II. Ein bisschen Sprachtheorie
Sprechen ist Probehandeln. Probehandeln aber nicht im Verstand einer Vorwegnahme und Einübung künftiger wirklicher Handlungen, sondern im Geiste einer Vorbereitung auf und Einführung in künftiges mögliches Handeln. Gesprochen wird dort, wo der Sprechende, das Subjekt, einem Sachzusammenhang, einem objektiven System sich konfrontiert findet, zu dem beziehungsweise in dem er aktuell oder virtuell, aus Gründen unmittelbarer Angewiesenheit oder um einer grundsätzlichen Orientierung willen, sich verhalten, als ein theoretisch oder praktisch Handelnder Stellung beziehen muss. Und gesprochen wird dann, wenn bei dieser dem Subjekt abgeforderten Stellungnahme noch ein oder mehrere andere Subjekte mit im Spiel sind, die aktuell oder virtuell in beziehungsweise zu dem gleichen Objektzusammenhang Stellung zu beziehen im Begriff sind oder auch schon bezogen haben und auf die das betreffende Subjekt Rücksicht nehmen, mit denen es sich ins Benehmen setzen, mit denen es sich im Wortsinne "abstimmen" muss, will es nicht riskieren, dass es auf dem gemeinsamen Territorium jenes Objektzusammenhangs sei's zur direkten Kollision widerstreitender Interessen, sei's zur wechselseitigen Durchkreuzung unkoordinierter Absichten, sei's zur indifferentistischen Neutralisierung unvereinbarer Standpunkte kommt. Wie ersteres, der dem Subjekt vor- und vorausgesetzte Sachzusammenhang, als die allgemeine Bedingung, so kann letzteres, die Beteiligung eines oder mehrerer anderer Subjekte, in der Tat als die spezifische Differenz sprachlicher Verhältnisse gelten. Wären nicht weitere seiner Art beteiligt und engagiert, könnte das Subjekt ohne andere als theoretisch-praktische Umstände die Probe aufs Exempel des ihm zu beziehungsweise in jenem Sachzusammenhang abverlangten Verhaltens machen, könnte es die ihm abgeforderte Stellungnahme zu beziehungsweise in jenem objektiven System kurzerhand in Angriff nehmen, könnte es einfach zu handeln anfangen. Probeweise vor dem Handeln sprechen muss das Subjekt einzig und allererst deshalb, weil ihm andere seiner Art in Bezug auf jene Objektivität und sein zu ihr intendiertes Verhältnis sei's als Mitstreiter, sei's als Konkurrenten, sei's als Privilegierte, sei's als Fordernde, sei's als Eingeweihte, sei's als Novizen, sei's als Etablierte, sei's als Ausgeschlossene möglicher- oder wirklicherweise begegnen beziehungsweise in die Quere kommen. Durch diese objektspezifische Konfrontation mit anderen Artgenossen verwandelt sich dem Subjekt eine Objektivität, die ihm andernfalls nichts weiter als eine gegebene Verhaltensmaterie, ein natürliches Medium für seine theoretisch-praktischen Stellungnahmen wäre, in einen der Materialisierung bedürftigen Gegenstand der Besprechung, einen auf Vermittlung dringenden Zusammenhang von Bedeutung. Auf Vermittlung dringt der Zusammenhang eben in dem Maß, wie er etwas bedeutet und nämlich kraft der sei's aktuellen, sei's virtuellen Dazwischenkunft der Artgenossen einen seine einfache Instrumentalität unterminierenden repräsentativen Charakter annimmt, das heißt, mehr und anderes vorstellt und darbietet, als unmittelbar das betreffende Subjekt mit ihm vorhat und bezweckt. Indem das letztere seine Vorstellungen, seine Interessen, seine Projekte in jenem objektiven Zusammenhang Gestalt annehmen und sich verwirklichen lassen will, findet es sich mit der irritierenden Tatsache der in objectu ein und desselben Zusammenhangs aktuell oder virtuell sich zugleich verkörpernden Vorstellungen, Interessen und Projekte der intervenierenden Artgenossen, sieht es sich also mit dem in der Tat alles verändernden Umstand konfrontiert, dass jener objektive Zusammenhang, in oder zu dem es Stellung beziehen, den es theoretisch oder praktisch okkupieren will, dank der Dazwischenkunft der Artgenossen an ihm selber bereits vielfältig präokkupiert erscheint, eine in Wirklichkeit beziehungsweise der Möglichkeit nach von anderer – sei's gegnerischer, sei's alliierter, sei's neutraler – Seite und unter anderen – sei's verwandten, sei's differenten, sei's fremden – Gesichtspunkten bereits bezogene Position darstellt.
Diese Präokkupation, in der das Subjekt den Objektzusammenhang vorfindet, erschöpft sich dabei ebenso wenig wie die Okkupation, die es selber mit ihm vorhat, in einer bloß formellen Besitzergreifung, einer der Sache selbst äußerlich bleibenden abstrakten Formbestimmung. Vielmehr ist sie eine Relation, die jenen objektiven Zusammenhang durch und durch tangiert, bis in seine materiale Verfassung hinein formiert, bis in den Kern seines Wesens, seinen systematischen Charakter, determiniert. In der Tat sind es ja jene, ihn sei's zu präokkupieren gefundenen, sei's zu okkupieren gedachten Vorstellungen, Interessen und Pläne der Subjekte, die dem Objektzusammenhang überhaupt erst zur Konsistenz und Bestimmtheit eines Sachzusammenhangs verhelfen, seine abstrakte Objektivität und plane Gegebenheit überhaupt erst die Physiognomie einer konkreten Realität, eines lebendigen Daseins gewinnen lassen. Nicht zwar, um Missverständnissen vorzubeugen, im abgeleiteten Sinn privater Assoziationen und idiosynkratischer Anwandlungen, wohl aber im primären Verstand kommuner Anschauungen und artbildender Konzepte, sind es ja jene subjektiven Vorstellungen, Interessen und Projekte, die als in diesem Objektzusammenhang Gestalt gewinnende, sich verkörpernde, sich durchsetzende Bestimmungen ihm überhaupt erst das Ansehen eines so zu nennenden Zusammenhangs, einer als eigengesetzliches Ganzes organisierten Totalität, einer Wirklichkeit sui generis verleihen. So wesentlich und entscheidend sind tatsächlich jene in objectu erscheinenden subjektiven Bestimmungen für den von der Objektivität erhobenen Realitätsanspruch als solchen, dass angesichts dessen das zwischen objektivem Zusammenhang und subjektiver Bestimmung gemeinhin angenommene – und auch in diesem Text noch eben wie selbstverständlich präsupponierte – logische Verhältnis sich geradezu umkehrt. Statt – wie auch dieser Text gleich anzunehmen bereit war – für das Subjekt unmittelbare Gegebenheit, an der sich alles Subjektive erst zu vermitteln und zu konkretisieren hat, ist in streng dialektischer Auflösung jener Objektzusammenhang ganz im Gegenteil ein Abstraktionsprodukt, das der unter Konfliktdruck zustande gekommenen Entmischung der wahren Unmittelbarkeit einer noch nicht dem Subjekt gegebenen, sondern nur erst von ihm gemachten Wirklichkeit sich verdankt. Statt ein gediegen vorausgesetztes, immer gleiches Substrat für die an ihm sich abspielenden, immer anderen akzidentiellen Bestimmungen der Subjekte, ist jener objektive Zusammenhang vielmehr ein allererst aus der Bestimmungstätigkeit der Subjekte selbst resultierendes, funktionales Konstrukt – eine Konstruktion, die ihren Ursprung in den Konfliktsituationen hat, in die die Subjekte bei ihrer realitätsstiftenden Bestimmungstätigkeit geraten – eine Konstruktion, die entweder die formalintegrative Absicht verfolgt, den durch die Tätigkeit der Subjekte verschieden oder auch divergierend bestimmten Realitäten ein in ihnen perennierendes und zur reinen Idealität eines Hypokaimenon verflüchtigtes, gemeinsames Fundament nachzuweisen, oder aber dem realabstraktiven Zweck dient, die eine oder andere jener verschieden oder auch divergierend bestimmten Realitäten in ihrer dominierenden Stellung gegenüber den übrigen sicherzustellen und deshalb als die nicht bloß empirisch herrschende, sondern mehr noch paradigmatisch grundlegende zur Geltung zu bringen und zu kodifizieren.
Was demnach dem Subjekt bei seinem Versuch, sich praktisch oder theoretisch zu verhalten, Stellung zu beziehen, seine Vorstellungen, Interessen und Projekte Wirklichkeit werden zu lassen, begegnet, sind nicht etwa bloß die Vorstellungen, Interessen und Projekte der Artgenossen, die einen Objektzusammenhang, der allemal schon als solcher Voraussetzung wäre, im Sinne einer heterogenen Form und Funktionsbestimmung äußerlich affizieren und abstrakt präokkupieren, sondern ist vielmehr diese Objektivität selbst in der Bedeutung eines jene Vorstellungen der Artgenossen je schon konkret implizierenden und aus eigenen Stücken repräsentierenden, integralen Sach- und Wirkzusammenhangs. Nolens volens sieht sich das Subjekt bei seinem Versuch zu handeln einem Objektzusammenhang konfrontiert, dessen Wirklichkeit sein mit Rücksicht auf andere Subjekte aktuelles oder virtuelles Vermitteltsein und Bedeuten ist – einem Objektzusammenhang, dessen über alle bloße Gegenständlichkeit hinausgehende Eigenständigkeit und Realität eben darin besteht, dass er die Interessen anderer Subjekte aktuell oder virtuell als sein eigenes Wesen enthält und in corpore repräsentiert – einem Sachzusammenhang also, der eben dieser seiner realen Bedeutung und repräsentativen Vermitteltheit wegen das Subjekt nötigt, ihn als mit den spezifischen Projekten, die es selber an ihn heranträgt und mit ihm verbindet, ins Verhältnis zu setzen und zu vermitteln, bevor es daran denken darf, ihn als natürliches Medium und Mittel für die Verwirklichung jener spezifischen Projekte, das heißt, als Material für ein theoretisch-praktisches Verhalten in Anspruch zu nehmen. Weil aktuell oder virtuell der gegebene Sachzusammenhang seine signifikante Realität oder reale Bedeutung darin hat, je schon Medium und Mittel der Vorstellungen, Interessen und Pläne der Artgenossen zu sein, ist das, was er dem Subjekt, das sich ebenfalls zu oder in ihm verhalten möchte, vordringlich abverlangt, seine Vermittlung mit dessen eigenen Vorstellungen, Interessen und Plänen. Und eben diese Vermittlungsaufgabe, mit der der von den Artgenossen aktuell oder virtuell bereits präokkupierte und als Mittel vereinnahmte Sachzusammenhang das Subjekt, das in oder zu ihm Stellung nehmen möchte, mit Rücksicht auf dessen eigene Vorstellungen, Interessen und Pläne konfrontiert, ist nun das, was eine sprachliche Lösung erfordert. Diese Vermittlungsaufgabe durchs faktische Verhalten selbst, durchs Stellungbeziehen als solches, mithin durch die praktische oder theoretische Handlungsprobe statt durch ein sprachliches Probehandeln erfüllen zu wollen, wäre ebenso unverantwortlich wie gefährlich und verbietet sich von selbst. Und zwar verbietet sich dieser nichtsprachliche Versuch einer Lösung des Vermittlungsproblems nicht eigentlich schon deshalb, weil damit das Subjekt die Gefahr einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit den Artgenossen läuft und einen, wenn nicht verderbenbringenden, so jedenfalls schadenstiftenden Zusammenstoß, einen sei's zur direkten Kollision, sei's zur wechselseitigen Durchkreuzung, sei's zur gegenseitigen Neutralisierung führenden Konflikt seiner eigenen Interessen mit denen der anderen riskiert. Drehte es sich wirklich nur um einen Interessenkonflikt in abstracto, eine persönliche Konfrontation zwischen Subjekten – es wäre in der Tat nicht einzusehen, warum die Subjekte partout einer Versprachlichung des Konflikts den Vorzug geben, warum sie nicht vielmehr ebenso gut und sogar naheliegender das Risiko einer sprachlosen Austragung des Konflikts auf sich nehmen sollten. Von sich aus verbieten muss sich ein solch handlungsbereit nichtsprachlicher Versuch einer Lösung jener Vermittlungsaufgabe einzig und allein deshalb, weil er offenbar gar nicht verfehlen kann, mit den Vorstellungen, Interessen und Plänen der beteiligten Subjekte eben das zugleich aufs Spiel zu setzen, worauf diese Vorstellungen, Interessen und Pläne sich beziehen und worin sie, wie bemerkt, ihr eigenes Bestehen nicht weniger als ihren äußeren Gegenstand haben. Weil, wie gezeigt, das, was das Subjekt seinen spezifischen Vorstellungen begegnen sieht, nicht einfach und in abstracto andere subjektive Bestimmungen sind, sondern diese anderen Bestimmungen in der aktuell oder virtuell konkreten Gestalt und körperlichen Erscheinung eben der Realität, auf die die spezifischen Vorstellungen jenes Subjekts selbst sich richten, beschwört jeder Versuch einer die Probe aufs Exempel des Handelns machenden direkten Vermittlung mit jenen aktuell oder virtuell andren Subjektbestimmungen für den Fall, dass er misslingt und die Vermittlung vielmehr zur Auseinandersetzung gerät, die Gefahr herauf, dass die umstrittene Realität als solche der Zerstörung anheimfällt, der Kampfpreis selber zum Schlachtfeld wird.
Soll dies Risiko einer Verkehrung der Siegprämie ins Schlachtopfer, diese Gefahr einer im Eifer des Gefechts vorfallenden Zerstörung der Sache selbst vermieden werden, so führt kein Weg an einer Versprachlichung des Verhältnisses, am Versuch einer sprachlichen Lösung der im Verhältnis sich stellenden Vermittlungsaufgabe, vorbei. Das heißt, es führt kein Weg vorbei an der Notwendigkeit, die Vermittlung der Vorstellungen, Interessen und Pläne des Subjekts mit denen der Artgenossen auf einer repräsentativ anderen Ebene als der der unmittelbaren Realität, auf einer von der unmittelbaren Realität ebenso unterschiedenen wie für sie stellvertretenden Darstellungsebene, und unter anderen Bedingungen als den mit der unmittelbaren Realität gegebenen, unter vergleichsweise günstigeren, weil weniger realistischen, weniger durch den Status quo einer unmittelbaren Verschränktheit von Realität und subjektiver Bestimmung fixierten Versuchsbedingungen zu antizipieren und zu erproben. Denn eben dies beides leistet die Sprache mittels des Zeichensystems, in dem sie besteht: Sie ermöglicht, die präsente Realität durch eine Repräsentation der Realität, die substantielle Wirklichkeit durch eine substitutionelle Darstellung ihrer selbst, kurz, den empirischen Zusammenhang durch einen paradigmatischen Kontext zu ersetzen, und sie erlaubt, dies in einer Weise zu tun, die solch stellvertretender Darstellung eine nicht bloß formale Demonstrativität, sondern mehr noch materiale Mustergültigkeit verleiht – nämlich so, dass das, was mittels sprachlichem Ausdruck zur repräsentativen Darstellung gebracht wird, nicht etwa die Realität in der Unmittelbarkeit der gerade herrschenden Machtverhältnisse, im Status quo ihrer konstitutionellen Fundierung in und reellen Verschränkung mit diesen oder jenen beziehungsweise diesen statt jenen subjektiven Bestimmungen ist, sondern die Realität in dem zuvor erwähnten formalintegrativen Sinn eines als objektiver Zusammenhang allen subjektiven Bestimmungen gemeinsamen Grunds und Bodens, eines den so oder so bestimmten besonderen Realitäten als ihr fundamentales Substrat vorausgesetzten referentiellen Konstrukts. Ist ersteres, die Substitution der präsenten Wirklichkeit durch ihre repräsentative Darstellung, die Ersetzung des empirischen Zusammenhangs durch einen paradigmatischen Kontext, die topische Leistung der Sprache, so ist letzteres, die integrative, Repräsentativität als Mustergültigkeit realisierende Form der Darstellung, die mit normativem Anspruch paradigmatische Qualität des stellvertretenden Kontexts, ihre systematische. Durch den als topische Leistung markierten Ebenenwechsel schützt die Sprache den Versuch, zwischen den verschiedenen subjektiven Bestimmungen zu vermitteln, gegen die Gefahr, im Falle seines Scheiterns das Realfundament eben dieser Bestimmungen, den empirischen Zusammenhang selbst, einer fatalen Zerreißprobe zu unterwerfen. Zugleich bietet mit der als systematische Leistung charakterisierten Realisierung der stellvertretenden Darstellungsebene in der Bedeutung einer paradigmatischen Rekonstruktion der Wirklichkeit die Sprache jenem Vermittlungsversuch die denkbar günstigsten Erfolgsaussichten, indem sie durch die relative Abstraktheit und Unvoreingenommenheit gegenüber den einen wie den anderen subjektiven Bestimmungen, in der sie diese paradigmatische Objektivität sich konstituieren, um nicht zu sagen, fingieren lässt, den subjektiven Bestimmungen – ganz im Gegensatz zu ihrem in Wirklichkeit etwa vorhandenen Ungleichgewicht, ihrer empirisch etwa bestehenden Ungleichheit in Modus und Funktion – zu annähernd gleichwertigen Ausgangsbedingungen und quasi gleichrangigen Verhandlungspositionen beim eingeleiteten Vermittlungsverfahren verhilft. Allerdings ist diese systematische Leistung einer paradigmatischen Objektivierung der Realität durch die Sprache bei näherem Zusehen weitaus weniger eindeutig und gewiss, als auf den ersten Blick scheinen mag. Wie bereits oben vermerkt, ist am Ende keineswegs ausgemacht, ob die sprachlich konstituierte paradigmatische Objektivität eher dem integrativen Interesse an der Konstruktion eines den subjektiven Bestimmungen gemeinsamen fundamentum in re entspringt oder vielmehr dem realabstraktiven Zweck dient, eine bestimmte, der einen oder anderen subjektiven Bestimmung entsprechende Realität in der Rolle eines für alle anders bestimmte Realität verbindlichen transzendentalen Paradigmas oder kategorialen Musterexemplars zu sanktionieren. Aber auch wenn die paradigmatische Rekonstruktion der Realität durch Sprache dem alles andere als integrativen Versuch entspringt, den Status quo der zwischen den einzelnen subjektiven Bestimmungen herrschenden Machtverhältnissen zu sanktionieren und das heißt, dieser oder jener besonders bestimmten Realität die Weihe eines quasi öffentlichen Konsenses zu verleihen, bleibt immerhin wahr, dass es nun dieser als objektiver Zusammenhang vertraglich stipulierte und öffentlich garantierte Rahmen ist, auf den als auf die gemeinsame Ausgangsbedingung ihres Vermittlungsversuchs die beteiligten Parteien sich eingelassen und verständigt haben.
Dass kraft seiner Versprachlichung das anzustrengende Vermittlungsverfahren unter topisch wie auch systematisch relativ günstigen Voraussetzungen stattfinden kann, ist im Übrigen alles andere als eine Erfolgsgarantie, ja nicht einmal eine Garantie dafür, dass es nun auch wirklich stattfindet. Ob es zu dem Vermittlungsversuch überhaupt kommt, hängt wesentlich von der Situation ab, in der er die beteiligten Subjekte antrifft – ob er ihnen einen Vorteil verheißt, eine Zumutung für sie bedeutet, sie unter Druck setzt, sie in Schwierigkeiten vorfindet, ihnen aus einer Notlage hilft, sie in eine Kräftekonstellation verwickelt. Dieser als Probehandeln wohlverstandene sprachliche Vermittlungsversuch dient ja einer antizipatorischen Klärung der Frage, inwieweit verschiedene, auf ein und dieselbe Realität sich beziehende oder vielmehr in ein und derselben Realität sich aktuell oder virtuell realisierende subjektive Bestimmungen miteinander zu koexistieren, sich zu vertragen, vertraglich zu arrangieren vermögen. Koexistenz, Verträglichkeit, vertragliches Miteinander im Zusammenhang ein und derselben Realität scheinen aber überhaupt nur als Verhältnis gegenseitiger Objektivierung, wechselseitiger Inanspruchnahme und reziproker Verfügbarkeit denkbar, so dass der Vermittlungsversuch also die Frage zu erörtern und zu verhandeln dient, inwieweit die beteiligten Subjekte bereit sind, um einer mehr oder minder entsprechenden Gegenleistung, eines relativ reziproken Verhaltens ihrer Artgenossen willen die eigenen Vorstellungen, Interessen und Absichten zugleich von den Artgenossen für deren andere Vorstellungen, Interessen und Absichten in Dienst und Gebrauch nehmen, die eigenen Bestimmungen und Zwecke im Zuge ihrer Realisierung zugleich als abhängige Funktionen und kursorische Mittel der anderen Bestimmungen und Zwecke der Artgenossen passieren zu lassen. Weil jedes beteiligte Subjekt die Bestimmungen der anderen beteiligten Subjekte je schon als aktuell oder virtuell konstitutives Moment und integrierenden Bestandteil eben der Realität erfährt, in der es seine eigene Bestimmung wahrzunehmen und zu verwirklichen beansprucht, kann jener als sprachliche Verständigung konzipierte Vermittlungsversuch zwischen den verschiedenen subjektiven Bestimmungen gar nichts anderes bedeuten als eine Prüfung der Bereitschaft aller Beteiligten, einer Vermittlung im Wortsinn sich zu unterwerfen und nämlich auf Treu und Glauben einer verhältnismäßigen Reziprozität die die Realität aktuell oder virtuell bestimmenden eigenen Vorstellungen, Interessen und Absichten zugleich zu Momenten und Mitteln der die also bestimmte Realität aktuell oder virtuell anders bestimmenden Vorstellungen, Interessen und Absichten der Artgenossen werden zu lassen.
Diese Bereitschaft ist alles andere als selbstverständlich. Wo ein Subjekt sich der von ihm bestimmten, durch seine Bestimmungen beherrschten Realität sicher genug ist, wo es am Ende gar der von seinen Vorstellungen, Interessen und Absichten geprägten Realität als der öffentlich sanktionierten Objektivität gewiss sein kann und wo es zugleich den ihm begegnenden anderen subjektiven Bestimmungen wenig oder nichts seinen eigenen Bestimmungen Dienliches abzugewinnen vermag, wird es ohne Frage geneigt sein, die ihm angesonnene Vermittlung als eine schiere Zumutung zurückzuweisen und auf ein zu diesem Zweck inauguriertes sprachliches Probehandeln sich gar nicht erst einzulassen. Das betreffende Subjekt wird sich weigern, an jenem Vermittlungsversuch teilzunehmen, es wird nicht bereit sein, mit den Artgenossen über ihre wechselseitigen Interessen sich zu unterhalten, in Unterhandlungen einzutreten, zu sprechen, kurz, es wird nicht mit sich reden lassen. In der Tat sind es eigentlich nur zwei Situationen, die – sei's jede für sich, sei's in Kombination – ein Subjekt mit einiger Zuverlässigkeit vermögen dürften, in eine Vermittlung, eine Instrumentalisierung seiner eigenen Bestimmungen durch die der Artgenossen einzuwilligen. Der eine, negative Fall liegt dann vor, wenn das Subjekt seine eigenen Bestimmungen für nicht realitätshaltig genug beziehungsweise die Bestimmungen der Artgenossen für zu realitätsmächtig halten muss, um von Kompromisslosigkeit sich etwas erhoffen zu können. Der andere, positive Fall ist dann gegeben, wenn das Subjekt seine eigene Bestimmung als hinlänglich desiderativ beziehungsweise die Bestimmungen der Artgenossen als verlockend genug erfährt, um von einer Verständigung sich etwas erwarten zu dürfen. Aber auch wenn aus dem einen oder anderen Grund beziehungsweise aus beiden Gründen zugleich die betroffenen Subjekte zum Vermittlungsversuch bereit sind, können doch die Form und der Grad dieser Bereitwilligkeit noch sehr verschieden ausfallen. Je nach dem zwischen ihnen vorherrschenden Kräfteverhältnis und je nach der Realitätsmächtigkeit der von ihnen geltend gemachten Bestimmungen werden die beteiligten Parteien einen unterschiedlich großen Einfluss auf die Form und Intensität der Verhandlungen ausüben. Nur in den seltensten Fällen wird es eine Verhandlung sein, an der alle beteiligten Parteien gleichberechtigt und mit gleicher Beredtheit, geschweige denn gleicher Kompetenz teilhaben können. Normalerweise wird einer der Tonangebende und ein anderer der um Gehör Bittende, einer der Befehlende und ein anderer der Gehorchende, einer der Fragende und ein anderer der Antwortende, einer der Dozierende und ein anderer der Belehrte, einer der Dekretierende und ein anderer der Appellierende, einer der Redegewandte und ein anderer der nach Worten Ringende, einer der zur Rede Stellende und ein anderer der Plädierende, einer der Umworbene und ein anderer der Werbende sein. Zumal wenn der überlegene, realitätsmächtigere Teil sich als durch die Konvention begünstigt und gar als Sprachrohr einer von der Konvention sanktionierten Objektivität weiß, wird er, wiewohl konventionshalber oder formell bereit, mit sich reden zu lassen, doch aber materiell keinen Anstand nehmen, sich seine Gesprächsbereitschaft mit – gleichermaßen die Form und den Inhalt der Verständigung betreffenden – Zugeständnissen der anderen Seite teuer bezahlen zu lassen.