2. Der Weltflüchtige
So gewiß die als Übergang von Traum in Wachsein vollzogene Einkehr im Sein eine Rückkehr zum zeitlos vergangenen eigenen Wesen ist, so gewiß erweist sich der ontologische Konversionssprung als quasibiographischer Restitutionsakt. Von der Erscheinungswelt her gesehen, ist diese Rückkehr ins Wesen Einkehr ins Nichts, aber weil dies Nichts das Nichts der Erscheinungswelt als der Gesamtheit des Scheins ist, ist es sub specie seines Vollzugs unmittelbar das Wesen. Während indes so das Subjekt den Sprung ins Nichts vielmehr als reines Zusichkommen, als Rückkehr seiner selbst zu seinem Wesen erkennt, entsteht ihm das neue Problem einer Aufspaltung zwischen ihm, dem durch Einkehr ins Nichts einfach nur zu sich kommenden Selbst und dem, was das Selbst an scheinverbundener Individualität und Identität hierbei fahrenlassen muß.
In der sicheren Gewißheit, daß das Sein, dem sie als dem vom anderen Subjekt offenbarten A und O des ganzen Prozesses, der negativitätserfüllt bleibenden, revokativ apriorischen Wahrheit der ganzen Geschichte im ontologischen Sprung zustrebt – daß dies Sein die biographische Form dessen hat, was sie in, der Scheinbarkeit ihres präsenten Daseins gemäß, zeitloser Vergangenheit selber war, was ihr eigenes Wesen ist – in solch haltgebender Gewißheit kann nun die Oberschicht die für den Sprung erforderliche Ablösung vom empirischen Dasein, seine ebenso durchgreifende wie umfassende Fürnichtserklärung, vollziehen. Sich von den Umständen und Zuständlichkeiten ihres empirischen Daseins und allen Engagements darin lossagend und zur Nichtigkeit der ganzen innerweltlich-historischen Sphäre, in der sie sich umtreibt, bekennend, kann die Oberschicht sicher sein, daß unmittelbar hinter dem Nichtigen und für nichts Erklärten das ontologisch Andere, das Sein, ihrer harrt, nicht etwa um sie als das andere, das seinshaft Fremde, zu empfangen und sich einzuverleiben, sondern bloß um sie als das eigene, das wesenhaft Vertraute, zu umfangen und zu sich kommen zu lassen. Aber nicht eigentlich hinter dem Nichtigen und für nichtig Erklärten, als nichts Wahrgenommenen harrt das als eigenes Wesen vertraute Sein, sondern es wartet, wie das Reden von Unmittelbarkeit ja bedeuten will, in der Nichtigkeit selbst, ist im Nu und Akt der Fürnichtserklärung, im gesetzten Nichts des Scheins als solchem gegenwärtig. Eben das leistet ja die biographische Assimilation des die Oberschicht zur Trennung von ihrem empirischen Dasein und zur Identifizierung mit seinem apriorischen Sein sollizitierenden anderen Subjekts, die der Oberschicht jenes apriorische Sein als ihr zeitlos vergangenes, eigenes Wesen wahrzunehmen erlaubt, und eben darin besteht ja die Sicherheit, die diese biographische Assimilation ihr im Blick auf den geforderten ontologischen Sprung gewährt: daß in der Tat der Tod des einen, des Scheins, in ebenso perfekter Gleichsinnigkeit wie Gleichzeitigkeit ist mit dem Leben des andern, dem Sein, daß also nach dem Vorbild der Rückkehr vom Traum in den Wachzustand zwischen dem als bloße Erscheinung abgesetzten empirischen Dasein und dem als wirkliches Wesen gesetzten apriorischen Sein ein als Übergangsprozeß, als wie auch immer fliegender Wechsel gar nicht mehr zu begreifender simpler Reduktions- und Restitutionsakt stattfindet und deshalb die Negation des empirischen Daseins kurz und bündig mit der Position des apriorischen Seins zusammenfällt, das Nichts der Erscheinung schlicht und einfach das wirkliche Wesen ist. Was vorher ein Sturz ins Bodenlose, in ein ungewisses Übergangs- und Zwischenstadium scheinen konnte, ein Ereignis, das einerseits zwar bereits die Nichtigkeit des täuschenden Scheins, andererseits aber noch schlechterdings nichts vom wahren Sein zum Inhalt hatte, das erweist sich nun, da biographisch sichergestellt ist, daß hinter der Erscheinung immer gleich das Wesen harrt, daß in janusköpfiger Unmittelbarkeit die Abkehr vom Falschen mit der Einkehr ins Wahre, die Umkehr mit der Rückkehr koinzidiert, als das gewisseste Zusichkommen, das bruchloseste, einfachste Erwachen. So wahr das Sein, das jenseits des sie voll okkupierenden Scheins ihres empirischen Daseins die Oberschicht anstrebt, ihr eigenes, zeitlos vergangenes, und das heißt nicht am chronologischen Maßstab des illusorisch prozessualen Vergehens, als das sich ihr Dasein herausgestellt hat, zu messendes Wesen ist und so wahr sie ihr Wesen exakt so lange als Sein hat oder wirklich ist, wie sie noch nicht in der Eigenschaft des historischen Subjekts von ihm abgefallen ist und sich noch nicht in das als Negation des Seins fortlaufende Vergehen ihrer empirischen Illusion verwickelt hat, so wahr ist die als Negation des Negativen begreifliche Absetzung und Fürnichtserklärung dieses scheinhaften Daseins ebenso konsubstantiell synonym wie koinzidentiell synchron mit der Wiedereinsetzung und als Position des Positiven restituierten Gegenwart jenes wesenhaften Seins selbst.
Allerdings ist das wesenhafte Sein, dessen sich so die Oberschicht im unmittelbaren Effekt oder implikativen Gleichsinn der Fürnichtserklärung ihres scheinhaften Daseins gewiß sein kann, ist das als Negation des Negativen umstandslos sich ergebende und wie Erwachen aus Traum geschehende Positive auch wesentlich nur in negativer Form und nämlich partout nur in der Bedeutung des an die Stelle des scheinhaften Daseins gesetzten oder getretenen reinen Nichts zu haben. Eben deshalb, weil nicht die täuschende Erscheinung, sondern das im diametralen Gegenteil wirkliche Wesen, nicht der historische Schein, sondern das in absoluter Verschiedenheit apriorische Sein der Standpunkt oder Zustand ist, den die Oberschicht mit ihrem als biographischer Restitutionsakt sichergestellten ontologischen Konversionssprung anstrebt, ist nun aber auch für die mit Haut und Haar an der täuschenden Erscheinung Hängende, mit Leib und Seele im historischen Schein Befangene das Angestrebte rein durch nichts an der Erscheinung beziehungsweise, aktiv betrachtet, durch rein nichts als durch deren durchgängige Negation, mithin, objektiv begriffen, als das reine Nichts des Scheins bestimmt. Jeder Versuch, das angestrebte Wesen positiv zu bestimmen, es jenseits der Erscheinung als Existenz sui generis erscheinen, es außerhalb des Scheins und frei von ihm als das für sich seiende andere, das sich präsentierende Wesen zur Vorstellung kommen und anwesend sein zu lassen, liefe wegen ihrer vollständigen und in toto allererst abzuwerfenden Scheinbefangenheit für die Oberschicht darauf hinaus, Elemente der Erscheinung zu Wesensmerkmalen zu erheben, Scheinmomente als Bestandteil des Seins zu hypostasieren, mithin den wie immer biographisch abgesicherten ontologischen Sprung so zu konterkarieren, daß aus dem Übergang eine Überführung, aus dem fluchtartigen Transit vom einen in den anderen Zustand ein wohnwechselförmiger Transfer des einen in den anderen würde, ihn also in der Weise zu unterlaufen, daß das von ihr als ihr eigenes Wesen angestrebte apriorische Sein sich auf eine bloße, ebensoviel tatsächliche Kontinuität wie scheinbare Diskretheit beweisende Projektion ihres empirischen Daseins reduzierte. Von der Erscheinung her gewahrt, sub specie des Scheins betrachtet, ist das Wesen absolute Negation, ist das Sein Nichts, ist es das die Erscheinung rein Ausschließende, den Schein unendlich Negierende, etwas, an dem einzig und allein dies, daß es großgeschriebenes Nichts ist, darauf hinweist, daß es nicht einfache Mangelerscheinung, nicht in der Absenz des Scheins sich erschöpfende Fehlanzeige, sondern daß es vielmehr scheinloses Sein, im unendlichen Urteil von der Erscheinung befreites reines Wesen ist.
Diesem Nichts verschreibt sich nun die Oberschicht in der festen Überzeugung oder vielmehr sicheren Gewißheit, nicht nur das apriorische Sein des anderen Subjekts darin zu haben, sondern auch und zugleich ihr unmittelbar eigenes Wesen in ihm wiederzufinden. Sie negiert ihr ganzes empirisches Dasein und erkennt in dieser umfassenden Negation ihres Daseins ihr einzig wahres Sein, ihr neualtes Wesen. Sie will von der innerweltlichen Erscheinungssphäre partout nichts mehr wissen, und zwar in der affirmativ totalisierten Bedeutung, daß sie nurmehr und ausschließlich vom Nichts der Erscheinungssphäre etwas wissen will. Sie wendet sich vom umgebenden Schein ab, erklärt ihn für nichtig, und findet sich dem sie statt dessen umgebenden Nichts an Schein als ihrem sie reklamierenden Existential übereignet. Für sie, die in der Ablösungskampagne, in der Vernichtungsaktion Begriffene ist dabei das, was sie tut, keine ihre Identität affizierende, sie selbst verändernde Aktivität, sondern ist einfaches, auf dem Fleck vollzogenes Zusichkommen, einfache, in actu realisierte Bewußtwerdung dessen, was sie ist. So gewiß das apriorische Sein, in dem sie ihr eigenes Wesen erkennt, ihr bereits als das Resultat ihrer Ablösung vom empirischen Dasein, als das Nichts des Daseins, das sie von sich wirft, vor Augen steht, so gewiß ist ihre Einlassung in das Nichts beisichbleibendes Zusichkommen, simple, ihre Identität wahrendes Erwachen aus der Person, die sie zu sein scheint, zu dem Subjekt, das sie in Wirklichkeit ist.
Anders allerdings und für ihre Identität bedrohlicher stellt sich die Sache für sie dar, soweit sie noch ganz oder halbwegs in dem empirischen Dasein, das sie im Begriff steht, von sich zu werfen, befangen, noch nicht voll in der Ablösungskampagne engagiert, nur erst per Absichtserklärung in die Vernichtungsaktion eingetreten ist. Ihr, der noch halbwegs oder ganz ans empirische Dasein Gewöhnten, im Gebrauch der Erscheinungen dieser Welt Verhaltenen, in ihren Genuß Versunkenen, tritt, während sie sich aufgerufen findet, an die weltverneinende Bewegung Anschluß zu gewinnen, ebenso einhaltgebietend wie schreckenerregend vor Augen, daß jenes in der Negation des empirischen Daseins bestehende Zusichkommen, jenes wesenhafte Erwachen ebensowohl eine Trennung von sich, einen Selbstverlust impliziert und nämlich auf die Aufgabe dieser empirischen Person und historischen Individualität hinausläuft, die sie zur Zeit noch ist oder jedenfalls mit aller durch den Habitus des Gebrauchs und die Gewohnheiten des Genusses ausgebildeten Unabweisbarkeit zu sein scheint. So, wie sie unmittelbar ist oder zu sein scheint, hängt die Oberschicht am empirischen Dasein, steht und fällt sie mit ihm, findet sie an den innerweltlichen Erscheinungen ihren motivationalen Widerhalt, hat sie an der Sphäre des geschichtlichen Scheins ihren habituellen Bestimmungsgrund. Verwirft sie das empirische Dasein, reißt sie sich von der Erscheinungswelt los, so entzieht sie auch und entschieden dieser an die Erscheinungswelt gebundenen empirischen Person und historischen Individualität den Boden, trennt sich von ihr und stürzt sie in dasselbe als Wesen angenommene Nichts, dessen sie die Erscheinungswelt überführt.
Im Vorfeld oder vielmehr im Zuge, aber nicht eigentlich im Zuge, sondern eher im Verzug ihres intendierten Seinswechsels oder ontologischen Sprungs sieht sich mithin die Oberschicht einer identitätspraktischen Veränderung oder Selbstreduktion ausgesetzt, die geeignet ist, sie an Sinn und Vernunft der ganzen weltflüchtig-wesensorientierten Unternehmung zweifeln zu lassen. Wohlgemerkt, nicht etwa daran zweifeln zu lassen, daß es für den zur Weltverneinung Entschiedenen, zur Wesentlichkeit Entschlossenen sinnvoll und vernünftig ist, das empirische Sein von sich zu werfen und sich dem reinen Nichts anheimzugeben, als das ihm sub specie des empirischen Daseins der Standpunkt des anderen Subjekts, auf den er sich stellen möchte, entgegentritt. Angst vor dem Nichts muß sie nicht mehr haben, als einen unabsehbaren Sprung ins Nichts muß sie den Übertritt zum Standpunkt des anderen Subjekts nicht mehr fürchten, seit ihre Überlegungen zum Verhältnis von historischem Schein zu apriorischem Sein, vom irrealen Vergehen der Geschichte zur bleibenden Realität des Ursprungs ihr klargemacht haben, daß jener als Nichts sich ihr präsentierende andere Standpunkt in Wahrheit nichts als ihr eigenes Wesen ist. Seitdem sie unterscheiden gelernt hat zwischen sich als dem vom Sein abgefallenen und dem Schein verfallenen Träger der Geschichte und sich als dem in solcher Scheinverfallenheit bloß selbstvergessenen und halluzinatorisch sich selbst entfremdeten Teilhaber an jenem apriorischen Subjektstatus, von dem sie mittels historischer Trägerschaft abgefallen ist, darf sie sicher sein, daß für sie in ihrer selbstvergessenen Teilhaberschaft die Verwerfung der geschichtlichen Erscheinungen oder Abkehr vom Schein, kurz, die Preisgabe ihrer historischen Trägerschaft, gleichbedeutend ist mit einer einfachen Rückkehr zu sich selbst, zusichkommendes Erwachen und nichts sonst ist.
Um so mehr Zweifel aber müssen sie, die in der historischen Trägerschaft halbwegs oder ganz noch Befangene, anwandeln, ob sie klug beraten oder es opportun für sie ist, sich zu jener teilhaberschaftlich wesensorientierten, weltflüchtigen Einstellung überhaupt zu entschließen und die selbstreduktiven, auf empirische Entpersönlichung und Verlust der historischen Individualität zielenden Konsequenzen auf sich zu nehmen, die für sie in ihrer innerweltlichen Befangenheit jener Beschluß impliziert. So wahr die Entscheidung, sich dem apriorischen Wesen zuzuwenden, die Abkehr von der Fülle des empirischen Daseins bedeutet, so wahr impliziert sie für die Entschiedene ebensosehr und zugleich den Abschied von all den individuellen Verhaltensweisen oder Lebensformen, mit denen sie sich aufs empirische Dasein bezieht, und von den sämtlichen Einstellungen oder Gewohnheiten, mit denen sie den Erscheinungen jenes Daseins verhaftet ist, mithin aber eine sie, die in diesen Lebensformen vorläufig noch Befangene, heimsuchende Identitätsveränderung größten Ausmaßes, eine sie, die mit diesen Gewohnheiten nachhaltig noch Befaßte, ereilende Selbstreduktion unabsehbarster Konsequenz. Angesichts der Radikalität, mit der sie im Zuge ihres Entschlusses, der Welt der Erscheinungen den Rücken zu kehren und nichts als das wesentliche Sein sich vorzunehmen, zugleich aufhören muß, das zu sein, was sie als ihre im Gewahrsam der Erscheinungswelt entwickelte individuelle Persönlichkeit, ihre im Umgang mit dem Schein ausgebildete empirische Subjektivität weiß und erfährt, fragt sie sich voll widerstrebenden Zweifels und voll aufsässiger Sorge, ob sie in der solchermaßen Entschlossenen überhaupt noch sich, so wie sie ist oder scheint, wiederfinden, überhaupt noch sie selbst nach Maßgabe ihrer jetzigen Selbsterfahrung sein kann oder ob sie nicht die Sichselbstgleichheit, die sie im ontologischen Sprung behauptet, mit der Abstraktheit und Selbstentfremdung, in die sie als Springende sich versetzen muß, teuer bezahlt beziehungsweise ob sie nicht den ontologischen Sprung als einen Sprung ins Nichts und unendlichen Selbstverlust nur um den Preis auszuschließen vermag, daß sie ihn im Sinne einer identitätslogischen Aufspaltung an sich selber vorwegnimmt und nämlich als conditio sine qua non für die Erlangung der nötigen Mobilität und Sprungkraft in entfremdeter Selbstherrlichkeit an der eigenen Person vollzieht.
Ihren äußeren Ausdruck findet die Aufspaltung in wesenhaftes Selbst und empirische Person darin, daß sich die Oberschicht in wenige Wesensentschlossene und viele Zögerliche zerlegt, denen die Tatsache, daß ihnen das wesenhafte Selbst in der fremden Gestalt der Entschlossenen gegenübertritt, als Bestätigung ihrer Angst vor einem mit der Wendung zum Wesen verknüpften Identitätsverlust erscheint. Das Gros der Artgenossen bleibt zurück und überläßt dem Vorauseilenden die Entscheidung, ob und wie er sich zu den Zurückbleibenden verhalten soll. Auch wenn die Mitwirkung der Säumigen für die Fortsetzung der Weltflucht nicht konstitutiv ist, geht doch von ihrer Säumigkeit ein gewisser hinderlicher Sog aus; um die Säumigen anzutreiben, gibt ihnen der Vorauseilende deshalb noch einmal das Beispiel der weltflüchtigen Entschlossenheit, die er an und für sich bereits bewiesen hat.
Nicht also zwar Angst vor dem, was nach der Verwerfung des empirischen Daseins als dessen erklärtes Nichts auf sie zukommt und als ihr Wesen anerkannt sein will, um so mehr aber Angst um das, was sie in der Verwerfung des empirischen Daseins an daseinsbedingter Persönlichkeit und empirischer Individualität preisgeben und einem wesensorientiert abstrakten Selbst aufopfern muß, ergreift die als diese empirische Person noch halbwegs oder ganz am Dasein hängende, als dieses spezifische Subjekt noch unmittelbar sich zum Dasein verhaltende Oberschicht, da sie sich zur Entscheidung als zum Abschied von diesem zur gleichen Nichtigkeit wie das Dasein im ganzen verurteilten Teil ihrer selbst aufgerufen findet. Und diese weniger antizipierende als relativierende Angst, diese Angst nicht sowohl vor ihrer künftigen Beziehung zum wesenhaften Sein als vielmehr um ihre von der Beziehung ausgeschlossene bisherige Verhaltenheit im wesenlosen Schein, diese Angst wird dadurch nicht geringer, sondern nur noch größer, daß die Oberschicht jene gefürchtete identitätslogische Aufspaltung, der sie, die am Dasein mehr oder minder Hängende, in seinen Erscheinungen halbwegs oder ganz Befangene, sich konfrontiert sieht, nun nicht etwa bloß nach Art einer quasi inneren Entscheidung, einer von ihr in toto oder als einheitlicher Person zu erbringenden selbstnegierenden Abstraktionsleistung vor sich hat, sondern mehr noch in der äußeren Gestalt eines von einzelnen Momenten ihrer selbst ihr zum Trotz gefaßten und ihr entgegen in die Tat umgesetzten Entschlusses vorgeführt bekommt. Während sie als Gruppe, sie als das Gros der Oberschicht noch vor der Entscheidung zum Eintritt in das daseinsnegierende Wesensverhältnis zurückschreckt und sich in Angst verzehrt nicht zwar vor dem, was sie im Nichts des Daseins qua Wesen erwartet, wohl aber um das, was sie zuvor an eigener Persönlichkeit und sie ausmachender Individualität fahrenlassen und für nichts erachten muß – während sie im großen ganzen also noch unentschieden zaudert, ergreifen einzelne, weniger am empirischen Dasein hängende, weniger stark von seinen Erscheinungen gefesselte Mitglieder der Schicht die Initiative und machen sich kurzentschlossen auf den daseinsverneinenden, weltflüchtigen Weg in das großgeschriebene Nichts, das das Sein ist, das ihr Wesen ist. Sie, die einzelnen, die ein biographischer Zufall – desillusionierende Krankheits- und Leidenserfahrungen, die von Standes wegen genährte Sucht, sich um jeden Preis vor anderen auszuzeichnen, ein zum abstraktiv disponierten Charakter sich niederschlagendes Triebschicksal, eine auf andere Weise nicht zur Geltung zu bringende übermäßige Willens- und Tatkraft – in ein distanzierteres beziehungsweise reservierteres Verhältnis zum empirischen Dasein versetzt und den Gewohnheiten, die es begründet, weniger verhaftet beziehungsweise den Befriedigungen, die es gewährt, weniger verfallen sein läßt, sie, denen deshalb auch der mit der Preisgabe des empirischen Daseins einhergehende Verlust der am gewohnten Leben klebenden, in seine Bedürfnis- und Befriedigungsstrukturen eingebetteten eigenen Person und ausgebildeten Individualität weniger bedrohlich erscheint, weniger Kopfzerbrechen oder Bauchschmerzen bereitet als den übrigen, sie also lösen sich aus dem Gros, setzen sich an seine Spitze und tun eben das, was an sich auch das Gros aufgerufen ist zu tun: sie kündigen dem empirischen Dasein die Gefolgschaft auf, wenden sich von seinen Erscheinungen ab und machen sich auf den Weg in jenes Nichts des Scheins, das das Sein und ihnen das Wesen ist.
Und indem das geschieht, wird nun aber diese weltflüchtig vorpreschende Motion, dies Sich-an-die-Spitze-setzen einzelner für die im empirischen Dasein zurückbleibende, an der gewohnheitsmäßigen Observanz seiner Erscheinungen festhaltende Majorität zu einer Absetzbewegung, in deren Verlauf ihr jene identitätslogische Aufspaltung, vor der sie vor allem Angst hat, jenes wie nichts gefürchtete interne Zerfallen ihrer selbst in das im Verfolg seiner wesentlichen Bestimmung vom empirischen Dasein sich lösende Selbst einerseits und andererseits die empirisch bestimmte, wesenlose Person, deren das Selbst sich entkleidet und die es als leere, am Dasein klebende Hülle verwirft und zurückläßt, als äußeres factum brutum ebenso anschaulich wie abscheulich vor Augen tritt. Genau die Dynamik eines von Angst um die eigene Person und empirische Individualität geprägten Zurückschreckens vor der als Verwesentlichung geforderten Selbstwerdung, das die letztere aller mitreißenden Kontinuierlichkeit und identitätspraktischen Selbstverständlichkeit beraubt und im Lichte einer refutativen Verlustaktion und abstraktiven Entfremdungskampagne erscheinen läßt, die nun ihrerseits der Angst erst ihren Gegenstand gibt und dem Zurückschrecken seinen Grund liefert – genau diese, von der Oberschicht insgeheim bereits antizipierte Dynamik einer spalterischen Selbstentfremdung des Subjekts, die im Sinne einer für die eigene Erfüllung Sorge tragenden Prophetie Produkt der Zögerlichkeit ist, die der Angst vor ihr entspringt – genau sie nimmt in der Figur der entschlossen vorauseilenden einzelnen eine nicht weniger sozial relevante als sinnenfällige Gestalt an und zerreißt die Oberschicht in die zunehmend disparateren beiden Bestandstücke dort des, wie von allem empirischen Dasein, so auch von aller daseinsbedingt empirischen Individualität sich zu lösen und ins Nichts einzutreten entschlossenen, abstraktiv wesentlichen einen und hier der dadurch auf die empirische Individualität zurückgeworfenen und zu ihr als wesenlosem Konkretum, als vernachlässigenswertem Rückstand ebensosehr verurteilten, wie auf sie als auf ihre unverzichtbare Eigenheit, ihre persönliche Identität vereidigten vielen. Was die im Dasein retardierte, in den Gewohnheiten ihres Lebens befangene Oberschicht mit jenem weltflüchtig avancierten einzelnen vor sich hat, ist eben das ihr entfremdete, ihrer Gewohnheiten und Interessen nicht achtende, mit ihr als empirischer Person kurzen Prozeß machende, abstraktiv wesensorientierte Selbst, dessen antizipiert bloße Möglichkeit bereits sie auf den Fleck ihrer affirmativen Angst um sich, um ihre wesenlose Identität, um diese ihre der Selbstnegation verfallende empirische Person bannte und das nun, da ihm solch lähmende Angst der im Dasein Befangenen die Gelegenheit verschafft hat, Wirklichkeit zu werden und als objektiv fremde Macht sich abzusetzen und hervorzutreten, sie, die Befangene, vollends zurückwirft und nämlich in der angesichts seiner abstraktiven Verschiedenheit oder disjunktiven Fremdheit augenscheinlich nur zu gegründeten Angst und Sorge um ihre wesenlos empirische Identität endgültig zu arretieren Miene macht.
Die Majorität der Oberschicht findet sich demnach durch ihre geheime Angst um sich als daseinsbestimmte, empirische Individuen in ein regelrechtes Dilemma verstrickt, um nicht zu sagen in einen klassischen Teufelskreis gebannt: Damit sie ihrer Angst Herr werden und sie überwinden könnte, müßte sie jene Entschlossenheit und Zielstrebigkeit im weltflüchtig wesenhaften Selbstsein annehmen, die ihr der beherzt vorauseilende Artgenosse vormacht; aber eben deshalb, weil der Artgenosse vorauseilt, während sie durch die Angst um ihre personale Identität, ihre empirische Individualität zurückgehalten wird, gewinnt für sie das in ihm verkörperte weltflüchtig wesenhafte Selbst eine Fremdheit und Abstraktheit, die ihr den Fortgang zu ihm und das ihm eigene Procedere erst recht als den befürchteten Fall von radikaler Selbstabspaltung und darin impliziertem totalem Identitätsverlust vorstellig werden läßt und damit ihrer Angst um sich hinlänglich Nahrung gibt, sie hinlänglich substantiiert, um sie vollends unüberwindlich zu machen. Mit dem entschlossen wesensbestimmten Aufbruch einzelner Weltflüchtiger konfrontiert oder diesen auf den Weg der Daseinsverneinung sich machenden einzelnen, genauer gesagt, im Rücken, kann die vom Dasein noch zurückgehaltene und im Blick auf das weltflüchtige Procedere ohnehin schon von Angst um ihre empirische Identität erfüllte Majorität der Oberschicht sich unter dem lähmenden Eindruck der ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigenden abstraktiven Entfremdung und reduktiven Entpersönlichung der Aufgebrochenen weniger denn je zum Aufbruch entschließen und verharrt, wo ihre Angst vor dem Identitätsverlust sie unüberwindlich festhält: im Bannkreis der ihre Person bildenden empirisch-kreatürlichen Bedingtheiten, in der Observanz ihrer sie als Individuum ausmachenden historisch-kultürlichen Gewohnheiten. Dem im einzelnen Artgenossen gestaltgewordenen wesensorientierten Selbst gegenüber, das sie ebensosehr in abstracto als ihr eigenes gelten läßt, wie sie es in concreto als ihren abstraktiven Widerpart ablehnt, das sie ebensosehr pro forma seines weltflüchtigen Sollens gutheißt, wie sie sich ihm pro materia ihres weltsüchtigen Habens verweigert – diesem Selbst gegenüber oder vielmehr hinter ihm her tut sie kund, daß sie ihm nicht zu folgen vermöge, und zwar nicht etwa, weil sie sich ihrem Status quo, ihrer empirischen Individualität aktiv-behauptend verbunden fühle und deshalb unbedingt an ihr festhalten müsse, wohl aber, weil sie ihrer empirischen Individualität passiv-resignierend verfallen sei und sich aus solcher Hörigkeit um keinen anderen Preis als den des völligen Identitätsverlusts losreißen könne. Sie erklärt sich für bewegungs- und handlungsunfähig, zieht sich auf ihre Schwäche und Scheinverfallenheit als auf ein unüberwindliches Trägheitsmoment und Problem zurück und überläßt in widerständiger Passivität ihm, dem Vorauseilenden, das Gesetz des Handelns, überläßt ihm, der eben durch sein Vorauseilen seine Entschluß- und Tatkraft, seinen unbesorgten Aktivismus pro domo des Wesens unter Beweis gestellt hat, ob und wie er zu der zwischen ihm und ihr aufgerissenen identitätslogischen Kluft sich stellen, ob und wie er seinen zielstrebig weltflüchtigen Lauf unterbrechen, zu ihr sich zurückwenden, in ihrer Schwäche ihr beispringen, sie mit sich fortreißen, in seine daseinsverneinende Perspektive, sein wesenhaftes Selbstsein hinübergeleiten soll.
Sie überläßt ihm die Entscheidung, aber tatsächlich setzt sie ihn durch ihr entscheidungsunfähiges Beharren, ihre angstdiktiert widerständige Trägheit massiv unter Druck, nötigt ihn geradezu, in seinem Weltfluchtgeschäft innezuhalten und ihr den angezeigten Samariterdienst zu leisten: ihr nämlich die lähmende Angst um die eigene empirische Person zu nehmen und das abstraktiv wesensbestimmte Selbst, das er ihr vorführt, als eine mit ein bißchen gutem Willen, mit einem Minimum an Entschlußkraft auch für sie erreichbare Perspektive nahezubringen. Unter Druck gerät er, weil er sich in seiner weltflüchtigen Bewegung bislang mit ihr im Einklang und von ihrer Solidarität getragen wähnte und nun plötzlich, da ihre daseinsokkupierten Stimmen aus wachsender Ferne an sein Ohr dringen, der ihn umgebenden Leere und Einsamkeit inne wird, plötzlich gewahr wird, wie sehr auf eigene Faust und gesellschaftlich isoliert er sein daseinsverneinendes Geschäft tatsächlich betreibt. Er erfährt die zwischen ihm in seiner exponierten Stellung und der Majorität in ihrem angstdiktierten Beharren aufreißende und sich gleichermaßen verbreiternde und vertiefende Kluft als ein Vakuum, dessen Ursache das Zurückweichen der Majorität vor der gemeinsamen Aufgabe, ihre Desertion vom projektierten Sollen ist und von dem deshalb eine ihn in seinem Vorankommen beeinträchtigende Gegenwirkung, ein nach rückwärts gerichteter Sog ausgeht. Durch ihr von Sorge um die eigene Person bestimmtes Festhalten am gewohnten Dasein sich aus seinem Verneinungsprojekt zurückziehend und nach Maßgabe des Progresses, den er darin macht, automatisch von ihm distanzierend, übt die Majorität auf den Weltflüchtigen kraft der Leere, die sie, sich ihm entziehend, um ihn verbreitet, eine als Entzugserscheinung verstehbare Anziehung aus, die als Zugzwang nach hinten einen diametralen Gegensatz zu seinem weltflüchtigen Vorwärtsdrängen, seiner die Erscheinungen verneinenden Wesensorientierung bildet. Von der Majorität im Stich gelassen, fühlt sich der Weltflüchtige hin- und hergerissen zwischen der objektiven Forderung, seinen Weg unbeirrt fortzusetzen, und dem subjektiven Bedürfnis, hierfür die qua solidarisches Miteinander und intentionale Gleichsinnigkeit geeignetsten Voraussetzungen wiederherzustellen.
Nicht etwa, daß die Mitwirkung der vor Ort ihrer persönlichen Involvierung im Dasein festgehaltenen Majorität für den weltflüchtigen Progreß des Vorwärtsdrängenden konstitutiv wäre! Weil das, was er qua Weg zum Wesen zu vollbringen hat, kein Positivum, kein in die Welt zu setzendes Werk impliziert, sondern rein negativer Natur ist und nämlich auf nichts als auf die Verneinung des Daseins mit allen zu ihm unterhaltenen Bezügen, mithin einfach nur auf den eigenen Austritt aus der Welt hinausläuft, braucht der Vorwärtsdrängende kein konstruktives Zusammenwirken mit den anderen, sind Kooperation, gemeinsame Anstrengung kein für die Erfüllung seiner Aufgabe unabdingbares Erfordernis und kann er vielmehr sein destruktives Geschäft, wenn er nur willensstark und entschlossen genug ist, in selbstmächtiger Einsamkeit, großartiger Isolation verrichten. Immerhin aber ist er beim Antritt seines Wegs zum Wesen von einer nicht bloß theoretischen, sondern durchaus praktischen Allgemeinverbindlichkeit der den Weg weisenden Resolution ausgegangen, hat er sich also beim Aufbruch von der Überzeugung tragen oder beflügeln lassen, daß, was er tut, das Tun aller, eine mindestens seine Klasse, die Oberschicht, umfassende solidarische Aktion sei – und insofern ist die Wahrnehmung, daß die Majorität stillschweigend vom vermeintlich gemeinsamen Vorhaben Abstand genommen hat, sich voll Angst um ihre empirische Individualität, ihre persönliche Identität ans Dasein klammert und ihn bei seinem weltflüchtigen Geschäft allein läßt, eine nach Maßgabe der sozialen Reorientierung und emotionalen Umstellung, die sie ihm neben seiner Aufgabe der Daseinsverneinung abverlangt, irritierende und okkupierende, in seiner Resolution ihn beeinträchtigende, von seiner wesentlichen Tätigkeit ihn ablenkende Erfahrung. Sowenig für den vom einzelnen Weltflüchtigen zurückzulegenden Weg zum Wesen die Mitwirkung der anderen konstitutive Bedeutung beanspruchen kann, so sehr wirkt sich doch aber das als Aufkündigung vermeintlicher Gefolgschaft oder als Zerstörung mutmaßlichen Gleichklangs von ihm bemerkte Fehlen dieser Mitwirkung nachteilig auf sein Vorhaben aus, indem es ihn, den Weltflüchtigen, in der oben als Sog beschriebenen Weise in die Reflexivität der kraft Weltverhaftung Zurückbleibenden verwickelt, zum wie sehr auch widerstrebenden und kursorischen Nachdenken über ihre Bedenklichkeiten, ihre aus persönlicher Involviertheit geübte Zurückhaltung nötigt und damit von seiner eigentlichen Aufgabe, seinem wesentlichen Geschäft wenn schon nicht in der Bedeutung einer im Eifer der Reflexion ausgeführten kompletten Kehrtwendung, eines aus dem bedachten Bedenken heraus vollzogenen Rücktritts abbringt, so immerhin doch im Sinne einer Einbuße an Konzentration und eindeutiger Zielstrebigkeit, einer ständigen halben Beschäftigung mit dem, was hinter ihm vorgeht oder vielmehr auf der Stelle tritt, ablenkt.
Gewiß kann er sich gegen diese, seine Konzentration aufs Wesentliche beeinträchtigende, reflexive Okkupation mit dem, was er an sich hinter sich hat und was als ein sie nicht loslassendes Problem die Majorität ihm in soghaft paradoxer Gegenläufigkeit zu ihrer wachsenden Retardation nachzutragen und aufzudrängen tendiert, verwahren, kann er sich gegen den Strudel der existentiellen Vorbehalte, die aus dem Hinterhalt jener Retardation gegen ihn anbranden und im Zurückfluten ihn in ihre angstdiktiert unendliche Kreiselbewegung hineinreißen wollen, anstemmen, kann er sich mit aller Macht und voller Kraft von der Betrachtung der die Majorität lähmenden Bedenken, von der Rücksicht auf ihre sie zur Unentschlossenheit verhaltenden persönlichen Widerstände loszureißen streben, um mit wiedergewonnener ganzer Resolution, mit der Entschiedenheit des par excellence wesensbestimmten Selbst in seinem Geschäft der Daseinsverneinung fortzufahren. Aber lieber – weil weniger kraftaufwendig, weniger von heroischer Gewaltsamkeit gezeichnet – ist es ihm schon, wenn er die hinter ihm aufreißende und in actu des Aufreißens eine Sogwirkung entfaltende Lücke, statt sie durch die Vollendung der Trennung, durch das endgültige Zerreißen allen Zusammenhangs mit Gewalt aus der Welt schaffen zu müssen, vielmehr dadurch beseitigen kann, daß er sie schließt und kraft Mobilisierung der Majorität, kraft ihr geleisteter Hilfestellung die ursprüngliche Gemeinsamkeit in der weltflüchtigen Motion, die alte Einmütigkeit in der Option für das als das Nichts des Daseins perennierende Sein des anderen Subjekts, das in Wahrheit das eigene Wesen ist, wiederherstellt. Gelingt ihm, der in Richtung Wesen vordrängt, das um das Problem des Identitätsverlusts kreisende Bedenken der Zurückgebliebenen zu zerstreuen, schafft er es, ihnen über die Entäußerungs- und Entfremdungsängste, von denen sie zurückgehalten werden, hinwegzuhelfen und sie Anschluß an seine avancierte Position wesensbestimmten Selbstseins gewinnen zu lassen, so hat er, ohne sich von ihnen gewaltsam loszureißen, sich gegen sie abstraktiv isolieren zu müssen, den in ihnen bestehenden irritierenden Störfaktor beseitigt und kann auf der Grundlage ihrer reaffirmierten oder vielmehr aus der Vermeintlichkeit in die Wirklichkeit überführten Teilhabe jene volle Konzentration für die Daseinsverneinung und uneingeschränkt weltflüchtige Resolution aufbringen, von deren Entfaltung sie ihn abhalten, solange sie ihn mit der soghaften Sabotage, die ihre ängstliche Reserve de facto für ihn bedeutet, widerstreben.
Und warum sollte es ihm nicht möglich sein, sie von dieser ihrer der Verlustangst, der Sorge um die empirische Person entspringenden Reserve zu befreien und ihnen die für den Gleichschritt mit seiner weltflüchtigen Motion erforderlichen Beine zu machen? Schließlich hat ja das, woran sie als an ihre unverzichtbare empirische Individualität sich klammern oder was vielmehr als ihre unabdingbare persönliche Identität sie festhält und ihnen den Weg zum wesensbestimmten Sein verlegt, er selbst bereits – nach Maßgabe seiner im Verhältnis zu ihnen avancierten Position in der Verneinung des Daseins – hinter sich gebracht und abgeschüttelt. Und schließlich ist er, so gesehen, ein lebendes, wo nicht gar leuchtendes Exempel dafür, daß es mit der Unverzichtbarkeit der Individualität, an der sie hängen, mit der Unabdingbarkeit der Identität, die sie nicht losläßt, nicht gar so weit her sein kann. Was die Majorität als ihre empirisch eingefleischte Bedürfnisstruktur und Bedingtheit, ihre historisch ausgebildete Verhaltensform und Gewohnheit nur um den Preis des völligen Identitätsverlusts, mithin nur im Sinne eines Opfers der eigenen Person glaubt, fahrenlassen zu können, und was sie eben deshalb meint, partout festhalten zu müssen, das hat offenbar er, der einzelne Weltflüchtige, mühelos und ohne jedes Gefühl des Identitätsverlusts von sich geworfen, ist er, der entschlossen Vorwärtspreschende, leicht und ohne jede Erfahrung eines umfänglich persönlichen Opfers los geworden. Sollte er da nicht imstande sein, ihnen, den Zurückbleibenden, das gute Beispiel, mit dem er vorangegangen ist, noch einmal eigens zu geben, das an sich schon von ihm Vollbrachte für sie, die Verzagten, vorbildliche Wirklichkeit werden zu lassen, um ihnen durch solch exemplarische Wiederholung die Kraft zur Nachfolge, den Mut, es ihm nachzutun, einzuflößen? Jene historischen Gegebenheiten und empirischen Gewohnheiten, die er an sich bereits abgeworfen, von denen er sich eigentlich schon losgemacht hat – sie muß er ostentativ noch einmal ablegen, von ihnen muß er sich demonstrativ noch einmal lossagen, um sie der säumigen Majorität als das Partikulare, das man ohne Identitätsverlust abstreifen, als das persönliche Beiwerk, von dem man sich ohne Selbstverlust lösen kann, vorzuführen. Müssen die Zögernden nicht, wenn sie auf diese Weise vorexerziert bekommen, daß sie mit ihrer Angst um die vermeintliche Identität bloßen, unschwer verzichtbaren Partikularitäten aufsitzen, daß sie mit ihrem Hängen an der angeblich eigenen Person nichts als entbehrlich maskenhaftes Beiwerk fetischisieren, ihr Widerstreben aufgeben und sich zu jener avancierten Position als zu ihrem in Wahrheit eigenen Selbstsein bequemen?
Entgegen dem Nachfolgeeffekt, den der Weltflüchtige sich von seiner beispielhaft vorgelebten Verzichtshaltung erhofft, bestärkt diese die Zögernden nur noch in ihrer Reserve, zumal die Entsagung in dem Maße gewaltsame Züge annimmt, wie der Weltflüchtige entdecken muß, daß die weltlichen Bindungen, die er bereits überwunden zu haben glaubt und deren Auflösung er nur noch einmal beispielgebend vorführen will, ihm nach wie vor zu schaffen machen und seiner weltflüchtigen Motion in die Quere zu kommen drohen. Teils gewalttätig, mit Feuer und Schwert, teils beharrlich, mittels Zermürbungstaktik, sucht er seine trieb- und gewohnheitsmäßigen Bindungen an die Welt auszurotten und verwandelt sich dabei aus einem Nothelfer und paradigmatischen Befreier in den Selbstsucher und eigensüchtigen Asketen.
Da er sich nun aber daranmacht, im Verzicht auf empirische Gewohnheiten und in der Absage an persönliche Bedürfnisse der Majorität ein Beispiel zu geben oder vielmehr das gute Beispiel, mit dem er an sich ihr vorangegangen ist, eigens für sie noch einmal in die paradigmatische Tat umzusetzen, hat sein vorbildliches Agieren nicht den gewünschten Erfolg oder vielmehr einen völlig anderen als den geplanten Effekt. Indem er sich demonstrativ leibliche und geistige Befriedigungen versagt, ostentativ den Genuß von Nahrung verachtet, sexuelle Bedürfnisse unterdrückt, liebgewordene Gewohnheiten ablegt, soziale Bindungen löst, Streben nach Ruhm und Ansehen verwirft, seinen Besitz weggibt, kurz, öffentlichkeitswirksam Entsagung übt, taugt sein Tun höchstens und nur dazu, bei der Majorität, die ja in eben diesen Genüssen und Befriedigungen, in eben diesen Bedingungen und Gewohnheiten, in eben diesen Intentionen und Okkupationen sich persönlich am Werk und ihre Individualität am Leben gewahrt, den mit seiner weltflüchtigen Motion ohnehin schon verknüpften Eindruck abstrakt unpersönlicher Rücksichtslosigkeit und anti-empirisch lebensfeindlicher Leichtfertigkeit noch zu verstärken und mithin ihrer Angst vor der in jeglicher Nachfolge implizierten und als regelrechter Identitätsverlust antizipierbaren Entpersönlichung und Entfremdung neue Nahrung zu geben. Was er mit leichter Hand von sich wirft, sind genau die Dinge, die ihnen so lieb und teuer sind wie sie sich selbst, in denen sie zu Hause, eingewohnt sind und mit denen nicht zuletzt sein in förmlicher identitätslogischer Abspaltung sich etablierendes alternatives Selbstsein sie als mit ihrem unverzichtbar persönlichen Eigentum, als mit Leib und Seele, Fleisch und Blut, Haut und Haar ihres empirischen Bestehens hat zusammenrücken und sich identifizieren lassen. Weit also davon entfernt, daß die Leichtfertigkeit und Unbedenklichkeit, mit der er dem, woran sie hängen, womit sie sich identifizieren, entsagt, ihnen den Mut, geschweige denn die Lust, machen könnte, es ihm nachzutun, ist sie ihnen nur Bestätigung der abstrakten Fremdheit und des unpersönlichen Andersseins, worin er ihnen erscheint, und mithin höchstens geeignet, den als identitätszerspaltendes, angsterregendes Nadelöhr vorgestellten Graben zwischen ihrem mit der Empirie konkreszierten Leben und seiner von der Empirie abstrahierenden Existenz weiter zu vertiefen.
Und ihre Angst und Abwehr werden dadurch nicht geringer, daß seine Entsagungshandlungen, seine Verzichtsleistungen den anfänglichen Charakter kursorischer Leichtigkeit oder spielerischer Kurzentschlossenheit allmählich ablegen und Züge von Gewaltsamkeit und widerstandsträchtiger Schwerstarbeit hervorkehren. In der Tat ist nämlich genau dies der unverhoffte Effekt, den seine im Blick auf ihr eigentliches Ziel, die Mobilisierung der Majorität für das Unternehmen Weltflucht, gänzlich erfolglose, beispielgebende Tätigkeit zeitigt: daß sie ihn, den Beispielgebenden selbst, zusehends in die Probleme verstrickt, die er der Majorität als unschwer lösbare vorführt, zunehmend mit den Bedenken vertraut werden und sich aufhalten läßt, deren umstandslose Erledigung er ihr nahelegen möchte. Zwar hat er, der Beispielgebende, diese Probleme und Bedenken der Majorität dank seiner avancierten Stellung in der Verneinung des Daseins an sich bereits überwunden, aber da er sich nun zurückwendet, um sie kraft seines Beispiels auch für die Majorität überwindbar werden zu lassen, stellt sich heraus, daß sie selbst für ihn mitnichten so passé und abgetan sind, wie sie an sich erschienen. Indem der in der Weltflucht Fortgeschrittene innehält, um diese als Hemmschuhe und Stolpersteine des Fortschritts wirksamen Probleme und Bedenklichkeiten sich eigens noch einmal vorzunehmen und dem an ihnen scheiternden Gros seiner Schicht zu zeigen, wie sie sich mühelos aus dem Weg räumen lassen, wird er gewahr, daß auch er selbst sie keineswegs im Sinne ihrer offensiven Überwindung und eines detaillierten Fertigwerdens mit ihnen, sondern vielmehr bloß im Begriff ihrer abstraktiven Ausklammerung und einer pauschalen Nicht-Befassung mit ihnen hinter sich gebracht hat. Da er die in leiblich-seelischen Bedürfnissen, persönlichen Bindungen, empirischen Gewohnheiten bestehenden Hemmnisse, die der Majorität den Weg, den er geht, verlegen, retrospektiv ins Auge faßt, um sie den säumigen Weggenossen als ohne weiteres überwindbar vorstellig werden zu lassen, stellt er fest, daß es sich dabei um nach wie vor eigene, introspektiv durchaus noch als Bestandteile seiner selbst auszumachende Vorbehalte handelt, um Widerstände, die er in petto seines wesensbestimmten Procedere mit sich schleppt oder vielmehr blind auf seinem weltflüchtigen Weg vor sich herschiebt und die bislang nur deshalb nicht als ernsthafte Hindernisse für den eigenen Fortgang virulent geworden sind, weil er sie eben bloß als bewußtlosen Ballast mitgeführt, ihre Präsenz ignoriert, sich über sie, wo sie vor ihm auftauchen wollten, kurzerhand hinweggesetzt, mit anderen Worten, getragen von seinem weltflüchtigen Impuls, darauf verzichtet hat, sie als solche gelten zu lassen und sich bei ihnen aufzuhalten.
Diese Entdeckung, daß die Bedürfnisse, Bindungen, Gewohnheiten, die der Majorität Fesseln anlegen, auch bei ihm selbst mitnichten als überwunden gelten können, daß sie, wiewohl manifest keine Rolle mehr spielend, doch aber latent vorhanden sind und eine potentielle Bedrohung darstellen – diese Entdeckung beunruhigt ihn und läßt ihm sein eigenes Fortschreiten problematisch werden. Wie soll er, der Weltflüchtige, des Erfolgs seines daseinsverneinenden Tuns je sicher sein können, wenn er ein solches Arsenal an potentiell resolutionsvereitelnden Bestimmungen nach wie vor als persönliche Habe stillschweigend mit sich herumschleppt beziehungsweise als Leibgepäck und Seelenbagage bewußtlos vor sich herschiebt? Muß er nicht immer damit rechnen, daß jene innere Reserve, die er mit sich herumträgt, so still und gefügig sie sich vorläufig auch stellt, zu neuer Virulenz, neuer Sperrigkeit erwacht und eben das Dasein, das er meint, aus dem Feld geschlagen oder ad acta gelegt zu haben, als ihren phänomenalen Bezugspunkt, ihren intentionalen Bestimmungsgrund wieder auf den Plan und zur Geltung bringt? Muß er nicht ständig gewärtig sein, daß jene Bedürfnisse, Bindungen und Gewohnheiten, die er in petto hat, so unwesentlich und vernachlässigenswert sie fürs erste auch tun, abermals auffällig oder aufmüpfig werden, ihr im negierten Dasein bestehendes vorgebliches Recht fordern und damit entweder durch alte Daseinsrücksichten ihm den Weg ins Nichts, das Sein ist, unabsehbar verlegen oder aber durch neue Daseinsorientierungen ihn von diesem Wege unversehens abbringen? Und muß er deshalb nicht vordringlich bestrebt sein, diese persönliche Zeitbombe, die er unwissentlich mit sich herumschleppt, zu entschärfen, diese fünfte Kolonne des Daseins, der er unabsichtlich Unterschlupf bei sich gewährt, aufzuspüren und zu eliminieren? Wie, wenn nicht durch Ausräumung dieser – wie sehr auch schlafenden – Mördergrube seines Herzens, durch Beseitigung dieser – wie sehr auch verborgenen – Fallgrube der eigenen Person, soll er die weltflüchtige Zielstrebigkeit und Selbstsicherheit, die deren Entdeckung ihm geraubt hat, zurückgewinnen? Wie sonst soll er wieder er selbst oder vielmehr dies ohne Reserve in der Weltflucht aufgehende, dies vorbehaltlos im Aufbruch zum Nichts begriffene Selbst, das er nur erst an sich ist, für sich und in voller Wirklichkeit werden?
Indem so aber der vorläufig verhinderte Weltflüchtige, was er vermeintlich bloß für andere, nämlich für die Majorität und im Interesse ihres Fortkommens, unternimmt, als in Wahrheit ein Fürsichsein, nämlich als etwas realisiert, das für ihn selbst Bedeutung hat, seinen eigenen Fortgang betrifft, nimmt nolens volens sein Tun einen anderen Charakter an: Aus dem paradigmatisch detachierten Beginnen wird ein persönlich engagiertes Vollbringen, aus dem leichthin sich exemplifizierenden Akt der Freiheit wird eine gewaltsam sich exekutierende Befreiungsaktion. In der Tat liegt ja die Gewaltsamkeit bereits im Begriff der vom Weltflüchtigen als die eigene identifizierten Sache, ist simpler Ausdruck des Umstands, daß der Weltflüchtige die Bedürfnisse, Bindungen und Gewohnheiten der Majorität eben nicht mit der Überlegenheit und Distanz des von ihnen Freien beispielhaft abfertigen kann, sondern sich aus der persönlichen Haftung und Betroffenheit dessen heraus, der sie potentiell selber hegt, selber an ihnen hängt, selber in ihnen befangen ist, gegen sie verwahren und leibhaftig von ihnen losreißen muß. Eben deshalb, weil er feststellen muß, daß die Fesseln, die das Gros seiner Artgenossen ans Dasein knüpfen, Ketten sind, die, wie immer latent und unmerklich, nach wie vor auch ihn selber beschweren oder fallstrickartig bedrohen, ist die Freiheit von diesen Fesseln kein Sein, das er in der Funktion eines Soll den Artgenossen didaktisch-paradigmatisch vorhalten und ohne jede eigene Involvierung darbieten könnte, sondern vielmehr ein Soll, das er allererst gegen die – wie sehr auch zum latenten Substrat zurückgenommene – eigene Person praktisch-empiriologisch durchsetzen und das heißt: im Sinne einer die eigene Person in die Länge und Breite ihrer heimlichen Daseinsverfallenheit vor die leibhaftige Alternative "Freiheit oder Tod" stellenden Säuberungsaktion als das wahre Sein seiner selbst zur Geltung bringen muß. Als wie auch immer zum Potentialis zurückgenommene Bestandteile der eigenen Person muß er die Bindungen und Gewohnheiten, die er der Majorität als entbehrlich vorführen möchte, ebensowohl und primär sich handgreiflich selber vom Leibe schaffen, aus dem Herzen reißen, von der Seele wälzen, aus dem Kopfe schlagen.
Liegt in solcher, nicht weniger gegen die eigene Person sich richtenden, als an die Person der Artgenossen sich wendenden, und nicht weniger peinlich kruzifikatorischen, an sich selbst das Exempel statuierenden, als reinlich paradigmatischen, anderen ein Beispiel gebenden, demonstrativen Vorgehensweise die Gewaltsamkeit schon theoretisch-logisch beschlossen, so wird diese noch praktisch-empirisch vergrößert durch das geradezu unheimliche Beharrungsvermögen und die regelrecht zauberische Widerstandskraft, die jene zum Dasein unterhaltenen persönlichen Bindungen, jene an den Erscheinungen festgemachten individuellen Gewohnheiten den Läuterungsanstrengungen des Weltflüchtigen, seinen Bemühungen ums wahrhaft freie Selbst entgegensetzen. So unscheinbar und geringfügig jene heimlichen Rücksichten und persönlichen Neigungen, die als wie immer inerte fünfte Kolonne sein Selbstsein zu diskreditieren und seine daseinsverneinende Resolution zu sabotieren drohen, auf den ersten Blick auch erscheinen mögen, sobald er sie sich vorknöpft, sie näher ins Auge oder in welches Sinnesorgan oder Reflexionsvermögen auch immer faßt und sich daranmacht, sie ein für allemal abzulegen, definitiv zu erledigen, wird er gewahr, was für eine Sisyphosarbeit er sich da aufgeladen hat. Ebenso tief eingebettet in den Strom der biologisch-leiblichen Existenz wie fest verschränkt mit dem Gefüge der biographisch-seelischen Konstitution und ebensosehr in der eigenen Triebnatur und Lebendigkeit wurzelnd wie Leben aus dem Verbund mit den übrigen, aus dem Bedürfnissystem als solchem schöpfend, zeigen sich jene Rücksichten und Neigungen, mögen sie auch auf den ersten Blick den Eindruck leicht zu unterdrückender idiosynkratischer Regungen oder unschwer abzustellender anakoluthischer Schwächen machen, bei genauerem Hinsehen oder, besser gesagt, kräftigerem Hinlangen vielmehr sowohl ihrem quantitativen Umfang als auch ihrer qualitativen Beschaffenheit nach von solcher Zähigkeit und Widerstandskraft, solcher Reproduktionsfähigkeit und Unausrottbarkeit, daß der Kampf gegen sie nolens volens zur blutigen Operation, zum Schlachtfest gerät, unversehens die abstoßenden Züge einer den ganzen Organismus erschütternden, die ganze Person in Mitleidenschaft ziehenden, leiblich-seelischen Greueltat hervorkehrt.
In förmlichen, gegen die eigene biologische Befindlichkeit und gegen die biographisch-persönliche Beschaffenheit angestrengten Vernichtungskampagnen, in regelrecht selbstzerstörerischen Gewaltakten macht sich also der Weltflüchtige daran, jene in der ganzen personalen Perspektive verankerten diversen Rücksichten und vom ganzen individuellen Triebgrund getragenen vielfältigen Neigungen aufzuspüren und zur Strecke zu bringen, zu erstürmen und auszuräuchern, zu umzingeln und niederzumachen, zu entwurzeln und auszurotten, zu isolieren und zu eliminieren, abzutöten und abzutun. Aber selbst wenn ihm die Gewalttat schließlich vollbracht, nach langer, schrecklicher Metzelei geglückt scheint, selbst wenn er an der Stelle der alten Bindung, Neigung oder Bedürftigkeit nichts mehr als verbrannte Erde, verdorrtes Fleisch, kadaveröse Seele, abgestorbenen Trieb, zersetztes Gefühl zu gewahren vermag – kaum wendet er sich ab, um nach gelungener Selbstreinigung das frühere Geschäft der Daseinsverneinung wiederaufzunehmen, und blickt ein letztes Mal zurück, um sich seiner mit Gewalt erwirkten, beispielgebenden Freiheit von persönlichen Banden und empirischen Gewohnheiten abschließend zu vergewissern, schon sieht er, was er zertreten glaubte, neu emporkeimen, was er abgetötet wähnte, zu neuem Leben erwachen. Als ginge es nicht mit rechten Dingen zu, sieht er die Häupter der Hydra, die er um Leib und Leben gebracht glaubt, unverdrossen nachwachsen, die Drachensaat, vom eigenen Blut gedüngt, wieder aufschießen, gewahrt, wie totgeglaubte Bedürfnisse, vom Anblick des zur Verneinung ins Auge gefaßten Daseins wundersam belebt, sich abermals regen, wie vermeintlich abgetane Gewohnheiten, vom Eindruck der zum Abschuß aufs Korn genommenen Erscheinungswelt unwilllkürlich ermuntert, wieder in Kraft treten.
So aber zum Schluß seiner blutigen Säuberungsaktion mit der klappmechanischen Reproduktionsfähigkeit seiner biologischen Triebe und der gespenstischen Unverwüstlichkeit seiner psychologischen Neigungen, mithin aber mit dem Mißerfolg seiner aggressiven Selbstreinigungskampagne konfrontiert, muß der Weltflüchtige einsehen, daß es mit raschen Gewalttaten nicht getan ist. Um die Hoffnung auf eine Erfüllung des paradigmatischen Selbstreinigungsgebots nicht überhaupt drangeben zu müssen, nimmt er deshalb Abstand von der Vorstellung eines mit gesammelter Macht forcierten Entscheidungskampfs und eines dadurch ermöglichten raschen Erfolgs auf der ganzen Linie und setzt statt dessen auf einen Stellungs- und Zermürbungskrieg, auf eine langfristige, wo nicht lebenslange, Auseinandersetzung mit dem in seinen unerreichbaren Schlupfwinkeln schwer zu fassenden und bei seinem unerschöpflichen Rückhalt noch schwerer zu erledigenden leiblich-seelischen Gegner. Jene organischen Triebe und epiphanischen Neigungen, die er bei all ihrer Latenz im Verdacht einer fünften Kolonne und Partisanengruppe in spe hat, sucht er nicht mehr zu überrumpeln und mit Macht zu berennen, sondern er macht sich daran, sie einzukreisen und mit Geduld zu belagern. Statt mit Feuer und Schwert gegen sie vorzugehen, bemüht er sich, mit logistischen Mitteln und strategischen Maßnahmen ihre Widerstandskraft auszuhöhlen, ihre Verbindungslinien zu kappen, ihnen den Nachschub abzuschneiden, das Wasser abzugraben, sie auszuhungern. Er zieht einen Kordon um sie, beobachtet sie, führt Protokoll über sie, hält sie Tag und Nacht unter Bewachung, kundschaftet ihre Stärken und Schwächen aus, unterwirft sie ebenso zunehmenden wie umfassenden Restriktionen, engt Schritt für Schritt ihren Spielraum ein, nutzt jede Gelegenheit zu weitergehenden Repressalien und sucht durch methodische Disziplin und systematische Anstrengung das zu vollbringen, was ihm durch Gewaltakte und jähe Eingriffe partout nicht gelingen will: dem inneren Feind das Leben zu vergällen und schließlich definitiv den Garaus zu machen.
Indem so nun der Weltflüchtige, um der schier unverwüstlichen Drachensaat seiner organischen Triebe und empirischen Neigungen doch noch beizukommen oder wenigstens die Hoffnung auf ihre schließliche Überwindung sich zu erhalten, seine Strategie ändert und die aus dem Stand heraus unternommene Zerstörungsaktion durch eine umständlich durchgeführte Zermürbungsoperation, die martialische Exekutionskampagne durch eine bürokratische Repressionsroutine, die kurzerhand inszenierte gewalttätige Befreiungshandlung durch eine von langer Hand geplante disziplinierte Entwöhnungsübung ersetzt, hört sein Tun vollends auf, beispielgebende Bedeutung zu prätendieren, und kehrt ganz ungeniert jenen Charakter einer unparadigmatisch existentiellen Selbstreinigungsanstrengung und Selbstsalvierungsbemühung hervor, der es im Prinzip von dem Augenblick an beherrscht, da der Weltflüchtige hat entdecken müssen, daß die Regungen und Schwächen, deren Überwindung er seinen Artgenossen beispielhaft vorführen soll, in Wahrheit seine unüberwunden eigenen sind und als unbewältigte jederzeit auch ihm selbst wieder zu schaffen machen können. So wahr beim Kampf gegen den leiblich-seelischen Widersacher an die Stelle von Razzien und massierten Überrumpelungsmanövern eine systematische Unterdrückung und organisierte Zermürbungstaktik tritt, so wahr wird aus dem Weltflüchtigen, der seine Weltflucht kurz unterbricht, um den anderen vorzuführen, wie man der eigenen Person und empirischen Individualität mit all ihrer Daseinsverfallenheit erfolgreich den Rücken kehrt, endgültig der Selbstsüchtige, der seine Weltflucht ad calendas graecas vertagt, weil er fest entschlossen ist, sich nicht von der Stelle zu rühren, ehe er nicht diese Fähigkeit, sich von der eigenen Person zu lösen und deren Daseinsverfallenheit ebenso detailliert wie in toto zu überwinden, sich selber bewiesen hat. Er, der auf dem Weg zum Wesen weit schon vorgedrungen war, der die Bindung ans Dasein an sich schon hinter sich hatte, er kehrt, vom nothelferischen Beispielgeben in den Abgrund beispiellos eigener Nöte gestürzt, still und heimlich zurück, verkriecht sich in einen Winkel und wird zum Asketen, der, was er schließlich den anderen vormachen soll, erst einmal bei und für sich selber veranstaltet, in eigener Regie, am eigenen Leibe und zur eigenen Erbauung übt und einexerziert.
Die asketische Beschäftigung des Weltflüchtigen mit sich selbst gibt den Artgenossen die Möglichkeit, in voller Anerkennung seiner lebensverneinenden Bemühungen mit ihrem gewohnten Leben fortzufahren. Der Asket bestätigt sogar ihre Lebensverbundenheit, insofern sein unabschließbarer Kampf um die Befreiung vom Leben eine negative Hommage an es darstellt. Deshalb ehren sie ihn und unterstützen ihn in seinem fortgesetzten Kampf gegen das Leben dadurch, daß sie ihn mit dem Lebensnotwendigen versorgen.
Mit dieser Arretierung des Weltflüchtigen in der Rolle des die Selbstbefreiung Übenden, des die Lösung von persönlichen Bindungen und leiblich-seelischen Gewohnheiten Exerzierenden, kurz, mit seiner Verwandlung in den Asketen, hat also sein an sich als beispielhaft angelegtes Tun jede paradigmatische Qualität definitiv eingebüßt und den Charakter eines Vorhabens schierer Selbsterbauung, eines Projektes partout nur pro domo der eigenen Salvierung angenommen. Weil sich ihm das, was er den anderen in aller durch sein Interesse am Fortgang des eigenen Unternehmens gebotenen Kürze als eine unschwer erfüllbare Bedingung der Weltflucht vorführen wollte, in actu der Vorführung als eine von ihm, dem Weltflüchtigen selbst, im Grunde auch noch nicht oder noch gar nicht wirklich erfüllte Voraussetzung erwiesen hat, legt die Aufführung alle Konnotationen eines funktionellen Lehrstücks, einer für die anderen bestimmten bühnenwirksamen Einstudierung ab und gewinnt statt dessen die Züge eines existentiellen Lebenswerks, eines für den Akteur selbst schicksalsentscheidenden Exerzitiums. Voll engagiert und tief versunken in einer Disziplin der persönlichen Versagungen, leiblichen Kasteiungen und seelischen Prüfungen, die, von der schauspielerischen Leichtigkeit einer pädagogischen Parabolik himmel- oder vielmehr vorhöllenweit entfernt, den Ernst und die Glut eines über sein Selbst entscheidenden biographischen Purgatoriums atmet, hat der Asket für das Wohl der Artgenossen keinen Blick, für ihr Wehe kein Interesse mehr übrig. Höchstens und frühestens nachdem ihm kraft entsagungsvoller Disziplin und unerbittlicher Übung die Überwindung der eigenen Daseinsverfallenheit gelungen, die Durchführung seines selbstsüchtigen Sanierungs- und Rekonstruktionsprogramms geglückt ist, können die Artgenossen erwarten, daß er ihnen jenen paradigmatischen Dienst doch noch leistet, um dessentwillen er seine Weltflucht ursprünglich nur unterbrach. Ist er endlich in der asketischen Anstrengung eines ebenso unabsehbaren wie unablässigen Exerzitiums der eigenen Nöte und persönlichen Schwächen Herr geworden, für die ihm der aus der vermeintlich sicheren Distanz seiner Vorbildfunktion riskierte Blick auf die Probleme der anderen jäh die Augen öffnete, und hat er also für sich oder reell jene conditio sine qua non einer ungestörten und gesammelten Weltflucht geschaffen, die ihm da, wo er sie beispielgebend vorweisen wollte, nur erst an sich oder formell zur Verfügung stand, so können die Artgenossen hoffen, daß er – in einer Art Nachklapp zu seiner ebenso ausgedehnten wie erfolgreichen Selbstsalvierungsaktion und ehe er aus dieser die entscheidende Konsequenz einer mit neuer Entschluß- und Stoßkraft wieder angetretenen Weltflucht zieht – sich ihnen zuwendet und ihnen durch den paradigmatischen Vorweis der Erfüllbarkeit jener Selbstreinigungsbedingung Hilfestellung leistet – entweder um sich, wie oben angegeben, im eigenen Interesse der solidarischen Mitwirkung der Artgenossen am Weltfluchtgeschäft zu versichern oder auch nur, da die erreichte neue Solidität und Unanfechtbarkeit seines Selbstseins solch solidarische Mitwirkung vollends bedeutungslos werden läßt, um den Artgenossen den Dank dafür abzustatten, daß sie ihn durch ihr offen zur Schau gestelltes Gebrechen, den sichtbarlich aufgerichteten Kreuzbalken ihrer Daseinsverfallenheit beizeiten auf das Geschwür in seinem Innern, den heimlichen Splitter im eigenen Auge haben aufmerksam werden lassen.
Bis zu diesem lebensprojektförmig fernen Punkt also, da der Weltflüchtige seiner ihn auf dem Fleck asketischer Selbstdisziplinierung arretierenden leiblich-seelischen Neigungen und weltlich-natürlichen Schwächen Herr geworden ist, werden die in den Fesseln ihrer Neigungen und Schwächen hilflos schmachtenden Artgenossen wohl oder übel auf sein befreiendes Paradigma, sein den Weg aus dem Kerker der organischen Triebe und empirischen Gewohnheiten weisendes beispielgebendes Vorangehen warten müssen. Bis zu diesem fernen Punkt, da er seine Übungen in Verzicht und Entsagung erfolgreich und mit dem Ergebnis nämlich eines aufs Streben nach dem Wesen reduzierten Selbstes abgeschlossen hat, bleibt ihnen, die weder generell die Kraft und Entschlossenheit zum Verzicht mitbringen, noch speziell die Disziplin und Ausdauer haben, sich darin zu üben, einzig und allein, sich in die Tugend der Schwachen, in Geduld zu fassen.
Nicht, daß ihnen das schwerfiele oder auch nur unlieb wäre! Tatsächlich sind sie heilfroh, den in die Asketenrolle zurückgenommenen Weltflüchtigen auf solch unparadigmatisch-selbstsüchtige Weise mit seinen eigenen, leiblich-seelischen Nöten befaßt und in deren zum endlosen Selbstsansierungsexerzitium sich entfaltende Überwindung vertieft zu sehen. Heilfroh sind sie, den mit seinem Selbstreinigungstun zu Anfang verknüpften normative Vorbild- und suggestiven Nachfolgeanspruch erst einmal und auf unausgemacht lange Zeit wieder los zu sein. Schließlich ist, was auch immer an Selbstbefreiungsaktionen er ihnen – egal, ob mit spielerisch leichter Hand, ob mit gewalttätig hartem Griff – vorführen mag, jedenfalls nicht dazu angetan, ihnen Freude, geschweige denn den Mut zur Nachahmung zu machen, und prinzipiell nur geeignet, jene Entpersönlichungs- und Entfremdungsängste, die sie vor der Selbstwerdung in der Weltflucht zurückschrecken und als gegen ein regelrechtes Identitätsspaltungsunternehmen sich mit triebgebundenem Leib und gewohnheitsbewehrter Seele sperren ließen, noch zu verstärken. Was kann ihnen da besseres passieren als das Stolpern des als Weltflüchtiger wandelnden Paradigmas über den Fallstrick seiner latent eigenen Neigungen und in petto persönlichen Schwächen, ein Stolpern und Stürzen, das dem Weltflüchtigen seine exhortative Vorwurfshaltung und seinen imperativen Forderungsgestus ihnen gegenüber gründlich verschlägt und ihn in die Disziplin einer unablässigen Selbsterforschungs- und Selbstreinigungsanstrengung, in das unabsehbare Projekt eines selbstsüchtigen Asketentums verstrickt? Da der Weltflüchtige jedes Interesse an ihrem Fortkommen, jeden Spiritus-rector-Anspruch mit Rücksicht auf sie verliert und sich ganz ins Privatissime der asketischen Sorge um sich selbst zurückzieht, können die Artgenossen, aus dem Lehrverhältnis bis auf weiteres entlassen und vom Nachfolgedruck ad calendas graecas entlastet, in aller Ruhe zusehen, wie er ebenso unermüdlich wie unabsehbar die Probe auf jenes Exempel macht, das er ihnen nach bestandener Prüfung irgendwann wohl auch wird geben, um nicht zu sagen, an ihnen wird statuieren wollen und von dem aber, solange er es selbst erst probt, sie sich keineswegs anfechten und schon gar nicht hindern lassen müssen, ihrem weltsüchtigen Dasein verhaftet zu bleiben und in ihren Neigungen und Schwächen, ihren Trieben und Gewohnheiten zu verharren.
Nicht, daß sie dem Ringen des asketischen Einzelgängers um seine Selbstbefreiung die Anerkennung versagten! Nicht, daß sie, was er als ebenso beharrlicher wie beherzter Einzelkämpfer zu vollbringen sucht, nicht aller Ehren für wert hielten! Nicht, daß sie seiner disziplinierten Anstrengung nicht wahrhaftig den Wert einer Pioniertat, einer in Hinsicht aufs gemeinsame Anliegen bahnbrechenden Leistung beimäßen! Schließlich ist die daseinsverneinende Weltflucht, für die er durch Selbstreinigung einen festen Grund zu legen sucht, für die er das Selbst durch die Befreiung von persönlichen Neigungen und empirischen Schwächen geschickt zu machen und zuzurichten bestrebt ist, auch in ihren Augen die maßgebende Wahrheit über den Schein ihres Daseins, auch von ihnen als eine über die Welt der Erscheinungen den Stab brechende, ebenso verbindliche wie wesentliche Erscheinung anerkannt. Aber eben deshalb, weil der zum Asketen gewordene Weltflüchtige sich vorerst eher auf die private Grundlegung des gemeinsamen Vorhabens als auf seine öffentliche Durchführung kapriziert, weil er, statt den säumigen Artgenossen durch demonstrative Startbereitschaft Beine zu machen, nur erst bemüht ist, sich der eigenen Startbereitschaft introspektiv zu versichern, und weil er also die Probleme, die sie mit dem gemeinsamen Vorhaben haben, statt sie ihnen in knapper Form als lösbar vorzustellen, sich vollinhaltlich zu eigen macht, um ihre Lösbarkeit mit unparadigmatisch problembewußter Gründlichkeit erst einmal überhaupt am eigenen Leib und in eigener Person nachzuweisen – weil das so ist, wird für die Artgenossen die Weltflucht aus einem imminenten Vorhaben zu einem permanenten Anliegen, aus einem kategorische Imperativ zu einem idealischen Sollen, das sie bei aller formellen Verbindlichkeit, die es für sie behält, und bei aller existentiellen Bejahung, mit der sie ihm gegenüberstehen, doch jedenfalls nicht hindern kann, vorderhand an ihrem problematischen Haben festzuhalten, in ihren scheinverdächtigen Dasein zu verharren. Angesichts eines Exerzitiums, das, wie bahnbrechend es auch immer sein mag, vorerst jedenfalls keinerlei wegweisende Bedeutung für sie hat, weil der darin zum Asketen umgebogene Weltflüchtige nicht etwa als publikes Paradigma zur Nachfolge aufzurufen und zum Mitmachen zu bewegen, sondern bloß für das Vorhaben Weltflucht sich privatim in Bereitschaft zu versetzen und zusammenzunehmen beansprucht, nicht etwa ihnen mit gutem Beispiel voranzugehen, sondern sich bloß in die für den Vorgang als solchen erforderliche gute Verfassung zu bringen sucht – angesichts solchen, ebenso privat erbaulichen wie abstrakt asketischen Exerzitiums sind die Artgenossen schwerlich bereit, sich in ihren Bindungen ans Dasein, ihren Lebensgewohnheiten irre machen, geschweige denn von ihnen abbringen zu lassen.
Und nicht nur ist die als Probe aufs Exempel, das er eben deshalb noch gar nicht geben kann, wohlverstandene Askese des in sich gegangenen Weltflüchtigen nicht dazu angetan, die säumigen Artgenossen aus der Reserve ihres Daseins herauszulocken, sie ist im Gegenteil geeignet, die Säumigen in den Maß in solcher Reserve zu bestärken, wie sie sich, recht besehen, als eine unwillkürliche Hommage an sie zu verstehen gibt. Schließlich sind, womit der zum Asketen gewordene Weltflüchtige fertig zu werden sucht, ein und dieselben Triebdispositionen und Lebensgewohnheiten, die auch die Artgenossen ans Dasein fesseln, sind, was er zu überwinden bemüht ist, im Prinzip dieselben Schwierigkeiten, die auch sie mit der Sprengung jener Fesseln und der als Selbstwerdung begreiflichen rückhaltlosen Konzentration aufs Wesentliche haben. Und daß dieses Fertigwerden keine Kleinigkeit, daß diese Überwindung keine geringe und mit der linken Hand zu erledigende Aufgabe ist, das beweist zur Genüge sein mit ebensoviel Ausdauer wie Disziplin durchgeführtes und von ebensoviel leiblicher Kasteiung wie seelischer Entsagung und persönlicher Verwerfung geprägtes asketisches Programm. Je länger das Programm währt und je deutlicher sich die in seinem Rahmen absolvierten Exerzitien als ein nicht weniger ritualisierter als determinierter Kampf, ein nicht weniger unabsehbares als unnachsichtiges Ringen, kurz, als ein ebenso lebenslanges wie lebensentscheidendes Projekt zu verstehen gibt, um so klarer legt es Zeugnis ab von der Stärke und den gewaltigen Ressourcen des Gegners und bedeutet mit anderen Worten eine implizite Anerkennung jener zu überwindenden Triebdispositionen und abzuschüttelnden Lebensgewohnheiten als aller Voraussicht nach unüberwindlicher Hindernisse und praktisch nicht zu beseitigender Widerstände. Und das aber beinhaltet für die Artgenossen, die an jenen triebdispositionellen Hindernissen resignativ scheitern und jenen lebensgewohnheitlichen Widerständen widerstandslos erliegen, wenn auch beileibe keine offizielle Exkulpation, keine förmliche Entlastung, so immerhin doch eine faktische Rehabilitierung, eine stillschweigende Rechtfertigung. Rückt der zum Asketen gewordene Weltflüchtige schon durch die asketische Wendung als solche von seiner anfänglichen, in der Statuierung eines Exempels sich erschöpfenden Kurzangebundenheit ihnen und ihrem Tun und Treiben oder vielmehr ihrem Leben und Lassen gegenüber ab und gibt, indem er in ihrer Daseinsverfallenheit sein eigenes Problem erkennt und dessen Überwindung zum höchstpersönlichen Anliegen erklärt, alle paradigmatischen Aspirationen, alles imperativische Beispielgeben vorerst auf, so tut er nun durch die Art, wie er sein persönliches Anliegen realisiert, eben durch sein in die Länge und Breite eines Lebensprojekts entfaltetes asketisches Programm, ein übriges und schließt sich umgekehrt dem Beispiel der Artgenossen an, macht sich de facto dessen, was er selber tut, deren Perspektive zu eigen. In dem Maß, wie er den asketischen Kampf gegen jene Neigungen und Bindungen, von denen nicht nur die Artgenossen nicht loskommen, zum organisierenden Zentrum seines eigenen Tuns und Treibens werden und als lebenslanges Exerzitium seine ganze Existenz bestimmen läßt, räumt er dem Bekämpften ex negativo haargenau dieselbe dominierende Stellung ein, mißt er ihm in Form streitbarer Ablehnung exakt die gleiche gravierende Bedeutung bei, wie das ex positivo oder im Sinne wehrloser Hingabe die Artgenossen tun. Er, der eigentlich nur den Artgenossen ihre sie ans Dasein knüpfenden Triebe und Gewohnheiten als leicht zu überwindende Schwäche hat vorführen wollen, bestätigt, indem sich ihm unter der Hand nicht nur das allgemeine Lehrstück in die persönliche Bewährungsprobe, die exemplarische Vorführung in den empirischen Nachweis, der Schaukampf ins engagierte Treffen verkehrt, sondern dabei mehr noch zur lebenserfüllenden Aufgabe, zum A und O des eigenen Sinnens und Trachtens auswächst, die tatsächlich unwiderstehliche Stärke und bindende Kraft jener vermeintlich bloßen Schwäche und gibt insofern den der letzteren widerstandslos erliegenden und ihrer Bindekraft sich fügenden Artgenossen ex actu seiner praktischen Orientierung oder implicite seiner ganzen Lebensform recht. Sosehr der Asket gegenüber den persönlichen Neigungen und weltlichen Gewohnheiten, die ihn und die Artgenossen ans Dasein ketten, die Haltung einer im Dienste schließlicher Weltflucht geübten resoluten Selbstläuterung oder selbstüberwindenden Negation wahrt, sosehr läßt doch der Umstand, daß sich ihm im asketischen Exerzitium diese Selbstüberwindung zu einer Lebensaufgabe, diese Negationshaltung zu einem biographisch ausfüllenden Geschäft entfaltet, die mit ihr verknüpfte Weltfluchtperspektive zu einer Formalie verkommen und läßt, was er tut, nolens volens in ein Unternehmen ad majorem gloriam dessen sich verwandeln, wogegen sein Tun an sich gerichtet ist.
Indem unter wie immer negativen Vorzeichen und in wie sehr auch eliminativer Absicht der Asket sein Tun und Treiben ebenso umfassend und dauerhaft auf die triebförmigen Bindungen ans Dasein und die gewohnheitsmäßigen Verstrickungen in die Welt einstellt, wie die Artgenossen in positiver Bedeutung und unter integrativen Gesichtspunkten ihr Leben und Lassen darauf eingerichtet haben, verkehrt sich das de jure oder nominell negative, auf die Beseitigung jener Bindungen gerichtete Verfahren de facto oder reell in ein reaffirmatives und nämlich nicht weniger unabsehbar als primär auf die Bestätigung jener Verstrickungen, die zur Beseitigung anstehen, abgestelltes Verhalten. Die Artgenossen jedenfalls können mit einer Negativität wie der asketischen, die durch ihr Procedere oder, besser gesagt, ihr Exercere den Gegenstand der Negation, wenn auch unter negativen Vorzeichen, geradeso sehr ins Zentrum rückt und ebenso dauerhaft in Geltung beläßt wie das ihnen eigene positive Festhalten an ihm, zufrieden sein. Sie, die ursprünglich einer ebenso kategorischen wie exemplarischen Verwerfung ihres problematischen Lebensinhalts gewärtig sein mußten, finden plötzlich diesen Lebensinhalt nicht nur als Problem voll und ganz anerkannt, sondern mehr noch ins Zentrum einer Aufmerksamkeit gerückt, die es in ihrer umgekehrten Wertigkeit dem artgenossenschaftlichen Engagement an Intensität und Dauer ohne weiteres gleichzutun verspricht und die insofern ihnen, den Artgenossen, an ihrem Lebensinhalt festzuhalten und auf ihre Fasson mit ihm selig zu werden erlaubt, während sie gleichzeitig der als Problembewußtsein durchaus von ihnen geteilten negativen Grundstimmung ihm gegenüber komplementären Ausdruck oder vielmehr ein Ventil verschafft. Mit einem Kritiker, der die allgemeine Lebensweise, gegen die er zu Felde zieht, zwar in aller Gründlichkeit und Ausführlichkeit negiert, aber eben durch diese Gründlichkeit und Ausführlichkeit die Negation zu einer faktischen Reaffirmation des Negierten, zu einer heimlichen Hommage an es geraten läßt, und der also ineins beides tut, der an ihrer Stelle den Kampf gegen die auch von ihnen als Fesselung und Verfallenheit anerkannten leiblich-seelischen Bindungen oder persönlichen Gewöhnungen ans Dasein ausficht und der sich in diesem Kampf aber derart engagiert, der ihn mit soviel Inbrunst und Hingabe führt, daß sein Tun ihrem problematischen Beharren auf den Bindungen und ihrem anfechtbaren Genuß des Gewohnten praktisch gar nicht in die Quere kommen kann, weil es zu einer ex negativo perfekten Parallelaktion zu ihrem Treiben sich entwickelt, zu einem als kritischer Kommentar fortlaufenden Komplement, das in dem Maß, wie es mit dem Kommentieren nicht fertig wird, vom Kritisierten nicht loskommt, als ein fortwährendes Kompliment an letzteres sich erweist – mit solch einem Kritiker läßt sich wohl auskommen.
Weil als Asket der Weltflüchtige aus seiner Negationsaufgabe quasi ein positives Geschäft, aus seinem an sich lebensentscheidenden, biographieabschneidenden distanzierten Angriff gegen das, was der Weltflucht im Wege steht, einen de facto lebenslangen, biographieerfüllenden intimen Umgang mit dem in Angriff genommenen Hemmnis werden läßt, findet er bei den Artgenossen bereitwilligen Kredit und erweisen sie ihm eine von der Angst vor seiner Intervention befreite und höchstens noch vom Schauder der Bedrohlichkeit, in der er ihnen eingangs seiner asketischen Etablierung erschien, durchbebte Achtung. Als eine der Positivität ihres Lebens ebenso integrierend wie dauerhaft komplementäre Negationsinstanz, eine im Sinn der Wesensrücksicht, die alles Gewohnte muß in Frage stellen können, ihre Empirie ebenso habituell begleitende wie radikal bestreitende kritische Kraft wird er von ihnen gern akzeptiert und findet Aufnahme in ihrer Mitte oder – seiner bei aller reellen Einlassung formell festgehaltenen Fluchtabsicht gemäßer – an ihrer Peripherie, wo er in einem das formell Provisorische seines reell unabsehbaren Aufenthalts akzentuierenden Winkel, in einer kahlen Klause oder unwirtlichen Höhle seinem einfach durch die Form des institutionalisiert lebenslangen Engagements zu einer faktischen Bejahung des Negierten entschärften lebensverneinenden Geschäft nachgeht. Wie sehr sie, was oder vielmehr wie er es tut, honorieren, beweisen sie ihm durch ihre Fürsorglichkeit, dadurch, daß sie sein Tun und Ergehen aus der Distanz im Auge behalten und ihn für seinen als Lebensform in ihren Lebenszusammenhang integrierten Kampf gegen das Leben mit dem Lebensnotwendigen versorgen. Als das perennierende Negativ zu dem Positiv, das sie selber darstellen, ist er ihnen lieb und teuer, weil er ihnen mit jedem Akt der asketischen Verwerfung dessen, woran sie sich klammern, bedeutet, daß er auf seine Weise ihr Leben des langen und breiten mit ihnen teilt, statt es kurzerhand in die Schanze seiner Weltflucht zu schlagen