, als das nur und ausschließlich seiner selbst eingedenke Ereignis, ins Spiel zu bringen und in Szene zu setzen erlaubt.

Was sollte den der materiellen Sphäre entrückten, spirituell gewordenen Christus, den des Scheins entkleideten und ins Sein eingegangenen Messias daran hindern, jede beliebige Gestalt anzunehmen, in jeder Form, in der er will, zu erscheinen? Warum sollte der verklärte Leib nicht geradeso, wie Gott Mensch geworden ist, Brot und Wein werden können? Solange Brot und Wein im Vorausblick auf den Kreuzestod und die anschließend angezeigte Einverleibungshandlung für Leib und Blut des Messias stehen, können sie Leib und Blut in der Tat nur symbolisieren, sind sie, weil letztere ja von gleicher Art wie sie sind, an derselben Materialität oder Scheinbeschaffenheit wie sie teilhaben, jene auch nur mittelbar darzustellen, indirekt zu bedeuten imstande. Nach dem Kreuzestod aber und der durch ihn initiierten Verklärung von Leib und Blut des Messias sind stoffliches Brot und irdischer Wein vom verklärten Leib und himmlischen Blut wie Schein vom Sein geschieden, substanziell different, und stellt sich deshalb die Sache toto coelo anders dar: Nichts kann den verklärten Messias, wenn er denn will, davon abhalten, seinen Leib als Laib erscheinen zu lassen, sein Blut in Wein zu wandeln, und nichts kann deshalb verhindern, dass Brot und Wein den Leib und das Blut Christi medial verkörpern, dass sie transsubstanziell der verklärte Messias unmittelbar und leibhaftig sind.

Immer vorausgesetzt, dass der leibhaftig Verklärte es will, der ins ewige Leben eingegangene Blutzeuge mitspielt, kann deshalb in der Tat auch das, was vor dem Kreuzestod bloß symbolischer Ausblick auf etwas ist, das danach vollbracht werden muss, vielmehr, wenn es nach dem Kreuzestod schlicht und einfach wiederholt wird, empirischer Vollzug eben dieses zu Vollbringenden sein, kann mit anderen Worten die das ewige Leben gewinnende Einverleibung des Gekreuzigten, die vorher durch das ans ägyptische Schlachtopfer erinnernde Passahmahl bloß bedeutet oder in effigie antizipiert wird, nachher durch das haargenau gleiche Passahmahl, das dadurch zu einem die Tat und die Erinnerung an sie in eins fallen lassenden Ereignis wird, als Sein beschworen oder in effectu exekutiert werden.

Conditio sine qua non für dieses wider alles prozessuale Erwarten, wider alle historische Vernunft empirische Vollbringen des symbolisch Antizipierten und als Antizipiertes gar nicht zu Vollbringenden in actu der einfach nur repetierten symbolischen Antizipation selbst ist, wie gesagt, der Wille des verklärten Messias, die Bereitschaft des entrückten Christus, die durch seine Verklärung und Entrückung eröffnete Chance zur transsubstanziellen Brot- und Weinwerdung und mithin zur Erfüllung des Symbols mit eben dem Sein, das es ja eigentlich nur bedeutet, oder mit eben der Wirklichkeit, die es ursprünglich ja nur darstellt, zu nutzen. Und sub specie dieser Voraussetzung, dieses in der Kooperationsbereitschaft des Auferstandenen bestehenden unabdingbaren Erfordernisses bietet sich nun aber die ursprüngliche, ebenso sehr als Anweisung für zukünftiges Handeln wie als Erinnerung an vergangenes Tun firmierende Passahmahlzeit noch einmal und, so Gott will, zum letzten Mal in neuem Lichte dar.

Weder ist demnach das Mahl, bei dem der Messias Brot und Wein zu seinem Fleisch und Blut erklärt, als Anweisung an die Gläubigen zu verstehen, nach seinem Opfertod analog zu verfahren und das zu tun, was einst ihre Väter mit dem ägyptischen Opferlamm taten, noch fordert der Messias die Gläubigen einfach nur auf, nach seinem Kreuzestod das an die Opferung des ägyptischen Lammes erinnernde Fest in tautologischer Wiederholung als nunmehr seinem Gedächtnis geweihtes Ereignis zu begehen, vielmehr verspricht er sich seinen Anhängern, gelobt ihnen, die mit seiner Überwindung des Todes, seiner leiblichen Verklärung und Verwandlung von Blut in Spiritus sich bietende Chance zur beliebigen Verkörperung oder freien Spiritualisierung des Materiellen ihnen zum Heil zu nutzen und ins Brot zu fahren beziehungsweise den Wein zu durchbluten, um die scheinbar bloß tautologische Wiederholung mit ebenso unverhoffter Aktualität wie einmaliger Effektivität zu erfüllen und die symbolische Erinnerung als zugleich faktische Einverleibung, das ideelle Gedenken als ebenso wohl reelle Anverwandlung zu erweisen, sich mit anderen Worten denen, die das Brot essen und den Wein trinken, geradeso mitzuteilen, zu kommunizieren, ihnen die Gelegenheit zu geben, sich mit ihm auf gleiche Weise zu vereinigen, zu identifizieren, wie das einst beim Verzehr des ägyptischen Opferlammes geschah.

Geradeso und auf gleiche Weise – aber doch auch toto coelo anders und absolut different. Denn durch seinen ins Brot gefahrenen verklärten Leib, den sie essen, und sein den Wein durchdringendes lebendiges Blut, das sie trinken, entbindet das am Kreuz gestorbene und auferstandene Gotteslamm diejenigen, die sich durch seinen Verzehr mit ihm identifizieren, ja nicht nur, wie einst das ägyptische Opferlamm tat, von seinem fatalen Schicksal, um sie ihrem normalen, wiewohl jetzt in Freiheit zu genießenden Leben zurückzugeben, erfüllt es mit anderen Worten nicht nur die negative Aufgabe, ihnen den Tod zu ersparen und sie der Kontinuität ihres wie immer auch reformierten irdischen Daseins zu versichern, sondern es lässt sie mehr noch an dem Triumph teilhaben, durch den es sein fatales Schicksal überwindet und das ewige Leben erringt, erfüllt mehr noch den positiven Zweck, sie im Augenblick ihrer durch seine Einverleibung, durch die Identifizierung mit ihm erwirkten Errettung vor dem Tode eben des himmlischen Seins zu überführen und teilhaftig werden zu lassen, das es als verklärter Leib und als Blut, das Spiritus ist, gewonnen hat und kraft dessen es ja überhaupt nur die Transsubstantiation vollbringen und im Brot seinen Körper finden, im Wein präsent sein kann.

Kraft seiner durch den Kreuzestod initiierten leibhaftigen Verklärung und lebendigen Spiritualisierung ist also der für die Menschen hingeschlachtete Messias, das am Kreuz gestorbene Lamm, nicht nur ein stellvertretendes Opfer, das, indem es statt der Menschen stirbt, sie vor dem Tod bewahrt, sondern auch und vor allem das heilbringende Mittel, zu dem es, indem es den Tod überwindet, wird und als das es den Menschen das ewige Leben beschert. Als verklärter Leib und spiritualisiertes Blut ist der Messias nichts anderes als das Heilsmittel, das er als das in seinem irdischen Dasein verborgene Pneuma, den in seinem Menschsein latenten Ruach auf die Erde mitbringt und das er durch sein menschliches Leben oder vielmehr durch sein unmenschliches Sterben erst Gestalt, eben die Gestalt des verklärten Leibes, gewinnen lassen, erst manifest machen, eben als das Blut, das Spiritus ist, realisieren muss, um es den Menschen verabreichen, sie durch erinnernde Einverleibung, durch Kommunion, daran teilhaben lassen zu können. Aus der Perspektive dieser dem Passahmahl oder, genauer gesagt, seiner Wiederholung als Kommunion vindizierten zentralen Funktion erlangt demnach auch der ganze Erdenwandel des Messias, sein im Kreuzestod kulminierendes Leben, eine noch einmal grundlegend veränderte Bewandtnis und Bedeutung.

Aus Sicht der so als das Ziel der christologischen Veranstaltung begriffenen postmortalen Übermittlung des Heilsmittels ist das Leben des Messias nicht sowohl ein Probelauf, eine Demonstration, durch die im Grundsatz der messianischen Existenz der Nachweis geführt wird, dass der Mensch des Heils fähig ist, und auch nicht einfach eine paradigmatische Prozedur, eine Introduktion, die den Menschen den Weg zum Heil weisen und sie zur Nachfolge, zur imitatio dei, ermuntern soll, sondern eine den Heilsakt vorbereitende Aktion, eine Präparation des Heilsmittels – mit der kurz vor dem erfolgreichen Abschluss der Aktion vom Messias seinen Anhängern gegebenen Anweisung und Rezeptur, wie und in welcher Form sie des fertig zubereiteten Heilsmittels teilhaftig werden und es einnehmen können. Auf die Erde gesandt, um durch sein Leben und vor allem sein Sterben das pneumatische Heilsmittel, das er mitbringt, als zum ewigen Leben verhelfende Arznei zu realisieren, sprich, in jenen zur Austeilung an die Menschen, zur Dispensation, geeigneten Zustand einer verklärten Leiblichkeit und spiritualisierten Suspension zu überführen, der Ergebnis seiner Auferstehung vom Tode ist, muss der Messias am Ende nur noch das Problem lösen, dass er im Augenblick ihrer Fertigstellung die Arznei den Menschen ja entrückt, sie als der Sphäre des Seins zugehöriges Element den in die Sphäre des Scheins gebannten Sterblichen absolut unerreichbar werden lässt, und krönt deshalb sein Lebenswerk mit dem Vermächtnis, dem Testament, des Passahmahls: Er verspricht ihnen, die durch die ontologische Differenz des spirituellen Heilsmittels und seiner materiellen Verkörperung, des leiblichen Symbols und des geistigen Wesens, das es darstellt, sich bietende Chance der Transsubstantiation zu ihrem Heil zu nutzen und ins Brot zu fahren, wenn sie es in seinem Namen essen, beziehungsweise den Wein zu durchdringen, wenn sie ihn zu seinem Gedächtnis trinken, und ihnen so die Kommunion, die Teilhabe an der das ewige Leben schenkenden Arznei, die er ihnen durch sein Leben und vor allem sein Sterben bereitet hat, zu ermöglichen.

Das also ist die Lösung, auf die im inbrünstigen Verlangen, das die imitatio dei krönende Martyrium seinen himmlischen Lohn finden zu lassen und nicht den Eingang ins göttliche Sein durch das Fehlen des zur Überwindung der letzten, systematischen Differenz zwischen Vorbild und Nachahmern nötigen Heilsmittels scheitern beziehungsweise ad calendas graecas vertagt sehen zu müssen, die Anhänger des Messias verfallen: Entgegen ihrer anfänglichen Annahme, dass er erst wiederkehren muss, um ihnen das Heilsmittel zu bringen, hat es ihnen der Messias bereits gegeben oder stellt es ihnen jedenfalls als ein von ihnen jederzeit in Empfang zu Nehmendes zur Verfügung; zwar nicht zu seinen Lebzeiten – sein Leben und vor allem sein Sterben braucht er vielmehr, um ihnen das Heilsmittel zuzubereiten, es in einen Zustand zu bringen, in dem sie es aufnehmen, es sich aneignen können –, wohl aber anschließend, nach seinem Tod und seiner Auferstehung, wo er gemäß der im Passahmahl bestehenden Rezeptur und Anweisung, die er ihnen vor seinem Tod als sein Vermächtnis hinterlassen hat, allzeit bereit steht, als der verklärte Leib und als das Blut, das Spiritus ist, kurz, als das schiere Heilsmittel, in das er sich durch sein Leben und Sterben verwandelt hat, das Brot zu sein, das sie essen, und der Wein zu sein, den sie trinken, und sie solcherart seiner habhaft werden zu lassen, sich ihnen auf diese Weise mitzuteilen. Sie brauchen nur der Vorschrift zu folgen, die er ihnen am Ende seines Lebens gegeben hat, brauchen nur akribisch nachzumachen, getreulich zu wiederholen, was er beim Passahmahl ihnen vormacht und für sie als nach seinem Tod zu zelebrierende Handlung inszeniert hat, und schon sind sie im Besitz des Heilsmittels und vor dem Tode errettet, steht ihnen kraft dessen, was sie sich durch das als Kommunion wiederholte Passahmahl erinnernd einverleibt haben, nicht mehr das Nichts ins Haus, sondern vielmehr das Himmelreich offen.

Sie sind durch das Brot, das verklärter Leib, und den Wein, der spirituelles Blut ist, mit dem Heilsmittel, das ihnen das ewige Leben schenkt, erfüllt – vorausgesetzt, sie glauben an ihn, der sich, den im Brot verklärten Leib und das im Wein spiritualisierte Blut, und damit es, das Heilsmittel, ihnen schenkt, glauben, dass er der von Gott gesandte Christus, der Mensch gewordene, am Kreuz gestorbene und auferstandene Gottessohn ist, glauben, dass es sein hingebungsvoller Wille, seine liebevolle Zuwendung, kurz, seine Gnade ist, was sie auf dem von ihm gewiesenen Weg, durch die von ihm vorgeschriebene erinnernde Einverleibungshandlung, in den Besitz des Heilsmittels gelangen lässt.

Dies letztere, dass ihr Glaube die Vorstellung seines lebendigen Willens, seiner immer neuen Zuwendung, seiner fortwährenden Gnade einschließt, sorgt dafür, dass auch die durch die Umdeutung des Passahmahls erreichte Einführung einer wirklichen, Schein und Sein, irdisches Dasein und himmlisches Leben verschmelzenden Copula, die Invention des im verklärten Leib, der Brot, und im spirituellen Blut, das Wein ist, bestehenden Heilsmittels, auf dem Boden und in den Grenzen der durch den Herrn des Seins und lebendigen Gott der jüdischen Religion bestimmten ontologischen Ordnung und theologischen Orientierung bleibt und verhütet, dass diese ontologische Ordnung, die Gott das Sein und dem Menschen das Nichts zuweist, diese theologische Orientierung, die dem Schöpfer alle Macht und der Kreatur nichts als die Ohnmacht zubilligt, etwa im Sinne der Ausstattung des Menschen mit einer todsicheren Heilsmethode, sprich, im Verstand einer quasimagischen Ermächtigung der Kreatur, modifiziert wird.

Hier liegt ja durchaus eine Gefahr. Berauscht von dem Gedanken, dass der Gottessohn auf die Erde herabgestiegen ist und für sie den Tod erlitten hat, um ihnen das Heilsmittel zu bereiten, anders gesagt, zum Heilsmittel zu werden, und geblendet von der archaisierend-rituellen Technik der Aneignung des Heilsmittels, die er sie am Ende lehrt, könnten die Anhänger des Messias ohne weiteres auf die Idee verfallen, sie, die Geschöpfe der Scheinsphäre, besäßen nun einen unfehlbaren Zugang zum Reich des Seins, verfügten über einen rituellen Automatismus, durch den sie jederzeit das Unterpfand ihres Anspruchs auf Seinshaftigkeit, das als verklärter Leib und spirituelles Blut ins Brot gefahrene und den Wein durchdringende Heilsmittel, zitieren oder vielmehr kommandieren könnten, und seien also jetzt Herr über ihr ontologisches Schicksal, selbstmächtige Kreaturen, Geschöpfe, die dank ihres quasimagischen Zugriffs auf das ewige Leben, das Leben des Schöpfers, nicht länger dessen Willen auf Gedeih und Verderb, auf Sein oder Nichts, ausgeliefert seien. Vor solch illusionärer Verirrung schützt sie allein das besagte Moment ihres Glaubens, die Überzeugung nämlich davon, dass er, der ins Sein zurückgekehrte Gottessohn es ist, der sich, seinen der menschlichen Existenz überhobenen verklärten Leib und sein über das irdische Dasein triumphierendes spirituelles Blut, in der Gestalt des Brotes und im Gewächs des Weinstocks ihnen verabreicht und dass also auf ewig Basis der Kommunion sein hingebungsvoller Wille, seine liebevolle Selbstübereignung bleibt.

In der Tat stellt sich aus Sicht dieser Glaubensvorstellung, die entscheidend dafür ist, dass die christliche Religion, aller sakramentalen, die Sphäre des Scheins mit einem Moment von Sein dotierenden Wendung zum Trotz, in der antimagisch-theologischen Tradition des alttestamentarischen Gottesglaubens verharrt – in der Tat stellt sich aus dieser Sicht die Hingabe des Heilsmittels in der Kommunion als perfekte Parallele zur Preisgabe des Heilsbringers in der sein Erdenleben vollendenden Passion dar. Dem Gnadenakt der Menschwerdung korrespondiert der Gnadenakt der Brot- und Weinwerdung. Vielmehr ist hier aber statt von Parallele oder Korrespondenz von Sukzession oder Konsequenz zu sprechen. Der Gnadenakt der in Passion und Kreuzestod kulminierenden Menschwerdung Gottes verleiht ja dem Pneuma, das der Mensch gewordene Gottessohn auf die Erde bringt, allererst jene feinstofflich verklärte Leibhaftigkeit und suspensionisch spiritualisierte Lebendigkeit, die dem Menschen sans phrase die Möglichkeit gibt, es sich via Brot und Wein einzuverleiben und anzuverwandeln, und stellt insofern die unabdingbare Voraussetzung für die nachfolgende Brot- und Weinwerdung dar.

Dass indes nach dem festen Glauben der Anhänger des Gekreuzigten und Auferstandenen auch diese in der Brot- und Weinwerdung Ereignis werdende erinnernde Einverleibung des durch die Menschwerdung, die im Kreuzestod kulminiert, ins Heilsmittel verwandelten Heilsbringers sich als göttlicher Gnadenakt darbietet und nämlich nicht einfach als zwingendes Resultat der nach dem Tod des Gekreuzigten qua Kommunion wiederholten rituellen Handlung des Passahmahls, sondern nur als freiwillige Leistung des sich gemäß dem Versprechen, das er ihnen zu Lebzeiten gegeben hat, in der rituellen Handlung den Gläubigen übereignenden und eingebenden Verklärten selbst Wirklichkeit wird – dies sorgt dafür, dass der die Vermittlung des kreatürlichen Scheins mit dem Sein des Schöpfers, der irdischen Künstlichkeit und Vergänglichkeit mit dem ewigen Leben und Bestehen ermöglichende heidnisch-sakramentale Akt der Spiritualisierung von Materiellem, der Heiligung eines Stückes Welt, mittels dessen der Mensch, all seiner Heillosigkeit zum Trotz, sich dennoch mit dem Heil zu identifizieren und an ihm zu partizipieren vermag, im Kontext eben der jüdisch-radikalen Ansicht von der Welt als dem imaginären Spielwerk eines absolut anderen Subjekts, sprich, Erkenntnis jenes Subjekts als des in alle Ewigkeit nichts außer sich gewahrenden und sich zu seiner Kurzweil aus nichts die Welt erschaffenden Herrn des Seins und lebendigen Gottes verharrt, die er eigentlich auszuschließen scheint.

Indem der sakramentale Akt, durch den das menschliche Dasein, die sterbliche Kreatur die ontologische Kluft überwindet und des göttlichen Seins und ewigen Lebens teilhaftig wird, immer zugleich ein Gnadenakt bleibt, der einen konversiven Subjektwechsel einschließt und nämlich, dem göttlichen Willen zur Vereinigung und der ewigen Liebe entspringend, das mit dem göttlichen Sein, dem Heilsmittel dotierte irdische Dasein im selben Augenblick ins himmlische Subjekt transfiguriert, die mit dem ewigen Leben, dem Spiritus, erfüllte Kreatur uno actu zu ihrem Schöpfer aufhebt und mit ihm eins werden lässt, erreicht er in der Figur des Heilsbringer und Heilsmittel koinzidieren lassenden Erlösers eine ebenso prekäre wie mirakulöse Balance zwischen opferkultlich-heidnischer und gottesdienstlich-jüdischer Tradition, zwischen der im Konzept des Epiphanischen beschworenen kultisch-magischen Identität des Scheins mit dem Sein und der im Begriff des Kreatürlichen behaupteten dogmatisch-ontologischen Differenz des Seins vom Schein.

Das inbrünstige Verlangen der Gläubigen, das Leben und Sterben in der Nachfolge Christi, die Passion und das Martyrium, den wenn nicht verdienten, so jedenfalls ersehnten Lohn finden und nämlich durch den unverweilten Eingang ins ewige Leben gekrönt zu sehen, wird demnach erfüllt: Durch die einfache Wiederholung des dank Kreuzestod und Auferstehung zum sakramentalen Akt der Kommunion, der Teilhabe am verklärten Leib und spirituellen Blut des göttlichen Opferlammes, erhobenen Passahmahls kann jeder Mensch in der Nachfolge Christi nicht zwar selbstredend wissen oder automatisch darauf bauen, wohl aber von ganzem Herzen glauben oder zuversichtlich darauf hoffen, nicht zwar durch die sakramentale Handlung als solche, wohl aber durch die Gnade und Liebe des Lammes, das gemäß seinem vor dem Kreuzestod gegebenen Versprechen und Testament seinen verklärten Leib und sein spirituelles Blut ins Mahl einbringt und letzteres eben dadurch in die sakramentalen Handlung transformiert, sich diesen verklärten Leib und dieses spirituelle Blut einzuverleiben und sich beidem anzuverwandeln und also in den Besitz des zum Heil verhelfenden Mittels zu gelangen, besser gesagt, die zum Zustand des Heils, zum ewigen Leben, gereichende Gotteskindschaft oder pneumatische Identität, die der Christus ist, zu erringen.

Kraft der sakramentalen Wiederholung des kommemorativen Passahmahls im Besitz des Schlüssels zum ewigen Leben, kann der Gläubige getrost das Martyrium erleiden, ohne jede Furcht davor, sich im Augenblick des Todes, an der Schwelle zum ewigen Leben, mangels Heilsmittel an der ontologischen Kluft, die das Sterbliche vom Unsterblichen, das Künstliche vom Lebendigen trennt, festgehalten und bis zur Wiederkehr des Messias, das heißt, auf unbestimmte Zeit, um nicht zu sagen, ad calendas graecas, vertröstet zu sehen, und vielmehr im festen Glauben daran, dass er als ein durch das Sakrament im buchstäblich-chronologischen ebenso wie im metaphorisch-topologischen Sinne vor dem Tod Geretteter aus dem Martyrium hervorgehen und sich als der verklärte Leib, der er in der Wirklichkeit seiner sterblichen Hülle, und als der sanguinische Spiritus, der er in der Wahrheit seiner melancholischen Materialität ist, ins Himmelreich entrückt und versetzt finden wird.

Aber braucht es überhaupt noch das Martyrium? Hat sich dessen Notwendigkeit nicht mit der Kommunionshandlung, deren Einführung eigentlich nur gedacht war, seinen Erfolg zu sichern, kurzerhand erübrigt? Schließlich hat die messianische Passion, die in der Nachfolge ihres Herrn auch seine Anhänger zu erleiden bereit oder gar begierig sind, ja den einzigen und alleinigen Sinn, den anmaßlichen Wesensbezug und Dünkel des Selbstseins zuschanden werden zu lassen, den der wesenskultlich verblendete Mensch der göttlichen Gnade entgegensetzt, sprich, den pseudogöttlichen Funken zum Erlöschen zu bringen, von dem sich der Mensch erfüllt wähnt und der dem Wirken des Heilsmittels, der Wandlung des Menschen durch das Pneuma entgegensteht.

Wenn nun aber der Heilsbringer diese Überwindung des menschlichen Pseudowesens, seines anmaßlichen Selbstseins, durch sein Martyrium stellvertretend zuwege gebracht hat und mittels der seinem Kreuzestod folgenden sakramentalen Wiederholung des Passahmahls das Ergebnis seines Martyriums, das als verklärter Leib zur Geltung gekommene Heilsmittel, das als spirituelles Blut entfaltete Pneuma seinen Anhängern eingibt, damit sie daran partizipieren, sich damit identifizieren können, kurz, wenn er sich ihnen als ihr Erlöser offenbart – hat dann nicht bereits eben das in den Gläubigen Präsenz gewonnen, eben das von ihnen Besitz ergriffen, zu dessen Introduktion und Einwohnung das Martyrium erst den Raum und die Disposition schaffen sollte? Und ist dann nicht in der Tat das Martyrium als conditio sine qua non der Errettung vom Tode und Erlangung des Heiles überflüssig geworden? Nicht, dass es nicht als Krönung der imitatio dei, als Vollendung eines in der Nachfolge des Messias verbrachten Lebens überzeugenden Sinn und bestechende Schönheit behielte. Aber systematische Notwendigkeit, eine konstitutive beziehungsweise konditionelle Bedeutung für den Weg ins Himmelreich eignet dem Martyrium nun, da das Heilsmittel, für das es den Weg frei machen und Raum schaffen sollte, dem Gläubigen je schon auf anderem, sakramentalem Wege zugeht und eingeflößt wird, nicht mehr!

Durch diese prinzipielle Entbehrlichkeit, die es dem Martyrium, dessen Erfolg es doch eigentlich nur sicherstellen soll, vielmehr vindiziert, erweist sich nun aber das in seiner Wiederholung nach dem Kreuzestod und der Auferstehung des Christus als sakramentale Erlösungstat erfundene Passahmahl als nicht nur in soteriologisch-heilsgeschichtlicher, sondern auch in ekklesiastisch-realgeschichtlicher Hinsicht wesentlicher Baustein, besser gesagt, als Grund- und Eckstein der christlichen Bewegung beziehungsweise der kirchlichen Organisation, in die letztere einmündet. Schließlich ist es weder, subjektiv-individualbiographisch gesehen, jedermanns Sache, ein in der Nachfolge Christi verbrachtes Leben mit dem Martyrium zu krönen, sind also weder die meisten Menschen glaubensstark genug, um Dornenkrone und Kreuz als Sterbehilfe willkommen zu heißen, noch steht, objektiv-gesellschaftspolitisch genommen, zu erwarten, dass sich das Staatswesen beziehungsweise die im Staatswesen herrschende Macht in alle Zukunft gegenüber der christlichen Bewegung hinlänglich feindselig verhält, um ihr die für die Produktion von Märtyrern nötige Unterstützung und Hilfestellung zu gewähren, sprich, ihr die erforderliche Verfolgung und Repression angedeihen zu lassen.

Sowohl was die Popularisierung und räumliche Expansion, als auch was die Evolution und zeitliche Kontinuität der als Glaubensgemeinschaft, als Kirche, sich einrichtenden Bewegung angeht, stellt deshalb die Knüpfung des Heilsweges an das Erfordernis des Martyriums eine gravierende Hypothek und Einschränkung dar. Und in beiderlei Hinsicht bedeutet es dementsprechend einen wesentlichen Fortschritt und Gewinn, genauer gesagt, den Durchbruch zu einer Perspektive unbegrenzter Verbreitung und unabsehbarer Entwicklung der neuen Religion, dass durch den sakramentalen Gnadenakt der Kommunion das Martyrium, unbeschadet der Attraktivität, die es für einzelne Gläubige behält, und der Bewunderung, die es bei allen Gläubigen erregt, seine konstitutive Funktion für die Absolvierung des Heilsweges, seine Stellung als für den Empfang des Heilsmittels notwendige Kondition verliert.

Gratia der in der Kommunion statthabenden Vereinigung mit dem verklärten Leib und dem spirituellen Blut des Erlösers kann der Gläubige am Ende eines in der Nachfolge des Herrn verbrachten Lebens als vor dem Tod Erretteter aus seiner sterblichen Hülle und künstlichen Lebendigkeit hervortreten und kurzerhand des Heils teilhaftig sein, ins Himmelreich eingehen, ohne den Tod als Martyrium erleiden zu müssen, weil er ja eben das Heilsmittel, zu dessen Empfang der Tod als Martyrium die Bedingung zu schaffen dient, in der Kommunion bereits empfangen hat.


Damit der sakramentale Gnadenakt nicht auch die Nachfolge Christi überflüssig macht, verknüpft der Klerus den der Erlösung Wirksamkeit verleihenden Glauben an den Erlöser aufs Engste mit dem als Glaubensbeweis wohlverstandenen heiligen Leben. Das Problem, dem Laienstand in seinem weltlichen Dasein den Zugang zum Heil zu erhalten, löst er dadurch, dass die Laien zwar das Sakrament empfangen können, aber nur unter Anleitung und Mitwirkung eines Klerikers. Um sich nicht selbst zum rituellen Dienstleister des säkularen Daseins degradiert zu finden und seiner Nachfolge Christi den Charakter einer paradigmatischen Lebensführung zu erhalten, verlangt der Klerus dem Laienstand eine abgeschwächte Form von heiligem Leben ab und sucht durch das Institut der Beichte und die refunktionalisierte Perspektive einer Wiederkehr Christi seiner Forderung Geltung zu verschaffen.

Genau besehen, büßt durch den sakramentalen Gnadenakt der Kommunion nicht nur der passionierte Tod, das Martyrium, sondern auch das imitierte Leben, die Nachfolge Christi, den im Sinne eines Weges zum Heil maßgebenden oder jedenfalls richtungweisenden Charakter ein. Weil die gläubige An- und Einnahme des Heilsmittels in der Kommunion kraft der Identifizierung oder Vereinigung des Gläubigen mit dem verklärten Leib und dem spirituellen Blut des Erlösers, als die sie Ereignis wird, alles zum Heil Erforderliche bewirkt und der entscheidende Schritt aus der Welt der irdischen Erscheinungen in die Sphäre des platonischen Wesens, der ontologische Sprung ins Himmelreich ist und weil dieser Akt der Erlösung die Sache eines Augenblickes und im Nu vollbracht ist und ohne lange Vor- oder Nachgeschichte, ohne umständliche biographische Vor- oder Nachbereitung geschehen kann, sind die anderen zu Momenten des Heilsweges, zu Konditionen der Erlangung des Heiles, erklärten Aktionen, der Lebenswandel in der Nachfolge des Herrn nicht weniger als das passionierte Sterben nach seinem Vorbild, eigentlich hinfällig und zugunsten einer dem normalen erdenbürgerlichen Leben angemesseneren Biographie entbehrlich.

Die sich hier eröffnende Chance einer Verknüpfung der Hoffnung aufs Himmelreich und gnostischen Heilserwartung mit dem Anspruch auf eine erfüllte irdische Existenz und gesellschaftliche Bestimmung weiß freilich erst ein Zeitalter zu schätzen und zu nutzen, in dem das gesellschaftlich verfasste irdische Leben und bürgerlich geordnete diesseitige Dasein wieder ein Eigengewicht gewonnen hat und für so erhaltenswert gilt, dass selbst noch im Angesicht der unmittelbar bevorstehenden apokalyptischen Katastrophe eine mundane Handlung wie das Pflanzen eines Apfelbaums als sinnvolle und zu bejahende Option erscheint. In solch einer Situation kann in der Tat dann so etwas wie die reformatorische Reduktion der subjektiven Heilsvoraussetzungen, des persönlichen Beitrags zum Heil auf das sola fide, auf den abstrakten Glauben an nichts weiter als die erlösende Kraft des sakramentalen Glaubensakts, statthaben und das irdische Dasein ansonsten in den ihm eigenen Geschäften verlaufen, das bürgerliche Leben in allem Übrigen seinen gewohnten Gang nehmen.

Unter den in der Spätantike, der Entstehungszeit des Christentums, gegebenen Umständen hingegen kann die durch das Konzept vom Heiland als dem Erlöser, vom Heilsbringer als zugleich dem Heilsmittel, eröffnete Chance zur Beschränkung der Heilsvoraussetzungen auf den einen, jederzeit und im Nu zu vollziehenden sakramentalen Glaubensakt gar nicht als solche wahrgenommen werden. Was sollen die Gläubigen mit ihrem durch die Not und das Elend des imperialen Konkurses, durch das agonale Geschehen der ständigen Kriegswirren und des ökonomischen Verfalls, der politischen Auflösung und der sozialen Entwurzelung, die daraus resultieren, zur Last gewordenen Leben und um allen Sinn gebrachten Dasein denn schon anfangen? Was können sie Sinnvolleres damit anfangen, Besseres damit machen, als es mittels Nachahmung des Erdenwandels ihres Herrn, dadurch also, dass sie es wie er in Armut, Ehelosigkeit, asketischer Entsagung, in Barmherzigkeit und Leidensbereitschaft verbringen, als Bestandteil des Heilweges zu realisieren, es als Baustein des einzigen Werkes, das sie noch existenziell interessiert, der Überbrückung der Kluft zwischen irdischer Welt und Himmelreich, zu nutzen?

Weit entfernt davon, dass sie in der Reduktion des Heilweges auf den einen sakramentalen Gnadenakt eine Chance zur Verknüpfung ihrer Sehnsucht nach künftiger Errettung und gnostischer Verklärung mit der Verfolgung ihrer gegenwärtigen irdischen Interessen und praktischen Geschäfte gewahrten, sehen sie darin vielmehr höchstens eine Infragestellung der einzigen Sorge und Beschäftigung, die ihnen auf Erden noch geblieben ist: der tätigen Sorge um ihr Seelenheil, der ständigen Beschäftigung mit der Aufgabe, die für den Eingang ins Himmelreich nötigen oder jedenfalls nützlichen irdischen Qualifikationen zu erwerben. Im dringenden Verlangen, sich angesichts eines nurmehr lästigen Lebens und sinnlosen Daseins die Nachfolge des Herrn, die Imitation seines Erdenwandels, als entlastende Lebensaufgabe und sinnvolle Daseinsform zu erhalten, begegnen die Gläubigen der Gefahr, dass die gläubige An- und Einnahme des Heilsmittels in der Kommunion das ganze Heilsgeschäft mit einem Schlage erledigt und so die imitatio Christi, die Orientierung am Paradigma des messianischen Lebenswandels, ihrer Notwendigkeit oder Nützlichkeit beraubt und der Überflüssigkeit und Entbehrlichkeit überführt, durch eine Erhebung der dem Erdenwandel des Herrn abgeschauten Lebensführung und Daseinsgestaltung zu einer objektiven Konsequenz des dem Subjekt eigenen Glaubens, dadurch also, dass der Bedingung für die wohlgemerkt als Gnadengeschenk, nicht als magischer Effekt, zu verstehende Wirksamkeit der Kommunion, nämlich dem Glauben des Gläubigen, die imitatio Dei als unabdingbare Außenseite oder Ausdrucksform vindiziert wird, dass mit anderen Worten das eine, die innere Haltung hingebungsvoll-dogmatischen Glaubens, und das andere, das äußere Verhalten selbstlos-praktischer Nachfolge, wie Grund und Folge aufeinander bezogen oder wie Seele und Leib miteinander verknüpft erscheinen.

Wer dem Glauben an das göttliche Heilsmittel, den Erlöser, huldigt, frönt demnach auch dem unwiderstehlichen Bedürfnis, in den Fußstapfen des durch sein Leben und Sterben das Heilsmittel bereitenden, sprich, sich zum Erlöser vollendenden Heilsbringers oder Heilands zu wandeln, und in diesem Sinne ist die Nachfolge Christi, eine nach seinem Vorbild in Armut, Ehelosigkeit, asketischer Entsagung, in Barmherzigkeit und Leidensbereitschaft, kurz, in mönchisch exklusiver Sorge um und Okkupation durch das Heil, natürliche Konsequenz oder selbstverständliche Äußerung eben jenes Glaubens, Glaubensbeweis nicht zwar in der Bedeutung, dass sie den Glauben exerziert und beschwört, wohl aber in dem Verstand, dass sie ihn manifestiert und bezeugt.

Die enge Verknüpfung des sakramentalen Glaubens an den Erlöser mit der – wenn auch dank des sakramentalen Erlösungsakts um das Moment des Martyriums gekürzten – Nachfolge Christi, will heißen, die strikte Bestimmung des gläubigen Daseins als mönchischer Existenz, schafft nun allerdings in dem Maße, wie sich die Gesellschaft in Klerus und Laienstand aufteilt und diese Aufteilung zum festen Strukturmerkmal ausbildet, das Problem, wie für den Laienstand die Teilhabe am Heil zu gewährleisten ist. Solange in der Verfallszeit der Spätantike und in der anschließenden Epoche allgemeinen gesellschaftlichen Zusammenbruchs und fehlender staatlicher Ordnung die Weltfluchtbewegung die Szene beherrscht und die den sakramentalen Glauben an den Erlöser mit der Nachfolge Christi unlösbar verknüpfende mönchische Existenz noch als eine im Prinzip jedermann zugängliche Option erscheint, ist diese Dichotomisierung der Gesellschaft in Kleriker und Laien kein Thema, zumal im Unterschied zum buddhistischen Mönchstum die mönchische Existenz des Christentums unter dem Druck der in den Regionen des vormals römischen Reichs fehlenden gesellschaftlich organisierten Subsistenz und des entsprechend schwer zu sichernden Lebensunterhalts schon früh die Sorge um das Heil mit der Aufgabe der Selbstversorgung, die kontemplative Antizipation des himmlischen Lebens mit einer aktiven Organisation des der Kontemplation geweihten irdischen Lebens, das Ora mit dem Labora verbindet und also anders als beim Bettelmönchstum der buddhistischen Weltfluchttradition, das definitionsgemäß auf die Unterstützung weltverhafteter Artgenossen angewiesen ist, die sich ebenso wohl als Arbeitsgemeinschaften verstehenden und einrichtenden christlichen Klöster nicht quasi logisch-systematisch einen zu ihrer Unterstützung und Erhaltung erforderlichen Laienstand implizieren.

In dem Maße freilich, wie die politisch-ökonomischen Verhältnisse sich nach dem allgemeinen Zusammenbruch wieder konsolidieren und die neuen, durch die Verfallsgeschichte des Römischen Reiches ins Spiel gebrachten ethnischen Gruppen und Völkerschaften, die sich in den Trümmern und Ruinen des römischen Reichsgebäudes häuslich einrichten, zwar den christlichen Glauben und seine weltflüchtige Heilserwartung als ironischerweise authentisches Vermächtnis und exklusives Unterpfand der Kultur, deren Erbe sie antreten, annehmen und sich zu eigen machen, gleichzeitig aber, fern jeden Lebensüberdrusses und bar aller Weltverneinung, das irdische Leben auskosten und im weltlichen Dasein und seinen Geschäften zu Hause sein wollen, kommt es nun – nicht zwar mit der systematischen Notwendigkeit eines anders nicht zu befriedigenden christlichen Heilsstrebens, wohl aber mit der historischen Zwangsläufigkeit eines auf Dauer nicht zu unterdrückenden menschlichen Lebenswillens – zu einer solchen Dichotomisierung der Gesellschaft, bei der sich Kleriker, die den gläubigen Empfang des sakramentalen Heils strikt an eine als Glaubensbeweis wohlverstandene Lebensführung in der Nachfolge des Herrn knüpfen, und Laien gegenüberstehen, die wegen ihrer freiwilligen oder erzwungenen Zugehörigkeit zu den neu entstandenen Systemen weltlicher Herrschaft nicht bereit oder nicht in der Lage sind, ihrer Heilserwartung beziehungsweise ihrem Heilsanspruch zuliebe das weltliche Engagement und ihre irdischen Geschäfte aufzugeben.

Und diese schroffe Konfrontation beschwört nun also zwangsläufig das Problem herauf, wie sich der Heilserwartung der letzteren überhaupt entsprechen, wie sich der Heilsanspruch der Laien erfüllen lässt. Hält der Klerus an seiner strikten Verknüpfung der als sakramentale Erlösung inszenierten messianischen Errettung mit der messianischen Nachfolge, der imitatio Christi, als der conditio sine qua non zur Erlangung des Heiles fest, so bleibt der in seinen weltlichen Bewandtnissen und irdischen Interessen befangene Laienstand unfehlbar vom Empfang des Heilsmittels ausgeschlossen und findet sich in seinem Heilsanspruch unabwendbar frustriert. Wird hingegen die in der Inszenierung der messianischen Errettung als sakramentaler Erlösung gelegene Chance zur Abkoppelung der Teilhabe am Heil und Qualifizierung fürs himmlische Sein von allen irdischen Daseinsbedingungen und jeglicher Lebensführung wahrgenommen, verliert die imitatio Christi ihren objektiven Sinn und ihre konstitutive Funktion und wird der Entwertung der mönchisch-geistlichen Lebensform, wie sie später unter dem als List der Vernunft des Bedürfnisses nach Säkularisierung unschwer erkennbaren Banner eines Triumphs des reinen Glaubens und Vertrauens in die göttliche Gnade die Reformation durchsetzt, Tür und Tor geöffnet.

Die Lösung des eigentlich unlösbaren Dilemmas besteht in einem ebenso absonderlichen wie ingeniösen Kompromiss: Zwar wird den Laien die Erlösung durch das von der Notwendigkeit eines heiligen Lebens abstrahierte Sakrament zugestanden, aber nur unter der Bedingung, dass an der sakramentalen Handlung ein Kleriker mitwirkt. Als Repräsentant oder Stellvertreter des mit seinem passioniert-entsagungsvollen Erdenwandel die via regia zum Heil weisenden Messias verschafft er, der wie sein Paradigma dem selbstlosen Dienst am Menschen sich weihende Priester, dem Glauben des Laien allererst die erforderliche Beglaubigung oder Beweiskraft, um den erhofften oder erbetenen sakramentalen Gnadenakt zu einem zuversichtlich zu erwartenden, getrost anzunehmenden Ereignis werden zu lassen. Durch seine Präsenz und Mitwirkung verleiht der Priester der Kommunionshandlung den nötigen Opfersinn und Geist der Wahrhaftigkeit, um das Opfer des Erlösers, die Erfüllung der menschlichen Kreatur mit dem ewiges Leben schenkenden Pneuma des Verklärten, als eine wenn auch nicht dem magischen Zwang des ago ut agas gehorchende, so jedenfalls doch dem moralischen Gebot des do ut des verpflichtete Konsequenz erscheinen zu lassen.

Sinnenfälligen, um nicht zu sagen, plakativen Ausdruck findet diese Beglaubigung oder Bewahrheitung der sakramentalen Veranstaltung des Laien durch den im buchstäblichen Sinne als Nachfolger Christi firmierenden Kleriker, die das säkulare Bewusstsein mit dem rechten Geist, die profane Erwartung mit sakraler Inbrunst erfüllt, in der Arbeitsteilung des Kommunionsvorgangs selbst, die zwar dem Laien den Empfang des im Brot verklärten Leibes, mithin die Erlösung, zugesteht, den Genuss des im Wein spiritualisierten Lebens hingegen, mithin die Feier der Erlösung, ihre triumphale Begeisterung, dem Priester vorbehält.

Durch diese zum Geheimnis des Erfolgs der Veranstaltung erklärte Mitwirkung des Klerus an der Kommunionshandlung des Laienstands gelingt es also, dem letzteren ungeachtet seines säkularen Daseins, das der für wesentlich erklärten Verknüpfung von Glaube und Glaubensbeweis, Hoffen auf den Erlöser und messianischer Nachfolge widerstreitet, den Zugang zum sakramentalen Heil zu sichern und gleichzeitig dem ersteren seine Existenzberechtigung zu erhalten, sprich, jene für sein Bestehen konstitutive Verknüpfung von sakramentalem Glauben und imitatio Christi als sinnvoll und vielmehr notwendig zu reaffirmieren. Und nicht nur gleichermaßen den persönlichen Sinn und die heilsgeschichtliche Notwendigkeit des priesterlich-heiligen, in der Nachfolge Christi verbrachten Lebens lässt demnach diese dem Laienstand gemachte Konzession einer ohne messianische Nachfolge, aus dem Stand des säkularen Daseins heraus, zu erlangenden sakramentalen Erlösung unangetastet, die Konstruktion eines im Kombinat vollzogenen Kommunionsakts hat mehr noch zur Folge, dass der Klerus dauerhafte gesellschaftliche Macht über den Laienstand und relativen realgeschichtlichen Einfluss auf ihn beanspruchen kann.

So gewiss die nach dem Zusammenbruch der Antike auf alten Fundamenten, auf territorialherrschaftlich-fronwirtschaftlicher Basis, neu sich bildenden Gesellschaften als Erben der Antike und Vollstrecker ihres zum Offenbarungseid der Eitelkeit menschlichen Strebens und Wirkens geratenen Testaments ihr säkulares Leben, ungeachtet seines wiedergewonnenen Selbstwerts und Eigenwillens, unter die heilsgeschichtliche Perspektive stellen und so gewiss die heilsgeschichtliche Perspektive ihre entscheidende Konkretisierung im Konstrukt der sakramentalen Erlösung, im Kommunionsakt, erhält, so gewiss gewinnt der die imitatio Christi praktizierende Klerus als kraft seines demonstrativen Glaubens für den Vollzug des Kommunionsakts unabdingbares katalytisches Ferment, als für die Errettung der Laien unverzichtbarer Wirkfaktor, eine zentrale Position und Bedeutung in den neuentstehenden Gesellschaften und ist ihnen ebenso unentbehrlich, ebenso sehr ein kategoriales Organisationsmittel ihres Daseins auf Erden wie die als transzendentaler Bezugspunkt dieses Daseins fungierende Heilsperspektive selbst.

Allerdings ist, rein auf die Mitwirkung am Kommunionsakt beschränkt und also in einem liturgischen Beitrag, der bar jeder säkularen Relevanz auf nichts als eben nur die Heilsperspektive abzielt, sich erschöpfend, der Einfluss des Klerus auf den Laienstand eher lebensbegleitend ritueller als lebensbestimmend doktrineller Natur. Mit anderen Worten, von Haus seiner bloß sakramentalen Rolle in den neuentstehenden und den christlichen Glauben quasi als Ausweis ihres Anspruchs auf das Erbe der antiken Errungenschaften, als Unterpfand der Zivilisationsreife, kollektiv adaptierenden territorialherrschaftlichen Gesellschaften ist der Klerus einschließlich seiner Lebensform eine mit diesen Gesellschaften ebenso unvermittelte wie eng verbundene besondere Einrichtung und bleibt, was er zu ihnen beiträgt, eine realgeschichtlich-habituell ebenso folgenlose wie heilsgeschichtlich-instrumentell grundlegende Leistung.

Wenn so der sein Verhältnis zum Laienstand und seine eigene Existenzberechtigung in den neuen territorialherrschaftlichen Gesellschaften auf seine Mitwirkung am Akt der sakramentalen Erlösung gründende Klerus zwar technisch-faktisch den Mitgliedern der laizistischen Gesellschaft das Seelenheil, das ewige Leben sichert und insofern höchste Bedeutung für ihre jenseitige Perspektive beansprucht, moralisch-praktisch aber ohne jeden Einfluss auf ihr empirisches Dasein, ihr alltägliches Leben bleibt und an der Gestaltung ihres diesseitigen Prospekts keinerlei Anteil hat, so birgt das freilich die Gefahr in sich, dass die Konzession, die er dem Laienstand macht, die Ausnahmeregelung, die er für ihn ersinnt, indem er ihm durch den mit vereinten Kräften zelebrierten sakramentalen Erlösungsakt ermöglicht, ein relativ säkulares Leben zu führen, ohne dadurch sein Seelenheil zu verwirken – dass also diese Konzession und Ausnahmeregelung sich als Freibrief und allein geltende Regel entpuppt, auf deren Grundlage nun umgekehrt sein klerikales Leben, sein in der Nachfolge des Messias verbrachtes Dasein allen heilsgeschichtlichen Eigenwert, alle Qualität einer für das Menschsein vorbildlichen Lebensführung einbüßt und sich der ausschließlichen Funktion einer zwecks sakramentaler Versorgung der Laien, zwecks Ausübung also eines seelsorgerischen Amtes zu erfüllenden rein instrumentellen Veranstaltung und rituellen Voraussetzung überführt findet. Es besteht mit anderen Worten die Gefahr, dass das als imitatio Christi wohlverstandene klerikale Leben seiner Bedeutung als via regia zum Heil beraubt wird und sich vielmehr auf die Rolle einer priesterlich-rituellen Veranstaltung zur Sakramentalisierung eben des säkularen Lebens reduziert, das es durch seine Intervention und Mitwirkung doch eigentlich nur vor der völligen Abkoppelung vom Heilsweg und dem Versinken in Heillosigkeit bewahren will.

Um dieser Gefahr zu begegnen, muss der Klerus quasi einen Rückzieher machen und, wie er zwar durch seine Mitwirkung am sakramentalen Erlösungsakt dem Laienstand einerseits ermöglicht, das Heil zu erlangen, ohne den Glaubensbeweis eines in der Nachfolge Christi geführten Lebens erbringen zu müssen, so ihm andererseits doch aber eine Art von klerikaler Lebensführung als Heilsbedingung abverlangen. Nur wenn es gelingt, das säkulare Dasein, nachdem es dank der maßgebenden Mitwirkung des Klerus am sakramentalen Erlösungsakt von der Notwendigkeit zur imitatio Christi entbunden und in die diskrete Stellung einer zum heiligen Leben der Geistlichkeit alternativen Option versetzt ist, wiederum in eine Art von Kontinuität zu letzterem zurückzubringen und in dessen wie immer abgeschwächtes, wie immer zu einer Imitation zweiten Grades, einer Nachfolge zweiter Hand entschärftes Ebenbild zu verwandeln – nur dann lässt sich verhindern, dass das diskret gemachte säkulare Dasein das in der Nachfolge des messianischen Erdenwandels vollbrachte und an sich ja die Kontinuität des Heilsweges repräsentierende geistliche Leben seines repräsentativen Anspruchs, seiner paradigmatischen Verbindlichkeit, eben seiner Kontinuität als allein seligmachenden Heilsweges, beraubt und es zu einer auf sakramentale Handreichungen spezialisierten rituellen Zutat, einem seelsorgerische Dienstleistungen erbringenden institutionellen Requisit des zwar abstrakt-perspektivisch unter der Heilsprämisse stehenden, faktisch-empirisch aber seine Selbständigkeit behauptenden und unabhängig von der Rücksicht aufs Heil seine Bahn beschreibenden Erdenlebens degradiert.

Der Klerus dringt also darauf, dass die Laien das am Paradigma des Erdenwandels des Herrn orientierte klerikale Leben als im Prinzip auch für sie exemplarisch anerkennen und partiell zumindest imitieren, dass sie wenn schon nicht im Zölibat leben, so immerhin zuzeiten geschlechtliche Enthaltung üben, wenn schon nicht asketischer Entsagung huldigen, so doch aber in Abständen fasten und sich kasteien, wenn schon nicht dem Dienst am Nächsten, der Barmherzigkeit, sich verschreiben, so jedenfalls doch Almosen geben und Nächstenliebe beweisen, wenn schon nicht leidensbereit sind, so wenigstens doch diejenigen ehren und als jedermanns Vorbilder hochhalten, die durch ihr Leben und Sterben solche Leidensbereitschaft bezeugen. Der Klerus fordert den Laien diesen wie auch immer gegenüber einer absolut klerikalen Lebensführung modifizierten und im Vergleich zu ihr abgeschwächten biographischen Glaubensbeweis ab und bedroht sie, um seiner Forderung den nötigen Nachdruck zu verleihen, für den Fall, dass sie ihr nicht nachkommen, mit der Exkommunikation, dem Ausschluss vom gemeinsam zelebrierten und eben durch die Gemeinsamkeit überhaupt nur Wirksamkeit erlangenden sakramentalen Erlösungsakt.

Wenn die Laien versäumen, durch die Gestaltung ihres säkularen Daseins der Vorbildlichkeit einer klerikalen Lebensführung Tribut zu zollen und damit die relative Kontinuität zwischen geistlichem und weltlichem Leben, Heilsweg und Erdenbahn, imitatio Christi und ductus mundi zu reaffirmieren, sich mit anderen Worten dazu zu bekennen, dass ihr irdisches Dasein immer doch eine Spiel- und Lesart der messianischen Nachfolge bleibt und nicht etwa die messianische Nachfolge zur bloß rituellen Einrichtung und offizialen Funktion des irdischen Daseins verkommt – wenn die Laien dies sicherzustellen versäumen, dann weigert sich umgekehrt der Klerus, an ihrer Kommunion mitzuwirken und letzterer durch seine Mitwirkung die für die Wirksamkeit des Gnadenakts nötige Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Und gleichzeitig führt der Klerus mit dem Institut der Beichte ein striktes Kontrollinstrument ein, durch das er die den Laien auferlegte quasiklerikale Lebensführung zu überwachen und jeden Verstoß gegen die Auflagen zu entdecken und zu ahnden sucht. Sowenig er verhindern kann, dass die säkularen Interessen über die klerikalen Gebote immer wieder den Sieg davon tragen, weltliche Absichten immer wieder zum Vergessen oder zur Vernachlässigung der geistlichen Rücksichten führen, sosehr besteht er doch darauf, dass solches Versäumnis nicht unbemerkt und ungesühnt bleibt und dass sich die Laien immer wieder zur relativen Kontinuität zwischen paradigmatisch klerikalem Leben und emulatorisch säkularem Dasein bekennen, sich durch Reue und Buße, was ihre vergangenen Verfehlungen betrifft, und durch gute Vorsätze, was ihre künftige Lebensführung angeht, immer wieder für das Zusammenwirken mit ihm, dem das Heilsmittel dispensierenden Klerus, qualifizieren, sich immer wieder die für ihre Teilhabe an der Kommunion erforderliche Bestätigung ihres durch ihre Sünden unbeschädigten Glaubens an den Erlöser, die Absolution, erteilen lassen.

Aber natürlich bietet selbst die regelmäßigste Beichte und umfassendste Rechenschaft, die ausgefeilteste konfessionelle Kontrolle, keinen Schutz vor Lug und Trug und kann nicht davor bewahren, dass die in modifizierter Nachahmung der klerikalen Nachfolge Christi und in relativer Kontinuität dazu von den Laien zu erbringenden Glaubensbeweise unter dem Einfluss der säkularen Geschäfte und Verführungen entweder gar nicht erbracht werden und die Laien ihr Versäumnis mit Stillschweigen übergehen und verheimlichen oder aber ohne inneres Engagement, als äußerliche, lästige Verpflichtung vollzogen werden und die Laien also im Geiste verraten und Lügen strafen, was sie im Buchstaben zu befolgen und zu bezeugen vorgeben. Und es geschieht in diesem Zusammenhang, im Rahmen des Bemühens, die in Form von modifiziert klerikalen Glaubensbeweisen vom Laienstand zu demonstrierende Glaubenstreue einer wirksamen, weil nicht nur von außen geübten, sondern quasi als innere Zensur funktionierenden Kontrolle zu unterwerfen, dass nun der Klerus eine durch die theologische Entwicklung überholte heilsprozessuale Figur, die Wiederkehr des Messias, aus der Versenkung holt und, mit neuer Bedeutung versehen, abermals in Gebrauch nimmt.

Tatsächlich ist ja die Erwartung der Wiederkehr des Herrn logisch gebunden an die Vorstellung vom Erdenwandel des Herrn als von einem Testlauf und demonstrativen Vorgang, dem die eigentliche Tat, das entscheidende Ereignis, die Übergabe des im Testlauf als wirksam erprobten Heilsmittels an die zu errettenden Menschen, noch folgen muss. Und tatsächlich ist diese Erwartung in dem Augenblick obsolet und unsinnig, in dem die im Passahgeschehen gründende Konstruktion einer postmortalen oder vielmehr sakramentalen Austeilung des Heilsmittels die Errettung qua Erlösung als je schon vollbracht erkennbar und den Erdenwandel des Herrn, sein Leben und Sterben, als eine von allem bloßen Testlauf und demonstrativen Vorgang himmelweit entfernte Vor- und Zubereitung des Gnadenakts der Kommunion, der sakramentalen Erlösungsleistung, interpretierbar werden lässt. So gewiss der Messias durch sein paradigmatisches Leben und seine Passion bereits alle, für die hier und jetzt zu vollziehende Salvierung des Menschen nötigen Voraussetzungen geschaffen hat und für die Erlangung des Heils nichts weiter mehr erforderlich ist als die gläubige An- und Einnahme des in Gestalt von Brot und Wein präsenten verklärten Leibes und vergeistigten Blutes des Gekreuzigten, sprich, des vom Heiland als dem Erlöser testamentarisch verheißenen Heilsmittels, so gewiss kann sich der Messias die persönlich-reale Wiederkehr, weil er sie ja als versöhnlich-sakramentale in jeder Kommunionshandlung bereits vollzieht, sparen und kann in aller Seelenruhe, mit aller dem ewigen Leben gegebenen Geduld darauf warten, dass die dank seiner als sakramentaler Gnadenakt geübten spirituellen Opferhandlung in den Besitz des Heilsmittels gelangten und vor dem Tode erretteten Menschen in actu ihrer im Augenblick des Todes statthabenden Verklärung und Entrückung ins Himmelreich Einzug halten und sich bei ihm einfinden.

Nun aber erhält aufgrund des Bemühens, das säkulare Leben in die Schranken klerikaler Verfasstheit und Orientierung zu weisen und es darin zu erhalten, die Wiederkehr des Herrn eine neue Relevanz und Funktion. Wiederkehren muss der Heiland nun zwar nicht mehr, um den Menschen das Heilsmittel zu bringen – das hat er als Erlöser ja je schon getan –, wohl aber, um die Rechtmäßigkeit der Austeilung des Heilsmittels, die Haltbarkeit des Anspruchs, den der Empfänger darauf erhebt, abschließend zu prüfen und zu bestätigen beziehungsweise zu verwerfen. Nicht nur nutzt also der Klerus das Institut der Beichte, um der von ihm durchgesetzten Bindung der Wirksamkeit des sakramentalen Gnadenakts an den vom Laien zu erbringenden Glaubensbeweis eines quasiklerikalen Lebens Nachdruck und ständig einklagbare Aktualität zu verleihen, er greift zu diesem Zweck mehr noch auf die eigentlich überholte Einrichtung der Wiederkehr des Herrn zurück und funktioniert sie in eine als Jüngstes Gericht firmierende allgemeine Inventur oder Generalrevision um, bei der geprüft wird, ob der Betreffende in seinem irdischen Dasein die für die Wirksamkeit des sakramentalen Heilsmittels aufgestellte Bedingung einer quasiklerikalen Lebensführung erfüllt hat oder nicht und ob er mithin wirklich im Besitz des Heilsmittels ist oder es vielmehr verwirkt hat, ob ihm durch das Heilsmittel das ewige Leben zuteil wird, er ins Himmelreich gelangt, oder ob ihm das Himmelreich versperrt bleibt und er dem Tod verfallen ist.

Indem die Übertragung des Heilsmittels zwar durch den ans Passahereignis angelehnten sakramentalen Erlösungsakt gesichert, die Wirksamkeit, sprich, Wirklichkeit der Übertragung aber vom Glauben an den Erlöser und dem durch das eigene Leben für diesen Glauben zu erbringenden Beweis abhängig gemacht wird, steht die durchs Sakrament vollbrachte Erlösung unter einem fundamentalen Vorbehalt, den der wiederkehrende Messias zur Geltung bringt – unter dem Vorbehalt einer letzten Buchprüfung, die das Soll der Versäumnisse, jener Bedingung nachzukommen, und das Haben einer der Bedingung gemäßen Lebensführung bilanziert und danach letztinstanzlich entscheidet, ob die Erlösung in der Kommunion wirksam ist, sprich, wirklich stattgefunden hat oder nicht, ob, kurz, der Betreffende definitiv erlöst oder indefinit verdammt ist.

Mit dieser diabolisch-genialen Umfunktionierung der Wiederkehr des Heilands aus einer durch die Faktizität der Entwicklung des Glaubens in genere und des Kommunionsereignisses in specie pauschal überholten, ein- für allemal obsoleten Realisierungs- und Implementierungshandlung in einen für die Faktizität der Entwicklung des Glaubens in genere und des Kommunionsereignisses in specie transzendental entscheidenden und für alle Zeit virulenten Verifizierungs- und Sanktionierungsakt gelingt es also dem Klerus, dem Laienstand ein als eine Art von innerer Zensur funktionierendes letztinstanzliches Kontrollorgan für die Einhaltung des ihm in Ansehung der Gestaltung seines säkularen Lebens auferlegten quasiklerikalen Regimes zu vindizieren und auf diese Weise also effektiv für die Aufrechterhaltung einer relativen Kontinuität zwischen weltlichem Dasein und geistlichem Leben zu sorgen. Allerdings um den Preis, dass mit fortschreitender Säkularisierung oder Präokkupation durch irdische Geschäfte beziehungsweise Verführung durch zivilisatorische Genüsse und mit entsprechend zunehmender Schwierigkeit, den quasiklerikalen Auflagen nachzukommen und den Einklang beider Lebensweisen halbwegs zu wahren, auch die Unsicherheit im Blick auf den Ausgang des Jüngsten Gerichts wächst und die Angst der gläubigen Laien, es möchte dort, allen sakramentalen Tröstungen und allen ernstlichen Bemühungen um ein in der Nachfolge Christi verbrachtes Dasein zum Trotz, das dicke Ende eines biographischen Debet ihrer harren und ihnen die Heilsrechnung als Todesurteil präsentiert werden, ihr Leben immer stärker überschattet und sie bereits zu Lebzeiten in eben das Heulen und Zähneklappern verfallen lässt, dessen sie als einer Konsequenz der Wiederkehr des Messias und seines Gerichts gewärtig sein müssen.

Diese den säkularen Prospekt im paradoxen Zugleich mit der progressiven Aufhellung seiner empirischen Aussichten und materiellen Offerten gefangen haltende religiöse Düsternis und moralische Bekümmerung hebt sich erst, als das säkulare Dasein dank seiner materialen Begründung und sozialen Entfaltung selbständig und selbstbewusst genug geworden ist, um sich vom paradigmatischen Imperativ des klerikalen Lebens, seinem Anspruch, allem heilsorientierten Erdenwandel das Grundschema vorzugeben, zu befreien und damit die der Forderung nach der nachweislichen Übereinstimmung des Erdenwandels mit der klerikalen Vorlage entspringenden beiden Einrichtungen, das als äußere Kontrollinstanz funktionierende Institut der Beichte und die als innere Zensur wirksame Verheißung beziehungsweise Drohung der Wiederkehr Christi und seiner als Weltgericht inszenierten letztinstanzlichen Buchprüfung, hinfällig werden zu lassen. In dem Maße, wie unter dem objektiv ebenso irreführenden wie subjektiv mitreißenden Banner einer Reformation des Glaubens die in einer modifizierten Form der Nachfolge Christi bestehenden Glaubensbeweise als biographische Voraussetzung für die Wirksamkeit des sakramentalen Gnadenakts demontiert und abgeschafft werden und nichts mehr die sakramentale Erlösung zu garantieren vermag als die gläubige Annahme des Heilsmittels als solche, die rein innere Haltung, das sola fide, entscheidet sich die Wirksamkeit des sakramentalen Erlösungsakts ad hoc und vor Ort der sakramentalen Handlung selbst und ergibt eine Gerichtsverhandlung, die das zu Lebzeiten empfangene Sakrament als konditionierte Vorleistung erkennt und seine endgültige Übereignung und Sanktionierung vom Zeugnis eines auf Herz und Nieren zu überprüfenden Lebenslaufs abhängig macht, keinen Sinn mehr.

Zwar kennt auch das zum sola fide erneuerte Bewusstsein nach wie vor Angst vor der Verdammnis, aber die ist nun keine Sündenangst mehr, keine Besorgnis, den mit der Nachfolge Christi verknüpften habituellen Anforderungen nicht genügt zu haben und dafür am Ende der Tage durch das Verdikt des Richters bestraft zu werden, sondern Glaubensangst, die Sorge, es an der für den Empfang des sakramentalen Heilsmittels nötigen, weil auf die Gnade des Herrn bauenden (und damit ebenso nebenbei wie automatisch auch ein Leben im Herrn, ein Gott wohlgefälliges Dasein mit sich bringenden) Glaubenskraft fehlen zu lassen – wobei diese Sorge in dem Maße an Dringlichkeit gewinnt, die Furcht vor der Verdammnis in dem Maße bedrängender wird, wie die Frage der subjektiven Glaubenskraft zur Chiffre und Deckadresse einer objektiv begründeten Glaubenskrise wird und es im Zuge der säkularen Ernüchterung und Abdankung der gnostisch-christlichen Heilsperspektive in Wahrheit gar nicht mehr um das Problem der Stärke und Aufrichtigkeit des Glaubens an den Erlöser, sondern um den noch uneingestandenen und darum auf jenes Problem verschobenen Zweifel an der Glaubwürdigkeit und Evidenz des Dogmas von der Erlösung selbst geht, eines Dogmas, das, wie die allgemeine Heilsperspektive, die durch es konkretisiert und praktikabel gemacht wird, bei aller inneren Logik und argumentativen Vernunft, auf die es Anspruch erheben darf, doch aber das Moment von sinnverwirrender Verzweiflung, dem es entspringt, nicht verleugnen kann und deshalb aus Sicht des mit der irdischen Welt geschlossenen Friedens und wiederhergestellten Einklangs als der sprichwörtliche Wahnsinn, der Methode hat, erscheinen muss.

Ein kurioses und leicht gespenstisches Eigen- beziehungsweise Nachleben ist dem Topos von der Wiederkehr Christi noch beschieden. Der Grund dafür liegt in den gesellschaftlichen Konflikten und Verwerfungen, den ökonomischen Enteignungs- und politischen Unterdrückungsprozessen, die sich im Zuge der neuerlichen materiellen Konsolidierung und organisatorischen Institutionalisierung des irdischen Daseins, der wiederaufgenommenen Schöpfung gesellschaftlichen Reichtums und Etablierung staatlicher Herrschaft abermals einstellen. Für diejenigen Schichten und Gruppen der neuen, christlichen Gesellschaften, die zwar dem irdischen Dasein durchaus zurückgegeben und zugewandt sind, sich gleichzeitig aber durch es Benachteiligungen ausgesetzt und in Bedrängnis gebracht finden, gewinnt die Vorstellung von der Wiederkehr des davidischen Herrn erneut jene diesseitig-historische Verheißungsqualität, die sie in der jüdisch-messianischen Tradition ja hat, ehe der christlich-heilsgeschichtliche Anspruch sie sich zu eigen macht und in den Dienst einer jenseitig-gnostischen Erlösungshoffnung stellt – eine Qualität ganz und gar weltlicher Verheißung, die in den das jüdische Erbe mitführenden heiligen Schriften des Christentums weidlich bezeugt und belegt ist und auf die sich jene Gruppen und Schichten als auf eine durch den Kontext geheiligte Botschaft nur zu berufen brauchen, um ihre Aspirationen auf irdische Erfüllung und diesseitiges Glück zu untermauern.

Freilich bleibt diese regressive Reklamation irdischer Wohlfahrt, wenn sie sich nicht ins Abseits einer heterodoxen Verirrung begeben will, eingebettet in oder jedenfalls gebunden an die übergreifende orthodoxe Perspektive eines Strebens nach gnostischer Erlösung und himmlischem Heil – mit dem Ergebnis des als Chiliasmus bekannten verrückten Kompromisses, der die Hoffnung auf ein ewiges Leben und himmlisches Sein nach der Wiederkehr Christi mit der Erwartung einer erfüllten Zeit und irdischen Wirklichkeit in einem durch die Wiederkehr Christi erst einmal auf den Plan gerufenen Tausendjährigen Reich verknüpft. Nichts beweist besser die ebenso abgründig suggestive wie von absoluter Negativität erfüllte Kraft jener zum sakramentalen Erlösungsprospekt, sprich, zum Wahnsinn, der Methode hat, konkretisierten transzendenten Heilsperspektive als diese chiliastisch-beharrliche Verquickung eines der Sache nach rein immanenten Glücksstrebens mit dem als contradictio in adjectum solchen Strebens erscheinenden und sich als apokalyptische Vernichtung allen irdischen Bestehens und diesseitigen Daseins zur Geltung bringenden kategorischen Himmelskommando und unwiderruflichen Weltenende des Jüngsten Gerichts.

next up previous contents
Up: krise Previous: 5. Der Herr des Seins   Contents
vorheriges kapitel übersicht