I. Die empirische Erscheinung der medialen Information
1. Die Medien als HerrschaftsmittelDie Ausdehnung und Beschleunigung, die im 20. Jahrhundert die serielle Schöpfung und industrielle Fertigung von Bedürfnisbefriedigungsmitteln ganz allgemein erfahren hat, ist schwindelerregend. In besonderem Maß aber gilt das für jenen Bereich der Produktion, der auf die Befriedigung von Informations- und Unterhaltungsbedürfnissen abzielt. Hat schon in der ersten Hälfte des Jahrhunderts das Dreigespann aus Presse, Funk und Film dem Informations- und Unterhaltungssektor zur Stellung eines als Kulturindustrie ausgemachten repräsentativen Bestandteils der Konsumgüterproduktion verholfen, so ist durch den Hinzutritt des Fernsehens und damit liierter anderer elektronischer Medien dieser Sektor in der zweiten Jahrhunderthälfte vollends zum, wie man will, Leitfossil oder dynamischen Zentrum des Konsumgüterbereichs avanciert. Im Unterschied zu anderen Sektoren dieses Bereichs macht jener besondere Sektor auch vor den Toren der sogenannten Dritten Welt, der unzureichend oder kaum industrialisierten, armen Länder der Erde, nicht halt. Selbst dort, wo andere lebensnotwendige und lebenserleichternde Konsumgüter, Nahrung und Komfort, eklatant knapp sind oder krass fehlen, findet sich häufig immer noch ein vergleichsweise üppiges Angebot an Erzeugnissen jener auf Information und Unterhaltung abgestellten Industrie. Anzunehmen, dass die weltweite Verbreitung und relative Omnipräsenz solcher der Information und Unterhaltung dienenden Bedürfnisbefriedigungsmittel Ausdruck der besonderen Dringlichkeit der durch sie befriedigten Bedürfnisse sei, Beweis sei für die in diesem Punkte besondere Bedürftigkeit der mit ihnen versorgten Subjekte, wäre nicht nur naiv, sondern angesichts des Mangels, den, wie gesagt, lebenswichtigere Bedürfnisse oft gleichzeitig leiden müssen, geradezu zynisch. Tatsächlich ist es ein offenes Geheimnis, dass die Verbreitung und Allgegenwart der Produkte der Informations- und Unterhaltungsindustrie ihre primäre Ursache nicht in menschlichen Bedürfnissen, sondern in politischen Interessen hat, nicht in der Nachfrage derer, die diese Produkte konsumieren, sondern in den Vorkehrungen derer, die mittels ihrer die Konsumenten manipulieren wollen. Es ist mit anderen Worten ein offenes Geheimnis, dass Herrschende in aller Welt in jenen kulturindustriellen Erzeugnissen ein geeignetes Mittel zur sozialen Domestizierung, politischen Indoktrinierung und ideologischen Formierung der ihrer Kuratel Unterstellten sehen und der Kulturindustrie deshalb alle nur denkbare organisatorische Unterstützung und finanzielle Förderung angedeihen lassen.
Mag aber die Tauglichkeit des hochindustriell produzierenden Informations- und Unterhaltungssektors für Zwecke der sozialen Disziplinierung, politischen Entmündigung und ideologischen Repression, kurz, für Zwecke der Aufrechterhaltung und Befestigung von Herrschaft, empirisch noch so weltweit bezeugt sein, theoretisch erklärt ist sie damit noch lange nicht. So anschaulich sie sich dem Quod est, dem generellen Faktum nach darbietet, so schwer verständlich präsentiert sie sich ihrem Quid est, ihrem speziellen Modus nach. Dem in gewohnheitsmäßigen Vorstellungen befangenen ersten Blick will diese der Informations- und Unterhaltungsbranche von der Empirie attestierte Tauglichkeit für Herrschaftszwecke theoretisch so wenig einleuchten, dass er vielfach sogar dazu neigt, die eigentlich unbezweifelbare Evidenz des empirischen Attests in Abrede zu stellen. Jenem traditionsbewusst ersten Blick gilt Information im Gegenteil als ein von Haus aus herrschaftsfeindliches Instrument, ein eher zur Entkräftigung und Destabilisierung als zur Aufrechterhaltung und Befestigung von Herrschaft geeignetes Mittel, gilt der ganze Informationsbereich im historischen Fluchtpunkt seiner um die Pressefreiheit zentrierten gesellschaftlichen Funktion als untrennbar assoziiert mit politischer Aufklärung, sozialer Emanzipation, bürgerlicher Öffentlichkeit. Warum sollte diese den bürgerlichen Informationsbereich traditionell auszeichnende, herrschaftsfeindliche, weil kritisch-aufklärerische Grundverfassung sich inzwischen geändert, gar in ihr Gegenteil verkehrt haben?
Allenfalls erklärt sich unter dem Eindruck einer genau dies Gegenteil aufklärungsfeindlich-herrschaftsdienlicher Information als den Regelfall unserer modernen Gesellschaft unter Beweis stellenden Empirie jener traditionelle Blick bereit, seine Vorstellung vom Informationssektor in dem Sinne zu revidieren, dass er ihn, statt als Hort politischer Aufklärung und sachlicher Kritik, nurmehr als bloßes Ensemble technischer Möglichkeiten und sächlicher Bedingungen begreift, die für die Nachrichtenübermittlung im allgemeinen zur Verfügung stehen und für Herrschaftsinteressen ebenso gut wie für kritische Intentionen, für Zwecke der ideologischen Indoktrination ebenso gut wie für aufklärerische emanzipatorische Absichten brauchbar sein sollen. Ob das eine oder das andere geschieht, ob das Licht der Aufklärung leuchtet oder aufklärungsfeindliche Finsternis sich verbreitet, wäre demnach nicht das Problem einer spezifischen Anlage und inneren Bestimmtheit des hochindustriell produzierenden Informationssektors selbst, sondern vielmehr eine Frage der gesellschaftlichen Systeme und politischen Mächte, die sich seiner bedienen, wäre mithin abhängig davon, welche gesellschaftliche Instanz und in welcher politischen Absicht den an sich neutralen und, für sich genommen, wertfreien Sektor Information mit Beschlag belegt.
Für diese These von der technischen Neutralität und sächlichen Unvoreingenommenheit des modernen Informationswesens an und für sich suchen ihre Verfechter normalerweise den argumentativen Rückhalt und das Anschauungsmaterial in der unterschiedlichen Rolle, die den divergierenden Gesellschaftssystemen beziehungsweise politischen Blöcken dort des als totalitär definierten Ostens und hier des als demokratisch deklarierten Westens zukommen soll. Was sie indes finden, falls sie bereit sind, näher hinzuschauen, und sich nicht darauf beschränken, die These selber bereits für den über alle Empirie triumphierenden Beweis zu nehmen, ist das genaue Gegenteil dessen, was sie verfechten. Gesetzt nämlich, von der "gelenkten", "unfreien" Information des Ostens gilt, was ihr in jenem Rollenvergleich unterstellt wird: dass sie den Interessen der im dortigen Gesellschaftssystem ökonomisch Herrschenden diene und ein Instrument zur Durchsetzung ihres politischen Willens sei, – so werden von der "freien", "ungegängelten" Information des Westens doch höchstens deren eigenste und verstockteste Vertreter sich ernstlich zu der Ansicht versteigen, dass es mit ihr sich anders verhalte und sie, statt der herrschenden ökonomischen Macht die Stange zu halten und ihren politischen Ansprüchen nach dem Munde zu reden, vielmehr einer zu unbedingter Aufklärung entschlossenen Meinungsfreiheit diene und Vehikel für eine der ökonomischen Macht und politischen Herrschaft kompromisslos den Prozess machende gesellschaftliche Kritik und Kontrolle sei. Was, jener These zufolge, die am Gängelband staatlicher Kontrolle geführte Information des Ostens nach fremder Maßgabe und unter äußerem Zwang vollbringt, das leistet, wie konzentrierte Presse, kanalisierter Rundfunk und programmiertes Fernsehen wünschenswert deutlich machen, die sich selbst überlassene westliche Information aus offenbar innerem Antrieb und allem Anschein nach eigenen Stücken. Lassen wir mangels näherer Kenntnis die Frage nach der Berechtigung des dem östlichen Informationsbereich gemachten Vorwurfs aufklärungsfeindlicher Ideologisierung und herrrschaftsdienlicher Manipulation auf sich beruhen, soviel jedenfalls meinen wir sicher sagen zu können, dass in bezug auf den Informationssektor des Westens genau dieser Vorwurf absolut zutreffend ist.
Dass es mit der Aufklärungsfunktion und Kritikfähigkeit der freien Information des Westens, kurz, mit ihrer beschworenen "Freiheit", nicht eben weit her ist, können auch diejenigen, die sich zum Beweis der an und für sich technischen Disponibilität und sächlichen Neutralität der Informationsträger als solcher auf diese freie Information als auf das Gegenstück zur unfreien östlichen berufen, nur schwer ignorieren. Soweit ihnen die Kaltblütigkeit beziehungsweise Korruptheit fehlt, sich über das vernichtende Zeugnis der einschlägigen Empirie einfach hinwegzusetzen, retirieren sie deshalb zur "Erklärung" dieser jeder "östlichen" Gleichschaltung Ehre machenden merkwürdigen Unfreiheit der "freien westlichen" Information auf eine in ihrer Beliebtheit und Betagtheit fast schon unverwüstlich zu nennende kulturkritische Position. Schuld an dem zugegebenermaßen von aufklärerischen Intentionen und kritischen Funktionen denkbar weit entfernten Zustand der westlichen Information wäre demnach eine als Folge einer Anpassung an Massenbedürfnisse verstandene fortlaufende Verschiebung des Schwergewichts von der Information zur Unterhaltung, von Zeitbewusstsein und Lebensernst zu Zeitvertreib und Ablenkung, von der Realitätserfahrung zur Wunscherfüllung, von der reflexiven Wahrnehmung zum projektiven Tagtraum. Abgesehen davon aber, dass diese kulturkritische These gleich wieder die Frage nach den Drahtziehern der inkriminierten Verschiebung, nach den für sie maßgeblichen ökonomischen Interessen und verantwortlichen politischen Kräften provoziert und insofern als bloße Spielart beziehungsweise Ausführungsbestimmung der vorhergehenden These erkennbar wird, erscheint auch der Erklärungswert der behaupteten Verschiebung als solcher, der Evidenzcharakter der ihr zugeschriebenen Auswirkungen selbst, mehr als zweifelhaft. Warum soll eigentlich die bloße Gewichtsverlagerung von der Information zur Unterhaltung solch aufklärungsfeindliche Folgen, so herrschaftsdienliche Auswirkungen haben? Oder anders gesagt: Wie viel unbefragte Voraussetzungen und ungeklärte Implikationen in bezug auf den Zusammenhang von Unterhaltung und Massenbedürfnissen und in Ansehung des per definitionem regressiv-primitiven Wesens solcher Massenbedürfnisse muss jene kulturkritische Verschiebungsthese mit sich führen, um überhaupt irgendeine Plausibilität beanspruchen zu können? Vollends unglaubhaft aber lässt diese These der dem aufgeschlossenen Beobachter nur zu sehr in die Augen springende Umstand werden, dass es nicht sowohl die Quantität der Unterhaltung, sondern die Qualität der Information selber ist, worin die verheerende Repression jeder Aufklärungsabsicht und vernichtende Revision allen kritischen Gedankens sich erkennbar Ausdruck verschafft. Nicht erst anämische Musikparaden, serielle Seifenopern und demente Talk-Shows, sondern ebenso sehr und vielmehr balancierte Zeitungskommentare, schablonierte Rundfunkmagazine und pürierte Fernsehdiskussionen legen Zeugnis ab von der hoffnungslosen Aufklärungsfeindlichkeit und unwiderstehlichen Affirmationssucht des modernen Medienverbunds. Und weil das so ist, soll nun nicht länger Anstand genommen werden, eben jenen modernen Medienverbund unter den oben ausgesprochenen Verdacht einer ihm strukturell eigenen politischen Domestizierungsfunktion und eines ihn spezifisch charakterisierenden ideologischen Formierungseffekts zu stellen.
2. Die Medien als Medium
In dieser Absicht kann uns der soeben verwendete Medienbegriff, der sich als zugleich generische Bezeichnung und pluralische Bestimmung für das Ensemble moderner Informationsträger in jüngster Zeit eingebürgert und durchgesetzt hat, eigentlich nur bestärken. Nicht bloß ist dieser vom allgemeinen Sprachgebrauch sanktionierte Begriff Medium, zusammen mit der weniger derivativ als explikativ zu verstehenden Rede vom Medienverbund, ein klarer Beleg dafür, dass jenes moderne Ensemble aus Presse, Funk, Film, Fernsehen und – teils als Grundlage für die ersteren, teils als eigenständige Ergänzung – allgegenwärtiger elektronischer Datenverarbeitung als ebenso funktionell einheitliches Gebilde wie strukturell ganzheitliches Phänomen gilt und insofern den operationalen Bedingungen oder formalen Kriterien für ein selbsttätig politisches Domestizierungsinstrument und selbständig ideologisches Formierungsorgan genügt – dieser Begriff ist mehr noch deutlicher Ausdruck der inhaltlichen Tauglichkeit oder realen Eignung, die in bezug auf die Aufgabe solcher politischen Domestizierung und ideologischen Formierung jenem modernen Ensemble tatsächlich habituell zugesprochen wird. Von Medium nämlich pflegt nach dem gängigen Sprachgebrauch dort die Rede zu sein, wo ein Mittel zum Zweck oder ein Realisierungszusammenhang mehr ist als eine der Sache selbst fremd bleibende Bedingung, mehr ist als ein dem Zweck bloß äußerlich dienendes Vehikel oder Transportinstrument. Das einfache Mittel zum Zweck wird herangezogen, gebraucht und zurückgelassen. Ins Medium hingegen taucht die Sache ein, durch es geht sie hindurch, von ihm wird sie durchdrungen. Wenn das Mittel seinen Zweck in der selbstverleugnenden Weise erfüllt, dass es in ihm vielmehr sich verliert, in ihm von sich abstrahiert, so erfüllt das Medium die Sache in dem wörtlichen Sinn, dass es ihr als Realisierungsgrund Gestalt, als Existenzbedingung Bestimmtheit verleiht. Ist dies aber das im Vergleich mit dem bloßen Mittel auszeichnende Charakteristikum des Mediums, dass es zum Zweck nicht bloß äußerlich dient und beiträgt, sondern ihn wesentlich vielmehr bedingt und bestimmt, so liegt auf der Hand, dass ihre sprachgebräuchliche Charakterisierung als Medien den modernen Informationsträgern in bezug auf das oben als der Zweck der Veranstaltung behauptete durchgängige Ergebnis herrschaftsdienlich aufklärungsfeindlicher Information eine grundlegende Bedeutung beimisst. Insofern das wesentliche Resultat des modernen Informationssystems politische Entmündigung oder Domestizierung und ideologische Verdummung oder Formierung ist, spricht seine Apostrophierung als Medienverbund diesem Informationssystem eine strukturell innere Tauglichkeit für Domestizierungsaufgaben und eine funktionell spezifische Eignung fürs Formierungsgeschäft zu.
Kein die Information bloß äußerlich besorgendes und formal beförderndes Transportmittel, sondern ein sie innerlich bedingendes und real bestimmendes Identifizierungsinstrument also soll das Ensemble moderner Informationsträger nach allgemeiner, umgangssprachlich artikulierter Überzeugung sein. Wieso dies indes etwas Besonderes, nämlich die im Verhältnis zur Tradition singuläre Modernität der modernen Informationsträger, ihre im Unterschied zu früher eigentümliche Neuartigkeit darstellen soll, bleibt unklar. Insofern nämlich der Medienbegriff bloß als der Vorstellung vom äußerlichen Mittel widerstreitender Inbegriff einer inhaltlichen Konditionierung und realen Determination des jeweiligen Informationsstoffs firmiert, unterscheiden sich die solchem Begriff subsumierten modernen Informationsträger ja noch gar nicht von den traditionellen Nachrichtenmitteln und ihrer Funktionsweise. Auch und gerade das klassische Nachrichtenmittel der bürgerlichen Vergangenheit, die mit der Kolportage des geschriebenen Worts operierende Presse, ist ja seit jeher denkbar weit entfernt davon, bloß äußerliches Transportmittel, indifferentes Vehikel für die jeweiligen Informationen zu sein. Auch dies klassische Nachrichtenmittel hat sein auszeichnendes Charakteristikum ja in der inhaltlichen Kondition, unter der es kraft geschriebenen Worts die Information erscheinen lässt. Der Nachricht ein bestimmtes volkswirtschaftliches Interesse und Anliegen mitzuteilen, gehört zur eigensten Logik dieses traditionellen Nachrichtenorgans; der Information eine besondere gesellschaftspolitische Intention und Tendenz zu verleihen, ist diesem klassischen Informationsmittel so wesentlich als es sich selbst. Und so gesehen scheinen denn also mit der ihnen attestierten Mediatisierungstätigkeit1 die modernen Informationsträger erst einmal nichts weiter auszuüben als die bereits für die klassischen Nachrichtenmittel typische Verarbeitungsfunktion, nichts weiter zu vollbringen als die den bürgerlichen Presseorganen von Anfang an eigentümliche Vermittlungsleistung. Nicht anders als die traditionellen Informationsmittel scheinen auch die modernen Medien Daten aufzunehmen, Fakten zu absorbieren, um sie mit den ihnen eigenen Interessen zu verwirken, mit den für sie selber bestimmenden Intentionen zu vermitteln und dann als interessierende Äußerungen, intentionale Mitteilungen, kurz, als definitive und wirkliche Informationen, wieder heraus und in Umlauf zu bringen.
Aber bringen sie sie eigentlich wieder heraus? Setzen sie sie überhaupt wieder in Umlauf? Ist nicht vielmehr gerade dies die eigentümliche Besonderheit moderner Informationsträger, dass die Nachrichten, die sie liefern, die Informationen, die sie darbieten, unauflöslich an sie als an ihren medialen Bezugsrahmen gebunden, untrennbar mit ihnen als mit ihrem realen Lebenselement verknüpft bleiben? Ist nicht das gerade die merkwürdige Eigenart der sogenannten Medien, dass die Nachrichten, die in ihnen erscheinen und die sie nominell publik werden lassen, Realität und phänomenalen Bestand nur in diesem ihrem medialen Kontext zu behaupten vermögen, dass die Informationen, die durch sie gehen und die sie formell in Umlauf setzen, Aktualität und zirkulative Präsenz nur in dieser ihrer kategorialen Fassung zu behalten fähig sind? Und ist nicht diese unauflösliche Verschränkung der Nachrichten mit ihrer medialen Präsentationsform, ihre irrevozible Einbindung in ihren kategorialen Darstellungsrahmen, der Grund für die jedermann nur zu vertraute Erfahrung der Bewusstseinsleere oder tabula rasa im Kopf, die die Medien bei ihren Lesern, Zuhörern oder Betrachtern, ihren Millionen Benutzern oder Verbrauchern mit schöner Regelmäßigkeit zu hinterlassen pflegen, kaum dass die Zeitung oder Zeitschrift weggelegt, das Radio abgedreht, die Leinwand dunkel geworden, der Fernseher ausgeschaltet ist? Ist nicht diese merkwürdige Verquickung der Botschaften mit dem Träger, der sie überbringt, diese seltsame Einbettung der Nachrichten in das Organ, das sie verlautbart, der Grund dafür, dass bei all ihrer Sinnenfälligkeit und Eindrücklichkeit, bei all den starken Reizen und unmittelbaren Sensationen, mit denen sie aufwarten, die modernen Medien bei ihren Adressaten eigentlich keinen über die mediale Adresse hinaus bleibenden, konkreten Eindruck zu hinterlassen vermögen, ihren Rezipienten tatsächlich keine den phänomenalen Augenblick überdauernde, bestimmte Information zu vermitteln imstande sind? Sowenig die Botschaften ohne ihr Medium vorstellbar, die Daten ohne ihren Träger wahrnehmbar sind, sowenig können sie tatsächlich außerhalb des Mediums Publizität behaupten, und so sehr beschränkt sich vielmehr ihre zirkulative Präsenz auf das Erscheinen im Medium selbst, ihre öffentliche Existenz auf die Übertragungssituation als solche, bleiben mithin die im epiphanischen Augenblick von ihnen randlos erfüllten Augen und Ohren leer, die im Übertragungsverhältnis von ihnen restlos besessenen Köpfe und Geister hohl.
Dies also wäre die spezifische Differenz, durch die sich die modernen Medien von den traditionellen Nachrichtenmitteln unterscheiden: dass die Nachrichten, die durch sie gehen, die Informationen, die sie verbreiten, nur existieren, solange sie noch in ihnen sich aufhalten, nur zirkulieren, solange sie sich in ihrem phänomenalen Zusammenhang umtreiben, dass, kurz, das zu Präsentierende sich untrennbar an die Form der Präsentation, das zu Publizierende sich unverrückbar an den Ort der Publikation gebunden zeigt. Und genau das ist ja der geläufigste Sinn, in dem die Umgangssprache von dem Begriff des Mediums Gebrauch macht. Im Unterschied zum vermittelnden Mittel ist das mediatisierende Medium nicht bloß bestimmendes Moment, sondern umfangendes Element, nicht bloß entwicklungsförderndes Implementum, sondern lebenspendendes Fluidum. Auf ein Mittel findet man sich verwiesen, seiner bedient man sich; an ein Medium findet man sich gebunden, in ihm bewegt man sich. Dem instrumentell entbindenden Charakter des Mittels steht die uterin umgebende Natur des Mediums gegenüber. Sich in seinem Medium zu bewegen heißt soviel wie, in seinem angestammten Element sich aufzuhalten, inmitten seiner spezifischen Existenzbedingungen sich zu befinden. Ohne sein Medium ist, was in ihm ist, nicht lebensfähig, von seinem Medium getrennt, geht, was kraft seiner Bestand hat, zugrunde. Was durchs Medium erscheint, erscheint nur durch es und hört zusammen mit ihm zu existieren auf.
Dieser seltsamen Abhängigkeit des Inhalts von der Form, dieser ebenso existential wie widersinnig anmutenden Unablösbarkeit der Botschaft von ihrem Überbringer, trägt quasi im Vorgriff auf die modernen Medien, in einer Art Vorahnung ihrer bevorstehenden Entwicklung, der Sprachgebrauch mit seinem im 19. Jahrhundert in Mode gekommenen und bis heute geläufig gebliebenen speziellen Begriff vom Medium, seiner im doppelten Sinne des Wortes persönlichen Vorstellung von medialer Wirksamkeit, auf denkwürdige Weise Rechnung. Jenem speziellen Begriff zufolge ist ein Medium "die Mittelsperson beim Geisterklopfen", ein – in der Mehrzahl der Fälle weibliches – Wesen, das über besondere Kräfte und Fähigkeiten insofern verfügt, als es Nachrichten beschafft und Botschaften überbringt, die auf keinem anderen Weg als durch seine Übermittlungstätigkeit Wirklichkeit gewinnen, auf keine andere Art als durch seine Dazwischenkunft wahrnehmbar werden. Wirklich und wahrnehmbar werden, Form und Kontur gewinnen die Nachrichten deshalb, weil das Medium – und eben darin besteht offenbar seine besondere Kraft und Fähigkeit – ihnen die eigene sinnlich-materiale beziehungsweise seelisch-spirituale Existenz als Ausdrucksorgan zur Verfügung stellt und sei's in kruder Materialität Leib oder Stimme leiht, sei's in spiritistischer Subtilität zu einer emanativen Gegenwart oder astralleiblichen Erscheinung verhilft. Bricht das Medium seine leibhaftige Übermittlungstätigkeit ab, stellt es seine höchstpersönliche Interventionsleistung ein, so verliert im selben Augenblick auch die durch sein Organ erscheinende Nachricht ihre Anschaulichkeit und Präsenz, büßt mit einem Schlag auch die durch seine Ausdruckskraft heraufbeschworene Botschaft ihre Wahrnehmbarkeit und Evidenz ein. Sobald die Energie des Mediums versiegt, erlischt auch die durch sie gespeiste Epiphanie, sobald der mediale Projektionsrahmen und Resonanzboden aufhört zu funktionieren, ist es aus mit dem Stimmenhören, vorbei mit dem Spuk. So ungewohnt und fremdartig ist dem 19. Jahrhundert also diese – durch die Entfaltung der modernen Medien uns inzwischen zu etwas Alltäglichem gewordene – neue Vorstellung von einer mit seiner Präsentationsform entstehenden und vergehenden Information, dass es sie noch gar nicht recht in den herrschenden Erfahrungszusammenhang einzuordnen vermag und in der ebenso partikularisiert symptomatischen wie verschoben peripheren Figur des spiritistischen Mediums verhandelt. Und so unheimlich ist ihm zugleich diese Vorstellung, dass es sie in ihrer Neuartigkeit kurzerhand wegrationalisiert, indem es sie per medium jenes spiritistischen Mediums aus einem von historischer Veränderung zeugenden Exempel, aus dem Anzeichen einer relativ differenten Epoche, in ein von ontologisch anderem kündendes Paradigma, in den Vorschein einer absolut transzendenten Sphäre umdefiniert. Gegen die – wie man will: auf der Hand liegende oder in die Augen springende – Tatsache, dass das Medium bestenfalls den höchst irdischen Gedanken, Erinnerungen und Impulsen derer Gestalt verleiht und zum Ausdruck verhilft, die sich seiner zur Projektion ihres Seelenlebens bedienen, wird ihm die Fähigkeit zur Evokation und Darbietung einer objektiv jenseitigen Welt zugestanden und also eingeräumt, dass es Tote erwecken, Geister beschwören, die Sinnenwelt in Kontakt mit Übersinnlichem bringen kann. Aus reiner Scheu vor der fremdartigen Erfahrung einer nach Sinn und Funktion veränderten Nachrichtenübermittlung, einer Information durch Medien, die, was sie herausbringen, im Akt seiner Publikation ebensowohl retentiv vereinnahmen, die, was sie in Umlauf setzen, im Augenblick seiner Zirkulation ebensowohl reflexiv zurücknehmen, – aus Furcht davor also ist das 19. Jahrhundert bereit, das historisch Neuartige dieser Erfahrung, eben ihren Erfahrungscharakter, zu ignorieren und sie der Wirkung eines ontologischen Gegenstandswechsels zuzuschreiben, statt sie als Ausdruck einer empirisch veränderten Zeit aufzufassen. Nur um sich nicht dieser Erfahrung einer in fundamentaler Neugestaltung begriffenen gesamtgesellschaftlichen Mitteilungsform und Verständigungspraxis stellen zu müssen, ist das ansonsten mit seiner Rationalität sich großtuende Jahrhundert bereit, dem billigsten Obskurantismus sich auszuliefern und zur rationalisierenden Erklärung dessen, was es sich bloß in der Ersatzform des spiritistischen Mediums zur Kenntnis zu nehmen erlaubt, Geister, Gespenster, übersinnlichen Spuk zu bemühen.
Mittlerweile aber hat sich, was das 19. Jahrhundert noch ins Jenseits und vielmehr Abseits einer auf Gespensterseherei spezialisierten Erfahrung sui generis verbannen möchte, zu einer in ihrer Alltäglichkeit ebenso unleugbaren wie in ihrer Allgegenwart unübersehbaren generellen Erscheinung und habituellen Faktizität entwickelt. An die Stelle des in sporadischer Einzigartigkeit Nachrichten aus dem Jenseits beschaffenden spiritistischen Mediums von vor hundert Jahren sind die in epidemischer Vielgestaltigkeit den Informationsfluss im Diesseits besorgenden elektronischen und nicht-elektronischen Medien unserer Tage geworden. Zwar weisen die strukturelle Form und der funktionelle Modus, in dem die modernen Medien dies tun, nach wie vor jene merkwürdige Eigentümlichkeit auf, die den Vertretern des 19. Jahrhunderts noch zutiefst unheimlich war und die die letzteren deshalb in durchsichtiger Rationalisierung auf eine inhaltliche Beschaffenheit, auf die besondere Natur der Information selbst, zurückführten; aber da jene Eigentümlichkeit inzwischen zum durchgängigen Grundzug jeder nur denkbaren Nachrichtenübermittlung avanciert ist und zum zentralen Charakteristikum von Information überhaupt sich entwickelt hat, haben die Heutigen ihre anfängliche Unheimlichkeit aus dem Auge verloren, sich an sie als an die verbindlich kategoriale Bedingung aller Erfahrung gewöhnt und sind bereit, sie als Kennzeichen der im Diesseits zirkulierenden Mitteilungen zu akzeptieren, statt sie als Schibboleth von aus dem Jenseits intervenierenden Botschaften zu tabuisieren. So sehr sind sie bereit, jene eigentümlich mediale Präsentationsform als ihren Erfahrungsalltag, ihren informationspraktischen Normalfall zu akzeptieren, dass sie geradezu aus einem Extrem ins andere gefallen, unvermittelt aus einer Haltung äußerster Scheu und Abwehr gegenüber dem Ungewohnten in einen Zustand innerster Vertrautheit und Konformität mit ihm übergewechselt scheinen. Mit der gleichen instinktförmigen Blindheit und Besinnungslosigkeit, mit der sie sich zuvor gegen die neue Erfahrungsform gesträubt haben, überlassen sie sich ihr jetzt und richten sich in ihr ein. Für eine theoretische Wahrnehmung und kritische Würdigung der tiefgreifenden Veränderungen, denen dieses neue Erfahrungsparadigma den traditionellen Erfahrungsbegriff unterwirft, bleibt dabei weder Raum noch Zeit. In der Tat schließt das routinierte Einverständnis, das die Heutigen der in den publizistischen Medien entfalteten neuen Erfahrungsform beweisen, ein theoretisch-kritisches Verhältnis ebenso effektiv aus wie die faszinierte Abwehr, mit der das 19. Jahrhundert dieser ins spiritistische Medium verschobenen Erfahrungsform begegnete.
Fußnoten
- ... Mediatisierungstätigkeit 1
- Als "Mediatisierung" wird historisch die Aufhebung der Reichsunmittelbarkeit bestimmter gesellschaftlicher Institutionen und deren Unterwerfung unter landesfürstliche Oberhoheit bezeichnet. Nimmt man die Reichsunmittelbarkeit als Metapher für den direkten Gesellschaftsbezug der Informationen und die Unterwerfung unter die Landeshoheit als einen Ausdruck für die Einordnung der Informationen in und ihre Reorientierung durch den medialen Verbund, so ist es, wie noch zu sehen sein wird, weit mehr als bloß ein Spiel mit Worten, wenn hier von "Mediatisierung" die Rede ist.