Exkurs: Schamanismus oder die Auferstehung des Fleisches
Eine eigentümliche Adaption und Nutzanwendung erfährt der wider den Stachel der Reichtumproduktion als verbindlicher gesellschaftlicher Perspektive löckende bäuerlich-dionysische Subsistenzkult in den am Rande und im Umkreis der reichen theokratischen Gesellschaften vornehmlich oder ausschließlich auf jägerischer Basis subsistierenden armen Stammesgemeinschaften und dem von diesen unter dem Einfluß ihrer reichen Nachbarn ausgebildeten schamanischen Kult. Was in der theokratischen Gesellschaft dem von der bäuerlich-handwerklichen Unterschicht als fiktive Instanz hochgehaltenen Herrn des vegetativen Lebens widerfährt, das ereilt ebensowohl als ein fiktives Schicksal den von jenen Stammesgemeinschaften als reale Institution kultivierten Herrn des animalischen Lebens, den Schamanen: er findet sich seiner unmittelbaren Macht als heilkräftiger Hüter des Lebens beraubt, stirbt einen rituellen Opfertod, fährt in ein unterweltliches Jenseits hinab und ersteht wieder auf, um – angetan mit den Insignien oder vielmehr gezeichnet von den Spuren seines über den Tod errungenen Triumphs – sich erneut als der lebenspendende Heiler des Stammes zu etablieren. Daß dies nicht bloß eine formale Parallele ist, sondern daß durchaus eine materiale Analogie vorliegt, erhellt aus der subsistentiellen Bedeutung, die das Schicksal des schamanischen Heilers nicht weniger als das des dionysischen Heilbringers hat. Wie die Biographie des dionysischen Heilbringers die naturkreisläufige Bahn beschreibt und vielmehr bestimmt, die die Subsistenzbasis seiner bäuerlichen Verehrer, die Vegetation, durchläuft, so stellt auch der Werdegang des schamanischen Heilers den reproduktionszyklischen Weg dar und vielmehr sicher, den das Subsistenzmittel seiner jägerischen Anhänger, das Beutetier, nimmt: wie das Jagdtier, von dem er und seine Stammesgenossen leben, wird auch der Schamane selbst im Zuge seines rituellen Opfertods zur Strecke gebracht, zerlegt und entbeint, um schließlich aus den Knochen wiederaufzuerstehen. Dies letztere, die Zergliederung und Skelettierung des schamanisch-jägerischen Opfers, könnte nun zwar auf den ersten Blick ein neues und eigenes, einem als Jagdzauber magischen Bemühen (was auch immer darunter sich verstehen ließe!) geschuldetes Element scheinen. Vielmehr komplettiert es aber genau die Analogie zum dionysischen Subsistenzkult in den theokratischen Gesellschaften, indem es mit dem Resultat der Zergliederung, dem Skelett und Knochen, ein Pendant zu eben der Perspektive und Sphäre ins Spiel bringt, um die als um sein heteronomes Zentrum jener vegetative Subsistenzkult sich dreht: ein Gegenstück nämlich zur Sphäre des gesellschaftlichen Reichtums. Die Rücksicht auf den Reichtum, der Zwang, die unmittelbare Subsistenz sich zu guter Letzt durch die Reichtumform vermitteln lassen zu müssen: dies ist es, wie gesehen, was im dionysischen Kult den Herrn der Subsistenz mitsamt dem von ihm erfüllten reichtumüberhoben-selbstgenügsamen, agrarisch-einfachen Leben der Unterschicht heimsucht und zugrunde richtet. Und ganz entsprechend ist es im schamanischen Kult die Rücksicht auf den Knochen, der Zwang, sich der fleischlichen Subsistenz auf dem Umweg übers Gebein versichern zu müssen, was dem Schamanen ebenso wie dem von ihm repräsentierten Beutetier die Glieder löst und den Garaus macht. Indes hat diese Parallele zwischen der die Unmittelbarkeit des agrarischen Subsistenzmittels vernichtenden Kultivierung von Reichtum und einem die Lebendigkeit des jägerischen Subsistenzmittels zerstörenden Kult um den Knochen doch wohl eher den Wert einer symbolischen Übertragungsbeziehung als die Geltung eines empirischen Entsprechungsverhältnisses. Schließlich ist die agrargesellschaftliche Reichtumerzeugung der theokratischen Gemeinwesen ein wirkliches, durch die Existenz der aristokratischen Nutznießer des Reichtums ausgewiesenes Tun, im Blick auf das sich die von der Unterschicht in corpore des dionysischen Heilbringers behauptete reichtumüberhoben selbstgenügsame, rauschhaft unmittelbare Subsistenz als eine ephemere Randerscheinung, ein am Ende des vegetativen Zyklus notwendig verfliegender schöner Schein präsentiert. Hingegen ist die jägergesellschaftliche Knochenproduktion der schamanistischen Stammesgemeinschaften ein der wirklichen sozialen Funktion augenscheinlich entbehrendes Beginnen, das sich in einem der subsistentiellen Realität dieser Gemeinschaften aufgesetzten symbolisch-kultischen Handeln erschöpft. Was jene im Umkreis der theokratischen Zivilisationen ihr Leben fristenden Jäger-und-Sammler-Völker tatsächlich praktizieren, ist eine auf Beutetieren und Naturfrüchten basierende und von jeder Reichtumerzeugung weit entfernte Subsistenzwirtschaft; was sie demnach tun, wenn sie ihrer jägerisch-unmittelbaren, umweglos-subsistentiellen Fleischversorgung mittels Knochenkult eine der Reichtumrücksicht der theokratischen Gesellschaften vergleichbare Dimension vindizieren, ist die symbolische Imitation oder kultische Simulation eines Mechanismus, der ihrer stammesgemeinschaftlichen Organisation und Reproduktion eigentlich fremd ist und von dessen Abwesenheit das Fehlen einer entsprechenden gesellschaftlichen Schichtung, priesterköniglichen Einrichtung und götterkultlichen Religion ja auch deutlich genug zeugt.
Weshalb aber ahmen dann jene jägerisch-schamanistischen Gemeinschaften den reichtumorientierten Produktionszusammenhang der agrarisch-theokratischen Gesellschaften mittels Knochenkult überhaupt nach? Verantwortlich dafür ist ein grundlegender Mangel und vielmehr wesentlicher Widerspruch in der Subsistenzform der jägerischen Gemeinschaften, der den letzteren gerade im Vergleich mit der Produktionsweise ihrer agrarischen Nachbarn schmerzhaft bewußt werden muß: das Mißverhältnis nämlich, daß sie das Subsistenzmittel, auf dem ihre Existenz beruht und das ihnen als die fleischgewordene Positivität ihres Daseins lieb und teuer ist, ständig nur durch Konsumtion ausbeuten, zerstören, negieren, ohne durch eine korrespondierende kompensatorische Produktionstätigkeit für seine Erhaltung sorgen, es als solches reaffirmieren, es hegen und pflegen zu können. Arbeit, die spezifisch menschliche Form eines selbstbestimmt organisierten Stoffwechsels mit der Natur, erschöpft sich bei ihnen in der geübten Auffindung, Aneignung und Verwendung eines Naturgegebenen und hat nicht die in der agrarischen Gesellschaft ausgebildete Gestalt eines direkten Einwirkens auf die gebende Natur selbst, will heißen einer aktiven Manipulation und systematischen Organisation der natürlichen Entstehungsbedingungen der Subsistenzmittel. Dem als kreisläufiger Stoffwechsel, als konkreter Austausch mit der Natur erkennbaren kultivierenden Anbau der agrarischen Gesellschaften steht demnach bei den jägerischen Gruppen ein in einseitiger Selbstversorgung, im abstrakten Nehmen von der Natur aufgehender, destruierender Raubbau gegenüber. Seinen sinnfällig-gegenständlichen Ausdruck findet dieser grundlegende Unterschied in der Beschaffenheit und Wirkmächtigkeit der jeweiligen Arbeitsweise in dem Umstand, daß im Normalfall die Subsistenzmittel der agrarischen Gesellschaften erzeugte Akzidentien, "Abfallprodukte" einer kontinuierlicher Bearbeitung unterliegenden bleibenden Substanz sind, wohingegen bei den jägerischen Gemeinschaften die Subsistenzmittel erlegte Exemplare, diskrete Teile der als Wildbestand durch die Jagdarbeit verfolgten und zur Strecke gebrachten schwindenden Substanz selbst sind.
Dies in der Arbeit des Verfolgens und Stellens, des Aufspürens und Bereitstellens des Subsistenzmittels sich erschöpfende Zehren von der als solche nicht der Bearbeitung unterworfenen Natursubstanz gibt nun aber angesichts der als relative Naturbeherrschung in kontinuierlich substantieller Auf- und Anbauarbeit bestehenden Produktionsweise ihrer agrarischen Nachbarn den jägerischen Gemeinschaften das Gefühl eines wesentlich heteronomen Daseins und Ausgeliefertseins an die Naturmacht und vermittelt ihnen gleichzeitig das für jenes Gefühl maßgebende Bewußtsein, mit solcher Abhängigkeit von einer unkontrollierbar selbstmächtigen Natursubstanz nicht auf der Höhe der in Wirklichkeit der Gesellschaft durch Arbeit möglichen aktiven Einflußnahme auf die Natur und produktiven Verfügung über die natürlichen Subsistenzbedingungen zu sein. So wahr die agrarischen Gesellschaften sich durch ihre kultivierend-akkumulative Produktionsweise den jägerischen Gemeinschaften als – wie immer durch Wechselfälle des Klimas, der Geographie und des Ökosystems eingeschränkte – Herren ihres subsistentiellen Schicksals zu verstehen geben, so wahr vermitteln sie ihnen das vom Minderwertigkeitskomplex nicht eben weit entfernte Gefühl, mit ihrer destruierend-exploitativen Arbeitsform Sklaven der Natur und Spielball einer in dieser gestaltgewordenen heteronomen Schicksalsmacht zu sein. Und es ist dieses Minderwertigkeitsgefühl, dieses Bewußtsein einer vergleichsweise ohnmächtigen Abhängigkeit von der nach eigenem Ermessen gebenden Natur, was den jägerischen Gesellschaften die schamanische Simulation des agrarischen Sterbe- und Wiederauferstehungskults eingibt und sie dazu antreibt, im Knochenkult eine der Reichtumsrücksicht analoge Bestimmtheit ihrer Subsistenz zu kultivieren. Nicht, daß sich dadurch faktisch-empirisch an ihrem ebenso passiven wie aggressiven Zehren von der Substanz, an ihrer aufs Erlegen, Zerstören, Vernichten beschränkten Produktionsweise etwas änderte! Wohl aber erhält psychologisch-ideologisch diese destruktive Produktionsweise durch die Verknüpfung mit dem der Reichtumsrücksicht analogen schamanischen Knochenkult ein anderes und erträglicheres Aussehen: Indem sie als solche zum integrierenden Bestandteil und vielmehr zur bloßen Folgeerscheinung einer im Wortsinn als Knochenarbeit bestimmten und dem agrarischen Eingreifen in die Natur vergleichbaren tiefschürfend-gründlichen, um nicht zu sagen einschneidend-wirklichen Behandlung der Natur avanciert, legt sie die Züge eines dem unmittelbar subsistentiellen Tun der Jäger als Naturverfallenheit zur Last zu legenden rücksichtlosen Zerstörens und kompensationslosen Raubbaus ab und verwandelt sich in die notwendige Implikation eines im Knochenreichtum resultierenden konstruktiven Vorhabens und objektiven Vollbringens. "Wir haben dich von deinem Fleisch befreit", sagen die Tungusen zum skelettierten Beutetier und implizieren die subsistentielle Fleischgewinnung als bloßen Nebeneffekt des eigentlichen Zwecks einer substantiellen Knochenproduktion.
Das also bietet der in den agrarischen Gesellschaften grassierende Kult um den zugrunde gehenden dionysischen Herrn der Subsistenz und um die gleichzeitig mit ihm der Zerstörung anheimfallenden vegetativ-unmittelbaren Subsistenzmittel den jägerischen Gemeinschaften: ein Erklärungs- und Rechtfertigungsmodell für die zerstörerische Gewalt und raubbauhafte Abstraktheit, in der ihre eigene Selbsterhaltung in der Natur, ihre subsistentielle Arbeit, sich erschöpft. Indem sie den in jenem agrargesellschaftlichen Kult als Ausschließungsverhältnis und tödlicher Gegensatz konstruierten sozialen Konflikt zwischen bäuerlich unmittelbarer Subsistenzgewinnung und aristokratisch vermittelter Reichtumbildung auf die jägerischen Lebensbedingungen übertragen und als den unter diesen Bedingungen virulenten Gegensatz zwischen Lust am lebendigen Fleisch und Zwang zum toten Knochen reproduzieren, gelingt es ihnen, den an sich der Befriedigung ihrer Fleischeslust eingeschriebenen Widerspruch eines am Befriedigungsmittel geübten kompensationslosen Zerstörens und perspektivlosen Raubbaus "aufzulösen" und, wie einerseits das Zerstören zur notwendigen Implikation jener als objektive Naturbearbeitung sich gerierenden substantiellen Knochenproduktion zu erklären, so andererseits die Befriedigung des Bedürfnisses selbst aus einem durch sein zerstörerisches Mittel, den Raubbau an der Natur, diskreditierten zentralen Zweck der Veranstaltung in einen bloßen Nebeneffekt, ein Abfallprodukt des durch seine Einbindung in den Naturbearbeitungsgestus des Knochenkults als produktives Tun gerechtfertigten Zerstörungswerks zu verwandeln. Aber nicht nur für eine Rechtfertigung, sondern mehr noch für eine Wiedergutmachung, eine Reparation des Zerstörungswerks sorgt der nach dem Vorbild der agrarischen Reichtumsrücksicht als tödlich objektive Bestimmung in die jägerisch unmittelbare Subsistenz eingeführte schamanische Knochenkult. Schließlich ist ja auch im agrarischen Vegetationskult das durch die Reichtumsrücksicht verschuldete Sterben des dionysischen Lebensspenders und Zugrundegehen der von ihm erfüllten unmittelbaren Subsistenz mitnichten das letzte Wort in der Sache, sondern vielmehr Auftakt und Ausgangspunkt für eine im naturzyklischen Wiedererwachen der Natur gewahrte Wiederauferstehung des Getöteten und Wiederherstellung seiner rauschhaften Sphäre subsistentieller Unmittelbarkeit und Sichselbstgleichheit. Was Wunder, daß in diesem resurrektiven Punkt der schamanische Kult dem Vorbild des dionysischen folgt und aus dem skelettierten Knochen das Fleisch in gehabter Lebendigkeit wieder hervorgehen läßt?
In einer vollständigen Imitation des agrarischen Sterbe- und Auferstehungszyklus nutzt also der schamanische Kult um den Tod und die Wiederverlebendigung des Fleisches seine der Reichtumsrücksicht analoge Fixierung ans Skelett nicht nur, um der abstrakt zerstörerischen jägerischen Produktionsweise einen sie als konstruktive Knochenarbeit rehabilitierenden substantiellen Zweck oder objektiven Grund nachzuweisen, sondern er bringt dabei mehr noch diesen objektiven Grund der Zerstörung als den spekulativen Umschlagspunkt einer alle Zerstörung zu widerrufen bestimmten Resurrektion des Fleisches oder Restitution des Lebendigen zur Geltung. Diese von der jägerisch-schamanischen Spielart des agrarisch-dionysischen Auferstehungskults behauptete resultative Wiedergewinnung des lebendigen Fleisches aus dem toten Knochen oder positive Wiederherstellung der unmittelbaren Subsistenz aus der auf Kosten der letzteren erarbeiteten Natursubstanz läßt nun aber deutlich werden, wie sehr die agrarische Reichtumsrücksicht durch ihre Überführung in den jägerischen Bereich und ihre knochenkultliche Verwendung in der schamanischen Religion ihre strukturelle Bedeutung verändert und wie völlig sie sich nämlich aus einem die unmittelbare Subsistenz heimsuchenden negativen Bezugspunkt und existentiellen Ausschließungsgrund in einen affirmativen Reflexionspunkt und ein funktionelles Transportmittel für den subsistentiellen Prozeß verwandelt. Dort, im agrarischen Auferstehungskult der theokratischen Gesellschaften, firmiert die Reichtumsrücksicht als das herrschende gesellschaftliche Verhältnis, als die reale Entfremdungsperspektive, die einer fiktiven unmittelbaren Subsistenz unüberwindliche Schranken setzt und am Ende in der Tat den Garaus macht. Will diese unmittelbare Subsistenz mitsamt dem sie tragenden vegetativen Herrn und Heilsbringer wiedererstehen, so kann sie das nicht etwa aus dem spekulativen Abgrund eben jener als Entfremdungsperspektive zwingenden Reichtumsrücksicht vollbringen, sondern sie muß es kraft einer der Reichtumsrücksicht entgegenwirkenden eigenen Substanz, dem zur Naturmacht hypostasierten Inbegriff einer durch die Reichtumsrücksicht zu scheinbarer Spontaneität und Selbstmächtigkeit entfesselten Produktivität, durchsetzen. Nicht die den Tammuz, Osiris oder Dionysos totenreichlich verschlingende Reichtumsrücksicht selbst ist es, die den Zugrundegegangenen wieder freiläßt und zutage fördert, sondern die als Ischtar, Isis oder Rhea zum schönen Schein einer unabhängigen Naturmacht abgespaltene agrarische Produktivkraft muß ins Totenreich hinabsteigen und den Getöteten wieder zum Leben erwecken und freisetzen. In den jägerischen Gemeinschaften hingegen ist die qua Fleischbeschaffung praktizierte unmittelbare Subsistenz die gesellschaftlich herrschende Realität, und die im schamanischen Knochenkult symbolisch übernommene Reichtumsrücksicht wird als fiktive Entfremdungsperspektive eingeführt, um ein der subsistentiellen Produktionsform eigenes Ungenügen und Moment heteronomer Naturverfallenheit gleichermaßen zu kompensieren und als integrierenden Bestandteil einer vielmehr autonomen Naturbearbeitung zu rechtfertigen. Indem so die qua Knochenkult praktizierte Reichtumsrücksicht dazu dient, einen der jägerischen Subsistenz immanenten Mangel zu beheben oder jedenfalls aus der letzteren selbst zu entfernen, übernimmt sie nolens volens eine positiv vermittelnde Funktion oder gewinnt die Bedeutung eines konstruktiven Reflexivs. Sie ist nicht mehr die reale Schranke, die eine fiktiv sichselbstgleiche Subsistenz ad absurdum einer unentrinnbar zerstörerischen Entfremdung führt, sondern sie ist die fiktive Entfremdungsperspektive, die eine real widersprüchliche, weil raubbauhaft zerstörerische Subsistenzweise von ihrem Widerspruch befreit und somit als eine sichselbstgleich geübte und unbedenklich genossene allererst ermöglicht. Was Wunder, daß die schamanischen Gemeinschaften diese im Blick auf den inneren Widerspruch der jägerischen Subsistenz konstruktive Bedeutung der knochenkultlichen Entfremdungsperspektive mit dem von den Agrargesellschaften übernommenen Motiv einer naturzyklisch garantierten Wiederherstellung der unmittelbaren Subsistenz aus ihrer reichtümlichen Entfremdung assoziieren und im spekulativen Kurzschluß das eine, die Reduktion auf den Knochen, zum Grund des anderen, der Wiederauferstehung des Fleisches, erklären?
Von solcher spekulativ kausalen Herleitung des im Fleische reproduzierten Lebens aus einem per se produktiven knöchernen Tod zeugt schließlich der Schamane selbst. Anders als der agrarische Dionysos figuriert der jägerische Schamane nicht nur als Herr der unmittelbaren Subsistenz und als blutiges Opfer der diese ereilenden fatalen Entfremdung, sondern er avanciert als Knochenmann, als Skeletträger, auch und gerade zum Herrn über die tödliche Entfremdungsperspektive selbst. Weil als schamanischer Knochenkult die Entfremdungsperspektive keine der unmittelbaren Subsistenz bloß äußerlich zustoßende destruktive Schranke, sondern eine sie substantiell vermittelnde objektive Bedingung ist, gewinnt zwangsläufig auch der die Subsistenz als Herr und Opfer paradigmatisch verkörpernde Schamane zu ihr ein affirmativ anderes Verhältnis: er erleidet sie nicht einfach als ein Widerfahrnis, durchläuft sie nicht bloß als herbes Schicksal, sondern projektiert und inszeniert sie als einen für seine zyklische Laufbahn grundlegenden Tiefpunkt und richtungweisenden Umschlagsort. Er übernimmt und spielt neben seiner Rolle als Herr der Subsistenz quasi auch den in den jägerischen Gemeinschaften mangels Klassengesellschaft und Staatsbildung funktionslosen Part des priesterköniglichen Reichtumverwalters, um hiernach als Knochenmann und Herr über die skeletthafte Natursubstanz teils sich selber zur heiligen Dreifaltigkeit des Täters, des Toten und des Triumphierenden zu komplettieren, teils seiner Karriere den Automatismus eines aus Autodafé, Agonie und Phönix-aus-der-Asche oder vielmehr Fleisch-aus-dem-Knochen kombinierten Procedere zu verleihen.
Daß solch prozedurale Automatisierung des Sterbe- und Wiederauferstehungskults schon früh auf die agrarischen Gesellschaften zurückwirkt und die Anhänger des dionysischen Vegetationskults fasziniert, das beweist deren als Anleihe beim Schamanismus unschwer erkennbare Neigung, den Tod des Herrn der Vegetation in wie immer durch die Feldfrucht, die für letzteren einsteht, modifizierter Form dem Sterben des schamanischen Opfers nachzubilden und nämlich als ein Zerrissen-, Zerteilt-, Zerstampft-, Zermahlenwerden zur Anschauung zu bringen. Seine volle Wirksamkeit aber entfaltet diese zuerst durch den jägerischen Schamanismus kultivierte spekulative Vorstellung von einem dem Tode selbst entspringenden Leben, einem aus dem Knochen auferstehenden Fleisch schließlich in der christlichen Heilsreligion und ihrem reliquienkultlich ausgewalzten Glauben an den lebenspendenden heiligen Geist aus dem todbringenden Buchstaben des Gesetzes.