2. Liturgie

Bedingung dafür, daß der territoriale Herr vor Ort der Polis schließlich vertrieben und die Polis als der neue Gemeinschaftstyp, der sie ist, sichtbar wird, ist der Frontwechsel der Aristokratie, die, verführt durch die konsumtiven Attraktionen und die neuen Lebensformen, zur Stadt überläuft. Ergebnis ist der Zwittercharakter der Polis, ihr Zugleich von kommerzieller Bestimmtheit und aristokratischer Verfaßtheit. Der Reichtum, den die Aristokraten aus ihrem Oikos in die Stadt bringen, wird von ihnen als Mittel für soziale Geltungs- und politische Machtansprüche eingesetzt und entfaltet dadurch eine eigene Sprengkraft.

Mitnichten also bedeutet die Polis mit ihren handwerklichen Reichtumquellen im eigenen Haus und den zwischen ihnen und der Handelsfunktion qua Markt entfalteten polisinternen Austauschbeziehungen das Ende der Einbettung der Handelsfunktion in den Zusammenhang traditioneller Territorialherrschaften und ihrer Abhängigkeit vom kommerziellen Verkehr mit diesen. Wohl aber macht die Polis der territorialen Herrschaft vor Ort, dem lokalen Herrn, auf dessen Territorium und in dessen Machtbereich sie entsteht, den Garaus. Für diesen lokalen Monarchen, in dessen kommissarischem Auftrag die Handeltreibenden ursprünglich ausschließlich tätig waren und dessen Interessen sie auch, als sie bereits von ihm unabhängige interregionale Handelsbeziehungen unterhielten, noch sei's direkt durch die Übernahme kommissarischer Aufträge, sei's indirekt durch seine in der Form von Tributen sichergestellte Beteiligung an ihren eigenen Geschäften dienten – für diesen traditionellen Machthaber vor Ort ist im Kraftfeld und Einflußbereich der entwickelten Polis kein Platz mehr, ist nun, da die Handelsfunktion nicht nur selber zu Reichtum, sondern mehr noch zu eigenen polisinternen Reichtumquellen gelangt ist, die Stunde des Untergangs gekommen: er wird gestürzt und verjagt. Was ihm den Garaus macht, ist jenes quasisymbiotische Verhältnis, das die Handelsfunktion zwischen der Polis als Hersteller vorzugsweise handwerklicher Produkte und den umliegenden Territorialherrschaften als Lieferanten vornehmlich landwirtschaftlicher Erzeugnisse stiftet und das entgegen dem unmittelbaren Anschein eines mit der Polis möglichen, in sich geschlossenen, herrschaftsfrei-genossenschaftlichen Selbstversorgungssystems der Produzenten die umliegenden Territorialherrschaften vielmehr als konstitutive Bestandteile des neuen Systems, als ebenso unentbehrliche Voraussetzungen wie unabdingbare Faktoren des um die Polis geknüpften Handelsnetzes ausweist und reaffirmiert.

Eben das, was der traditionellen Herrschaft im Umkreis der Polis, den benachbarten Territorialmächten, eine tragende Funktion und unverzichtbare Rolle im Reproduktionssystem des neuen politischen Gemeinschaftstyps sichert, gereicht der traditionellen Herrschaft vor Ort, dem lokalen Monarchen, auf dessen Territorium die Polis entsteht, zum Verderben: die Tatsache nämlich,daß die polisstiftende Handelsfunktion dank der in ihrem Kraftfeld angesiedelten handwerklichen Produzenten Austauschbeziehungen zu den benachbarten Territorien entwickeln und pflegen kann, die es dem Handeltreibenden ermöglichen, nicht bloß als mehr oder minder ehrlicher Makler, als interregionaler Zwischenträger fremden Guts, als Umschlags- und Vermittlungsstelle auswärtiger Warenströme tätig zu sein, sondern auch und vor allem aus der Position eines mit originärem Reichtum an den kommerziellen Beziehungen beteiligten Handelsherrn, eines aufgrund der eigenen Reichtumquellen ebenso geachteten wie eigenständigen Handelspartners der territorialen Nachbarn zu agieren. Jene Haltung eines grundständigen Reichtumseigners, einer reichtumunmittelbarer Substantialität, die der Handeltreibende sonst nur als kommissarischer Vertreiber der Güter seines Territorialherrn uneigentlich an den Tag zu legen, höchstens als Prokurist der im Auftrage seines Monarchen getätigten Handelsgeschäfte leihweise anzunehmen vermochte, sie zieht er sich jetzt auf Grund des mit den handwerklichen Produzenten praktizierten polisinternen Austauschs als dauerhaften Charakter zu, dankt sie als bloße Attitüde, als maskenhafte Vertretung einer hinter ihm stehenden und durch ihn kommissarisch repräsentierten herrschaftlichen Macht ab und kehrt sie als wesenhafte Einstellung, als haltbare Erscheinung eines ihm zuarbeitenden und mit ihm kommerziell kontrahierenden produktiven Seins neu heraus.

Und er nimmt jenen Charakter eines als grundständiger Reichtumseigner konsubstantiellen Handelspartners der übrigen territorialen Reichtumseigner mehr noch in der symbiotischen Zuspitzung an, die durch die gegenseitige Abhängigkeit von den Reichtumquellen, über die der jeweils andere verfügt, das Austauschverhältnis zwischen Polis und benachbarten Territorien gewinnt. Was er mit anderen Worten in das kommerzielle Verhältnis zu seinen territorialen Nachbarn als seinen eigenen, quasi angestammten Reichtum einbringt und ihnen austauschweise zur Verfügung stellt, ist nicht mehr wie noch der kommissarisch vertriebene Reichtum des lokalen Monarchen ein dem Reichtum der Nachbarn im Prinzip homogenes Herrengut, sondern ist dank der zunehmenden Aufteilung der Produktionssphäre in einen polisspezifischen Bereich handwerklicher Produktion und eine territorialherrschaftliche Domäne landwirtschaftlicher und naturstofflicher Erzeugung Konsumgut, das sich die territoriale Herrschaft auf anderem Wege nicht oder nur schwer verschaffen kann, wie auch umgekehrt die territorialherrschaftlichen Nachbarn dem Handeltreibenden Subsistenzmittel und Rohstoffe zugänglich werden lassen, die für die unter seiner Ägide oder im Kraftfeld seiner Funktion gestiftete Polis lebenswichtig sind. Nicht also nur in genere der durch sie als ehrlichen Makler ermöglichten Entfaltung und Befriedigung konsumtiver Bedürfnisse macht sich die Handelsfunktion den sie umgebenden Territorialherrschaften unentbehrlich, sie tut es auch in specie der von ihr als Polisstifterin unter Kontrolle gebrachten handwerklichen Reichtumsquellen und der ebenso symbiotisch-partnerschaftlichen wie sphärisch-arbeitsteiligen Austauschbeziehungen, die sie auf Basis ihrer quasi originären Reichtumsquellen zu den umgebenden Territorialherrschaften unterhält. Was Wunder, daß unter den Bedingungen dieser von der Polis kultivierten eigenen, symbiotisch-partnerschaftlichen Beziehungen zu den Herren der benachbarten Territorien für den Herrn des die Polis selbst beherbergenden Territoriums, den lokalen Monarchen, kein Raum mehr bleibt und kein Bedarf mehr besteht. Teils ist, was er an kommissarisch zu vertreibendem Reichtum in den kommerziellen Austausch einbringt, durch den kraft Polis der Handelsfunktion zuwachsenden Reichtum eigener Provenienz zur quantité negligeable degradiert, teils wirkt sich dieser kommissarisch eingebrachte Reichtum in einem mittlerweile kraft symbiotischer Arbeitsteilung nicht mehr sowohl auf die Verteilung wechselseitiger Überschüsse als vielmehr auf die Befriedigung gegenläufiger Bedürfnisse gerichteten Austauschsystem eher störend und desorientierend als förderlich oder stabilisierend aus.

Und während so der Territorialherr vor Ort der Polis einerseits alle ökonomische Bedeutung für sie einbüßt, erweist er sich andererseits in politischer Hinsicht als bloße Belastung für sie, weil er mit den traditionellen diplomatischen, kultischen und militärischen Beziehungen, die er zu den benachbarten Territorialherren unterhält und mit den diversen bündnispolitischen, rituellen und tributären Verpflichtungen und Ansprüchen, die sich für ihn daraus herleiten, der neuen außenpolitischen Ordnung, deren Grundlage ökonomische Interessen und kommerzielle Abhängigkeiten sind, im Zweifelsfall nur in die Quere kommt und nichts als Umstände macht. So gewiß das von der Polis installierte neue Außenverhältnis zu den territorialen Nachbarn sein Realfundament in einer zunehmenden ökonomischen Arbeitsteilung und kommerziell ins Werk gesetzten wechselseitigen Bedürfnisbefriedigung hat, so gewiß ist das vom Territorialherrn vor Ort auf der Basis einer weitgehenden ökonomischen Autarkie praktizierte traditionelle Beziehungssystem aus dynastischer Verbindung, kultischer Anerkennung und militärischer Unterwerfung reell ebenso fehl am Platz wie funktionell überflüssig. Und diesem ebensosehr zu einem reellen Störfaktor wie funktionell obsolet gewordenen territorialen Herrn vor Ort soll nun aber die Polis zu allem Überfluß auch noch den gewohnten Tribut leisten, diesem Gemisch aus ökonomischer Irrelevanz und politischer Deplaziertheit soll sie für nicht geleistete ökonomische Dienste und für nicht gewährleistetes politisches Stillhalten weiterhin seinen üblichen Anteil an den im interterritorialen Handel erwirtschafteten Gewinnen zukommen lassen! Was Wunder, daß die Polis, sobald sie sich stark genug dazu fühlt, den territorialen Herrn vor Ort, den lokalen Monarchen, stürzt und zum Teufel jagt!

Stark genug kann sie sich schließlich dazu fühlen, weil sie dank ihrer Anhäufung kommerziell bedingten Reichtums, ihres darauf basierenden Bevölkerungswachstums und ihrer dadurch ermöglichten Akkumulation weiteren, manufakturell erzeugten Reichtums mittlerweile eine Dimension und Schwerkraft erreicht hat, die sie des Charakters eines bloßen, in den territorialherrschaftlichen Zusammenhang eingebetteten Fremdkörpers, einer im lokalen Organismus sich bildenden knotenförmigen Wucherung überheben und die umgekehrt dies organische Umfeld in den zentrierten Bezugsrahmen, ins organisierte Umland ihres eigenen Bestehens zu überführen, die also den lokalen Zusammenhang, in den die Polis eingelassen ist, umgekehrt in ein von ihr her bestimmtes Glacis und Vorwerk zu verwandeln tendieren. Einigermaßen umstandslos Wirklichkeit werden und in der kurzentschlossenen Vertreibung des Monarchen ihren relativ gewaltlosen Kulminationspunkt und Abschluß finden kann allerdings diese den lokalen Zusammenhang heimsuchende polisbezügliche Verwandlungstendenz nur, weil Teile des territorialherrschaftlichen Zusammenhangs, verführt durch die von der Handelsfunktion und ihrem Funktionsmechanismus, dem Markt, erschlossenen neuen Konsumgewohnheiten und annehmlicheren Lebensformen, gemeinsame Sache mit der Polis machen. Beträchtliche Gruppen der als kultische Gefolgschaft, als Opfergemeinde, dem lokalen Monarchen, dem Repräsentanten der Götter und theokratischen Priesterkönig, zugeordneten Oberschicht lassen sich, angelockt durch die Segnungen der Handelsfunktion, in der im Kraftfeld der kommerziellen Aktivität sich entwickelnden Polis nieder und bringen damit teils sich selber mitsamt dem agrarischen Reichtum, den sie aus den ihnen vom Monarchen zur eigenen Nutzung überlassenen Ländereien ziehen, in den neuen Gemeinschaftstypus ein, teils binden sie im Interesse einer maximalen Nutzung des Reichtums, der sie an den Segnungen des Marktes partizipieren läßt, die unter ihrer Verfügung stehenden Gebiete, ihre Ländereien, immer stärker an den neuen Gemeinschaftstypus, indem sie deren Produktion in zunehmendem Maße an den Bedürfnissen sowohl der Polis selbst, als auch des von interterritorialen Handelsrücksichten bestimmten Marktes, um den die Polis zentriert ist, ausrichten.

Auch wenn die aristokratische Oberschicht mit dieser Anlehnung an den Handel und sein Geschöpf, die Polis, im Prinzip und der Sache nach das gleiche tut, was ihr Oberherr, der lokale Monarch, macht, wenn er auf der Basis eines zum beiderseitigen Vorteil geschlossenen Zweckbündnisses gegenüber der Polis eine an aktive Begünstigung grenzende Laissez-faire-Politik verfolgt, ist doch der Intention und Konsequenz nach das aristokratische Beginnen etwas völlig anderes als das monarchische Verfahren. Jene Anpassung an die mit der Polis gestifteten neuen Bedingungen, die beim Monarchen einem auf Machterhalt zielenden politischen Kalkül entspringt, ist bei der Aristokratie Ausdruck einer auf Desertion hinauslaufenden ökonomische Neuorientierung. Der Unterschied tritt in dem Augenblick zutage, in dem die Polis sich stark genug fühlt, um gegen den ökonomisch mittlerweile funktionslos gewordenen und politisch nurmehr störenden Monarchen aufzustehen. Große Teile der Oberschicht, die sich in der Polis etabliert und ihr ökonomisches Geschick längst auf Gedeih und Verderb mit dem der Polis verknüpft haben, fallen von ihrem opferpriesterlichen Herrn ab und schlagen sich mitsamt ihren Gütern, ihrem Oikos, politisch auf die Seite, auf der sie ökonmisch bereits steht. Die Front verläuft also nicht zwischen polisbewohnenden Handeltreibenden, Seefahrern und Handwerkern einerseits und um den lokalen Monarchen als treue Gefolgschaft gescharter landbesitzender Oberschicht andererseits, sondern der Riß zieht sich quer durch die Oberschicht selbst beziehungsweise trennt im Extremfall die mit der Polis gemeinsame Sache machende Oberschicht vom weitgehend auf sich gestellten und eben deshalb auf verlorenem Posten stehenden lokalen Monarchen. Genau dies ermöglicht eine relativ umstandslose Vertreibung der im Monarchen verkörperten traditionellen Herrschaft und einen relativ bruchlosen gesellschaftlichen Übergang in eine dem neuen Gemeinschaftstyp Polis angemessenere, veränderte Herrschaftsform. Die Konfrontation, die andernfalls eine zwischen Stadt und Land, zwischen neuem politisch-ökonomischem Interessenverband und altem territorialem Herrschaftszusammenhang aufbrechende gesamtgesellschaftliche Spaltung nach sich ziehen und einen förmlichen Bürgerkrieg provozieren müßte, verwandelt sich dank der ökonomisch motivierten Parteinahme der Oberschicht in einen kurzen Showdown, aus dem die Polis als souveräne, von der traditionellen Territorialherrschaft befreite Macht hervorgeht.

Der Preis für die politische Unabhängigkeit und Eigenständigkeit, die auf der Basis einer kraft Handelsfunktion allmählich veränderten ökonomischen Konstellation die Polis quasi im Handstreich erringt, ist also ihr grundlegender Zwittercharakter, das Zugleich von kommerzieller Bestimmtheit und aristokratischer Verfaßtheit, von Angewiesenheit auf den Handel und Abhängigkeit vom Adel, das für sie konstitutiv ist. Es ist ein notwendiger Preis, den die Polis entrichtet; denn was durch die Mitwirkung der zur Polis übergelaufenen und zu ihren Lebensbedingungen konvertierten Aristokratie zu einem im Handumdrehen vollzogenen Befreiungakt wird, wäre der Polis mangels territorialen Rückhalts und militärischer Schlagkraft ohne diese Mitwirkung vielleicht überhaupt nicht möglich oder müßte jedenfalls zu Auseinandersetzung führen, denen im Zweifelsfall eben das, worum gekämpft würde: die ungestörten kommerziellen Beziehungen, die freie Ausübung von Handwerken und Gewerben, der allein nach Marktgesetzen praktizierte ungehinderte Güteraustausch zum Opfer fielen. Dieser für die Polis konstitutive Zwittercharakter macht nun aber auch, daß in ihr die beiden Formen des Reichtums, kommerziell-potentieller und herrschaftlich-aktueller Reichtum, unvermittelt nebeneinander existieren; besser gesagt, er bewirkt, daß in die polisspezifische Sphäre des kommerziellen Reichtums, der, wie sehr er nach außen als ein Fundus zur Befriedigung herrschaftlicher Konsumbedürfnisse firmiert, doch aber nach innen die Funktion eines Fonds arbeitsteiliger Gewerbetreibender zur wechselseitigen Versorgung mit Subsistenzmitteln erfüllt – daß also in die Sphäre dieses quasi als Subsistenzmittelfonds fungierenden polisspezifischen Reichtums herrschaftlicher Reichtum unvermittelt eintritt und in ihr sich breitmacht.

Dabei liegt der Akzent auf der Unmittelbarkeit und gewissermaßen personalen Behaftbarkeit des herrschaftlichen Reichtums, der durch die im Bund mit der Polis stehende Aristokratie in den Polisraum eintritt. Mittelbar wird natürlich fortlaufend und in kontinuierlichem Strom herrschaftlicher Reichtum in die Stadt eingeführt. So wahr die Stadt kommerzielle Beziehungen zu den umliegenden herrschaftlichen Territorien unterhält und in einem zunehmend durch Komplementarität, wechselseitige Abhängigkeit bestimmten, um nicht zu sagen symbiotischen, öknomischen Austausch mit ihnen steht, so wahr ist herrschaftlicher Reichtum ein wesentlicher Bestandteil der Ökonomie der Polis und eine ebenso selbstverständliche wie alltägliche Erscheinung in ihr. Das allerdings ist er dann nicht mehr als solcher, sondern jeweils schon in der durch den Austausch bewirkten alternativen Form kommerziellen Reichtums. In dem Augenblick, in dem der aus den benachbarten Territorialherrschaften in die Polis eindringende herrschaftliche Reichtum in ihr in Erscheinung tritt, ist er bereits durch den draußen vollzogenen Austauschakt entaktualisiert, neutralisiert, seiner Herrschaftsform entkleidet, seiner personalen Zugehörigkeit beraubt und mittels Überführung in die Form potentiellen Reichtums zu einem Teil jener kraft Handelsfunktion als Markt versammelten polisinternen Gütermenge geworden, der die Tatsache, daß ihre Empfänger nicht weniger als ihre Lieferanten sich zunehmend aus den Reihen der poliseigenen Gewerbetreibenden rekrutieren, zunehmend den Anschein eines in arbeitsteiliger Kooperation von Produzenten für Produzenten geschaffenen Subsistenzmittelfonds verleiht. Dieser Anschein einer quasi gemeinnützigen Versorgungseinrichtung täuscht nun zwar, da die über den Subsistenzmittelfonds Verfügenden, die Handeltreibenden, mit dem kommerziellen Distributionsmechanismus, nach dessen Maßgabe sie ihn verwalten, ein durchaus eigennütziges Ziel verfolgen und nämlich wesentlich nur die Mehrung eben dieses Fonds, die auf Kosten auch und nicht zuletzt der polisinternen Produzenten betriebene Akkumulation des den Fonds bildenden kommerziellen Reichtums selbst im Auge haben. Erstens aber entspricht dieses Ziel, so sehr seine Verwirklichung ökonomisch zu Lasten der Produzenten geht, politisch dennoch ihrem eigenstem Interesse, da ja der ökonomische Einfluß, zu dem der Akkumulationsprozeß der Handelsfunktion verhilft, und die politische Macht, die ihr solch ökonomischer Einfluß verschafft, Existenzgrund der Polis und mithin auch conditio sine qua non der politischen Freiheiten sind, die in der Polis als einer Zufluchtsstätte vor allem traditionellen Herrschaftszusammenhang sie, die Produzenten, genießen. Und zweitens und vor allem trägt diese eigennützige ökonomische Zielsetzung der Handeltreibenden, die fortgesetzte Akkumulation des in ihren Händen sich sammelnden kommerziellen Reichtums, vorerst jedenfalls keine politische Unruhe in die Polis und macht in ihr keinen großen sozialen Unterschied, da ihr Sinn und Nutzen ja nicht in einer auf die polisinternen Verhältnisse gemünzten Distinktion und individuellen Ermächtigung, sondern in einer gegen den territorialen Herrschaftszusammenhang gerichteten Emanzipation und funktionellen Verselbständigung liegt und da also der politische Zweck, den mit ihrer ökonomischen Akkumulationsstrategie die Handeltreibenden verfolgen, nicht darauf geht, in der allererst in der Konsequenz jener Akkumulationsstrategie gestifteten Polis persönliche Macht zu erringen, sondern aus der Gründungszeit der Handelsfunktion selbst herstammt und in seiner ganzen, oben erläuterten Widersprüchlichkeit darin besteht, sich im traditionellen Herrschaftszusammenhang als persönliche Macht zu etablieren und nämlich auf der Basis eines durch die Akkumulation von Reichtum erwirkten ökonomischen Unabhängigkeit sein politisch eigener Herr zu werden.

Ganz anders als mit dem je schon in die Form kommerziellen Reichtums gebannten und insofern bloß mittelbar ins Spiel der Polis gebrachten herrschaftlichen Reichtum von draußen, aus den benachbarten territorialen Gebieten, verhält es sich nun aber mit dem herrschaftlichen Reichtum, den quasi von innen, aus dem zum Gebiet der Polis gehörenden Territorium, die im Bund mit der Polis des Territorialherrn, des Monarchen, ledig gewordene und zu alleinigen Herren über die territorialen Liegenschaften avancierte Aristokratie in die Polis einbringt. Zwar insofern die Aristokratie ihn, der ihr aus ihren Ländereien, ihrem Oikos, kraft der darin kontinuierten herrschaftlichen Fron zufließt, nur in die Polis bringt, um ihn zu Markte zu tragen und sich im Austausch gegen ihn ihre durch die Handelsfunktion entfalteten kommerziellen Bedürfnisse befriedigen zu lassen, ist der Unterschied eine Formalie und bleibt dieser herrschaftliche Reichtum dem von draußen faktisch gleich; das heißt, er erfährt im Augenblick seines Erscheinens intern dieselbe Entpersonalisierung und Neutralisierung, dieselbe Überführung aus der Aktualität in Potentialität, die jenem bereits vor seinem Erscheinen in der Polis extern widerfährt.

Prekärer allerdings stellt sich die Sache dar, wo die Aristokratie ihren direkt in die Polis eingebrachten herrschaftlichen Reichtum nutzt, um ohne Vermittlung der Handeltreibenden mit den handwerklichen Produzenten in der Stadt zu kontrahieren und also am Markt vorbei mit ihnen in Austausch zu treten. Obwohl nämlich pro forma seines allgemeinen Mechanismus dieser Austausch denselben Ausführungsbestimmungen gehorcht wie der kommerzielle Austausch, den die Handeltreibenden mit den handwerklichen Produzenten pflegen, und mithin äußerlich dessen Vorbild nachahmt, ist er doch aber pro materia seiner spezifischen, für die Aristokraten maßgebenden Motivation etwas prinzipell Verschiedenes. Die Aristokraten sind keine Handeltreibenden: den überschüssigen herrschaftlichen Reichtum, über den sie verfügen, nutzen sie nicht als Bereicherungsautomaten, als Kapital, verwenden sie nicht, um ihn im Austausch zu mehren. Vielmehr gebrauchen sie ihn ausschließlich als Mittel zur Befriedigung konsumtiver Bedürfnisse und dient ihnen sein Austausch allemal nur dazu, Güter und Leistungen zu erlangen, die ihrem individuellen Dasein, ihrem eigenen Wohlbefinden, ihrem persönlichen Genuß zuträglich sind. Anders als die Handeltreibenden treten die Aristokraten mit den polisinternen Produzenten und anderen Polisbewohnern nicht in Austauschbeziehungen, um ihren herrschaftlichen Reichtum als kommerziellen Reichtum einzusetzen und zu mehren, sondern um ihn als solchen, als aktuellen Reichtum, zu realisieren, sprich, ihn für Konsumartikel auszugeben, ihn in Befriedigungsmittel umzusetzen, mit denen sie eigenen Bedürfnissen nachkommen können. Die Konsumartikel, für die sie den überschüssigen herrschaftlichen Reichtum, den sie in die Stadt hineintragen, bei den polisinternen Produzenten und anderen Polisbewohnern in Tausch geben, sind erst einmal deren von Berufs wegen erzeugten Produkte und ausgeübten Dienste, sind Güter und Leistungen, die diese zur Sicherung ihrer Subsistenz, um ihres Lebensunterhalts willen, herstellen und erbringen. Aber was, wenn die in die Stadt überführten herrschaftlichen Reichtumsüberschüsse zu groß sind, um sie auf diese Weise auszugeben? Sollen die Aristokraten diesen Überschuß dann verderben lassen, ihn verschenken, ihn orgiastisch verschwenden?

Hier zeigt sich nun, daß es noch andere Bedürfnisse gibt, für deren Befriedigung herrschaftlicher Reichtum als Tauschobjekt taugt. Nachdem die materielle und spirituelle Genußsucht gestillt, für die Bedürfnisse des Leibes und des Erlebens gesorgt ist, bleibt immer noch die persönliche Geltungssucht, das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung und politischer Macht zu befriedigen. Zur Befriedigung dieses persönlichen Geltungsbedürfnisses und Machtstrebens der als Konkursverwalter des geschassten Territorialherrn firmierenden Aristokraten aber braucht es nicht die handwerklichen Produkte und handgreiflichen Leistungen der Polisbewohner, sondern vielmehr die letzteren selbst, ihre Anhänglichkeit und Loyalität, ihre Aanteilnahme und Kollaboration. Dafür wird der herrschaftliche Reichtum gebraucht und als Austauschmittel eingesetzt. Um die handwerklich tätigen oder praktische Dienste leistenden Polisbewohner als Klientel zu gewinnen, als Anhang, als Partei reklamieren zu können, machen die Aristokraten ihnen Zuwendungen, bewirten sie, bürgen für sie, investieren in sie. Als Gegenleistung für den Reichtum, den sie ihr in der einen oder anderen Form zukommen lassen, fordern die Aristokraten von ihrer Klientel Anerkennung und Beistand, erwarten sie also, daß diese ihr soziales Ansehen und ihre öffentliche Stellung stärkt, ihre Repräsentationansprüche und ihre politischen Ziele unterstützt. Daß verwandtschaftliche Rücksichten den Gruppenbildungsprozeß erleichtern, daß dieser bereitwillig den von Sippenbanden vorgezeichneten Bahnen folgt, ist unbestreitbar. Aber Verwandtschaftsverhältnisse sind bloß eine durch die Auflösung der territorialherrschaftlichen Ordnung als regressives Organisationsprinzip wirksam werdende Bedingung, ein strukturell begünstigender Faktor des Prozesses; seine Ursache, sein dynamischer Kern ist der in die neue Gemeinschaft eingebrachte und in ihr als freiflottierendes Machtmittel eingesetzte Reichtum aus der alten Gesellschaft.

Indem so aber die Aristokratie den ihr dank ihres Territorialbesitzes verfügbaren herrschaftlichen Reichtum für Bedürfnisbefriedigung im weitesten Sinne und nämlich nicht nur pro domo eines hedonistischen Wohllebens, sondern auch und ebensosehr für Zwecke eines politischen Machtstrebens nutzt, trägt sie Unruhe und Zwietracht in die Polis hinein. Sie sorgt für Unruhe, weil sie den vom systematischen Zentrum der Polis, vom Markt, intendierten Atomismus, Egalitarismus und reziproken Funktionalismus der zwischen werktätigen Polisbewohnern und Handelsfunktion organisierten Austauschbeziehungen durchkreuzt und kraft ihres als Deklinationsmittel wirksamen Reichtums zur Bildung partikularer, mit Eigendynamik ausgestatteter Aggregatszustände, nämlich zur Formierung von Gruppen führt, die sich nicht sowohl durch allgemeine Reziprozität an den zirkulativen Markt und dessen ökonomische Gesetze verwiesen, sondern vielmehr durch besondere Loyalität an einen distributiven Patron und dessen politische Strategeme gebunden finden. Und Zwietracht sät sie, weil auf der Basis dieser polisinternen Gruppenbildung die einzelnen, durch ihren jeweiligen Anhang gestärkten und unterstützten Aristokraten miteinander um Geltung und Einfluß zu konkurrieren und demzufolge in politischen, wo nicht am Ende handgreiflichen Konflikt zu geraten neigen. So gewiß die einzelnen Mitglieder der Aristokratie den herrschaftlichen Reichtum, über den sie dank ihrer per Fronarbeit bewirtschafteten Ländereien verfügen, einsetzen, um eine Klientel um sich zu scharen und mittels dieses Anhangs Ansehen in der Polis und Einfluß auf ihre Geschäfte zu gewinnen, so gewiß geraten sie dabei ihresgleichen, anderen Aristokraten, ins Gehege, die mit eben denselben Bestrebungen auftreten, mit eben denselben Planungen zugange sind; auf diese Weise spalten sie die Polisgemeinschaft tendenziell in eine Reihe von partikularen Gruppen auf, die sich gegenseitig mit mehr oder minder gewalttätigen Mitteln den Entfaltungsraum streitig zu machen und einander schließlich gar aus der öffentlichen Sphäre zu verdrängen trachten.

Die opferkultliche Bindung des dem Oikos entstammenden Reichtums stellt seine Eigner, die Aristokratie, vor das Problem einer Legitimation der innerstädtisch freien Verfüngung, die sie über den Reichtum beanspruchen. Der Rekurs auf das Modell eines kraft Wesensbezuges von religiösen Bindungen freien Selbstes soll ihnen die Legitimationsgrundlage für ihren Reichtumsgebrauch liefern. Daß der Wesensbezug, indem er die Welt samt allem Reichtum entwertet, freie Verfügung über den Reichtum eigentlich nur um den Preis des Verlustes jeden guten Grundes zur Nutzung dieser freien Verfügung gewährt, ist kein Einwand, da nur unter dem Druck von Pariaschichten diese allgemeine Entwertung praktische Bedeutung gewinnt und da selbst dort für die breite Oberschicht das von Anfang an für den Wesenskult in seiner antidionysischen Stoßrichtung maßgebende sozialstrategische Kalkül einer Entschärfung sozialen Konfliktstoffs entscheidend bleibt.

Das also ist die Sprengkraft und zerstörerische Potenz, die dem von den Erben des Territorialherrn, den Aristokraten, in den neuen Gemeinschaftstyp Polis und seinen marktspezifischen Zusammenhalt unmittelbar eingebrachten herrschaftlichen Reichtum innewohnt –vorausgesetzt, die Erben können über letzteren frei und nach Gutdünken, das heißt, im Sinne ihres polisinternen quasi-konsumtiven Geltungsbedürfnisses und Machtgelüsts verfügen. Genau diese Voraussetzung der freien Verfügbarkeit allerdings ist alles andere als selbstverständlich gegeben und erweist sich in der Tat als das ungelöste Problem, das einer Realisierung der polisbezüglichen Sprengkraft des herrschaftlichen Reichtums, einer Aktualisierung seiner spalterischen Potenz im Wege steht. Indem die Aristokratie nämlich im Verein mit der nach politischer Autonomie strebenden Polis ihrem Oberherrn, dem lokalen Monarchen, den Laufpaß gibt, tritt sie zwar fraglos dessen territoriales Erbe an und übernimmt also selbständig und in eigener Regie den herrschaftlichen Reichtum, den bis dahin er als Territorialherr reklamierte und den sie höchsten und nur in gefolgschaftlicher Abhängigkeit von ihm in Anspruch nehmen und als Besitz genießen konnte – aber zugleich damit übernimmt sie nun eigentlich auch die religiösen Verbindlichkeiten und rituellen Verpflichtungen, die mit solch herrschaftlichem Reichtum traditionell verknüpft sind. Das heißt, sie sieht sich der Tatsache konfrontiert, daß, was sie übernimmt, eine hypothekarisch belastete Erbschaft ist, ein Gut, das dem Erblasser, dem Territorialherrn, nur in höchst eingeschränktem Sinne zu eigen und vielmehr von den wahren Eignern, den Göttern, ihm als ihrem Stellvertreter und Majordomus bloß anvertraut, bloß zu treuen Händen übergeben war und über das er denn auch, um es bevollmächtigt verwalten und legitimerweise davon Gebrauch machen zu können, jenen wahren Eignern regelmäßig eine in Form des Opferkults zelebrierte Rechenschaft ablegen mußte.

Eine in aller Form wahrgenommene Rechenschaftspflicht, ein coram populo zelebrierter Akt der Anerkennung der wahren Herren des Reichtums und ihres Eigentumstitels – das war es, wodurch die theokratische Gesellschaft teils ihren irdischen Herrn, den Stellvertreter der Götter, vor hybrider Überhebung und posthumer Verabsolutierung, teils damit sich selbst vor dem Rückfall in den Zustand totenkultlicher Haltlosigkeit zu schützen suchte. Und der Zwang, den förmlichen Anerkennungsakt wegen seines drohenden Umschlags in einen das andere Subjekt evozierenden negativistischen Offenbarungseid gewalttätig abzubrechen, wie die daraus folgende Notwendigkeit, ihn ad infinitum oder rituell zu wiederholen – das war der zum Opferkult ausgebildete Preis, mit dem sie diese ihre Schutzvorkehrung gegen die Wiederkehr totenkultlicher Verhältnisse bezahlen mußte. In einem äquilibristischen Balanceakt, der ihn gleichzeitig gegen die eigene Hybris zu schützen und vor der negativistischen Kraft der opferentsprungenden Epiphanie zu bewahren diente und der ihn dazu verpflichtete, sein Leben hinter einer Fasson aus zeitlich abgestimmten rituellen Anerkennungsgesten und in einem Korsett aus räumlich festgelegten kultischen Darbringungshandlungen zu verbringen, war der theokratische Herr gehalten, den Opferer vom Dienst zu spielen, den mit penelopeischer Unermüdlichkeit Kontakte knüpfenden und wieder abbrechenden Verbindungsmann zu den Göttern zu mimen. Nur im Rahmen einer ständigen Übereignung von Anerkennungsprämien an die wahren Eigner konnte er des kraft gesellschaftlicher Fronarbeit in seinen Händen sich sammelnden herrschaftlichen Reichtums sicher sein, nur unter der Bedingung einer durch rituelle Rücksichten auf die Götter und zeremonielle Adressen an sie eingeschränktesten Lebensführung durfte er den seiner Prokura anvertrauten Reichtum genießen.

Und diese mit dem herrschaftlichen Reichtum verknüpften einschränkenden Bedingungen, diese zeitlich nicht weniger als räumlich okkupierenden Rücksichten, zu denen sich der theokratische Herr vor Ort der Polis, der über den territorialen Standort der Polis gebietende lokale Monarch, verpflichtet sah und denen er sich nolens volens fügen mußte – diese einschränkenden Bedingungen und zu wahrenden Rücksichten übernimmt nun eigentlich die Aristokratie, die im Bund mit der Polis den lokalen Monarchen verjagt und das Erbe seiner Verfügung über den herrschaftlichen Reichtum antritt. Aber vielmehr übernimmt die Aristokratie diese mit dem herrschaftlichen Reichtum verbundenen rituellen Einschränkungen und kultischen Verpflichtungen gerade nicht – und eben das schafft für sie das Problem seiner freien Verfügbarkeit. Sie, die sich durch ihre konsumtive Abhängigkeit vom Markt hat bewegen lassen, nicht nur politisch zur Polis zu desertieren, sondern mehr noch praktisch in die Stadt überzuwechseln und in ihr Wohnsitz zu nehmen, sie ist ihrer ganzen stadtzentrierten Realität, ihrer polisvermittelten Lebensführung nach denkbar unbereit, sich noch in den Rahmen einzupassen, den seinen hypothekarischen Verbindlichkeiten nach der herrschaftliche Reichtum ihnen vorschreibt. Sie, die nichts weiter im Kopf hat, als in der Polisgemeinschaft ihre konsumtiven Bedürfnisse zu befriedigen, einschließlich auch und vor allem ihrer Bedürfnisse nach persönlicher Geltung und fraktioneller Macht, sie ist ihrer ganzen individualisierten Lebensplanung und partikularisierten Intentionalität nach weit entfernt davon, Rücksicht auf die als wahre Eigner des aristokratischen Reichtums firmierenden Götter zu nehmen und dem aus räumlich-rituellen Bezügen und zeitlich-zeremoniellen Handlungen koordinierten kultischen Verhaltenssystem, das solche Rücksicht erheischt, Genüge zu tun. Statt dessen möchte die Aristokratie diesen ihr formell von den Göttern zu treuen Händen übergebenen und insofern kultisch verpflichtenden herrschaftlichen Reichtum aus dem ökologischen Milieu, in dem er zu Hause ist und seine im Koordinatensystem aus räumlichen Kultstätten und zeitlichen Opferhandlungen wirksamen rituellen Funktionen erfüllt, reell – und das heißt, ohne viel Formalität – in die politische Sphäre transportieren, um ihn dort in den Dienst ihres rücksichtslos privaten polisinternen Geltungsbedürfnisses zu stellen, ihn zur Befriedigung ihres abstrakt selbstsüchtigen politischen Ehrgeizes zu nutzen.

Aber in dem Maße, wie sie das tut oder jedenfalls zu tun Miene macht, setzt sie die Legitimität ihres Besitzanspruchs aufs Spiel und läuft Gefahr, sich in den Augen derer, die als Requisiteure, Publikum und Mitspieler ihrem öffentlichen Konsum, ihrer politischen Selbstinszenierung beiwohnen, aus einem anerkannten Erben des herrschaftlichen Reichtums in dessen verwerflichen Usurpator, aus einem von den Göttern mit Titel und Prokura ausgestatteten, kurz, sanktionierten Nutznießer in einen mit nichts als mit persönlichen Ambitionen versehenen, ebenso räuberischen Entwender wie egoistischen Entfremder göttlichen Eigentums zu verwandeln. Indem die Mitglieder der Aristokratie den durch den Sturz des lokalen Monarchen unter ihre Verfügung gelangten herrschaftlichen Reichtum dazu verwenden, den Grund für eine seinem territorialen Entstehungszusammenhang ferne, polisinterne persönliche Karriere zu legen, ist eben diese abstrakt private Karriere in reaktiver Kausalität dazu angetan, den sie begründenen und substantiierenden herrschaftlichen Reichtum seinerseits zu unterminieren und zu entgründen und nämlich in der Bedeutung eines nach allgemeinem Dafürhalten von den Göttern als Erbteil der Aristokratie sanktionierten und dieser deshalb zur freien Verfügung stehenden legitimen Herrenguts außer Kraft zu setzen.

An Interessierten, die den Widerspruch zwischen der unmittelbaren opferkultlichen Bestimmtheit des herrschaftlichen Reichtums und der ihm oktroyierten politischen Bestimmung, den Widerspruch zwischen sakraler Hypothek und realer Verwendung aufzuspießen und zu nutzen bereit sind, um das allgemeine Dafürhalten, die öffentliche Anerkennung der Legitimität des aristokratischen Anspruchs auf den herrschaftlichen Reichtum, in ebenso allgemeines Dagegenhalten, in öffentlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der aristokratischen Verfügungsgewalt über den herrschaftlichen Reichtum zu ersetzen – an solchen Interessierten fehlt es dabei nicht. Zum einen die Produzenten des herrschaftlichen Reichtums, die Leib- und Hintersassen der Aristokratie, die auf den herrschaftlichen Ländereien, im aristokratischen Oikos, schuften und fronen und die dafür nicht einmal mehr das exoterisch-erbauliche Schauspiel einer göttlichen Rechtfertigung der Reichtumproduktion, einer ihre eigene Fron betreffenden opferkultlichen Sinngebung genießen dürfen, geschweige denn, daß sie noch des esoterisch-orgiastischen Erlebnisses einer im Opferkult sich ereignenden hochheiligen Verwerfung der Reichtumproduktion, eines unverhofft vorfallenden dionysischen Aufräumens mit der Fron teilhaftig würden – sie, die vielmehr für ihre Mühe und Plage nichts mehr erhalten als den Anblick der umstandslos in der Polis verschwindenden und für neue Fron Platz und Notwendigkeit schaffenden Früchte ihrer Arbeit – sie zum einen haben allen Grund, die usurpatorische Entwendung des herrschaftlichen Reichtums, seinen den Eigentumstitel und das opferkultliche Nießrecht der Götter mit Füßen tretenden Mißbrauch anzuprangern. Und allen Grund dazu hat zum anderen aber auch die Polis, die, wie sehr ihre Bürger in parte oder fraktionell von dem herrschaftlichem Reichtum, den die Aristokratie im Interesse der privativ eigenen Karriere den Göttern entzieht und politisch investiert, profitieren mögen, doch aber in toto oder institutionell unter diesem zweckentfremdet privatisierten Reichtum leidet, eben weil er fraktionierend wirkt, Zwietracht in die Polis hineinträgt und die politische Gemeinschaft in aristokratieabhängige Gefolgschaften, in Förderervereine des einen oder anderen Aristokraten aufspaltet.

Ablehnung und Anfeindungen von beiden Seiten, von den die Polis bewohnenden Adressaten des Reichtums ebenso wie von seinen im Oikos fronenden Lieferanten, hat also die Aristokratie zu gewärtigen, wenn sie ihr Erbteil, den herrschaftlichen Reichtum zusammen mit ihrer eigenen Übersiedlung aus der einen in die andere Sphäre, aus dem götterbeherrschten Territorium in die handelszentrierte Polis, überführt, um ihn dort im Sinne ihrer privaten Karriere und persönlichen Erhöhung nutzbar zu machen. Dieser herrschaftliche Reichtum, der polisintern den Grund für ihren sozialen Geltungsanspruch legen und ihr politisches Machtstreben legitimierten soll, droht, weil er von Haus aus eine opferkultlich sanktionierte Leihgabe der Götter und in seiner neuen, die opferkultliche Rücksicht auf die Götter einem selbstherrlichen Karrierekalkül zum Opfer bringenden Verwendung zweckentfremdet ist, selber so sehr seinen guten Grund einzubüßen und in den Augen der anderen so sehr seiner Legitimität verlustig zu gehen, daß, was ihn hält und als aristokratisches Erbteil garantiert, am Ende nur noch eben das soziale Geltungsbedürfnis und politische Machtstreben ist, das doch eigentlich er fundieren und rechtfertigen soll. Was aber kann es Lächerlicheres und Haltloseres geben als einen Anspruch, der für das einstehen muß, worauf er sich stützen, ein Streben, das gewährleisten muß, worauf es aufbauen möchte? Wie könnte wohl ein subjektiver Geltungsanspruch als Legitimationsinstanz an die Stelle der objektiven Verfügungsgewalt treten, die der Opferkult verleiht und die wegen seines Versäumnisses, den kultischen Anforderungen angemessen Rechnung zu tragen, eben jener Anspruch zu verspielen droht? Wie könnte wohl ein persönliches Machtstreben als begründende Macht kompensatorisch für die göttliche Sanktion einspringen, die der rituelle Umgang mit dem Reichtum erwirkt und die eben jenes Machtstreben, weil es den Ausbruch aus der rituellen Prozedur bedeutet, nolens volens preisgibt?

So absurd und unmöglich diese Kompensationsleistung, diese Ersetzung der von den Göttern verliehenen objektiven Verfügungsgewalt über den Reichtum durch eine im subjektiven Machtstreben und persönlichen Geltungsanspruch als solchem gelegene Rechtfertigung, mit dem Reichtum nach Gutdünken zu verfahren, auf den ersten Blick aber auch anmuten mag – genau hier ist der Punkt, wo das an der buddhistisch-hinduistischen Religionsentwicklung dargestellte Modell eines kraft Wesen abstraktiv zu sich kommenden und meditativ in sich gehenden Selbst, das Modell eines in der theokratischen Welt und von ihr sich emanzipierenden Einzelsubjekts, ins Spiel und zum Tragen kommt und, wenn man so will, das Unmögliche möglich macht. Wenn es das wesentliche Interesse der im Bund mit der Polis den lokalen Monarchen abschaffenden Aristokratie ist, über den herrschaftlichen Reichtum, der ihr als Erbteil zufällt, frei und das heißt: im Sinne ihrer im Rahmen der Polis verfolgten eigenen Karriere und persönlichen Erhöhung verfügen zu können und zu diesem Zweck den Reichtum nun aber dem fatalen Legitimationskonflikt zu entziehen, in den eben der Anspruch auf freie Verfügung ihn stürzt – wenn die Beseitigung dieses die aristokratische Position in Oikos und Polis gleichermaßen gefährdenden Widerspruchs zwischen persönlichem Nutzungsanspruch und göttlichem Eigentumstitel das wesentliche Interesse der Aristokratie ist, so bietet das in den östlichen Territorialstaaten zuerst entwickelte Wesensverhältnis oder Verhältnis des einzelnen Selbst zu dem, was es in zeitlos vergangener Sichselbstgleichheit war, hierfür in der Tat eine Handhabe. Entwickelt, um der sozialkritischen Negativität und Indifferenz des dionysisch anderen Subjekts, das als Zentrum eines Kults um den schönen Schein unmittelbarer Natur die fronende Unterschicht gegen das System gesellschaftlicher Reichtumerzeugung aufbietet, die Spitze abzubrechen, ist dieser von der Oberschicht kultivierte Wesensbezug in der Tat dazu angetan, die traditionellen Garanten des gesellschaftlichen Reichtums, die Götter, ebenso überflüssig wie alle opferkultlich-rituelle Abhängigkeit von ihnen obsolet werden zu lassen.

Indem die Oberschicht, um dem Brot-und-Wein-Kult der Unterschicht seine antithetische, das theokratische Reichtumerzeugungssystem unterminierende Kraft zu verschlagen, beschließt, der wahren Antithese oder eigentlichen Systemkritik ins Auge zu schauen und also der falsch-immanenten Negativität des als Naturmacht erscheinenden dionysischen Herrn die transzendent-wahrhafte Negativität des in ein absolutes Jenseits entschwundenen apriorischen Subjekts entgegenzusetzen, gibt sie de facto dieses ihres ontologischen Offenbarungseids allen im Pantheon und seinen Göttergestalten sich niederschlagenden Versuchen den Laufpaß, die wahre Natur jenes anderen Subjekts zu verdrängen und seine absolute Negativität in relative Positivität umzuinterpretieren, kurz, es aus einem drohend präsenten, unendlichen Leugner und Verwerfer des Fundaments der theokratischen Gesellschaft, ihres Reichtums, in dessen tröstlich absenten, letztlichen Eigner und Bestätiger zu verwandeln; sie läßt damit zugleich auch die rituellen Beziehungen unnötig und vielmehr unsinnig werden, die zu den ersatzbildnerischen Uminterpretationen des anderen Subjekts, den Göttern, ihr Stellvertreter auf Erden, der theokratische Herr, unterhält und durch die er, einem opferkultlicher Dynamik entspringenden Wiederholungszwang gehorchend, teils sich selber vor hybrider Selbstherrlichkeit zu bewahren sucht, teils seine göttlichen Bevollmächtiger von der Preisgabe ihres Pseudonyms und der Enthüllung ihrer wahren Natur abzuhalten bestrebt ist. So wahr die Oberschicht das andere Subjekt, um es als den dionysisch alternativen Herrn, als den die Unterschicht es erscheinen läßt, zu entkräften, in seiner Wahrheit, nämlich als die transzendente, in sich ruhende, gegen die Welt und all ihre Schätze a priori gleichgültige, kurz, absolute Macht, die es ist, ins Auge faßt, so wahr streift sie ihm die Masken seiner vielgestaltig olympischen Existenz oder chthonischen Subsistenz ab und erklärt in einem großen Akt pauschaler Aufwandsersparnis alle kultischen Veranstaltungen und rituellen Arrangements, die der Aufrechterhaltung jener proteisch maskenhaften Existenz oder Subsistenz dient, mithin die ganze religiöse Apparatur der theokratischen Gesellschaft, für null und nichtig.

Zweifelhaft allerdings mag scheinen, ob dieser in der Anerkennung der negativitätserfüllt tranzsendenten Wahrheit des anderen Subjekts beschlossene Konkurs des olympischen Maskenspiels und chthonischen Mummenschanzes, diese pauschale Abdankung des mit den Göttern als wahren Reichtumseignern getriebenen Kults, der Aristokratie im Blick auf die erhoffte freie Verfügung über den herrschaftlichen Reichtum letztlich viel bringt. Tatsächlich hat ja bereits das Modell der in den Territorialstaaten des Ostens kultivierten Wesensschau als conditio sine qua non der Fähigkeit der Oberschicht, der absoluten Negativität des anderen Subjekts offen ins Auge zu schauen und damit der relativen Positivität seiner göttlichen Pseudonyme pauschal den Boden zu entziehen, ihre Bereitschaft erwiesen, einen zum ontologischen Sprung geratenden radikalen Positionswechsel zu vollziehen und nämlich kurz und bündig zur Stellung des anderen Subjekts überzulaufen. Um nicht selbst ins Schußfeld der Negativität zu geraten, die sie ins Visier fassen, und das heißt, zusammen mit der ganzen weltlichen Sphäre der Entwirklichung und Entwertung, die die Indifferenz des anderen Subjekts bedeutet, zu verfallen, müssen die Angehörigen der Oberschicht dieses ihr Selbst von der Welt ausnehmen, es auf Distanz zur Welt gehen, sich über sie erheben lassen und es in eine weltabgewandte Affinität, um nicht zu sagen Intimität, zum immanenzentrückten Zustand des anderenen Subjekts, seiner Transzendenz, versetzen und vielmehr rücküberführen. Jenes von unendlicher Gleichgültigkeit gegen die Welt, von absoluter Negativität erfüllte Sein des anderen Subjekts, das sie anerkennen, müssen sie mit anderen Worten, um nicht selber das – negativitätskonform nicht einmal vornehmste, sondern einfach nur egal erste – Opfer solcher Gleichgültigkeit zu werden, als ihr eigenes, zeitlos vergangenes Sein, ihr Wesen, erkennen.

So aber mit dem anderen Subjekt sich identifizierend und auf seinen transzendenten Standpunkt als auf ihre ureigensten Position, auf den uranfänglichen Status quo ihrer selbst rekurrierend, exekutieren diese antidionysischen Wesensverkünder an ihrer eigenen Person und in ihrem persönlichen Dasein den radikal-gnoseologischen Bruch und die fundamental-ontologische Scheidung, die kraft seiner absolute Negativität beweisenden Indifferenz das andere Subjekt mit der ganzen Welt und allen ihren relative Positivität behauptenden Differenzierungen vollzieht. Zwischen ihnen als dem ins Verhältnis zum Wesen übergewechselten, in die Transzendenzbeziehung eingelassenen Selbst und ihnen in dem immanenten Dasein und säkularen Milieu, das sie ihr eigen nennen und in dem sie sich zu Hause wähnen, reißt jene zutiefst ontologische Kluft auf, die den Schein vom Sein, die Illusion von der Wirklichkeit, das außersichseiende Vergehen vom sichselbstgleichen Bestehen trennt. Was sie auf diesem Wege zurückgewinnen, ist ihr unvordenkliches Wesen, ihr zeitlos vergangenes Sein, aber so wahr sie es zurückgewinnen, so wahr verwandelt sich dabei ihr ganzes irdisches Dasein mit all seinem anschaulichen Haben, seinem ansehnlichen Reichtum in einen substanzlosen Schemen, eine einzige große Verirrung, einen vor dem voranfänglichen Sein, dessen sie wieder teilhaftig werden, für nichts sich erklärenden Schein. Damit aber liegt auf der Hand, welch zweischneidige Waffe das Befreiung von rituellen Bindungen und opferkultlichen Zwängen verheißende Modell einer kraft Verhältnis zum Wesen zu erringenden Selbstmächtigkeit darstellt. Zwar läßt es sich in der Tat als Mittel zur Ablösung von den Göttern und Aufkündigung aller ihnen als wahren Reichtumseignern geschuldeten kultischen Obödienz, kurz, als eine zur freien Verfügung über den herrschaftlichen Reichtum verhelfende Methode gebrauchen, aber weil diese Befreiung und Verfügbarmachung wesentlich an eine Entwertung der Welt selbst mit all ihrem, egal, ob als frondienstliche Arbeitserzeugnisse, ob als dionysische Naturschätze erscheinenden Reichtum geknüpft ist, führt das Befreiungsmodell den Erfolg, den es pro forma erzielt, materialiter ebensowohl ad absurdum. Schließlich ist ja Sinn der ganzen Befreiung von göttlicher Bevormundung und kultischen Bindungen die ungehinderte Verfügung über jenen Teil der Welt, der als herrschaftlicher Reichtum firmiert; und wenn nun aber die Befreiungsaktion den Reichtum nur unter der Bedingung seiner gleichzeitigen Disqualifizierung und Irrealisierung verfügbar, mithin die Verfügung nur um den Preis des Verlustes jeden guten Grunds für sie wirklich werden läßt, so kann dies Ergebnis schwerlich als ein im Sinne der aristokratischen Erfinder voller Erfolg gelten und muß vielmehr ganz entschieden den Eindruck eines absurden Resultats vermitteln.

Indes ist dieser logisch oder vielmehr ontologisch durchaus einsichtige Einwand gegen die Brauchbarkeit des Modells der Selbstbefreiung im Wesensverhältnis für Zwecke eines unbeschwerten Umgangs mit herrschaftlichem Reichtum nur theoretisch, genauer gesagt, nur unter der Voraussetzung einer als schiere Begriffshörigkeit erscheinenden praktischen Konsequenzzieherei stichhaltig. Nur wenn die Entwertung und Entwirklichung der Welt, die mit der Entscheidung für die negativitätserfüllt transzendente Position des anderen Subjekts als für das zeitlos vergangene Sein des eigenen Selbst, das Wesen, logischer- oder vielmehr ontologischerweise einhergeht – nur wenn diese Entwertung der Welt in die Resolution einer weltflüchtigen Abkehr von den Erscheinungen und Hinwendung zum Wesen praktisch überführt und empirisch umgesetzt wird, kann mit anderen Worten der theoretisch offenkundige Widerspruch zwischen dem Zweck der Veranstaltung, der freien Verfügung über den in herrschaftlicher Form erscheinenden gesellschaftlichen Reichtum, und ihrem Ergebnis, der Auflösung des Reichtums als überhaupt relevanten Sachverhalts, faktische Virulenz gewinnen. Daß dies aber geschieht, ist keineswegs selbstverständlich. Schließlich liegt ja dem Modell einer qua Rückbeziehung aufs Wesen sich von der Welt als bloßer Erscheinung emanzipierenden Selbstmächtigkeit auch und gerade bei seiner ersten Anwendung in den östlichen Territorialstaaten bereits ein durchaus weltliches Kalkül und diesseitiges Anliegen zugrunde, nämlich die Entmächtigung des dionysisch-orgiastischen Epiphaniekults der Unterschicht und Entschärfung des in der Gestalt solchen Kultes gehüteten sozialen Widerstandspotentials und Konfliktstoffs. Und schließlich läßt sich die Oberschicht, die dieses Modell aufgreift und propagiert, von dem mit ihm gegebenen logischen Zwang, in die Disqualifizierung der Welt zu einem vor dem Wesen verfliegenden Schein auch ihren eigenen Anteil an den weltlichen Dingen, ihre Besitztümer in der Welt, ihren innerweltlichen Reichtum einbegriffen zu sehen, im empirischen Genuß solchen Reichtums und in der Kultivierung ihrer darauf gründenden Lebensart keineswegs beirren und macht sich vielmehr die in der Reaffirmation des Güterkontinuums und Wiederherstellung der Werteordnung bestehenden praktischen Vorteile einer durch die Beseitigung des kultischen Schismas effektuierten sozialen Befriedung zunutze, ohne sich sonderlich an dem theoretischen Faktum zu stoßen, daß die Wiederherstellung der Werteordnung nur um den Preis einer fundamentalen Entwertung der Ordnung als ganzer, die Reaffirmation des Güterkontinuums nur auf Kosten einer Entwirklichung des Hab und Gut, das die Welt als solche darstellt, gelungen ist.

Nicht, daß nicht einzelne aus der Oberschicht, durch Umstände oder Charakter getrieben, aus der dem Modell des Wesensbezugs theoretisch-logisch eingeschriebenen Botschaft einer dem Selbst zwischen weltlicher Immanenz und wesentlicher Transzendenz, zwischen Schein und Sein abgeforderten ontologischen Entscheidung praktisch-empirische Konsequenzen zögen und sich also zu jener weltflüchtigen Bewegung entschlössen, die sie ins dasesinsverneinende Abseits der Askese und Selbstdisziplinierung führt! Und nicht, daß nicht das Gros der Oberschicht diesem Treiben der einzelnen mit der ganzen Ehrfurcht und Anerkennung begegnete, die ein theoretisch als situationsgemäß und richtig erkanntes, ein offenkundig in der logischen Konsequenz der eigenen Überzeugungen liegendes Tun erheischt! Die Anerkennung bleibt aber eben theoretisch, und sosehr das Gros die Vorgehensweise der einzelnen als an sich beispielhaft und eigentlich nachahmenswert zur Kenntnis nimmt, sowenig läßt sich diese überwiegende Mehrheit bloß durch das Beispiel irreleiten und zur tatsächlichen Nachahmung verführen, sosehr bleibt es vielmehr dabei, daß für sie die einzige praktische Konsequenz ihres theoretischen Verhältnisses zum zeitlos vergangenen Sein des anderen Subjekts, das das eigene Wesen ist, die Entkräftung des sozialkritisch-reichtumfeindlichen dionysischen Naturkults und ihre eigene Wiederherstellung in dem durch keine kultische Gegenmacht, kein religiöses Aufbegehren der Unterschicht gestörten Genuß ihrer angestammten Güter, ihres göttergegebenen Reichtums ist.

Zu mehr als zu dieser theoretischen Anerkennung und logischen Wertschätzung der von den einzelnen in die Tat umgesetzten weltflüchtigen Wesensperspektive versteht sich das Gros der Oberschicht überhaupt erst unter einer neuen sozialen Bedrohung, nämlich unter dem politisch-ökonomischen Druck, der von den pauperisierten und marginalisierten Bevölkerungsschichten ausgeht, die im Zuge des Übergangs von der theokratischen zur ständehierarchischen Gesellschaft und der für diesen Übergang entscheidenden Erhöhung der agrarischen Produktivität mit allen sich aus ihr ergebenden demographischen und sozialpolitischen Folgen entstehen. Wie schon die theoretische Wahrnehmung der Wesensperspektive durch das Gros der Oberschicht wesentlich motiviert ist durch ein sozialstrategisches Interesse, das Interesse an der Entkräftung des von der Unterschicht mit sozialkritischem Impetus gegen alle herrschaftliche Reichtumproduktionsordnung ins Feld geführten dionysischen Naturfruchtbarkeitskultes, so hat nun auch die praktische Realisierung der Wesensperspektive durch das Gros der Oberschicht ihren Beweggrund in einem wesentlich sozialstrategischen Kalkül, dem Kalkül, das Leid und die Hoffnungslosigkeit dieser neuentstandenen Pariaschichten durch die propagierte Lehre von der Welt als Schein und von der Aussicht, im Nichts der Welt, welches das Wesen ist, Erlösung zu finden, lindern und in die sozialverträgliche Emotion quietistischer Ergebung überführen zu können. Nur weil sie sich angesichts der von unten gegen das Gefüge der ständehierarchischen Gesellschaft anbrandenden subsistentiellen Not und existentiellen Verzweiflung von der weltverneinenden Wesensperspektive einen die Krankheit des Sozialcorpus sedierenden und seine krisengeschüttelte Ordnung stabilisierenden Einfluß verspricht, läßt sich die Oberschicht aus ihrer rein theoretischen Würdigung des Wesensverhältnisses herauslocken und zu dessen halbwegs praktischer Anerkennung bewegen, macht sie die weltflüchtige Sicht von den Dingen, deren die mönchischen einzelnen sich befleißigen, wenn schon nicht zu ihrer eigenen Sache, so jedenfalls doch zu ihrem persönlichen Anliegen und engagiert sich als laizistische Gemeinde für die personelle Erhaltung und den materiellen Unterhalt jener das Nichts der Welt auf ihre Fahnen schreibenden und die Botschaft vom Heilsweg, der dahin führt, in ihren Reihen tradierenden Gemeinschaft mönchischer Wesensverkünder.

Weil die Heilsperspektive, die jene den Weg zum Nichts der Welt, zum Wesen, weisende und überliefernde Mönchsgemeinschaft gleichermaßen eröffnet und offenhält – weil diese Heilsperspektive Entlastung vom sozialen Druck zu bringen und nämlich die Hefe der von der Gesellschaft Ausgestoßenen und Enterbten, die Pariaschichten, von der Gärung abzuhalten und ruhigzustellen verspricht, indem sie ihnen, wenn schon nicht Befreiung aus ihrer Not, so immerhin doch Erlösung von ihrem Elend, wenn schon nicht Entbindung von ihrem Los, so immerhin doch Erhebung über ihr Schicksal verheißt – weil das so ist, läßt sich der gewöhnliche Oberschichtangehörige, der Laie, dazu bewegen, über seine rein theoretische Würdigung der Heilsperspektive hinaus tätigen Anteil an ihr zu nehmen und durch ein als laizistisches Werkewirken definiertes Engagement für die sie tragende Ordensgemeinschaft diese Perspektive bleibenden praktischen Einfluß auf sein Leben im Reichtum nehmen und eine feste faktische Bedeutung in seinem begüterten Alltag gewinnen zu lassen. Wie sehr die in der Form einer laizistischen Unterstützung mönchischer Weltflucht realisierte praktische Hereinnahme des weltverneinenden Wesensverhältnisses ins weltliche Tun und Treiben einem als sozialstrategisches Kalkül klar erkennbaren weltlichen Motiv entspringt, davon zeugt schließlich auch die Art und Weise, wie es der Oberschicht in der hinduistischen Entfaltung der buddhistischen Heilsperspektive gelingt, die Mönche in brahmanische Honoratioren, die Weltflucht in einen Marsch durch die gesellschaftliche Hierarchie, kurz, die weltverneinende Perspektive in einen eben das, was er im Prinzip verneint, in der Durchführung vielmehr affirmierenden Prospekt umzufunktionieren. Immerhin aber sorgt so der soziale Druck von unten dafür, daß in wie immer umfunktionierter, wie immer affirmativ gewendeter Form die Negativität des Wesensverhältnisses, die Beziehung auf ein die weltliche Immanenz als Schein entlarvendes transzendentes Sein auch für das Gros der im Reichtum lebenden Oberschicht eine dies Leben im Reichtum prägende praktische Bedeutung bekommt und behält.

Das wesensbezogene Selbstsein dient der Aristokratie der Polis als ein Mittel, die Dinge dieser Welt hinlänglich zu entrealisieren, um die dahinter stehenden Eigner, die Götter, zu entmächtigen und sich ihrem kultischen Diktat zu entziehen. Entrealisierung der Welt und Selbsterhöhung des Aristokraten, Agnostizismus und Narzißmus, gehen dabei Hand in Hand.

Von dieser, für die Oberschicht der östlichen Territorialstaaten bestimmenden, für ihren Umgang mit weltlichen Gütern, für ihr Leben im Reichtum prägenden praktischen Wesensbeziehung oder weltflüchtig-heilsperspektivischen Orientierung an einem als das reine Nichts des Daseins ausgelegten transzendenten Sein bleibt hingegen die in den Bannkreis der Polis gezogene und im Bunde mit ihr die alte territorialherrschaftlich-theokratische Ordnung, die Monarchie, stürzende Aristokratie an den Küsten des westlichen Binnenmeeres verschont. Sie bleibt davon ebenso gewiß verschont, wie der neue Gesellschaftstyp, dem sie sich integriert, die Polisgemeinschaft, frei bleibt von jener Spaltungs- und Krisenmechanik, jener Abstoßungs- und Ausgrenzungsprozedur, die den östlichen Theokratien beim Übergang in ständehierarchische Formationen widerfährt und die durch den sozialen Sprengstoff, den sie anhäuft, den Druck von unten, den sie erzeugt, zum sozialstrategisch entscheidenden Beweggrund für die Oberschicht wird, sich den heilsperspektivischen Bezug als eine verhaltensbestimmend praktische Rücksicht gefallen zu lassen. Von der Bildung solcher Pariaschichten, wie sie in den östlichen Territorialstaaten im Zuge einer hauptsächlich landwirtschaftlichen Produktivitätssteigerung in Erscheinung treten, ist die Polisgemeinschaft denkbar weit entfernt. Ihre in der Hauptsache handwerkliche Produktivität, die im Schutz der polisstiftenden Handelsfunktion Raum greift und sich vornehmlich unter dem Anreiz des von letzterer etablierten innerstädtischen Marktes und überseeischen Austauschs entfaltet, ist von der Art, daß sie nicht etwa Menschen aus dem Produktionszusammenhang ausstößt und als überschüssiges Arbeitspotential ins Elend stürzt, sondern im Gegenteil Menschen von draußen in den Produktionszusammenhang hineinzieht und als dringend benötigte Arbeitskräfte in Brot setzt. Weit entfernt davon, Gruppen an die Peripherie der Gemeinschaft zu drängen und dort als eine nach Maßgabe ihres Funktionsverlusts entsozialisierte Schicht von Recht- und Besitzlosen zu arretieren, bewährt sich die Polis vielmehr als Zufluchtsort und Sammelbecken für andernorts Enteignete und Entrechtete und beweist im Blick auf die Produzenten, die zu ihr flüchten, eine schier unerschöpfliche ökonomische Aufnahme- und politische Integrationsfähigkeit. So wahr die Produktivitätsentwicklung in der Polisgemeinschaft im Bezugsrahmen und Kraftfeld eines expandierenden Handelssystems und eines durch die Expansion ständig erweiterten Absatzmarktes für die Produkte der Polis vor sich geht, so wahr geht sie nicht etwa mit einer Freisetzung und Verdrängung von Arbeitskräften einher, sondern ist von einem kontinuierlichen Bedarf nach neuer Arbeitskraft begleitet.

Und nicht nur, daß die Polis von sich aus keine Pariaschichten erzeugt und absondert, sie sorgt durch ihre schiere Existenz mehr noch dafür, daß auch in den sie umgebenden ländlichen Regionen, im Territorium, das vormals Domäne des lokalen Monarchen war und das jetzt, nach der Vertreibung des Monarchen, dessen Erbin, die mit der Polis paktierende Aristokratie, ihr als Glacis und Einzugsgebiet zuführt – daß also auch in diesen Agrarregionen die Fron und Not weit weniger gravierend ist als in den östlichen Territorialgebieten und daß deshalb erstere weit weniger als letztere zum Nährboden gesellschaftszerreißender Konflikte beziehungsweise zur Brutstätte sozialkritischer Affekte und sozialrevolutionärer Kulte taugen. Teils, weil die Polis durch ihre ökonomische Aufnahmekapazität Menschen aus dem Agrarsektor abzieht und die Agrarregionen von überschüssigen Arbeitskräften entlastet, teils und vor allem, weil sie die umgebenden Agrarregionen in ihre profitablen Geschäfte einbezieht und gleichermaßen durch ihren nach Maßgabe des eigenen Wachstums steigenden Nahrungsmittelbedarf und durch die kommerziellen Absatzchancen nach draußen, die sie für bestimmte Agrarprodukte eröffnet, am Wohlstand, den der Handel schafft, teilhaben läßt, wirkt sich ihre Existenz politisch ebenso stabilisierend wie ökonomisch segensreich auf diese Agrarregionen aus und macht, daß in ihnen die Entwicklung von Pariaschichten ebenso gewiß unterbleibt wie in der Polis selbst.

So besehen, scheint nun in der Tat die mit der Polis verbündete traditionelle Oberschicht, scheinen die in den Lebenskreis der Polis einbezogenen Erben der monarchischen Territorialherrschaft, die aristokratischen Grundherren und Landbesitzer, die Herren der agrarischen Oikoi im Umkreis der Stadt, anders als ihre Kollegen in den östlichen Territorialstaaten wenig Grund zu einer praktischen Umsetzung oder verhaltensprägenden Realisierung jenes theoretischen Kults um das Wesen zu haben, den das Bedürfnis nach Abwehr der von der fronenden bäuerlichen Unterschicht ins Leben gerufenen sozialkritisch-dionysischen Naturkulte gegen Ende der Epoche der theokratischen Gesellschaften dieser traditionellen Oberschicht nahelegt. Genau genommen, scheint die mit der Polis liierte Aristokratie nicht einmal zur Pflege des bloß theoretischen Wesensverhältnisses sonderlich Grund zu haben, da ja dank der Existenz und Wirksamkeit der Polis nicht nur keine Pariaschichten entstehen, die neuen sozialen Druck erzeugen könnten, sondern sogar auch der alte soziale Druck der agrarischen Fron- und Ausbeutungsverhältnisse, dem das Aufkommen der von der Oberschicht mit der Wesenslehre beantworteten Naturkulte geschuldet ist, vermindert, wo nicht überhaupt beseitigt erscheint. In Abwesenheit ernsthafter ökonomischer Krisen und gravierender sozialer Spannungen frei von allem Zwang, das Wesen in seiner transzendenten Negativität als heilsperspektivische Macht praktisch ins Feld führen oder auch nur als religionskritische Instanz theoretisch im Auge behalten zu müssen, kann demnach die mit der Polis verbündete und Wohnrecht in ihr beanspruchende Aristokratie im Reichtum leben und ihren darauf gründenden Lebensstil pflegen, wie es ihr gefällt und wie sie es von alters gewohnt ist.

Oder vielmehr könnte sie es, wäre da nicht die angegebene Tatsache einer polisbezogen topischen Verlagerung und systematischen Neuorientierung des Reichtums, in dem sie lebt, die Tatsache also, daß die Aristokratie den Reichtum, über den sie als Erbin des geschaßten Monarchen verfügt, dem angestammten territorialherrschaftlichen Milieu und den daselbst residierenden eigentlichen Eignern, den Göttern, entzieht, um ihn auf den qua Polis entstandenen neuen Schauplatz zu überführen und dort in den Dienst ihrer mit den kultischen Verpflichtungen gegenüber seinen eigentlichen Eignern ebenso unvereinbaren wie unvermittelten polisspezifisch privaten Ambitionen und polisintern persönlichen Geltungsbedürfnisse zu stellen. Daß die Aristokratie ihr Leben im Reichtum kontinuieren möchte und daß sie aber auf Grund ihrer Assoziation mit der Polis dies Leben im Reichtum entgegen dem reinen Kontinuitätsanspruch in ein topisch anderes Milieu verlegt und mit entsprechend systematisch veränderten Bedeutungen versieht – das ist es, was sie in Konflikt mit ihren opferkultlich-sakralen Verpflichtungen gegenüber den wahren Eignern des Reichtums, den Göttern, bringt und was sie nach Maßgabe der Anfechtungsgründe, die sie damit allen durch ihre Neuorientierung unliebsam Betroffenen an die Hand gibt, zwingt, nach einer neuen, vom Placet der Götter unabhängigen Legitimationsgrundlage für ihre Verfügung über den Reichtum zu suchen.

Und diese Legitimationsgrundlage findet sie nun im Modell des weltflüchtig-wesensorientierten Selbst, das sich durch seine wesensbestimmte Motion, durch seine Selbstwerdung, der trieblichen Bindungen und gewohnheitsmäßigen Fixierungen an die Erscheinungswelt zu entschlagen und das damit auch der religiösen Rechenschaftspflicht und der opferkultlichen Verbindlichkeiten denen gegenüber ledig zu werden vermag, die kraft ihrer sakralen Existenz, kraft ihrer kultisch ineins beschworenen und hintertriebenen Präsenz der als ihr Eigentum anerkannten Erscheinungswelt Realität verleihen und Haltbarkeit garantieren. Anders als die Oberschicht in den östlichen Territorialstaaten, die nur einfach ihr traditionelles Leben im Reichtum fortsetzen will und die aber der soziale Druck der aus der gesellschaftlichen Entwicklung ausgefällten Pariaschichten zwingt, in einer Art von praktischen Umsetzung ihrer theoretischen Wesensgläubigkeit ihr Leben im Reichtum in ein Leben fürs Wesen umzubiegen und nämlich in den als laizistisches Werkewirken wohlverstandenen Dienst der Erhaltung und Entfaltung des vorgefundenen mönchischen Wesenskults zu stellen, der seinerseits das für einzelne in der sofortigen Flucht gelegene Heil zugunsten einer für jedermann offengehaltenen künftigen Heilsaussicht suspendiert – anders als diese östliche Oberschicht will die in die Polis übergewechselte Aristokratie ihr Leben im Reichtum unter topisch und systematisch veränderten Bedingungen fortsetzen und braucht den praktischen Wesensbezug, um kraft der durch ihn ihr verliehenen Ausnahmestellung ihre Dispensation von den traditionellen Umständen eines Lebens im Reichtum und dessen Legitimation unter polisspezifisch veränderten Bedingungen zu erwirken. Während die östliche Oberschicht, auf äußeren gesellschaftlichen Druck reagierend, die von mönchischen einzelnen kultivierte Haltung wesenhaften Selbstseins als die Tätigkeit anderer gutheißt und in ihrer Ausbildung zu einer eigenständigen Institution laizistisch unterstützt, weil ihr diese institutionalisierte Haltung als ein der Aufrechterhaltung ihres traditionellen Lebens im Reichtum dienliches sozialstrategisches Sedativ zupaß kommt, nimmt der Aristokrat in der Polis aus eigenem Antrieb und in eigener Person diese Haltung wesenhaften Selbstseins an und richtet sich selbsttätig in ihr ein, weil sie ihm dazu verhilft, tradierter kultischer Verbindlichkeiten gegenüber den Göttern ledig zu werden und freie Verfügung über eben den herrschaftlichen Reichtum zu erlangen, der als ein von den Göttern reklamiertes Eigentum ihn zuvor in Abhängigkeit von ihnen erhielt und ihm bei Strafe der Anfechtbarkeit des ihm von ihnen gewährten Nießrechts jene sakralen Verpflichtungen gegen sie auferlegte.

Indem die in der Polis residierende Aristokratie dem östlichen Modell des über die Welt als letzte Wirklichkeit gründlich aufklärenden und nämlich alle Immanenz als Täuschung, als Sinnentrug, entlarvenden transzendenten Bezugs zum unvordenklich bleibenden Sein, das das eigene Wesen ist, die praktische Bedeutung eines für den Reife- und Bildungsprozeß ihrer einzelnen Mitglieder maßgebenden Verhaltensmusters einräumt und das heißt, die Funktion einer von der Welt emanzipierenden Selbstwerdung und Besinnung auf das, was über die empirische Person mit ihren appetitiven Bindungen und repetitiven Gewohnheiten hinaus von Bestand ist, zuweist, vindiziert sie diesen einzelnen Mitgliedern ein seiner normativ-pädagogischen Rolle gemäß vom nachdrücklich praktischen Selbstverhältnis ununterscheidbares neuartig theoretisches Selbstverständnis, das sie in der Tat das Bewußtsein der unmittelbaren Abhängigkeit von den Dingen dieser Welt in genere und der existentiellen Angewiesenheit auf den Reichtum dieser Welt in specie verlieren und sich damit ebenso gewiß aber auch von der kultischen Rückicht auf diejenigen dispensiert finden läßt, die als die wahren Herren hinter den Dingen dieser Welt, als die eigentlichen Eigner der Reichtümer dieser Welt eine der Unabdingbarkeit der Dinge entsprechende Geltung beanspruchen und einen der Hörigkeit gegenüber dem Reichtum gemäßen Gehorsam einfordern. So wahr die in der Polis niedergelassene Aristokratie das aus der theoretischen Einsicht ins Wesen als praktische Konsequenz entspringende wesensbezogene Selbst oder wesenhafte Selbstsein als normativ-verhaltensbestimmendes Vorbild, als pädagogisch-praktisches Modell für ihre Mitglieder, für deren soziale Biographie, ihren polisinternen Bildungprozeß aktiviert und in Anspruch nimmt, so wahr weist sie diesen Mitgliedern einen Weg heraus aus der traditionellen Göttergläubigkeit und kultischen Obödienz und läßt sie in dem Maß, wie die als Eigner der Welt firmierenden Götter in deren konkurshafte Entrealisierung hineingezogen werden und als ein hinter dem Scheincharakter der irdischen Dinge verschwindender projektiver Widerschein oder relativer Spuk das Zeitliche segnen, der neuen inneren Freiheit eines von allen Glaubensrücksichten befreienden Agnostizismus und eines von allen kultischen Abhängigkeiten entbindenden Selbstbewußtseins teilhaftig werden. Am wesenhaften Selbst als an seinem eigenen maßstäblich-inneren Vorbild orientiert, geht der polisbewohnende Aristokrat zur Welt auf Distanz, erhebt sich über die irdischen Dinge und Reichtümer dieser Welt und erkennt sie mitsamt den angeblich hinter ihnen verborgenen und durch sie hindurch wirkenden höheren Mächten, den vorgeblich auf sie Anspruch erhebenden und sie bestimmenden göttlichen Gewalten für ein das substantielle Selbstsein akzidentiell umspielendes Unwesen, eine dem essentiellen Selbstbezug von ungefähr beigegebene korollarisch äußerliche Beschaffenheit.

Allerdings kultiviert der Aristokrat dieses am Modell reflexiver Seinshaltigkeit oder normativer Wesenhaftigkeit orientierte und auf ein neues praktisches Selbstverhältnis hinauslaufende novellierte theoretische Selbstverständnis nun nicht etwa, um weltflüchtige Konsequenzen daraus zu ziehen. Weit entfernt davon, daß ihm das wesensbezogene Selbstsein, an dem als innerem Maßstab oder paradigmatischer Norm er sich fortan orientiert, als ontologisches Entscheidungsmittel oder Tor zur Transzendenz und nämlich als ein praktischer Imperativ gälte, sich dem von diesem Selbstsein als seine transzendente Substanz erkannten Wesen im Sinne reflexiven Zusichkommens oder meditativen Insichgehens rüückhaltlos zuzuwenden und damit ebenso vorbehaltlos der sub specie des Wesens als immanentes Akzidens oder wesenloser Schein entlarvten Welt den Rücken zu kehren und Valet zu sagen, behält das normative Selbstsein eine ausschließlich transzendentale Funktion für ihn und bleibt ein empiriologisches Kriterium, das ihn flugs in die Immanenz zurückverweist und ihm dort erlaubt, zwischen der Welt, wie sie dem sinnenverfallenen und gewohnheitshörigen einzelnen sich darbietet und das heißt, als wirklich verpflichtendes Werk und real engagierende Veranstaltung der Götter sich ihm oktroyiert, und der Welt, wie sie dem seinsbewußten oder wesensgedenkenden Selbst erscheint, und das heißt, sich ihm als hintergrundslos inszeniertes Blendwerk und unverbindlich phänomenaler Schein enthüllt, zu unterscheiden.

So wahr das als maßgebliches Modell und inneres Vorbild angenommene wesensbezogene Selbst den polisbewohnenden aristokratischen Verfügern über herrschaftlichen Reichtum dazu dient, zur Welt der Götter und allen ihnen aus der Abhängigkeit von den Göttern erwachsenden religiösen Verbindlichkeiten und kultischen Obödienzen Distanz zu gewinnen und, wie einerseits einen kraft Wesen selbständigen Status oder substantiellen Standort zu beziehen, so andererseits die Welt mitsamt ihren göttlichen Eignern zur Stellung eines diesem selbständigen Dasein phänomenal aufstoßenden, dies substantielle Selbstsein akzidentiell umspielenden wesenlosen Widerscheins und gehaltlosen Abglanzes zu degradieren, so wahr erschöpft sich das als innerer Maßstab angenommene wesenhafte Selbst nun aber auch in solcher Degradierungs- und Entmächtigungsfunktion: Weit entfernt davon, als Weg zur Wahrheit, als ein von der Welt, die Schein ist, abwendender und zum Sein, das Wesen ist, hinführender Rettungsanker und Heilsbringer herzuhalten, dient dies paradigmatische Selbst oder maßstäbliche Reflexiv vielmehr nur als Tor zur Welt, als Wünschelrute zur Beschwörung eines von opferkultlichen Hypotheken befreiten, in seiner Substanzlosigkeit frei verfügbaren Lebensraumes und Betätigungsfeldes. Was der seinen herrschaftlichen Reichtum in die Polis überführende und überhaupt seinen Lebensmittelpunkt in die Polis verlegende Aristokrat für, gemessen an der wesenhaften Selbstgewißheit, die er kultiviert, akzidentielles Beiwerk oder wesenloses Blendwerk erkennt, das erklärt er nicht etwa zum Unwesen, um es als solches zu verwerfen und zugunsten des Wesens im Stich zu lassen, sondern um es umgekehrt als ein Ganzes des Scheins, als Erscheinung, gelten zu lassen und zu akzeptieren und sich in ihm wie auf einer das aristokratische Leben schwerelos tragenden Bühne und wie in einer das aristokratische Wirken hintergrundslos umgebenden Kulisse frei zu bewegen und nach Gutdünken zu entfalten. Die Entwirklichung und Entwertung der Welt zum Scheingebilde, die mit der Ausrichtung und Modellierung der eigenen Person auf ein als innerer Maßstab angenommenes wesenhaftes Selbst einhergeht, nutzt der Aristokrat, nicht um sich aus dem Scheingebilde reflexiv zurückzuziehen und meditativ zu verabschieden, sondern um sich im Gegenteil unbeschwert heimisch und ohne alle topologisch höheren Rücksichten oder theologisch tieferen Bewandtnisse am Platze in ihm zu fühlen, um also das Scheingebilde als bildsame Erscheinung, die wesenlos bloße Illusion als folgenlos freie Phantasie strikt agnostisch ins Auge fassen und rein empirisch sich gefallen lassen zu können.

Mit dem als sein wahres Selbst ihm pädagogisch-paradigmatisch eingegebenen Wesensbezug im Rücken oder, besser gesgt, mit diesem Wesensbezug als Rückgrat wendet sich also der Aristokrat, von aller weltflüchtigen Motion oder seinssüchtigen Option denkbar weit entfernt, wieder seinen irdischen Angelegenheiten und weltlichen Geschäften zu, um sich fortan in ihnen mit einerseits der Freizügigkeit und Lebendigkeit und andererseits der Selbstsicherheit und Überheblichkeit dessen zu bewegen, dem die irdischen Dinge eine überhaupt erst durch seine Zuwendung Bedeutung und Bewandtnis erlangende imaginative Veranstaltung, eine wesentlich dank seines Engagements Kontinuität und Bestand behauptende phänomenale Sphäre sind. Dabei ist dieser das Selbst als Maß der Person etablierende und eben dadurch der letzteren Rückgrat verleihende Wesensbezug für die Selbstsicherheit, mit der der Aristokrat der Erscheinungswelt begegnet, und für das Gefühl der Selbständigkeit, das er ihr gegenüber wahrt, ebenso allentscheidend wie für die Beweglichkeit, die er in ihr gewinnt, und für die freie Verfügung, die er über sie erringt. In der Tat dient ihm das als inneres Rückgrat reklamierte wesenhaft-wahre Selbst in der Doppelfunktion eines die irdischen Dinge zur Erscheinungswelt degradierenden Entmächtigungsmittels und einer ihn persönlich der degradierten Welt gegenüber als ein Wesen höherer Ordnung reaffirmierenden reservatio mentalis. Während das wesenhaft-wahre Selbst dem Aristokraten einerseits ermöglicht, die Welt den Göttern und ihrem Verfügungsanspruch als ein Ganzes des Scheins, als Erscheinung, agnostisch zu entreißen und, wenn schon nicht zu seinem Schöpfungswerk, seiner Kreatur, zu erklären, so jedenfalls doch zu seinem Bühnenwerk, seiner Kulisse zu machen, erlaubt es ihm andererseits, sich auf dieser Bühne der Erscheinungswelt narzißtisch zu inszenieren und nämlich der phänomenalen Kulisse gegenüber die Reserve einer an sie nicht gebundenen transzendenten Bedeutung, einer im flüchtigen Schein nicht aufgehenden haltgebenden Seinshaftigkeit zu wahren. Wäre letzteres nicht der Fall und ginge also der kraft Wesensbezug die Götterwelt zur Erscheinungswelt entmächtigende Agnostizismus nicht mit einem kraft wesenhaftem Selbst die Differenz zur Erscheinungswelt garantierenden Narzißmus einher, der Aristokrat verfiele in eigener Person eben der Entwirklichungs- und Entwertungsstrategie, der er die Welt unterwirft, und könnte als bloßes Moment einer ebenso wesenlosen und um alles Sein gebrachten, wie von den Göttern verlassenen und jeder kultischen Sanktion entbehrenden Sphäre des Scheins seines Lebens unmöglich froh werden.

Weil das wesensbezogene höhere Selbst die Anerkennung der übrigen Polisbewohner braucht, muß es ihnen vorgeführt, als Realität manifest werden; das heißt, es muß in der Verfügung des Aristokraten über seinen Reichtum Sichtbarkeit gewinnen. Da es aber ein Unding ist, das im Wesensbezug und seiner Indifferenz gegen die Welt und ihren Reichtum gründende höhere Selbstsein ausgerechnet im Umgang mit diesem Reichtum sichtbar machen zu wollen, beschränkt sich der per Umgang mit dem Reichtum geführte Nachweis jenes Selbstseins auf die Erhaltung des Schauplatzes für den künftig zu führenden Nachweis.

Statt dessen kann der Aristokrat, versehen mit dem Rückgrat oder transzendentalen Reflexiv seines ebenso innerlich haltgebenden und gegenüber der Erscheinungswelt narzißtisch verwahrenden, wie nach außen bannkräftigen und die Welt als Erscheinungswelt agnostisch wahrnehmbar machenden wesenhaften Selbst, sich dieser entmächtigten Welt wohlgemut zuwenden und sie als Schauplatz seines reichtumgestützt politischen Machtstrebens ungehindert in Besitz nehmen, über sie als Spielwiese für sein poliszentriert soziales Geltungsbedürfnis frei verfügen. Und das gilt, wie für die Erscheinungswelt im allgemeinen, so natürlich auch und vor allem für jenen besonderen Teil der Erscheinungswelt, der als herrschaftlicher Reichtum ihm als Erbteil zugefallen ist und den als sein unstrittiges Eigentum anerkannt und von Oikos und Polis gleichermaßen respektiert zu sehen, ihm deshalb ein vorzügliches Anliegen ist, weil er ihn als materiale Grundlage für die Verwirklichung seines Machtstrebens und die Befriedigung seines Geltungsbedürfnisses unbedingt braucht. So gewiß sein aus dem maßstäblich inneren Wesensbezug sich speisender Agnostizismus und Narzißmus dem in die Polis übergesiedelten Aristokraten erlauben, die weltlichen Erscheinungen in genere von allen religiösen Abhängigkeiten und kultischen Rücksichten befreit und die Verfügungsgewalt über sie höchstens noch durch die Ansprüche säkularer Konkurrenten, nämlich der Artgenossen, eingeschränkt zu gewahren, so gewiß gewinnt er diese freie Verfügung auch und in specie über den herrschaftlichen Reichtum, das ihm als Erbteil zugefallene und von konkurrierenden Ansprüchen anderer nicht einmal betroffene Hab und Gut aus vergangenen theokratischen Tagen.

So gesehen, gelingt nun aber dem am Modell des wesenhaften Selbst orientierten, polisbewohnenden Aristokraten in der Tat eben das, was oben als eklatantes Unding und planer Widersinn abgewiesen wurde: Als legitimierende Instanz für seine Verfügungsgewalt über den herrschaftlichen Reichtum firmieren nicht mehr die Götter mit dem lokal und temporal spezifizierten System von opferkultlichen Verpflichtungen, die sie auferlegen, sondern figuriert in einfacher Zuspitzung er selbst mitsamt den machtpolitischen Ambitionen und den sozialen Geltungsbedürfnissen, die er kultiviert. Weit entfernt davon, noch länger von den als eigentliche Eigner der weltlichen Güter im allgemeinen und des herrschaftlichen Reichtums im besonderen firmierenden Göttern als der objektiven Legitimationsinstanz für seinen Umgang mit den weltlichen Gütern und seine Verfügung über den herrschaftlichen Reichtum abhängig zu sein, findet der Aristokrat die Legitimation für solchen Umgang und solche Verfügung nunmehr in seinem eigenen Innern, in seiner Konstitution als Subjekt, nämlich in jenem wesenhaft wahren Selbst, das in dem Maß, wie es die Welt und ihre Reichtümer zum akzidentiellen Gebilde entwertet und zum wesenlosen Beiwerk entwirklicht erscheinen läßt, alle mit dieser Welt traditionell verknüpften religiösen Hypotheken und sakralen Verpflichtungen in den Konkurs agnostischer Unverbindlichkeit treibt und vor den Fall narzißtischer Unbetroffenheit kommen läßt und damit die aus dem Konkurs hervorgehende Erscheinungswelt, die dem Fall entsteigende säkulare Bühne und phänomenale Kulisse den Strategemen persönlichen Machtstrebens überantwortet und den Kalkülen individuellen Geltungsbedürfnisses preisgibt. Jenes wesenhaft wahre Selbst in seinem Inneren also ist es, was den zur Polis übergelaufenen Aristokraten, der dort mit seinem oikosentsprungenen Reichtum Privatpolitik treibt und persönliches Ansehen zu erwerben trachtet, davor schützt, in der Rolle eines Raub am göttlichen Eigentum übenden und gegen die opferkultlichen Obligationen sich vergehenden Usurpators zu erscheinen und was ihm vielmehr erlaubt, sich in der Welt gleich wie auf einer für ihn geschaffenen Bühne in Szene zu setzen und sich der weltlichen Güter in genere und seines herrschaftlichen Reichtums in specie als eines quasi für seinen Auftritt auf der Bühne der Polis eingerichteten Requisitoriums zu bedienen. Jenes wesenhaft wahre Selbst in seinem Innern läßt ihn einer nach Maßgabe ihres Substanzverlusts von allen göttlichen Verpflichtungen und kultischen Verbindlichkeiten dispensierten und ihm zum freien Gebrauch überlassenen Erscheinungswelt agnostisch versichert sein und verleiht ihm gleichzeitig die narzißtische Gewißheit seines eigenen, nicht im Schein der Erscheinungswelt sich erschöpfenden, nicht in ihrem Gebrauch sich verzehrenden Seins.

So sehr indes der Aristokrat selbst der Wesenhaftigkeit in seinem Innern und der darin gelegenen Rechtfertigung für seinen traditionslos eigenen, beispiellos originellen Umgang mit der Welt und ihren Reichtümern versichert und so groß also seine persönliche Gewißheit sein mag, daß solche innere Wesenhaftigkeit ihn von allem Vorwurf einer usurpatorisch willkürlichen Verwendung herrschaftlichen Reichtums dispensiert und in seinem Anspruch auf eine inventorisch freie Verfügung über den Reichtum legitimiert – für diejenigen, die ihn in seiner freien Verfügung über den Reichtum anerkennen und das heißt, ihn in seinem reichtumgestützt machtpolitischen Tun und geltungsbedürftigen Treiben als durch sein wesenhaftes Selbst legitimiert anerkennen sollen, für die Polisbewohner also, unter denen er sich aufhält, bleibt eben das, was ihn legitimieren soll, das wesenhafte Selbst, solange es nur in seinem Innern ist und nicht nach außen tritt, keinen sichtbaren Ausdruck in seinem Tun und Treiben findet, ganz ungewiß und in der Tat reine Versicherung. Ob der Aristokrat, wenn er den herrschaftlichen Reichtum in seiner Hand verwendet, um fern vom Oikos persönliche Macht zu erringen und polisisintern privates Ansehen zu erlangen, Raub an den Göttern und ihren kultischen Ansprüchen begeht oder ob die neue Selbstgewißheit, der neue reflexive Bezug auf das wesenhaft wahre Selbst in seinem Innern, ihn zu solcher Verwendung des Reichtums legitimiert, indem sie ihm das andere seines Selbstseins, die Welt im allgemeinen und ihre Reichtümer im besonderen, als nach Maßgabe ihrer Entrealisierung entgöttlichte Sphäre, als nach Maßgabe seiner Entsakralisierung säkularisiertes Gebilde, als ein allen göttlichen Ansprüchen und kultischen Obligationen entzogenes Ganzes des Scheins, als Welt der wesenlosen Erscheinungen, wahrzunehmen oder vielmehr imaginativ vor sich hinzustellen erlaubt – ob, kurz, der Aristokrat frevlerisch usurpatorisch handelt oder frei inventorisch agiert, bleibt für die Polisbewohner, die seinem Tun und Treiben beiwohnen, so lange ununterscheidbar, wie das entscheidende Kriterium, die das Verhältnis zur Welt von Grund auf umgestaltende Orientierung am wesenhaft wahren Selbst nicht in den Handlungen des Aristokraten, in seinem Tun und Treiben als solchem, prägend wirksam wird und erkennbare Folgen zeitigt.

Damit aber kehrt das Modell des maßstäblich inneren Wesensbezuges, auf das der polisbewohnende Aristokrat rekurriert, um sein mit opferkultlichen Hypotheken belastetes Weltverhältnis grundlegend umzugestalten und die im Sinne seiner neuen Lebensform und Lebensorientierung nötige freie Verfügung über jenen Teil weltlicher Güter, jenen herrschaftlichen Reichtum zu erlangen, der aus dem Konkurs des theokratisch-monarchischen Systems ihm als Erbteil zugefallen ist – damit also kehrt dies Modell eine ebenso bemerkenswerte wie unverhoffte Dialektik hervor. Wenn der mit dem Resultat eines wesenhaft wahren Selbst im Innern reklamierte Wesensbezug dem Aristokraten einerseits als Mittel dient, sich von den religiösen Rücksichten und kultischen Verpflichtungen freizumachen, die seinen Umgang mit dem als Eigentum der Götter firmierenden herrschaftlichen Reichtum ritualisieren und seine Verfügung darüber entsprechend einschränken, so erlegt ihm andererseits der Einsatz jenes Mittels, um erfolgreich zu sein, neue Verpflichtungen auf und prägt die Art und Weise, wie er mit dem frei verfügbar gewordenen Reichtum hiernach umgeht, nicht weniger nachdrücklich, als zuvor die Rücksicht auf die Götter es tat. Weil das, was dem Aristokraten die von kultischen Obödienzen befreite Verfügung über seinen Reichtum verschafft, nämlich das die Welt zur bloßen Erscheinungswelt, das Sacrum zum Saeculum degradierende wesenhaft wahre Selbst in seinem Innern, um für die Polisbewohner als legitimierende Instanz erkennbar und anerkennbar zu sein, keine Sache nur der inneren Gewißheit des Aristokraten selbst sein darf, sondern ein sichtbar bestimmender Faktor in seinem äußeren Auftreten, seinem Tun und Treiben darstellen muß, findet sich nun der machtpolitisch-persönliche und geltungsbedürftig-private Gebrauch, den der polisbewohnende Aristokrat von seinem herrschaftlichen Reichtum machen möchte und für den das wesenhaft wahre Selbst in seinem Innern eigentlich nur die initiale Rechtfertigungsbasis abgeben oder den transzendentalen Ermöglichungsgrund bieten soll, unversehens auf eben dies wesenhaft innere Selbst als auf sein reales Telos bezogen und in eine auf es als eigentlichen Interessenpunkt abgestellte, auf seine maßstäbliche Vorgabe ausgerichtete, seiner Erhaltung und Stärkung dienliche Verwendung umfunktioniert.

So gewiß der Aristokrat die freie Verfügung über den herrschaftlichen Reichtum pro domo seiner politischen Machtansprüche und sozialen Geltungsbedürfnisse dadurch erwirbt, daß er sich mit der Wesenhaftigkeit in seinem Innern als mit seinem ebensosehr die Welt zur Erscheinungswelt agnostisch entmächtigenden, wie ihm selbst zur narzißtischen Eigenständigkeit der Welt gegenüber verhelfenden wahren Selbst und eigentlichen Reflexiv identifiziert, so gewiß sieht er sich nun von seiten derer, die seine Erwerbung anerkennen sollen, von seiten nämlich der Polisbewohner, durch die Forderung unter Druck gesetzt, diese Identifizierung empirisch erkennbar, praktisch erfahrbar werden zu lassen und das heißt aber, den politischen Machtanspruch, in dessen Dienst der Reichtum verwendet wird, als Anspruch auf die Macht nicht primär der empirischen Person, die er unmittelbar ist, sondern des wahren Selbst, mit dem er sich kriteriell identifiziert, Wirklichkeit gewinnen zu lassen und das soziale Geltungsbedürfnis, zu dessen Befriedigung er den Reichtum gebraucht, als Bedürfnis nicht sowohl nach Geltung des privaten Individuums, das er äußerlich vorstellt, sondern des transzendentalen Reflexivs, als das er sich innerlich gewahrt, in die Tat umzusetzen. Was ursprünglich und der intentionalen Anlage nach nur Mittel zum Zweck einer ungehinderten Verwendung herrschaftlichen Reichtums im persönlichen Interesse und zum privaten Nutzen des polisbewohnenden Aristokraten sein soll, erweist sich somit letztlich und seinen sozialen Implikationen nach als ein sich selbst vermittelndes Telos, ein alles umdeutendes Medium, das in dem Maß, wie es die freie Reichtumverwendung ermöglicht, sie auch von Grund auf neubestimmt und nämlich auf das persönliche Interesse nicht mehr der empirischen Person des Aristokraten, sondern ihres transzendentalen Reflexivs bezogen, zum privaten Nutzen nicht mehr des äußeren aristokratischen Individuums, sondern seines inneren Selbstes da sein läßt.

Wie indes die im letzten Satz vorgenommene paradoxe Verknüpfung des Persönlichen mit dem Transzendentalen oder des Privaten mit dem Selbst schon andeutet, hält es gar nicht so leicht, sich den von religiösen Rücksichten befreiten Gebrauch, den der Aristokrat von seinem herrschaftlichen Reichtum macht, auf dessen paradigmatisches Selbstsein, statt auf sein empirisches Dasein, auf ihn als wesenhaftes Inneres, statt auf ihn als leibhaftiges Äußeres bezogen überhaupt vorzustellen und sich mit anderen Worten auszudenken, wie in der Reichtumverwendung des Aristokraten, in seinem persönlichen Tun und privaten Treiben, jenes wesenhaft wahre Selbst als formgebender Faktor soll in Erscheinung treten, als maßgebender Reflexionspunkt soll erkennbar werden können. Schließlich steht und fällt ja die Wirksamkeit jenes ineins die Welt agnostisch entmächtigenden und die Person des Aristokraten narzißtisch verselbständigenden innerlich wahren Selbst mit dem Charakter des Wesenhaften, das heißt mit der reflexiven Hinwendung auf ein als Wesen, als ursprünglich eigener, zeitlos vergangener Zustand erkanntes Sein und mit der demgegenüber refutativen Abwendung von der wesenlos-scheinhaften Zuständlichkeit, als die sub specie jenes als das eigene Wesen angenommenen Seins die unmittelbar-gegebene Welt mit all ihren vermeintlichen Reichtümern sich entpuppt.

Wie und in welchem Sinne soll der Gebrauch, den der Aristokrat von seinem Reichtum macht, sich wohl auf dies in der Hinwendung zum Wesen, das zeitlos vergangenes Sein ist, und der Abwendung von der Welt, die haltlos vergänglicher Schein ist, bestehende Selbst als auf ihren eigentlichen Adressaten und Nutznießer beziehen, wie und in welcher Hinsicht soll das vom Sein erfüllte, das in sein Wesen reflektierte Selbst mit jenem herrschaftlichen Reichtum, jenem Teil Welt, den die Person des Aristokraten nach dem Willen seiner Mitbürger in der Polis gehalten ist, ihm zuzuwenden und in seinen Dienst zu stellen, sich überhaupt ins Benehmen setzen, geschweige denn etwas anfangen können? Heißt nicht, den Reichtum in den Dienst des wesenhaften Selbst stellen und umgekehrt von diesem verlangen, daß es dem ihm zugewandten Reichtum seinen Stempel aufdrücke, die Reichtumverwendung als eine ebensosehr auf ihn gemünzte wie von ihm geprägte anschaulich werden lasse – heißt das nicht den Bock zum Gärtner machen oder vielmehr den Gärtner aus seinem Garten vertreiben und als Sündenbock in die Wüste schicken, um ihm dort just das sterile Terrain als Betätigungsfeld und Entfaltungsraum zuzumuten, von dem er sich durch die Kultivierung des Gartens doch gerade gelöst und das er von seiner Wahrnehmung ausgeschlossen hat? Schöpft nicht das wesenhaft wahre Selbst im Innern, auf das sich der Aristokrat als auf sein agnostisch frei und narzißtisch selbständig machendes Reflexiv beruft, seine emanzipierende Kraft gerade aus der indifferentistischen Verhältnislosigkeit zur Erscheinungswelt und aus der negativistischen Gleichgültigkeit gegenüber deren illusorischen Schätzen, die diesem Selbst eben sein Wesensbezug, sein reflexives Verhältnis zum zeitlos vergangenen Sein verleiht? Und mag schon der Aristokrat sich dies wahre Selbst in seinem Innern ohne Rücksicht auf dessen weltflüchtige Indifferenz und wesensorientierte Negativität zunutze machen, um mit ihm als transzendentalem Reflexiv im Rücken eine im Sinne seiner persönlichen Ambitionen und privaten Absichten erwünschte selbständigere Haltung gegenüber der Welt im allgemeinen und selbstmächtigere Verfügung über ihre Schätze im besonderen, sprich, über den ihm zugefallenen herrschaftlichen Reichtum, zu gewinnen – diesen Reichtum nun, wie die Polis verlangt, mehr noch auf das Selbst selbst zu beziehen und wie einerseits in dessen Interesse und zu seinem Vorteil zu verwenden, so andererseits es selbst in der Reichtumverwendung zum Ausdruck kommen und als einen den Verwendungsmodus bestimmenden Faktor sichtbar werden zu lassen, scheint ein Unding, eine regelrechte contradictio in adjectum der weltflüchtig-wesenhaften Konstitution dieses Selbst, seiner immanenzfeindlich-transzendenzhaltigen Orientierung.

Demnach scheint sich aber dies transzendenzhaltige Maß im Innern, dies wesenhafte Selbst, auf das als Legitimationsinstanz für sein innerweltliches Tun und Treiben, seine persönlichen Absichten und privaten Vorhaben der Aristokrat sich beruft, tatsächlich als ein untaugliches Mittel zum Zweck zu erweisen. Es hat den Anschein, als stoße damit die aufs Modell des transzendenten Wesensbezuges setzende agnostische Weltentmächtigungs- und narzißtische Selbstautorisierungsstrategie des Aristokraten an die unüberwindbaren Grenzen des Widerspruchs, in den die innerweltlich-strategische Benutzung jenes weltflüchtig-gnostischen Modells sich verstrickt, als strafe der Versuch, das wesenhafte Selbst als Transzendental oder Konstitutionsrahmen für freie Beweglichkeit im weltlichen Raum und uneingeschränkte Verfügung über die irdischen Dinge zu vereinnahmen und in den Dienst der empirischen Person zu stellen, sich selber die Lügen der hiermit unvereinbaren Disposition jenes Selbst und sei an sein definitives Ende gelangt. Der Behauptung des Aristokraten, in seinem Innern ein Selbst zu kultivieren, das kraft Wesenhaftigkeit von aller göttlichen Bevormundung und kultischen Obödienz entbinde und freie Verfügung über den eigenen Reichtum pro domo persönlicher Machtambitionen und privater Geltungsbedürfnisse gewähre, setzt die Bürgerschaft der Polis das Verlangen entgegen, dies nur erst behauptete, nur erst innere Selbst den bestimmenden Sinn und die äußere Geltung des eigentlichen Bezugs- und Reflexionspunkts der aristokratischen Reichtumverwendung gewinnen zu sehen. Diesem Verlangen aber läßt sich wegen der unüberbrückbar ontologischen Kluft zwischen dem kraft Wendung zum Wesen den weltlichen Reichtum zum wesenlosen Schein entwertenden Selbst und dem dank solcher Entwertung alle Seinsbedeutung für das Selbst verlierenden Reichtum schlechterdings nicht entsprechen, geschweige denn genügen.

Wie also soll der Aristokrat und kann er überhaupt der Forderung der Polisbewohner Rechnung tragen und in irgendeiner Form sein als Maß aller Dinge behauptetes Inneres im Umgang mit den Dingen Ausdruck finden, in der Verwendung des Reichtums kriterielle Präsenz erlangen lassen? Das einzige, was dem Aristokraten, wenn er aufs wesenhaft wahre Selbst in seinem Innern, das er als freimachendes, vom Gängelband der Götter entbindendes absolutes Maß aller Dinge behauptet, nicht ganz und gar verzichten und damit auch allem an dieses Selbst geknüpften Legitimationsanspruch im Blick auf sein reichtumgestütztes neues, polisinternes Tun und Treiben nicht pauschal Valet sagen will – das einzige, was ihm da bleibt, ist, quasi auf Zeitgewinn zu spielen, und nämlich den Reichtum, über den er verfügt, wenn schon nicht, wie von der Bürgerschaft der Polis erwartet und wie aber unmöglich zu vollbringen, zum Zweck einer definitiven Vergegenwärtigung des Behaupteten zu verwenden, so immerhin doch in den Dienst einer demonstrativen Aufrechterhaltung der Behauptung als solcher zu stellen. Kann der Aristokrat in der Reichtumverwendung schon nicht den Beweis für die Wirklichkeit des Behaupteten führen, kann er im Umgang mit seinem Reichtum schon nicht das wahre Selbst als maßgebende Macht sichtbar werden lassen, so kann er jedenfalls doch den Reichtum dazu verwenden, sich bloß die Möglichkeit der Behauptung zu bewahren, kann er in der Weise mit dem Reichtum umgehen, daß er dem wahren Selbst den Schauplatz für sein Sichtbarwerden, wenn es denn sichtbar werden könnte, erhält, daß er dem wesenhaften Innern die Bühne für sein Erscheinen, wenn es denn zu erscheinen in der Lage wäre, garantiert.

Schließlich ist der Kontext, in dem sein oikosentsprungener Reichtum dem Aristokraten im Sinne einer ambitioniert neuen, beispiellos persönlichen Verwendung und einer dezidiert eigenen, traditionslos privaten Verwendung verfügbar wird und in dem der Zwang zur Legitimation einer solch neuartigen Reichtumverwendung die Behauptung eines ex negativo seiner Wesenhaftigkeit freie Verfügung über den Reichtum gewährenden wahren Selbst interessant und den Nachweis der Realität dieser Legitimationsinstanz akut werden läßt – schließlich ist der situative Zusammenhang, in dem all das geschieht, nicht die Erscheinungswelt überhaupt, nicht die Totalität einer wesentlich auf agrarischer Grundlage funktionierenden und durch ihre Einzwängung in ein ebenso lokal umfängliches wie temporal durchgängiges rituelles Gerüst opferkultlicher Veranstaltungen von der Macht der Götter zeugenden herrschaftlichen Reichtumproduktion, sondern bloß ein aparter Ausschnitt aus dieser Erscheinungswelt, nämlich die aus der Totalität herrschaftlicher Reichtumproduktion ebensosehr herausgehobene wie in sie eingebettete partielle Sphäre der Polis, jenes Sammelbecken herrschaftlichen Reichtums, das, wie es einerseits funktionell als Umschlagsplatz für den letzteren firmiert und dessen Austausch dient, so hierbei intentional ein Eigenleben entwickelt und kraft der Strategie einer Akkumulation eigenen Reichtums, die es per Austausch verfolgt, zum Stiftungsort einer neuen, von der traditionell theokratischen Agrargesellschaft markant unterschiedenen und aufgrund der internen Reichtumsquellen, die es sich zuzieht und in integrierende Momente seines Bestehens umbildet, relative Selbständigkeit beweisenden Gemeinschaftsform avanciert. Diese neue Gemeinschaftsform ist es, auf deren Grundlage und in deren Zusammenhang der Aristokrat seinen reichtumgestützten Anspruch auf persönliche politische Entfaltung und auf private soziale Geltung, das heißt, auf einen von Grund auf veränderten Umgang mit dem Reichtum, ein fundamental novelliertes gesellschaftliches Verhalten, einzig und allein erheben und zur Legitimation solchen Umgangs und Verhaltens jenes wesenhaft wahre Selbst, das eine im Sinne agnostisch-narzißtischer Handlungsfreiheit radikal gewandelte Einstellung zur Welt gewährt, überhaupt nur behaupten kann. Und diese neue Gemeinschaftsform ist es, der er sich nun zuwendet und deren Bestand und Gedeihen er zum primären Anliegen seines reichtumgestützten Wirkens macht, um sich mit ihr, wenn schon nicht die Stätte einer sofortigen Verwirklichung seines Anspruchs auf legitime persönliche Entfaltung und private Geltung, so jedenfalls doch die Bedingung der Möglichkeit einer künftigen Realisierung solchen Anspruches und also die conditio sine qua non einer Kontinuierung des Anspruches als solchen zu erhalten.

Weil es die Bürgerschaft selbst ist, der als dem Schauplatz für den noch zu erbringenden Nachweis seines höheren Selbstseins der Aristokrat finanzielle Zuwendungen macht, stellen sich die Zuwendungen als faktisch gleichbedeutend mit dem Nachweis heraus. Die Bürgerschaft läßt sich durch den Reichtum, den der Aristokrat an sie wendet, überzeugen und verwandelt sich aus einer potentiellen Richterin über sein behauptetes wesenhaftes Selbst in dessen aktuelle Kronzeugin. Das wesenhafte Selbst ist durch diese für es konstitutive Anerkennung der Bürgerschaft wesentlich geprägt: es ist Streben nach Ruhm. In dem mittels Reichtum betriebenen aristokratischen Streben nach Ruhm ist die Schlinge, in der die Bürgerschaft den Aristokraten fängt, perfekt: Weil die Voraussetzung für die freie Verfügung des Aristokraten über seinen Reichtum die Anerkennung seines wesenhaften Selbstes durch die Bürgerschaft ist, reduziert sich seine freie Verfügung über den Reichtum darauf, sich diese Anerkennung durch Zuwendungen an die Bürgerschaft stets neu zu sichern.

Wenn die Polisbewohner die Anerkennung seines reichtumgestützten Macht- und Geltungsanspruches als legitimer Forderung daran knüpfen, daß in seiner legitimierten Reichtumverwendung die Legitimationsinstanz, das ins Transzendental des Weltverhältnisses umfunktionierte wesenhaft wahre Selbst, maßgebend in Erscheinung tritt und bestimmenden Ausdruck findet, wenn sie seinen Anspruch auf anerkannt freie Verfügung über den Reichtum mit dem Ansinnen konfrontieren, das, was die freie Verfügung über den Reichtum gewährt, das wesenhaft wahre Selbst im Innern, als verfügendes Subjekt am Werk und in seinem Wirken präsent zu sehen, wenn sie ihm, kurz, aus seinem Anspruch auf legitimierte Reichtumverwendung den Strick der ontologischen Unvereinbarkeit zwischen der Wesenhaftigkeit der Legitimationsinstanz und der Erscheinungsweltlichkeit dessen, worüber sie Legitimation verschafft, zwischen seinserfülltem Selbst und des Scheins überführtem Reichtum, drehen, so scheint dem Aristokraten eigentlich gar nichts anderes übrig zu bleiben, als an diesem Strick so oder so sich aufzuhängen und nämlich entweder seinen reichtumgestützten Entfaltungs- und Geltungsanspruch mangels anerkannter Legitimationsmöglichkeit kurzerhand fallenzulassen oder aber ihn unter Verzicht auf alle durch die Polisbürgerschaft anzuerkennende Legitimität als das areligiös-rücksichtsloseste Machtstreben und traditionsvergessen-bedenkenloseste Geltungsbedürfnis in die Tat umzusetzen.

Der Aristokrat indes tut weder das eine noch das andere, zieht sich weder in das stille Gärtlein eines entpolitisierten, privatisierenden Hedonismus zurück, noch stürzt er sich in das hybride Unternehmen eines unter Mißachtung sämtlicher Kultvorschriften und Gemeinschaftsregeln und also Göttern und Menschen zum Trotz auf eigene Faust geführten Kampfes um politische Macht und soziale Geltung; vielmehr hält er an seinem Anspruch auf eine legitimiert reichtumgestützte persönliche Entfaltung und private Inszenierung fest und macht dies Festhalten dadurch deutlich, daß er seinen Reichtum ebenso vornehmlich wie vorläufig zugunsten des innerweltlichen Schauplatzes verwendet, auf dem er sich entfalten möchte, ihn zum Wohle der erscheinungsweltlichen Bühne einsetzt, auf der er sich zu inszenieren vorhat. Weil die Polis den erscheinungsweltlichen Ausschnitt und Rahmen bildet, in dem allein der Aristokrat sein als Transzendental eines von Grund auf neuen Weltverhältnisses reklamiertes wesenhaft wahres Selbst sinnvoll behaupten und seinen darauf gegründeten Anspruch auf freie Entfaltung der Persönlichkeit mit Aussicht auf Erfolg erheben kann, ist, daß er den ihm verfügbaren herrschaftlichen Reichtum ebenso ostentativ wie gezielt der Polis zuwendet und in den Dienst ihres gleichermaßen theoretischen und praktischen Wohlergehens stellt, tatsächlich passender Ausdruck seines Bemühens, den Raum für seine geplante Entfaltung sich zu erhalten, der Szene für seine intendierte Inszenierung Bestand zu verleihen, und mithin redendes Zeichen seiner ungebrochenen Zuversicht, daß ihm am Ende doch noch gelingt, der wesenhaften Selbstbehauptung, die für solche Entfaltung und Inszenierung den transzendentalen Rahmen und die Legitimationsgrundlage bieten soll, zur Anerkennung durch die Polis zu verhelfen, das Placet ihrer Bürgerschaft zu sichern.

Ob allerdings jene Zuversicht mehr ist als Augenwischerei, ob die aufopferungsvolle Pflege der Bühne, die liebevolle Kultivierung der Kulisse in der Hoffnung auf eine zu guter Letzt doch noch autorisierte Aufführung tatsächlich den geringsten Fortschritt in der Hauptsache bringen, ob der Aufschub der in der Hauptsache ausstehenden Entscheidung wirklich zu mehr als höchstens und nur zu immer weiterem Aufschub führen kann, scheint in höchstem Maße zweifelhaft. Schließlich ist das als die Hauptsache anstehende Problem eine offenbar ontologische Unvereinbarkeit zwischen dem angeblich Legitimierenden und dem, wozu es legitimieren, ein augenscheinlich unlösbarer Widerspruch zwischen dem transzendenzbezogen-wesenhaften Selbst und der immanenzspezifisch-weltzentrierten Reichtumverwendung, zu der es autorisieren, die es gutheißen soll, und an diesem Widerspruch kann keine noch so hingebungsvolle Bühnenausstattung und keine noch so unverdrossene Kulissenschieberei etwas ändern. Mag der Aristokrat noch soviel von dem Reichtum, den er einer von der Polis als legitim anerkannten Verwendung pro domo seiner persönlichen politischen Entfaltung und privaten sozialen Geltung zuführen möchte, in die Pflege und Stärkung, die Erhaltung und Kultivierung eben dieser Polis als des künftigen Schauplatzes solcher Entfaltung stecken und mag diese Reichtumverwendung zum Wohle der Polis, weil er sie auf den Borg der noch unentschiedenen Hauptsache, nämlich in der Erwartung seiner schließlichen Legitimation zur freien Verfügung über den Reichtum tätigt, tatsächlich auch in seinem Belieben stehen und bis zum Entscheid in der Hauptsache unanfechtbar erscheinen – eben diesem positiven Entscheid in der Hauptsache, eben dieser seiner Legitimierung zur freien Verfügung über den Reichtum zwecks persönlicher Entfaltung und privater Geltung scheint ihn seine Vorgehensweise um kein Jota näherbringen zu können.

Daß indes, allem Anschein zum Trotz, genau dies dennoch der Fall ist, daß sogar, weit entfernt, ihn der erwünschten Legitimation bloß näherzubringen, seine Vorgehensweise dem Aristokraten vielmehr die Legitimation stante pede verschafft, diese mit Rücksicht auf die bisherigen Überlegungen überraschende Tatsache verdankt sich einem im Eifer der Überlegungen bislang ausgeblendeten Umstand, den es in seiner Tragweite nunmehr zu würdigen gilt: dem einfachen Umstand nämlich der Personalunion zwischen Polis und Bürgerschaft oder, besser gesagt, der realen Koinzidenz der Bühne, um deren Erhaltung und Ausstattung er sich im Interesse seiner persönlichen Entfaltung und privaten Inszenierung verdient macht, mit dem Publikum, das er bemüht ist, zur Anerkennung der Legitimität solch persönlicher Entfaltung und privater Inszenierung zu bewegen. Diese faktische Identität zwischen Schauplatz und Zuschauern, zwischen denen, denen der Aristokrat seinen Reichtum bis auf weiteres, bis zum Entscheid in der Hauptsache seines beanspruchten Rechts auf freie Verfügung über den Reichtum zuwendet, und denen, die er zur Anerkennung dieses Rechts gewinnen, deren positiven Entscheid er erwirken möchte – sie ist es, die aus dem vermeintlichen Faß ohne Boden, in das er seinen Reichtum unabsehbar hineinschüttet, das große Los werden läßt, das ihm seinen Einsatz postwendend durch die erwünschte Anerkennung vergilt.

Tatsächlich kann die Bürgerschaft gar nicht anders, als die Zuwendungen des Aristokraten an sie, seine Investitionen in die mit ihr identische Polis, als den ihm abverlangten Legitimationsnachweis gleichermaßen zu interpretieren und zu akzeptieren. Den negativen Teil der Bedingung, an den sie ihre Anerkennung seiner Legitimation knüpft, daß nämlich das wesenhaft wahre Selbst, auf das als Legitimationsinstanz der Aristokrat sich beruft, seinen Umgang mit dem Reichtum verändert und das heißt, seine Reichtumverwendung aus der unmittelbaren Abhängigkeit von persönlichen Ambitionen und privaten Bedürfnissen löst und im Sinne des neuen Wesenskerns revidiert erweist – diesen negativen Teil der Bedingung sieht die Bürgerschaft dadurch erfüllt, daß er sich freiwillig seines Reichtums begibt und insofern souverän über ihn verfügt, als er, statt ihn kompulsiv-egoistisch in den Dienst seines persönlichen Machtstrebens und privaten Geltungsbedürfnisses zu stellen, ihn vielmehr altruistisch-alternativ im Interesse und zum Wohle anderer verwendet. Woraus wohl sollte der Aristokrat die Kraft zu einer solch atpyischen Entäußerungs- und Verzichtshaltung ziehen, woher wohl sollte ihm die Souveränität und Freiheit zu einem solch gelösten, solch verfügungsmächtigen Umgang mit dem Reichtum zufließen, wenn nicht aus einem in der empirischen Person verborgenen und in ihrem eigensüchtigen Streben partout nicht aufgehenden essentiellen Kern, einem durch den Privatmann nur verdeckten und in seinem eigennützigen Treiben keineswegs sich erschöpfenden substantiellen Quell?

Und den zweiten, positiven Teil der Bedingung für die Anerkennung, den Anspruch, daß sich als jener Kern und Quell das wesenhaft wahre Selbst erweise und nämlich in der Reichtumverwendung als solcher zum Ausdruck bringe und maßgebend in ihr wirksam zeige – diesen der ontologischen Kluft zwischen wesenhaftem Selbst und erscheinungsweltlichem Reichtum stracks zuwiderlaufenden und deshalb eigentlich unerfüllbaren zweiten Teil der Bedingung, ihn sieht die Bürgerschaft nun insofern abgegolten und quasi ersatzweise eingelöst, als ja die Polis und in Gestalt der Polis niemand sonst als sie, die Bürgerschaft, es ist, in deren Interesse und zu deren Gunsten der Aristokrat seinen Reichtum verwendet. So wahr der Aristokrat seinen Reichtum in den zukünftigen Schauplatz seiner als anerkannt legitime Veranstaltung intendierten reichtumgestützt persönlichen Karriere und privaten Inszenierung investiert und so wahr dieser Schauplatz aber deckungsgleich mit eben dem Publikum ist, das ihm die Anerkennung seiner Legitimation bescheren soll, so wahr demonstriert er mit solcher Reichtumverwendung nicht nur in genere oder negativ, daß er auf die als wesenhaft wahres Selbst in seinem Innern behauptete Legitimationsinstanz unbeirrt baut und inskünftig mit ihr rechnet, sondern mehr noch in specie oder positiv, daß es ihm um diese Legitimationsinstanz hier und jetzt geht und er bereit ist, sie sich etwas kosten zu lassen. Mit anderen Worten, die Tatsache, daß die Polis nicht bloß künftiger Schauplatz seiner auf die freie Verfügung, die das wesenhafte Selbst gewährt, gegründeten persönlichen Karriere, sondern auch und zugleich die präsente Öffentlichkeit ist, um deren Anerkennung für das als Grundlage seiner freien Verfügung reklamierte wesenhafte Selbst ihm zu tun ist, macht seine Reichtumverwendung pro domo der Polis als Beweis dafür brauchbar, daß ihm das wesenhafte Selbst ein vordringliches Anliegen und in der Tat wichtiger ist als die persönliche Karriere, die es durch es begründen will, und läßt insofern die Reichtumverwendung in dem von der Bürgerschaft erwarteten Sinne durch die Rücksicht auf jenes Selbst maßgeblich bestimmt, von jenem wesenhaften Selbstverhältnis kriteriell durchdrungen erscheinen. Indem der Aristokrat seinen Reichtum in diejenigen investiert, die seinen legitimierenden Kern, das wesenhafte Selbst in seinem Innern, gutsagen und als gegeben anerkennen sollen, stellt er den Reichtum indirekt in den Dienst des Selbst, unterwirft ihn dessen Maßgabe und Verfügung und erfüllt damit die an eine Anerkennung des Selbst als wirklicher Macht geknüpfte grundlegende Bedingung, daß nämlich das Selbst in der Reichtumverwendung konstitutiv in Erscheinung treten, als bestimmender Faktor zum Ausdruck kommen möge.

Erfüllt wird die Bedingung aber eben nur indirekt, nur unter tätiger Mitwirkung oder hilfreicher Vermittlung derer, die ihre Anerkennung von der Erfüllung abhängig machen. Das heißt, erfüllt wird die Bedingung nicht im schlechterdings unerfüllbaren Sinn eines direkten Sichtbarwerdens des Selbst im Umgang mit dem Reichtum, einer unvermittelten Durchdringung der Reichtumverwendung mit dem reflexiven Bezug, der definitiven Rücksicht aufs Selbst, sondern vielmehr so, daß jene, die den Bezug hergestellt, die Rücksicht gewahrt sehen möchten, als Adressaten des Reichtums in eigener bürgerlicher Person oder besser politischer Körperschaft für die Herstellung des Bezuges einstehen, für die Wahrnehmung der Rücksicht garantieren. Statt einfach nur abzuwarten, bis ihre unerfüllbare Forderung erfüllt ist und das wesenhafte Selbst des Aristokraten in seiner Reichtumverwendung adäquaten Ausdruck findet, interpretiert die Bürgerschaft der Polis den Gebrauch zu ihren Gunsten, den der Aristokrat von seinem Reichtum macht, als Verwendung des Reichtums im Sinne der Forderung, die sie verkörpert, mithin als durch ihre Vermittlung zustandegebrachte, durch sie hindurch effektuierte Umzentrierung des Reichtums aufs wesenhafte Selbst als für die Person des Aristokraten maßgebenden Bezugspunkt, für ihn als Privatmann bestimmendes Reflexiv. Nichts weiter, um die Reichtumverwendung zu ihren Gunsten, die Zuwendung von herrschaftlichem Reichtum an sie und die in ihr bestehende Polis als Erfüllung ihrer Forderung nach wesenhafter Selbstbestimmtheit der aristokratischen Reichtumverwendung verstehen zu können, braucht demnach die Bürgerschaft zu tun, als sich und ihre Forderung nach Selbstbestimmtheit der Reichtumverwendung dem Aristokraten zwecks Erfüllung ihrer Forderung zur Verfügung zu stellen, sich und ihre Forderung in den Prozeß des geforderten Nachweises der Selbstbestimmtheit als rückbezüglichen Umschlagspunkt, als reflexiven Vermittlungsort einzubeziehen, sich und ihre Forderung als eben das Mittelglied zu begreifen, in dem es dem Aristokraten gelingt, die ontologisch unvereinbaren Extreme des wesenhaften Selbst und des erscheinungsweltlichen Reichtums dennoch aufeinander zu beziehen und zu einem psychologisch schlüssigen Urteil zusammenzufügen.

Und was könnte die Bürgerschaft wohl dagegen haben, dem Aristokraten diesen Liebesdienst zu erweisen? Schließlich ist sie es ja, zu deren Gunsten der Aristokrat seinen Reichtum verwendet, der er ihn zuwendet und überläßt! Mit anderen Worten, der Aristokrat vergilt ihr ja den ideellen Gewinn, den sie ihm durch die Mitwirkung an der Einlösung ihrer Forderung nach selbstbestimmter Reichtumsverwendung verschafft, stante pede durch den materiellen Vorteil, den eben diese Mitwirkung ihr in Gestalt des selbstbestimmt verwendeten Reichtums beschert. Wie könnte sie diesem vorteilhaften Angebot, diesem lukrativen Geschäft wohl widerstehen? So betrachtet, läßt sich die Zuwendung von herrschaftlichem Reichtum an die Bürgerschaft der Polis, zu der sich der Aristokrat bereitfindet, ebensowohl als eine Form von Bestechung, als eine Methode interpretieren, ihr die Anerkennung des vom Aristokraten behaupteten wesenhaften Selbst als verhaltensbestimmender und insofern verhaltenslegitimierender Instanz buchstäblich abzukaufen. Daß der Aristokrat ausgerechnet ihr, die ihm mit der Forderung nach selbstbestimmter Reichtumverwendung in die Quere kommt, seinen Reichtum zuwendet und überläßt, beeindruckt, ideell gesprochen, oder besticht, materiell begriffen, die Bürgerschaft so sehr, daß sie sein Verhalten als Verfahren deutet, ihrer Forderung Rechnung zu tragen, und nämlich als Beweis dafür, daß ihm die Anerkennung und öffentliche Geltung jenes Selbst dringlicher ist als die Bestätigung und das private Gedeihen der eigenen Person und er in actu der Zuwendung von Reichtum an sie den Reichtum zur Bekräftigung und zum höheren Ruhme jenes Selbst verwendet, mithin ihre Forderung nach selbstbestimmter Reichtumverwendung einlöst. Daß der Aristokrat ihre Forderung nach einem Vorweis des Selbst in der Reichtumverwendung durch die Zuwendung von Reichtum honoriert, nimmt die Bürgerschaft als Beweis für die das Verhalten des Aristokraten auf sich beziehende Objektivität und in sich reflektierende Realität dieses Selbst, als dessen Sachwalterin und Befürworterin sie ja firmiert – und damit verkehrt sich ihre Forderung nach der Evidenz eines selbstbestimmten Verhaltens umstandslos in die Anerkennung der Existenz des verhaltensbestimmenden Selbst. Bestochen durch den Reichtum, den der Aristokrat ihr zuwendet, läßt sich die Bürgerschaft in eben den Legitimationsnachweis, den sie dem Aristokraten abfordert, als Kronzeugin einspannen und verwandelt sich aus dem potentiell schärfsten Kritiker der Legitimität seiner freien Verfügung über den Reichtum in deren aktuell eifrigsten Verfechter.

Allerdings ist, was sie nunmehr als Legitimationsgrundlage des Aristokraten anerkennt und beglaubigt, ein wesenhaftes Selbst, das wesentlich durch diese ihre Anerkennung, dieses ihr Zeugnis vermittelt und geprägt ist. Was ursprünglich oder in der Behauptung des Aristokraten einfach nur eine kraft Wesensbezug ontologisch differente und insofern der Erscheinungswelt entzogene transzendente Größe ist, zu der sich der Aristokrat als zu einem kritischen Maßstab oder Transzendental seiner empirischen Person verhält, um sie als Legitimationsinstanz für den erwünschten agnostisch-freien und narzißtisch-rücksichtslosen Umgang mit der Erscheinungswelt in Anspruch nehmen zu können, das wird in seiner durch die Bürgerschaft anerkannten Form zu einem Faktor, dem eben die Anerkennung durch die Bürgerschaft mitsamt den dafür erforderlichen praktischen Verhaltensformen und sächlichen Leistungen wesentlich und als unabdingbar konstitutionelles Moment angehört. Indem, mit anderen Worten, der Aristokrat gezwungen ist, sich um der immanenten Wirklichkeit oder erscheinungsweltlichen Wirksamkeit des wesenhaften Selbst willen der Anerkennung der Bürgerschaft zu versichern, erweist sich eben diese Anerkennung als im erscheinungsweltlichen Rahmen konstitutiver Bestandteil und unabtrennbare Außenseite oder unverzichtbares Medium des anzuerkennenden Selbst. Die aristokratische Behauptung des Selbst erscheint deshalb wesentlich als ein ständiges Werben um seine Anerkennung, erscheint als permanentes Eintreten dafür, daß die Bürgerschaft seiner eingedenk bleibt, es gelten läßt und hochhält, kurz, sie stellt sich dar als ein unablässiges Bemühen um das Gedächtnis der Bürgerschaft, als Streben nach Ruhm. Über die Wirksamkeit des wesensbezogenen Selbst, seine polisinterne Wirklichkeit, entscheidet letztlich das Gedächtnis der Bürgerschaft, ihre Bereitschaft, ihm in Gedanken ein Denkmal zu setzen. Diese Bereitschaft aber muß, wie gesehen, der Aristokrat sich durch die Verwendung seines herrschaftlichen Reichtums erkaufen, sie muß er durch wiederholte Zuwendungen an die Polis wecken und am Leben erhalten. Sosehr demnach die ihm zum Ruhm als zum polisinternen Vorweis seines wesenhaften Selbst gereichende Anerkennung durch die Bürgerschaft Voraussetzung dafür ist, daß er vom herrschaftlichen Reichtum im Sinne seines persönlichen Machtstrebens und privaten Geltungsbedürfnisses freien Gebrauch machen kann, sosehr muß er doch zugleich diesen Reichtum je schon einsetzen und verwenden, um sich jener Voraussetzung permanent zu versichern und sie immer wieder zu schaffen.

Damit wird nun allerdings deutlich, daß der Strick, den die Bürgerschaft dem Aristokraten aus seinem Anspruch auf Anerkennung seiner Wesenhaftigkeit durch ihre Gegenforderung nach einer verhaltensbestimmenden Evidenz dieser Wesenhaftigkeit dreht, nicht sowohl eine Schlinge darstellt, an der er sich persönlich nurmehr aufknüpfen kann, um so oder so seinem Anspruch auf legitimierte Selbstentfaltung zu entsagen, sondern vielmehr als eine Halskette dient, an der ihn die Bürgerschaft kollektiv festhält und nach Gutdünken lenkt. Wenn auf den ersten Blick der Aristokrat in dem mit der Bürgerschaft ausgetragenen Kampf um Anerkennung der Legitimität seines Anspruchs auf eine reichtumgestützt persönliche Karriere als Sieger erscheint, da ihm doch offenbar gelingt, die von der Bürgerschaft gestellte, schlechterdings unerfüllbare Bedingung, ihre Forderung nämlich nach einer durchs wesenhafte Selbst bestimmten Reichtumverwendung, das heißt nach einem maßgebenden Sichtbarwerden der Legitimationsinstanz in eben dem, wozu sie legitimieren soll, zu umgehen oder vielmehr durch Einbeziehung der Bürgerschaft in den Prozeß der Reichtumverwendung und durch Honorierung ihres Eintretens für das wesenhafte Selbst und seine Wirklichkeit, mit anderen Worten, durch Bestechung der Bürgerschaft, ersatzweise zu erfüllen, so erweist sich bei genauerem Hinsehen dieser Triumph des Aristokraten ebensowohl als ein Pyrrhussieg, da die Anerkennung demnach ja mit eben dem herrschaftlichen Reichtum erkauft werden muß, dessen legitimiert freie Verwendung im Sinne der persönlichen Karriere sie eigentlich ermöglichen soll. Wohl erringt durch die Verwendung seines Reichtums pro domo der Polis der Aristokrat das anerkannte Recht auf freie Verfügung über den Reichtum, aber weil er dieses Recht auf freie Verfügung durch jene besondere Verwendung allererst erwerben muß, reduziert sich die freie Verfügung de jure des erworbenen Rechts auf eben jene besondere Verwendung und deren nach Bedarf und Vermögen praktizierte Wiederholung.

So wahr die Verwendung des Reichtums pro domo der Polis für den Aristokraten die einzige Möglichkeit darstellt, die Bürgerschaft zur Anerkennung der Wirklichkeit des ihn zur freien Verfügung über den Reichtum ermächtigenden wesenhaften Selbst in seinem Innern zu bewegen, so wahr stellt ihn nun jeder Akt einer freien Verfügung über den Reichtum, zu der er sich durch die vorgängige Verwendung des Reichtums pro domo der Polis formell das Recht erworben hat, realiter vor die Entscheidung, ob er ihn zur Sicherung und Bekräftigung des erworbenen Rechtes nutzen und also den Reichtum erneut im Sinne seines Einsatzes pro domo der Polis verwenden oder ob er den Reichtum frei und das heißt, im Interesse seiner persönlichen Macht und zum Nutzen seiner privaten Geltung gebrauchen und damit aber riskieren soll, durch solchen Gebrauch das auf ihn erworbene Recht stante pede wieder einzubüßen. In der Tat ist dies die Kette, an die die Polis den Aristokraten legt, dies die Schlinge, die ihm die Bürgerschaft als Halteseil um den Hals windet und mit deren Hilfe sie ihn gleich einem halb widerstrebenden, halb fügsamen Ochsen lenkt und beherrscht: Nimmt der Aristokrat sich das durch die Anerkennung der Bürgerschaft erworbene Recht auf freie Verfügung über den ihm zu Gebote stehenden herrschaftlichen Reichtum und setzt ihn ein, um sich persönlich in politische Positur zu werfen und als Privatmann sozial in Szene zu setzen, so verleugnet er zugunsten seines persönlichen Machtstrebens und privaten Geltungsbedürfnisses eben das wesenhaft wahre Selbst, das als die ihn zur freien Verfügung über den Reichtum ermächtigende Instanz die Bürgerschaft ihm auf den Kredit seiner dies Selbst erscheinenden lassenden Reichtumverwendung, seines durch die Rücksicht auf es bestimmten praktischen Verhaltens konzedierte, und gibt der Bürgerschaft die Handhabe, ihm die Anerkennung wieder zu entziehen. Will der Aristokrat das verhindern, so bleibt ihm nur, von dem ihm per Anerkennung seiner Legitimation zur freien Verfügung gestellten Reichtum abermals nur eben den Gebrauch zu machen, der ihm die Konzession zur freien Verfügung über den Reichtum verschaffte, und damit reduzierte sich nun aber in der Tat die freie Verfügung für den Aristokraten darauf, zwecks Erhaltung der freien Verfügung über den Reichtum diesen immer erneut in der alten Weise zu verwenden und das heißt, in Gestalt von Zuwendungen an die Polis das eigene Verhalten als durch das wesenhafte Selbst bestimmt, als von der ruhmsüchtigen Rücksicht auf es durchdrungen unter Beweis zu stellen.

Teils negativ die Drohung des sich als Scherbengericht artikulierenden Entzugs der Anerkennung, teils positiv die Sublimierung des Machtgelüsts zum Streben nach Ruhm lassen die Aristokraten aus kraft ihres Reichtums potentiellen Unruhestiftern zu dank ihres Reichtums aktuellen Sachwaltern der Polis werden. Trierarchie und Choregie sind die beiden repräsentativen Formen polisdienlicher Reichtumverwendung; durch sie beweist sich der Aristokrat als Liturg, als für die Gemeinschaft Wirkender.

Wohl also erkennt die Bürgerschaft den Aristokraten aufgrund seines im Dienst an der Polis selbstbestimmten Verhaltens als handlungsberechtigt, als zur reichtumgestützt freien Entfaltung bevollmächtigt an, aber weil die Anerkennung an eben jene Grundlage gebunden bleibt, gilt die Vollmacht der Bürgerschaft eigentlich nur für den einen und einzigen Fall, daß die reichtumgestützt freie Entfaltung die Form jenes im Dienst an der Polis selbstbestimmten Verhaltens annimmt. Dabei legt die Bürgerschaft diesen Zirkel, in dessen Bann sie den Aristokraten schlägt oder in dessen Schlinge sie ihn fängt und domestiziert, diesen Zirkel nämlich der Legitimation zu einem Handeln, das letztlich nichts beinhaltet und bezweckt, als die Bestätigung und Erneuerung seiner eigenen Legitimation, keineswegs dogmatisch, keineswegs in der starr-restriktiven Weise an, daß der Aristokrat sich in ihm mit der Unfehlbarkeit des Hamsters im Rade umtreiben, ohne Abweichung und Erholung an jener nichts als das Recht ihrer eigenen Wiederholung erwirkenden Reichtumverwendung im Dienste der Polis festhalten müßte. Verführe sie derart restriktiv, bestünde sie unerbittlich auf der tatsächlichen Einhaltung des Legitimationszirkels, sie überforderte den Aristokraten und triebe ihn in einen Zustand disziplinarischer Dauerbelastung, in dem er die ihm von der Polis geknüpfte Schlinge am Ende doch noch als erdrosselnden Strick erführe, statt sie als domestizierende Kette zu ertragen, und sich von ihr losrisse, um nach Maßgabe der erwähnten Alternative entweder auf seine im Rahmen der Polis angemeldeten Machtansprüche und privaten Geltungsbedürfnisse überhaupt zu verzichten oder aber die Befriedigung dieser Ansprüche und Bedürfnisse ohne nachgewiesene Legitimation und deren Anerkennung durch die Bürgerschaft, das heißt, in offener Konfrontation mit Göttern und Menschen betriebe. Statt dessen läßt sie ihn halbwegs gewähren, ist stillschweigend einverstanden damit, daß er auf der Basis seiner per Zuwendungen an die Polis nachgewiesenen Legitimation immer wieder einmal für sich persönlich machtpolitischen Entfaltungsraum in Anspruch nimmt und privatim soziale Prestigebedürfnisse befriedigt, drückt mit anderen Worten ein oder zwei Augen zu, wenn er seinen Reichtum benutzt, um Klienten zu gewinnen und sich als politischer Faktor zu etablieren oder um seine soziale Eitelkeit zu befriedigen und sich als Bürger erster Klasse in Szene zu setzen, und sorgt nur dafür, daß dies alles vor dem Hintergrund einer ihm ständig ins Haus stehenden Rechenschaftspflicht, soll heißen, im Gewahrsam der von ihr, der Bürgerschaft, jederzeit aktualisierbaren Möglichkeit geschieht, ihm das ausschließlich in Zuwendungen an die Polis bestehende Legitimitätskriterium als die Meßkette seiner Handlungen vorzuhalten und ihm wegen Nichterfüllung des Kriteriums durch sein von persönlichen Ambitionen und Privatstrategien geprägtes Verhalten die Anerkennung zu entziehen – wobei jeweils ganz offen bleibt, wann er in ihren Augen das persönliche Machtstreben und private Geltungsbedürfnis übertreibt und in seiner Selbstvergessenheit zu weit geht, wann also für sie das Maß voll ist und sie Rechenschaft von ihm zu fordern, seine Legitimation in Zweifel zu ziehen beschließt, wann, kurz, ihre Duldung in Kritik, ihre interessierte Teilnahme ins intervenierende Scherbengericht umschlägt.

So gesehen, benutzt die Bürgerschaft das Pressionsmittel, das ihr die ausschlaggebende Rolle an die Hand gibt, die sie bei der Legitimation des aristokratischen Verhaltens spielt, nicht sowohl als vulkanische Fessel, sondern als Damoklesschwert, nicht sowohl als Werkzeug, den Aristokraten an den Felsen eines unablässigen Dienstes an der politischen Gemeinschaft zu schmieden, sondern als Instrument, ihn durch die ständige Sorge, er könne sich den Unwillen der Gemeinschaft zuziehen, in seinen eigensüchtigen Veranstaltungen in Schach zu halten und zur Rücksicht auf das Gemeinwohl zu verpflichten. Er darf also den herrschaftlichen Reichtum, über den er verfügt, nach Belieben im Sinne seiner persönlichen Karriere und zum Zwecke seiner privaten Geltung einsetzen – nur muß er wissen, daß er die Legitimation zu solchem Verhalten, die er sich zuvor mittels Zuwendungen an die Polis erworben hat, eben durch solches Verhalten auch wieder aufs Spiel setzt und daß, wenn er es mit seiner politischen Eigensucht und seiner sozialen Eitelkeit zu toll treibt beziehungsweise versäumt, durch gemeinnützige Anstrengungen seine Legitimation in Abständen zu erneuern, die Bürgerschaft jederzeit bereitsteht, ihm die Anerkennung zu entziehen, den Prozeß eines mit seinem oikosentsprungenen Reichtum in der Polis sakrilegisches Schindluder treibenden Eindringlings zu machen und ihn als Göttern und Menschen verhaßten usurpatorischen Zwietrachtsäer, als Feind der Gemeinschaft von der Polis auszuschließen und in die Verbannung zu schicken. Und wie es negativ diese permanente Drohung des Scherbengerichts und Ausschlusses aus der Polisgemeinschaft ist, was dem Aristokraten, ohne ihm das persönliche Machtstreben und die private Geltungssucht überhaupt auszutreiben beziehungsweise ihm das Verlangen nach deren Legitimation kurzerhand zu verleiden, Zügel anlegt und ihn dazu bringt, sich durch Zuwendungen an die Polis um die Anerkennung der Gesamtbürgerschaft zu bemühen und sich hierbei als Sachwalter und Erhalter des Gemeinwohls zu bewähren, so tut nun die auch und gerade in solcher Sachwalterschaft gelegene sublime Möglichkeit zur Befriedigung persönlicher Machtgelüste und privater Geltungsbedürfnisse ein übriges und versöhnt ihn gar positiv mit seiner gezügelten Existenz.

Schließlich ist, was der Aristokrat durch seine in der Form von Zuwendungen an die Polis unter Beweis gestellte selbstbestimmte Reichtumverwendung erringt, die den Ruhm seiner Wesenhaftigkeit verkündende, ihm die Ehre eines agnostisch-narzißtischen, von Aberglaube und Verstrickung freien Selbstes gebende Anerkennung der Bürgerschaft; und warum soll er nicht in solcher Anerkennung, statt mit ihr nur die formelle Lizenz und äußere Voraussetzung zur Verwirklichung seines eigentlichen Anliegens, will heißen, zur Kultivierung seines persönlichen Machtstrebens und seiner privaten Geltungssucht gegeben zu sehen, vielmehr in ihr bereits sein Machtstreben reell erfüllt und seine Geltungssucht materiell befriedigt finden? Was mehr braucht es dazu, als daß er sich die Identifizierung mit dem wesenhaft wahren Selbst in seinem Innern, die er im Interesse einer Legitimation seiner freien Verfügung über herrschaftlichen Reichtum behauptet und durch die Reichtumverwendung pro domo der Polis unter Beweis zu stellen bemüht ist, über alles bloß strategische Kalkül hinaus nun auch tatsächlich zu eigen macht und für sich selbst vollzieht, um demnach die Anerkennung, die von der Bürgerschaft jenem durch Zuwendungen an die Polis zum Ausdruck gebrachten und quasi per argumentum ad hominem unter Beweis gestellten wahren Selbst gezollt wird, wirklich und wahrhaftig als eine in ununterscheidbarer Identität ihn selbst meinende und ihm als Person geltende auffassen und goutieren zu können? Was mehr braucht es dazu, als daß er sublimiert und jenes wesenhaft wahre Selbst, auf das er sich zwecks freier Verfügung über seinen Reichtum und darauf aufbauender persönlicher Entfaltung und privater Inszenierung beruft, für sich persönlich so sehr aus einem maßstäblichen Innern zum buchstäblichen Zentrum, aus einer formellen Identität zur reellen Sichselbstgleichheit, kurz, aus einer Legitimationsinstanz zur Substanz seines persönlichen Daseins erhebt, daß in der Tat nun das Mittel zum Zweck avanciert und umgekehrt der ursprüngliche Zweck, die durch den Einsatz von Reichtum in der Polis zu erringende persönliche Machtstellung und private Geltung, bereits in der durch Zuwendungen an die Polis erkauften Anerkennung der Bürgerschaft für jenes wesenhaft wahre Selbst seine Einlösung findet und sich vollständig erfüllt präsentiert? Was mehr braucht es dazu, als daß er aus der Not des ihm von der Bürgerschaft abgeforderten Nachweises seiner qua Wesenhaftigkeit gegebenen Legitimation zur reichtumgestützt persönlichen Karriere die Tugend einer sublimierenden Reduktion der persönlichen Karriere auf eben diesen erfolgreichen Nachweis macht und auf diesem Wege einer ebenso durchgängigen wie freiwilligen Beschränkung seines erscheingsweltlichen Treibens auf ein bürgerschaftlich anerkanntes und eben hierin ruhmvoll selbstbestimmtes Vollbringen den Kopf aus der Schlinge zieht oder besser die Schlinge vom Hals zur Stirn hinaufschiebt und in den Lorbeerkranz transformiert.

Auf diesem Wege des gleichermaßen negativ das persönliche Machtstreben, wenn es allzusehr über die Stränge gemeinnützigen Verhaltens schlägt, heimsuchenden Scherbengerichts und des dadurch positiv für das persönliche Machtstreben gegebenen Anreizes, sich zu sublimieren und im gemeinnützigen Verhalten seine ausschließliche Befriedigung zu finden – auf diesem doppelten Wege also gelingt es der Polis, den zu ihr übergelaufenen und mit ihr verbündeten Aristokraten zu domestizieren und seinen herrschaftlichen Reichtum dergestalt zu integrieren, daß dieser aus einem die Polis mit Zwietracht und Fraktionierung bedrohenden Sprengsatz in eine auf die Polis als Ganzes und als einheitliche Körperschaft gemünzten Garanten ihres Bestands sich verwandelt. Einfach dadurch, daß die Bürgerschaft das Legitimationsproblem ausbeutet, das dem Aristokraten im Blick auf seinen oikosentsprungenen Reichtum und dessen polisinterne Verwendung entsteht, wenn er sich ebensosehr politisch mit der Polis verbündet wie ökonomisch an sie anschließt, seinen Lebensmittelpunkt in die Stadt verlegt und auf der Grundlage seines herrschaftlichen Reichtums in ihr sich zu entfalten und zur Geltung zu bringen strebt, und einfach dadurch, genauer gesagt, daß sie sich in dem zur Legitimation solchen Strebens mittels des Modells eines wesenhaften Selbstbezuges angestrengten Verfahren eine ausschlaggebende Stellung sichert, schafft sie es, den Aristokraten zum Wohlverhalten zu bringen und ihm jene Rücksicht auf die in ihr, der Bürgerschaft als ganzer, bestehende Polis abzunötigen, die ihm den Schauplatz seiner erstrebten persönlichen Entfaltung, die Bühne seiner avisierten privaten Geltung, eben die Polis als solche, schließlich erstrebenswerter und teurer vorkommen läßt als das, was er ursprünglich im Sinne persönlicher Entfaltung und privater Geltung dort ins Werk und in Szene setzen will, oder die vielmehr sein persönliches Entfaltungsstreben und sein privates Geltungsbedürfnis bereits im Wirken für den Schauplatz und in der Ausgestaltung der Bühne seine Befriedigung und Erfüllung finden läßt. Weil der Aristokrat im legitimationsläufig perfekten Zirkelschluß eben das zum wirklichen Gegenstand seiner politischen Ambitionen und zum wesentlichen Zielpunkt seiner sozialen Aspirationen erhebt, was eigentlich nur der Verfolgung dieser Ambitionen als theatralischer Entfaltungsraum und der Verwirklichung dieser Aspirationen als szenische Aktionsbasis dienen sollte, verwandelt er sich aus einem bedrohlichen Fremdkörper, der zwar für die vom Monarchen befreite, autonom gewordene Gemeinschaft ein unabdingbares Konstitutiv darstellt, aber kraft des freiflottierend herrschaftlichen Reichtums, den er mitbringt, in ihr als ständiger Risikofaktor und Unruhestifter präsent ist, in eine vielmehr tragende Säule der Polis, einen paradigmatisch politischen Menschen, der den fremdbürtigen Reichtum, über den er verfügt, zwecks Legitimierung seiner polisinternen Verfügungsgewalt über ihn ostentativ zum Wohle der Gemeinschaft einsetzt, spektakulär in den Dienst der Bürgerschaft stellt und der in dem Maß, wie ihm dabei allmählich das Mittel zum Zweck, die gemeinschaftsdienliche Reichtumverwendung zum Inbegriff freier Verfügung über den Reichtum gerät, in der Tat zum Repräsentanten der Polis als solcher, zu Sachwalter ihrer allgemeinen Belange und kollektiven Bestrebungen avanciert.

Zwei Weisen des polisdienlichen Gebrauchs, den der Aristokrat von seinem Reichtum macht, sind es vor allem, die sich mit der Zeit als mustergültige Werke zum Wohle der Bürgerschaft, als beispielhaft öffentliche Leistungen herausschälen und die gleichermaßen aufgrund der praktischen Bedeutung, die ihnen zukommt, und wegen des hohen Symbolwerts, den sie beanspruchen, vorzüglich geeignet sind, den Aristokraten als im Interesse der Allgemeinheit Tätigen, als für das Volk Wirkenden, als leiturgos, unter Beweis zu stellen. Das erste ist sein Beitrag zur militärisch-praktischen Verteidigung der Stadt, dies, daß er im Bedarfsfall bereit ist, auf eigene Kosten ein Kriegsschiff für die Polis auszurüsten, der Stadt einen Dreiruderer, eine Triere, zu schenken, kurz, die Rolle des Trierarchen zu übernehmen. Weil Realfundament der ökonomischen Stärke und der darin gründenden politischen Selbständigkeit der Polis die Handelsschiffahrt ist und weil diese mit dem freien Zugang zum Meer und der Kontrolle der Schiffahrtsrouten steht und fällt, kommt das Triearchenamt einem Bekenntnis des Aristokraten zu seiner neuen Heimat und zu deren – den von Haus aus eigenen Lebensgrundlagen diametral entgegengesetzten – Existenzbedingungen gleich. Indem der Aristokrat oikosentsprungenen herrschaftlichen Reichtum drangibt, um den meerentsprungenen kommerziellen Reichtum der Polis zu schützen, macht er sich in politisch-offizieller Form ebenso gewiß zum Sachwalter der Lebensfähigkeit und des Fortbestandes der Polis, wie das in symbolisch-ritueller Form ein Kimon tut, wenn er angesichts der persischen Bedrohung das Emblem seiner territorialherrschaftlichen Herkunft und Basis, die Zügel seines Pferdes, im Tempel der Stadtgöttin Athene aufhängt.

Die zweite spektakuläre finanzielle Leistung, die der Aristokrat für die Polis erbringt, dient eher der ideologisch-theoretischen Würdigung der Stadt und besteht darin, daß er sich bei den im Rahmen der Dionysien veranstalteten Festspielen als Sponsor betätigt, das Amt des Choregen übernimmt. Indem er aus eigener Tasche den Unterhalt und die Ausstattung des für die dionysischen Mysterienspiele zentralen Chors bezahlt und womöglich auch tatkräftig an der Vorbereitung und Einstudierung der Aufführung mitwirkt, unterschreibt und unterstützt der Aristokrat eine kulturpolitisch revolutionäre Entwicklung, die aus dem traditionellen dionysischen Mysterienspiel die klassische griechische Tragödie werden läßt, und das heißt, ein Rezitationsritual, das vom Leiden und vom Triumph des sterbenden und wiederauferstehenden Herrn der Natur kündet, in ein Schauspiel überführt, das die Verblendung und Schicksalsträchtigkeit der kraft Polisgemeinschaft überwundenen theokratischen Gesellschaft und opferkultlichen Ordnung darstellt. Indem der monotone Chorgesang aufgelöst und in Partien Einzelsprechern übertragen beziehungsweise in die unisone Rezitation Mehrstimmigkeit und Rollenspiel eingeführt wird, schafft dies die formalen Voraussetzungen für eine inhaltliche Umfunktionierung des dionysischen Mysterienspiels, die den noch ganz in der opferkultlichen Immanenz befangenen rituellen Lobpreis des Gottes, dessen orgiastischer Brot-und-Wein-Kult die priesterkönigliche Opferreligion traditionellen Zuschnitts ad absurdum einer ebenso sinn- wie ziellosen, selbstzerstörerischen Aggressivität führt, zu einer doktrinellen Darbietung sich entwickeln läßt, durch die aus Sicht der bereits außerhalb des opferkultlichen Zusammenhangs stehenden Polisgemeinschaft das Schicksal des zwischen Opferzwang und Schuldigwerden in die Enge getriebenen und aufgeriebenen theokratischen Stellvertreters der Götter und priesterköniglichen Monarchen früherer Tage nachvollzogen wird. Nachvollzogen wird, wie das Schicksal sei's als anonyme Orakelmacht, sei's in Gestalt eines der Götter das theokratisch-monarchische Subjekt dazu antreibt, eine begangene Untat durch ein blutiges Opfer zu sühnen, um die gestörte Ordnung wiederherzustellen, nur damit das sühnende Subjekt am Ende erfährt, daß ihm der Sühneakt unter der Hand seinerseits zur Untat geraten ist oder daß gar in perfekt dramatischer Engführung die ursprüngliche Untat in nichts anderem als in der Handlung, die sie vermeintlich zu sühnen bestimmt war, bestand.

Bereits weit genug von der alten Opferpraxis entfernt, um in ihr nicht mehr die in den epiphanischen Offenbarungseid umschlagende Verwahrung des Opferers gegen die eigene, totenkultträchtige Hybris wittern zu müssen und sie statt dessen in rationalisierender, weil den unbestimmt sakrilegischen Nefas durch quasisäkular spezifische Missetaten ersetzender Fortführung der traditionellen Ideologie des Opferers zu dessen Antwort auf ein vom Opfer vorher verübtes Verbrechen erklären zu können, interpretiert die Tragödie den blutigen Verdrängungsakt, den im Kulminationsakt der Opferer am epiphanischen Opfer vollzieht, eben als Sühnehandlung, als Akt der Vergeltung für die begangene Untat. Aber gleichzeitig sieht die Tragödie diese als Vergeltungstat begriffene Opferhandlung in einem Kontext geschehen, der für den Opferkult der ausgehenden theokratischen Gesellschaft der ebenso unruhestiftend wie sinnverwirrend maßgebende ist: im Kontext nämlich jenes dionysischen Kultes, der alle priesterkönigliche Opferhandlung ebenso zwanghaft auf ihn gemünzt und seiner provokanten Gegenwart geltend, gegen sein epiphanisches Zentrum gerichtet, wie von ihm kategorisch abgewiesen und aggressiv auf sich selbst sich zurückwendend, schuldhaft gegen die eigene Ordnung sich kehrend erweist. Die Tragödie führt vor und läßt die Anwesenden erleben, wie das Opfer, das der priesterkönigliche Protagonist bringt und durch das er die verletzte Ordnung wiederherzustellen meint, sich regelmäßig als blutige Verletzung eben der Ordnung, deren Wiederherstellung sie angeblich dient, herausstellt, wie der Rache an den Frevlern gegen die Stadt die eigene unschuldige Nichte zum Opfer fällt, wie hinter der Opferung eines den Landfrieden bedrohenden Ungeheuers der Totschlag des eigenen Vaters sich verbirgt, wie die Sühne für den Vatermord gleichbedeutend ist mit dem Mord an der leiblichen Mutter, wie die Bestrafung eines aufruhrstiftenden Eindringlings in einen Akt schierer Selbstzerfleischung umschlägt.

Stets zeigt sich, daß im Spannungsfeld von traditionellem Opferkult und antithetischem Brot-und-Wein-Kult der Opferbringende herkömmlichen Zuschnitts, der priesterkönigliche Stellvertreter der Götter und monarchische Handlungsbevollmächtigte, seiner Handlungen in keiner Weise mehr Herr ist und in den Konkurs seiner überkommenen rituellen Praktiken, in die Eskalation von schuldhafter Sühne und sühnendem Schuldigwerden, in das Quidproquo von sakralem Täter und sakrilegischem Opfer die ganze, in Chor repräsentierte theokratische Gemeinschaft einbezieht und verwickelt. Stets zeigt sich, daß dem monarchischen Protagonisten am bitteren Ende solcher Eskalation nur bleibt, in Raserei zu verfallen. sich selber Gewalt anzutun und also die gestörte gesellschaftliche Ordnung, die er neu zu stiften kam, vielmehr dadurch wiederherzustellen, daß er sie von seiner monströsen Gegenwart, seinem sphingischen Quidproquo befreit und sich selbst überläßt. Und stets erweist sich dabei der als Publikum anwesenden Polisgemeinde, wie froh sie sein kann, der priesterköniglich-monarchischen Ordnung oder vielmehr Unordnung entronnen und dank der Polis wie weiland Orest dank der von der Polis reklamierten Schutzgöttin Athene vom Schuld und Sühne verquickenden Opferzwang und vom Raserei erzeugenden kultischen Patt erlöst zu sein. Mit jener Mischung aus erinnerter Nähe und gewonnenem Abstand, aus Anteilnahme und Befreiungsgefühl, die im Begriff der Katharsis Aristoteles der Tragödie als ihre wesentliche Wirkung zuschreibt, erfährt die Bürgerschaft ex negativo des Schreckens, der ihr auf der Bühne vor Augen steht, was sie an ihrer neuen Gemeinschaftsform hat und wie sehr sie Grund hat, den Ausbruch der Polis aus dem territorialherrschaftlich-theokratischen Zusammenhang mit seinem im Widerstreit der Kulte Ausdruck findenden eigentümlichen Sozialkonflikt zu würdigen und die Neutralität im kultischen Widerstreit, die der des territorialherrschaftlich-theokratischen Sozialkonflikts überhebende Freiraum der Polis gewährt, hochzuhalten.

Mittels Erinnerung an die unentrinnbare Tödlichkeit der alten, in ihren kultischen Widerspruch verstrickten monarchischen Ordnung die Vorzüge der neuen, nach Maßgabe ihrer autonomen Stellung auch und gerade von den blutigen Widersprüchen des priesterköniglich-traditionellen Opferzusammenhanges befreienden politischen Gemeinschaft ins rechte Licht zu rücken und für jedermann sichtbar in Szene zu setzen – darin besteht die ideologisch-theoretische Aufgabe, der die an den Dionysien aufgeführte Tragödie primär dient. Und so wahr nun der Aristokrat die Vorbereitung der Aufführung und die Einstudierung des Schauspiels protegiert und finanziert, so wahr er, mit anderen Worten, das Amt des Choregen übernimmt, so wahr macht er sich diese ideologische Absicht zu eigen und bekennt sich zu jenem Lobgesang auf die von Tragik und Leid entbindende neue Interessengemeinschaft der Polis, den das tragische Pathos kultisch zelebrierter unlösbarer Interessenkonflikte ex negativo anstimmt. Wie er sich kraft Trierarchie für die militärische Verteidigung und praktische Erhaltung der Stadtgemeinschaft einsetzt, so macht er sich kraft Choregie um ihre ideologische Würdigung und theoretische Rechtfertigung verdient. Indem er dank der gleichermaßen als logischer Zirkel und als psychologischer Lorbeerkranz figurierenden Schlinge, in der ihn die Bürgerschaft fängt, den zur wesenhaften Sichselbstgleichheit sublimierten persönlichen Triumph, nach dem er strebt, in sein Wirken für eben den politischen Schauplatz setzt, auf dem er ihn erstrebt, und die zum unsterblichen Ruhm verklärte private Anerkennung, die er sucht, in seiner Verwendung für eben die forensische Szene findet, in der er sie sucht, avanciert der Aristokrat zum wichtigsten Sachwalter und Hauptrepräsentanten der Polis als solcher, zum Wahrer ihrer Gesamtinteressen und öffentlichen Belange, zum Verwalter ihrer politischen Ordnung und Erhalter ihrer außenpolitischen Geltung, kurz, zum Garanten ihres Status, ihrer Stellung als Staat. Jener fremdbürtige, oikosentsprungen-herrschaftliche Reichtum, den der Aristokrat als zweifelhafte Mitgift in den Austauschzusammenhang der Polis hineinträgt und der dort die Rolle eines durch den politischen Ehrgeiz und die soziale Geltungssucht des Aristokraten scharfgemachten Sprengstoffs, einer aufgrund ihrer Ungebundenheit, ihres freien Flottierens, den Austauschzusammenhang destabilisierenden kritischen Masse zu spielen droht – er verwandelt sich dank der Domestizierung des Aristokraten zum Machthungrigen, dem der uneigennützige Dienst an der Bürgerschaft als Gipfel selbstbestimmter Machtausübung gilt, dank seiner Sublimierung zum Ruhmsüchtigen, dem die Anerkennung der Mitbürger für geleistete Dienste den höchsten Ruhm bedeutet, in eine Glücksgabe, die dem Aristokraten gleichermaßen die Muße verleiht und die Mittel an die Hand gibt, gleichermaßen zum Ansporn wird und die Verpflichtung auferlegt, sich der öffentlichen Geschäfte der Polis anzunehmen, die Angelegenheiten des Gemeinwesens zu seinem eigenen Anliegen zu machen oder, besser, sein eigenes Anliegen mit den Angelegenheit des Gemeinwesens koinzidieren zu lassen, kurz, sich als Archont, als Führer der arché, als Lenker des sinnbildlich ebenso wie buchstäblich wohlverstandenen Staatsschiffes zu bewähren.

Jenes objektive Interesse, das den Aristokraten an die Polis und ihren kommerziellen Zusammenhang fesselt und ihn ebensosehr als oikosbeherrschenden Despoten und Produzenten landwirtschaftlicher Güter wie als stadtbewohnenden Politen und Konsumenten handwerklicher Erzeugnisse beziehungsweise überseeischer Waren auf den das dynamische Zentrum der Polis bildenden Markt und die in seinem Kraftfeld organisierte Gemeinschaft angewiesen sein läßt, es findet sich glücklich ergänzt und unterstützt durch das subjektive Engagement, das der Aristokrat in der Konsequenz des politischen Ehrgeizes und sozialen Geltungsdranges, die sein Reichtum ihm eingibt, des Rechtfertigungsdrucks, unter den die Herkunft seines Reichtums ihn setzt, und der Sublimierung, die der Versuch ihrer Rechtfertigung seinem reichtumgestützt persönlichen Ehrgeiz und privaten Geltungsdrang abnötigen, für die Polis als solche und für ihren neuen Gemeinschaftstyp entwickelt. In seiner polisinternen Reichtumverwendung an die unsichtbare Kette des Legitimationsnachweises gelegt, den er durch die Verwendung für die Verwendung erbringen muß, und schließlich mehr noch an die aus Lorbeer geflochtene Kandare der Befriedigung seines persönlichen Ehrgeizes und seines privaten Geltungsdranges genommen, die er in solchem Legitimationsnachweis zunehmend sucht und auch findet, setzt der Aristokrat seinen ganzen Ruhm darein, der Polis zu dienen und ihre Angelegenheiten zu den seinen zu machen, ihre Geschäfte mit allen ihm verfügbaren Mitteln zu fördern, hat er mit anderen Worten nichts weiter im Sinn, als sich die Anerkennung der Bürgerschaft dadurch zu sichern, daß er für das Wohlergehen und den Bestand der neuen Gemeinschaft wirkt, die Pflege des Gemeinwohls der Polis, die Sorge um ihren Status zu seinem Amte macht.

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