1. Klerus und feudale Herrschaft
Der Untergang des Römischen Reiches resultiert in einer Neuauflage jener Gründung territorialherrschaftlich-stratifizierter Gesellschaften, die im alten Orient Folge der Eroberung der fruchtbaren Stromtäler durch nomadisierende Stammesgruppen sind, allerdings mit dem dreifachen Unterschied, dass jetzt die Eroberer keine intakten Gesellschaftsstrukturen vorfinden, dass sie ökonomisch-produktionstechnisch den unterworfenen Populationen weit näher stehen und dass sie eine völlig andere, nicht auf die kultisch-magische Reaffirmation der Welt, sondern im Gegenteil auf eine messianisch-soteriologische Flucht aus der Welt gerichtete Religion vorfinden.
Aller, die Wiederkehr Christi empirisch-historisch zu substantiieren bemühten apokalyptischen Erwartung zum Trotz, wie sie die Offenbarung Johannis paradigmatisch für die als Christenheit sich formierenden Heilssucher des Imperiums in Worte und Bilder fasst, ist der Untergang des Römischen Reiches nicht das Ende der Welt. In das durch jahrhundertelange Macht- und Revierkämpfe verwüstete und entvölkerte Reichsgebiet dringen – vornehmlich aus dem unzivilisierten Norden – nomadisierend-agrarische, während der Wanderung Ackerbau im Kollektiv und auf Brandrodungsbasis treibende, kriegerische Stammesgruppen ein und ergreifen von den Trümmern des Reichsgebäudes Besitz, lassen sich in seinen Ruinen häuslich nieder.
Sie tauchen nicht unvermittelt auf. Während der letzten Jahrhunderte des Imperiums überschreiten immer neue Scharen von ihnen die Grenzen, werden zurückgeschlagen, in den Grenzregionen angesiedelt, als Bundesgenossen und Hilfstruppen rekrutiert. Einzelne oder Gruppen bringen es im römischen Kriegsdienst zu Amt und Würden, schaffen es gar im Ringelpiez des Soldatenkaisertums bis hinauf zum Imperatorenamt. Im Zuge ihrer Begegnung mit dem Römischen Reich finden sie sich dessen Zivilisation integriert und assimiliert. Als integrierende Bestandteile und assimilierte Momente des in lang anhaltender Agonie begriffenen Imperiums wirken diese sukzessive eintreffenden Zuwanderer tatkräftig mit an dem durch die Logik der Ausbeutungs- und Schmarotzerstrategie des Systems diktierten Teufelskreis aus einerseits Erhaltung der politisch-militärischen Machtstrukturen auf Kosten der Zerstörung der ökonomisch-technischen Grundlagen und andererseits der durch die Erosion der ökonomisch-technischen Grundlagen bedingten Zerrüttung eben jener politisch-militärischen Strukturen, um deren Erhaltung es eigentlich ja zu tun ist.
Als sozial und kulturell bestimmender Faktor, als eigenständiges historisches Subjekt, können sich jene Stammesgruppierungen freilich erst zur Geltung bringen, nachdem das Imperium als politische Einheit – zumindest in seinen nach der Reichsteilung als westliche Hälfte firmierenden Stammgebieten und zentralen Regionen – untergegangen ist. Den empirischen Beweis für diese These liefert dabei sinnigerweise das den strukturellen Verfallsprozess besiegelnde aktuelle Untergangsereignis selbst. Es ist deckungsgleich mit dem Versuch einer der Stammesgruppierungen, der sogenannten Ostgoten, unter ihrer Herrschaft die westliche Hälfte des Imperiums als politische Einheit fortzusetzen beziehungsweise neu zu begründen. Dieser imperiale Konservierungs- beziehungsweise Restaurationsversuch scheitert an der Unmöglichkeit, die neue Herrschaft mit dem überkommenen Staatswesen, dem übernommenen bürokratischen Apparat, zu verschmelzen und in Übereinstimmung zu bringen. Die ostgotischen Herren bleiben ein dem traditionellen Staatswesen aufgepfropfter stammesförmiger Kriegerstand, der in seiner organisatorischen, rechtlichen und religiösen Apartheit zu verschieden von ersterem ist, um sich ihm integrieren und anverwandeln zu können, und dessen zahlenmäßige Stärke zugleich bei weitem nicht ausreicht, um ihm die Behauptung als eigenständige fremdherrschaftliche Ethnie zu ermöglichen und ihn nicht vor den unausweichlichen Fall eines durch die Überlegenheit der unterworfenen Zivilisation noch beschleunigten Erosions- und Schrumpfungsprozesses kommen zu lassen, der nach einem guten halben Jahrhundert in der Vernichtung der ostgotischen Herrschaft durch Streitkräfte der nach der endgültigen Reichsteilung als Byzantinisches Reich das imperiale Erbe für sich reklamierenden östlichen Reichshälfte resultiert.
Das Byzantinische Reich, das den unter dem Namen Völkerwanderung bekannten demographischen Umwälzungen, die aus den nördlichen Regionen über das Römische Reich hereinbrechen, durch seine Lage in dessen östlichem Winkel weniger ausgesetzt ist und von diesen Umwälzungen nicht zuletzt deshalb relativ verschont bleibt, weil es ihm gelingt, die anbrandenden Stammesgruppen in die westliche Reichshälfte abzulenken und mit dem Nebeneffekt sogar ihrer Instrumentalisierung zu Schergen seines Konkurrenzkampfs mit der westlichen Reichshälfte dort ihr Glück suchen beziehungsweise ihren Untergang finden zu lassen – dieses Byzantinische Reich ist zwar noch stark genug, die Aspirationen der Ostgoten auf eine Fortsetzung des Westreichs unter ihrer Regie zu zerstören, aber zu einer Restauration des Römischen Reichs als ganzen, einer Wiederherstellung des Imperiums in seinen den Mittelmeerraum umspannenden früheren Grenzen, fehlt ihm definitiv die Kraft. Durch seine restaurativen Anstrengungen überfordert und erschöpft, zieht es sich in seine östlichen Territorien zurück und ist bald schon vollauf damit beschäftigt, sich gegen seine slawischen, persischen und arabischen Nachbarn und deren Expansionsgelüste zu verteidigen und mit Müh' und Not zu behaupten.
Die westliche Reichshälfte mit den ihr zugehörenden Provinzen und daran angrenzenden Regionen bleibt ohne zentralstaatliche Machtinstitution sich selbst überlassen und wird, soweit nicht der Bischof von Rom politische Ordnungsfunktionen in ihr übernimmt, deren Geltungsbereich freilich auf die später als Kirchenstaat etablierten Gebiete Mittel- und Süditaliens beschränkt ist, zum Schauplatz für Staatsgründungen, die nunmehr die ins Reichsgebiet eingefallenen Stammesgruppen frei von allem unmittelbar imperialen Kontinuitätsanspruch, und das heißt, im Rahmen ihres ethnisch-kulturellen Zusammenhangs, im Einklang mit ihren traditionellen Vorstellungen von Sozialkontrakt und gesellschaftlicher Organisation sowie in den ihnen angemessenen territorialen Dimensionen ins Werk setzen – Staatsgründungen, die als das Langobardenreich, das Frankenreich und das Reich der Angelsachsen in die Geschichte eingehen und sich anders als die früheren, noch zu sehr in den Todeskampf des Imperiums und die Sturzflut der Völkerwanderung verstrickten Gründungsversuche wie das Burgundenreich, das Reich der Westgoten und das Vandalenreich als von Dauer und zukunftsbestimmender Bedeutung erweisen.
Im Grundsatz oder der abstrakten Struktur nach sind diese Staatsgründungen durchaus der Entstehung der ersten großen staatlich organisierten Zivilisationen in den Stromtälern des Vorderen Orients, Indiens und Chinas vergleichbar. Wie dort erobern und unterwerfen auch hier nomadisierende, kriegerische Stammesgruppen sesshafte, ackerbautreibende, kulturell höher entwickelte Populationen und verbinden sich mit ihnen zu agrarisch fundierten, das heißt, ihren Reichtum im Wesentlichen aus der Landbebauung gewinnenden, stratifizierten, das heißt, in Herrenstand und Knechtsvolk, Freie und Unfreie, unterteilten und zentralisierten, das heißt, um herrschaftliche Verwaltungs- und Kultzentren organisierten, neuartigen Gesellschaften. So offensichtlich aber im Allgemeinen die Ähnlichkeit sein mag, die spezifischen Unterschiede zwischen den beiden historischen Prozessen fallen nicht weniger ins Auge.
Da ist zum einen der bereits bemerkte Umstand, dass anders als die einstigen Eroberer der orientalischen Stromtäler die Stammesgruppen, die jetzt von den westlichen und nördlichen Provinzen des aufgelassenen Römischen Reiches Besitz ergreifen, das Imperium eben deshalb, weil es aufgelassen, weil es um seine imperiale Identität und Realität gebracht und zur Konkursmasse geworden, besser gesagt, zu einem irreparablen Scherbenhaufen zerfallen ist, weder in staatlich-organisatorischer noch gar in räumlich-geographischer Hinsicht einfach fortzusetzen beziehungsweise wiederherzustellen imstande sind. Die frühgeschichtlichen Nomadengruppen, die aus den angrenzenden Bergregionen in die fruchtbaren Stromtäler einfallen, finden dort intakte stadt- oder kleinstaatliche Gemeinwesen auf Stammesbasis vor, deren ökonomisches System, politische Organisation, bürokratischen Apparat und kultische Einrichtungen sie im Wesentlichen übernehmen und mangels eigener Alternativen auch gar nicht umhin kommen zu übernehmen, deren materieller, institutioneller und spiritueller Kultur sie sich also weitgehend anpassen und integrieren müssen, um sich in ihnen als Herren etablieren und dauerhaft behaupten zu können. Der Beitrag dieser Herrschaften zu den vorgefundenen gesellschaftlichen Organismen erschöpft sich weitgehend darin, dass sie mit kriegerischer Gewalt die kleinstaatlichen Gemeinwesen zu größeren Einheiten, Reichen, zusammenfügen und gemäß dieser Synthesis die einzelnen, kraft Totenkult als Schutzpatron oder Garantiemacht der jeweiligen Stadt firmierenden Gründungsheroen, einschließlich der von ihnen selber mitgebrachten Stammesahnen, zu jenen polytheistischen Systemen verschmelzen und ebenso sehr genealogisch abstrahieren wie eponymisch konkretisieren, die unfehlbares Kennzeichen jener theokratisch verfassten frühen Zivilisationen sind.
Die in das Territorium des aufgelassenen Römischen Reichs einfallenden und sich dort etablierenden Stammesgruppen hingegen treffen allen ökonomischen Zusammenhangs und aller politisch-bürokratischen Ordnung bare Populationen an, die nichts weiter zu bieten haben als die dem langen imperialen Verfallsprozess entsprechend entseelte und in der Tat schon halbverweste kulturelle Hinterlassenschaft des Imperiums und seinen auf dieser kadaverösen Konkursmasse als die christliche Kirche aufbauenden und gedeihenden kultischen Organismus. Das heißt, die Stammesgruppen sind, um sich etablieren zu können, genötigt, aus Eigenem zu schöpfen und ihre traditionellen politischen, auf persönlicher Gefolgschaft und Sippenbewusstsein basierenden politischen Organisationsformen zur Geltung zu bringen beziehungsweise spezielle bürokratische, aus lehnsherrschaftlicher Bevollmächtigung und vogteilicher Amtswaltung zusammengesetzte Strukturen auszubilden und beides zur Grundlage der neuen, wegen ihres lehnspyramidalen Aufbaus als feudal bezeichneten Gemeinwesen zu machen.
Dass die Übertragung stammesförmiger Organisationsstrukturen auf die Konkursmasse der römischen Zivilisation und die Nutzung dieser Strukturen zur Schaffung eines neuen politischen Zusammenhangs und Staatswesens überhaupt gelingen kann und nicht an der Inkompatibilität zwischen den beiden Sozialisierungsformen, der auf persönlicher Abhängigkeit und verwandtschaftlichen Banden beruhenden Stammesgemeinschaft und der auf sächlichem Eigentum und Produktionsbeziehungen aufbauenden Territorialgesellschaft, scheitert, verdankt sich dabei dem zweiten, unschwer bemerklichen Unterschied zwischen den territorialherrschaftlichen Reichen der frühen Zivilisationen und den feudalherrschaftlichen Staatsgründungen, die das Römische Reich beerben oder, besser gesagt, als Steinbruch für ihre eigenen Einrichtungen ausbeuten – einem Unterschied, der weniger politisch-organisatorischer als ökonomisch-produktionstechnischer Natur ist und der darin besteht, dass die Okkupanten der vormals römischen Provinzen in ihrer Subsistenzweise oder Wirtschaftsform den Populationen der von ihnen besetzten und unterworfenen Gebiete weit näher stehen und vergleichbarer sind als die Eroberer der in Klein- und Stadtstaaten aufgesplitterten orientalischen Stromtäler deren einheimischen Bevölkerungen.
Die Eroberer der orientalischen Stromtäler sind von Haus aus weidewirtschaftlich-viehzüchtende Nomaden, die sich bei ihrem Übertritt in die Flusskulturen der wesentlich anderen Lebensform sesshafter Ackerbaugesellschaften auf wasserwirtschaftlicher Grundlage konfrontiert sehen, der sie sich – auch wenn sie zu ihren nomadischen Stammgebieten und zu den dort Zurückgebliebenen noch Beziehungen und Austauschverhältnisse unterhalten mögen – vor Ort ihrer Herrschaftsübung ebenso rückhaltlos anpassen müssen wie den mit dieser anderen, ökonomisch-agrarischen Lebensform einhergehenden politisch-bürokratischen Organisationsweisen. Die Besetzer der nördlichen und westlichen Provinzen des in Konkurs gegangenen Römischen Reiches hingegen sind ebenso wie die einheimischen Populationen, die sie unterwerfen, Ackerbauern und unterscheiden sich von den Unterworfenen höchstens und nur durch den geringeren Entwicklungsstand, den diese Subsistenzweise bei ihnen erreicht hat, durch die größere Primitivität, die gleichermaßen hinsichtlich der Arbeitsgeräte, der Anbaumethoden und des Pflanzguts diese Wirtschaftsform bei ihnen aufweist. Wenn sie also schon mangels vorfindlicher intakter politischer Strukturen ihre mitgebrachten stammesspezifischen Organisationsformen als die neue, staatsbildende Matrix etablieren und den Unterworfenen oktroyieren müssen, geschieht dies doch aber auf Basis einer Herren und Knechten gemeinsamen ökonomischen Substanz und ist dank dieser, die neuen Organisationsformen bestimmenden, gemeinsamen ökonomischen Substanz deren Kompatibilität mit den sozialen Verhältnissen der Unterworfenen und Übertragbarkeit auf beziehungsweise Anbindung an die kommunalen Modalitäten der letzteren von vorneherein gewährleistet.
Die Kompatibilität der neuen Organisationsformen mit den vorgefundenen sozialen Verhältnissen ist umso größer, als in den letzten Jahrhunderten des Römischen Reiches dessen fortschreitender Verfall die Herrschenden dazu zwingt, auf ökonomischem Gebiet zunehmend von allen – durch das handelsstädtische System eingeführten und wenigstens in Teilen des Reiches oder, wenn nicht auf der Ebene der Produktion, so immerhin doch auf der Stufe der Distribution praktizierten – marktwirtschaftlichen Prinzipien und kommerziellen Mechanismen Abstand zu nehmen und in Gestalt des Schollenzwangs für die Bauern, des Berufszwangs für die Handwerker, der Zwangsverpflichtung der Untertanen zu öffentlichen Arbeiten und der Delegation staatlicher Aufgaben an die als Vögte oder Schultheiße fungierenden Vorsteher der Gemeinden zu territorialherrschaftlich-fronwirtschaftlichen Einrichtungen und Gepflogenheiten zurückzukehren.
Diese, an die Stelle objektiver Austauschverhältnisse subjektive Vertragsbeziehungen treten lassende und sächlich vermittelte Zusammenhänge und Verknüpfungen durch unmittelbar persönliche Abhängigkeiten und Haftungen ersetzende regressive Entwicklung nähert die Vergesellschaftungsformen der Untertanenschaft des Reiches denen der eindringenden Stammesvölker an und erleichtert so, wie etwa an der Verschmelzung von stammesspezifischer Leibeigenschaft und reichstypischer Hörigkeit, an der herrschaftlich kontrollierten Ausübung von Handwerken und am Lehnswesen als dezentralem politischem Ordnungsprinzip zu sehen, die Aufgabe, die von den Stammesvölkern nach Maßgabe ihrer traditionellen Organisationsprinzipien neu eingeführte feudale Staatsform mit den auf unterer, kommunaler Ebene vorgefundenen Überresten imperialer Staatlichkeit auf Basis der beiden Zusammenhängen gemeinsamen ökonomischen Substanz in systemischen Einklang zu bringen beziehungsweise zu einer konsistenten hierarchischen Struktur zu verbinden.
Bleibt aber noch ein weiterer, wichtiger Unterschied zwischen dort den Staatsgründungen im Kontext der frühen orientalischen Zivilisationen und hier der Staatenbildung nach dem Untergang des jene orientalischen Zivilisationen in den finalen Konkurs treibenden Römischen Reiches – ein Unterschied, der die Religion und den Kultus betrifft. Nicht etwa dass, wie auf politischem Gebiet, so auch im kultischen Bereich die agrarischen Okkupanten der römischen Provinzen ein Trümmerfeld und ruiniertes System anträfen und deshalb anders als die nomadischen Eroberer der orientalischen Flusstäler, die umstandslos das vorgefundene Religionssystem übernehmen und, was sie an Eigenem mitbringen, in es integrieren können, das Eigene vielmehr zur Grundlage und zur Richtschnur einer neu zu stiftenden Religion machen müssten! Wie gesehen, ist im markanten Gegensatz zur staatlich-politischen Ordnung des untergegangenen Reiches seine religiös-kultische Verfassung intakt und lebendig: Im Chaos des Zusammenbruchs des Imperiums und auf den Trümmern des kollabierten Reichsgebäudes wächst und gedeiht der vom Imperium in der Endphase seines Bestehens zur Staatsreligion erhobene christliche Glaube und für normativ erklärte christliche Lebenswandel. Von daher scheint also, anders als im Falle der politischen Praxis, in Sachen Religionsübung die Situation hier der agrarischen Okkupanten und dort der nomadischen Eroberer eher vergleichbar als verschieden, und im Einklang damit verhalten sich denn auch die einstigen nomadischen Eroberer und die jetzigen agrarischen Okkupanten eher identisch als different: Wie die Eroberer der Stromtäler des Orients beugen sich auch die Besetzer der römischen Reichsprovinzen der höheren Weisheit der vorgefundenen Religion und machen sich in Anerkennung der zivilisatorischen Leistungen und kulturellen Errungenschaften, denen diese Religion entspringt, deren Dogmen und Rituale vorbehaltlos zu eigen.
Dass dennoch ihr formaliter gleichartiges Verhalten einen realiter wesentlichen Unterschied impliziert und ganz differente Folgen zeitigt beziehungsweise divergente Probleme heraufbeschwört, hat seinen Grund nicht im Verhältnis zur Sache, in der religiösen Haltung der Subjekte, sondern im Sachverhalt selbst, im Gehalt des religiösen Objekts. Nicht von ungefähr floriert die christliche Religion auf dem politischen Trümmerfeld und zivilisatorischen Scherbenhaufen eines untergegangenen Imperiums, während die polytheistischen Religionen des Alten Orients auf dem Boden funktionierender zivilisatorischer Organismen und lebendiger politischer Strukturen gedeihen. Weit entfernt davon, dass zwischen der Blüte der christlichen Religion und der Verwesung des römischen Imperiums bloß eine koinzidentielle Beziehung, eine chronische Kontiguität bestünde, ist erstere mit letzterer durch einen reellen Nexus, eine kausale Kontinuität verbunden: Es ist eben jener Untergang und Zerfall des staatlich-politischen Gemeinwesens, der die kirchlich-kultische Glaubensgemeinschaft ins Leben ruft und groß und stark werden lässt. Der christlich-gnostische Glaube ist mit anderen Worten die direkte Reaktion und pointierte Antwort der Untertanen des Römischen Reiches auf das alltägliche Verderben und die existenzielle Verzweiflung, worein die anhaltende Agonie der kaiserlich-despotischen Herrschaft sie stürzt.
Wie gezeigt, ist es die von der imperialen Herrschaft kraft eines permanenten Kriegs- und Ausnahmezustandes mit erbarmungsloser Nachdrücklichkeit und vernichtender Konsequenz ins Werk gesetzte Zerstörung gleichermaßen der natürlichen Lebensräume, der gesellschaftlichen Ordnungen und der kulturellen Systeme, was die Untertanen des Reichs jedes Vertrauen in die Haltbarkeit des irdischen Daseins und die Lebbarkeit des menschlichen Lebens verlieren und ihr Heil in der pauschalen Absage ans Dasein und einer radikalen Lebensverneinung, kurz, in der Weltflucht suchen lässt. Das Heil, das sie auf diesem Wege erreichen, oder vielmehr die Botschaft vom zu erreichenden Heil, deren sie in der Perspektive solcher Weltflucht, dort, wo die Perspektive sich in ihrem innerweltlichen Fluchtpunkt verliert und als Himmelfahrt selbst transzendiert, teilhaftig werden, ist die christliche Religion, jene Kombination aus platonisch-gnostisch entfaltetem Wesenskult und messianisch-soteriologisch gewendetem Schöpferglauben, die das Heil als definitiv nicht von dieser im heillosen Schein sich erschöpfenden Welt und gleichbedeutend mit deren pauschaler Nichtigkeitserklärung vorstellig werden lässt und die die Erlangung des so als das Sein jenseits des Scheins perennierenden Heils nicht etwa als eine durch die Geschöpfe des Scheins, die Bewohner der Welt selbst, zu vollbringende Tat, als irdisch-menschliche Leistung, sondern streng nur als vom Herrn des Seins beziehungsweise von seinem Gesandten, dem Heilsbringer, zu empfangende Wohltat, als himmlisch-göttliche Gnade zu denken erlaubt.
Die christliche Religion ist also in doppeltem Sinne weltfeindlich, das irdische Dasein verneinend und verwerfend. Nicht nur gilt all ihr Sinnen und Trachten einer anderen Sphäre als der Erscheinungswelt, einem vom Diesseits ontologisch verschiedenen Jenseits, einem in der absoluten Negation des Erdkreises bestehenden Himmelreich, sie spricht mehr noch dem Diesseits und irdischen Dasein jede Möglichkeit ab, aus eigener Kraft und mit eigenen Mitteln die Kluft, die sie vom Jenseits trennt, zu überbrücken und des himmlischen Seins teilhaftig zu werden. Das einzige Interesse, das sie an dieser Welt nimmt, ist das an ihrer Überwindung und Abdankung. Und das einzige Geschäft, das sie in ihr hat, ist, so zu leben und sich so zu verhalten, dass diese nicht aus eigener Kraft, sondern durch die Gnade des Herrn des Seins und seines Gesandten, seines Seins- oder Heilsbringers, zu erwirkende Überwindung und Abdankung der Welt möglichst leicht und ungehindert vonstatten gehen kann. Die christliche Religion ist mit anderen Worten weder irdisch orientiert noch magisch disponiert, ist ebenso spirituell gesinnt wie quietistisch gestimmt, ist ebenso wenig auf die Hege und Pflege des innerweltlichen Daseins gerichtet, ebenso sehr vielmehr beherrscht vom Gedanken, dies innerweltliche Leben an den Nagel zu hängen und sich ein- für allemal aus der Welt zu verabschieden, wie sie fern davon ist, dem innerweltlichen Leben wenigstens im Blick auf diese seine Negation, diesen Auszug aus der Welt eine positive Rolle zu konzedieren, geschweige denn eine konstitutive Funktion zuzuschreiben.
In beiderlei Hinsicht, der auf Spiritualität gerichteten topischen ebenso wie der in Quietismus endenden dynamischen, unterscheidet sich nun aber die christologisch-essenzialistische Lehre des im Konkursverfahren des Römischen Reiches neu entstandenen Glaubens ganz offenkundig von den theokratisch-polytheistischen Vorstellungen der Religionen, die auf Basis der in den Flusskulturen vorgefundenen Kulte die frühen orientalischen Reiche etablieren, und steht in der Tat im eklatanten Widerspruch zu ihnen. Im diametralen Gegensatz zu der vom essenzialistisch-christlichen Glauben intendierten und als göttliches Sein firmierenden Transzendenz, die als Selbstzweck für sich steht und die erscheinungsweltliche Immanenz für Schein erklärt und als nichtig verwirft, hat das von den polytheistisch-heidnischen Kulten etablierte und als Sphäre der Götter fungierende Jenseits definitiv Mittelcharakter und ist nämlich dazu da, das erscheinungsweltliche Diesseits vor eben jener ihm drohenden Nichtigkeitserklärung und Entlarvung als Schein zu bewahren und als vielmehr seinsmächtiges Faktum und substanzielles Gebilde zur Geltung zu bringen.
Und im nicht minder krassen Widerspruch zum christologischen Glauben, der eben deshalb, weil allein die Transzendenz wirklich und die Immanenz nichts ist, alles und auch sogar die Errettung aus der nichtigen Immanenz und Überführung in die transzendente Wirklichkeit zur Gänze der letzteren anheim stellen und jede aus eigener Kraft unternommene Anstrengung für ebenso vergeblich wie nichtig erkennen muss, sehen sich die theokratischen Religionen durchaus in der Lage, an der von ihnen dem göttlichen Jenseits zugewiesenen Aufgabe einer Reaffirmation und Sanktionierung des irdischen Diesseits aus eigenen Stücken mitzuwirken und zu ihrer Erfüllung einen maßgeblichen Beitrag zu leisten – mit dem Ergebnis, dass hier der christologische Glaube als Mittel zum Zweck des von ihm angestrebten Übergangs aus der Immanenz in die Transzendenz nur das Gnadengeschenk des Autodafé, des vom Herrn der Transzendenz in Gestalt seines Sohnes zu bringenden himmlischen Selbstopfers, kennt, wohingegen dort die theokratischen Religionen als Mittel zum Zweck der von ihnen vorgesetzten Sanktionierung des Diesseits durch das Jenseits den irdischen Opferkult etablieren, den wegen seiner epiphanischen Eigendynamik zwar immer wieder misslingenden, aber auch stets wieder unverdrossen unternommenen Versuch des Diesseits, das Jenseits in die Pflicht einer ihm, dem diesseitigen Supplikanten, in objectu der sakramentalen Gabe geschuldeten Anerkennung zu nehmen.
Kultische und messianische, anders gesagt, polytheistisch-theokratische und essenzialistisch-christologische Religion bilden nicht einfach einen zeitlos strukturalistischen Gegensatz, sondern sind Momente eines nachvollziehbaren historischen Prozesses.
So strukturalistisch unvermittelt und äquilibristisch gegensätzlich die Positionen und Intentionen der polytheistisch-theokratischen Kulte einerseits und der essenzialistisch-christologischen Lehre andererseits auf den ersten Blick anmuten mögen, beide religiösen Systeme haben durchaus, wie in den vorangegangenen Büchern gezeigt, ihre Geschichte, in deren Zusammenhang und Verlauf sich das, was als reiner Gegensatz und abstrakte Alternative erscheint, vielmehr als logische Abfolge und konkrete Konsequenz erkennen lässt. So sind, wie gesehen, die polytheistisch-theokratischen Kulte mit ihrer Vorstellung von einer fundamentalen Diesseitsorientierung des Jenseits, ihrem Anspruch auf eine durch die Herren des Jenseits zu leistende definitive Reaffirmation und Sanktionierung des Diesseits und seiner Bewohner, Reaktion auf die in Wahrheit indefinite Indifferenz und absolute Negativität des Jenseits und seines originären, besser, abskonditären und nämlich in ontologischer Abgründigkeit verhaltenen Subjekts und der Versuch, dies toto coelo andere Subjekt aus einem die Welt pauschal für nichts befindenden anachronistischen Beginnen und apriorischen Sein in eine der Welt im Gegenteil ihren detaillierten Bestand garantierende anfängliche Instanz und ursächliche Macht umzufunktionieren.
Und gleichzeitig erklärt sich die opferkultlich eingefleischte Gewohnheit der die polytheistisch-theokratischen Kulte zelebrierenden Gesellschaften, jene dem anderen Subjekt in seiner Vielgöttergestalt vindizierte kosmologische Bestandssicherung in eigener Regie und aus eigenen Stücken, sprich, durch den Göttern dargebrachte und von ihnen anzunehmende Opfergaben, Ereignis werden zu lassen, aus dem Bemühen, der Hybris zu wehren, von der der irdische Stellvertreter des zu Göttern domestizierten anderen Subjekts, der Theokrat, sich etwa anwandeln lässt, und zu verhindern, dass in biographisch letzter Konsequenz, nämlich in actu seines Todes, der Theokrat kraft Überhebung die jenseitigen Garantiemächte des Diesseits, die Götter, entmachtet und seinerseits die das Diesseits fundamental in Frage stellende ursprüngliche Indifferenz und Negativität des anderen Subjekts repristiniert – wobei sich allerdings als die besondere Pointe oder eigentümliche Ironie der gegen diese Gefahr theokratischer Hybris getroffenen opferkultlichen Vorkehrungen herausstellt, dass die Vorkehrungen selbst eben jene Gefahr, die sie bannen sollen, ihrerseits heraufbeschwören und, indem sie in actu der zur Disposition gestellten Opfergabe einer spontanen Epiphanie des toto coelo anderen Subjekts den Boden bereiten, die Opferhandlung jedes Mal wieder vereiteln und dazu zwingen, die auf die Sanktionierung des Diesseits abgestellte sakramentale Darbringung an die Götter in eine auf nichts als auf die sakrifizielle Beseitigung des ex improviso der Darbringung erscheinenden nefariösen Verneiners des Diesseits umschlagen zu lassen.
Eingeklemmt zwischen der Notwendigkeit, das polytheistisch-theokratische System gegen die Indifferenz und Negativität des anderen Subjekts, das es in eine anteilnehmend-göttliche Macht und positiv-sakrale Instanz umzufunktionieren dient, zu behaupten, und dem Erfordernis, der Indifferenz und Negativität zu wehren, die der das System repräsentierende Theokrat in der letzten Konsequenz seiner Statthalterbiographie seinerseits hervorzukehren droht, müssen sich die betroffenen Gesellschaften zu einer opferkultlichen Gratwanderung verstehen, die sich in ihrem zwischen Sakrament und Sakrifiz hin und her gerissenen Vollzug quasi als ein auf dem Grat zelebrierter Drahtseilakt erweist und deren prekäre Kontinuität mit der Bereitschaft der Betroffenen, die Opferhandlung die Züge und Dimensionen eines schlecht unendlichen Ritualismus, schieren Wiederholungszwangs, gewinnen zu lassen, im Wortsinne steht und fällt.
So prekär und gefährdet seiner abstrakten Struktur nach dieser opferkultliche Wiederholungszwang die ihn übenden polytheistisch-theokratischen Gesellschaften aber auch erscheinen lässt, so sehr garantiert er ihnen doch durch sein konkretes Funktionieren Bestand und Ausdauer und ermöglicht so der unter ihrer Ägide praktizierten fronwirtschaftlich-kollektiven Form der Arbeit eine ebenso stetige wie langsame Entfaltung ihrer Produktivkraft, ihrer überflusserzeugenden Effizienz – mit dem unter den Bedingungen theokratischer Herrschaft und ihres pauschalen Anspruchs auf den gesellschaftlichen Reichtum unvermeidlichen Ergebnis, dass die Schere zwischen dem Luxus, in dem die als Gefolgschaft des Theokraten, als Kultgemeinde, etablierte Oberschicht lebt, und der kargen Subsistenz der fronenden Unterschicht sich immer weiter öffnet und der Gesellschaft immer stärker das Ansehen eines nicht sowohl stratifizierten politischen Organismus als vielmehr einer gespaltenen sozialen Persönlichkeit verleiht. Folge dieses Zerfalls der theokratischen Gesellschaft in zwei beileibe nicht zwar produktionssystematisch, wohl aber lebenspraktisch aparte Totalitäten ist der dionysisch-orgiastische Naturkult – der Versuch der fronenden Unterschicht, sich durch den indirekten, mittels innerweltlich-natürlichen Fruchtbarkeitskults unternommenen Rückgriff auf die Indifferenz und Negativität des im Opfer ebenso epiphanisch auftauchenden wie blutig wieder zum Verschwinden gebrachten anderen Subjekts von der theokratischen Herrschaft zu emanzipieren und gegen deren Reichtumsproduktionssystem durch Berufung auf einen natürlichen Überfluss, der doch in Wahrheit nur ein jenem System entspringender schöner Schein ist, zu verwahren.
Und dieser Befreiungsversuch, der sich auf die indirekte Beschwörung eben der das irdische Dasein unbedingt verneinenden Potenz und vielmehr absolut vernichtenden Wirklichkeit stützt, die das theokratische System zu verdrängen beziehungsweise in die affirmative Kraft und sanktionierende Herrlichkeit göttlicher Mächte, überirdischer Instanzen umzufunktionieren dient – er provoziert nun also bei Teilen der theokratischen Kultgemeinde jene im Gegenteil direkte Berufung auf das verdrängte Sein und umfunktionierte Bestehen des anderen Subjekts, die dessen daseinsverwerfender Evidenz, seiner weltvernichtenden Transzendenz die Ehre gibt, sich der ganzen Wahrheit der in ihm offenbaren modallogischen Indifferenz und ontologischen Negativität stellt und damit die Halbwahrheit der naturkultlichen Verneinung der gesellschaftlichen Wirklichkeit, die gespielte Negativität des dionysischen Widersachers, der doch in Wahrheit nur ein sozialkritischer affirmativer Tröster der Armen und Unterdrückten ist, aus dem Felde schlägt.
Die Bedingung der Möglichkeit dieses reaktionären, die sozialrevolutionären Umtriebe der Unterschicht niederschlagenden Rückgriffs auf die mittels polytheistisch-theokratischer Ordnung zum Anathema erklärte beziehungsweise in ein affirmatives Jenseits umgewandelte abgründige Wirklichkeit oder ontologisch vernichtende Wahrheit des anderen Subjekts ist der Wesenskult, dies, dass diejenigen, die sich auf jene absolute Wirklichkeit berufen, darin ihr als der transzendente Kern ihres immanenten Daseins perennierendes wahres Selbstsein, ihr als zeitlos vergangenes Sein wohlverstandenes eigenes Wesen erkennen und so als der Erscheinungswelt im entscheidenden Punkte enthobene Wesen den Kopf aus der Schlinge des unendlichen Verdikts und der pauschalen Nichtigkeitserklärung ziehen können, mit der die Indifferenz und Negativität jener absoluten Wirklichkeit sie als irdisch Daseiende ja nicht minder als die übrige Erscheinungswelt heimsucht. Wie die wesenskultlich-reflexive Konstruktion einer Teilhabe an dem sub specie solcher Teilhabe als das Wesen firmierenden Sein, das nicht von dieser Welt ist, den Gruppen der theokratischen Kultgemeinde, die damit auf die Bedrohung ihrer gesellschaftlichen Existenz durch die naturkultlich-dionysische Sozialkritik reagieren und fortan die historische Rolle einer Aristokratie übernehmen, ermöglicht, jenes in seiner Indifferenz die ganze Welt zum Schein erklärende, in seiner Negativität alles vernichtende außerweltliche Sein ins Auge zu fassen und als Berufungsinstanz heranzuziehen, so bietet diese Konstruktion ihnen nun also die Handhabe, eben jenes vernichtende Sein, unbeschadet oder vielmehr sogar unter Ausnutzung der überschwänglich-weltflüchtigen Motion, zu der seine Wahrnehmung etliche von ihnen hinzureißen tendiert, als Mittel der innerweltlich-sozialen Auseinandersetzung in Gebrauch zu nehmen und mit dem Ergebnis einer Überführung der opferkultlich-theokratischen Organisation in eine ständehierarchisch-brahmanische Formation sich als die führende gesellschaftliche Schicht zu behaupten.
Seine volle, die Gesellschaft von Grund auf reorganisierende Wirkung aber zeitigt der als Teilhabe am wahren Sein und a priori wirklichen Prinzip konzipierte Wesenskult erst im interessierten Verbund, sprich, im Verein mit einem zwischen den einzelnen theokratischen Herrschaften in Erscheinung getretenen und ursprünglich nur zu deren ökonomischer Versorgung und Absicherung bestimmten Austauschmechanismus, der kommerziellen Güterdistribution. Indem unter bestimmten, an peripheren Stellen des territorialherrschaftlich-theokratischen beziehungsweise ständeherrschaftlich-hierarchischen Gesellschaftssystems gegebenen Bedingungen die aristokratischen Träger des Wesenskults, ihre kultische Selbständigkeit mit dem Streben nach politischer Souveränität verschmelzend, in einer Mischung aus Machtkalkül und materiellem Eigennutz dieser in der Äquivalenz sächlicher Leistungen gründenden kommerziellen Distributionsform Freiraum und Schutz bieten, ermöglichen sie letzterer, sich unabhängig von allem auf der Interdependenz persönlicher Beziehungen basierenden herrschaftlichen Allokationsmechanismus, dem sie vorher als verschwindendes Moment integriert waren, zu entfalten und sich jenem Mechanismus als vollgültige Vergesellschaftungsalternative gegenüberzustellen, und entfesseln damit eine politisch-ökonomische Dynamik, die in der Schaffung eines qua Handelsstadt ganz neuen Gesellschaftstyps, einer unter der politischen Führung der Aristokratie im ökonomischen Prinzip egalitären, will heißen, nach Maßgabe des Synthesisprinzips der kommerziellen Funktion durch nichts als durch ihre sächlichen Austauschbeziehungen assoziierten und definierten Erzeugergemeinschaft, kurz, in einer sich als Markt etablierenden Bürgerschaft resultiert.
Während sich in seiner ersten, durch den Aufstieg und die Blüte der griechisch-ägäischen Polis markierten Entwicklungsphase dieser neue Gesellschaftstyp dank einerseits des ökonomischen Nutzens, den er für die umgebenden territorialherrschaftlichen Gesellschaften hat, und andererseits der Wehrhaftigkeit und Schlagkraft, die er gegenüber allen Versuchen der letzteren, ihn wieder zu vereinnahmen und als solchen aufzulösen, beweist, in einem wesentlich kommerziell geprägten Koexistenzverhältnis zur territorialherrschaftlichen Gesellschaftsformation zu behaupten vermag, sprich, seine Beziehung zu ihr, aller zwischenzeitlichen militärischen Konfrontationen und Interventionen ungeachtet, auf den für ihn aus Gründen, die andernorts expliziert worden sind, außerordentlich vorteilhaften Handelsaustausch mit ihr gründet, kommt es in der zweiten, durch die Karriere und den Triumph der römischen Urbs definierten Phase zu einem Paradigmenwechsel. Weil die allem formellen Äquivalenzprinzip zum Trotz unverhältnismäßige reelle Bereicherung, die der Handel mit den umliegenden Gesellschaften ihr bringt, für die neue handelsstädtische Gemeinschaft interne ökonomische Probleme schafft und politische Konflikte heraufbeschwört, die sie zu zerreißen drohen, verfällt die römische Urbs auf ein Rettungsmittel, mit dem es auch schon in ebenso systematisch kurzschlüssigerer wie geographisch beschränkterer Form und entsprechend erfolgloser die griechische Polis versucht hat: Sie vollzieht eine Abkehr von der wesentlich kommerziellen Beschaffenheit oder austauschbestimmten Struktur ihrer Außenverhältnisse und nutzt die bürgerlichen Tugenden, sprich, die technischen, organisatorischen und strategischen Fähigkeiten, die sie im Rahmen ihrer von ökonomischer Freiheit, sozialer Mobilität und politischer Teilhabe geprägten neuen Vergesellschaftungsform ausgebildet hat, um auf nichtkommerziellem Wege den territorialherrschaftlichen und stammesförmig organisierten anderen Gesellschaften wie auch ihren handelsstädtischen Konkurrenten zu Leibe zu rücken und ihnen mit Mitteln militärischer Gewalt und bürokratischen Zwangs ihren Reichtum abzuknöpfen.
Dieser neuen, im Vergleich mit dem Verfahren der Polis Athen, das die nichtkommerzielle Ausbeutung auf die anderen ägäischen Poleis beschränkt und also eine Art Selbstausbeutung der kommerziellen Funktion betreibt, ebenso sehr geographisch entgrenzten wie systematisch totalisierten römischen Bereicherungsstrategie ist der durchschlagende Erfolg des Imperium Romanum beschieden, eines mit militärischer Kraft und bürokratischer Kompetenz eingerichteten und aufrechterhaltenen Provinzialsystems, das die unter ihm befassten Gesellschaften unterschiedlichster Provenienz und Beschaffenheit zu uniformen Momenten einer gigantischen Ausbeutungsmaschine degradiert und nivelliert. Wobei die besondere Ironie dieser nichtkommerziellen Ausbeutungsmaschinerie darin zu sehen ist, dass sie die kommerzielle Funktion, deren sozialen Implikationen und politischen Konsequenzen sie doch letztlich entspringt, in eben die abhängige, dienende Stellung zurückbringt, die jene innehatte, ehe es ihr gelang, sich von ihrer ursprünglichen Matrix, der theokratischen Territorialherrschaft, zu lösen und dieser gegenüber in der emanzipierten Gestalt eigenständiger handelsstädtischer Gemeinschaften zu etablieren!
Der Erfolg hat indes seine definitiven Schattenseiten. Wie im vorletzten Band nachgezeichnet, ist er von soziostrukturellen Verwerfungen und internen politischen Spaltungen begleitet, die zu guter oder vielmehr böser Letzt die Etablierung eines imperatorisch-cäsarischen Regimes zur Folge haben, mit anderen Worten in der Errichtung einer Militärdiktatur resultieren, die im vergeblichen Bemühen, gleichermaßen dem volksfürsorglich-sozialstaatlichen Zweck, dem sie ihr Entstehen verdankt, gerecht zu werden und sich als den eigengesetzlich-selbstbezüglichen Militärapparat, der sie als Mittel zum Zweck ist, bei Kräften zu erhalten, das Imperium in eine langanhaltende Agonie verstrickt, in deren Verlauf die Provinzen sich in periodisch verwüstete Schlachtfelder und immer neu heimgesuchte Notstandsgebiete verwandeln und den Untertanen des Reichs ihre conditio humana von Grund auf vergällt, alles Zutrauen zum irdischen Dasein, alle Bindung ans Leben in der Welt ausgetrieben wird.
Durch die nicht enden wollende imperiale Agonie um jede intentionale Perspektive und habituelle Kontinuität, jede soziale Geborgenheit und materielle Sicherheit gebracht, machen die Untertanen eine vollständige Kehrtwendung, in deren Konsequenz das, was ihnen bis dahin als der absolute Schrecken und das um jeden Preis abzuwendende Fatum gilt, das Sein nämlich des anderen Subjekts, das in seiner modallogischen Indifferenz und ontologischen Negativität die ganze Welt für Schein und alles Dasein für nichts erklärt, nun vielmehr als etwas relativ Verlockendes, als ein durchaus erstrebenswertes Bonum vor Augen tritt. Ist zuvor jenes in seiner chronologischen Apriorizität und ontologischen Exklusivität vernichtende Sein dasjenige, gegen dessen Verdikt man die Welt in genere und ihre Güter, ihren Reichtum, in specie verteidigen und als dennoch wirklich behaupten muss und um dessen Verdrängung und Entkräftung willen man bereit ist, der Etablierung einer gesellschaftlichen Herrschaft zuzustimmen, die sich nach Maßgabe ihrer Macht über die Welt in genere und ihrer Verfügung über den Reichtum in specie als ein jenes Sein umfunktionierender und als in Kontinuität mit der Welt begreifliche, reichtumsaffirmative Modalität erweisender Substitut des nunmehr als göttliche Sanktionsmacht firmierenden anderen Subjekts in Szene setzt, so spielt im Resultat ihrer desillusionierenden Entwicklung von der Theokratie zum Cäsarismus eben diese gesellschaftliche Herrschaft der Welt und ihrem Wohlstand so übel mit, beschwört soviel Not und Unheil über das innerweltliche menschliche Dasein herauf, lässt es durch Krieg und Verheerung, Tod und Zerstörung den Reichtum, den es in die Welt bringt, so teuer bezahlen, dass die Betroffenen in einem regelrechten Konversionsakt der Welt in genere die Gefolgschaft und ihrem reichtumfixierten Dasein in specie die Verbundenheit aufkündigen, jenes weltverneinende, das Dasein als Schein entlarvende transzendente Sein des anderen Subjekts positiv besetzen und zu ihm ihre Zuflucht nehmen, bei ihm Schutz und Rettung vor den unerträglichen Widrigkeiten und dem unermesslichen Elend des von der cäsarischen Herrschaft in den Konkurs getriebenen Erdkreises suchen.
Die in Hoffnungslosigkeit und Depression versinkenden Untertanen des Imperiums greifen auf und setzen fort, was einst unter dem Druck und Eindruck der sozialrevolutionären Bewegung dionysisch-naturkultlicher Konfession die zur Aristokratie sich emanzipierende Kultgemeinde der theokratischen Herrschaft qua Wesenskult begann: den Rekurs auf und Appell an die zuvor zum Anathema erklärte und nun als zeitlos vergangenes Sein, als das Wesen, in Anspruch genommene Sphäre der die Welt ebenso sehr für Schein erklärenden wie in ihr erscheinenden, das irdische Dasein ebenso sehr verneinenden wie erhellenden ontologischen Wahrheit und apriorischen Wirklichkeit des anderen Subjekts. Anders aber als ihre aristokratischen Vorgänger rekurrieren die an der Welt irre gewordenen, am Dasein verzweifelnden Untertanen des Imperiums nicht auf das Wesen, um in der Welt ebenso sehr die eigene Stellung zu behaupten wie die modifiziert alte Ordnung wiederherzustellen, um ihrem Dasein einen Sinnbezug zu revindizieren, der in all seiner die Wahrheit und Wirklichkeit der Welt betreffenden kritischen Verdikthaftigkeit ihnen doch zugleich erlaubt, sich mit den irdischen Verhältnissen nach Gutdünken zu arrangieren beziehungsweise einen frei gestaltenden Einfluss auf sie zu nehmen. Vielmehr regredieren die Untertanen auf das Wesen in der definitiven Absicht, die Fronten zu wechseln, sich vom Dasein abzuwenden und dem wahren Sein in die Arme zu werfen, sich aus der Immanenz zu absentieren und Eingang in die Transzendenz zu finden – das heißt, ihnen dient das Wesen keineswegs als ein Mittel, um sich in der gegebenen Welt weiter zu behaupten oder wieder einzurichten, sondern partout nur als ein Medium, das sie dieser Welt ein- für allemal überheben und ihnen eine neue, vom irdischen Dasein absolut verschiedene und nämlich durch eine ontologische Kluft getrennte Zuflucht und Heimat bieten soll.
Allerdings ist, wie im vorigen Band unserer Studie gezeigt, diese radikale Neuorientierung, diese in Weltentsagung resultierende Konversion nur möglich, weil in zweierlei Hinsicht das ursprüngliche Verhältnis zum apriorischen Sein oder anachronistischen Beginnen des anderen Subjekts sich mittlerweile gewandelt hat. Zum einen büßt im letzten Stadium der durch den Wesenskult ermöglichten Instrumentalisierung des apriorischen Seins zu einem Konstitutiv empirischen Verhaltens, in der platonischen Reklamation nämlich der Sphäre jenes Seins als eines für die Gestaltung der Polis maßgebenden Ideenreichs, diese die tödliche Indifferenz und vernichtende Negativität, die ihr von Haus aus eignet, ein und nimmt, unbeschadet der ontologischen Kluft oder qua Transzendenz unüberbrückbaren Verschiedenheit, in der sie sich unverändert behauptet, die Züge einer in inhaltlicher Kontinuität oder jedenfalls qualitativer Komparabilität mit der irdischen Welt erscheinenden spezifisch differenten oder als bestimmte Negation gefassten Totalität an. Das heißt, die Sphäre des als das wirkliche Wesen in Anspruch genommenen wahren Seins präsentiert sich dank ihrer platonischen Vereinnahmung und Vermittlung nun in der reizenden Gestalt und ansprechenden Vertrautheit einer die irdische Welt verdoppelnden Gegenwelt, die nicht etwa in abbildlicher Spiegelung, sondern vielmehr in urbildlicher Originalität all das spirituell darstellt, sprich, ist, was die irdische Welt als ein ungutes Gemisch aus spirituellem Sein und stofflich-amorphem Nichts materiell entstellt, sprich, bloß scheint. Kurz, dank platonischer Reflexionstätigkeit hat jenes apriorische Sein des anderen Subjekts aufgehört, nichts als der hinter der unbedingten Indifferenz und absoluten Negativität, mit der er der Welt begegnet, anachronistisch-verschwindende Abgrund zu sein, und bietet sich statt dessen als der die Welt ihrer ebenso unendlich fernen wie spezifisch differenten Wirklichkeit und ihrer nicht minder absolut transzendenten wie bestimmt negativen Wahrheit überführende ewig-bleibende Himmel dar.
Und zum anderen eröffnet nun die Religion der in einem Winkel des Imperiums wohnenden jüdischen Glaubensgemeinschaft mit ihrer halb orthodoxen, halb häretischen Vorstellung von einem in unbestimmter Aussicht stehenden Gesandten Gottes, einem gesalbten König, der seinem Volk göttliches Heil bringt, den dank platonischer Reflexionsarbeit die vernichtende Wesenssphäre als bergendes Himmelreich gewahrenden weltmüden Untertanen des Imperiums einen Weg, die von der jüdischen Religion entschiedener sogar noch als vom Wesenskult angenommene und radikaler noch zur Grundlage des irdischen Daseins gemachte ontologische Kluft und unüberbrückbare Verschiedenheit dennoch zu überbrücken.
Weil, während es zwar platonisch gelingt, das Wesen seiner reinen Negativität zu entreißen und zu einem Prospekt zu positivieren, es zu einer einladenden Gegenwelt, einem Urbild all dessen, was an der Welt schön und gut ist, zu domestizieren, gleichzeitig aber der Bezug zum Wesen, das im aristokratischen Selbst bestehende Moment von Wesentlichkeit, das sich in der Welt behauptet, flöten geht und sich nämlich als stoisches, skeptisches oder hedonistisches Reflexiv selbstreferentiell auf sich reduziert, sprich, zum Lebensberater beziehungsweise Sterbebegleiter des unrettbar immanenten, im Sumpf seines Luxuslebens versinkenden römischen Patriziats verkommt – weil sich also in der späten Antike diese gegenläufige Bewegung von Konkretisierung des Wesens und Eliminierung des Wesensbezuges vollzieht, hat sich jene ontologische Kluft zwischen Schein und Sein, zwischen Erdkreis und Himmelssphäre, sofern überhaupt möglich, noch vertieft und versetzt die an der Welt verzweifelnden Untertanen des Imperiums in eine Notlage, eine durch keine gnostische Anstrengung mehr zu überwindende Ausweglosigkeit, in der ihnen in ihrer unendlichen Ohnmacht und Verlorenheit Rettung nur noch von der toto coelo anderen Seite, nur noch vom Sein selbst, sprich, von dem, der ist, gebracht, nur noch von himmlischen Gnaden zuteil werden kann.
Und genau in diesem Punkte der verlorenen Überbrückungshilfe oder des fehlenden Rettungsmittels bietet sich ihnen nun der Messianismus der jüdischen Religion, die Lehre von dem den Menschen zu ihrem Heil vom Himmel gesandten gesalbten König, an, vorausgesetzt, sie missverstehen seine hauseigene Konstruktion und Intention hinlänglich oder treiben vielmehr beides weit genug in die Richtung voran, die unter dem Einfluss der qua Gnosis sich artikulierenden Weltfluchtstimmung im Reich das jüdische Messiaskonzept bereits eingeschlagen hat, um dem Messias selbst eine die Beschränktheit seines irdisch-davidischen Königtums vergessen machende himmlische Herkunft zuzusprechen und das neue Jerusalem, das er verheißt, seinen futuristisch-materiellen Gehalt, den Sinn eines über die Völker obsiegenden, fest gegründeten jüdischen Staats, verlieren und die erforderte essenzialistisch-spirituelle Form, die Bedeutung des über die Welt triumphierenden ewig währenden Gottesreichs, gewinnen zu lassen.
Dies beides, die schöne Aussicht, die der Platonismus eröffnet und die die Wesenssphäre zum Ideenreich entfaltet, und die gute Hoffnung, die der Messianismus erweckt und die das zum himmlischen Jerusalem erklärte Ideenreich nahe herbeigekommen zeigt, sprich, in greifbare Nähe rückt – dies beides also sind die entscheidenden Modifikationen beziehungsweise Neuerungen, die den Wesenskult in der vom römischen Kaiserreich beherrschten und in den Konkurs getriebenen Spätantike wesentlich umgestalten und in der Tat aus dem elitär-aristokratischen Instrument zur gesellschaftlich-machtpolitischen Behauptung in der Welt ein ubiquitär-volkstümliches Vehikel zur persönlich-heilsperspektivischen Rettung aus der Welt werden lassen.
Indem sich diese beiden neuen Elemente der schönen Aussicht und der guten Hoffnung zu einem systematischen Ganzen verbinden, verwandeln sie den heidnischen Wesenskult in die christliche Heilsbotschaft und legen das Fundament für jene radikale Neuorientierung der Menschen, die das vernichtende Jenseits, das einst umfunktioniert und in den Dienst der Affirmation eines unbedingt zu erhaltenden Diesseits gestellt werden musste, jetzt vielmehr als das unbedingt zu erreichende rettende Ufer wahrnimmt, das Schutz und Geborgenheit vor der Selbstzerstörungsorgie verspricht, in die sich das Diesseits in der letzten Konsequenz des einstigen Modus seiner Affirmation verstrickt findet – eine Neuorientierung, die zugleich jede aktive Einwirkung auf das Jenseits, jede Beeinflussung oder Beförderung seiner Funktion durch das Diesseits kategorisch ausschließt und das Jenseits in die Position der absoluten Macht bringt, deren gnädiger Zuwendung und heilsamem Beistand das Diesseits auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist.
Sosehr also – um an den Ausgangspunkt unserer Rekapitulation zurückzukehren – die essenzialistisch-christologische Heilslehre, in der der Impuls zur Flucht aus dem Diesseits sich mit dem Appell ans Jenseits, die Flucht ins Werk zu setzen, verbindet, im genauen Gegensatz zu den polytheistisch-theokratischen Kulten steht, in denen die Verbundenheit mit dem Diesseits das Zutrauen einschließt, das Jenseits zu dessen Affirmation bewegen zu können, sowenig bilden die beiden diametral gegensätzlichen Einstellungen doch aber ein strukturalistisch auf den Fleck gebanntes, zeitlos fixes System, sosehr erweisen sie sich vielmehr bei näherer Betrachtung als integrierende Bestandteile einer historischen Entwicklung und prozesslogischen Kontinuität, die erstere ebenso sehr als ihren Auslöser, als initiative Konstellation, wie letztere als ihre Auflösung, ihre definitive Konsequenz, zu verstehen gibt. Anders gesagt, erscheint aus dieser die systematisch-äquilibristische Gegensetzung als historisch-konsequenzzieherische Abfolge realisierenden Perspektive die christliche Weltverneinung als die herausprozessierte Wahrheit über die heidnische Lüge einer durch reichtumsfundierte Herrschaft zu gewährleistenden Sicherstellung des immanenten Daseins vor der reichtumsgenerierten Negativität des transzendenten Seins, die am Anfang des ganzen Prozesses steht.
Sowohl bei den Eroberern als auch bei den aus dem bösen Traum der imperialen Agonie erwachten heimischen Populationen ist das Bedürfnis vorhanden, der Heilsperspektive nicht gleich die ganze irdische Existenz zu opfern und vielmehr die Aussicht aufs ewige Leben mit dem Anspruch auf ein säkular erfülltes Dasein in Einklang zu bringen.
Wenn demnach die agrarischen Okkupanten der als imperiale Konkursmasse vorgefundenen römischen Provinzen das Gleiche tun wie ihre Vorgänger, die nomadischen Eroberer der von lebendigen Stadtstaaten besiedelten orientalischen Flusstäler, und nämlich von der avancierten Zivilisation, über die sie die Herrschaft erringen, auch und nicht zuletzt deren Religion übernehmen, so tun sie nur scheinbar oder formell das Gleiche und in Wahrheit oder reell etwas völlig Anderes: Was sie mit der christlichen Religion sich aneignen und ihren Köpfen einpflanzen, ihrem Geist, ihrem individuellen und kollektiven Selbstverständnis einverleiben, ist nichts anderes als in letzter Konsequenz der Offenbarungseid all dessen, was ihre Vorgänger einst angefangen haben und was sie, die Nachfolger, jetzt im Begriff stehen zu wiederholen, ist mit anderen Worten das vernichtende Verdikt über beziehungsweise der die Verwerfung vorwegnehmende Schlussstrich unter ihr eigenes, noch gar nicht eigentlich in Gang gekommenes Beginnen. Indem sie einen Glauben annehmen, der letztes Resultat eines historischen Prozesses ist, den sie als im Römischen Reich an sein Ende gekommenen neu initiieren oder von Anfang an wiederholen wollen und dem doch aber durch jenen Glauben sein vollständiges Scheitern, seine Perspektivlosigkeit bereits attestiert wird, belasten sie ihren Neuanfang mit einer kodifizierten Erfahrung, einer dogmatischen Sicht, die über ihn, recht besehen, a priori den Stab bricht, ihm sein als Nichtigkeitserklärung wohlverstandenes Augurium stellt, und unterscheiden sich in diesem Punkte grundlegend von ihren Vorgängern, den die orientalischen Flusstäler erobernden nomadischen Bergvölkern, die mit den theokratischen Kulten, die sie in den eroberten Territorien vorfinden und übernehmen, ein durchaus affirmatives, die Welt, so wie sie ist, zu sanktionieren bestimmtes und also auch den historischen Prozess, den die Eroberer in dieser Welt anstrengen, zu unterstützen, wo nicht gar zu substantiieren geeignetes Instrument in Händen halten.
Günstig für die neuen Okkupanten und quasi ihr Glück scheint dabei immerhin zu sein, dass sie partout nicht wissen, was sie tun, dass sie keine Ahnung davon haben, wie sehr dies religiöse Erbe der Vergangenheit, dies Christentum, das sie annehmen und hochhalten, die summarische Verwerfung eben jenes Unternehmens einer gesellschaftlichen Reichtumsproduktion unter territorialherrschaftlichen Bedingungen beinhaltet, das sie selbst gerade im Begriff stehen, neu aus der ganz und gar unchristlichen Taufe zu heben. Ihre, wie man will, barbarische Unwissenheit oder kindliche Einfalt scheint sie vor der Realisierung des diametralen Widerspruchs zwischen dem, was sie praktisch vorhaben, und dem, was sie dogmatisch annehmen, der völligen Unvereinbarkeit zwischen säkularem Wollen und religiösem Sollen schützen zu können, scheint ihnen mit anderen Worten die Möglichkeit zu eröffnen, sich zu jener ebenso resignativen wie resultativen Einsicht zu bekennen, ohne dass sie deshalb den Mut verlieren und die Initiative fahren lassen müssten.
Indes, bei genauerer Betrachtung stellt sich diese Unwissenheit und Naivität der Okkupanten im Blick auf den wahren Sinn und die finale Botschaft der christlichen Religion als geringer Gewinn heraus. Schließlich handelt es sich bei dem in Form des christlichen Glaubens abgelegten Offenbarungseid der Geschichte einer im Römischen Reich ebenso sehr aus dem Lot gebrachten und zugrunde gerichteten wie eskalierten und auf die Spitze getriebenen territorialherrschaftlichen Reichtumsproduktion ja nicht einfach nur um ein theoretisches Bekenntnis, einen reflexiven Befund, sondern mehr noch um ein praktisches Gelöbnis, eine reaktive Resolution. Untrennbar verknüpft mit der Annahme des christlichen Glaubens ist die Hingabe an ein als Nachfolge Christi wohlverstandenes christliches Leben, dessen tragende Säulen mönchische Entsagung und quietistische Ergebung sind.
So gewiss der sich zum Christentum Bekehrende glaubt, dass es ein Himmelreich gibt, das dem irdischen Dasein wie spirituelles Sein dem materiellen Nichts enthoben ist, und so gewiss dieser Glaube Hand in Hand geht mit abgründiger Verzweiflung über das irdische Dasein und die conditio humana, die es gewährt oder vielmehr zerstört, so gewiss richtet sich nun alles Tun und Treiben des Bekehrten auf eben jenes Himmelreich und hat er nichts mehr im Sinn, als dem zum materiellen Nichts erklärten irdischen Dasein den Rücken zu kehren und in das als wahrer Hort und neue Heimat erkannte spirituelle Sein hinüberzuwechseln. Und so gewiss er es ernst meint mit der ontologischen Differenz, der absoluten Verschiedenheit zwischen dort dem die Wirklichkeit ewig seienden göttlichen Sein und hier dem als Widerschein der Wirklichkeit flüchtig scheinenden weltlichen Nichts, so gewiss weiß er, dass der Wechsel von hier nach dort nicht in seiner Macht steht, dass die Wandlung des kreatürlich-materiellen Scheins ins wesentlich-spirituelle Sein seine, der Kreatur, Kräfte unendlich übersteigt, und verbringt deshalb sein Leben im ebenso emotional erregten wie intellektuell geduldigen Warten auf den Augenblick seiner wundersamen Errettung, darauf also, dass der vom Himmel gesandte Retter herabsteige und ihm demonstrativ den Weg zum Heil weise oder ihm vielmehr aktiv als Mittel zum Heil diene.
Sein weltflüchtiges Mönchstum und seine gottergebene Heilssucht ersticken all sein Interesse am Dasein, verschlagen ihm alle irdische Geschäftigkeit und lassen, dieweil er ebenso inbrünstig wie geduldig auf seinen Retter wartet, ebenso trostbedürftig wie getrost des Parakleten harrt, nurmehr Raum für eine einzige weltliche Okkupation – die kommunikationsfreudige Beschäftigung mit dem, was kommen wird, die Verkündigung der frohen Botschaft der bevorstehenden Errettung, das Bemühen darum, auch die Artgenossen der Heilsperspektive inne und teilhaftig werden zu lassen.
Dabei bedeutet natürlich der eschatologische Wartezustand, in den der Gläubige sich versetzt weiß, nicht, dass er nun ostentativ die Hände in den Schoß legt, in dieser Welt keinen Finger mehr rührt. Während er wartet – und das Warten dauert länger, als gedacht! – bleibt er ja eine irdische Kreatur mit leiblichen Bedürfnissen, die befriedigt sein wollen und die in staatlich organisierter Gestalt oder jedenfalls in Form gesellschaftlicher Arbeitsteilung, sprich, durch die Arbeit anderer sich befriedigen zu lassen, im kollabierten und in Anarchie gestürzten Imperium immer schwieriger beziehungsweise unmöglicher wird. Will der Gläubige also bis zum Tag des Heils überleben, so muss er für sich selbst sorgen, muss in eigener Person Hand anlegen und allein oder im Verein mit Gleichgesinnten den für seinen Fortbestand erforderlichen weltlichen Tätigkeiten obliegen. Er muss Land bestellen, Vieh halten, Häuser bauen, Brunnen graben, Tuch wirken, Geschirr töpfern, Eisen schmieden.
Aber was auch immer er anfängt und tut – es ist ein Tun im Wartestand, im Stande des Wartens auf ein Ereignis, das eben jenes Anfangen und Tun ein- für allemal überflüssig macht, weil es mit letzterem auch und zugleich dessen Bedingung der Möglichkeit, seinen irdischen Raum und seine historische Zeit, enden, weil es, anders gesagt, mit dem Dasein in der Welt, das anfängt und tut, auch und zugleich die Welt selbst als den Schauplatz allen Anfangens und Tuns verschwinden lässt. Mit all seiner irdischen Geschäftigkeit verfolgt der Gläubige nur den einzigen Zweck, jenen Augenblick der Wahrheit zu erreichen, in dem er die Erde verlassen und nicht nur ihre Geschäfte, sondern auch und mehr noch sie selbst als den Irrtum, der sie offenbar ist, als das erwiesenermaßen Falsche ad acta oder vielmehr ad ficta legen kann. Weit entfernt davon, dass er mit der Arbeit und Mühe, die er auf sich nimmt, um am Leben zu bleiben, irgend eine positive Absicht verbände, einer diesem Leben eigenen, seiner Kontinuität und Erhaltung oder gar seiner Förderung und Entfaltung dienlichen Strategie verpflichtet wäre, kurz, auf die Erzeugung eines das irdische Leben als solches bezweckenden Unterhalts oder Überflusses aus wäre, ist seine Arbeit vielmehr durch und durch negativ bestimmt, von ihrer eigenen Nichtigkeit durchdrungen und dient einzig und allein dem Ziel, jenen biographischen Fluchtpunkt zu erreichen, an dem sich ihr Behuf und Inhalt, das Am-zeitlichen-Leben-bleiben, als entbehrlich, weil ins ewige Leben überführt und gewandelt herausstellt oder vielmehr zurücknimmt.
Wie sollte wohl eine so in sich negative, so für sich genommen zwecklose irdische Geschäftigkeit in den Dienst eines nach altorientalisch-territorialherrschaftlichem Muster erneut in Angriff genommenen sozialen Aufbauvorhabens und Staatengründungsprojekts zu stellen sein? Wie sollte ein Leben, das in seiner ganzen Praxis dem Warten auf ein toto coelo anderes und in seiner ontologischen Differenz ersteres ex post für nichts erklärendes, sprich, a priori revozierendes Leben dient, als Basis für die neuerliche Einrichtung einer auf die Schaffung irdischen Reichtums und Überflusses und die Begründung weltlicher Macht und Herrlichkeit vereidigten territorialherrschaftlich-fronwirtschaftlichen Gesellschaft herhalten können? Damit dies irgend möglich würde und wenigstens prinzipielle Denkbarkeit gewänne, müsste tatsächlich auflösbar und trennbar sein, was wir gerade erst als untrennbaren, weil ein quasilogisches unmittelbares Konsequenzverhältnis bildenden Zusammenhang konstatiert und gegen alle Vorstellung von einer naiven Gläubigkeit ohne lebensverändernde Implikationen geltend gemacht haben – die Einheit zwischen theoretischem Bekenntnis und praktischem Gelöbnis, zwischen Erwartung des Heils und der Erwartung gemäßer Lebensführung.
Es müsste möglich sein, theoretisch oder dogmatisch die irdische Immanenz für Mummenschanz, für schieren Schein zu erkennen und sich der transzendenten Wirklichkeit des wahren Seins, dem Himmelreich zu verschreiben, ohne doch aber praktisch oder kultisch daraus die einzig verbindliche Konsequenz zu ziehen und das ganze irdische Tun und Treiben auf den dogmatischen Fluchtpunkt des himmlischen Heils auszurichten, sprich, sich in Armut, Ehelosigkeit und asketischer Entsagung zu üben, die Nachfolge Christi anzutreten. Es müsste – die Sache umgekehrt betrachtet und von der irdischen Etablierungsabsicht her gefasst! – möglich sein, ein anderes als das der Heilserwartung einzig gemäße weltflüchtige Leben zu führen und sich den irdischen Geschäften als einem positiven Prospekt, einem okkupierenden Vorhaben zuzuwenden, ohne die Aussicht aufs himmlische Heil zu verspielen, ohne preiszugeben, was nach dem biographischen Zeugnis des als Gottessohn paradigmatischen Menschen, des heilbringenden Messias, mit solch positiver Geschäftigkeit, solch nicht als Weg zum Heil definiertem, sondern als eigenständiger Zweck sich entfaltendem Leben offenbar unvereinbar ist. Kann es diese Möglichkeit, den durch die Vita des Heilsbringers dekretierten Zusammenhang zwischen Vorhaben und Nachfolge, Heilserwartung und erwartungsgemäßem Leben aufzulösen, aber wohl geben, wenn doch allein schon der Versuch, sie zu artikulieren, uns unwillkürlich noch einmal zur Bekräftigung der Unvereinbarkeit der Heilsperspektive mit jedem nicht in ihr sich erschöpfenden und vielmehr irdisch zentrierten Prospekt provoziert?
Zwar ist die Bereitschaft und sogar die Neigung, jene quasilogische Einheit von Heilserwartung und heiligem Leben, exspectatio salutis und imitiatio Christi, nicht für unverbrüchlich gegeben zu erachten, sondern, wenn möglich, die freudig angenommene Heilsperspektive mit dem Prospekt eines bis zum Eintritt ins himmlische Sein ernst und als eigene Aufgabe eifrig in Angriff genommenen Daseins auf Erden zu verbinden, bei den Okkupanten des aufgelassenen Imperiums durchaus vorhanden. Schließlich entstammen sie ja nicht dem imperialen Verfallsprozess, sind nicht im Bannkreis der agonal-fatalen Schicksalsfuge des in Konkurs gehenden Imperiums aufgewachsen und heimisch, haben nicht jene anhaltenden beziehungsweise wiederkehrenden Verwüstungs- und Zerstörungsorgien erlebt, die die Betroffenen in eine Situation völliger Ausweg- und Aussichtslosigkeit versetzen und demzufolge in Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, in abgrundtiefe Depression und unheilbare Resignation stürzen mussten. Aus ebenso kargen wie primitiven Stammesverhältnissen hervor- und durch ebenso entbehrungsreiche wie gefahrvolle Wanderungen hindurchgegangen, sind diese Neuankömmlinge bei der Ankunft in den Gebieten des zerfallenen Reichs von aller Desillusionierung und Verzweiflung, allem Lebensüberdruss und Weltschmerz weit entfernt und vielmehr erfüllt von Neugier und Faszination, begierig darauf, die fremde Zivilisation, die ihnen, wie sehr auch ruiniert und in Bruchstücken, entgegentritt, kennen zu lernen und sich anzueignen, beziehungsweise die kulturellen Errungenschaften und materiellen Annehmlichkeiten, die, in wie sehr auch rudimentärer und regressiver Form, diese Zivilisation für sie bereit hält, zu erforschen und auszukosten.
Dass sie im Paket mit den kulturellen Errungenschaften und materiellen Annehmlichkeiten der zugrunde oder jedenfalls in die Brüche gegangenen Zivilisation auch deren höchst lebendige und im Unterschied zu den übrigen zivilisatorischen Erscheinungen ganz und gar intakte Religion in Kauf nehmen und sich zu eigen machen müssen und dass diese Religion sie nun gleich wieder von den irdischen Belangen und immanenten Bezügen, denen sie ihre ungeteilte Aufmerksamkeit schenken wollen, abwendet und auf ein transzendentes Ziel, das himmlische Heil, hinlenkt, stellt dabei, für sich genommen, noch kein ernsthaftes Problem dar. Warum sollen sie nicht das irdische Leben als solches leben, es als das nichts als sich selbst bezweckende biographische Vorhaben, das es ist, realisieren, es in allen seinen kontemporären Aspekten und evolutionären Prospekten wahrnehmen, um dann anschließend und zu guter Letzt des himmlischen Heils teilhaftig zu werden, ins ewige Leben überzuwechseln. Beides, das als biographischer Entfaltungs- und Erfahrungsprozess sich realisierende irdische Leben und die als ewiges Leben firmierende Vergängnis der Vergänglichkeit und Überwindung des Todes, sind ja erstrebenswerte Güter, die die Ankömmlinge nur zu gern nebeneinander beziehungsweise eins nach dem anderen in Besitz nehmen und genießen würden.
Das Problem entsteht für sie erst dadurch, dass eins das andere ausschließt, dass die Heilsperspektive von ihnen verlangt, dem irdischen Dasein als einem Selbstzweck und Gut eigener Art zu entsagen, dass die christliche Religion sie anhält, das weltliche Leben für nichts zu erkennen und in die Schanze des alle Aufmerksamkeit der Welt auf sich ziehenden Strebens nach dem Himmelreich zu schlagen. Wollen sie das ewige Leben, so dürfen sie sich im irdischen Leben weder häuslich einrichten noch überhaupt irgend engagieren, sondern müssen ein in der Nachfolge ihres Heilsbringers stehendes heiliges Leben führen, müssen mit anderen Worten all ihre Lebenskraft daran wenden, ihr irdisches Leben so zu absolvieren und hinter sich zu bringen, dass es die Aussicht aufs Heil möglichst wenig behindert und verstellt beziehungsweise möglichst weit befördert und freigibt. Wenn sie hingegen, wie sie gern möchten, im irdischen Leben heimisch werden und sich um seiner selbst willen in ihm zu schaffen machen, verlieren sie das Heil aus dem Blick beziehungsweise verengen sich die Aussicht auf es zum unpassierbaren Nadelöhr und finden sich am Ende dem Tode verfallen statt des ewigen Lebens teilhaftig.
Dies ist ihr zum schieren Dilemma zugespitztes Problem, aus dem sie nur allzu bereit sind, sich zu befreien, falls es einen Ausweg aus ihm gibt, sprich, einen Weg, die dem Anschein nach untrennbare Verknüpfung zwischen Heilserwartung und heiligem Leben zu lösen und das darin implizierte Ausschließungsverhältnis zwischen innerweltlichem Engagement und Streben nach dem Himmelreich zu überwinden. Falls es diesen Weg, das in eigener Regie zu führende Leben auszukosten, ohne dafür des in Christus beschlossenen ewigen Lebens verlustig zu gehen, gibt, sind sie nur allzu begierig, die nach dem Untergang des Römischen Imperiums entstandene historische Situation zu nutzen und situationsgemäß in die Fußstapfen ihrer orientalischen Vorgänger zu treten, sprich, die aus landsässigen Unterworfenen und landnehmenden Eroberern, aus bäuerlich-handwerklicher Unterschicht und kriegerisch-streitbarer Oberschicht zusammengesetzten stratifizierten Gesellschaften der ersten Zivilisationen, Territorialherrschaften alten Musters, wieder zum Leben zu erwecken und neu einzurichten.
Kann ihnen diese Bereitschaft, die Welt in festen Besitz zu nehmen, dieser Eifer, sich auf Erden breit zu machen, aber eigentlich viel nützen? Stehen sie nicht, selbst wenn das dogmatisch-kultische Problem der Untrennbarkeit von Heilserwartung und heiligem Leben sich für sie als lösbar erweist, vor dem weiteren, politisch-praktischen Problem, dass sie, so unverblümt irdisch, so lebenslustig sie, die prospektiven Herren der neuen Gesellschaften, auch immer sein mögen, es bei den unterworfenen heimischen Bevölkerungen, den prospektiven Untertanen, doch aber mit Menschen zu tun haben, denen das Imperium alle Lebenslust ausgetrieben hat und die im Gegenteil erfüllt sind vom Verlangen, dem irdischen Dasein den Rücken zu kehren? Wie soll sich mit Populationen, denen die agonale Zerstörungsorgie des in die Brüche gehenden Imperiums alles irdische Begehren, allen Lebensmut ausgetrieben hat und denen deshalb das ihnen von der neuen Religion, der christlichen Heilslehre, zur Auflage gemachte heilige Leben, das in heilssüchtiger Selbstzurücknahme, in frommer Entsagung verbrachte Leben in der Nachfolge des Heilsbringers, ein Leben im Wartestand, ganz und gar zupass kommt und als vollkommene Erfüllung ihrer zunichte gemachten Erwartungen ans irdische Dasein gilt – wie soll sich mit solchen Populationen eine organisierte Gesellschaft, egal ob territorialherrschaftlichen oder anderen Zuschnitts, aufbauen, ein wie auch immer beschaffener funktionierender Staat machen lassen?
Indes, dem hier beschworenen Bild von Menschen, die sich in heller Verzweiflung an der Welt nichts Sehnlicheres wünschen, als ihr den Rücken kehren zu können, und die das irdische Dasein deshalb nurmehr als ein Mittel interessiert, es möglichst rasch und im Sinne ihrer Heilserwartung hinter sich zu bringen – diesem Bild vom Menschen als einem ebenso passionierten Weltflüchtigen wie enragierten Heilssucher werden die vom Imperium zurückgelassenen, in den Provinzen heimischen Bevölkerungen zu dem Zeitpunkt, da die Erobererstämme sie unterworfen haben und sich anschicken, sie für ihre Staatsgründungsabsichten, ihre territorialherrschaftliche Etablierung in Dienst zu nehmen, gar nicht mehr sonderlich gerecht. Zu dem Zeitpunkt ist das Reich ja schon längst Vergangenheit, ist als die ebenso aggressive Militärmaschine wie oppressive bürokratische Apparatur, zu der es sich entfaltet hatte, längst passé, und geblieben sind nichts als die Trümmer und Ruinen des großen Gebäudes, der imperialen Konstruktion. Zwischen diesen Trümmern und in diesen Ruinen aber haben sich die Überlebenden, die Bürger des Imperiums, soweit sie von der agonalen Selbstzerstörung des Staatsapparats verschont geblieben sind, mehr schlecht als recht eingerichtet, hier führen sie in kleinen versprengten und isolierten Gruppen und Gemeinden ihren durch den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung und durch allgemeine Gesetzlosigkeit, durch das Fehlen kommunaler Versorgung und das Ausbleiben staatlichen Nachschubs, durch den Verfall des Wegenetzes und Verkehrssystems, durch das Versäumnis infrastruktureller Erhaltungsmaßnahmen und das Vordringen der Natur, durch Versumpfung, Verkarstung, Verwilderung massiv erschwerten Kampf ums Dasein, suchen sich gegen die übermächtige Natur, gegen die Unbilden des Klimas und katastrophische Ausbrüche der Naturkräfte, gegen Hungersnöte und Epidemien, gegen wilde Tiere, gegen marodierende Banden und neidische Nachbarn zu behaupten.
Der Überlebenskampf aber flößt ihnen wieder Lebensmut ein, weckt in ihnen in dem Maße, wie er all ihre Kräfte in Anspruch nimmt, sie im Kampf gegen äußere Widrigkeiten und Feinde ebenso unzweideutig wie restlos anspannt, erneut den Sinn für die Selbsterhaltung als Selbstzweck, für das irdische Leben als für eine Stellung, die zu behaupten sich schlicht deshalb lohnt, weil sie den Lohn in sich trägt, weil sie mit den Freuden und Leiden, den Genüssen und Bitterkeiten, den Erfolgen und Fehlschlägen, die sie gewährt und verhängt, das, worum es im Grunde geht, der wesentliche Gewinn, die Sache selbst bereits ist. Was die Menschen als Bürger des Imperiums in Verzweiflung stürzte, was sie hoffnungslos mit dem irdischen Dasein zerfallen ließ, waren ja nicht die Herausforderungen und Härten ihres Daseins, waren nicht Not und Elend per se, Entbehrungen und Versagungen als solche, sondern war der intentionale Widerspruch, in dessen Bannkreis sie ihr bürgerliches Leben führen, die soziale Selbstvereitelung, in deren Gewahrsam sie ihr Untertanendasein fristen mussten, war dies, dass es der eigene gesellschaftliche Organismus, ihr repräsentativer staatlicher Apparat war, der sie gleichzeitig seinen Zwecken dienstbar machte und an der Erfüllung jener Zwecke hinderte, der sie uno actu in Gang setzte und auflaufen ließ, der ihnen den Weg wies, nur um ihnen diesen Weg gleich wieder zu verlegen, und der sie so in ein Elend stürzte, das sie eigentlich nur sich selbst, ihrem sozialen System zurechnen konnten, sie Entbehrungen aussetzte, die als Resultat nicht äußerer, objektiv-konditioneller Verhältnisse, sondern eigenen, kollektiv-konstitutionellen Verhaltens erschienen, so dass sich am Ende ihre Fron und Arbeit aus einem für den Sinn des Daseins zu zahlenden Preis in eine für den Widersinn des Daseins zu erduldende Strafe, ihre Not und Armut aus dem Vorweis eines ihnen das Leben schwer machenden Schicksals ins Merkmal eines sich selbst sein Verhängnis wirkenden Lebens verkehrt zeigte.
Diese im Staatsapparat und seinem Walten Gestalt gewordene innere Widersprüchlichkeit und konstitutionelle Absurdität ihres sozialen Daseins und politischen Lebens, die sie in den Wahnsinn trieb und schließlich abgrundtiefer Verzweiflung und unheilbarer Depression auslieferte – sie zeigt sich nun, da das Imperium das Zeitliche gesegnet hat oder besser gesagt dem Fluch der Zeit erlegen und mit Schaden abgegangen ist, von ihnen genommen, und befreit von der erdrückenden Last eines unlebbaren Lebens, atmen sie auf und erleben die Welt, eine feindliche Welt voller Widrigkeiten und Gefahren, aber auch freundliche Welt voller Glücksmomente und Verheißungen, neu, fühlen sich wie von schwerer Krankheit Genesende, noch unsicher auf den Beinen und des Fortgangs ungewiss, aber doch sicher, dass der Fortgang sich lohnt, dass es gut ist, auf der Welt zu sein, dass da zu sein allemal besser ist, als nicht mehr da zu sein, dass sich, wie es der von inneren Ambivalenzen und Widersprüchen unbeleckte unzynisch-animalische Wahrspruch der Bremer Stadtmusikanten will, etwas Besseres als der Tod überall findet.
Was die imperiale Krankheit den Genesenden, die agonale Depression den wieder Lebensmut Schöpfenden hinterlassen hat, ist die christliche Religion mit ihrer Heilsverheißung, ihrer in Christus eröffneten Aussicht auf ein dem irdischen Dasein folgendes ewiges Leben, ein Himmelreich, das nach dem Abschied von der Erscheinungswelt ihrer harrt. Nicht, dass sie die Aussicht nicht zu schätzen wissen! Nicht, dass ihnen ihr Heil nicht am Herzen liegt, nicht so viel bedeutet, dass sie sich ein Leben ohne es gar nicht mehr vorzustellen vermögen! Aber für den himmlischen Lohn das irdische Leben zum Opfer zu bringen, der Welt den Laufpass zu geben und die Nachfolge Christi anzutreten, das diesseitige Dasein als rein transitorische und entsprechend kursorisch zu gestaltende Etappe, als Durchgangsstation auf dem Weg zum jenseitigen Sein nicht bloß theoretisch aufzufassen, sondern mehr noch praktisch anzugehen, kurz, für den Gewinn des ewigen Lebens den Preis eines in Armut, Ehelosigkeit und asketischer Entsagung verbrachten heiligen Lebens zu zahlen – dies fällt ihnen mittlerweile schwer. Diese von ihnen beziehungsweise ihren Vorfahren ursprünglich gezogene Konsequenz, die sowohl das Beispiel ihres messianischen Paradigmas als auch die Logik der durch die Heilsperspektive dem irdischen Dasein attestierten Flüchtigkeit und vielmehr Nichtigkeit als einzig sinnvolle Konsequenz ausweist, will ihnen nicht mehr recht passen.
Solange die Lebensverhältnisse so sind, wie sie in der agonalen Spätzeit des Imperiums sind, solange Krieg und Tod an der Tagesordnung sind, die Provinzen von periodischen Verwüstungen heimgesucht, von heillosen Zerstörungen überzogen werden, fällt es vergleichsweise leicht, jene Konsequenz anzuerkennen und ihr zu entsprechen. Ein offenkundig unlebbares Leben in die Schanze der Nachfolge Christi zu schlagen, ein empirisch sinn- und haltloses Dasein der Heilsperspektive, dem Streben nach dem Himmelreich zum Opfer zu bringen, ist kaum ein Opfer zu nennen. Was ihnen nichts weiter abfordert als die Preisgabe eines de facto bereits Preisgegebenen oder durch die objektiven Umstände unhaltbar Gewordenen, können sie willfährig auf sich nehmen oder gar freudig akzeptieren.
Nun aber, da die Verhältnisse sich vergleichsweise normalisiert haben und das irdische Dasein die Fasson eines aus Lust und Leid, Gewinnen und Einbußen, Erlebnissen und Widerfahrnissen unvorhersehbar gemischten Abenteuers wiedergewonnen hat, da ihnen mit anderen Worten der Lebensmut zurückgekehrt ist, stellt sich die Forderung, dieses halbwegs normalisierte Leben an den wie sehr auch als Näglein verlockenden Nagel der Heilsperspektive zu hängen, in einem anderen Lichte dar und nimmt die Nachfolge Christi in der Tat den Charakter eines herben, schmerzlichen Opfers an. Wie die in die Provinzen eingefallenen und als Herren sich etablierenden Stammesgruppen würden auch sie, die in den Provinzen heimischen Populationen, die Untertanen des untergegangenen Imperiums, mittlerweile einer Kombination aus ausgekostetem irdischem Dasein und schließlichem Genuss des himmlischen Seins entschieden den Vorzug geben, würden auch sie nur zu gern von dem in der Erwartung des Heils sich erschöpfenden heiligen Leben Abstand nehmen, um dem menschlichen Leben zu geben, was des menschlichen Lebens ist, und sich erst dann ins ewige Leben zu schicken, wenn – in aller Paradoxie gesagt – seine Zeit gekommen ist.
Und an dieser Haltung der dem Leben zurückgegebenen Bürger und Untertanen des zugrunde gegangenen Imperiums ändert auch nichts der Umstand, dass in Gestalt eben jener eingedrungenen Stammesgruppen schon wieder jemand bereit steht, sie zu unterjochen und in die Knechtschaft zu führen. Territorialherrschaftlich-fronwirtschaftliche Existenzbedingungen als solche sind, wie die menschliche Geschichte lehrt, noch kein Grund zu verzweifeln. Sie mögen, wenn sie gar zu harte und bedrückende Formen annehmen, wenn sie jede Balance zwischen herrschaftlicher Inanspruchnahme und konzediertem Eigenleben vermissen lassen, zu Kritik und Empörung, zu kultischem Widerstand oder praktischem Aufbegehren Anlass geben; den Mut zum Dasein und die Lust zum Leben aber rauben sie nicht. Das schafft erst ein Herrschaftssystem wie das des Römischen Imperiums, das als Ausgeburt einer unheiligen Vermählung von territorialer Fron und kommerzieller Ausbeutung das eindeutig selbstsüchtige Beginnen der Herrschaft in ein widersprüchliches, die Herrschaft zum agonalen Streit mit sich selbst, zu einer selbstzerstörerischen Selbstsuche entflammendes Verfahren und – in der Konsequenz dieser Verkehrung des Kalküls realer Machtausübung in den Wahn finaler Machtergreifung – die zielstrebige Unterdrückung und Ausbeutung der Untertanen in eine sinnlose Quälerei und Misshandlung, die schwere Last der Knechtschaft und Fron in die erdrückende Bürde einer verderblichen Heimsuchung und tödlichen Plage ausarten lässt.
Mit einer fronwirtschaftlichen Territorialherrschaft, wie die eingewanderten Stammesgruppen sie neu etablieren, die nichts weiter will, als ihr Auskommen beziehungsweise ihr Wohlergehen auf die Arbeit anderer, als Untertanen rekrutierter Gruppen zu gründen und die den letzteren im übrigen erlaubt beziehungsweise nicht verwehrt, im Rahmen dieser herrschaftlichen Ansprüche und Forderungen einigermaßen ungestört ihr lokales Dasein zu gestalten und ein in den traditionellen Bahnen verlaufendes, halbwegs friedliches kommunales Leben zu projektieren und zu führen – mit einer solchen Herrschaft lässt sich leben, sie lässt sich ertragen. Erst die unter der Einwirkung des kommerziellen Prinzips in den aristokratisch-patrizischen Stadtstaat transformierte und durch die Hefe demokratisch-kompensatorischer Anstrengungen ins cäsarische Imperatorenregime getriebene Herrschaft verstrickt sich in den beschriebenen, an Schizophrenie gemahnenden Zweck-Mittel-Konflikt, der zur ständigen Überlagerung der in Unterdrückung und Ausbeutung bestehenden zweckvollen Vermittlung durch das in Tod und Vernichtung resultierende Streben des Mittels führt, den es erfüllenden Zweck in eigener Gestalt Wirklichkeit werden zu lassen, sprich, sich gegen sich, das Mittel selbst zu behaupten und als der unmittelbare Zweck zu etablieren – in den Konflikt also, der die Bedingungen für die agonale Selbstzerfleischung der imperialen Herrschaft und für die den Bürgern des Imperiums ihre Verankerung im Dasein zerstörenden und ihren Lebensmut raubenden jahrhundertelangen Kriege und Verwüstungen schafft und der damit den Grund für jene allgemeine Verzweiflung an der Welt und weltflüchtige Motion legt, die im Heil der christlichen Religion ihren zur letzten Hoffnung konkretisierten Fluchtpunkt gewahrt, ihr ebenso unverhofftes wie heiß ersehntes Ende herbeigekommen sieht.
Nach dem Untergang dieses der Vermählung der kommerziellen Funktion, die sich von der Territorialherrschaft emanzipiert, mit einer Territorialherrschaft, die sich in der Konsequenz solcher Emanzipation aristokratisiert, entsprungenen imperialen Wechselbalgs aber legt sich nun, wie gesagt, die Verzweiflung der der Hölle des Imperiums entronnenen Untertanen und büßt ihre weltflüchtige Motion den Impetus ein, sodass sie selbst angesichts der ihnen von den neuen Eroberern abgeforderten Unterwerfung und zugemuteten Knechtschaft alten, rein territorialherrschaftlichen Zuschnitts geneigt sind, sich auf Erden wieder am Platze, im Dasein erneut zu Hause zu fühlen, und nicht mehr einsehen, warum sie dem mit der christlichen Heilserwartung verknüpften Nachfolgegebot, dem Gebot mit anderen Worten, dem transitorischen oder vielmehr verschwindenden Charakter ihrer Existenz durch opferfreudige Entsagung und selbstverleugnende Askese Folge leisten und ihr zeitliches Leben, statt es als solches zu leben, in der abstrakten Aussicht aufs ewige Leben verbringen, ihr irdisches Dasein, statt es als eigenständiges Vorhaben zu entfalten, in der fixen Idee des himmlischen Seins untergehen lassen sollen. Nicht weniger als ihre neuen Herren möchten die dem Leben zurückgegebenen Bürger des aufgelassenen Imperiums nach Möglichkeit beides und eins nach dem andern: irdisches Wohl und himmlisches Heil, menschliche Erfahrung und göttliche Erlösung, materielle Entfaltung und spirituelle Erfüllung. Nicht weniger als ihre neuen Herren sind auch sie nur zu bereit, die enge Verknüpfung zwischen Hoffnung und Entsagung, Heilserwartung und heiligem Leben, dogmatischem Glauben an den Messias und praktischer Nachfolge Christi aufzubrechen, wenn dies ohne Verlust ihrer Heilsaussichten, ihrer Option aufs Himmelreich geschehen kann.
Es gibt eine Methode, das Streben nach dem Heil mit einem säkular erfüllten Leben erfolgreich zu verknüpfen, nämlich das Sakrament der Kommunion, das freilich ursprünglich nur als zusätzliche Absicherung des mittels imitatio Christi, mittels heiligem Leben, verfolgten Heilsweges gedacht ist und das nun aber in dem Maße, wie den vom Imperium befreiten Menschen der Lebensmut zurückkehrt, die Möglichkeit für eine zur Nachfolge Christi alternative Glaubenshaltung und Frömmigkeit eröffnet.
Die Bereitschaft zu einem laizistischen Dasein, die subjektive Disposition zu einem säkular geführten Leben, das die Aussicht aufs ewige Leben einschließt, beziehungsweise einer Aussicht aufs ewige Leben, die eine säkulare Lebensführung nicht ausschließt, ist also bei beiden, bei Eroberern und Unterworfenen, Herren und Knechten, gleichermaßen vorhanden. Was fehlt, ist die Gelegenheit dazu, die objektive Kondition, die es erlaubte, Heilserwartung und heiliges Leben voneinander zu trennen und erstere einem nicht in ihr sich erschöpfenden, nicht jeder eigenen Bestimmtheit baren, nicht im abstrakten Wartezustand verbrachten Leben zu vindizieren. Tatsächlich aber fehlt jene objektive Kondition ja gar nicht, sondern liegt paradoxerweise, wie an früherer Stelle gezeigt, im Grunde eben des heiligen Lebens, das sie durch seine Vordringlichkeit und Unabdingbarkeit auszuschließen scheint, parat. Und zwar liegt sie dort, um die Paradoxie komplett zu machen, in der Konsequenz des heißen Bemühens parat, den Zusammenhang zwischen heiligem Leben und Gewinn des Heils so eng zu knüpfen, dass garantiert nichts schief gehen kann und sich das eine aus dem anderen quasi im Kausalnexus ergibt.
Wie gezeigt, ist es die systematisch ebenso große wie biographisch kleine Ungewissheit, ob die imitatio dei, ein in der Nachfolge des Erdenwandels des Messias inklusive seines Martyriums verbrachtes Leben genügt, um den Weg zum Heil vollständig zurückzulegen, sprich, sich zu guter Letzt im Besitz des vom Messias ins menschliche Dasein eingebrachten, aber im Augenblick seiner Verklärung und Entrückung leider auch wieder mitgenommenen Heilsmittels, des die Verwandlung, den Wechsel aus der irdischen Sphäre ins Himmelreich, den Übergang aus Schein in Sein gleichermaßen bewirkenden und bedeutenden Pneuma wiederzufinden – wie gezeigt, ist es diese Ungewissheit, die den Gläubigen das dringende Bedürfnis nach einer anderen, zusätzlichen Methode zur Erlangung des Heilsmittels einflößt. Als diese Methode aber erweist sich ihnen die Wiederholung des Passahmahls, das vor seinem Kreuzestod der Messias mit ihnen gefeiert hat, ein wohlverstanden sakramentaler Akt, in dessen Vollzug der verklärte und entrückte Messias, der vom Kreuzestod auferstandene und zum Himmel aufgefahrene Christus sein ihnen beim gemeinsamen Mahl gegebenes Versprechen einlöst und die durch seine Verklärung, seine Spiritualisierung gewonnene Freiheit, sich nach Gutdünken zu materialisieren, in jeder beliebigen Gestalt zu erscheinen, nutzt, um in das Brot und den Wein des wiederholten Mahles zu fahren und auf diesem Wege sich beziehungsweise das in ihm verkörperte, besser gesagt, das in seinem verklärten Leib bestehende Heilsmittel oder Pneuma ihnen einzuverleiben und mitzuteilen, kurz, zu kommunizieren.
Mit dieser als Abendmahls-Sakrament oder Kommunion firmierenden einfachen Wiederholung des Ostermahls haben die Gläubigen in der Tat jegliche Ungewissheit beseitigt und eine buchstäblich todsichere Methode entdeckt, in den Besitz des Pneuma, des Schein zum Sein, Kreatürlichkeit zur Göttlichkeit aufhebenden Heilsmittels zu gelangen. Mussten sie vorher darauf bauen, sprich, mit durch gläubiges Vertrauen gefestigter Zuversicht darauf spekulieren, dass der zum Himmel aufgefahrene Messias in der Stunde ihres Todes, im Augenblick ihrer Agonie, ihres Martyriums, zurückkehrt, um ihnen gnädig beizuspringen und sie vor dem Tode zu erretten, will heißen, ihnen das für die Überwindung der ontologischen Kluft nötige Vehikel zur Verfügung zu stellen, ihnen das zur Transfiguration, zur Verwandlung von Schein in Sein erforderliche Heilsmittel, das Pneuma, mitzuteilen, so können sie nun dank des Akts der Kommunion schon zu Lebzeiten sicher sein, im Augenblick ihres Verscheidens jene absolute Verschiedenheit, jene ontologische Kluft zu überwinden, weil sie ja das dazu nötige Vehikel bereits in sich bergen, das erforderliche Heilsmittel sich bereits angeeignet haben, können sie sich also je schon als Träger des verklärten Leibes und spiritualisierten Blutes ihres Erlösers, als Gefäße seines Pneuma, des Heils teilhaftig und vor dem Tode bewahrt wissen. Sie können wohlgemut in den Fußstapfen ihres Heilands durchs Leben wandeln, können getrost dem die Nachfolge krönenden Martyrium entgegensehen, der ihre Hagiographie vollendenden Passion entgegengehen, denn so gewiss sie im Besitze des Heilsmittels sind, so gewiss folgt auf die Nachfolge die Verklärung und Entrückung, wartet am Ende ihres in der Todesqual kulminierenden Erdenwandels auf sie das Himmelreich, das ewige Leben.
So groß aber ist tatsächlich die Heilsgewissheit, die den Gläubigen dieser vorauseilende und jederzeit im Leben zu vollziehende Akt des Heilsmittelerwerbs verschafft, so vollständig die Sicherheit, die ihnen diese sakramentale Handlung hinsichtlich ihres schließlichen Einzugs ins Himmelreich gewährt, dass es, wenn man so will, jener anderen, als Voraussetzung für die Erlangung des Heils angenommenen Verhaltensweisen und Leistungen, der Nachfolge des Herrn in genere und der Erduldung seines Martyriums in specie, gar nicht mehr unbedingt bedarf! Schließlich sind durch den Kommunionsakt die Gläubigen ja in den Besitz der für die Transfiguration, die – um es paradox auszudrücken – Seinswerdung entscheidenden Kondition, eben des göttlichen Pneuma, gelangt, und angesichts dieses fait accompli verliert, wie die Gläubigen ihren Erdenwandel gestalten und welcher Todesart sie am Ende erliegen, ebenso grundlegend wie offensichtlich an Bedeutung. Auch wenn sie nicht in den Fußstapfen ihres göttlichen Herrn durchs Leben wandeln und auch wenn sie versäumen, das die Nachfolge krönende Martyrium zu erdulden – sie bringen ja dank des göttlichen Gnadenakts der Kommunion, dank des erlösenden Sakraments je schon und allemal mit, was sie brauchen, um am Ende eines anders verbrachten Lebens und ohne Passion absolvierten Sterbens die ontologische Kluft zu überwinden und die Transfiguration, den Sprung ins Himmelreich zu gewährleisten.
Eigentlich nur erfunden, um den Heilsweg sicher zu machen, nur ersonnen, um dem heiligen Leben den Gewinn des Heils zu garantieren, den Erfolg quasi in den Schoß fallen zu lassen, erweist sich jene zusätzliche oder parallele Methode zur Erlangung des Heils, die Kommunion, als so ausgeklügelt, so perfekt, dass sie sich vielmehr als Alternative zum traditionellen Heilsweg der Nachfolge Christi suggeriert, dass sie im Prinzip das Zeug dazu hat, das heilige Leben, die imitatio dei, außer Kraft zu setzen und in der Rolle der via regia zum Heil kurzerhand abzulösen. Statt einer in Entsagung und Askese, Armut und Demut, sexueller Enthaltung und Nächstenliebe absolvierten biographischen Ochsentour, eines streng am Wandel des Messias als dem Paradigma fürs eigene Leben orientierten langen und in Schande und Todesqual endenden Marsches durch die Gründe und Abgründe, die Irrungen und Wirrungen, die Herausforderungen und Verführungen des irdischen Daseins, braucht es im Prinzip nichts weiter, als das vom Messias im Effekt seiner Menschwerdung präparierte Heilsmittel gläubig entgegenzunehmen, die alles heil machende Arzenei, die er durch sein Leben und seinen Tod zubereitet hat, frommen Sinnes einzunehmen, um des Heils mit Sicherheit teilhaftig zu sein, um gewiss sein zu können, dass am Ende eines wie sehr auch mit irdischen Belangen und in profaner Geschäftigkeit zugebrachten Lebens das Himmelreich den aus dem Leben Scheidenden erwartet und aufnimmt.
Das den rechten Geist für den Vollzug des Kommunionsakts charakterisierende Attribut freilich, dessen Bedeutung die Tatsache unterstreicht, dass es zugleich als Gattungsname, als Substantiv für die Bezeichnung der Betroffenen selbst dient – dies also, dass die Gläubigen, so wahr sie Gläubige sind, die heil machende Arznei gläubig, frommen Sinnes einnehmen müssen – dies nun sorgt dafür, dass jene Außerkraftsetzung des heiligen Lebens durch das, was eigentlich nur seiner Bekräftigung und der endgültigen Sicherung seines Erfolgs dienen soll, jene durch den Kommunionsakt möglich werdende Abtrennung und Emanzipation der Heilserwartung von der Verpflichtung zur Nachfolge Christi, erst einmal übers Prinzip, über die abstrakte Möglichkeit nicht hinausgelangt, dass sie erst einmal eine im Grunde des traditionellen Heilsprozesses, der sich die neue, sakramentale Heilstechnik mühelos eingliedert und zur Bestätigung dienen lässt, latente Potenz und schlummernde Option bleibt.
Schließlich bedeutet ja, wie die vom Sprachgebrauch getroffene Unterscheidung zwischen profanem "etwas glauben" oder "jemandem glauben" und religiösem "an etwas glauben" oder "an jemanden glauben" festhält, in diesem Falle religiöser Zuwendung gläubig oder frommen Sinnes sein nicht einfach nur theoretische Empfänglichkeit für eine Information, sondern die praktische Bereitschaft, sich mit dem Informanten zu identifizieren, nicht einfach nur, dass man eine Botschaft annimmt, sondern dass man den, der sie bringt, aufnimmt, bedeutet, konkreter gesagt, dass man nicht einfach nur die Lehre des Messias für wahr hält, sondern mehr noch dessen Leben als Teil dieser Wahrheit, letztere als in ersterem ihre Wirklichkeit habend erkennt, dass man die messianische Existenz, den Träger der Heilsbotschaft als integrierendes Moment, als wie man will existenziellen oder essenziellen Bestandteil der salvatorischen Essenz, der Heilsbotschaft selbst begreift und eben deshalb der Existenz essenzielle Bedeutung attestiert, dem Leben Lehrqualität zuschreibt. Wie könnte das auch anders sein, da ja der Messias nicht nur als Gesandter Gottes Träger der Heilsbotschaft, sondern als Gottessohn mehr noch Bringer des Heils ist, da er ja nicht nur missionarisch den Weg zum Heil weist, sondern diesen Weg persönlich verkörpert, nicht nur ein den Menschen die Lehre vom nahe herbeigekommenen Himmelreich verkündender und als theoretischen Prospekt vor Augen stellender Interpret, sondern der durch sein Leben, seine eigene Existenz diese Lehre für die Menschen Aktualität gewinnen lassende und zum praktischen Programm erhebende Mittler ist.
Solange nun aber dieses die messianische Lehre realisierende Leben des Messias, diese seine heilbringende Existenz eine so genaue Antwort auf die Probleme scheint, mit denen sich die Gläubigen in ihrem Dasein konfrontiert finden, auf die barbarischen Verheerungen und zivilisatorischen Zerstörungen, unter denen sie alltäglich leiden, solange die Entsagung, die er übt, die Askese, der er frönt, die Barmherzigkeit, die er beweist, die Armut und sexuelle Enthaltung, die er praktiziert, exakt die passenden Reaktionen auf die ständigen Frustrationen scheinen, denen sie sich ausgesetzt sehen, die Völlerei, in der andere auf ihre Kosten schwelgen, den Mord und Totschlag, der allenthalben herrscht, die Vereitelung jeglicher auf den Erwerb von Gütern und die Aufzucht von Nachkommen gerichteten Lebensplanung, die sie immer wieder schicksalhaft ereilt – solange dieser als Reaktionsbildung schlagende Zusammenhang zwischen ihrer eigenen Lebenserfahrung und der Lebensführung des Messias besteht, was liegt da wohl näher für die Gläubigen, als seinen Umgang mit dem Dasein für das einzig Richtige zu halten, und was könnte sie da wohl davon abbringen, in seiner Nachfolge, der Imitation seiner Art, zu leben, die praktische Umsetzung seiner Heilslehre, die via regia heraus aus dem vergänglichen Schein des irdischen Jammertals und hinein ins ewige Sein des Himmelreichs zu erkennen?
Und an dieser richtungweisenden und die praktische Ausgestaltung der Heilsperspektive unabweislich vorgebenden Entsprechung zwischen der Lebenserfahrung der Gläubigen, ihrer Not und ihrem Elend, und der Lebensführung des Messias, seiner Antwort auf die Not und das Elend, ändert nicht das Geringste die qua Kommunionsakt erwirkte vorzeitige Requisition des Heilsmittels, deren Funktion und Bedeutung sich deshalb auch auf die Vorsorge für einen erfolgreichen Abschluss der imitatio dei beschränkt und nämlich darin erschöpft sicherzustellen, dass am Ende des Heilsweges, im Augenblick der ihn krönenden Todesqual, das für die Verklärung und Entrückung, für den Sprung ins ewige Leben nötige Elixier, der zum Heilsmittel verklärte Leib des Herrn, auch wirklich zur Verfügung steht. Angesichts der trostlosen Lebensumstände, die in der Spätzeit des Imperiums herrschen, bleibt die Nachfolge Christi, die Imitation des vom Messias als Paradigma, als vorbildlichem Lehrer absolvierten und als konsequente Reaktion auf jene trostlose conditio humana klar verständlichen Lebenslaufes, der maßgebende Weg zum Heil und kann die sakramentale Übertragung des Heilsmittels, die vom Messias als dem Erlöser zusätzlich erbrachte salvatorische Leistung unmöglich mehr sein als eine Bekräftigung der im heiligen Leben ihren authentischen Ausdruck findenden Hoffnung aufs Heil, eine der Nachfolge Christi den letzten Schliff gebende Garantie.
In dem Maße freilich, wie das Imperium im Treibsand seiner eigenen Geschichte versinkt, wie die unabsehbaren Leiden und ungeheuren Schrecken, die es über die Welt gebracht hat, verblassen und seine einstigen Bürger, die mittlerweile der christlichen Heilsbotschaft Anhängenden, sprich, Gläubigen unter dem Eindruck ebenso sehr politisch-sozial normalisierter wie ökonomisch-real regredierter Verhältnisse den Lebensmut zurückgewinnen und das irdische Dasein als ein ebenso gesellschaftlich planvoll anzugehendes wie mit natürlichen Widrigkeiten aufwartendes Projekt, ein ebenso mit Lustprämien winkendes wie zum Überlebenskampf zwingendes Unternehmen betrachten können – in dem Maße, wie dies geschieht, verliert die unmittelbare Entsprechung zwischen Lebensnot und Weltflucht, die reaktive Korrespondenz zwischen imperialer Verfolgung und Nachfolge Christi, cäsarischer Zerstörung und messianischer Entsagung ihre unwiderstehliche Evidenz und klappmechanische Verbindlichkeit und eröffnet damit die Möglichkeit zu einer anderen Einstellung gegenüber dem Heilsbringer und seinem Tun und Vollbringen, einer neuen Glaubenshaltung, die au fonds des sakramentalen Verhältnisses des Kommunionsakts verborgen liegt, in der praktischen Konsequenz dessen, was er kultisch leistet, potenziell angelegt ist und in der Tat nicht zwangsläufig das heilige Leben als einzig denkbare Antwort auf die Heilsbotschaft postuliert, die vielmehr, wenn man so will, jene biographische Nachfolge in der Bedeutung einer unabdingbaren Heilsvoraussetzung suspendiert und so überhaupt erst für den Gläubigen ein profanes Eigenleben ohne automatische Einbuße seiner Heilsaussichten vorstellbar werden lässt.
Nicht etwa, dass diese neue Glaubenshaltung, diese andere Frömmigkeit in der oben explizierten Bedeutung weniger praktisch-identifikatorisch und stärker auf bloß theoretische Rezeptivität beschränkt wäre als die qua imitatio dei bis dahin eingenommene und geübte, nicht, dass sie im Unterschied zu letzterer Lehre und Leben, verbale Essenz und reale Existenz voneinander trennte und sich damit beschiede, im Messias nur mehr den Verkünder des Heils, statt mehr noch den Heilsbringer, bloß den, der durch seine Worte den Weg zum Heil weist, statt vielmehr den, der durch sein Wirken der Weg zum Heil ist, wahrzunehmen. So gewiss auch und gerade der durch das Kommunionsereignis inspirierte neue Glaube und veränderte fromme Sinn religiös ist, das heißt, den Gläubigen nicht einfach nur dazu verhält, die Botschaft anzunehmen, sie sich transitiv zu eigen zu machen, sondern ihn gleichzeitig dazu bewegt, kraft identifikatorischer Aufnahme dessen, der sie bringt, sich in der Botschaft zu verlieren, reflexiv ein anderer zu werden, so gewiss ist auch dieser neue Glaube kein bloßes Für-wahr-halten einer vom Interpreten Gottes geoffenbarten Wirklichkeit, sondern Teilhabe an einer im göttlichen Mittler Wirklichkeit gewordenen Offenbarung.
Nur dass der Mittler, der die Wahrheit in seiner Gestalt wirklich werden lassende Heilsbringer, im Kriterium seiner sakramentalen Wiederkehr im Kommunionsereignis eine funktionell andere Bedeutung gewinnt, als er sie aus Sicht seines als normaler Erdenwandel begriffenen Lebenslaufs und Kreuzestodes hat, und nämlich nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr primär als Vorbild figuriert, sprich, als der messianische Held, der in genere seines paradigmatischen Lebenslaufs zur biographischen Nachfolge auffordert, sondern als der Erlöser firmiert, sprich, als das stellvertretende Opfer, das in specie seines änigmatischen Kreuzestodes zur eucharistischen Teilhabe einlädt. Nach Maßgabe seiner sakramentalen Rolle im Kommunionsakt ist er mit anderen Worten nicht mehr primär auf die Erde gekommen, um durch sein im Martyrium gipfelndes Leben den Weg zum Heil demonstrativ zu durchlaufen und durch solchen Demonstrations- oder Probelauf den Menschen zu weisen, sondern um durch sein das Leben krönendes Martyrium das Mittel zum Heil zuzubereiten und es anschließend, nach seiner Auferstehung, den Menschen monstrativ, will heißen, nicht etwa als Demonstrationsobjekt, als Probe aufs Exempel einer möglichen Erlösung, sondern als den fix und fertigen Wirkstoff, die erlösende Sache selbst zukommen zu lassen.
Sein Menschsein hat, noch einmal anders gesagt, nicht mehr sowohl den Sinn, den Menschen etwas beispielhaft vorzuführen beziehungsweise vorzumachen, was sie dann um ihrer Seele Heil willen ihrerseits praktizieren, nachmachen können und müssen, sondern dient primär dem Zweck, stellvertretend etwas zu vollbringen, für sie, die Menschen, etwas ins Werk zu setzen, was das Zeug dazu hat, ihnen im Gegenteil die Arbeit und Mühe des Nachmachens zu ersparen, weil es ihnen mit der absoluten Sicherheit und Zuverlässigkeit, die einem von Gott persönlich gegebenen Versprechen innewohnt, je schon und im Voraus das verschafft, was sie sonst nur ebenso blind wie zuversichtlich und ebenso ungewiss wie gläubig hoffen können, in der letzten Konsequenz getreulichen Nachmachens, am bittersüßen Ende einer lebenslangen Nachfolge, einer leidensvollen Hagiographie zu erlangen.
Diese andere Bedeutung und neue Funktion des Lebens und Sterbens des Messias, er in der Rolle nicht mehr sowohl des vorbildlichen Akteurs, des als Heilsbringer agierenden Anführers, sondern des stellvertretenden Opfers, des als Heilsmittel firmierenden Erlösers, tritt nun also in das Blickfeld der Gläubigen und sagt ihnen in dem Maß, wie ihnen der Lebensmut, die Lust zum irdischen Dasein zurückkehrt und entsprechend die imitatio dei, die Nachahmung des ebenso entsagungsvoll-asketischen wie selbstlos-bescheidenen und ambitionslos-friedfertigen Erdenwandels ihres Herrn an Attraktivität für sie verliert, immer entschiedener zu. Denn so gewiss sie ihnen die imitatio erspart, sie von der Notwendigkeit entbindet, alle ihre Kräfte und Aktivitäten auf das eine, wesentliche Vorhaben, den ihnen von dem, der ihnen vorausgegangen ist, gewiesenen und vorgezeichneten Weg zum Heil zu konzentrieren, um des Gewinns des letzteren willen ihr ganzes Dasein in die Schanze jener von ihm, der ihnen vorausgegangen ist, ebenso detailliert vorbildlich geplanten und durchgeführten entsagungsvoll-passionierten Weltflucht zu schlagen, so gewiss lässt sie ihnen damit nun den Raum und die Zeit, bis zu ihrer dank des Heilsmittels, das sie bereits intus haben, für den Todesfall garantierten Erlösung vom Tod und Erlangung des ewigen Lebens, bis zu ihrem Einzug ins Himmelreich also, auf Erden Wohnung zu nehmen, sich ad tempus oder in aller Vorläufigkeit zwar, aber pro tempore auch mit vollem Engagement im irdischen Dasein einzurichten und zu schaffen zu machen, sprich, dem entsagungsvoll heiligen Leben ihrerseits zu entsagen und dem weltlichen Leben das zu geben, was es, um als solches gelten zu können, verlangt.
Als jemand, der nicht mehr primär als ihr Vorbild prozediert, sondern stellvertretend für sie agiert, der ihnen nicht mehr primär vorführt, was sie selber gläubig zu vollbringen haben, sondern ihnen eine Leistung, die sie unmöglich aus eigenen Stücken vollbringen können, abnimmt, eine Aufgabe, die ganz und gar ihre Kräfte übersteigt, an ihrer Statt erledigt, entbindet der Messias sie in seiner Rolle als Erlöser von der aktiven Beteiligung an seinem entsagungsvollen Tun und passionierten Machen und verweist sie auf die passive Teilhabe an der Frucht seines Tuns, auf die gläubige Entgegennahme dessen, was er kraft seines mühevollen Tuns und leidvollen Machens in die Welt gesetzt hat. Bedeutet das dann aber – recht interpretiert und im Sinne ihrer wiedererwachten irdischen Lebenslust verstanden – nicht, dass der Erlöser ihnen die Möglichkeit einräumt, zum einen zwar von seinem salvatorischen Tun zu profitieren und durch es das Himmelreich zu erlangen, zum anderen aber auch dies Tun für erledigt und vollbracht anzusehen und deshalb ihr eigenes irdisches Dasein mit anderen ihm gemäßeren Aktivitäten, mit anderen daseinsaffirmativeren Werken zu verbringen? Bedeutet es nicht, dass er, während er sie einerseits durch seinen Kreuzestod am ewigen Leben teilhaben lässt, ihnen andererseits erlaubt, bis zu ihrem eigenen Tod ihr zeitliches Leben lebenswert zu gestalten, will heißen, es sich ohne permanentes memento mori, ohne ständiges Starren auf das als abstrakter Fluchtpunkt der Ewigkeit alles Zeitliche in die Pfanne hauende und im Nu verschlingende Ende zu vertreiben?
Um der als heiliges Leben erscheinenden Nachfolge Christi ihre Bedeutung für den Heilserwerb zu erhalten und letztere nicht zu einem rein sakramentalen und das säkulare Leben kultisch skandierenden Ereignis verkommen zu lassen, erheben diejenigen, die am heiligen Leben festhalten, ihre Teilnahme am Kommunionsakt zur Bedingung seiner Wirksamkeit. Um aber nicht auf diese Weise das heilige Leben zu einem rein rituellen Erfordernis des laizistischen Heilserwerbs und sich selber zu bloßen Kultdienern zu degradieren, verpflichten die Nachfolger Christi ihre säkularen Artgenossen zu einer Art abgeschwächter Version des heiligen Lebens und bedrohen sie für den Fall, das sie ihrer Pflicht nicht nachkommen, mit dem Ausschluss von der Kommunion. Außerdem unterwerfen sie die säkularen Artgenossen, um sicherzustellen, dass deren Anerkennung der prinzipiellen Wirklichkeit des heiligen Lebens sich nicht in Scheinheiligkeit erschöpft, der Kontrolle durch die Beichte und konfrontieren sie mit den Schrecken des Jüngsten Gerichts.
In der Tat schickt sich aus dieser, vom Prospekt der asketischen Nachfolge mittlerweile nicht mehr sonderlich begeisterten und deshalb voll und ganz auf den Aspekt der sakramentalen Teilhabe konzentrierten Sicht der Glaube an den eucharistischen Erlöser an, die Treue gegenüber dem paradigmatischen Seelenführer zu verdrängen und zu substituieren und also, was ursprünglich nur als zusätzliche Sicherheit gewährende Ergänzung zur imitativ-gefolgschaftlichen Beziehung gedacht war, als ein letztere zu erübrigen und aus dem Feld zu schlagen disponiertes vollgültig-alternatives Verhältnis in Betracht zu ziehen. Das heißt, die zum Heilserwerb sui generis totalisierte eucharistische Teilhabe droht, den als hagiographische Nachfolge etablierten Weg zum Heil, sprich, die christliche Religion so, wie sie sich bis dahin entwickelt und zur Geltung gebracht hat, das Glaubenssystem in seiner tradierten Form, für obsolet und überflüssig zu erklären, seines Sinnes und Nutzens zu berauben und abzudanken.
Keine Aussicht, die all denen, die aus welchen Gründen auch immer, aus persönlicher Erfahrung, gesellschaftlicher Gewohnheit oder moralischem Charakter, weiter in den biographischen Spuren ihres als Paradigma hochgehaltenen Herrn wandeln und dies für die via regia zum Heil ansehen, gefallen könnte! Und auch keine Perspektive, die dem Interesse und Selbstverständnis der mittlerweile etablierten religiösen Institution entspräche, dem Geltungsanspruch der vielen kleinen und größeren mönchischen Gemeinschaften, die sich überall auf dem ehemaligen Reichsgebiet und sogar noch darüber hinaus zusammengefunden haben, um das heilige Leben, dem sie sich geweiht haben, gemeinsam zu gestalten, und die bei all ihrer Verstreutheit und Eigenbrötelei doch mittlerweile hinlänglich miteinander verbunden sind und genug ökumenisch-synodische Struktur und bürokratisch-hierarchische Ordnung ausgebildet haben, um als christliche Heilsorganisation zu firmieren und die aller menschlichen Organisation und gesellschaftlichen Institution eigene, aus Trägheit und Beharrlichkeit, Selbstbehauptung und Zielstrebigkeit gemischte Vorliebe für möglichst ungebrochene Kontinuität und Abneigung gegen einschneidende Veränderungen zu beweisen!
Sowohl aus subjektiven, ihrer persönlichen Konstitution entspringenden Motiven als auch aus objektiven, in ihrer gesellschaftlichen Organisation gelegenen Gründen haben also diejenigen, die an der Führung eines heiligen Lebens aktiv beteiligt und gegen die Versuchung eines weltlichen Lebenswandels sei's individuell gefeit, sei's kollektiv abgeschirmt sind, keinerlei Interesse, die durch die sakramentale Teilhabe an Leib und Blut des Verklärten eröffnete Chance zu einem die Heilsaussicht dennoch wahrenden unheilig-weltlichen Leben beim Schopf zu fassen, und vielmehr allen Anlass, der in solcher Chance implizierten Gefahr einer allgemeinen Abkehr von der via regia einer Nachfolge Christi und ihrer Ersetzung durch das Kurzprogramm der allen säkularen Engagements zum Trotz das Heil gewährenden Eucharistie entgegenzuwirken.
Und dem eucharistischen Kurzprogramm in Sachen Heilserwerb am Zeug zu flicken beziehungsweise seinem Anspruch, vollgültiger Ersatz für die via regia der Nachfolge Christi zu sein, den Prozess zu machen, hält tatsächlich auch gar nicht sonderlich schwer! Jene Verdrängung und Ersetzung nämlich der individuellen Nachfolge durch die sakramentale Teilhabe, die, formallogisch-funktional gesehen, durchaus stringent klingt beziehungsweise evident erscheint – sie stellt sich, reallogisch-motivational betrachtet, als höchst inkonsequent beziehungsweise jeder inneren Konsistenz ermangelnd dar. Ist denn nicht das, zu dessen Erlangung oder Erreichung die eucharistische Teilhabe dem Gläubigen das Mittel oder Vehikel verschafft, das Himmelreich, das ewige Leben, ein absolutes Gut und unvergleichliches Sein, das alle anderen Güter, alles, was sonst noch zu sein behauptet, unendlich in den Schatten stellt und vielmehr für Schein und nichts erklärt? Ist es nicht von der Art, dass dem seiner ansichtigen und gar teilhaftigen Gläubigen jedes sonstige Interesse automatisch abhanden kommen, jedes Bedürfnis nach weltlichen Objekten und zeitlichen Projekten wie von selbst schwinden muss und dass gemäß der Unermesslichkeit jenes himmlischen Guts, in Reaktion auf die Absolutheit jenes ewigen Seins, dem Gläubigen also gar nichts anderes mehr vor Augen stehen oder im Sinn liegen kann, als die zentrale Aufgabe, auf raschestem und direktestem Wege in jenes ewige Sein zu gelangen und mithin das ganze irdische Leben dem Gewinn jenes himmlischen Guts zu weihen? Ist, mit anderen Worten, das Wandeln in den Fußstapfen des Herrn und der damit besiegelte Verzicht auf alles irdische Beginnen und weltliche Geschäft nicht die einzig konsequente Reaktion, das allein konsistente Verhalten auch und ebenso wohl dessen, der gläubig das ihm stante pede sakramentaler Teilhabe verabreichte Gnadengeschenk des Heilsmittels in Empfang nimmt?
Und bringt sich demnach der Gläubige, der diese unabweisliche Konsequenz zu ziehen versäumt, der es an dieser unabdingbaren Konsistenz des Verhaltens fehlen lässt und der vielmehr meint, mit dem Heilsmittel im Leib genüge es, die Nachfolge Christi im Augenblick des Todes anzutreten, und bis dahin habe er noch ein Leben lang Zeit, seine eigenen irdischen Wege zu gehen und seine persönlichen weltlichen Geschäfte zu besorgen – bringt sich der Gläubige, der also handelt, nicht notwendig in Misskredit und macht sich verdächtig, eben des rechten und nämlich im obigen Sinne existenzieller Identifikation wohlverstandenen Glaubens zu ermangeln, der einzig und allein dem eingenommenen Heilsmittel Wirksamkeit verleihen, den im Gnadengeschenk implizierten Gnadenakt effektiv werden lassen kann? Mag demnach auch die biographische Nachfolge, das heilige Leben, durch die eucharistische Teilhabe, den sakramentalen Heilsmitteltransfer, als Glaubensbedingung, als die unmittelbar wirkliche Gestalt des Glaubens, ohne die er gar nicht erst existiert, verdrängt und außer Kraft gesetzt werden, als Glaubensbeweis, als notwendige Erscheinungsform des Glaubens, deren Fehlen entschieden wider seine Wirklichkeit zeugt, bleibt jene Nachfolge Christi allemal in Geltung und behält die Bedeutung einer sub specie der Heilsperspektive verbindlichen, weil allein authentischen, allein dem Glauben, der das Heil bringt, entsprechenden Lebensführung.
Dies also ist das einfache Druckmittel, das der theoretischen Einsicht umstandslos eingängige, die intellektuelle Ehrlichkeit unmittelbar ansprechende Argument, das diejenigen, die an der Nachfolge Christi als normativ-verbindlichem Erdenwandel festhalten wollen, haben, um ihren an den Freuden und Leiden irdischer Bindungen und Beschäftigungen erneut Gefallen findenden Artgenossen klar zu machen, dass die eucharistische Teilhabe keinen Freibrief für ein ohne Gefährdung der Heilsaussicht nach Gusto zu führendes profanes Leben und säkulares Dasein darstellt und dass auch auf der Basis des sakramentalen Heilsmitteltransfers das der Heilsperspektive geweihte heilige Leben, das hagiographische Autodafé, ein wenn schon nicht als objektiv-funktionales Konstitutiv des Strebens nach dem Heil, als den Weg zum Heil erschließende Realisation des Glaubens, so jedenfalls doch als subjektiv-motivationale Konsequenz der Hinwendung zum Heil, als aus der Heilsperspektive resultierende Implikation des Glaubens, unabweislicher Imperativ bleibt.
Mit solch theoretischem Druckmittel und reallogisch schlagendem Argument die abtrünnigen Lebenslustigen zur Räson christlicher Gefolgschaftstreue zu bringen und auf dem Tugendpfad des heiligen Lebens festzuhalten beziehungsweise auf ihn zurückzuführen, können die im heiligen Leben Verharrenden, die gegen die Versuchung eines weltlichen Lebenswandels entweder charakterologisch-individuell gefeiten oder soziologisch-kollektiv abgeschirmten und deshalb unbeirrt in den Fußstapfen des Herrn fortschreitenden Gläubigen allerdings schwerlich hoffen. Zu groß ist der neu erwachte Lebenswille, zu unbezähmbar der neu geschöpfte Lebensmut beim Gros der Population, egal ob Eroberer, ob Unterworfene, als dass jene orthodoxen Nachfolger ihres Herrn mit der Forderung nach Rückkehr in die als einziger Weg zum Heil, als heiliges Leben hochgehaltene biographische Spur des Heilsbringers mehr erreichen könnten, als die Betreffenden auf die im vollen parabolischen Sinne verstandene Zinne des Tempels, sprich, vor die Wahl zwischen den als exklusive Alternative firmierenden Optionen der Herrschaft über die Erde und des Himmelreichs zu stellen und sie damit aber – weil der hier und jetzt virulente Lebenswille im Zweifelsfall stärker ist als das Interesse am Überleben in einer künftigen Welt! – wenn nicht kurz-, so doch langfristig zum wie sehr auch widerstrebenden Verzicht auf die Heilsaussicht und zur Entscheidung für ein wie immer auch vom Todesprospekt überschattetes, heillos irdisches Leben zu drängen.
Wollen sie also dem christlichen Glauben seine allgemeine Anerkennung und durchgängige Geltung bewahren und die durch ihr Bedürfnis nach einem vollgültigen irdischen Leben zum Abfall disponierten Gläubigen bei der Stange der vom christlichen Glauben beschworenen Heilsperspektive halten, müssen sie den letzteren nolens volens jenen eucharistischen Ausweg, jene durch die Interpretation des Kreuzestodes als stellvertretenden Opfers eröffnete Möglichkeit, Unvereinbares zu vereinbaren, die Heilsaussicht mit einem unheiligen Leben, die himmlische Destination mit irdischen Okkupationen wenn nicht in Einklang zu bringen, so jedenfalls zu kombinieren, irgendwie lassen.
Immerhin aber erlaubt ihnen das obige argumentative Druckmittel, den potenziell Abtrünnigen den irdischen Lebenswandel, dem sie zustreben, als den praktischen Implikationen ihres christlichen Glaubens und Hoffens explizit zuwiderlaufenden defizienten Daseinsmodus vorzuhalten und deshalb die Wirksamkeit des diesen Daseinsmodus dennoch zugänglich machenden Heilsmitteltransfers, mithin die Gangbarkeit des eucharistischen Auswegs, an bestimmte, jene Defizienz zu kompensieren beziehungsweise zu neutralisieren gedachte Konditionen zu binden, die gleichermaßen die systematisch verbindliche doktrinelle Anerkennung der für allen Erdenwandel normativen Geltung des in der Nachfolge Christi bestehenden heiligen Lebens und die faktisch zwingende institutionelle Integration jenes als normativ anerkannten heiligen Lebens in den Zusammenhang und Duktus des durch die Eucharistie im Prinzip mit der Heilsaussicht kompatibel gemachten unheiligen Daseins oder profanen Lebens beinhalten.
Die Rede ist mit anderen Worten von jener ebenso abenteuerlichen wie ingeniösen Konstruktion, die zwar die Möglichkeit konzediert, auf Basis des eucharistischen Heilsmittelstransfers ein irdisch-profanes Leben ohne Verlust der himmlischen Heilsaussicht zu führen, aber gleichzeitig verlangt, dass auch dem Erfordernis eines mit der Heilsaussicht eigentlich gebotenen und als Ausdruck ihrer gläubigen Annahme untrennbar mit ihr verknüpften entsagungsvoll-sakralen Lebens Genüge getan und diese heilige Lebensführung, wenn schon nicht durch den dem irdisch-profanen Leben Zugewandten selbst, so jedenfalls doch durch andere, ihr sich Weihende hochgehalten und in die Tat der getreulichen Nachfolge Christi umgesetzt wird, damit, wenn es zum Schwur als zum gläubigen Empfang des Heilsmittels kommt und der qua heiliges Leben unabdingbare Glaubensbeweis dem ersteren als Bedingung der Wirksamkeit des Empfangenen abverlangt wird, die letzteren ihm beispringen und kraft ihres exemplarischen Lebens für seinen, durch einen defizienten Lebenswandel ins Zwielicht gerückten wahren Glauben einstehen, mittels ihres makellosen Daseins für seine wegen des Mangels an biographischer Imitationsbereitschaft in Zweifel stehende Rechtgläubigkeit bürgen können. Als nach dem Vorbild ihres Herrn exemplarisch Lebende, in seinen den Weg zum Heil weisenden Fußstapfen imitativ Wandelnde können sie, wenn es darauf ankommt und er, der im irdischen Leben immobil Eingewohnte, häuslich Eingerichtete, kraft des Empfangs des verklärten und spiritualisierten Blutes Christi den Weg zum Heil quasi in einem Sprung zurücklegen, im Nu durcheilen soll, stellvertretend für ihn wirksam werden und das, was ihm an Mobilität oder Schwungkraft, an Weltfremdheit oder Fliehkraft fehlt und dadurch, dass es fehlt, seinen selbstlosen Willen zum Heil, seinen rückhaltlosen Glauben an die Erlösung diskreditiert und für unerwiesen erklärt, durch ihre Präsenz als dennoch vorhanden unter Beweis stellen, durch ihre Existenz als letztlich gegeben bezeugen.
Und dabei verleihen sie dieser ihrer als regelrechte Statthalterschaft, als vollgültige Repräsentation funktionierenden tätigen Mithilfe oder engagierten Mitwirkung dadurch plastischen Ausdruck, dass sie die heilige Handlung nicht nur generell zu ihrer Sache machen, sich ihrer als Initiatoren und Organisatoren, kurz, als Sachwalter annehmen, sondern mehr noch in ihr einen aktiven Part übernehmen und nämlich an des Betreffenden Statt, als Ersatzmann für ihn, eben als Stellvertreter, einen Teil des sakramentalen Akts in eigener Person vollziehen. Nachdem er unter ihrer Anleitung sich den einen Teil des Heilsmittels, den verklärten Leib Christi einverleibt hat, nehmen sie ihm die Einnahme des anderen Teils, das Trinken des spirituellen Blutes, persönlich ab und machen so in der Tat deutlich, dass sie persönlich für ihn ein- und geradestehen, dass sie ihr heiliges Leben buchstäblich in die Waagschale seines irdischen Daseins werfen, damit diese, hinlänglich befrachtet, sich im Sinne seines durch ihre Einlassung erwiesenen Glaubens, mithin zu Gunsten seines Heilsanspruchs senke.
Freilich birgt dies die Defizienz des profanen Daseins ebenso eindeutig zu kompensieren wie die Geltung des sakralen Lebens als via regia zum Heil nachdrücklich zu reaffirmieren bestimmte Moment der Konstruktion, dass die Nachfolger Christi ihr eigenes Leben, sich persönlich, in die Waagschale des im Zweifelsfall für zu leicht befundenen Daseins der am irdischen Dasein Hängenden werfen, dass sie also, wie aus der Zweiteilung des Kommunionsakts ersichtlich, statt ihm bloß beizustehen, ihn als Anwalt zu vertreten, ihn mehr noch ersetzen, als Substitut an seine Stelle treten – freilich birgt dies die große Gefahr in sich, dass sie des Guten zu viel tun und durch die besondere Bedeutung und prononcierte Funktion für das profane Dasein, die sie in actu des Vollzugs der Kommunion dem heiligen Leben verleihen, dessen eigenen Sinn und eigentlichen Nutzen entscheidend verändern.
Als ein seinem glaubensschwachen Artgenossen an die Seite tretender Anwalt nämlich repräsentiert der Nachfolger Christi etwas irgendwie Gegebenes, etwas, das bei ersterem, wie auch immer defizient, im Grunde vorhanden ist und das er durch seine Intervention nur herausstellt, ostentiert. Als sich an die Stelle des Artgenossen setzender Substitut hingegen introduziert er etwas rein Fehlendes, sorgt er dafür, dass etwas, das beim Artgenossen gar nicht vorhanden ist, dank seiner Intervention doch noch verfügbar und als für das salvatorische Werk unabdingbarer Faktor wirksam wird. Solche, durch die Arbeitsteilung in der Kommunion etablierte und über alle bloß anwaltschaftliche Repräsentation hinausgehende persönliche Substitution des profanen Artgenossen durch den Nachfolger Christi mag nun zwar nach allgemeinem Dafürhalten dazu angetan sein, ersterem die fehlende Glaubwürdigkeit zu verschaffen und also seinen Heilsanspruch zu sichern, aber sie ist in dem Maße teuer erkauft, wie die eine mit ihrer Hilfe erbrachte Leistung, die Kompensation der dem profanen Dasein im Blick aufs Heil eigenen Defizienz, tatsächlich eine Unterminierung des anderen mit ihr verfolgten Zwecks, der Reaffirmation des sakralen Lebens als der via regia zum Heil, als im Prinzip auch für das profane Dasein verbindlichen Heilswegs, impliziert.
Wenn nämlich, wie die um ihrer Wirksamkeit willen nicht bloß repräsentative, sondern mehr noch substitutive Mitwirkung der Nachfolger Christi am Kommunionsakt der am Dasein hängenden Artgenossen suggeriert, bei letzteren jener im heiligen Leben sich beweisende vollgültige, sprich, ebenso entsagungsvoll-weltflüchtige wie hingebungsvoll-heilssüchtige Glaube an den Messias und seine frohe Botschaft überhaupt nicht vorhanden sein muss, sondern es zur eucharistischen Errettung des Artgenossen genügt, dass ein in der Nachfolge des Herrn Wandelnder und also diesen Glauben Beweisender mit ihm in die Waagschale des Kommunionsakts springt und ihn im entscheidenden Augenblick leibhaftig vertritt, so stellt sich im Grunde die alte, von der Frage der Lebensführung, dem Erfordernis einer imitatio dei unabhängige, unmittelbar sakramentale Beziehung zum Heil, der Heilsgewinn als eucharistisches Kurzprogramm wieder her – nur eben jetzt unter Einschluss eines als unabdingbar kompensatorischer Wirkfaktor, quasi als wunderwirkend katalytisches Ferment wohlverstandenen Vertreters jenes im heiligen Leben sich bekundenden Glaubens.
Die Absicht, dem profanen Dasein die Suppe seiner in der Kommunion vermeintlich erreichten Befreiung vom Erfordernis einer entsagungsvollen Nachfolge Christi zu versalzen und es als höchstens eine Spielart, eine Variation des in der Nachfolge bestehenden und als Typus, als Norm anerkannten heiligen Lebens festzuhalten, wird vereitelt und umgekehrt das heilige Leben auf eine dem profanen Dasein zur Realisierung seiner sakramentalen Heilsaussicht dienliche Spezialisierung, mithin auf einen rituellen Spielball des sich als der Normalfall, als habituell gerierenden profanen Daseins reduziert. Indem der am irdischen Dasein Hängende sich zu dem aus heilsperspektivischer Sicht defizienten Modus, in dem er lebt, getrost verstehen, um nicht zu sagen, offen bekennen kann, weil es ja die in der Nachfolge Christi Lebenden gibt, die den in der imitatio dei bestehenden vollen Glaubensbeweis erbringen und diesen Beweis, wenn er ihm im Kommunionsakt abgefordert wird, an seiner Statt, in Gestalt eines substitutiven Eintretens für ihn, beisteuern, wird seine Anerkennung der Nachfolge Christi als einer im Grunde auch für ihn verbindlichen Form zu leben zum Lippenbekenntnis, zur sich selber Lügen strafenden Formalie.
Sie wird es deshalb, weil sie in Wahrheit, der Wahrheit der rituellen Rolle, die dem Nachfolger Christi in actu der Kommunion zufällt, Hand in Hand geht mit der Verwandlung des in den Fußstapfen des Herrn Wandelnden aus einer auch für den profanen Artgenossen verbindlichen Leitfigur und Orientierungshilfe in einen letzterem verfügbaren Nothelfer, eine Kultfigur, jemanden, der im – über die direkte Erreichbarkeit des Heils durch sakramentale Teilhabe – entscheidenden Augenblick aus ganz und gar eigenen Stücken und ohne jeglichen Wegweiseranspruch, sprich, durch einfach nur den substitutiven Einsatz der eigenen Person, jene im Glaubensbeweis der imitatio dei bestehende Klippe zu überwinden hilft, an der der um den Beweis verlegene profane Artgenosse zu scheitern droht – jemanden, der eben dadurch aber dem profanen Artgenossen ermöglicht, im Vertrauen auf diese im entscheidenden Augenblick des sakramentalen Heilserwerbs ihm geleistete Nothilfe sein eigenes Leben ganz den profanen Erfordernissen des Hier und Jetzt gemäß und ohne Rücksicht aufs künftige Heil zu verbringen beziehungsweise zu gestalten.
In der Tat ist dies die Dialektik oder, besser gesagt, der Pferdefuß des Leistungsvertrags, den zwecks Erhaltung der durch die Sprengkraft des Kurzprogramms sakramentaler Erlösung bedrohten Einheit der Christenheit im Allgemeinen und Kontinuität der christlichen Heilsperspektive im Besonderen die Nachfolger Christi und ihre weltlich disponierten Artgenossen miteinander schließen, dass die in der Gewährleistung der sakramentalen Erlösung der letzteren bestehende Leistung der ersteren die in der Anerkennung der imitatio dei als geltender Norm bestehende Gegenleistung der letzteren zu untergraben droht, weil sie den letztern gestattet, diese theoretisch oder formell anerkannte Norm des heiligen Lebens durch strikte Beschränkung ihrer für das profane Dasein beanspruchten Funktion und Bedeutung auf eben nur den Kommunionsakt selbst praktisch oder reell in eine ausschließlich kultische Spezialität, ein rein rituelles Erfordernis zu verwandeln und damit aber aus Wegweisern und Vorbildern, deren Anspruch es ist, dem profanen Dasein seinen heilsperspektivisch defizienten Modus vorzuhalten und zur Auflage eigener Reparationsanstrengungen zu machen, Nothelfer und Kultfiguren werden zu lassen, die dazu da sind, durch ihre in persona erbrachte Ersatzleistung den defizienten Modus des profanen Daseins zu heilen oder jedenfalls zu überspielen und so all denen, die im profanen Dasein stehen, die Möglichkeit zu verschaffen, ohne Einbuße ihrer Erwartung künftigen, himmlischen Heils auf Erden zu leben, wie sie es tun, und gegenwärtig zu bleiben, was sie sind.
Um dieser Gefahr ihrer Reduktion auf schiere Kultdiener, rein rituelle Dienstleister zu entgehen, um dem heiligen Leben, das sie führen, seine normative Verbindlichkeit für alle Christenheit auf Erden, jeden Christenmenschen zu erhalten, um zu verhindern, dass die Anerkennung der normativen Verbindlichkeit ihres heiligen Lebens durch die profanen Artgenossen zum Lippenbekenntnis verkommt, hinter dessen Fassade sich die pro forma anerkannte imperativische Norm vielmehr ins dialektische Passepartout für die ungestörte, von keinem drohenden Heilsverlust heimgesuchte Wiederaufnahme beziehungsweise Beibehaltung eines ebenso rücksichtslos wie dezidiert profanen Daseins verwandelt – um dies sicherzustellen, bestehen die Nachfolger Christi in einer Art Zusatzbestimmung, quasi einer salvatorischen Klausel zum sakramentalen Leistungsvertrag darauf, dass jene Anerkennung der normativen Verbindlichkeit des heiligen Lebens durch die profanen Artgenossen nicht bloß Sache einer theoretisch ausgesprochenen Haltung bleibt, sondern mehr noch zum Gegenstand eines ausgemacht praktischen Verhaltens avanciert, nicht bloß dogmatisch bekundet, sondern mehr noch faktisch unter Beweis gestellt wird, und knüpfen die Erfüllung ihrer eigenen vertraglichen Verpflichtung, sprich, ihre substitutive Mitwirkung am Kommunionsakt, an diesen von den profanen Artgenossen in Gestalt ihres praktischen Verhaltens zu erbringenden faktischen Nachweis.
Sie fordern mit anderen Worten, dass die profanen Artgenossen, wenn sie schon das deviative, profane Dasein dem rechtgeleiteten, heiligen Leben vorziehen, doch immerhin den guten Willen beweisen, dies profane Dasein so zu gestalten, dass es in wie immer abgeschwächter Form das heilige Leben nachbildet und also in seinem praktisch-faktischen Verlauf Zeugnis von dessen normativer Verbindlichkeit, seiner Vorbildlichkeit, ablegt und als eine Art heiliges Leben zweiter Klasse erkennbar wird. Die Nachfolger Christi fordern, wie bereits an früherer Stelle formuliert, dass die profanen Artgenossen, wenn schon nicht im Zölibat leben, so immerhin zuzeiten geschlechtliche Enthaltung üben, wenn schon nicht asketischer Entsagung huldigen, so doch aber in Abständen fasten und sich kasteien, wenn schon nicht dem Dienst am Nächsten, der Barmherzigkeit, sich verschreiben, so jedenfalls doch Almosen geben und Nächstenliebe beweisen, wenn schon nicht leidensbereit sind, so wenigstens doch diejenigen ehren und als jedermanns Vorbilder hochhalten, die durch ihr Leben und Sterben solche Leidensbereitschaft bezeugen.
Und um ihrer Forderung den nötigen Nachdruck zu verleihen, bedrohen sie die profanen Artgenossen für den Fall, dass sie ihr nicht nachkommen, mit der Exkommunikation, dem Ausschluss vom gemeinsam zelebrierten und eben durch die Gemeinsamkeit überhaupt nur Wirksamkeit erlangenden sakramentalen Erlösungsakt. Und damit nicht genug, richten sie, um auch ja sicherzustellen, dass es den profanen Artgenossen mit ihrer abgeschwächten Version von der Nachfolge, ihrem heiligen Leben zweiter Klasse ernst ist, dass sie die Norm als Norm wirklich und wahrhaftig anerkennen und zur Geltung bringen, das Institut der Beichte, einer wiederkehrenden ebenso hochnotpeinlichen Verhaltenskontrolle und Tatbestandsprüfung wie unerbittlichen Buß- und Sühneveranstaltung ein und ersinnen, um der Gefahr zu begegnen, dass selbst diese durch die Beichte abgesicherte Form einer praktisch-faktischen Anerkennung der normativen Verbindlichkeit des heiligen Lebens noch quasi zum Lippenbekenntnis, nämlich zu einem So-tun-als-ob, zur Vortäuschung falscher Tatsachen, zum heuchlerischen Gehabe, zur Scheinheiligkeit verkommt, zu guter Letzt und zu allem Überfluss den Schreckensort des Jüngsten Gerichts, einer finalen Instanz und Kongregation, die ein ebenso endgültiges wie rückwirkendes Urteil über die biographische Erfüllung des zwischen den Nachfolgern Christi und ihren profanen Artgenossen geschlossenen Vertrages fällt, sprich, darüber entscheidet, ob es den Betroffenen mit dem ihr ganzes profanes Leben hindurch zu beweisenden guten Willen zur praktischen Anerkennung der Vorbildlichkeit der Nachfolge Christi ernst war und ob sie also die ihnen vertragsgemäß abgeforderte Leistung hinlänglich erbracht haben, um auch die von den Nachfolgern Christi erbrachte Gegenleistung, ihre substitutive Mitwirkung beim sakramentalen Erlösungsakt, für gerechtfertigt und deshalb wirksam befinden zu können.
Die sich als Klerus gegenüber dem Laienstand etablierenden Nachfolger Christi erringen über letzteren eine aus sakralisch-konstitutiver Funktion oder kultisch-heilstechnischer Unabdingbarkeit und aus verhaltensspezifisch-korrektiver Kompetenz oder moralisch-lebenspraktischem Einfluss kombinierte maßgebende Macht. Dass auch die feudale Herrschaft sich dieser Macht fügen muss, erklärt sich aus der besonderen Situation des neben Herrschaft und Klerus dritten Beteiligten, der fronenden Gemeinen.
Dies also ist die ebenso umständliche wie ausgeklügelte Konstruktion, mit deren Hilfe es den Nachfolgern Christi gelingt, den durch den eucharistischen Heilsmittelerwerb eröffneten Ausweg in eine Weltlichkeit, die nicht mit dem Verlust der Heilsaussicht bezahlt werden muss, nicht zwar den profanen Artgenossen prohibitiv zu verbauen (dies steht nicht in ihrer Macht und könnte in letzter Instanz nur deren offenen Abfall von der Heilsperspektive provozieren), ihn wohl aber kontraktiv derart zu konditionieren beziehungsweise zu kanalisieren, dass das von ihnen, den Nachfolgern Christi selbst, geführte heilige Leben und das von den profanen Artgenossen vorgezogene weltliche Dasein durch das doppelte Band einer Komplementärbeziehung und eines Komparationsverhältnisses miteinander verknüpft bleiben und weit entfernt davon sind, in einen ausschließenden Gegensatz zueinander zu geraten, und dass auf diese Weise also der weltflüchtig-gnostische Jenseits- und Erlösungsglaube, die christliche Religion, die Wiederentdeckung des innerweltlichen Lebens oder Neubesetzung des Daseins auf Erden übersteht und gleichermaßen die Einheit der Christenheit und die Kontinuität der christlichen Heilsperspektive gewahrt bleibt.
Indem die Nachfolger Christi zum einen durch ihre persönliche Mitwirkung und die darin beschlossene substitutive Kompensation des Mangels an Glaubensbeweis, an dem das profane Dasein krankt, den profanen Artgenossen im entscheidenden Augenblick des sakramentalen Heilsmittelerwerbs beispringen und zum anderen aber, um sich nicht mitsamt ihrer ganzen sakralen Lebensform auf die Rolle ritueller Dienstleister, spezialisierter Kultdiener reduziert zu finden, bei Strafe der Verweigerung ihrer sakramentalen Hilfeleistung den profanen Artgenossen zur Auflage machen, ihr profanes Dasein als eine abgeschwächte Version des sakralen Lebens, eine Nachfolge Christi zweiten Grades wahrzunehmen und zu gestalten, schaffen sie es, die nunmehr Seite an Seite fortbestehenden beiden Existenzweisen des sakralen Lebens und des profanen Daseins sowohl lebenstechnisch-rituell, das heißt, in der Komplementarität einer unauflöslich funktionellen Abhängigkeit, als auch lebenspraktisch-habituell, das heißt, im Komparativ einer unabweislich strukturellen Ähnlichkeit miteinander zu verschränken und in der Tat so ineinander zu verwirken, dass die fortlaufende Parallele sich als durchgängig einigendes Band erweist, die formell-modale Alternative sich als reell-soziale Symbiose herausstellt. Sie schaffen es mit anderen Worten, aus einer dichotomischen Konstellation, die die Gesellschaft in zwei unverbundene Teile, einen der Nachfolge Christi geweihten sakralen und einen dem irdischen Dasein ergebenen profanen, auseinander sprengt und bei der absehbar ist, dass der eine, sakrale Teil hinter der raumgreifenden Realität, der empirischen Präsenz des anderen, profanen Teils früher oder später verschwindet und dem Vergessen anheim fällt – sie schaffen es also, aus dieser dichotomischen Konstellation eine symbiotische Kombination zu zimmern, bei der die sakrale Lebensform kraft ihrer ebenso sehr praktisch-moralischen wie kultisch-sakramentalen Bedeutung für das unter der Heilsprämisse stehende profane Dasein als zugleich unabdingbares Konstitutiv und unabweisliches Korrektiv des letzteren firmiert und, weit entfernt davon, hinter dem profanen Dasein zu verschwinden und von ihm vergessen zu werden, im Gegenteil zu seinem kultischen Herzstück und moralischen Eckstein avanciert und deshalb in zunehmendem und die Symbiose erst komplett machendem Maße von ihm in doppelter Hinsicht hofiert und nämlich nicht weniger sozial hoch- als materiell ausgehalten wird.
Kurz, sie schaffen es, jene aus Klerus und Laien zusammengesetzte Gesellschaft zu stiften, die sich, all ihrer Künstlichkeit und Kompliziertheit zum Trotz, über Jahrhunderte hinweg als stabil und haltbar erweist und in der die einen, die zum Klerus institutionalisierten Nachfolger Christi, dafür Sorge tragen, dass die anderen, die ihr weltliches Dasein führenden Laien, teils eine mit ihrem weltlichen Dasein eigentlich unvereinbare Heilsaussicht wahren können, teils ihr weltliches Dasein in größtmöglicher Affinität zu dem der Heilsaussicht eigentlich gemäßen sakralen Leben führen müssen, während dafür, für diese aus Geben und Fordern, Haben und Soll gemischte Lizenzierung eines mit der Heilsprämisse dennoch vereinbaren profanen Daseins durch den Klerus, die Laien die Aufgabe übernehmen, nicht nur sich selbst, sondern eben auch den als kultisches Herzstück und moralischen Eckstein in ihr Gesellschaftsgefüge integrierten Klerus materiell zu erhalten und sozial zu etablieren.
Und das Mittel, durch das ihnen dies glückt, ist ein kluges Management des sakramentalen Heilsmittelerwerbs, des Kommunionsakts, der ihnen, den Nachfolgern Christi, bloß als ein den finalen Erfolg ihres heiligen Lebens bekräftigender beziehungsweise garantierender Zusatz gilt, während er für die profanen, erneut dem weltlichen Dasein zugewandten Artgenossen die Bedeutung eines das heilige Leben als solches ersparenden und Raum für ein weltliches Leben, das des finalen Heilserfolgs dennoch versichert bleibt, schaffenden regelrechten Ersatzes gewinnt. Indem die Nachfolger Christi den Finger in die Wunde des reallogisch-motivationalen, den Beweis des rechten Glaubens betreffenden Widerspruchs legen, in den sich der profane Artgenosse mit dieser seiner Vorstellung vom Kommunionsakt als vollgültigem Ersatz fürs heilige Leben verstrickt, und sich zugleich erbieten, durch ihre substitutive Mitwirkung den Widerspruch, wenn nicht zu heilen, so jedenfalls doch zu kompensieren und so das Unmögliche möglich zu machen, sprich, weltliches Leben und Heilsaussicht miteinander vereinbar werden zu lassen, erringen sie ebenso viel praktischen Einfluss auf die Gestaltung des profanen Lebens wie kultische Unentbehrlichkeit für die Wahrung der Heilsperspektive des letzteren und sichern sich auf diese Weise einen festen, nicht weniger durch seine moralisch-korrektiven Kompetenzen als durch seine sakralisch-konstitutive Funktion ausgezeichneten Platz im Gefüge der als Feudalzusammenhang neugebildeten territorialherrschaftlichen Gesellschaft.
In der Rolle des im Geiste Gottes durchs Leben wandelnden Klerus, der den auf weltlichen Wegen durchs Dasein irrenden Laien gleichermaßen als spiritus sanctus, als ihnen den Erwerb des Heilsmittels ermöglichender Nothelfer, und als spiritus rector, als ihr Dasein in die Bahn einer mit dem Heilsmittelerwerb halbwegs kompatiblen Lebensführung lenkenden Wegweisers, zu Diensten ist, erringen sie eine soziale Machtfülle und ein politisches Gewicht, wie sie in der menschlichen Geschichte bis dahin noch keine, auf die Wahrnehmung rein religiöser Ritualfunktionen und moralischer Kontrollaufgaben spezialisierte Gruppe, nicht einmal die levitische Priesterschaft des jüdischen Gemeinwesens in den Zeiten der Richter- und Königsherrschaft, besessen hat.
Tatsächlich drängt sich angesichts dieser aus kultisch-heilstechnischer Unabdingbarkeit und moralisch-lebenspraktischem Einfluss zusammengesetzten Machtfülle, die der Klerus erringt und die im Zuge der feudalgesellschaftlichen Entwicklung sogar noch zunimmt und unwiderstehlicher wird, die Frage auf, wie es unter den Bedingungen der realen, eigentlich ja durch den ökonomischen Zugriff auf die zivile Arbeitskraft und die politische Verfügung über das soziale Gewaltpotenzial definierten Machtverhältnisse zu einer solch atypischen, weil weder ökonomisch noch politisch begründeten Ermächtigung des Klerus überhaupt kommen und wie sie sich mehr noch über so lange Zeit hinweg in Geltung erhalten kann. Es drängt sich mit anderen Worten die Frage auf, warum die eigentlichen Herren der als feudale Organisationen neu entstandenen Territorialherrschaften, die Führungsschichten der Erobererstämme, die im Zuge ihrer Landnahme die eingeborene Bevölkerung der vormals römischen Provinzen unterwerfen und in den Dienst einer Herrschaftsübung stellen, die sich mangels der alten imperialen, bürokratisch-beamtenschaftlichen Strukturen auf hauseigene lehnsherrlich-gefolgschaftliche Bindungen, eben auf feudale Abhängigkeiten, gründet – warum also diese politisch-ökonomisch wirklichen Herren der neuen Staatswesen zulassen, dass ihnen der einzig und allein dogmatisch-kultisch, in heilsreligiöser Hinsicht, Kompetenz und Relevanz beweisende Klerus, salopp gesagt, auf der Nase herumtanzt beziehungsweise, analytischer formuliert, kraft seiner sakramentalen Nothelferrolle und seiner moralischen Wegweiserfunktion als sozialbiographische Alternativversion zur territorialherrschaftlich verfassten Existenz und ex cathedra solchen Alternativcharakters letztere politisch zu kontrollieren beanspruchende Zensurinstanz, kurz, als das mönchische Gewissen des feudalen Bewusstseins, an die Seite tritt und das Leben schwer macht.
Zwar ist leicht einsehbar, dass die christliche Heilsperspektive als ein zusammen mit der höheren antiken Kultur, der überlegenen römischen Zivilisation, von den primitiven Erobererstämmen adaptiertes religiöses Bekenntnis und dogmatisch-kultisches System faszinierend und für Menschen, die nicht nur generell sterblich, sondern mehr noch speziell kurzlebig und von vielerlei natürlichen und gesellschaftlichen Fährnissen mit einem frühen Tode bedroht sind, vielversprechend genug ist, um ein starkes Interesse an ihrer Bewahrung zu wecken. Aber eröffnet nicht das sakramentale Kurzprogramm des eucharistischen Heilsmittelerwerbs den auf irdische Etablierung und säkulare Machtentfaltung erpichten neuen Herren einen kommoden Weg, das eine haben zu können, ohne das andere missen zu müssen, sprich, ohngeachtet ihrer gegenwärtigen irdischen Lebensführung des künftigen himmlischen Heils versichert zu sein und zu bleiben? Und sollte wirklich der theoretisch-systematische Widerspruch zwischen der Heilsperspektive, um die sie sich in actu der sakramentalen Teilhabe, im Kommunionsakt, bemühen, und den weltlichen Absichten, die sie anschließend mittels ihrer gesellschaftlichen Handlungen, ihrer Beteiligung am profanen Dasein verfolgen – sollte wirklich dieser Widerspruch genügen, um ihnen das eucharistische Kurzprogramm als ein Passepartout zum Heil madig und sie den mit Haken und Ösen versehenen Ansinnen und Kompromissvorschlägen derer, die ihn aufspießen, sprich, des sich im Glanze seines heiligen Lebens sonnenden und auf es als auf den sonnenklaren Beweis seiner beispielhaften Rechtgläubigkeit pochenden Klerus, gefügig machen? Seit wann triumphieren in der Geschichte der Menschheit theoretisch-systematische Widersprüche über praktisch-empirische Interessen? Wann hätten die Menschen jemals die Kunst verlernt, über logische Brüche in ihrem faktischen Verhalten den Mantel sei's des Vergessens, sei's der Rationalisierung zu breiten und sich so die Möglichkeit zu verschaffen, ihren im Widerspruch zur dogmatischen Zielsetzung stehenden praktischen Aktionen oder Ambitionen zu frönen, ohne sich den Widerspruch zur Widerlegung ihrer dogmatischen Zielsetzung und zu deren Preisgabe gereichen lassen zu müssen?
Und selbst gesetzt, die Herren der neuen, feudalen Gesellschaften nehmen den Widerspruch zwischen theoretischem Wollen und praktischem Tun, in den sie sich durch ihre territorialherrschaftliche Etablierung verstricken und den der Klerus nicht müde wird, ihnen per dogmatische Lehrtätigkeit vorzubeten und per paradigmatische Lebensweise vor Augen zu führen – gesetzt selbst, sie nehmen diesen Widerspruch zur Kenntnis und sich mehr noch zu Herzen und finden sich deshalb bereit, das in der Nachfolge Christi stehende Leben des Klerus als das der Heilsperspektive einzig gemäße Dasein auf Erden, sprich, als den für den eucharistischen Gnadenakt erforderten Glaubensbeweis, gelten zu lassen und folglich auch den ihnen vom Klerus offerierten nothelferischen Beistand, seine substitutive Mitwirkung bei der Kommunion, als conditio sine qua non des Gelingens des sakramentalen Heilsmittelerwerbs zu akzeptieren – gesetzt selbst, dies alles ist der Fall, warum sollten dann die Herren dem exorbitanten Anspruch des als unabdingbar für die Wirksamkeit des Heilsmitteltransfers anerkannten Klerus stattgeben und ihm über seine kultisch-funktionelle Einmischung in das eine Ereignis der sakramentalen Handlung hinaus einen moralisch-kriteriellen Einfluss auf ihr ganzes übriges, profanes Leben einräumen? Nur weil der Klerus droht, andernfalls seine Mitwirkung an der sakramentalen Handlung zu verweigern?
Muss sich solche Weigerung, selbst wenn sie als Druckmittel eingesetzt wird, nicht angesichts der realen Machtverhältnisse als leere Drohung erweisen? Was sollte die mit einem Monopol auf gleichermaßen politische Autorität und militärische Macht ausgestatteten säkularen Herren daran hindern, dem Klerus eben die Rolle eines spezialisierten Kultdieners, eines rein rituellen Dienstleisters aufzuzwingen, der dieser durch sein Pochen auf eine moralisch-kriterielle Funktion, sprich, durch seinen Anspruch zu entrinnen sucht, mit der Nachfolge Christi, dem heiligen Leben, eine Norm zu setzen, der auch das profane Dasein nacheifern und in wie immer abgeschwächter Form genügen müsse, um der Heilsperspektive und der durch sie in Aussicht gestellten Erlösung teilhaftig zu bleiben? Selbst wenn einzelne Kleriker sich gegen solch eine mittels politischer Macht und militärischer Gewalt durchgesetzte Ausschließung jeder komparativen Beziehung zwischen sakralem Leben und profanem Dasein und Beschränkung beziehungsweise Reduktion des Klerus auf die komplementäre Rolle von Spezialisten in Ritualfragen oder kultischen Fachidioten, deren Aufgabe sich darin erschöpft, den profanen Artgenossen bei der Sicherung ihrer Heilsaussicht zu Diensten zu sein – selbst also, wenn Einzelne sich gegen diese funktionalistische Reduktion verwahrten und mit der Verweigerung ihrer Mitwirkung Ernst machten, das Gros des Klerus würde sich – nach allem, was wir von der menschlichen Natur wissen! – der Gewalt beugen und in die dem Geistlichenstand von der weltlichen Herrschaft zugewiesene rein sakralische und aller moralischen Konnotationen bare Kultdienerrolle fügen, statt um der Verteidigung der Vorbildlichkeit des heiligen Lebens für das profane Dasein willen Repression und Verfolgung von Seiten der weltlichen Macht in Kauf zu nehmen und am Ende gar noch den Märtyrertod zu sterben – zumal ja eben jene durch sakramentale Teilhabe eröffnete Möglichkeit eines kein heiliges Leben voraussetzenden, sondern unmittelbar aus dem profanen Dasein heraus sich ereignenden Heilsmittelerwerbs, auf dessen Sanktionierung beziehungsweise Beglaubigung die weltlichen Herren den Geistlichenstand offiziell festzulegen oder funktionell zu beschränken suchten, den Märtyrertod als letzte Konsequenz des heiligen Lebens bereits längst aus der Mode hat kommen lassen.
Was also, noch einmal gefragt, sollte die im Bewusstsein ihrer politischen Macht und kriegerischen Gewalt etablierten weltlichen Herren, selbst wenn sie sich von dem motivationalen Widerspruch zwischen ihrem heilsperspektivischen Verlangen nach dem Himmelreich und ewigen Leben und ihrem sozialbiographischen Begehren nach irdischer Herrschaft und weltlicher Entfaltung hinlänglich beeindrucken lassen, um die zwecks Überbrückung des Widerspruchs und Kompensation des Mangels substitutive Mitwirkung der Nachfolger Christi beim sakramentalen Teilhabeakt als unabdingbar zu akzeptieren und mithin die letzteren als für die Heilsaussicht ihrer profanen Artgenossen konstitutive Kultfiguren sich gefallen zu lassen, sprich, sie als Klerus, als Geistlichenstand, in die Gesellschaft ihrer demgegenüber als Laien definierten profanen Artgenossen unauflöslich zu integrieren – was also sollte selbst unter dieser Voraussetzung einer den Nachfolgern Christi und ihrem heiligen Leben konzedierten kultisch tragenden Funktion die weltlichen Herren daran hindern, in diesem kultisch-funktionellen Beitrag eine nichts als eben nur die Kultverrichtung betreffende Dienstleistung, ein auf den Vollzug des sakramentalen Ritus beschränktes Offizium zu gewahren, statt zuzulassen, dass der Klerus aus seinem sakramentalen Offizium, seinem rituellen Amt soziale Konsequenzen zieht, existenzielle Forderungen ableitet und mit der Drohung, seines Amtes andernfalls nicht mehr zu walten, am sakramentalen Ritus sonst nicht mehr mitzuwirken, den Anspruch erhebt und mehr noch durchsetzt, kraft seines als – wenigstens im Prinzip – paradigmatisch und normativ anzuerkennenden heiligen Lebens eine moralische Wegweiserrolle für das profane Dasein zu übernehmen und über letzteres eine alle seine Bereiche erfassende und durchdringende praktische Kontrolle auszuüben, kurz, die politische Fasson einer der weltlichen Herrschaft als Zensurinstanz an die Seite tretenden geistlichen Macht auszubilden?
So verwunderlich angesichts der realen Machtverhältnisse die Fügsamkeit der weltlichen Herren, ihre Bereitschaft, sich den mittels moralischer Zensur geübten politischen Einfluss des geistlichen Stands gefallen zu lassen, auf den ersten Blick aber auch anmuten mag, bei genauerem Zusehen ist sie nicht schwer zu verstehen, weil sie sich aus den spezifischen Konditionen der weltlichen Machtergreifung selbst, aus den historischen Umständen, unter denen die neuen Herren ihre Herrschaft etablieren müssen, ergibt. Genauer gesagt, ergibt sie sich aus der Existenz und Verfassung des dritten an der Einrichtung der neuen territorialherrschaftlichen, sprich, feudalen Gesellschaften Beteiligten, der von den Eroberern der Provinzen unterworfenen und in Dienst genommenen bäuerlich-handwerklichen Unterschicht, des wie die Basis der weltlichen Herrschaft so das Gros der laizistischen Bevölkerung bildenden gemeinen Volkes. Nicht, dass dieser dritte Mitspieler, das gemeine Volk, nicht ebenso wie seine neuen, feudalen Herren, vom wiedererwachten Lebensmut getrieben, das profane, auf Erden seine Heimstatt findende, um nicht zu sagen, das Himmelreich suchende Dasein bejahte und dem in Entsagung, Armut, Askese und Opferbereitschaft verbrachten heiligen Leben, das die Nachfolge Christi verlangt, definitiv vorzöge!
Nicht, dass nicht das Volk wie seine neuen Herren deshalb auch das Kurzprogramm der eucharistischen Teilhabe, den kurz angebundenen sakramentalen Heilsmittelerwerb, von Herzen begrüßte und als eine willkommene Methode, sich auf Erden häuslich einzurichten, ohne sich die Aussicht auf die künftige himmlische Wohnung zu verscherzen, hochhielte! Anders freilich als für die neuen Herren stellt für das gemeine Volk diese dem neuen Lebensmut entspringende Wendung hin zu einem in den alten territorialherrschaftlichen Organisationsformen sich entfaltenden profanen Dasein ebenso wenig eine eindeutig positive, rückhaltlos engagierende Motion dar, wie das profane Dasein selbst als ein sich unzweideutig eröffnender, ein bedingungslos einladender Prospekt erscheint.
Zu klärlich ist unter den Bedingungen einerseits einer territorial beschränkten agrarischen und in deren Schatten und Grenzen dann auch handwerklichen Überschussproduktion und andererseits einer Okkupationssituation, die nolens volens in der Dichotomisierung und Stratifizierung der Gesellschaft in eine den Überschuss produzierende Unterschicht und eine den Überschuss konsumierende Oberschicht resultiert – zu klärlich ist unter diesen historischen Bedingungen einer mangels sächlicherer Assoziationsmechanismen als persönliches Vertragswerk, feudales Lehnssystem sich reproduzierenden territorialherrschaftlichen Formation den unterworfenen Volksgruppen und den ihnen sich beigesellenden niederen Rängen der Erobererstämme selbst der Weg in fronwirtschaftliche Dienstbarkeit und knechtische Abhängigkeit gewiesen, als dass sie dem so beschaffenen und beschwerten weltlichen Dasein mit vorbehaltloser Begeisterung entgegensehen oder sich gar voll Lebenslust und mit ungehemmtem Tatendrang in die Arme stürzen könnten.
In dem Maße, wie die Eroberer sich der provinzialen Territorien des verblichenen Imperiums bemächtigen, sie unter sich aufteilen und sich als lehnsvertraglich organisierte Oberschicht, als feudale Herren in ihnen etablieren, zeigt sich, dass ihr Anspruch an die unterworfenen einheimischen Bevölkerungsgruppen und an die Leibeigenen und Knechte aus den Reihen der Erobererstämme selbst der unverändert gleiche wie der der Eroberer der Stromtalzivilisationen der alten Welt ist, dass sie nämlich ebenso wie jene als Gegenleistung für die mit militärischer Macht durchgesetzten Rechtsverhältnisse im Innern und nach außen getroffenen Schutzvorkehrungen, die sie den Unterworfenen bieten und durch die sie diese im Wesentlichen vor nichts anderem sicherzustellen versprechen als vor der eignen herrschaftlichen Willkür und Habgier und vor der Aggressivität und Raubgier ihrer Standesgenossen draußen – dass sie also als Gegenleistung dafür den Unterworfenen eine vollständige Revision und Umkehrung ihrer naturgemäßen, auf subsistenzielle Versorgung, Selbsterhaltung, gerichteten Lebensperspektive abfordern und von ihnen verlangen, ihre Selbsterhaltung vielmehr in den Dienst der Erhaltung der Herrschaft zu stellen, ihr tätiges Selbstverhältnis nurmehr als integrierenden Bestandteil oder verschwindendes Moment ihrer auf das exzentrische Selbst der Herrschaft bezogenen Aktivitäten wahrzunehmen, mit anderen Worten, all ihre gesellschaftlichen Reproduktionsbemühungen und arbeitsteilig-kooperativen Arbeitsanstrengungen primär auf die ökonomische Dotierung und konsumtive Ausstattung der herrschaftlichen Sphäre zu richten und bloß sekundär oder in der ebenso stillschweigenden wie zwangsläufigen Implikation auch die eigene Existenz zu bedenken und mitzuversorgen – mit der Konsequenz, dass, empirisch-oberflächlich betrachtet, alles, was im quasi qualitativen Sprung über das Quantum der für die eigene Subsistenz erforderlichen Mittel hinaus produziert wird, ad usum delphini geschaffen wird, als Herrschaftsgut definiert ist, oder systematisch-gründlicher gefasst, überhaupt alles, das gesellschaftliche Produkt ebenso wie die gesellschaftliche Arbeitskraft, seinen quasi unmittelbaren Zweck in der Fundierung und Erhaltung eines des Arbeitslebens überhobenen herrschaftlichen Lebens findet und die Subsistenz der Arbeitenden, die Versorgung derer, die ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen müssen und das gesellschaftliche Produkt hervorbringen, deshalb als eine Vermittlungsleistung der Herrschaft, eine von letzterer den ersteren erteilte Zuwendung und erwiesene Gnade erscheint.
Diese seit alters, seit jenen ersten Stromtalreichen vorherrschende, in den folgenden orientalischen Großreichen voll zur Geltung gebrachte, dann in den Diadochenreichen mit dem technischen Knowhow und dem politischen Kalkül des handelsstädtischen Systems versetzte und aufgepäppelte und schließlich im römischen Kaiserreich auf die Spitze zynischer Rationalität und praktischer Effektivität getriebene fronwirtschaftliche Perspektive oder Herr-und-Knecht-Tradition wird nun also von den neuen feudalen Territorialherrschaften übernommen und abermals ins Werk gesetzt und lässt für die weitere Entwicklung beziehungsweise für die diese weitere Entwicklung zu tragen und zu ertragen ausersehene bäuerlich-handwerkliche Unterschicht wenig Gutes hoffen.
Unterschieden ist der Zustand der neu gegründeten Feudalherrschaften von der Situation der alten Stromtalreiche allerdings erstens dadurch, dass die damaligen Eroberer in den Stromebenen, die sie okkupieren, bereits eine für die Zeit hoch entwickelte Zivilisation, sprich, eine sozusagen gut geölte Maschinerie zur Produktion gesellschaftlichen Reichtums und Überflusses, mithin die materielle Basis für einen ebenso praktisch aufwendigen wie theoretisch anspruchsvollen Herrschaftsapparat vorfinden, während die neuen Eroberer in den aufgelassenen Reichsprovinzen, in denen sie sich festsetzen, nur Zivilisationstrümmer, kümmerliche Reste der imperialen Reichtumsbeschaffungsmaschine antreffen und deshalb auch nur einen kümmerlichen, in seinen repräsentativen Ansprüchen ebenso bescheidenen wie in seinen konsumtiven Aufwendungen eingeschränkten Herrschaftsapparat auf die Beine stellen können, dass mit anderen Worten fronwirtschaftlich organisierte Reichtumserzeugung auf entwickelter technischer Grundlage und unter systematisiert bürokratischen Bedingungen höchstens erst Zukunftsmusik und für die Gegenwart eine vom Niveau subsistenziellen Wirtschaftens noch kaum unterschiedene, vom Ideal einer verlässlichen Eigenversorgung noch kaum entfernte Not- und Überlebensgemeinschaft zwischen Herren und Knechten beziehungsweise Freien und Hörigen das Gegebene ist.
Und hinzu kommt zweitens, dass anders als die frühen orientalischen Territorialreiche, deren geographische Gründungsstätte ebenso ausladende wie in sich geschlossene, ebenso klar umrissene wie viel umfassende Stromebenen sind, die, nach außen durch unwirtliche Landstriche, Berge und Wüsten, abgeschirmt, den Schutz einer relativ isolierten Existenz und prospektiv ungestörten Kontinuität bieten – dass anders als jene frühen Territorialherrschaften die neuen Feudalstaaten in ihrer stammessystematisch-pluralischen Existenz benachbarte, eng aneinander grenzende und zwar zumeist durch geographische Landmarken geschiedene, aber doch relativ leicht für einander erreichbare Territorien okkupieren, mit dem Resultat, dass sie in einem ununterbrochenen Rivalitäts- und Bedrohungsszenarium und in ständig wechselnden Konfrontations- und Bündniskonstellationen einander zu Leibe rücken und sich zu Übergriffen hinreißen lassen, Fehden miteinander austragen und Annexions- und Expansionsgelüste hegen und dass deshalb die einzelnen Herrschaften stärker als ihre orientalischen Vorgänger nicht nur auf die Loyalität und Anhänglichkeit ihrer feudalen Gefolgschaft, sondern auch und mehr noch auf die Treue und Beständigkeit ihrer fronenden Untertanen angewiesen sind, die nicht über die Maßen zu knechten und denen die Sicherung ihrer Subsistenz nicht über Gebühr sauer und durch die Forderung frondienstlicher Reichtumserzeugung beschwerlich werden zu lassen, ein rebus sic stantibus klares Gebot ihres herrschaftlichen Kontinuitäts- und Selbsterhaltungsinteresses ist.
Dies beides, die mangelnde Effektivität und defiziente Realität der frondienstlichen Reichtumserzeugungsmaschinerie und die Konkurrenz und Militanz der feudalen Nachbarn, sorgt also in den Anfängen der neuen Territorialherrschaften, in der Frühzeit der feudalen Staaten dafür, dass die Beziehung zwischen Herr und Knecht noch Züge eines Bündnisses und von gemeinsamen Interessen bestimmten Verhältnisses aufweist und sich infolge dessen die ökonomische Bedrängnis und soziale Bedrückung der fronenden Unterschicht noch in Grenzen hält, dass der Preis, den das gemeine Volk für seine Lebenslust, seine Rückkehr ins profane Dasein zahlen muss, vertretbar, die herrschaftliche Hypothek, mit der es seine Subsistenz belastet findet, erträglich bleibt.
Dass dies auch in der Zukunft der feudalgesellschaftlichen Entwicklung so bleiben wird, scheint freilich fraglich. Schließlich lässt sich bei normalem, nur der Logik menschlicher Produktivkraftentfaltung und gesellschaftlicher Synthetisierungsneigung verpflichtetem und durch keine äußere, politisch-ideologische Rücksicht abgelenktem Fortgang damit rechnen, dass, ökonomisch genommen, die Reichtumserzeugung wieder an Aktualität und Kapazität gewinnt, sprich, alte Niveaus der technischen Perfektion und bürokratischen Organisation zurückerobert und dass, politisch betrachtet, die Rivalitäten zwischen den einzelnen Herrschaften durch den Triumph der einen oder anderen Partei ihr Ende finden und eine fortschreitende Zentralisierung der Territorien unter einer Herrschaft die äußeren Bedrohungen beseitigt und die siegreiche Herrschaft der durch diese Bedrohungen diktierten Notwendigkeit überhebt, sich nicht nur um den Beistand und die Loyalität der feudalen Gefolgschaft zu bemühen, sondern auch und mehr noch um die relative Anhänglichkeit und eventuelle Unterstützung des gemeinen Volkes, der als Bauern und Handwerker fronenden Knechte, besorgt zu sein.
Und in dem Maße, wie dies geschieht und die Reichtumserzeugung unter einer territorialen Zentralherrschaft wieder voll in Gang und auf Touren kommt, lässt sich erwarten, dass sich bei der Herrschaft jeder Rest von gemeinschaftlicher Verbundenheit mit den fronenden Knechten und parteilicher Rücksicht auf sie verliert und die Fronarbeit der letzteren zu einem Spielball und Experimentierfeld einer durch technische Hilfsmittel und bürokratische Zwangsmaßnahmen zu erzielenden Mehrung herrschaftlichen Reichtums wird und dass die Subsistenz der Knechte, wie sie sich systematisch auf ein hinter den umfänglichen konsumtiven Ansprüchen der Herrschaft verschwindendes Moment, eine der herrschaftlichen Verfügung beileibe nicht mehr als handlungsmotivationale Verpflichtung primär innewohnende, sondern höchstens noch als kostenfaktorelle Verbindlichkeit sekundär anhängende Bestimmung reduziert, so denn auch empirisch als ein gegen die Prädominanz der Reichtumsproduktion immer schwerer durchzusetzender Gesichtspunkt, ein durch das Gebot technischer Effektivität und bürokratischer Rationialität, das bei der Reichtumserzeugung erneut Platz greift, immer stärker unter Druck geratendes und mit Füßen getretenes Bedürfnis erscheint.
Und diese Entwicklung der Arbeit im Dienste der Herrschaft zum rücksichtslos durchgesetzten Knechtsschicksal, zur über alle subsistenzielle Rücksicht triumphierenden Fron sans phrase, macht umso mehr den Eindruck einer für die neuen, feudalen Territorialherrschaften verbindlichen Zukunftsperspektive, als ja das vorangegangene imperatorisch-cäsarische Regime des Römischen Reiches mit allen der Reichtumserzeugung von Haus ihrer alten territorialherrschaftlichen Verfassung aus eigenen sakral bedingten Verpflichtungen und rituell verbürgten Restriktionen ebenso gründlich wie ein für alle Mal aufgeräumt hat.
Der historische Prozess, der von den alten Theokratien über die imperialen Stadtstaaten auf kommerzieller Grundlage zur Agonie der cäsarischen Herrschaft führt, resultiert in einer Entheiligung der Welt, die letztere durch die vom Christentum eröffnete Möglichkeit, ihr ins Himmelreich zu entfliehen, einer im Prinzip vollständigen menschlichen Rücksichtslosigkeit und Willkür ausliefert.
Ihrer alten territorialherrschaftlichen Verfassung nach ist die Reichtumproduktion aufs engste verknüpft mit der Erfahrung und Verdrängung jenes – an früheren Stellen unserer Abhandlung bereits mehrfach aus dem historischen Geschehen extrapolierten – Zustands unendlicher Indifferenz und absoluter Negativität, den ein ex improviso des produzierten Reichtums selbst okkurierender Subjektwechsel in der Gestalt eines toto coelo anderen Subjekts heraufbeschwört und der, wie den gesellschaftlichen Reichtum in specie, so die ihn hervorbringende menschliche Gesellschaft in genere mit ihrer Deklassierung zum angesichts des exklusiven Seins und zeitlosen Bestehens des anderen Subjekts offensichtlichen Schein und chronischen Nichts, kurz, mit Entwirklichung und Entwertung bedroht. Diese Indifferenz und Negativität aus der Welt zu schaffen beziehungsweise durch ihre Umfunktionierung in eine Haltung subjektiv engagierter Affirmation und objektiv sanktionierender Teilhabe vereinbar mit der menschlichen Welt und gesellschaftlichen Wirklichkeit werden zu lassen, ist die zentrale Funktion und grundlegende Aufgabe von Herrschaft schon in ihrer in die Stammesgeschichte zurückreichenden heroischen und vollends dann in ihrer der Bildung territorialer Klassengesellschaften entspringenden theokratischen Form. Dafür, dass zuerst als Personifizierung des in den Heros umfunktionierten anderen Subjekts und später als Stellvertreter der zu Göttern synthetisierten und neutralisierten Stammesheroen der Herr durch entsprechende, nach Bedarf oder brauchgemäß zu wiederholende rituelle Verrichtungen und kultische Veranstaltungen den Nachweis eines initiativ-begründenden beziehungsweise possessiv-bejahenden Verhältnisses der heroischen oder göttlichen Macht zum Reichtum in specie und zur Welt in genere führt, fällt ihm der gesellschaftliche Reichtum zu und steht ihm, wie primär für seine kultischen Zwecke und rituellen Aufgaben, so denn auch sekundär für die Ausgestaltung seines eigenen, in der Evokation des Heros beziehungsweise in der Invokation der Götter verbrachten Lebens zu Gebote.
Die solchermaßen mit kultischen Verpflichtungen und rituellen Verrichtungen belasteten Herren und ihre ihnen zuarbeitenden Gefolgschaften mögen also den von der fronenden Bauern- und Handwerkerschaft geschaffenen Reichtum in Besitz nehmen und über ihn verfügen – ihr uneingeschränktes Eigentum, ihre persönliche Habe sans phrase wird er doch niemals, weil er immer diese in der Form von Heroen- und Götterkulten ausgearbeitete Funktion behält, gegen die im Heros und in den Göttern lauernde Negativität und Indifferenz des anderen Subjekts, seine, des Reichtums, eigene Realität zu beschwören und die Menschen der Positivität ihres zu ihm führenden Tuns und Treibens zu versichern. Nicht, dass sie nicht ihre Knechte fronen ließen und alles aus ihnen herauszupressen suchten, was nach Maßgabe des Stands der gesellschaftlichen Produktivkraft in ihnen steckt! Aber die Reichtumerzeugung als solche und in abstracto zur Haupt- und Chefsache, zum in der Tautologie eines rein persönlichen Interesses kulminierenden Selbstzweck zu erheben, ist ihnen nicht gegeben; und so gewiss das in den Heros beziehungsweise die Götter umfunktionierte andere Subjekt, das sie personifizieren beziehungsweise repräsentieren, als der kultisch beschworene und rituell reaffirmierte eigentliche Herr und Eigner des Reichtums firmiert, den sie in seinem Namen und Auftrag hervorbringen lassen, so gewiss sind sie jenem wahren Herrn und wirklichen Eigner nicht nur für den Bestand und die Kontinuität des Reichtums selbst, sondern auch für die Bewahrung und Pflege des zur Erzeugung des Reichtums erforderlichen menschlichen Instrumentariums, sprich, für die Erhaltung der Gesundheit und die Regeneration der Arbeitskraft der fronenden Knechte verantwortlich.
Das aber ändert sich mit der Heraufkunft der Kaiserherrschaft des Römischen Imperiums. Einer neuen Erscheinungsform des Reichtums entsprungen, die den Reichtum aus einer Anhäufung territorialer Habe in eine Ansammlung kommerzieller Werte, sprich, aus Herrengut in Handelsware überführt zeigt und deren Funktionsrahmen nicht mehr die persönlich vorgenommene Allokation, sondern die sächlich vermittelte Distribution, deren Sinnbild deshalb auch nicht mehr der herrschaftliche Speicher, sondern der gemeinschaftliche Markt ist – dieser neuen, aktuelle Fülle durch potenzielle Erfüllung eskamotierenden, Überfluss durch Zirkulation aus der Welt schaffenden Form von Reichtum entsprungen, kann die cäsarische Herrschaft die von Fülle und Überfluss ursprünglich auf den Plan gerufenen Kultfiguren und religiösen Gespenster vertreiben.
Indem der auf der Basis dieser neuen Reichtumsform aller religiösen Bindungen und kultischen Verpflichtungen überhobene Cäsar den Götterglauben und die Opferkulte als reines Herrschaftskalkül und höchstens noch durch den eigenen Größenwahn mit einer pseudoreligiös höheren Weihe versehenes politisch-ideologisches Machtmittel einsetzt und zu diesem zynisch berechnenden Zweck als ein Kultobjekt unter anderen, als Gott unter Göttern Einzug in die Tempel des Reiches hält, stellt er die Götter insgesamt als zur Legitimierung theokratischer Herrschaft ersonnene Popanze bloß, entlarvt er die ihnen geweihten Opferkulte als nur einen Hokuspokus, unter dessen Camouflage die Theokraten selbst nicht nur ungestört, sondern mehr noch mit allgemeiner Billigung ihren Raub am gesellschaftlichen Reichtum begehen können, und erweist er das, was die Götterkulte fundiert, nämlich den Glauben an die das irdische Dasein als ein Sein reaffirmierende, die Erscheinungswelt als Wirklichkeit sanktionierende göttliche Macht, den Glauben mit anderen Worten daran, dass die Götter die Welt vor jener alles für eitel erklärenden Indifferenz, jener alles für nichts befindenden Negativität retten und schützen, die ein durch sie ebenso sehr verdrängtes wie ersetztes, ein in sie ebenso sehr eskamotiertes wie umfunktioniertes anderes Subjekt der Welt vielmehr bezeigt – erweist er also diesen Glauben an die positive Anteilnahme und den affirmativen Schutz der Götter als ein seit alters von der theokratischen Herrschaft lanciertes Täuschungs- beziehungsweise Selbsttäuschungsmanöver, das höchstens und bestenfalls den von Indifferenz ununterscheidbaren Zynismus und den mit Negativität identischen Egoismus zu kaschieren und vom Bewusstsein fernzuhalten dient, den er, der als der Herrscher sans phrase auftretende Cäsar, das in den Bau der füchsischen Theokraten wölfisch eingefallene leibhaftige andere Subjekt, nun in ungeschminkter Wahrheit an den Tag legt und in allen Einzelheiten des imperialen Ausbeutungsapparats Wirklichkeit werden lässt.
So gewiss der imperatorische Cäsarismus des Römischen Reiches, der Kult des Gottkaisertums, die absolute Indifferenz und transzendente Negativität des anderen Subjekts, der die Theokratien mit Hilfe der Götterkulte zu wehren und einen Riegel vorzuschieben beanspruchen, als vielmehr nur den rücksichtslos eigenen Zynismus, den gottlos immanenten Egoismus der Cäsarenherrschaft selbst entlarvt und offenbar werden lässt, und so gewiss er also den Theokratien ihre sakrale Begründung und göttliche Sanktionierung als bloßen, ihr wahres Wollen zu kaschieren bestimmten Vorwand, als bloße, ihr tatsächliches Tun zu verbrämen dienende Rationalisierung nachweist beziehungsweise vorstellt, so gewiss sucht er die traditionellen Religionssysteme mit einer allgemeinen Götterdämmerung heim, beschwört eine umfassende Aufklärung über sie herauf, an deren Ende alle den menschlichen Reichtum in specie und das innerweltliche Dasein der Menschen in genere mit unendlicher Indifferenz und absoluter Negativität bedrohende ontologische Verschiedenheit und chronologische Transzendenz eines anderen Subjekts verschwunden und nichts mehr übrig ist als eben nur die grundlose Machtausübung und nackte Herrschaft von Menschen über Menschen, in deren Konsequenz die einen den von anderen geschaffenen Reichtum in aller Positivität und Pauschalität als ihr Privateigentum in Anspruch nehmen und die von letzteren wohnlich gemachte Welt ohne jedes Wenn und Aber, ohne viel Vorwände und Umstände als ihre persönliche Domäne mit Beschlag belegen.
Freilich bedeutet dies mitnichten das endgültige Aus für das toto coelo andere Subjekt und sein zur unendlichen Indifferenz distanziertes ontologisch verschiedenes Sein, seine in absoluter Negativität verhaltene modallogisch transzendente Wirklichkeit! Wie das Schicksal des Römischen Reiches in aller Ausführlichkeit demonstriert, ist die als imperialer Cäsarismus in ihrem gottlos nackten Zynismus bloßgestellte, in ihrem unverhohlen reinen Egoismus offenbar gewordene weltliche Herrschaft aus Gründen ihrer ebenso heillos widersprüchlichen wie dynamisch unbewussten Konstitution schlechterdings unfähig, ihren erklärten Zweck, eine im Interesse der Befestigung ihrer selbst und der Bestreitung des Lebens im Überfluss, auf das sie Anspruch erhebt, betriebene Ausbeutung von Mensch und Natur und Akkumulation von Reichtum konsequent zu verfolgen und mit der im abstrakten Prinzip ihr eigenen Hemmungslosigkeit ins Werk zu setzen. Sie ist vielmehr hoffnungslos disponiert, besser gesagt, rettungslos dazu verurteilt, mit sich selbst in mörderischen Streit zu geraten und im Zuge eines mit allen militärischen Kräften, die das Imperium zu mobilisieren vermag, ausgetragenen permanenten Konflikts ihre eigene Existenzbasis, das den Reichtum, auf dem sie aufbaut, produzierende Reich, zugrunde zu richten, seine Äcker zu verwüsten, seine Gewerke zu ruinieren, seine Infrastruktur zu zerstören, seinen Handel zum Erliegen zu bringen, seine Technik und Wissenschaft in Verfall geraten zu lassen, seine Bevölkerungen zu vertreiben, zu dezimieren und in einen Zustand allgemeiner gesellschaftlicher Auflösung zu versetzen.
Die cäsarische Herrschaft findet sich, wie an früherer Stelle gezeigt, durch die irrationalen Grundlagen ihrer Rationalität, durch die religiösen Widersprüche, aus denen ihre säkulare Identität sich speist, dazu getrieben, so viel Not und Elend über ihre Untertanen zu bringen und ihnen das Leben derart zu vergällen und zum Gräuel werden zu lassen, dass sie schließlich freiwillig eben jenem in ontologischer Differenz persistierenden, in chronologischer Transzendenz perennierenden anderen Subjekt sich zuwenden und in die Arme werfen, das die alten Stammesherrschaften und Theokratien die Aufgabe hatten, mittels ihrer Heroen- und Opferkulte in eine affirmative Macht und sanktionierende Instanz umzufunktionieren, und das die von einer anderen Art von Reichtum, von kommerziellen Waren statt von territorialem Gut, ihren Ausgang nehmende römische Kaiserherrschaft dem Blickfeld überhaupt entrückt und nämlich durch ihren blind materiellen Egoismus, ihren rein säkularen Zynismus substituiert, sprich, als einen für das Verhältnis zur Welt maßgebenden Faktor, eine für das menschliche Dasein relevante Rücksicht ersatzlos gestrichen, eskamotiert hat.
Unter dem ebenso theoretisch vernichtenden Eindruck wie praktisch tödlichen Druck des in die Nacht seines hintergrundslos klaren Verstandes gehüllten, dem Wahnsinn seiner richtungslos funktionierenden Rationalität verfallenen Kaiserreichs entscheiden sich die Untertanen für das differente Sein, die transzendente Wirklichkeit jenes eskamotierten, durch die irrationale Rationalität des Kaiserkults in die Abskondität dieses seines absoluten Seins, die unendliche Absenz dieser seiner transzendenten Wirklichkeit vertriebenen anderen Subjekts – ohne sich durch die Indifferenz, die es aus der Fülle dieses seines differenten Seins dem menschlichen Dasein beweist, irre machen, durch die Negativität, in der es aus der Absolutheit dieser seiner transzendenten Wirklichkeit der Welt der Erscheinungen begegnet, abschrecken zu lassen.
So beherzt und unerschrocken der Indifferenz des anderen Subjekts ins Auge schauen und seiner Negativität sich stellen können die an der Welt verzweifelnden und in die Flucht vor ihr getriebenen Untertanen freilich nur, weil dank der platonischen Entfaltung seines differenten Seins zum Ideenreich und dank der messianischen Übersetzung seiner transzendenten Wirklichkeit ins imminente Gottesreich, dank dieser doppelten Interpretations- und Vermittlungsleistung also, das andere Subjekt seinen unnennbaren Schrecken und seine abgründige Tödlichkeit abgelegt und sich in eine mit dem Himmelreich, mit einem alternativen Leben in einer heilen Welt winkende, ebenso liebevoll-versöhnliche wie väterlich-gütige Macht verwandelt hat. Von dieser platonisch-messianischen Macht berückt, wenden sich die in der Finsternis des irdischen Jammertals schmachtenden, an ihrem heillos menschlichen Leben verzweifelnden Opfer des imperialen Konkurses von der Welt ab und erhoffen sich die Rettung von eben dem, was ihnen als das menschliche Dasein zum Schein erklärendes transzendentes Sein einst nur Verderben und Vernichtung bedeutete, harren der Erlösung durch ausgerechnet das, wogegen sie sich vormals als gegen eine die Erscheinungswelt ad absurdum führende Wirklichkeit mit allen Mitteln religiöser Fassadenbauerei und kultischer Abwehrveranstaltungen zu verwahren suchten.
Dass sie in einer vollständigen Kehrtwendung, einer regelrechten Konversion, der Welt den Rücken kehren und sich jenem platonisch interpretierten und messianisch vermittelten anderen Subjekt und seinem ewigen Sein, seiner himmlischen Wirklichkeit zuwenden oder vielmehr überantworten, bedeutet nun aber, dass es ihnen als innerweltliches Phänomen fortan nicht mehr begegnen, ihnen in der alten, heroen- und opferkultlich bezeugten Form einer ex improviso menschlichen Reichtums in specie und natürlicher Fülle in genere auftauchenden absoluten Verwerfungsinstanz und absolut vernichtenden Macht nicht mehr unterkommen kann. So gewiss das platonisch-messianische Heilsangebot des christlichen Glaubens den verzweifelten Opfern des imperialen Konkurses die Möglichkeit eröffnet, das als Kreator der Welt ex nihilo seiner Einbildungskraft und Wortmacht erkannte andere Subjekt in all seiner vernichtenden Verschiedenheit, in seiner ganzen unendlichen Transzendenz zur Kenntnis zu nehmen und doch zugleich mit ihm nicht etwa nur ihren sie als irdische Geschöpfe gelten lassenden Frieden zu machen, sondern mehr noch einen sie zu himmlischen Wesen, zu Teilhabern an seinem transzendenten Sein und seiner ewigen Wirklichkeit bestimmenden Bund zu schließen, so gewiss ist das so von der menschlichen Kreatur uno actu ihres Glaubens ebenso sehr als unendlich indifferente, verschiedene Realität zur Kenntnis wie am Ende als die allen Unterschied machende wirkliche Identität ihrer selbst in Anspruch genommene, das von ihr ebenso sehr als absolut negatives, transzendentes Sein akzeptierte wie zu guter Letzt als die alles neu machende, affirmativ-eigene Existenz reklamierte andere Subjekt ein für allemal der irdischen Welt überhoben und entzogen und als die intra muros des menschlichen Daseins und nämlich ex improviso menschlichen Tuns und Vollbringens auftauchende epiphanische Macht, die es so lange sein und bleiben konnte, wie die Menschen es mit allen heroologischen und götterkultlichen Mitteln zu verdrängen und zu substituieren bemüht waren, für alle Zukunft aus dem Spiel.
Als in der Erscheinungswelt und durch sie hindurch sich manifestierender und sie als im Vergleich mit seiner absoluten Wirklichkeit schieren Schein, im Verhältnis zu seinem apriorischen Sein als rein nichts denunzierender Verwerfer und Vernichter, der eben deshalb, weil er die Erscheinungswelt in toto in Frage stellt und pauschal negiert, partout in ihren heroisch-göttlichen Garanten oder Erhalter umgedeutet werden muss – als dieser epiphanische Widersacher hat das andere Subjekt in dem Augenblick, salopp gesagt, ausgespielt, in dem die menschliche Kreatur es als den ontologisch unerkennbar verschiedenen, aber in seiner Verschiedenheit doch zugleich platonisch erschließbaren Herrn des Himmels gnostisch wahrnimmt, es als ihren modallogisch unüberbrückbar transzendenten, aber in seiner Transzendenz doch zugleich messianisch erreichbaren barmherzigen Erzeuger dogmatisch annimmt.
Die Art und Weise, wie die von der Agonie des Imperiums zur Verzweiflung getriebenen Untertanen die kaiserherrschaftlich zynische Säkularisierung und egoistische Profanisierung der Erscheinungswelt, die kaiserkultlich definitive Widerlegung und Ausschließung des anderen Subjekts als einer sei's in epiphanisch unmittelbarer Gestalt, sei's in ihren heroisch-göttlichen Derivaten innerweltlich gegenwärtigen und wirksamen Macht, durchkreuzen, indem sie das andere Subjekt auf der Basis seiner platonischen Interpretation und messianischen Vermittlung in seiner Außerweltlichkeit realisieren, es als das gegenüber dem menschlichen Dasein unendlich verschiedene Sein, als die zur Welt der Erscheinungen absolut transzendente Wirklichkeit ein für allemal affirmieren und akzeptieren – diese wie immer auch durch die rosarote Brille des Platonismus und die imaginäre Perspektive des Messianismus weichgezeichnete klarsichtige Wahrnehmung des anderen Subjekts als des in der Indifferenz seiner ontologischen Differenz subsistierenden, in der Negativität seiner modallogischen Transzendenz perennierenden Herrn des Seins und lebendigen Gottes also bestätigt doch zugleich die per medium des Kaiserkults durch die cäsarisch-imperiale Herrschaft zur Geltung gebrachte Sicht von der Erscheinungswelt, was deren Entgöttlichung und Entheiligung, das sie als allgemeine Götterdämmerung ereilende Bewusstsein ihrer radikalen Substanzlosigkeit, die als umfassende Aufklärung über sie hereinbrechende Erkenntnis ihrer fundamentalen Grundlosigkeit betrifft.
So gewiss das Christentum die von der cäsarisch-imperialen Herrschaft mittels Kaiserkult erreichte Reduktion des anderen Subjekts auf die Person des cäsarischen Imperators selbst und die darauf basierende Dekuvrierung und Eskamotierung aller zur Bewältigung der Indifferenz und Negativität des anderen Subjekts in die Welt gebrachten epiphanisch-sakralen, göttlichen Mächte zugunsten einer Selbstinszenierung der nichts mehr als die zynische Positivität und egoistische Herrlichkeit des cäsarisch einen Subjekts beweisenden empirisch-profanen Herrschaft, des die göttlich-kultische Ordnung verdrängenden und ersetzenden weltlich-politischen Regimes sans phrase beziehungsweise mit nurmehr der einen Phrase des zur Begründung seiner Alleinherrschaft inszenierten Pseudokults – so gewiss das Christentum diese Eskamotierung der mit ihrer theokratischen Ordnung dem anderen Subjekt zu wehren bestimmten überweltlich göttlichen Mächte durch das sich als das allen Andersseins ledige innerweltlich eine Subjekt behauptende sichselbstgleich-autokratische Regime damit beantwortet, dass es auf der Basis des platonischen Ideenkults und des jüdischen Messianismus das singulär wahre andere Subjekt, die allein wirkliche göttliche Macht aus aller ontologischen Verhältnismäßigkeit und jeder modallogischen Kontinuität zur Erscheinungswelt heraussprengt und sich in die unendliche Verschiedenheit einer die Erscheinungswelt für schlechterdings Schein erklärenden Wesenssphäre hinaussetzen, in die absolute Transzendenz eines das irdische Dasein radikal zunichte machenden himmlischen Seins absentieren lässt, so gewiss besiegelt und vollendet es die von der cäsarisch-imperatorischen Herrschaft initiierte rücksichtslose Entsakralisierung und heillose Profanisierung dieser irdischen Welt.
Es besiegelt die Entheiligung der Welt: Das heißt, es unterschreibt und bestätigt pauschal das im Kaiserkult als zynisch-ideologischem Machtergreifungsinstrument beschlossene vernichtende Urteil über alle göttlichen Mächte und kultischen Instanzen, durch die der Anspruch erhoben wird, weltliche Lebensordnungen im Allgemeinen und gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse im Besonderen zu sanktionieren, sprich, mit der höheren Weihe einer vor topischem Verschwinden und chronischer Vergängnis bewahrenden Substantialität und ewigen Geltung zu versehen. Und es vollendet die Entheiligung der Welt, indem es solch vernichtendem Urteil auch und zugleich jenen als Offenbarungseid sämtlicher göttlicher Sanktionsmächte und kultischer Reaffirmationsinstanzen dieser Welt fungierenden cäsarischen Jokergott und imperatorischen Pseudokult unterwirft und nichts mehr erkennt und gläubig anerkennt als den als Schöpfer Himmels und der Erden perennierenden einen Gott, für den in seiner Indifferenz und Negativität, sprich, in seiner ontologisch unendlichen Differenz und modallogisch absoluten Transzendenz, in seinem alleinigen Sein und seiner ausschließlichen Wirklichkeit, die aus einer wortmächtigen Projektion, aus dem Nichts einer Vorstellungslaune von ihm geschaffene Welt so ganz und gar keine substanzielle Relevanz, geschweige denn, existenzielle Bedeutung hat, dass sie ebenso gut wieder verschwunden und nichts sein könnte, ohne dass ihr Verschwinden ihrem Schöpfer in seinem sichselbstgleichen Sein, seiner vollkommenen Wirklichkeit ein Jota raubte.
Was sich für den Christenmenschen demnach als seine Welt ergibt, ist ein jeglicher sakraler Forderungen und Hypotheken enthobener, ein von allen göttlichen Ansprüchen und Prärogativen befreiter Lebensraum und Aufenthaltsort, der nur für ihn, die in ihm weilende, in ihm sich erhaltende menschliche Kreatur, von Relevanz und Bedeutung ist, eine Welt, die ihm zwar alles andere als Halt gibt oder Bestand verleiht (Halt und Bestand findet er, wenn überhaupt, nur außerhalb und jenseits ihrer, im unendlich differenten Sein des Schöpfers, in der absolut transzendenten Wirklichkeit des einen Gottes), die aber, weil Gott selbst mit ihr nichts Wirkliches anfangen kann und nichts Wesentliches zu schaffen hat, in ihrer Hinfälligkeit und Vergänglichkeit, das heißt, solange sie beziehungsweise er, der Mensch, währt, ihm als sein Eigen überlassen bleibt, ihm vorbehaltlos zu Gebote, uneingeschränkt zur Verfügung steht.
Was sich, mit anderen Worten, dem Christenmenschen offeriert, ist die Welt, so wie sie sich auch dem jüdischen Gläubigen darbot, als eine von Gott, dem Herrn, in all ihrer Kreatürlichkeit, ihrer Aus-Nichts-Geschaffenheit, der menschlichen Kreatur, dem aus Nichts geschaffenen epistemologischen Ebenbild Gottes, anheim gegebene Kreation, auf dass er, der Mensch, sie sich untertan mache und über sie herrsche. Wie Stammvater Adam kann auch der in seinen Fußstapfen wandelnde Christenmensch, weil er bei aller kultischen Hingabe, die er selber Gott, dem Herrn, schuldet, doch aber im Blick auf seine Gott, dem Herrn, unendlich gleichgültige, absolut nichts bedeutende irdische Domäne keiner anteilnehmenden höheren Macht rechenschafts- und keinem interessierten göttlichen Teilhaber tributpflichtig ist, als ein von Gott, dem Herrn, eingesetzter autochthoner Herr und unbestrittener Herrscher uneingeschränkt über die Erde verfügen, mit ihr nach Gutdünken umspringen, mit ihr machen, was er will.
Und er kann das in einem sogar noch rückhaltloseren und zu entsprechend größerer Rücksichtslosigkeit ermächtigenden Sinn als Stammvater Adam beziehungsweise der aus ihm sich genealogisch herleitende jüdische Gläubige. Letzterer nämlich weiß sich ja als Kreatur unter Kreaturen, als ein, jedenfalls ontologisch betrachtet, von der übrigen Geschöpflichkeit ununterschiedenes und an deren Substanzlosigkeit und Nichtigkeit unverbrüchlich teilhabendes Geschöpf. Insofern gilt ihm die Erde als seine unentrinnbare Heimstatt, sein Lebensraum im emphatischen Sinne einer unüberschreitbaren conditio humana, und wenn auch keine göttliche Macht und kultische Rücksicht da ist, die seine Herrschaft über die Erde beschränkt und ihm vorschreibt, wie er mit der nichtmenschlichen Kreatur zu verfahren hat und was ihm hierbei zu tun erlaubt und zu lassen geboten ist, heißt ihn doch das persönliche Interesse, der seine eigene Existenz betreffende Umstand, dass er auf Gedeih und Verderb Erdenbürger, Kreatur, ist, mit der Erde pfleglich umzugehen, die übrige Kreatur zu achten und sich nicht frevelhaft über sie zu erheben oder gar hinwegzusetzen.
Dem Christenmenschen hingegen ist ja dank platonisch-messianischer Ausdeutung der von der jüdischen Religion offenbar gemachten absoluten Transzendenz des lebendigen Gottes gelungen, sich eine Heilsperspektive zu erschließen, einen Weg heraus aus dem kreatürlich-irdischen Schein und hinüber ins göttlich-himmlische Sein. So sehr er von Haus aus nur Teil des vom göttlichen Autor geschaffenen Wort- und Kunstwerks ist, so sehr kann er doch dank platonischer Gnosis und messianischer Gnade die Fronten wechseln und des lebendigen Seins des Schöpfers teilhaftig, in einem nicht mehr nur epistemologisch beschränkten, sondern mehr noch ontologisch durchschlagenden Sinne wie Gott werden. Für ihn ist deshalb das kreatürliche Dasein kein existenzielles Nonplusultra, sondern ein transitorischer Aufenthalt, ist die Erscheinungswelt keine erste und letzte Gegebenheit, sondern ein Interludium, ein Durchgangsmoment. Was sollte ihn dazu vermögen, diese Zwischenstation, die er ja früher oder später wieder räumt und ein für alle Mal hinter sich lässt, als seine unverbrüchliche Heimat anzusehen und entsprechend pfleglich mit ihr umzugehen? Was könnte ihn daran hindern, diese vorübergehende Bleibe, wenn ihm danach ist oder es seinen Interessen frommt, brandzuroden oder brandzuschatzen, sie ohne Rücksicht auf Verluste im Dienste der Befriedigung persönlicher Bedürfnisse und eigennütziger Vorhaben auszubeuten und zugrunde zu richten?
So sehr der moralisch-lebenspraktische Einfluss, den der Klerus beansprucht, subjektiv dem Bedürfnis entspringt, sich nicht auf die Rolle von Kultdienern reduzieren zu lassen und ihrem mönchisch-heiligen Leben die paradigmatische Bedeutung für alles irdische Dasein zu erhalten, so sehr hat er doch seinen objektiven Grund im Interesse der Gemeinen, die säkulare Herrschaft unter Kuratel zu stellen und von einer im Gewahrsam ihrer himmlischen Heilsaussicht aller Rücksicht auf die irdische Schöpfung sich entschlagenden zügellos-selbstsüchtigen Herrschaftsübung abzuhalten.
Freilich ist die heilsperspektivische Orientierung, zu der sich der Christenmensch versteigt, wie formaliter der Freibrief zu einer durch keine objektiven Verpflichtungen oder subjektiven Rücksichten mehr in Zaum gehaltenen Willkürherrschaft über die irdische Welt, so aber erst einmal auch realiter die beste Garantie dafür, dass der Freibrief ungenutzt bleibt. Schließlich entspringt das Hoffen aufs himmlische Heil, das Streben nach einem platonisch-messianisch vermittelten ewigen Sein ja der Verzweiflung an den unheilvoll irdischen Verhältnissen, dem Verlust allen ans weltliche Dasein geknüpften Mutes zum Leben, und ist also ebenso sehr gespeist wie begleitet von einer weltflüchtigen Motion, die in des Schöpfers Wort- und Kunstwerk, der Erscheinungswelt, nichts mehr als ein Jammertal, einen Schreckensort und Leidensweg, kurz, die Hölle auf Erden zu gewahren vermag und also, wie die heilsperspektivische Wendung, die sie nimmt, beweist, gleichbedeutend ist mit der Absage an alle weltlichen Bindungen, der Preisgabe jeglichen Interesses am irdischen Dasein.
Insofern ist die in der heilsperspektivischen Orientierung des Christenmenschen formaliter implizierte Emanzipation der Erscheinungswelt von göttlichen Ansprüchen und kultischen Verpflichtungen, wie sie die Aufforderung des Messias, Gott zu geben, was Gottes, und dem Kaiser, was des Kaisers ist, konstatiert, realiter ein Muster ohne Wert und eher ein theologischer Hohn als ein politisches Programm: Ein und dieselbe qua Heilsperspektive zwischen himmlischem Sein und irdischem Schein vollzogene gnostisch-essenzielle Scheidung und getroffene messianisch-existenzielle Entscheidung, die dem Menschen die Freiheit einräumt, bar aller sakralen Rücksichten auf Erden zu tun und zu lassen, was ihm beliebt, und in säkularer Selbstherrlichkeit sein Dasein zu gestalten, setzt zugleich voraus, dass dem Menschen die Erde zum Abscheu und sein Dasein zur Last geworden ist, und erweist somit den dem Menschen eröffneten irdischen Spiel- und Entfaltungsraum als ebenso unnütz wie gegenstandslos, führt die ihm vindizierte menschliche Handlungs- und Bewegungsfreiheit ad absurdum einer gänzlich irrelevanten Option.
Wenn nun allerdings diese Voraussetzung vollständigen Überdrusses beziehungsweise schrankenloser Verzweiflung an der Welt nicht mehr gilt und nach dem Untergang des agonalen, sich selbst zerfleischenden Imperiums dem Christenmenschen der Lebensmut allmählich zurückkehrt und die Lust am Dasein wieder in ihm erwacht und wenn gleichzeitig die neuerliche Hinwendung zum irdischen Dasein sich dank des eigentlich ja im Zuge des stracks-weltflüchtigen Strebens nach dem Himmelreich ersonnenen Kurzprogramms eines sakramentalen Heilsmittelerwerbs als mit der Wahrung der Heilsperspektive vereinbar und im Sinne einer zur heiligen Lebensführung der Nachfolge Christi alternativen Daseinsgestaltung, eines eigene Wege gehenden, weltlichen Lebenswandels, realisierbar erweist, stellt sich die Sache gleich anders und durchaus prekärer dar.
In dem Maße, wie sich unter der dogmatischen Prämisse des vom Heiland qua Passahmahl geleisteten Erlösungsversprechens und auf der kultischen Grundlage der das Versprechen einlösenden eucharistischen Teilhabe, kurz, sub conditione der garantierten Heilsaussicht ein neues säkular-gesellschaftliches Leben entwickelt, das unter den gegebenen historischen Umständen eines gewaltsamen Zusammenschlusses fremder Eroberer mit heimischen Bevölkerungen einerseits und einer feudalorganisatorisch alterierten Tradition imperialer Provinzialverwaltung andererseits in wie auch immer modifizierter Form die in specie fronwirtschaftlichen Verhältnisse und in genere territorialherrschaftlichen Strukturen der alten, den kommerziellen Stadtstaaten und ihrer imperialen Dynamik vorausgehenden agrargesellschaftlichen Zivilisationen wiedererstehen lässt – in dem Maße also, wie dies geschieht, wird jener als systematisches Gegenstück zur außerweltlichen Heilsperspektive nolens volens implizierte innerweltliche Prospekt einer uneingeschränkten Verfügung des Menschen über die Erde, einer durch keine göttlichen Interessen und Interventionen mehr behinderten oder kontrollierten menschlichen Herrschaft über die Schöpfung aus einer bloß formalen Option zu einer durchaus realen Chance. Zu einer Chance, die unter den gegebenen historischen Bedingungen der wiedererstandenen fronwirtschaftlichen Territorialherrschaft von den einen, den Herren der Gesellschaft, wahrgenommen und ergriffen wird, während den anderen, die in der Gesellschaft als die Knechte fungieren, die Aufgabe zufällt, sie zu nützen und zu realisieren – einer Chance mit anderen Worten, die den einen, den Herren, ebenso leicht in den Sinn kommen und zum persönlichen Anliegen beziehungsweise zur privaten Obsession werden kann, wie sie den anderen, den Knechten, schwer von der Hand gehen und zur kaum verkraftbaren Auflage, zum erdrückend privativen Sachzwang werden muss.
In der Tat stellt sich unter den gegebenen historischen Bedingungen einer Gesellschaft, in der die einen befehlen und die anderen gehorchen, die einen planen und die anderen ausführen, die einen wollen und Wünsche haben und die anderen zu Willen sind und Wünsche erfüllen, eine losgelassen irdische, innerweltlich entfesselte Herrschaft, eine Herrschaft, die dadurch ermöglicht wird, dass teils negativ das innerweltliche Dasein im Blick auf das heilsperspektivisch ins Auge gefasste außerweltliche Sein für die Menschen jeden Belang und alle Bedeutung verliert, teils positiv die Menschen das innerweltliche Dasein als hier und jetzt für sie von Belang und Bedeutung wahrzunehmen vermögen, ohne deshalb ihrer Heilsaussicht verlustig zu gehen – in der Tat stellt sich in einer solchen herrschaftlich organisierten Gesellschaft eine derart entfesselte Herrschaft über die Schöpfung, wenn sie denn wirklich wird, den gehorchenden Untertanen und ausführenden Knechten als ein ebenso bedrohliches Datum wie beschwerliches Faktum dar, weil sie, die Knechte, als Werkzeuge des Willens ihrer Herren, als ausführende Organe des herrschaftlichen Corpus von der maßlosen Willkür und rücksichtslosen Verfügung, mit der die Herrschaft sich in der gottverlassen-heillosen Schöpfung zu schaffen macht und zur Geltung bringt, im Zweifelsfall noch mehr sogar als die letztere selbst betroffen sind und darunter zu leiden haben.
Durch ihre knechtischen Werkzeuge und untertänigen Organe von der kreatürlichen Objektivität, die sie nach Belieben beherrschen wollen und über die sie frei zu verfügen wünschen, getrennt, stehen die Herren in akuter Gefahr, jeden Realismus und alles Augenmaß einzubüßen und den ersteren Leistungen und Werke abzuverlangen, die den ganzen Unwillen und gesammelten Widerstand der misshandelten organischen und anorganischen Natur herausfordern – einen Unwillen und Widerstand, den natürlich in der Hauptsache diejenigen ausbaden müssen, die gezwungen sind, jene hybriden Leistungen zu erbringen und Willkürwerke zu verrichten und zu diesem Zweck dem natürlichen Unwillen zu trotzen und die Tücke des Objekts zu brechen. Die Knechte und Untertanen sind es, die dann zwischen die Mühlräder des Mahlwerks eines von allen guten Geistern göttlicher Bevormundung verlassenen, territorialherrschaftlich organisierten menschlichen Daseins geraten – zwischen die Mühlräder einer Herrschaft, die im Vertrauen aufs garantierte himmlische Heil mit dem irdischen Leben Schindluder treibt, sich rücksichtslos an ihm vergreift, heillos in ihm zu Werke geht, und einer Schöpfung, die mit allen, ihr verfügbaren Mitteln natürlicher Trägheit, anorganischer Hartleibigkeit und organischer Unverwüstlichkeit jener Misshandlung trotzt und denen, die sich an ihr vergreifen, das Leben schwer macht. Sie, die Knechte und Untertanen, sind die Faktota, auf deren Rücken der Konflikt zwischen einer territorialherrschaftlich entfesselten menschlichen Kreatur, die im Vertrauen auf ihr inskünftig ewiges Sein keine Bedenken trägt, sich in und an der Schöpfung nach Belieben auszutoben, und der Schöpfung selbst, die kraft schieren natürlichen Beharrungsvermögens solcher Aggression Paroli bietet, im Zweifelsfall ausgetragen wird.
Und sie, die Knechte und Untertanen, sind es deshalb aber auch, die bei aller Lust zum irdischen Leben, die ihnen selber wiederkehrt, und bei aller eigenen Bereitschaft, als kultische Basis dieses wiederaufgenommenen irdischen Lebens das die Vereinbarkeit des letzteren mit der Heilsperspektive gewährleistende Kurzprogramm der sakramentalen Heilsmittelübertragung gelten zu lassen, einer ausschließlich kultischen Fundierung der neuen, territorialherrschaftlich verfassten Profanität in solch kurzangebundenem Heilsmittelerwerb reserviert und vielmehr ablehnend gegenüberstehen und die sich folglich als die natürlichen Bundesgenossen derjenigen erweisen, die am tradierten Heilsweg der imitatio dei als an einer unabdingbaren Voraussetzung allen Heilserwerbs festhalten.
Indem diese Verfechter eines in der Nachfolge Christi geführten heiligen Lebens als der nach wie vor verbindlichen via regia zum Heil darauf bestehen, dass auch die dem irdischen Dasein, dem profanen Leben erneut sich Zuwendenden der im Prinzip unveränderten Verbindlichkeit jener vita sancta Anerkennung zollen und diese Anerkennung dadurch kundtun, dass sie das Kurzprogramm des sakramentalen Heilsmittelerwerbs nur dann für wirksam und erfolgreich erachten, wenn ein Vertreter der vita sancta dabei zugegen und feder- oder vielmehr kelchführend daran beteiligt ist, erlegen sie denen, die in den neu entstehenden territorialherrschaftlichen Gesellschaften das Sagen haben und die Macht ausüben, Rücksichten und Beschränkungen auf, die den Beifall und die Zustimmung all derer finden müssen, die in den neuen Gesellschaften den Part der Knechte und Untertanen spielen und die nichts mehr zu fürchten Grund haben als jene an die Wand gemalte, durch die heilsperspektivische Entsakralisierung der irdischen Welt ermöglichte herrschaftliche Rücksichts- und Schrankenlosigkeit, die Rücksicht nurmehr als den knechtisch-frondienstlichen Gehorsam gegenüber dem Anspruch der Herren auf absolute Verfügungsgewalt kennt und der Beschränkung gleichbedeutend ist mit einer bedingungslosen Unterwerfung der Untertanen unter den entfesselten Naturbeherrschungswahn von Menschen, die der Schöpfung mit einem aus Indifferenz und Willkür gemischten, vexierbildlich ähnlichen Allmachtsbewusstsein begegnen wie einst ihr Schöpfer.
Freilich gewinnt die den weltlichen Herren von den Nachfolgern Christi qua Anerkennung der vita sancta als der im Prinzip normativ-verbindlichen Lebensform auferlegte Rücksicht und Beschränkung nur dann gesellschaftliche Relevanz und ist nur dann von politischer Konsequenz, wenn die Anerkennung eben nicht im Prinzipiellen stecken, nicht nur formell, kein bloßes Lippenbekenntnis bleibt, wenn sie mit anderen Worten sich nicht darin erschöpft, dass die weltlichen Herren den geistlich Lebenden ihre Unentbehrlichkeit und in der Tat konstitutive Bedeutung für jede unter der Heilsprämisse stehende, ihr weltlich gesinntes Dasein mit der Heilsperspektive in Einklang zu bringen entschlossene irdische Gesellschaft attestieren, indem sie diesen heilig Lebenden eine maßgebende Rolle und entscheidende Funktion bei dem die Heilsperspektive wahrenden und vielmehr realisierenden und damit das heillos-säkulare Dasein als mit der Heilsaussicht dennoch vereinbar erweisenden sakramentalen Heilsmitteltransfer einräumen. Beschränkt sich die Anerkennungsleistung auf diese den Vertretern der vita sancta eingeräumte kultisch-sakramentale Funktion, so ändert sich de facto nichts an der Ermächtigung der säkularen Herren zur freien Verfügung und zum rücksichtslosen Diktat über die zu Lebzeiten, bis zur sakramental garantierten Entrückung ins Himmelreich, ihnen überlassene und ihrer Willkür ausgelieferte Schöpfung. Das Kurzprogramm des eucharistischen Heilsmittelerwerbs, das den säkularen Herren ermöglicht, ohne Verlust ihrer Heilsaussicht ein von Heilsrücksichten unbelastetes profanes Dasein zu führen, wird dann einfach nur um das Moment der Mitwirkung der Verfechter eines sakralen Lebens erweitert und komplettiert, die sich damit auf die Rolle ritueller Dienstleister, spezialisierter Kultdiener reduziert finden und durch ihre kultische Mitwirkung eben die faktische Trennung von heiligem Leben und profanem Dasein reaffirmieren oder jedenfalls als praktikabel erweisen, die durch die Anerkennung des heiligen Lebens als einer für den Erfolg des eucharistischen Heilsmittelerwerbs unabdingbaren Gegebenheit doch eigentlich verhindert werden soll.
Damit diese Trennung nicht mit allen für die Knechte und Untertanen der neuen Territorialherrschaften zu gewärtigenden fatalen Folgen factum brutum werden kann, muss die Anerkennung der normativen Bedeutung des heiligen Lebens durch die weltlichen Herren über die den Nachfolgern Christi im kultisch-sakramentalen Bereich zugestandene Bedeutung hinaus auch in der alltäglichen Praxis der Gesellschaft und in ihren Moralvorstellungen Geltung gewinnen und Wirksamkeit beweisen. Nur dann, wenn die vita sancta der Nachfolge Christi sich nicht darin erschöpft, die bloß äußere, objektive Voraussetzung, die abstrakt bleibende Bedingung der Möglichkeit, kurz, das kultische Passepartout für eine unter der Heilsprämisse stehende säkulare Gesellschaft abzugeben, sondern eine innere, subjektive Vorbildfunktion für die säkulare Gesellschaft erlangt, in diese als konkrete Bedingung ihrer Wirklichkeit Einzug zu halten vermag, kurz, praktisches Paradigma für sie wird – nur dann können die Knechte und Untertanen hoffen, dem ihnen andernfalls blühenden Schicksal schrankenloser Instrumentalisierung und hemmungsloser Ausbeutung durch ihre Herren zu entrinnen.
Nur dann nämlich können die oben erwähnten, dem Erdenwandel des Messias abgeschauten Prinzipien einer heiligen Lebensführung, der die Sucht nach materieller Befriedigung unterdrückende Geist der Entsagung und Askese, das dem Streben nach sozialer Macht entgegenwirkende Gebot der Armut und Demut, die den Trieb nach personaler Erhöhung sublimierende Aufforderung zur sexuellen Enthaltung und Nächstenliebe, im weltlichen Dasein wirksam werden und, die Willkür der Herren nicht weniger als die der Knechte zügelnd und beider Lebensgier gleichermaßen dämpfend, einen dem rituellen Korsett, in das die Herren der alten theokratisch-opferkultlichen Gesellschaften eingeschnürt sind, den disziplinarischen Vorschriften und Reinheitsgeboten, die ihre Handlungsmacht und Verfügungsgewalt wesentlich einschränken, vergleichbaren Effekt erzielen.
Und sie, die Knechte und Untertanen, die Leibeigenen und Hörigen, die Hintersassen und einfachen Leute, sind es deshalb auch, die zuvörderst und vor allem daran interessiert und darauf aus sind, dass die Funktion der als geistlicher Stand, als Klerus etablierten Nachfolger Christi sich nicht darin erschöpft, durch ihre kultisch-sakrale Mitwirkung beim sakramentalen Heilsmittelerwerb der säkularen Gesellschaft deren Aussicht aufs himmlische Heil zu garantieren, sondern dass die Bedeutung des Klerus für die laizistische Gesellschaft, sein Einfluss auf die weltlichen Stände im Allgemeinen und den Herrenstand im Besonderen sich mehr noch auf praktisch-moralische Belange erstreckt, dass mit anderen Worten der geistliche Stand durch sein heiliges Leben, durch die Art und Weise, wie er sich in der Welt verhält, den weltlichen Ständen praktische Prinzipien für deren eigenes irdisches Leben, moralische Normen für ihren persönlichen Umgang mit der Welt vorgibt, die in wie immer abgeschwächter und an die Bedingungen eines säkularen Daseins angepasster Form zu befolgen, integrierender Bestandteil der dem geistlichen Stand für seine vorbildliche Lebensführung geschuldeten Anerkennung ist.
Der Klerus selbst könnte sich mit der ihm konzedierten beziehungsweise oktroyierten kultisch-sakralen Funktion und der darin beschlossenen formellen Anerkennung des paradigmatischen Charakters seiner vita sancta, der prinzipiellen Verbindlichkeit seiner Lebensweise, zufrieden geben. Was er unbedingt braucht, um dieser seiner Lebensweise zu frönen, hat er sich damit ja gesichert: einen Ort in der neu entstandenen säkularen Gesellschaft, an dem er, von letzterer ebenso sehr toleriert und in der Tat respektiert wie von ihr getrennt und abgeschieden, die Nachfolge Christi praktizieren und den vom Heiland vorgezeichneten direkten, entsagungsvoll-weltflüchtigen Weg ins Himmelreich gehen kann. Als ein für die Wirksamkeit des sakramentalen Heilsmittelerwerbs unentbehrlicher kultisch-sakraler Nothelfer ist der Klerus dem Laienstand, der sich um nichts in der Welt das himmlische Heil verscherzen möchte, lieb und teuer und darf er gewiss sein, quasi in dessen exterritorialer Mitte, der stillen Klausur seines dem Heil zugewandten Herzens, gut aufgehoben zu sein und ein ungestörtes Leben führen zu können.
Zwar könnte, wenn der geistliche Stand seinen Kontakt zur weltlichen Gesellschaft auf die ihm seinen Platz auf Erden sichernde kultisch-sakrale Leistung beschränkte, dies als ein der Selbstsucht und kalten Berechnung, kurz, der Sünde wider den Geist der christlichen Nachfolge verdächtiges Verhalten anmuten und gleichermaßen dem Missionsauftrag und dem Gebot der Nächstenliebe zuwiderzulaufen scheinen. Aber was den Missionsauftrag betrifft, so handelt es sich bei denen, die sich zu den neuen, territorialherrschaftlich verfassten, säkularen Gesellschaften zusammenfinden, ja nicht um der christlichen Botschaft unkundige Heiden, sondern um wieder Mut zum Dasein schöpfende, am irdischen Leben wieder Gefallen findende Christenmenschen – und diese missionieren, auf den Tugendpfad eines weltflüchtig heiligen Lebens zurückführen zu wollen käme einer contradictio in adjectum jener Vereinbarkeit von weltlichem Dasein und Heilsaussicht gleich, der sie doch gerade mit aller Macht ihres neu erwachten Muts zum Dasein nachstreben und die sie in actu der sakramentalen Teilhabe ja auch erreicht zu haben glauben, und wäre deshalb von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Und was das Gebot der Nächstenliebe angeht, so ist dem geistlichen Stand, wenn er sich um sein auf der via regia der Nachfolge Christi am leichtesten zu erreichendes Seelenheil kümmert und es der laizistischen Welt überlässt, wie sie sich organisieren und ihr weltliches Dasein führen will, ja insofern gar kein Egoismus stricto sensu, keine Sünde wider den Geist der Selbstlosigkeit zum Vorwurf zu machen, als er sich ja immerhin zur Wahrnehmung jener kultisch-sakralen Funktion bereit findet, sprich, sich dazu hergibt, als Kultdiener, ritueller Dienstleister tatkräftig daran mitzuwirken, dass den anderen, den das irdische Dasein auskostenden Laien, ihre Lebenslust nicht zum ewigen Verhängnis wird und die Aussicht aufs himmlische Heil erhalten bleibt.
Nicht also die kraft ihrer kultisch-sakramentalen Funktion als Klerus in die neue, territorialherrschaftliche Gesellschaft integrierten oder, besser gesagt, Seite an Seite mit ihr etablierten und in einer Art von rituell ebenso fester wie institutionell loser Symbiose mit ihr verknüpften Nachfolger Christi sind konstitutionell darauf angewiesen oder gar existenziell daran interessiert, die ihnen durch ihr heiliges Leben zufallende kultisch-sakramentale Funktion zu einer praktisch-moralischen Dauerokkupation zu entfalten, sprich, in die ständige Aufgabe einer die sakramentale Nothilfe inhaltlich zu rechtfertigen geeigneten Unterwerfung des weltlichen Daseins unter die Prinzipien und Normen der vita sancta zu überführen. Existenziell interessiert an solch einer Modifizierung und Disziplinierung des weltlichen Handelns durch das geistliche Leiden, des herrischen instinctus durch den devoten spiritus, und an der hierfür erforderlichen Erweiterung der kultisch-sakramentalen Funktion des Klerus zur praktisch-moralischen Intervention sind allein die Knechte und Untertanen, die sich davon eine Milderung und Besserung ihres harten und – im Zuge der weiteren Entwicklung einer Gott, was Gottes, und dem Kaiser, was des Kaisers ist, gebenden entsakralisiert territorialherrschaftlichen Gesellschaft – mit progressiver Unerträglichkeit drohenden Loses erhoffen. Und sie, die Knechte und Untertanen, sind es deshalb auch, die den Klerus auf jenem Weg zu einer Wahrnehmung praktischer Kontrollaufgaben und moralischer Zensurbefugnisse gegenüber der irdischen Gesellschaft im Allgemeinen und ihrer weltlichen Herrschaft im Besonderen vorantreiben, die ihn ermuntern und anstacheln, sich einzumischen und an der Einrichtung des täglichen Lebens, an der Gestaltung der zwischenmenschlichen Beziehungen und sozialen Verbindlichkeiten durch sakramental besiegelte und geschützte Vorschriften und Kontrakte mitzuwirken.
Dafür, dass er ihnen diesen Gefallen tut, zu ihrem relativen Vorteil und gemeinen Wohl bei der weltlichen Herrschaft praktisch-moralisch zu intervenieren und sich den Herren, mögen sie wollen oder nicht, zwecks Dämpfung ihres Hochmuts und Hebung ihres Gemeinsinns als spiritueller Zuchtmeister, als verhaltensprägender spiritus rector anzudienen, unterstützen die Knechte und Untertanen den Klerus bei seiner Selbstbehauptung gegenüber den weltlichen Herren, erweisen sie sich als seine feste Bank, sein entscheidender Rückhalt, wenn es darum geht, die Herren erst einmal überhaupt zur Anerkennung der aus heilsperspektivischer Sicht fortdauernden Vorbildlichkeit und normativen Verbindlichkeit des heiligen Lebens der Nachfolger Christi und der daraus folgenden Notwendigkeit einer Mitwirkung der letzteren an jeglichem, auch dem eucharistisch verkürzten, Heilsprozess zu bringen, die Herren mit anderen Worten dazu zu bewegen, die Nachfolger Christi als unentbehrliche kultisch-sakramentale Dienstleister gelten und sie infolgedessen als gesellschaftlich akzeptierten und mehr noch hochgehaltenen eigenständigen Stand, als Klerus, als ebenso konstitutiven wie distinktiven, ebenso systematisch integrierten wie erratisch assoziierten Bestandteil der neuen territorialherrschaftlichen Gesellschaft sich etablieren zu lassen.
In der Tat ist es ja alles andere als selbstverständlich, dass die weltliche Herrschaft, nachdem sie nun über jenes von den Nachfolgern Christi höchstpersönlich ersonnene und sanktionierte Kurzprogramm zum Heilsmittelerwerb, jene mit einem ausführlichen und lebenslustigen Aufenthalt im Dasein vereinbare Abkürzung zum Heil verfügt, noch mit sich reden lässt und bereit ist, die durch jene Abkürzung eigentlich überflüssig gewordene vita sancta als nach wie vor paradigmatische Lebensweise anzuerkennen, aus diesem Grunde die Notwendigkeit einer Mitwirkung der Nachfolger Christi beim sakramentalen Heilsmittelerwerb zu akzeptieren und so denn den letzteren durch die ihnen übertragene und als conditio sine qua non des kurzen Weges zum Heil behauptete kultisch-sakramentale Funktion eine unentbehrliche Rolle und eine entsprechend sichere Stellung oder vielmehr sakrosankte Existenz im Rahmen der neu entstandenen territorialherrschaftlichen Gesellschaft zu konzedieren. Mitnichten selbstverständlich ist, dass die weltliche Herrschaft sich freiwillig diesen Klotz eines als eucharistischer Kultdiener etablierten Klerus ans Bein binden, diesen Fremdkörper einer in der säkularen Gesellschaft ebenso dysfunktional erscheinenden wie für deren Funktionieren unentbehrlich sich behauptenden eigenständigen sozialen Gruppe ins ständische Corpus einpflanzen, diese, kurz und salopp gesagt, sakrale Laus in den profanen Pelz setzen lässt.
Wenn die Herrschaft das tut und also die herrliche praktische Freiheit, die der Coup eines von aller Nachfolge Christi dispensierenden sakramentalen Heilsmittelerwerbs ihr verschafft, preisgibt, um sie sich durch die kultische Abhängigkeit von denen, die an der Nachfolge Christi festhalten, einschränken zu lassen, dann nur unter dem schwergewichtigen Druck des von ihnen beherrschten Kollektivs, nur deshalb also, weil ihre eigenen Knechte und Untertanen den Nachfolgern Christi die Stange halten und ihre eigene, im territorialherrschaftlichen Kontext geforderte fronwirtschaftliche Kooperationsbereitschaft und gefolgschaftliche Fügsamkeit an die zur Wahrung ihrer Heilsaussichten für unabdingbar erklärte Bedingung der Anwesenheit und Mitwirkung jener Repräsentanten des heiligen Lebens beim sakramentalen Glaubensakt knüpfen.
Die Knechte und Untertanen sind es, die durch ihr glaubensstarkes Bündnis mit den Nachfolgern Christi, dadurch also, dass sie im Interesse ihrer Heilsaussichten die Verrichtung ihrer profanen Werke von der Erfüllung des den letzteren übertragenen sakralen Opus abhängig machen, den natürlichen Widerstand der weltlichen Herrschaft gegen den ihrem Zugriff entzogenen eigenständigen modus vivendi einer im territorialherrschaftlichen Rahmen fortdauernden imitatio dei, gegen einen von allen fronwirtschaftlichen Pflichten und gefolgschaftlichen Aufgaben eximierten und einzig mit einer kultischen Dienstleistung befrachteten geistlichen Sonderstatus, überwinden und die Nachfolger Christi als eigenständigen Stand, als Klerus, im laizistischen Milieu der neu gegründeten, territorialherrschaftlichen Gesellschaft sicher untergebracht und gut aufgehoben sein lassen.
Und als Gegenleistung für diese ihre qua religiöse Parteinahme geübte soziale Solidarität, die den Nachfolgern Christi die ungestörte Fortsetzung ihres geistlichen Lebens unter den disruptiven Bedingungen des neuen weltlichen Daseins ermöglicht, indem sie ihnen erlaubt, sich als Klerus zu etablieren – als Gegenleistung dafür erwarten nun aber die Knechte und Untertanen vom Klerus, dass er durch Ausdehnung seines kultisch-sakramentalen Officiums auf praktisch-moralische Zuständigkeiten und Obliegenheiten zu ihrem Wohle tätig wird und sich für sie verwendet, dass er mit anderen Worten die formell von allen anerkannte paradigmatische Qualität seiner Lebensführung reell geltend macht und dazu nutzt, lenkenden und bestimmenden Einfluss auf die Laien im Allgemeinen und die Herren unter ihnen im Besonderen zu nehmen, die Selbstsucht der letzteren zu dämpfen, ihre Habgier zu unterdrücken, ihren Stolz zu brechen, ihrer Wollust zu wehren, ihrer Völlerei entgegenzuwirken. So sehr diese Einflussnahme des Klerus den weltlichen Herren zuwider sein, so sehr sie ihrer Selbstherrlichkeit, ihrem Bewusstsein, als alleinige gesellschaftliche Machthaber niemandem rechenschaftspflichtig zu sein und auf der Basis ihrer sakramental erworbenen Heilsaussicht und der dieser Heilsaussicht über das irdische Dasein korrespondierenden ebenso gnostisch-dualistischen wie messianisch-endzeitlichen Vorstellung von der Heillosigkeit der Welt über das irdische Dasein, solange es währt, nach Gutdünken verfügen zu können, widerstreiten mag – sich der klerikalen Einflussnahme verweigern oder entziehen können die Herren nicht, weil sie mit der Anerkennung des Klerus als eines für den Gewinn des Heilsmittels, die Wirksamkeit des sakramentalen Heilserwerbs unabdingbaren Funktionärs diesem den Schlüssel zur Durchsetzung seines weitergehenden Anspruchs auf Mitwirkung bei der Festlegung und Gestaltung der für das Leben der säkularen Gesellschaft maßgebenden moralischen Normen und praktischen Verhaltensweisen in die Hand gedrückt haben. So gewiss der Klerus mit seinem kultisch-sakramentalen Amt eine Position besetzt hält und eine Funktion ausübt, durch deren Räumung beziehungsweise Verweigerung er die ganze heilsperspektivische Konstruktion dieser säkularen Gesellschaft zum Einsturz bringen kann, so gewiss besitzt er ein unfehlbares Druck- oder, wenn man so will, Erpressungsmittel zur Durchsetzung seiner den übrigen Mitgliedern der Gesellschaft gegenüber geltend gemachten Aspirationen auf die Wahrnehmung moralischer Zensurbefugnisse und die Ausübung praktischer Kontrollaufgaben.
Dass der Klerus diesen Aspirationen huldigt und nachkommt, dafür sorgt, wie gesagt, sein sozialer Anhang und Beistand, sorgen die Knechte und Untertanen der feudalen Gesellschaft, die ihm durch die glaubensstarke Anerkennung seines Anspruchs auf eine seiner imitatio Christi zukommende ideal-paradigmatische Qualität im Allgemeinen und sakramental-kompensatorische Wirkung im Besonderen die nötige Unterstützung bei der Behauptung und Sicherung seiner der weltlichen Herrschaft an sich gegen den Strich gehenden, weil ebenso politisch autonomen wie ökonomisch autarken und sozial aparten Existenz im Rahmen der territorialherrschaftlichen Gesellschaft bieten und die ihm als Gegenleistung jene gesellschaftsstrategische Intervention, jene praktisch-moralische Einflussnahme abfordern, die darauf zielt, im weltlichen Dasein in wie immer angepasster und abgeschwächter Form das heilige Leben als die menschliche Selbstsucht im Allgemeinen dämpfendes und die herrschaftliche Willkür im Besonderen zügelndes Korrektiv zur Geltung zu bringen.
Die Knechte und Untertanen sind die gleichermaßen treibende Kraft und motivierende Instanz hinter der zwischen weltlicher Herrschaft und geistlichem Stand durch die Befrachtung des letzteren mit der Doppelrolle kultisch-sakramentaler Effizienz und praktisch-moralischer Kompetenz etablierten und ebenso prekären wie durch die Verquickung heilsperspektivischer und herrschaftspolitischer Rücksichten dem Zugriff der Beteiligten entzogenen Machtbalance. Sie sind es, die dem Klerus in seinem Verhältnis zur säkularen Gesellschaft mehr abverlangen, als er von Haus aus wohl zu leisten geneigt wäre, indem sie ihm über die kultisch-sakramentale Funktion hinaus, die sie ihm verschaffen und die ihm sein Leben unter territorialherrschaftlichen Bedingungen sichert, jenes praktisch-moralische Engagement aufbürden, das in dem Maß, wie es im Weltbemächtigungsverhalten Weltentsagungsprinzipien zur Geltung bringt, die Gefahr einer auf ihrem Rücken ausgetragenen rücksichtslosen herrschaftlichen Aneignung und Ausbeutung der in der heilsperspektivischen Konsequenz entgöttlichten Schöpfung bannt und damit ihnen, den Knechten und Untertanen, ein erträgliches, im Rahmen der territorialherrschaftlichen Tradition sich haltendes frondienstliches Dasein eröffnet.
Aus diesem sie, die dritte gesellschaftliche Kraft, die Knechte und Untertanen, ins Kalkül ziehenden Blickwinkel erklärt sich hiernach nicht nur die Ehrfurcht und Demut, kurz, Frömmigkeit, mit der die weltliche Herrschaft dem geistlichen Stand begegnet, die relative Nachgiebigkeit und Willfährigkeit, die sie gegenüber dessen Eingriffen in ihre säkulare Machtausübung, seiner ihre Selbstherrlichkeit beschneidenden praktischen Kontroll- und moralischen Zensurtätigkeit an den Tag legt, sondern erscheint auch mehr noch das Vorgehen des geistlichen Standes selbst, sein Anspruch auf praktischen Einfluss und moralische Macht in einem Lichte, das zu einer Modifizierung der oben für eben jenen Anspruch gegebenen Begründung nötigt.
Oben wurde als Motiv für den Anspruch der Nachfolger Christi auf moralische Mitsprache und praktische Mitwirkung bei der Gestaltung des säkularen Lebens angegeben, dass diese sich nicht durch die ihnen übertragene kultisch-sakramentale Funktion, die ihnen ihr heiliges Leben, ihre aparte Existenz inmitten des weltlichen Daseins sichert, auf die Rolle von rituellen Dienstleistern, von durch die säkulare Gesellschaft vollständig funktionalisierten Kultdienern reduzieren, sich mit anderen Worten nicht in die Ecke einer als Klerus definierten gesellschaftlichen Spezialistentruppe drängen lassen wollen, deren als vita sancta tradierte besondere Art zu leben ihre Bedeutung darin erschöpft, den aus heilsperspektivischer Sicht offenbaren Mangel des säkularen Daseins zu kompensieren, sondern dass die als Klerus etablierten Nachfolger Christi vielmehr danach streben, ihrer Lebensführung die Vollgültigkeit und normative Verbindlichkeit des paradigmatischen und die säkulare Daseinsgestaltung allemal in die Schranken einer bloßen Abweichung von der Norm, eines – wenn auch dank geistlichen Beistands lässlichen – Vergehens gegen die orthodoxe Gangart verweisenden Weges zum Heil zu erhalten.
Jetzt aber, da wir die entscheidende Rolle der Knechte und Untertanen der als quasi territorialherrschaftliche, als feudale, neu ins Werk gesetzten säkularen Gesellschaft bei der Durchsetzung der Doppelfunktion des Klerus würdigen, erkennen wir, dass bei aller subjektiven Berechtigung, die jene Version vom praktisch-moralischen Aufbegehren des Klerus gegen die kultisch-sakramentale Reduktion seines mönchischen Lebens auf eine ausschließlich im Dienste des säkularen Kunden zelebrierte biographische Spezialität haben mag, doch aber seiner objektiven Wahrheit nach dieses Aufbegehren wiederum eine gesellschaftliche Funktion erfüllt und nämlich die Aufgabe hat, einer territorialen Herrschaft, die angesichts des sicheren künftigen Heils in der Gefahr steht, alle Verantwortung für die gegenwärtige Schöpfung und alle Achtung vor ihr in den Wind und in heilloser Lebenslust und Selbstsucht über die Stränge zu schlagen, ein gewisses Quantum Bescheidung, Demut, Friedfertigkeit und Nächstenliebe einzutrichtern, um so der säkularen Gesellschaft das für ihren Bestand erforderliche Maß an intentionaler Übereinstimmung und sozialem Zusammenhalt, an Rücksicht und Humanität gleichermaßen im Verhalten gegenüber der nichtmenschlichen und im Verhältnis zur menschlichen Kreatur zu vindizieren.
So sehr mit anderen Worten auf der subjektiven Sinnebene der Anspruch des Klerus auf moralisch-korrektive Kompetenz und praktisch-direktiven Einfluss durch das Verlangen der Nachfolger Christi bestimmt sein mag, sich von der neu entstehenden säkularen Gesellschaft nicht völlig funktionalisieren und sich ihre bis dahin paradigmatische Lebensform nicht ins Abseits einer nurmehr kultischen Relevanz verschlagen zu lassen, so sehr zeigt sich zugleich doch der geistliche Anspruch auf einem durch die soziale Lage der fronenden Schichten jener Gesellschaft vermittelten objektiven Bedeutungsniveau wiederum funktionalisiert und nämlich vom Interesse diktiert, die säkulare Gesellschaft per modum jener als paradigmatisch anerkannten Lebensform vor der in der heilsperspektivischen Orientierung potentiell vorgezeichneten katastrophischen Entwicklung einer die Welt in die Pfanne hauenden, mit der Schöpfung Schindluder treibenden, zerstörerisch-verantwortungslosen Herrschaftsübung abzubringen und vielmehr in die geordneten Bahnen eines paradoxerweise durch die Absage an die Welt, durch die Verwerfung der Schöpfung als Verirrung und Sündenpfuhl ermöglichten pfleglichen Umgangs und dauerhaften Arrangements mit ihr zu lenken.
Mit ihrer Zweiteilung der Herrschaft in eine die Gesellschaft praktisch organisierende und eine sie moralisch kontrollierende Gewalt unterscheidet sich das feudale System der postimperialen Zeit von den territorialen Theokratien des Altertums. Geschuldet ist diese Zweiteilung dem Versuch, den Genuss des diesseitigen Lebens mit der Erlangung jenseitigen Heils zu vereinbaren. Die klerikale Gewalt zeigt sich dabei der säkularen so erfolgreich integriert, dass das Moment von dynamischer Exzentrik und topischer Exterritorialität, das erstere in die von letzterer organisierte Gesellschaft einbringt, deren Konsistenz und Stabilität keinen Abbruch tut.
Sobald also in den Bürgern und Bewohnern des zugrunde gegangenen Römischen Reiches der Lebensmut wieder erwacht und sie im wie immer auch erzwungenen Verein mit den in die römischen Provinzen eingefallenen Stammesherrschaften eine neue, territorialherrschaftlich organisierte säkulare Gesellschaft ins Leben zu rufen und zu entfalten beginnen, ist es vorbei mit jenem allein durch die Heilsperspektive kreierten und von aller Heteronomisierung durch weltliche Interessen und Geschäfte befreiten modus vivendi, dem ebenso eigenständigen wie selbstgenügsamen heiligen Leben einer auf nichts als auf den Auszug aus dieser Welt und den Eingang ins Himmelreich gerichteten Nachfolge Christi. Wie die dem heiligen Leben sich weihenden Nachfolger Christi mit dem sakramentalen Heilsmitteltransfer, den sie zwecks Sicherung ihres Wechsels aus dem irdisch-chronischen Schein ins himmlisch-ewige Sein ersinnen, den sich dem weltlichen Dasein neu verschreibenden Lebensmutigen ganz wider Willen das Mittel an die Hand geben, die Rückwendung zum irdischen Dasein mit der Heilsperspektive kompatibel zu erhalten, so finden sie sich nun auch im Übrigen und Folgenden als Handlanger und Faktoren der als territorialherrschaftliche Formation neuen Typs, als feudale, sich etablierenden säkularen Gesellschaft vereinnahmt.
Mögen sie noch so sehr auf ihrem gegenüber dem Weltlauf autonomen heiligen Leben bestehen – um diesem Leben einen festen Platz, eine anerkannte Position im Kontext der säkularen Gesellschaft zu sichern, müssen sie bei dem das weltliche Dasein mit der Heilsperspektive vereinbarenden sakramentalen Heilsmittelerwerb eine maßgebende, weil über dessen Wirksamkeit beziehungsweise Wirklichkeit entscheidende Rolle in Anspruch nehmen und geraten damit nolens volens in den Bannkreis der säkularen Gesellschaft, werden zu wesentlichen Funktionsträgern der letzteren. Und wenn sie meinen, dieser qua Funktionialisierung sich vollziehenden Heteronomisierung ihres heiligen, dem künftigen Himmelreich geweihten Lebens dadurch entrinnen zu können, dass sie ihr Funktionärstum, ihren kultischen Dienst an der säkularen Gesellschaft, als Druck- beziehungsweise Erpressungsmittel nutzen, um die letztere einem praktisch-moralischen Transformationsprozess zu unterziehen, ihr quasi eine imitatio imitationis Christi abzuverlangen, sie mit anderen Worten zu zwingen, ihr profanes Dasein dem heiligen Leben nachzubilden und in dessen abgeschwächte Version oder modifizierte Reproduktion zu verwandeln, dann sind sie höchstens subjektiv oder dem äußeren Anschein nach erfolgreich, weil objektiv oder der inneren Konditionierung nach diese Erhebung des heiligen Lebens zum Paradigma und normativen Schema jeglichen unter die Heilsprämisse gestellten irdischen Daseins ihrerseits wiederum einer säkularen Absicht dient, einen profanen Zweck erfüllt und nämlich die säkulare Gesellschaft vor den Exzessen und Schrecken einer durch die Aussicht aufs himmlische Heil gegenüber einer ebenso phantasmagorischen wie transitorischen irdischen Welt zu gesetzloser Willkür und zügelloser Selbstsucht disponierten Herrschaftsübung zu bewahren bestimmt ist.
So oder so, in ihrer kultisch-sakralischen Nothelferrolle ebenso wie in ihrem praktisch-moralischen Zensorenamt sind also die als Klerus etablierten Nachfolger Christi von der ihnen als laizistische Gemeinde sich oktroyierenden säkularen Gesellschaft vereinnahmt und funktionalisiert, finden sie sich mitsamt ihrem heiligen Leben, dessen Zweck es von Haus aus ja ist, ihre Flucht aus der Welt zu bewerkstelligen, ihnen den direktesten Weg aus dem irdischen Scheingebilde zu weisen, von letzterem vielmehr arretiert und in Dienst genommen und nämlich ins Mittel der Erhaltung und Gestaltung einer zwar unter die Heilsprämisse gestellten und insofern pro forma zur Weltflucht gerüsteten, pro materia aber im irdischen Scheingebilde Fuß zu fassen und für die Dauer des Daseins sich einzurichten entschlossenen säkularen Gesellschaft umgedreht.
Mag der Klerus noch so sehr subjektiv oder dem individualbiographischen Verständnis seiner Mitglieder nach meinen, ein qua Nachfolge Christi mönchisch-autonomes und der laizistischen Gesellschaft mitsamt ihren weltlichen Interessen und irdischen Geschäften ein für alle Mal entrücktes Leben zu führen und die äußere Dienstbarkeit gegenüber der laizistischen Gesellschaft, in die er sich durch die zwecks gesellschaftlicher Anerkennung seines Sonderstatus übernommene kultisch-sakramentale Funktion begibt, mittels der praktisch-moralischen Freiheit, die er als Normgeber und Zensor der laizistischen Gesellschaft beansprucht, perfekt balanciert beziehungsweise konterkariert zu haben, objektiv oder der sozialdynamischen Wahrheit nach ist er auch und gerade in dieser seiner Normgebungs- und Zensorenrolle Dienstleister und ist er also mit Haut und Haar oder, besser gesagt, mit Leib und Seele an der Erhaltung und Gestaltung jenes innerweltlichen Daseins, von dem er doch eigentlich oder ex cathedra seiner als heiliges Leben konzipierten weltflüchtig-transitorischen Existenz nichts wissen will, beteiligt.
Und zwar so sehr beteiligt, so sehr engagiert, dass sein Engagement alle Bedingungen einer im Blick auf die säkulargesellschaftliche Ordnung und deren Prinzipien maßgeblichen Mitbestimmung erfüllt und mithin einer, wie man will, Teilung oder Verdoppelung der über diese Ordnung entscheidenden und wachenden gesellschaftlichen Herrschaft gleichkommt. Weil, vermeintlich bloß einer individualbiographisch natürlichen Motivation folgend, tatsächlich aber einer sozialdynamisch zwingenden Konstellation gehorchend, der Klerus sich nicht damit begnügt, zur Sicherung seiner exzentrisch-aparten Position in der Welt, seines ebenso sehr in wie von der neuen säkularen Gesellschaft abgeschiedenen klösterlich-mönchischen Lebens, dieser Gesellschaft den kultischen Dienst einer sakramentalen Beglaubigung ihrer Heilserwartung zu leisten, sondern mehr noch darauf aus ist, kraft der Direktiven seiner exzentrischen Position, mittels der Prinzipien seines mönchischen Lebens in die gesellschaftliche Wirklichkeit einzugreifen und mit dem Ziel einer als moralische Besserung wohlverstandenen praktischen Formierung der Gesellschaft zu einer der klösterlich-mönchischen Gemeinschaft nach Möglichkeit angenäherten und in der Liebe zu ihrem Herrn und Heiland und im Glauben an sein Heil vereinten brüderlich-solidarischen Gemeinde auf jene Wirklichkeit einzuwirken – weil also der Klerus sich so verhält, wird er nolens volens zu einem, wenn schon nicht politisch-empirischen, so jedenfalls doch moralisch-systematischen Konkurrenten der weltlichen Herrschaft, zu einer als, wie man will, Appellationsinstanz oder Zensurbehörde funktionierenden Macht im Hintergrund, die in dem Maß, wie sie in der unter der Heilsprämisse stehenden säkularen Gesellschaft ex cathedra ihrer exzentrisch-jenseitsorientierten Position in potenziell sämtlichen um das diesseitige Dasein kreisenden Fragen ein Wörtlein mitzureden hat und quasirichterlich tätig zu werden befugt ist, die weltliche Macht, negativ ausgedrückt, einschränkt und in ihrer Ausübung hemmt, positiv gefasst, zügelt und in ihren Entscheidungen lenkt.
Es ergibt sich also das durchaus komplizierte Bild einer Gesellschaft mit zweigeteilter Herrschaft, einer Ordnungsmacht mit zwei Armen, von denen der eine, weltliche, der Gesellschaft als reales Organ, als gewissermaßen daseinskonstitutiver Faktor eingegliederte Arm für den irdischen Bestand und die chronische Kontinuität der Gesellschaft, sprich, für ihren ökonomischen Erfolg, ihr politisches Funktionieren und ihre soziale Organisation zu sorgen hat, während der andere, geistliche, der Gesellschaft als transzendentaler Mechanismus, quasi als eine heilsperspektivische Prothese angegliederte Arm für die transitorische Bewandtnis und himmlische Bestimmung der in der Gesellschaft organisierten Menschen zuständig ist und im Kriterium dieser von ihm geltend gemachten transitorischen Bewandtnis und himmlischen Bestimmung des Menschen alle vom weltlichen Arm gesetzten Ziele, verfolgten Projekte und verfügten Regime einer Prüfung unterzieht, um ihre Vereinbarkeit beziehungsweise Nichtvereinbarkeit mit eben jener himmlischen Bestimmung festzustellen und sie nötigenfalls zu kritisieren, zu korrigieren, zu verwerfen.
Nur was im säkularen Dasein und profanen Verhalten der Menschen im Allgemeinen und der Mächtigen im Besonderen die richterliche Gewalt des geistlichen Arms nach Maßgabe des dem Klerus eigenen paradigmatischen Lebens für dem Endzweck des irdischen Daseins, seiner Ersetzung durchs himmlische Sein, förderlich oder jedenfalls nicht abträglich befindet, kann und darf die herrscherliche Gewalt des weltlichen Arms tolerieren beziehungsweise praktizieren. Setzt sich der weltliche Arm über diese Einschränkung seiner exekutiven Macht und autoritativen Befugnis hinweg, so rüttelt er an den Grundfesten oder, besser gesagt, am archimedischen Punkt der unter der Heilsprämisse existierenden Gesellschaft und riskiert, dass die Menschen, die mit dem Heilsbezug und dem ihn gewährleistenden geistlichen Arm gleichermaßen die Hoffnung auf ein in Zukunft erlebbares himmlisches Sein und den Anspruch auf ein in der Gegenwart lebbares irdisches Dasein verbinden, ihm Gefolgschaft und Dienst verweigern.
In der Tat liegt hierin, in dieser Zweiteilung der Herrschaft in eine die gesellschaftliche Ordnung organisierende weltliche und eine sie kontrollierende geistliche Gewalt, der wesentliche, aus der Paradoxie einer säkularen Gesellschaft, die sich aus ihrer expliziten Negation, einem offen transzendenten Prinzip, das von ihr absolut nichts wissen will, begründet, unschwer erklärliche Unterschied der als feudale sich etablierenden neuen zu den als theokratische konstituierten alten Territorialherrschaften.
Zwar gehen auch die alten Territorialherrschaften, grundsätzlich genommen, aus ihrer Negation hervor, aus einem als anderes Subjekt erscheinenden ontologisch differenten Prinzip, das sie pauschal zu revozieren, für schlechterdings nichts zu erklären Miene macht. Aber anders als bei ihrer Wiederauflage am Ausgang der Antike, wird hier das ihrer Konstitution zugrunde liegende negative Prinzip so ganz und gar nicht explizit, gewinnt es so definitiv keine Evidenz, dass im genauen Gegenteil seine Verdrängung und Umfunktionierung, seine Verbannung in eine Latenz, aus der es als affirmative, das menschliche Dasein und seine gesellschaftliche Ordnung sanktionierende Macht wiederkehrt, als über Sein oder Nichtsein des territorialherrschaftlichen Corpus entscheidender Konstitutionsakt gelten muss. Eben diese Verdrängung der Negativität des anderen Subjekts und ihre Umfunktionierung in die Positivität göttlicher Mächte ist die zentrale, in sakralen Handlungen, kultischen Verrichtungen ihren Ausdruck findende und als wiederholungsträchtig universale Krisenbewältigungsstrategie immer neu zu erbringende Leistung der territorialen Herrschaft, ist das sie selbst fundierende, sie als solche legitimierende Ereignis.
Deshalb ist in den alten Territorialherrschaften der Machthaber stets Theokrat, Herrscher und Priester in Personalunion, jemand, der einerseits im Namen der Götter die praktische Aufgabe erfüllt, die unter göttlichem Schutz, sakraler Sanktion stehende Gesellschaft zu regieren und funktionsfähig zu erhalten, und der andererseits im Auftrag der Gesellschaft kultisch dafür sorgen muss, dass die sanktionierende Göttermacht gegen die heillose Negativität, die sie zu verdrängen dient und die sich doch stets noch hinter ihr verbirgt, aufrechterhalten und in Kraft bleibt; kurz, er ist ein Priesterkönig, der seine in der Göttermacht gründende Herrschaft nur unter der Bedingung praktisch ausüben kann, dass er jenen Grund seiner Herrschaft mit schöner Regelmäßigkeit kultisch reaffirmiert oder, weniger verklausuliert gesagt, neu legt. Wobei wegen der Machtfülle und zur Hybris treibenden Selbstherrlichkeit, in der sich der Machthaber in seiner Doppelrolle als durch die göttliche Ordnung eingesetzter profaner Herrscher und die göttliche Ordnung einsetzender sakraler Priester erfährt, seine rituellen Handlungen und kultischen Verrichtungen zwangsläufig janusköpfig angelegt, sprich, darauf berechnet sein müssen, die göttliche Ordnung gleichermaßen für ihn und seine Untertanen zu reaffirmieren und aufrecht zu erhalten wie gegen ihn und seine hybride Neigung, sie zu stören und die von ihr verdrängte Negativität in seiner eigenen Person wiederkehren zu lassen, in Anschlag zu bringen und geltend zu machen.
Mittlerweile aber hat sich dank der kommerziellen Funktion und ihrer einen neuen, ebenso politisch expansiven wie ökonomisch expropriativen Gemeinschaftstyp, die handelsstädtische Republik, ins Leben rufenden Wirksamkeit die theokratische Form der alten Territorialherrschaften überlebt und dem Zynismus und Egoismus einer cäsarischen Herrschaft Platz gemacht, die dem Götterglauben und dem religiösen Kult höchstens noch aus machtstrategischen beziehungsweise repräsentationsideologischen Gründen huldigt, sprich, beides nurmehr zu Zwecken einer absolutistischen Selbstinszenierung beziehungsweise tautologischen Selbstbespiegelung nutzt. Und mittlerweile hat diese zynisch cäsarische Herrschaft sich durch ihren Zerfall in ein agonales Selbstzerfleischungsszenarium so völlig ad absurdum geführt und das wirtschaftliche Gemeinwohl, die politische Verantwortung und die gesellschaftliche Ordnung so restlos zuschanden werden lassen, hat sie solche immensen Verheerungen und irreparablen Schäden angerichtet, dass die Untertanen, an der Welt verzweifelnd und das Leben für nicht mehr lebenswert befindend, den Entschluss gefasst haben, sich jener von den Theokratien verdrängten und von der cäsarischen Herrschaft verhöhnten Negativität des anderen Subjekts, seiner ontologisch vernichtenden Transzendenz und toto coelo anderen Wirklichkeit, zuzuwenden, um in ihr Zuflucht zu suchen, bei ihr Rettung vor den Schrecken und Qualen des irdischen Daseins, Erlösung von der Vergeblichkeit und Sinnlosigkeit der menschlichen Existenz zu finden. Platonisch zum diesseitsenthoben-jenseitigen Ideenreich entfaltet und messianisch zum überzeitlich-ewigen Himmelreich erschlossen, wird das Sein des anderen Subjekts, das die alten, theokratischen Religionen noch um jeden Preis aus der Welt zu schaffen disponiert waren, zu einem erstrebenswerten Prospekt, der dazu einlädt, eben diese Welt an den Nagel zu hängen und in einem großen, anhaltenden Fluchtimpuls alle Bindungen an sie zu lösen und alles Interesse an ihr fahren zu lassen.
Mit diesem Faktum einer zum heilsperspektivischen Prospekt entfalteten und zum Gegenstand einer heilsreligiösen Bewegung erhobenen, kurz, aus schierer Negativität in ein nicht minder schieres höchstes Gut verwandelten Transzendenz finden sich nun also die Gründer der in den ehemals imperialen Provinzen, in denen nach dem Untergang des agonalen Imperiums die Lust zum Leben, der Sinn für die Immanenz wieder erwacht ist, neu entstehenden, aus einer Kreuzung zwischen kriegerisch-vasallischer Stammeshäuptlings- und militärisch-bürokratischer Imperatorenherrschaft, zwischen Herzog- und Cäsarentum hervorgehenden Territorialherrschaften konfrontiert.
Dass die so zur heilsperspektivisch schönen Aussicht entfaltete und als solche in ihr Gegenteil, in absolute Affirmation, gewendete Negativität des anderen Subjekts sich nicht mehr nach dem Vorbild der Territorialherrschaften alten Stils einfach verdrängen und als das dynamische Unbewusste eines als gewaltiger Abwehrmechanismus inszenierten theokratischen Opferkults zum Verschwinden bringen lässt, liegt auf der Hand. Schließlich hat das andere Subjekt mitsamt seinem ins irdische Dasein als die reine Negativität hereinbrechenden toto coelo verschiedenen Sein jetzt ja ein völlig neues Gesicht und Ansehen gewonnen oder ist, genauer gesagt, eben dies das Neue an ihm, dass es ein ihm von den Menschen, die in ihrer irdischen Not und Hoffnungslosigkeit zu ihm konvertiert sind und an es glauben, attestiertes Gesicht und attribuiertes Ansehen überhaupt erst gewonnen hat, während es in den alten Zeiten, kaum dass es Miene machte, sich zu manifestieren und in Erscheinung zu treten, von den um die Positivität ihres irdischen Daseins besorgten Menschen sogleich aus der bewussten Wahrnehmung ausgestoßen und in die Latenz einer seinen heroischen und göttlichen Substituten zugewandten kultischen Observanz verbannt wurde.
Jetzt also ist es im Bewusstsein der Menschen ein als der dreieinige Herr in seinem Himmelreich dogmatisch ausgebreiteter Gegenstand, der sich dem desillusionierten, vom Erdenleben hoffnungslos enttäuschten Bewusstsein als sein wesentlicher Inhalt, um nicht zu sagen, sein ausschließliches Anliegen darbietet. Und nicht nur ein dogmatisches Gesicht und Ansehen, eine ständige Präsenz im Bewusstsein hat das ursprünglich in seiner Negativität verschwindende oder vielmehr zum Verschwinden gebrachte andere Subjekt jetzt gewonnen, sondern auch ein kultisches Corpus und Wirken, eine umfassende Geltung im Dasein kann es für sich in Anspruch nehmen. Schließlich geht es denen, die in ihrer irdischen Not und ihrem weltlichen Elend zu ihm als dem platonisch-messianisch entfalteten Herrn des Seins und lebendigen Wesen konvertiert sind, ja beileibe nicht nur darum, es vor Augen zu haben, ein theoretisches Verhältnis zu ihm zu unterhalten, sondern sie sind mehr noch darauf aus, ihm nahe zu kommen, sich praktisch zu ihm zu verfügen und sich mit ihm zu vereinigen. Wie sollte angesichts dieser doppelten, kultisch-praktischen nicht weniger als dogmatisch-theoretischen Manifestation und Gegenwart des anderen Subjekts dessen auf die alte, theokratische Weise geübte Verdrängung noch möglich sein, wie sollte, wenn er denn unternommen würde, ein solcher Verdrängungsakt auf etwas anderes hinauslaufen können als auf eine gewalttätige Zerreißprobe und Selbstzerstörungsaktion derer, die ihn unternähmen.
Tatsächlich besteht ja aber auch nicht das mindeste Interesse an solcher Verdrängung alten Stils. Alle, und zwar diejenigen, denen die Lust zum Leben zurückkehrt und die sich wieder im irdischen Dasein als in ihrem angestammten Zuhause einrichten wollen, nicht weniger als jene, die in der Nachfolge Christi verharren und ihren stracken Weg heraus aus der Welt unbeirrt fortsetzen, und bei den ersteren, den Lebensmutigen, die Herren und Nutznießer des säkularen Daseins nicht weniger als die Knechte und Leidtragenden – sie allesamt sind sich darin einig, dass das platonisch-messianisch vermittelte himmlische Sein und ewige Leben des anderen Subjekts ein höchstes Gut, eine unter allen Umständen erhaltenswerte Perspektive darstellt und dass an ein aufs irdische Dasein sich wieder einlassendes, in der Welt sich wieder häuslich einrichtendes Leben nur unter der Bedingung zu denken ist, dass dies säkulare Leben mit der Heilsprämisse vereinbar bleibt, dass es die Aussicht aufs himmlische Sein nicht etwa einbüßt, sondern vollständig zu bewahren vermag.
Und eben deshalb geht es bei der Gründung der Territorialherrschaften neuen, feudalen Zuschnitts von vornherein auch nicht um Verdrängung, sondern um Vereinbarung, nicht darum, eine in ihrer ontologischen Differenz, ihrer absoluten Transzendenz alles vernichtende Wahrheit und Wirklichkeit aus der Welt zu schaffen und umzufunktionieren, sondern vielmehr die Welt zu dieser zwar nach wie vor weltverneinenden, aber doch mittlerweile zu einem als künftiges Heil annehmlichen Prospekt entwickelten Wahrheit und Wirklichkeit ins Verhältnis zu setzen und so zu organisieren, dass das transitorisch gegenwärtige Dasein in ersterer dem inskünftig ewigen Leben in letzterer nicht heillos in die Quere kommt und hoffnungslos den Weg verlegt.
Genau diesem Ziel der Vereinbarung dient die eigentümliche, den alten Territorialherrschaften unbekannte Konstruktion einer Gesellschaft mit zweigeteilter Herrschaft, zweierlei Gewalt – eine Konstruktion, bei der die eine, weltliche Gewalt dafür, dass die andere, geistliche Gewalt sie sanktioniert, sprich, ihr immanentes Schalten und Walten für mit der transzendenten Heilsperspektive vereinbar erklärt, dieser anderen Gewalt nicht nur eine kultisch-sakramentale Schlüsselrolle zuweist, sondern mehr noch ein weitestgehendes praktisch-moralisches Mitbestimmungsrecht einräumt. Eine Gesellschaftskonstruktion, deren Eigentümlichkeit es ist, dass sie auf einem zum tragenden Spannungsbogen, quasi zu einer Hängebrücke, einer förmlichen coincidentia oppositorum kontrahierten fundamentalen Widerspruch aufbaut und nämlich gleich zweifach, in dynamischer und in topischer Hinsicht, gegen Grundprinzipien gesellschaftlicher Synthesis verstößt.
Dynamisch gesehen, verstößt sie gegen das Prinzip intentionaler Eindeutigkeit, das heißt, der Widerspruch stellt sich so dar, dass die laizistisch-säkulare Gesellschaft sich zwar im irdischen Dasein fest einrichtet, gleichzeitig aber sakramental und moralisch anerkennt, dass sie dort an sich nichts zu suchen hat und mit ihrem irdischen Engagement fortlaufend ihrer wahren Bestimmung, dem daseinsverneinend-weltüberwindend eigentlichen Zweck ihres Lebens zuwiderhandelt, und dass sie dieses Ansich ihrer wahren Bestimmung, diesen Vorbehalt der von ihr verfehlten zweckdienlich-heilsorientierten Lebensführung in Gestalt der mönchisch-klerikalen Gemeinschaft permanent vor Augen hat und als ein vom irdischen Dasein sich gleichgültig abwendendes und dessen Ansich für rein nichts erklärendes, absolutes Fürsich, als der weltlichen Welt zum unendlichen Urteil, zur Verwerfung geratenden kategorischen Vorwurf ebenso permanent fürchten muss.
Und topisch betrachtet, verstößt sie gegen das Prinzip territorialer Integrität, das heißt, der Widerspruch besteht darin, dass das Territorium der betreffenden Gesellschaften, weit entfernt davon, seiner Definition zu genügen und ein geschlossenes Herrschaftsgebiet zu bilden, vielmehr durchlöchert und zersetzt ist von den klösterlichen Niederlassungen jener mönchisch-klerikalen Gemeinschaften, die als Pforten zum Himmelreich, als den chronischen Schein durchdringende Durchlässe ins ewige Sein, sprich, als Transitstellen oder Sammelpunkte für den Exodus, jedem Anspruch der säkularen Herrschaft auf durchgängige Fundiertheit und vollständige Geltung ihrer irdischen Einrichtung Hohn sprechen.
Dass dieser in den klösterlich-klerikalen Gemeinschaften Gestalt gewordene doppelte Widerspruch nicht in der Tat alle säkular-territorialen Gesellschaftsgründungen von vornherein unterminiert und vereitelt, ist der geschilderten konstruktiven Vereinbarung geschuldet, die dem Widersprechenden als Gegenleistung dafür, dass es in seiner Exzentrik und Exterritorialität toleriert oder vielmehr hofiert wird, die gesellschaftsextern-transzendentale Rolle eines kultischen Garanten der Heilsperspektive und die gesellschaftsintern-empirische Aufgabe eines moralischen Zensors der Daseinsgestaltung überträgt und so die Fliehkraft jener dynamischen Exzentrik und die Sprengkraft jener topischen Exterritorialität jeweils in ihr genaues Gegenteil, in eine Form von intentionalem Haltepunkt und eine Art von sozialem Bindemittel ummünzt.
Und so aberwitzig und geradezu monströs die Konstruktion einer mittels Anerkennung und Inanspruchnahme der Negativität des anderen Subjekts und seines Seins statt durch Verdrängung und Umfunktionierung jener Negativität etablierten territorialherrschaftlichen Ordnung auch anmuten mag – sie erweist sich als im Prinzip ebenso stabil und haltbar wie die der alten Zivilisationen, weil die Vereinbarung de facto zur Vereinnahmung, die suggestive Inanspruchnahme in Wirklichkeit zur definitiven Indienstnahme gerät.
Weit entfernt davon, dass die von den klösterlich-klerikalen Gemeinschaften im Rahmen der herrschaftlich-säkularen Gesellschaft übernommenen kultischen und moralischen Aufgaben den Gemeinschaften selbst äußerlich blieben und ihr Zweck für letztere sich in der Sicherung einer ungestörten Nachfolge Christi und des dafür nötigen Freiraumes erschöpfte – sozialstrategisch gesehen, sind die vermeintlich unverändert auf dem direkten Weg zum Heil wandelnden klerikalen Gemeinschaften von Anfang ihrer Rücksicht auf und Anpassung an die Belange der laizistischen Artgenossen an, ab initio also der ihnen von der säkularen Gesellschaft übertragenen kultischen und moralischen Aufgaben, fester Bestandteil und integrierendes Moment der neuen, säkularen Ordnung und ist die Aufrechterhaltung jener mönchisch-dynamischen Exzentrik und klösterlich-topischen Exterritorialität, weit entfernt davon, der Zweck jener vom Klerus wahrgenommenen kultischen und moralischen Aufgaben zu sein, im Gegenteil nurmehr das Mittel zum Zweck der Erfüllung jener kultischen und moralischen Aufgaben, ist mit anderen Worten das mönchische Leben, weit entfernt davon, durch seine Konsequenz das laizistische Dasein Lügen zu strafen, im Grunde nurmehr dazu da, diesem laizistischen Dasein die eigene Wahrheit zu vindizieren, sind die klösterlichen Orte, weit entfernt davon, Löcher ins territoriale Kontinuum zu reißen und der irdischen Herrschaft jeden Anspruch auf allgemeine Verbindlichkeit und durchgängige Geltung zu verschlagen, de facto bloß noch Bindeglieder oder Gelenkstellen, die das Herrschaftsgebiet vor den von ihm selbst erzeugten und es zu zerreißen drohenden Reibungswiderständen und Spannungsbelastungen bewahren, indem sie teils kurzfristig-taktisch als Zufluchten und Auffanglager dienen, sprich, der säkularen Gesellschaft als Druckventile und Konfliktschlichter zur Verfügung stehen, teils langfristig-strategisch als vorbildliche Einrichtungen, Musterkommunen fungieren und die säkulare Gesellschaft die Mores einer kraft effektiver Entspannungsmechanismen und Versöhnungsformen erfolgreichen sozialen Synthesis lehren.
Selbst wenn Einzelne in der klerikalen Gemeinschaft unbeirrt an dem als Nachfolge Christi definierten und kompromisslos, sprich, ohne Rücksicht auf die Welt und ihre Ansprüche zu absolvierenden Heilsweg festhalten und dem Leben eines selbstvergessenen Gotteskindes und Himmelsstürmers den Vorzug vor der Rolle des verantwortungsbewussten Gottesdieners und Moralapostels geben – das Gros der Gemeinschaft fügt sich der säkularen Funktionalisierung, lässt die Reduktion der vita sancta auf eine Einstellungsvoraussetzung für das klerikale Amt, eine Qualifikation für die Wahrnehmung der dem Klerus von der Gesellschaft zugewiesenen kultischen und moralischen Aufgaben geschehen und holt jene Einzelnen, die sich der Funktionalisierung verweigern, wieder auf den Boden der neuen Weltordnung zurück, indem es sie postum zu Heiligen, zu Mittlern zweiten Grades, zu paradigmatischen Heilssuchern erklärt, die durch ihre ungebrochene imitatio dei die tatsächliche institutionelle Umfunktionierung der Nachfolger Christi in eine säkulare Dienstleistungsorganisation zu verschleiern und der klerikalen Gemeinschaft das ebenso schöne wie falsche Zeugnis eines nur nebenbei ein paar weltliche Geschäfte erledigenden und ansonsten in unwandelbarer Treue dem Herrn und Heiland auf dem Fuße folgenden Himmelfahrtskommandos auszustellen taugen.