II. Die historische Entstehung der medialen Information

1. Information als gesellschaftspolitisches Orientierungsmittel

Sowohl in seiner negativen, auf Abwehr des Unbegreiflichen gerichteten Bedeutung als auch in seiner positiven, auf Einverständnis mit dem Unwiderstehlichen gemünzten Funktion ist das geschilderte, theorielos instinktförmige Verhalten ein untrüglicher Hinweis darauf, dass bei der Einführung und Durchsetzung jenes neuen Erfahrungsparadigmas der modernen Medien machtvolle Motive wirksam und starke Interessen im Spiel sind. Das mächtigste Motiv, das in unseren Gesellschaften, die ihre Reproduktion an die Form der Wertbildung ketten, existiert, ist das kapitalistische Verwertungsmotiv. Das stärkste Interesse, das sie, die ihre Subsistenz vom Modus einer Erzeugung von Mehrwert abhängig machen, kennen, ist das ökonomische Profitinteresse. Allen triebtheoretischen oder gar ideengeschichtlichen Alternativversionen und vielmehr Deckadressen zum Trotz sind es diese beiden, Verwertungsmotiv und Profitinteresse, die mindestens seit Beginn der Neuzeit, seit über einem halben Jahrtausend, für die wichtigsten Veränderungen der gesellschaftlichen Realität verantwortlich sind. Dass dies auch im vorliegenden Fall des ungefähr mit der Jahrhundertwende synchronen Wechsels im Informationsbegriff, des geschilderten Übergangs also von der Mitteilungsfunktion des traditionellen Nachrichtenmittels zur Präsentationsform der modernen Kommunikationsmedien, sich so verhält, dürften wir deshalb, selbst wenn wir es nicht schon wüssten, getrost annehmen. In der Tat aber wissen wir es ja. Wir wissen es mit eben der Gewissheit und Zuverlässigkeit, die uns von den modernen Medien als von Massenmedien reden, mithin die ersteren als namentlich definiert durch das Faktum ihrer massenhaften Verbreitung gelten lässt. Was sich in dieser umgangssprachlich uneingeschränkten Gleichsetzung von modernen Medien und Massenmedien ausdrückt, ist unser Bewusstsein, dass die ersteren ihre grosso modo um die Jahrhundertwende anzusetzende Entstehung einer Entschränkung der Information zur allgemeinen Ware, einer Entfesselung des Informationssektors zum totalen Markt verdanken.

Nicht, dass die Nachrichten nicht auch schon vorher Warenform hätten, das Nachrichtenwesen nicht bereits marktmäßig organisiert wäre. Bis zurück zu den Bauernkalendern der frühen Buchdruckerzeit werden auch die traditionellen Presseerzeugnisse schon warenförmig hergestellt und marktmäßig vertrieben. Bis tief ins 19. Jahrhundert hinein bleibt indes den Flugschriften und Gazetten, den Postillen und Almanachen der bürgerlichen Tradition diese ihre Warenform und Marktgängigkeit eigentümlich fremd. Oder vielmehr bleibt sie ihnen nicht einfach nur fremd, sondern steht zu ihnen in einem heimlichen Spannungsverhältnis, um nicht zu sagen, einem merklichen Widerspruch. Seinen Grund hat dieser Widerspruch in dem aparten Wesen, das jene Nachrichtenmittel und ihren Inhalt, die von ihnen verbreitete Information, auszeichnet und durch das sie sich von den normalen, auf dem Markt vertriebenen Waren und deren gewohnter Doppelnatur markant unterscheiden. Eine Doppelnatur weisen die den Markt bevölkernden, normalen Waren ja insofern auf, als ihre auf den Markt gemünzte Wertbestimmung, ihr Tauschwert, als conditio sine qua non seines Bestehens immer schon eine auf den Menschen gerichtete Nutzbeziehung, eine Gebrauchsgegenständlichkeit, voraussetzt. Ohne diesen vorausgesetzten Gebrauchswert, diese zugrunde liegende materiale Funktion, Befriedigungsmittel für menschliche Bedürfnisse zu sein, sind die Waren auch ihrem Tauschwert, ihrer kategorialen Form auf dem Markt nach nicht haltbar, vergehen sie auch der ihnen als Warenform eigenen Wertnatur nach zum gegenstandslosen Schemen und bodenlosen Abstraktum. Dabei ist, ganz im Sinne der Rede von einer Doppelnatur, jene Gebrauchswerteigenschaft oder Nutzfunktion der Ware mit ihrer Tauschwertbestimmung oder Warenform ebenso unvermittelt, wie sie ihr unentbehrlich ist. Sowenig die Wertbestimmung der Ware ohne zugrunde liegende Gebrauchsgegenständlichkeit existenzfähig ist, sowenig trägt doch die letztere zu ersterer inhaltlich etwas bei, wirkt sich realiter auf sie aus, geht materialiter in sie ein. Aber trotz oder gerade wegen der konstitutionellen Abstraktheit und essentiellen Indifferenz, die bei allem Zwang zur Koexistenz der Tauschwert gegenüber dem Gebrauchswert beweist, verträgt er sich herkömmlicherweise bestens mit diesem, zeigt sich die problemlose Assoziation der beiden durch eine lange Geschichte ausgedehnter Märkte bezeugt, durch eine dauernde Praxis umfassenden Tauschs bewährt, und treten die beiden im Rahmen dieser Praxis und im Zuge dieser Geschichte wenn schon nicht in wahrem Einklang, so immerhin doch in schöner Eintracht, und wenn schon nicht im festen Verbund, so ganz gewiss aber im trauten Verein miteinander auf. Ihrer eigenen, abstrakten Natur getreu, ist die Warenform bereit, jede beliebige Gebrauchsgegenständlichkeit als Grundlage akzeptieren und unter ihre Fittiche zu nehmen, wobei sie mit der letzteren nur die pauschale Erwartung verknüpft, dass jene überhaupt und in irgendeiner Gestalt vorhanden sei.

Genau hier aber liegt im Falle der Ware Information der Hase im Pfeffer: Information ist von Haus aus gar kein Gebrauchsgegenstand, hat eigentlich gar keinen Gebrauchswert. Das gilt für die Information zumindest in den neuzeitlichen, bürgerlich verfassten, vielleicht aber generell in allen historischen, staatlich organisierten Gesellschaften. Und es gilt, wenn schon nicht für die Information in ihren sämtliche Aspekten, ihren vielen Nebeneffekten, so auf jeden Fall für sie in ihrem funktionellen Kern, ihrem gesellschaftlichen Wesen. Ihrem funktionellen Kern nach ist Information kein Gebrauchsgegenstand, sondern ein Orientierungsinstrument, kein besonderes Befriedigungs-, sondern ein allgemeines Bestimmungsmittel, ist sie mithin nicht dazu da, subjektive, private Bedürfnisse zu befriedigen, sondern objektive, gesellschaftliche Zwecke zu erfüllen. Informationen werden, jedenfalls ihrer primären Funktion nach, von ihren Empfängern nicht benutzt, um sie zu genießen und für die eigene Person etwas aus ihnen zu gewinnen, sondern um sie zu verarbeiten und im Verein mit anderen etwas aus ihnen zu machen. Information ist wesentlich nicht für den privaten Nutzen da, sondern fürs öffentliche Wohl, ist Aufklärung, die den Aufgeklärten in die Lage versetzt, aus seiner Situation, über die er Aufschluss erhält, nicht etwa regressiv persönlichen Vorteil, sondern durchaus nur reflexiv Schlüsse auf eine gesellschaftliche Veränderung eben jener Situation zu ziehen. Insofern der Informationsprozess von Haus aus kein Verfahren des Austauschs von Gütern, sondern ein Vorgang der Vermittlung von Einsichten ist, ist sein Inhalt und Ziel auch nicht die Befriedigung von Bedürfnissen der einzelnen Mitglieder der Gesellschaft, sondern deren Rekrutierung für die Erfordernisse des gesellschaftlichen Ganzen. Als etwas, das die Aufgabe hat, nicht Erfüllung zu gewähren, sondern Entwicklung zu befördern, und dessen Zweck also nicht die Reproduktion im Besonderen, sondern die Intention aufs Allgemeine ist, ist Information ebenso wesentlich totalisierend wie originär politisch: Indem sie fürs Allgemeine plädiert, aufs Ganze geht, spricht sie jeden, geht sie alle an. Dass sie sich dabei an gesellschaftliche Gruppen wendet, sich ständisch organisiert, sich in Bauernalmanachen, Hauspostillen für die Familie, Anzeiger für die gebildeten Stände, Gazetten für Handel und Gewerbe, radikale Flugschriften sortiert, ist kein Widerspruch, widerlegt nicht ihren Anspruch auf politische Totalität, sondern spiegelt nur den realen Zustand der bürgerlichen Gesellschaft, ihre klassenmäßige Verfassung, die für sie konstitutive Existenz divergierender Interessen und konkurrierender Intentionen wider. Wie sehr sie bei aller ständisch divergierenden Zuordnung und klassenmäßig konkurrierenden Bestimmung zugleich doch diesen politischen Totalitätsanspruch als ihr durchgängig auszeichnendes Charakteristikum beibehält, beweist sich in ihrer kämpferischen Dogmatik, ihrer Streitbarkeit, kommt darin zum Ausdruck, dass sie selbst noch als gruppenspezifisch partikularste Einsicht die Form einer generell programmatischen Aussage und verbindlich politischen Option anzunehmen tendiert.

Kein Gebrauchsgegenstand also ist Information, sondern ein Orientierungsmittel, kein Träger privater Befriedigung, sondern ein Überträger gesellschaftlicher Bedeutung. Und eben deshalb steht der Informationscharakter in einem Reibungsverhältnis zur Warenform, die ja gleichfalls nicht dazu da ist, private Bedürfnisse zu befriedigen, sondern vielmehr die Aufgabe hat, gesellschaftliche Ansprüche zur Geltung zu bringen. Weit entfernt davon, die Warenform als eine ebenso gleichgültige wie heteronome Zusatzbedingung sich überstülpen zu lassen, behauptet sich der Informationscharakter als eine ihr tendenziell widersprechende und halbwegs mit ihr im Wettstreit liegende Bestimmung. Zu artverwandt sind die qua Warenform dem einzelnen abgenötigte Anerkennung der Ansprüche einer wie immer auch hypostasierten und sich selber entfremdeten gesellschaftlichen Arbeit und die qua Informationscharakter dem einzelnen abverlangte Reflexion auf die Erfordernisse einer wie immer auch auf Gruppen beschränkten und ihres Selbstbewusstseins beraubten Vergesellschaftungsarbeit, als dass Informationen sich der Warenform mit der Indifferenz und Willfährigkeit von Gebrauchsgegenständen zugrunde legen und zur Verfügung stellen könnten. Ihren Ausdruck findet diese mit der Warenform konkurrierende gesellschaftliche Bestimmtheit des Informationswesens darin, dass seine Erzeugnisse ständig dazu tendieren, der mit der Warenform ihnen aufgezwungenen Rücksicht auf Verwertung und Rentabilität sich zu entschlagen und als Willensbildungsorgane beziehungsweise Parteiforen eine der Marktgesetze relativ überhobene Existenz kraft der Solidarität und Opferbereitschaft sozialer Strömungen und politischer Gruppierungen zu führen. Wie sehr übrigens dieser von einfacher Gebrauchsgegenständlichkeit verschiedene besondere Charakter der Information den auf tauschwertförmige Gebrauchsgegenstände als universalen Status quo fixierten Beteiligten verborgen bleibt und wie wenig auch und gerade der allgemeine Sachwalter dieses Status quo, der Staat, etwas davon begreift, zeigt die bis tief ins 19. Jahrhundert hinein geübte Praxis des letzteren, auf Informationserzeugnisse Stempelsteuer und ähnliche Abgaben zu erheben und also dem ihnen fehlenden Gebrauchswert dadurch in eins Rechnung zu tragen und die Spitze abzubrechen, dass er sie analog zur Klasse nichtlebensnotwendiger Luxusgüter und Genussmittel behandelt.

2. Der Verlust der gesellschaftspolitischen Orientierung im 19. Jahrhundert

Ausgangs des 19. Jahrhunderts aber geht es mit dieser Sonderstellung, die die Information im Warensortiment bis dahin habituell behauptet, plötzlich zuende, geben die Informationen den Widerstand, den sie der ihnen sich oktroyierenden Warenform bis dahin de facto beweisen, mit einem Mal auf. Warum? Weil um diese Zeit die gesellschaftlichen Gruppen, die Klassen, an die sie sich richten und denen sie als Orientierungsmittel dienen, alle Orientierung vielmehr verlieren und den im Zuge der letzteren bis dahin behaupteten Anspruch auf politische Veränderung und fortschreitende Vergesellschaftung weitgehend fahren lassen. Oder eigentlich verliert nur die eine der beiden hauptsächlichen gesellschaftlichen Gruppierungen, die proletarische Klasse, ihre Orientierung; die andere, bürgerliche, hat sie längst verloren und behauptet seit der Französischen Revolution nurmehr ein ersatzbildnerisches Alibi, ein Vexierbild solcher Orientierung, das sie braucht, um im Kampf der Klassen die Scheinfasson eines vollgültigen historischen Subjekts aufrechterhalten zu können, und das sie nun aber, da auch der Klassengegner selbst die von ihm beanspruchte historische Subjektposition preisgibt, ihrerseits fallen lassen kann.

In jene beiden klassenförmigen Hauptgruppierungen des Proletariats und des Bürgertums haben sich die vielen ständischen Gruppen der frühen bürgerlichen Gesellschaft im Laufe des 19. Jahrhunderts zusammengenommen und dichotomisiert, zu ihrer klassenkämpferischen Alternative haben sich die früheren divergierenden Orientierungen mittlerweile zugespitzt. Tatsächlich aber handelt es sich, wie gesagt, bei dieser klassenkämpferisch entfalteten Alternative schon gar nicht mehr um einen Orientierungsstreit, einen Dissens über die einzuschlagende politische Entwicklung, die anzustrebende Form der Vergesellschaftung, sondern vielmehr um den Gegensatz von Richtung und Richtungslosigkeit, um den Widerstreit von allgemeinpolitischem Progress und privatökonomischem Profit, von sozialistischer Vergesellschaftung und liberalistischer Anarchie. Kaum dass es politisch an die Macht gekommen ist, gibt das Bürgertum seine sämtlichen auf Veränderung und Verbesserung der Gesellschaft gerichteten früheren Intentionen materialiter auf und konzentriert sich auf die Erhaltung und Stärkung seiner privaten ökonomischen Macht, auf die Sicherung und den Ausbau seiner in der Zwangsvergesellschaftung und Ausbeutung aller übrigen Mitglieder der Gesellschaft bestehenden Status-quo-Position. Wenn die bürgerliche Klasse dennoch eine Art Intentionalität, eine über den Status quo hinausweisende Orientierung formaliter beibehält, wenn sie mit den menschheitsbefreienden Errungenschaften des künftigen technischen Fortschritts winkt, die gesellschaftsverbindenden Leistungen des kommenden Weltmarkts antizipiert, so einzig und allein deshalb, weil sie der proletarischen Aufbruchsstimmung und Zukunftserwartung etwas entgegenstellen muss. Was nämlich sie, die bürgerliche Klasse, an Intention eingebüßt hat, das hat die proletarische Klasse an Veränderungswillen dazugewonnen. Im genauen Gegensatz zum gegenwartsfixierten Richtungsverlust und privatinteressierten Statusquodenken des Bürgertums hat sich das Veränderungsstreben des Proletariats zur revolutionären Haltung und seine Vergesellschaftungsforderung zum chiliastischen Anspruch zugespitzt. Basis dieser Zuspitzung ist die ökonomische Not und soziale Zwangslage, in die die bürgerliche Ausbeutungs- und Profitmaximierungspraxis die proletarische Klasse in zunehmendem Maße bringt. Angesichts ökonomischer Verhältnisse und sozialer Zustände, die ihr nurmehr die Wahl zwischen Verhungern oder Verschleiß, zwischen Vernichtung durch Arbeitslosigkeit oder Vernichtung durch Arbeit lassen, kann die proletarische Klasse gar nicht anders, als ihre ganze Hoffnung auf eine grundlegende Veränderung des politischökonomischen Systems zu richten. So gewiss aber im Blick auf die Intentionalität der proletarischen Klasse ökonomische Not und sozialer Druck sich als ein bis zur Hypertrophie verstärkendes Motiv auswirken, so gewiss gerät diese hypertrophierte Intentionalität in dem Augenblick in die Krise, in dem die ökonomische Not nachlässt, der soziale Druck sich abschwächt. So groß die Lebensnot und die soziale Verelendung ist, der sich die arbeitende Bevölkerung unter den herrschenden politischökonomischen Verhältnissen ausgesetzt sieht, so begierig greift sie nach der ihr im Rahmen der herrschenden Ordnung plötzlich sich bietenden Gelegenheit zur Linderung ihrer Not kraft Durchsetzung gewerkschaftlichökonomischer Forderungen und zur Bekämpfung ihrer Verelendung mittels Realisierung kulturellsozialer Ansprüche.

Treiben aber Not und Verelendung das Proletariat unwiderstehlich der als systemimmanenter Ausweg ihm sich unvermutet eröffnenden ökonomischen Entlastungschance und sozialen Integrationsperspektive in die Arme, so bedeutet das unvermeidlich eine Aushöhlung der ihm bis dahin eigenen systemsprengenden Intentionalität und systemtranszendenten Orientierung. Die quantitative Stärke der Not und existentielle Dringlichkeit der Verelendung war es, was zuvor der proletarischen Intentionalität ihren systemsprengend revolutionären Charakter und also der Orientierung der Arbeiterklasse ihre systemtranszendent sozialistische Bestimmung verlieh. Und dementsprechend ziehen nun die mit den systemkonformen Mitteln der Sozialgesetzgebung und des Lohnkampfs erreichte Linderung der ökonomischen Not beziehungsweise der auf dem systemimmanenten Weg von Bildungsvereinen und Selbsthilfeorganisationen aufgenommene Kampf gegen die soziale Verelendung eine wesentliche Schwächung dieses revolutionären Charakters und eine entscheidende Revision der sozialistischen Bestimmung nach sich und stellen fast zwangsläufig die historische Intentionalität des Proletariats als solche in Frage, stürzen seine politische Orientierung überhaupt in die Krise.

3. Die Information als Ware

Genau von dieser Krise wird gegen Ende des 19. Jahrhunderts die proletarische Klasse heimgesucht. Hin und hergerissen oder vielmehr hoffnungslos aufgespalten zwischen ausgehöhlt revolutionärem Gestus und involviert reformerischem Eifer, zwischen dem Formalismus der alten systemtranszendenten Perspektive und den neuen systemimmanenten Aussichten, verfällt das Proletariat einer ebenso vollkommenen geschichtsphilosophischen Lähmung wie umfassenden gesellschaftspolitischen Desorientierung. Ihm, das am ökonomischen Wohlstand teilzuhaben und am sozialen Fortschritt teilzunehmen hofft, wird die ursprüngliche Absicht einer revolutionären Veränderung der allgemeinen kapitalistischen Eigentumsverhältnisse gleichbedeutend mit dem Vorhaben einer Umgestaltung der unter kapitalistischen Eigentumsverhältnissen herrschenden besonderen Arbeitsbedingungen, wird die frühere Aufgabe einer sozialistischen Vergesellschaftung des bürgerlichen Klassenstaats synonym mit dem Programm einer Humanisierung der für den bürgerlichen Klassenstaat charakteristischen Lebensumstände. Und indem es so alle revolutionäre Intention und weitreichende Orientierung aus den Augen verliert beziehungsweise zum rhetorischen Selbstvergewisserungsgestus formalisiert, verliert nun auch Information ihre anfangs vom Bürgertum behauptete und zuletzt vom Proletariat wahrgenommene historischkritische Bedeutung und gesellschaftsverändernde Funktion. Wo keine systemtranszendente Intention mehr bleibt, keine revolutionäre Perspektive sich erhält, da büßt auch die Information ihre Sonderstellung als nicht in den Warenzusammenhang integrierbares soziales Orientierungsmittel, die Qualität eines nicht auf Ökonomie reduzierbaren politischen Bestimmungsgrunds ein und wird zur Ware, zum integrierenden Bestandteil bürgerlichkapitalistischer Ökonomie. Anders gesagt, geht sie dessen verlustig, was oben als ihr funktioneller Kern, ihr historisches Wesen apostrophiert und als eine mit der generellen Warenform konfligierende universale Reflexionsbestimmung, ein mit dem gesellschaftlichen Wertcharakter konkurrierendes gemeinschaftliches Gattungsbewusstsein vorgestellt wurde. Diese zentrale Reflexion der Gesellschaft und Intention auf die Gattung also geht ihr verloren, und zurück bleibt jener Hof von Randaspekten, der den funktionellen Kern, das historische Wesen schon immer umlagerte und der nun aus seiner peripheren Stellung heraustritt, um die aufgelassene Mitte zur Gänze mit Beschlag zu belegen, das ausgehöhlte Zentrum vollständig zu erfüllen: Randaspekte, Nebeneffekte, in denen die Information seit je mit Gebrauchsdingen aller Art übereinkommt, Homogenität mit den Gütern dieser Welt beweist und in denen sie wie die letzteren zur Befriedigung von Bedürfnissen, zur Erfüllung sei's kollektiver, sei's privater, sei's leiblicher, sei's geistiger Desiderate da ist – Neugier befriedigt, Lust erregt, Sinne erfreut, Anteilnahme weckt, Gefühle anspricht, Entscheidungen ermöglicht, in Überzeugungen bestärkt, bildet, erbaut, und so weiter, und so weiter.

Mit diesen zur ursprünglichen gesellschaftlichen Kernfunktion peripheren Gebrauchseigenschaften also bleibt die Information erhalten, und mit ihnen widerfährt ihr nun das, was unter Bedingungen einer ihre Reproduktion wesentlich an die Form der Schöpfung und Vermehrung von Wert knüpfenden Gesellschaft allen Gebrauchsdingen widerfährt: Sie wird zum Träger und Transformator von Wert, zum Materialisierungsmoment und Realisierungsmittel im Verwertungsprozess. Die Informationen werden, mit anderen Worten, zu Waren, zu Dingen, die unter dem Deckmantel ihrer wirklichen oder vermeintlichen Gebrauchseigenschaften wesentlich dazu dienen, im Zuge ihrer Hervorbringung geronnene gesellschaftliche Arbeit, Wert, aufzunehmen und zu verkörpern, um diesen verkörperten Wert dann per Austausch auf dem Markt die Sichselbstgleichheit und entmischte Gestalt der Geldform gewinnen zu lassen. Treibendes Motiv und allgemeines Prinzip dieses Wertsetzungs- und Wertrealisierungsprozesses mittels Warenproduktion und Warenvertrieb ist, wie seit Marx bekannt, ein spezifischer politisch-ökonomischer Modus der Expropriation lebendiger, produktiver Arbeit durch tote, vergegenständlichte Arbeit, ein zur Selbstverwertung des Werts, zum Kapitalprozess hypostasierter Mechanismus der Ausbeutung einer gesellschaftlichen Klasse, der materiellen Besitzer wertschaffender Arbeitskraft, durch die andere gesellschaftliche Klasse, die formellen Eigentümer der von der Arbeitskraft geschaffenen Werte. Und praktische Konsequenz beziehungsweise faktisches Resultat dieses kapitalistischen Wertsetzungs- und Wertrealisierungsprozesses ist eine tiefgreifende Veränderung gleichermaßen des Systems der Güterproduktion und des Charakters der produzierten Güter selbst – eine Veränderung, in deren Verlauf einerseits die traditionelle gesellschaftliche Arbeit, die handwerkliche, einzel- oder kleinbetriebliche Gütererzeugung sich revolutioniert und der auf Lohnarbeit und Maschinisierung basierenden industriellen Massenproduktion weicht und nach deren Maßgabe andererseits die erzeugten Güter selbst mitsamt den an ihnen hängenden überkommenen Bedürfnissen sich quantitativ ebenso vervielfältigen wie qualitativ vervielfachen und eine durchgreifende Ausrichtung auf den heutigen, in seiner Systematik ebenso genusssüchtigen wie in seiner Kursorik befriedigungsunfähigen Massenkonsum erfahren. Von dieser Veränderung gleichermaßen ihrer habituellen Herstellungsbedingungen und ihrer traditionellen Konsumbeschränkungen, die andere Waren teils längst durchgemacht haben, teils seit längerem dabei sind durchzumachen, wird gegen Ende des 19. Jahrhunderts endlich und mit merklicher Verspätung auch die um ihre substantiellen Vorbehalte und ihren funktionellen Widerstand gebrachte Ware Information erfasst, – mit dem rasant eintretenden Erfolg jener für das 20. Jahrhundert so überaus charakteristischen Konzentration des Informationswesens, die letzteres zum Schlachtfeld ebensosehr wie zur Beute fabrikmäßig produzierender Großverlage, Pressekonzerne, Filmkonsortien und Fernsehgesellschaften werden lässt. Indem nach der Aushöhlung ihrer politischen Funktion und historischen Perspektive die Information im vollen Umfang ihrer peripheren Bedürfnisbefriedigungseigenschaften in den kapitalistischen Wertsetzungs- und Wertrealisierungsprozess hineingezogen wird, beginnt sie, in rasender Geschwindigkeit ihr Gesicht zu verändern, und wird zum Objekt einer großindustriell-seriellen Fertigung und Vermarktung, die bald schon, angefangen von der Mechanisierung und Automatisierung der publikationstechnisch-materiellen Produktionsbedingungen über die Rationalisierung und Stereotypisierung der journalistisch-intellektuellen Lohnarbeit bis hin zur Systematisierung und Optimierung der reklameförmig-gezielten Verkaufsstrategien eine Vorbildqualität und Vorreiterfunktion für die gesamtindustrielle Entwicklung des 20. Jahrhunderts beanspruchen kann. Binnen weniger Jahrzehnte entstehen auf den verschiedenen Gebieten des geschriebenen und gesprochenen Worts und der Übermittlung audiovisueller Daten jene für den massenhaften Informationskonsum produzierenden Großorganisationen oder Konzerne, die unter wechselnden Etiketten und in verschiedener, zwischen Privatunternehmen und öffentlicher Anstalt changierender Gestalt die zeitgenössische Gesellschaft mit einem unerschöpflichen Strom von Nachrichten-, Bild-, Film-, Musik- und Wortwaren, wie man will, versorgen oder überschwemmen. Es entstehen, mit anderen Worten, die Medien.

4. Die Ware Information als Träger einer neuen gesellschaftlichen Orientierungsfunktion

Wer allerdings in diesen neu entstehenden Medien bloß die Großproduzenten des vielgestaltigen Massenartikels Information, bloß die mit anderen industriellen Großunternehmen vergleichbaren sparten- oder flächendeckenden Produktionsgiganten, kurz, bloß Massenmedien im gedankenlosesten Sinne des Wortes sähe, hätte die oben formulierte Einsicht über ihren bereits im Namen implizierten besonderen Charakter, ihre sie von den Informationsmitteln herkömmlichen Zuschnitts definitiv trennende spezifische Differenz schon wieder aus den Augen verloren. Als auszeichnendes Charakteristikum nämlich der Medien wurde oben die merkwürdige Präsentations- und vielmehr Existenzform erkannt, die unter medialen Auspizien die Informationen annehmen, das eigentümliche äquilibristische Zugleich von Hervorbringung und Verhaltung, Verbreitung und Zurücknahme, Publikation und Reflexion, in dem per medium der Medien die Informationen erscheinen, kurz, jener epiphanische Zwangsrahmen oder transzendentale Schematismus, der, indem er als konstitutive Systembedingung oder unabdingbares Lebenselement die Informationen umfängt und in sich enthält, sie nolens volens im Kern alteriert oder von Grund auf neu bestimmt.

Nicht dass nicht auch die anderen traditionellen Güter und Gebrauchsgegenstände bei ihrer Integration in einen auf Lohnarbeitsbasis fabrikmäßig organisierten systematischen Warenproduktionszusammenhang, ihrer Transformation in als Wertträger großindustriell erzeugte Massenkonsumartikel eine wesentliche Veränderung und tiefgreifende Neubestimmung erführen! Nicht dass nicht auch sie mitsamt den auf sie sich richtenden Bedürfnissen unter allen – ästhetischen, topischen, funktionslogischen, pragmatischen oder sonstigen – Gesichtspunkten einer bis ins Mark der objektiven Gebrauchseigenschaften und bis auf den Grund der subjektiven Konsumgewohnheiten durchdringenden Revision unterworfen wären! Aber die Veränderung, von der in bezug auf die mediale Einbindung der Ware Information die Rede ist, ist doch noch etwas anderes. Diese Veränderung, der die zuvor ihres funktionellen Kerns und gesellschaftlichen Wesens beraubte und auf ein Gebrauchsding unter anderen reduzierte Ware Information unterliegt, betrifft nämlich das Gebrauchsverhältnis als solches, den Bedürfnisbefriedigungscharakter selbst. Bei den anderen Gütern bleibt das Gebrauchsverhältnis als solches von ihrer Verwandlung in als systematische Wertträger fungierende Massenkonsumartikel unmittelbar unberührt. Mag diese Verwandlung die Güter noch so sehr verändern, mag sie die in ihnen gewahrten Gebrauchseigenschaften, auf sie projizierten Befriedigungserwartungen, an sie geknüpften Konsumgewohnheiten, mit ihnen assoziierten Verwirklichungsvorstellungen noch so sehr unter die Kuratel der Verwertungslogik stellen und unter ihm eine neue Fasson gewinnen lassen, an dem Grundverhältnis, dass es sich bei ihnen um Befriedigungsmittel handelt, deren Bestimmung es ist, in die Hände, die Ohren, die Augen, die Haut, den Mund, den Bauch, das Geschlecht, die Seele, den Geist und so weiter des Konsumenten separat überzugehen und dort von letzterem privatim angeeignet, einverleibt und assimiliert zu werden, – an diesem Grundverhältnis ändert sich erst einmal nichts.2

Nicht so bei der Ware Information! Was sich durch ihre Integration in den massenhaften Erzeugungs- und Verwertungszusammenhang der Medien bei ihr verändert, ist eben diese für Gebrauchsgegenstände typische Aneignungsform selbst, diese traditionelle Form des Übergehens von einer Hand in die andere, des Überwechselns von einer Verfügung in die andere, diese geläufige und als Privatisierung wohlverstandene Verwandlung der auf dem Markt ganz allgemein zur Disposition gestellten Ware in ein dem einzelnen als solchem zum Gebrauch überlassenes Genussobjekt. Wie gesagt ist es das auszeichnende Charakteristikum der medial verbreiteten Informationen, dass sie als publizierte ebensowohl an den Ort der Publikation gebunden, als präsentierte ebensowohl in die Präsentationsform gebannt bleiben, dass sie nur im Gewahrsam des Mediums aufgenommen, nur im medialen Verbund genossen werden können, dass sie Erscheinungen sind, die nur im Akt des Erscheinens Bestand haben, Objekte sind, die nur in objectu existieren, und dass deshalb die Augen und Ohren, die sich mit ihnen füllen sollen, dies nur können, solange sie sie im medialen Kontext belassen, die Köpfe und Geister, die von ihnen Besitz ergreifen sollen, dazu nur imstande sind, solange sie das ganze Medium mit in den Kauf nehmen. Findet aber bei den medial publizierten Informationen kein separates Übergehen an die Konsumenten, keine getrennte Aneignung statt, so kann es bei ihnen auch zu keinem gewohnt individuellen Gebrauchsverhältnis, keiner traditionell privaten Bedürfnisbefriedigung kommen. Wie sollten die Konsumenten wohl das, was sich der separaten Aneignung entzieht, weil es an die Bedingungen seiner Objektivation unlösbar gebunden bleibt, in häuslichen Gebrauch nehmen können? Wie sollten sie an dem, was sich ihrem Körper, ihren Sinnen, ihrem Geist nicht getrennt einverleiben lässt, weil es in den Kontext seiner Präsentation existentiell gebannt bleibt, eine private Befriedigung finden können? Von den Medien seriell produziert und massenhaft publiziert, tritt die Information dem Konsumenten als bei aller phänomenalen Sinnenfälligkeit unablösbar organisiert entgegen, stellt sie sich ihm als bei aller empirischen Greifbarkeit systematisch inszeniert vor Augen und zwingt ihn also, sie, wenn überhaupt, so partout nur als die Pars pro toto des Mediums in Gebrauch zu nehmen, exklusiv nur im referentiellen Modus des gewahrten medialen Ganzen zu genießen.

Kaum also, dass die Ware Information Vergleichbarkeit mit der allgemeinen gesellschaftlichen Struktur der anderen Güter gewonnen und Anschluss an deren historische Bewegung gefunden hat, und noch ehe sie sich überhaupt in dieser neuen Existenz- und Bewegungsform hat einleben können, trennt sich ihr Weg auch schon wieder von dem der anderen Güter. Ein und dieselbe Entwicklung, die aus den übrigen großindustriell gefertigten und vertriebenen Waren Massenkonsumartikel werden lässt, deren Charakteristikum eine unter dem politisch-ökonomischen Verwertungsgesichtspunkt grundrevidierte Brauchbarkeit und Bedürfnisbefriedigungsbeziehung ist, lässt aus der durch die Medienindustrie produzierten und auf den Markt gebrachten Ware Information einen Massenkonsumartikel werden, der sich dadurch auszeichnet, dass er dem häuslich-separaten Gebrauch überhaupt entzogen und der persönlich-privaten Bedürfnisbefriedigung unerreichbar bleibt; – und zwar nicht, weil er gar kein Gebrauchsgegenstand und Bedürfnisbefriedigungsmittel wäre, sondern weil er sich getrennt von den Bedingungen, die ihn produzieren, nicht gebrauchen, herausgelöst aus dem Zusammenhang, in dem er erscheint, nicht als Befriedigungsmittel realisieren lässt.

Diese intime Verschränkung von produzierender Industrie und industriellem Produkt, diese unauflösliche Zwangsgemeinschaft der Ware Information mit dem eben deshalb als Medium firmierenden Mittel ihrer Hervorbringung oder vielmehr Darstellung aber findet – und dies ist die im folgenden zu entfaltende und plausibel zu machende Grundthese der vorliegenden Abhandlung! – ihre Erklärung in der ursprünglich besonderen Natur der Information, will heißen, in der Tatsache jenes gesellschaftlichen Wesens und funktionalen Zentrums, das die Information erst ad acta legen und los werden musste, um zum Konsumgut sans phrase, eben zur zwieschlächtig einfachen Ware sich mausern zu können. Als jenes gesellschaftliche Wesen der Information wurde oben ihre Eigenart angegeben, über Bestehendes nicht bloß zu unterrichten und an ihm teilhaben zu lassen, sondern zugleich auch am Bestehenden Kritik zu üben und über es aufzuklären, kurz also, ihre Tauglichkeit, dem Bewusstsein nötiger Veränderungen als kriterielle Basis und Kristallisationspunkt zu dienen. Jenes Wesen geht, wie gesagt, verloren, als gegen Ende des 19. Jahrhunderts die unter dem Druck ökonomischer Not und sozialer Verwahrlosung ins Extrem revolutionärer Ungeduld getriebene sozialistische Perspektive des neuen historischen Subjekts Proletariat unter dem Eindruck beginnender beziehungsweise in Aussicht gestellter ökonomischer und sozialpolitischer Reformen zusammenbricht und jede über Korrekturen am Bestehenden hinausgehende gesellschaftliche Zukunftsbestimmung ebenso wie jeden die immanente Entschärfung der Krise übersteigenden politischen Veränderungswillen in ihren Konkurs mit hinabreißt. Indem von der Information nichts als die phänomenalen Randaspekte ihres aufgelassenen intentionalen Zentrums, nichts als die naturalen Nebeneffekte ihres liquidierten sozialen Wesens übrig bleiben, wird sie, wie gesagt, zu einem normalen Ding mit Gebrauchseigenschaften, das der Verwandlung in eine Ware ebenso zugänglich ist wie jedes andere Gebrauchsding auch und das, dem inzwischen erreichten Stand der politisch-ökonomischen Entwicklung gemäß, der Vereinnahmung durch jene gegen Ende des 19. Jahrhunderts erstmals in Erscheinung tretenden Produktions- und Vertriebsorganisationen offen steht, die in seinem Fall, dem Fall des Massenkonsumartikels Information, als die Medien firmieren.

Wie aber? Wenn das kriterielle Wesen der Information verschwunden ist und sein Verschwinden geradezu als Voraussetzung für die Entfaltung des Massenkonsumartikels Information im Rahmen der Medien gelten muss, wie kann es im Zuge der Entfaltung der Ware Information zugleich wieder auftauchen und für die wesentlich wesenlos, zentral ohne Zentrum gedachte letztere eine Rolle spielen beziehungsweise neue Bedeutung gewinnen? Denn das impliziert ja offenbar die oben aufgestellte These, die medial besondere Fassung oder symbiotisch gebundene Form der Information erkläre sich aus der Existenz jenes ihr ursprünglich eigenen kriteriellen Wesens! Die Auflösung des allem Anschein nach paradoxen Problems ist auf den ersten Blick kaum weniger paradox als das Problem selbst. Jenes kriterielle Wesen der Information kann immer noch eine Rolle spielen, weil es zwar verschwunden, aber nicht aus der Welt, zwar beseitigt, aber nicht erledigt ist, weil nicht zwar diejenigen, die die Ware Information kaufen, wohl aber diejenigen, die sie verkaufen, dieses Unerledigten eingedenk bleiben und ihm auf ihre eigentümliche Weise die Treue halten. Dass sie dies tun, muss auf den ersten Blick als Gipfel der Paradoxie erscheinen! Schließlich sind gerade sie es, die vom Verschwinden jenes Wesens nicht bloß substantiell profitieren, sondern existentiell abhängen, weil ja erst dank solchen Verlusts das, was als Information übrigbleibt, als Ware für sie verfügbar und verwertbar wird. Warum um alles in der Welt sollten sie dem zu ihrem Vorteil Verschwundenen die Treue halten?

So mysteriös die Sache unmittelbar anmutet, bei genauerem Hinsehen ist der Grund nicht schwer zu entdecken: Die Produzenten und Verkäufer der Ware Information bleiben des verschwundenen Wesens der letzteren eingedenk, weil sie dessen Verschwinden nicht trauen, seinen Verlust nicht für unwiderruflich halten. Und sie trauen seinem Verschwinden nicht, weil schließlich sie mit ihren Artgenossen die Bedingungen schaffen, unter denen es verschwindet, und deshalb aber auch selber am besten beurteilen können, wie wenig haltbar, wie prekär und krisenanfällig diese Bedingungen sind. Als dem Werden der Information zur Ware förderliche Bedingungen und Umstände wurden die relativ dauerhafte ökonomische Prosperität und politische Stabilität genannt, die gegen Ende des Jahrhunderts in den Industriestaaten herrschen und auf Grund deren die industriellen Warenerzeuger und –verkäufer im Verein mit der Staatsbürokratie sich zu einer Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen beziehungsweise zu einer Sozialgesetzgebung bestimmen lassen, die bei aller Beschränktheit ihrer Zielsetzung und Durchsichtigkeit ihrer Absichten dem Proletariat eine hinlängliche Linderung seiner ökonomischen Not und eine ausreichende Milderung seines sozialen Elends in Aussicht stellen, um ihm seine radikal gesellschaftskritische Oppositionshaltung erst einmal zu verschlagen und es von seinem fundamental revolutionären Kurs abzubringen. Die industriellen Warenerzeuger und –verkäufer wissen wie gesagt selber am besten, wie wenig Dauer verheißend diese günstigen ökonomischen Bedingungen und vorteilhaften politischen Umstände tatsächlich sind und wie bedroht die relative wirtschaftliche Prosperität, die ein durch das Verwertungs- und Ausbeutungsprinzip bestimmtes Wirtschaftswachstum zeitigt, und die vergleichsweise politische Stabilität, die auf dieser Prosperität beruht, in Wahrheit ist. Sie wissen selber am besten, mit welch zyklischer Zwangsläufigkeit beziehungsweise struktureller Unausweichlichkeit der ökonomische Verwertungszusammenhang und soziale Ausbeutungsmechanismus, kraft dessen sie ihre Warenproduktion und Wertakkumulation betreiben, teils kurzfristig durch seinen naturwüchsigen Expropriationsmodus und durch seine naturgewaltige Abstraktheit gegenüber der traditionellen Organisation gesellschaftlicher Bedürfnisse in die nächste Massenarbeitslosigkeit und Massenarmut hineinzuführen, teils langfristig durch seinen rücksichtslosen Rationalisierungsduktus und durch seine unaufhaltsame Zerstörung gleichermaßen der traditionellen Organisation gesellschaftlicher Arbeit und des gegebenen Umfangs natürlicher Ressourcen eine dissoziative Entfremdung der einzelnen und destruktive Verdinglichung ihrer Existenz nach sich zu ziehen bestimmt ist. Weil jener Verwertungszusammenhang und Ausbeutungsmechanismus, der der Warenproduktion zugrunde liegt, einer Eigengesetzlichkeit und Zwangsdynamik gehorcht, die weder durch die Bedürfnisbefriedigungsrücksichten der beteiligten Subjekte noch durch ihre Selbstverwirklichungsansprüche im mindesten kontrolliert wird und vielmehr zu beidem teils in direktem, systematischem Widerspruch, teils höchstens und nur in einer indirekten empirischen Trial-and-Error-Abhängigkeit steht, ist weder garantiert, dass das System der Warenproduktion den Anforderungen der gesellschaftlichen Reproduktion überhaupt gerecht zu werden vermag, noch sichergestellt, dass, selbst wenn das System den Reproduktionsanforderungen Genüge tut, diese Leistung nicht durch den in Form von gesellschaftlicher Auflösung und natürlicher Zerstörung dafür zu zahlenden Preis ad absurdum geführt wird. Vielmehr deutet angesichts dieser von der Verwertungs- und Ausbeutungspraxis ausgehenden doppelten Gefahr sei's einer überhaupt mangelhaften Versorgung der Arbeitenden mit den Lebensgütern, die sie erzeugen, sei's einer von den Arbeitenden für ihre erfolgreiche Versorgung dranzugebenden menschenwürdigen Existenz und akzeptablen Lebenswelt alles daraufhin, dass nur zu bald die zeitweilige Prosperität und Stabilität der Verhältnisse neuer Pauperisierung oder Entfremdung Platz machen, weiterer ökonomischer Not oder neuem sozialem Elend weichen wird.

Mit der Rückkehr von Not und Elend in der einen oder anderen Form aber werden sich, so lässt sich jedenfalls erwarten, zugleich jene auf die ökonomischen Eigentumsverhältnisse zielenden klassenrevolutionären Veränderungsabsichten und jene die politische Machtfrage stellenden sozialkritischen Verbesserungsperspektiven wieder einstellen, die vorläufig zugunsten der Hoffnung auf systemimmanente Akkomodations- und gesellschaftsreformerische Integrationsmöglichkeiten abgedankt sind. Eine solche Erneuerung fundamental revolutionärer Absichten und radikal transzendierender Perspektiven aber kann schließlich gar nicht umhin, auch dem Informationswesen eben die intentional orientierende Bedeutung und kriteriell bestimmende Funktion wiederzugeben, die ihm mit der Konsequenz seiner Verwandlung in eine ganz gewöhnliche Warenansammlung ja gerade der Mangel jeder Perspektive und Verlust jeder Intention ausgetrieben hat. Eine derartige Wiederbelebung der gesellschaftlichen Funktion der Information aber würde bedeuten, dass die letztere aufhörte, Ware und garantiert nichts anderes als Ware zu sein, würde heißen, dass sie vielmehr erneut jenen mit der Wertform konkurrierenden allgemeingesellschaftlichen Charakter annähme, durch den sie sich von jeglichem privatem Gebrauchsgegenstand qualitativ unterscheidet und der Verwandlung in eine Ware prinzipiell widersetzt, und würde mithin auch einschließen, dass den Herstellern und Verkäufern von Information dieser gerade erst erworbene Austauschartikel bereits wieder entglitte und entrissen würde, dass ihnen dieses eben erst unter Kontrolle gebrachte Wertschöpfungsreservoir schon wieder verloren ginge. Mit einer solchen Aussicht aber können sich die letzteren schlechterdings nicht abfinden. So sehr sie aus Gründen ihres ökonomischen Verstands und politischen Durchblicks mit ihr rechnen müssen, so wenig sind sie imstande, mit ihr zu leben. In der Tat korrespondiert bei den Herstellern und Vertreibern der Ware Information geradeso wie bei den Produzenten und Verkäufern anderer Waren dem entschiedenen Anspruch auf die Geltung des allgemeinen Verwertungsprinzips das nicht minder dezidierte Verlangen nach dessen Dauer. Gekettet an die Fluchtlinie einer in quantitativ schlechter Unendlichkeit fortlaufenden Kapitalakkumulation, ist die kapitalistische Wertbildung und Wertrealisierung ohne die Aussicht auf zeitliche Kontinuität und prozessuales Bestehen ein Unding und Nichts.

Im Fall der Ware Information wird das aller Warenproduktion eigene Verlangen nach Kontinuität des Verwertungsprozesses und Zuverlässigkeit des Wertverhältnisses noch durch die überdeterminiert besondere Bedeutung verstärkt, die eine Störung des Prozesses und ein Bruch des Verhältnisses dort anzunehmen tendiert. Denn anders als bei den übrigen Waren beschwört ja bei der Ware Information eine Unterbrechung des sie betreffenden Verwertungsprozesses nicht nur den aktuellen Ruin derer herauf, die an ihr ökonomisch interessiert sind, sondern bedeutet eine Gefahr für die Warenproduktion überhaupt und bedroht mithin die Klasse der Verwerter als ganze und die Wertbildnerexistenz als solche. Wenn die ihren Dienst als Ware quittierende und ihre alte Freiheit wiedergewinnende Information ihr früheres kriterielles Wesen in dem Sinne reaktiviert, dass sie erneut als wesentlich gesellschaftskritisches Instrument und auf Systemveränderung dringendes Orientierungsmittel Bedeutung erlangt, hat der gesamte kapitalistische Wertbildungs- und Wertrealisierungsprozess und haben alle an ihm Beteiligten Grund, sich davon bedroht zu fühlen. Und so gesehen, erscheint in der Tat die Aufrechterhaltung des Warencharakters der Information und die Garantie des sie definierenden Wertverhältnisses als ein allen Warenbesitzern gemeinsames Bedürfnis und dem wohlverstandenen Interesse des ganzen Markts entsprechendes Erfordernis. Die mit ihrer Repolitisierung einhergehende ökonomische Entwertung der Information, die, dem darwinistischen Grundzug des Systems konkurrierender Kapitalien gemäß, andernfalls nichts als ein Pech für einzelne und das Los der Schwächeren wäre, nimmt wegen eben jener ihre ökonomische Entwertung begleitenden Repolitisierung der Information in diesem Fall vielmehr die Bedeutung eines Schibboleth für alle Warenbesitzer und einer über die Stärke des Ganzen entscheidenden Schicksalsfrage an.

Mag indes das Bedürfnis nach der Kontinuität und Verlässlichkeit der Warenform und Wertbestimmtheit von Information noch so sehr Verstärkung dadurch erhalten, dass es alle Warenbesitzer angeht und dem wohlverstandenen Interesse an der Aufrechterhaltung des ganzen Systems entspricht, die Befriedigung des Bedürfnisses wird dadurch um kein Jota leichter. Würde nicht eine solche Bestandsgarantie eine Verhinderung jener künftigen ökonomischen Zusammenbrüche und sozialen Zerfallsprozesse erfordern, die der Information ihr früheres kriterielles Wesen zurückzugeben geeignet sind und ihr eben deshalb die Warenform zu verschlagen und die Wertbestimmtheit auszutreiben drohen? Und sind jene ökonomischen Zusammenbrüche und sozialen Zerfallsprozesse nicht gerade notwendige Konsequenz des den Warenbesitzern eigensten ökonomischen Tuns und sozialen Treibens? Würde also eine Verhinderung jener künftigen Destruktion oder Desintegration nicht widersprüchlicherweise voraussetzen, dass die Warenbesitzer von ihrem ökonomischen Tun und sozialen Treiben abließen und also in genere der Gebrauchsgegenständlichkeit auf eben die Formbestimmtheit verzichteten, die sie in specie des Gebrauchsgegenstands Information doch gerade reaffirmiert und in alle Zukunft abgesichert sehen möchten?

Können aber die Hersteller und Verkäufer der Ware Information eine Wiederkehr der gesellschaftskritischen Funktion und systemtranszendierenden Orientierung der letzteren im Prinzip ebensowenig verhindern wie die Warenproduzenten insgesamt den Eintritt jener ökonomischen Konkurse und sozialen Auflösungserscheinungen, denen sie vielmehr selber durch ihr Tun und Treiben Vorschub leisten, so scheint wenig übrig zu bleiben, was sich zur Befriedigung ihres gemeinsamen Verlangens nach Aufrechterhaltung der Warenform der Information und Sicherstellung ihrer Wertbestimmtheit tun lässt. Indes ist, getreu dem Hölderlinschen Motto von der in der größten Gefahr am ehesten winkenden Rettung, dies der Punkt, an dem die Besitzer der Ware Information angesichts der Aussichtslosigkeit jeder bloß negativen Abwehrmaßnahme und Verhinderungsstrategie sich zu einem radikalen Umdenken bequemen und, statt sich noch länger auf unnütze Vorkehrungen gegen einen möglichen Ausbruch des in der Information verborgenen Gefahrenpotentials zu kaprizieren, die Geiß vielmehr bei den Hörnern packen. Können sie nämlich die konkursbedingte Repolitisierung und zerfallsbestimmte Resozialisierung der Ware Information schon um keinen Preis verhindern, so können sie doch den spekulativen Versuch unternehmen, diese Repolitisierung und Resozialisierung der Information in eigener Regie zu antizipieren und in einen integrierenden Faktor der herrschenden Gegenwart umzufunktionieren. Sowenig ihnen gegeben ist, das kriterielle Wesen der Information auf Dauer außer Kraft zu setzen, sosehr steht ihnen frei, es in eigener Initiative aufs Tapet zu bringen und nach Möglichkeit in den Dienst der eigenen Sache zu stellen. Statt ängstlich darauf zu warten, dass jenes preisgegebene Wesen und aufgelassene Zentrum der Information irgendwann von der Gegenseite neu okkupiert und in einen Brückenkopf feindlicher Absichten und Strategien umgewandelt wird, können sie sich ein Herz fassen und sich darum bemühen, es beizeiten in eine widerstandsfähige Hochburg ihrer Selbstbehauptung umzurüsten. Statt bloß passiv die fruchtlose Hoffnung zu nähren, dass die Information als ein Mittel gesellschaftspolitischer Kritik und politisch-ökonomischer Neuorientierung nicht wieder aktuell werden möge, können sie von sich aus aktiv werden und mit dem Ziel einer präventiven Steuerung und antizipatorischen Kontrolle des Aktualisierungsprozesses die Information als ein gesellschaftspolitisches Kritikinstrument und politisch-ökonomisches Orientierungsmittel nach eigenem Gusto in Szene setzen

Fußnoten

... nichts. 2
In neuester Zeit allerdings hat auch hier die Veränderung das Grundverhältnis selbst ereilt. Heute gewinnen unter dem Einfluss einer Reklamestrategie, die sich im Rahmen des noch zu erörternden faschistischen Brot-und-Spiele-Komplexes entwickelt hat und wesentlich seinem Vorbild folgt, sogar noch die gewöhnlichsten Konsumgüter eine metaphorische Fasson und systematische Reflexivität, die sie praktisch ununterscheidbar von der medialen Ware werden lässt. Dazu vergleiche meinen Traktat Totale Reklame, Berlin (R. Matzker Verlag) 1986.
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