6. Die Parias
Der eigentliche Adressat der universalen Heilsperspektive ist die Schicht von Parias, von Elenden und Notleidenden, die paradoxes Resultat der zunehmenden Produktivität und des wachsenden Reichtums ist und die sich von der traditionellen Unterschicht dadurch unterscheidet, daß sie nicht von einer Herrschaft unterdrückt und ausgebeutet, sondern von der Gesellschaft verdrängt und ausgestoßen wird. Dieser Schicht, der die Welt als geschlossen abweisendes System begegnet, kommt die weltverneinende Wesenslehre zupaß, auch wenn diese eigentlich einer anderen Frontstellung entspringt und als gegen die sozialkritischen Naturkulte gerichtete Strategie ursprünglich eine herrschaftliche Konsolidierungsfunktion erfüllt.
Wer also ist jener andere Adressat, und wie ist er beschaffen, in welcher Verfassung befindet er sich? Jener andere Adressat, auf den die universale Heilsperspektive gemünzt ist, sind die Armen, Entwurzelten, die ihre Armut und Entwurzelung außerhalb jeden gesellschaftlichen Zusammenhanges stellt und eben dadurch mit einer neuen, beispiellosen sozialen Dynamik versieht. Sie sind Unterschicht, aber nicht mehr die Unterschicht traditionellen Zuschnitts: nicht mehr die agrarische Fronschicht dionysischer Inklination, die bei aller Unterdrückung und Ausbeutung doch aber eine unbestreitbare, weil in ihrem ökonomischen Tun, ihrer Arbeit, begründete soziale Funktion behauptet und eine unverbrüchliche, weil mit dem Oikos, in dem sie front, gegebene materiale Subsistenz behält. Anders als die traditionellen Gemeinen sind diese neuen Armen arm, weil sie entwurzelt, aus der agrarisch-handwerklichen Sphäre ausgefällt und damit ebensosehr um die soziale Funktion, die regelmäßige gesellschaftliche Tätigkeit, wie um die materiale Subsistenz, den zuverlässigen natürlichen Unterhalt gebracht sind.
Ihre Entstehung verdankt diese als Absonderungs- und Ausscheidungsprodukt der alten begreifliche neue Unterschicht paradoxerweise einer deutlichen Zunahme des gesellschaftlichen Reichtums, bedingt durch die Nutzbarmachung des Eisens und durch die erhöhte Produktivität, die eiserne Werkzeuge im handwerklichen und vor allem im agrarischen Bereich bedeuten. Die Erfindung des von Ochsengespannen gezogenen eisernen Pfluges revolutioniert die Landbestellung. Sie revolutioniert sie aber nicht nur in dem einfachen Sinn, daß sie die Ernteerträge steigert und die herrschaftlichen Kornkammern füllt, sondern auch und ebensosehr in dem reziproken Verstand, daß sie durch die Erhöhung der Arbeitsleistung der einzelnen das für die Landbestellung erforderliche Gesamtpotential an Arbeitskräften drastisch reduziert und so einen Teil der im agrarischen Bereich Beschäftigten funktionslos und überflüssig werden läßt. Und während also die wachsende Produktivkraft ineins für eine Vermehrung des gesellschaftlichen Reichtums und für eine Verminderung derer sorgt, die für die erhöhte Reichtumproduktion nötig sind, tut sie zur Verschärfung der in diesem reziproken Verhältnis angelegten sozialen Krise ein übriges, indem sie ausgerechnet bei denen, die von ökonomischer Funktionslosigkeit und sozialer Entwurzelung bedroht sind, einen Prozeß massiven Bevölkerungswachstums auslöst. Aus welchem Grund auch immer: sei's weil sie ebenso generell einsichtig wie individuell töricht unter Abstraktion von den gesellschaftlichen Besitzverhältnissen auf den kraft höherer Produktivität vermehrten Reichtum und den verbesserten Lebensprospekt, den er verheißt, reagieren, sei's weil sie individuell ebenso sinnvoll wie generell widersinnig versuchen, sich gegen die dank höherer Produktivität verminderten Arbeits- und Subsistenzchancen durch eine zahlreiche Nachkommenschaft und die künftige Unterstützung, die sie sich von ihr erhoffen, abzusichern – die Angehörigen der Unterschicht pflanzen sich eifriger fort als je zuvor, füllen in verblendeter Zielstrebigkeit ihre vom Produktivkraftzuwachs subsistentiell bedrohten Reihen und verschärfen damit nur noch das Problem des produktivitätsbedingten Arbeitskräfteüberschusses und des die überschüssigen Arbeitskräfte heimsuchenden gesellschaftlichen Funktionsverlusts. Und das Ergebnis dieser unseligen Kombination aus sinkendem Bedarf an Arbeitskräften und steigenden Bevölkerungszahlen ist eine neue soziale Schicht, eine Schicht von Entwurzelten, Enteigneten, Entrechteten, eine Schicht von Menschen, die sich aus dem Wirkzusammenhang und der Solidargemeinschaft der Gesellschaft ausgefällt und ins Niemandsland des Sozialtopos, ins gesellschaftliche Abseits, niedergeschlagen finden, die Schicht der Parias, um sie bei dem ebenso systematisch prägnanten wie historisch unpräzisen Namen zu nennen, mit dem sie belegt worden sind.
Weil ihre schichtenspezifischen Merkmale realer Subsistenzverlust und soziale Funktionslosigkeit sind, unterscheiden sich die Parias in ihrer Erfahrung des gesellschaftlich organisierten Stoffwechsels mit der Natur entschieden von der übrigen, traditionell verfaßten, agrarisch-handwerklich tätigen Unterschicht. Weil sie nicht wie letztere im gesellschaftlichen Lebenszusammenhang unterdrückt und ausgebeutet werden, sondern aus dem Zusammenhang kurzerhand verdrängt und ausgestoßen, in seine peripheren Grauzonen verbannt und dort auf eine schemenhaft überflüssige Randexistenz reduziert sind, können die Parias die im Frondienst einer primären Erzeugung von Herrengut stehende agrargesellschaftliche Subsistenzwirtschaft, den auf Reichtumbildung abgestellten bäuerlich-handwerklichen Reproduktionsprozeß der theokratischen Gesellschaft nicht mehr in der Weise in einen natürlichen Erfüllungszustand und ein gesellschaftliches Entfremdungsverhältnis, in eine Sphäre rauschhafter Autonomie und einen Bereich heteronomer Ernüchterung, in eine Lust am bäuerlichen Leben und ein Leiden unter herrschaftlicher Fron sortieren, wie das die traditionelle Unterschicht mit ihrer Figur des libertären Heilsbringers und des um ihn sich rankenden Brot-und-Wein-Kultes tut. Sie können sich nicht mehr sozialkritisch-polemisch auf ihre im Schatten frondienstlicher Reichtumerzeugung gedeihlich subsistierende Subsistenz berufen, können nicht mehr gegen das harte Sein ihrer Arbeit für den herrschaftlichen Reichtum den schönen Schein eines naturgegebenen Überflusses beschwören, der doch in Wahrheit nur flüchtiger Widerschein und periodische Begleiterscheinung eben jenes harten Seins ist. Sie können nicht mehr in einem von der theoretischen Sache her ebenso imaginären und illusorischen wie den praktischen Folgen nach revolutionären und inventorischen Befreiungsakt den Freigelassenen der Natur gegen den Leibeigenen der Herrschaft, den Diener des rasenden Gottes gegen den Knecht des priesterlichen Königs ausspielen.
Aus dem Zusammenhang der herrschaftlichen Reichtumproduktion ausgestoßen und damit zugleich von aller an ihn gebundenen, in ihn eingebetteten bäuerlich-handwerklichen Subsistenz abgeschnitten, leben die Parias von Abfällen und Ausschuß, fristen ihr Leben als Tagelöhner, Bettler, Diebe, Gaukler, Überlebenskünstler und sind im Wortsinn Entwurzelte, erfahren die von der Reichtumproduktion beherrschte und bestimmte Welt insgesamt nicht als verläßliche Substanz, auf die man bauen, an die man sich halten, von der man zehren kann, sondern als feindliche Instanz, von der man sich abgewiesen findet und an die man sich verzweifelt klammern muß, um ihr ein kümmerliches Vegetieren abzutrotzen und sich so gegen sie zu behaupten. Für die Parias ist die Welt des durch Fronarbeit erzeugten herrschaftlichen Reichtums einschließlich des die Fron begleitenden und illusionistisch Lügen strafenden schönen Scheins von bäuerlich unmittelbarer Subsistenz ein Strukturganzes, das sie marginalisiert, ein geschlossenes System, das sie abstößt, ein widerständiges Objekt, gegen das sie ein Leben lang im Versuch, in es einzudringen und an ihm teilzuhaben, ankämpfen müssen, ein Schreckensgebilde, dem sie Leben und Erhaltung ablisten müssen, während es sie mit Tod und Zerstörung bedroht. In der Tat bleibt für die Parias die durch gesellschaftliche Arbeit vermittelte Welt, die Welt des Reichtums mitsamt der sie begleitenden sphärischen Aura subsistentieller Unmittelbarkeit, der allerhärteste Widerpart und verfänglichste Fremdkörper, ein perverser Nährer und Steine reichender Brotgeber, dem sie sich ebensowenig zu entziehen wie zu assimilieren imstande sind und an dessen verweisend ausgestrecktem Arm sie schließlich verhungern, vor dessen unbarmherziger Kälte und unbezwinglicher Härte sie schließlich ihr von ihm geborgtes, aus ihm gefristetes Leben aushauchen.
Genau diese Erfahrung aber von einer im reichtumproduktiven Stoffwechsel der theokratischen Gesellschaft mit der Natur entstehenden einzigen großen Welt der Ablehnung, Ausschließung, Diskriminierung, einer Welt, die im quasi automatischen Scheide- und Ausfällverfahren Teile der Gesellschaft entwurzelt, enteignet und entrechtet – genau diese Erfahrung macht nun die Parias, die vom Ausgrenzungsprozeß Betroffenen, offen für die Heilslehre des Buddha und die darin propagierte Preisgabe des Daseins, das zeitlich verfliegender Schein ist, zugunsten eines Nichts an Dasein, das zeitlos vergangenes Sein, Wesen, ist. Daß ihnen die Dinge dieser Welt als ein steinernes Mauerwerk begegnen, das sie von aller akzeptablen sozialen Funktion und passablen materialen Subsistenz fernhält und sie zugleich zwingt, in der Hoffnung nicht etwa auf den lebenspendenden Einlaß und die existenzsichernde Aufnahme, sondern bloß auf überlebenmachenden Ausschuß und daseinsfristenden Abfall vor ihm auszuharren, daß sie also die Welt als ein in hinterhältiger Umkehrung des Kerkermechanismus durch ihre Ausschließung sie ihrer Freiheit und am Ende auch ihres Lebens beraubendes einziges großes Verlies erfahren – genau das macht die Parias empfänglich für eine Lehre, die jenes Mauerwerk, jenes umgestülpte Verlies in toto zur wesenlosen Erscheinung und die Befreiung aus ihm, die Erlösung von ihm, wie objektiv zur Sache einer auf nichts an der Erscheinung sich richtenden, für ihr Nichts sich entscheidenden selbstbezüglichen Resolution, so subjektiv zur Frage einer Preisgabe des an die Erscheinung leidvoll fesselnden Überlebenswillens, des ans Mauerwerk schmerzhaft schmiedenden Existenzanspruchs erklärt.
Nicht, daß die auf Weltverneinung setzenden Wesenslehren des Buddha und seiner asketischen Vorgänger von vornherein und aus innerem Antrieb auf Resonanz bei den Parias und auf deren Beifall gerichtet wären. Ihre geschichtliche Entstehung verdanken diese die ganze Welt zur bloßen Erscheinung degradierenden Wesenslehren ja der Tatsache eines im Felde bäuerlich-handwerklicher Fron sich formierenden gesellschaftsinternen Widerstandspotentials, das unter Berufung auf den als spontaner Reflex der Reichtumproduktion erzeugten schönen Schein naturhaft-unmittelbarer Subsistenz nicht etwa die ganze Welt, wohl aber die Welt des durch Fron erzeugten Reichtums, die Welt der um den Priesterkönig gescharten, im Überfluß lebenden Oberschicht für an ihr selber überflüssig, für unsinnig und entbehrlich erkennt. Indem die fronende Unterschicht das im Opfer erscheinende, von unbedingter Indifferenz, von absoluter Negativität gegen den Reichtumbildungsprozeß und sein Resultat erfüllte andere Subjekt als den Herrn eines dionysisch-rauschhaften Brot-und-Wein-Kults mit Beschlag belegt und das heißt, als den Begründer und Garanten einer vom Zwang zur Reichtumbildung dispensierten Sphäre natürlicher Subsistenz, eines von der Rücksicht aufs herrschaftliche Privileg erlösten einfachen Lebens gegen die Notwendigkeit des Reichtums, mithin gegen die Verbindlichkeit aller auf Reichtumproduktion gegründeten gesellschaftlichen Ordnung ins Feld führt, zwingt diese sozialkritische Bedeutung, die die fronende Unterschicht dem anderen Subjekt verleiht, die im Überfluß schwelgende Oberschicht zu einem Bekenntnis oder Offenbarungseid, dessen Inhalt die unbedingte, jede affirmative Beziehung aufs Dasein hintertreibende Indifferenz, die absolute, jede positive Besetzung innerweltlicher Verhältnisse ausschließende Negativität des anderen Subjekts ist. Statt die in allumfassender, absoluter Negativität bestehende wahre Natur des anderen Subjekts noch länger zu verdrängen und letzteres teils in seiner jenseitigen Verborgenheit in eine als Eigentümer des Reichtums affirmative Götterpluralität zu metamorphisieren, teils in seiner opferkultlich heraufbeschworenen diesseitigen Offenbarkeit als sakrilegischen Eindringling über die Klinge springen zu lassen, sprich, zum Opfer zu bringen, bekennt sich nun die Oberschicht zu ihm in seiner vollen Negativität und macht, indem sie so die ihm von der Unterschicht angedichtete Positivität als Befürworter und Begründer eines Kults des einfachen Lebens Lügen straft, jede mit dieser Fiktion verknüpfte Hoffnung, ihn als sozialkritischen Umstürzler gegen die herrschaftliche Reichtumsphäre und deren Fron zu Felde ziehen und im Triumphzug das weltweite Reich einer rauschhaft natürlichen Subsistenz stiften lassen zu können, zunichte.
Sich zum anderen Subjekt in seiner grenzenlosen Negativität bekennen kann allerdings die Oberschicht nur unter der Voraussetzung, daß ihr gelingt, sich selbst zu dieser Negativität ins Verhältnis zu setzen, sich mit ihr als mit einer ihr selber offenstehenden Haltung zu vermitteln, sie als eine nicht exklusiv dem anderen Subjekt vorbehaltene, sondern im Prinzip allen Subjekten guten Willens verfügbare Perspektive zu reklamieren. Diese Reklamation setzt die Oberschicht in der Weise ins Werk, daß sie das im anderen Subjekt offenbare und für seine Negativität entscheidende Phänomen eines ontologischen Sprungs zwischen dem uranfänglichen Anfang, den es wahrt, dem ursprünglichen Sein, das ihm eignet, und der als verblendeter Abfall von diesem Anfang erscheinenden falschen Kontinuität, in der sie sich umtreibt, der in der halluzinatorischen Preisgabe dieses Seins bestehenden Scheinwelt, in der sie sich aufhält, um das Konzept eines ihr, der Oberschicht, möglichen und den ontologischen Sprung zu überbrücken geeigneten anamnestischen Rücksprungs aus der falschen Kontinuität an den wahren Anfang, aus dem illusorischen Schein ins wirkliche Sein ergänzt. Indem sie ernst machen mit der in der Rede von Abfall und Preisgabe implizierten und den ontologischen Sprung nicht etwa Lügen strafenden, sondern vielmehr als paradox gespanntes Unverhältnis artikulierenden prinzipiellen Kontinuität zwischen dem in einen halluzinatorischen Fortgang verstrickten und dem am wirklichen Anfang stehenden Subjekt oder essentiellen Identität des scheinverfallenen mit dem seinsverbundenen Selbst, behaupten einzelne, von der Begeisterung der neuen Aussicht hingerissene Angehörige der Oberschicht jenen gegen alle illusorische Kontinuität und historische Scheinwelt sich zur Geltung bringenden und im anderen Subjekt Ereignis werdenden uranfänglichen Anfang als ihr eigenes zeitlos vergangenes Sein, ihr als das Nichts der Erscheinungssphäre, in der sie sich umtreiben, perennierendes Wesen, erklären sich somit der in absoluter Negativität gegen die Erscheinungswelt offenbaren ontologischen Position des anderen Subjekts, seiner gegen ihren derzeitigen Zustand wie schieres Sein gegen bloßen Schein sich verwahrenden apriorischen Urstands, für im Prinzip ebensosehr teilhaftig wie im wesentlichen mächtig und konzipieren auf Weltverneinung oder Weltflucht bauende Programme zur Wiedergewinnung dieser mit dem anderen Subjekt gemeinsamen urständlichen Position, zur Restitution in integrum dieses, wie als das Sein des anderen Subjekts erfahrenen, so als das eigene Wesen erkannten ursprünglichen Bestehens.
Sei's in der Destruktionsform eines asketisch-aggressiven Sichlosreißens vom Dasein, sei's in der Abstraktionsform eines mönchisch-meditativen Sichabwendens von der Welt setzen diese Oberschichtangehörigen dem heißen Taumel der gegen die Reichtumsphäre sich richtenden einfachen Subsistenz des als dionysischer Heilsbringer requirierten anderen Subjekts die kalte Verzückung der gegen Reichtum und Subsistenz gleichermaßen, gegen die Welt in toto, sich verwahrenden reinen Negativität des als ontologischer Seinshüter reklamierten anderen Subjekts und initiieren in der einen oder anderen Form eine Sammlungsbewegung mit dem Ziel, das vom Sein des anderen Subjekts, seinem eigenen Wesen abgefallene und in die Scheinwelt einer halluzinatorischen Geschichte verstrickte Selbst aus diesen Verstrickungen auszulösen und in das Nichts der Welt, als das sich das Wesen präsentiert, zurückzuführen. Sosehr es den Propagatoren jener als Einkehr ins Nichts, das Sein ist, konzipierten Wiedergewinnung eines weltenthobenen Wesens mit ihrem Befreiungsprogramm subjektiv ernst ist, sosehr sie getragen sind von der kalten Verzückung und aus schierer Negativität ihnen zuteil gewordenen Erleuchtung, in die sie die nicht von dieser Welt seiende Wirklichkeit des anderen Subjekts, die sie als ihre eigene Wahrheit erkennen, versetzt, sosehr erfüllen sie damit objektiv eine der Schicht, der sie entstammen, genehme sozialstrategisch-praktische Krisenmanagements- und realgeschichtlich-nüchterne Konfliktbewältigungsaufgabe. Indem sie sich entschließen, den Werten, die im irdischen Dasein und zumal in ihrer eigenen Schicht, Geltung beanspruchen, den gesellschaftlichen Reichtümern, die das krisengeschüttelte Gefüge der theokratischen Ordnung bestimmen, mit der Indifferenz und Negativität des anderen Subjekts zu begegnen und diesen Werten als einem falschen Sein oder vergänglich-historischen Schein das in jener Negativität implizierte wahre Sein oder zeitlos vergangene Wesen als normativen Fluchtpunkt oder zur Transzendenz verhaltendes Soll entgegenzusetzen, gewinnen die neuen Propheten die Möglichkeit, die gleiche Indifferenz und Negativität auch den subsistentiellen Gegenwerten, den dionysischen Naturreichtümern des Brot-und-Wein-Kults zu beweisen, kraft deren eine geknechtete bäuerlich-handwerkliche Unterschicht die theokratische Ordnung in die Schranken fordert, und damit die von der Unterschicht sozialkritischen aufgerissene Kluft zwischen herrschaftlichem Reichtum und natürlicher Subsistenz, zwischen einfachem Leben und Luxusexistenz, zwischen positiv besetzten und als negativ verworfenen Phänomenen durch das Konzept einer unterschiedslos als negativ begriffenen und nämlich durchgängig von der Negativität des Wesens erfaßten Welt der Erscheinungen zu verdrängen und aus eben dieser zu einer Totalität des Scheins homogenisierten, weil in toto für wesenlos erklärten Erscheinungswelt zu eskamotieren. So gewiß sie mit dem anderen Subjekt in seiner epiphanisch-ursprünglichen, absoluten Negativität die Reichtumsphäre für vor dem Wesen offenbar nichts und das Nichts zum hinter der Reichtumsphäre offenbaren Wesen erklären, so gewiß tun sie das gleiche auch im Blick auf die als Gegensatz zur Reichtumsphäre geltend gemachte Sphäre agrarisch einfacher Subsistenz und schaffen also dadurch, daß sie sub specie des Nichts, in dem sich das wahre Sein, das ihr eigenes Wesen ist, offenbart, beide Sphären zu einem als halluzinatorisches Gespinst einheitlich phänomenalen Gebilde, einer durchgängigen Welt des Scheins verschmelzen und einebnen, den sozialen Sprengstoff, der sich in jenem sphärischen Gegensatz artikuliert und virulent behauptet, aus dieser zum Schein erklärten Welt oder verschlagen ihm jedenfalls das Artikulationsmedium, das er in dieser Welt reklamiert. Vor dem im ontologischen Sprung absoluten Sein des anderen Subjekts sind alle Erscheinungen gleich und nämlich gleich nichts, und weit entfernt deshalb, daß sich das andere Subjekt als Herr der agrarischen Subsistenz oder des rauschhaft einfachen Lebens vereinnahmen ließe, um eine Gruppe von Erscheinungen als wahres Sein gegen die andere auszuspielen und in Szene zu setzen, gilt es vielmehr – so die Botschaft der neuen Propheten! –, sich dem vom anderen Subjekt für alle Erscheinung verfügten Nichts zu stellen und auf es einzulassen, um des darin verborgenen und fürs eigene Wesen genommenen absoluten Seins teilhaftig zu werden.
Die Parias besticht der totalisierende Gestus der Negativität der Wesenslehre, der ihrer eigenen Lebenserfahrung entspricht. Was ihnen die Wesensverkünder bieten, ist nicht nur moralische Solidarisierung, sondern auch dogmatische Entlastung, indem sie ihnen das, was als härtestes Los erscheint, vielmehr als nichtssagendes Gaukelspiel erkennbar werden lassen. Die von der universalen Heilsperspektive in Aussicht gestellte Befreiung vom Schein gewinnt damit aus Sicht der Parias ebensowohl die Bedeutung einer Erlösung von Leid. Daß die universale Heilsperspektive bloße Perspektive bleibt, kein hier und jetzt umzusetzendes Programm wird, erklärt sich daraus, daß auf ihre negative, elende Art die Parias nicht weniger ans Dasein gefesselt sind als auf ihre positive, wohlhäbige Weise die Laien.
Während so aber die alle Erscheinung für nichts und das Nichts aller Erscheinung fürs Sein erklärenden Verkünder des Wesens dem als Herr des einfachen Lebens beschworenen dionysischen Erlöser den Wind aus den Segeln oder besser den Wein aus den Schläuchen nehmen und dem in dieser Version vom negativitätserfüllt anderen Subjekt sich artikulierenden sozialen Protest der agrarisch-handwerklichen Unterschicht die religiös-naturkultliche Sprache verschlagen, müssen sie in Kauf nehmen, daß ihre als Neutralisator und Mittel zur Entschärfung der einen sozialen Konfrontation wirksame Lehre gleichzeitig als Katalysator und Artikulationsmedium für einen anderen sozialen Konflikt mit Beschlag belegt wird. Während sie hier mit der vollen Wahrheit der gegen die Erscheinungswelt als ganze geltend gemachten und von ihnen als das eigene Wesensverhältnis angenommenen absoluten Negativität des anderen Subjekts die von der ausgebeuteten Unterschicht mobilisierte Halbwahrheit eines anderen Subjekts, dessen Negativität sich im Namen eines agrarisch-natürlichen Seins gegen die Erscheinungen der herrschaftlichen Reichtumsphäre richtet, aus dem Felde schlagen, erhebt dort die aus dem gesellschaftlichen Funktionszusammenhang ausgestoßene Pariaschicht diese als volle Wahrheit geltend gemachte absolute Negativität zum Wahrzeichen und Panier ihres besonderen Zerfallenseins mit dem sozialen Organismus und pflanzt sie mitten in dem von der dionysischen Halbwahrheit gesäuberten Felde auf. Was die Pariaschicht an der Negativität der Wesensverkünder besticht, ist eben die Totalisierung oder Pauschalisierung, der sie entspringt, ist dies, daß sich mit ihr die Wesensverkünder nicht gegen die eine oder andere Gruppe von Erscheinungen, nicht gegen diese oder jene gesellschaftliche Sphäre oder natürliche Dimension, sondern gegen die Gesamtheit der im Stoffwechsel der Gesellschaft mit der Natur erzeugten und das innerweltliche Dasein bildenden Phänomene, gegen die Welt der Erscheinungen als ganze wenden oder vielmehr verwahren.
Mit einer solchen negativen Totalität, wie sie sich den Wesensverkündern qua Erscheinungswelt vorstellt, sehen ja auch sie, die Parias, sich konfrontiert: mit der negativen Totalität nämlich eines herrschaftlichen Reichtum und bäuerlich-handwerkliche Subsistenz unterschiedslos umfassenden und also den gesamten Stoffwechsel mit der Natur in sich begreifenden gesellschaftlichen Reproduktions- und Funktionszusammenhanges, der sie von sich ausschließt und an dessen Rändern sie ein kärgliches Leben fristen, vor dessen Mauern sie als Ausgestoßene dahinvegetieren. Wie könnten die Parias wohl versäumen, diese ihnen das Leben schwer und geradezu unmöglich machende Totalität in der von den Wesensverkündern vorgestellten und als falsches Ganzes angeprangerten Welt der Erscheinungen wiederzuerkennen? Wie sollten sie es sich wohl entgehen lassen, die Ablehnung und Negativität, mit der die Wesensverkünder dieser Erscheinungswelt begegnen, als Reaktion auf das Leid, das die letztere ihnen zufügt, als Anerkennung der Not, die sie ihnen bereitet, mithin als Parteinahme für sie, die hauptsächlichen Opfer der in ihr verkörperten falschen Totalität, zu interpretieren? Was sich gegen sie, die Parias, verwahrt, was sie zurückstößt und von ihnen nichts wissen will, dagegen verwahren sich nun umgekehrt jene Wesensverkünder, vor dem ziehen sie sich zurück und wollen von ihm nichts mehr hören und sehen. Von Mitleid für die Parias und ihr unmenschlich hartes Los sub conditione der Erscheinungswelt erfüllt, begegnen die Propheten des Wesens der letzteren mit der ganzen Negativität ihrer daseinsverneinenden, weltflüchtigen Resolution und üben auf diese Weise Solidarität mit den Parias, zeigen sich mit ihnen im daseinkritisch-moralischen Einvernehmen.
Aber nicht nur solidarisieren sie sich moralisch mit den Parias, sie kommen ihnen mehr noch seelisch zu Hilfe, spenden ihnen Trost, leisten ihnen lebenspraktisch-dogmatischen Sukkurs. Jenen die Parias mit Not und Tod bedrohenden umgestülpten Kerker einer ebenso sozial exklusiven wie funktionell geschlossenen Gesellschaft, jenen zu knochenharter Objektivität ihnen entfremdete Lebenszusammenhang, der sie vor seinen unüberwindlichen Mauern verderben, am ausgestreckten Arm verhungern läßt und der sie um so fester an sich kettet, sie um so stärker auf sich verpflichtet, je schroffer er sie von sich stößt, je freier er sie setzt, diese tödlich falsche Totalität wird von den Wesensverkündern ja nicht einfach nur in ihrer Substanz abgelehnt und als moralisch verwerflich zurückgewiesen, sondern mehr noch und vielmehr in ihrer Substanzlosigkeit durchschaut und als dogmatisch unhaltbar eingesehen. Was den Parias als das härteste Widerfahrnis vorkommt, als objektivstes Verhängnis erscheint, das erklären die von der kalten Begeisterung der Negativität des anderen Subjekts erfüllten Wesensverkünder vielmehr zur wesenlosen Erscheinung, zu einem Ganzen des Scheins, das es als solches zu durchdringen und zurückzulassen, in seiner Scheinhaftigkeit zu erkennen und abzuschütteln, kurz, als das Nichts, das es ist, zu realisieren gilt, um des in eben diesem Nichts an Schein bestehenden Seins, des in eben dieser Freiheit von der Erscheinung seine Wirklichkeit wiedergewinnenden Wesens teilhaftig zu werden. Wie könnte die darin beschlossene Entwirklichung ihres unüberwindlichsten Widersachers und beständigsten Peinigers zum bloßen Phantom, die Entwertung dessen, was ihnen das Leben schwer macht und sie aufs ärgste bedrängt, zum ephemeren Gaukelspiel die Parias wohl gleichgültig lassen? Wie könnte die Aussicht, ihren Widersacher als bloßes Phantom zu verscheuchen, sich ihrer ganzen Bedrängnis als eines ephemeren Gaukelspiels zu entledigen, wohl verfehlen, sie als frohe Botschaft und heilsperspektivische Verheißung anzusprechen? Was eben noch schreckliche, leidvolle, die Parias von sich ausschließende und in eine Schattenexistenz verstoßende Wirklichkeit war, das erweist nun die Einsicht der Wesensverkünder plötzlich als einen aller Wirklichkeit baren Schemen, als ein ausschließlich illusionäres Gebilde, das es nur als das Selbsttäuschungsmanöver, das es ist, zu erkennen, als die Halluzination, die es darstellt, zu durchschauen gilt, um es mitsamt seinen Schrecken loszuwerden und sich in das reine Nichts, das von ihm bleibt, als in die von aller Täuschung befreite und damit allem Leid, das aus der Täuschung erwächst, enthobenen Sichselbstgleichheit, die das Wesen ist, abzusetzen.
Von Anbeginn ihres Auftretens erkennen deshalb die sozial Deklassierten, aus der Klassengesellschaft ausgestoßenen, die Parias, in der negativitätserfüllten, gegen die falsche Totalität der Erscheinungswelt als gegen ein Ganzes des Scheins sich verwahrenden Perspektive der weltflüchtigen Wesensverkünder ihr eigenstes Anliegen, ein Heilsversprechen, das sie zentral betrifft, wesentlich an sie sich richtet. In dem Maß, wie für die Parias das falsche Ganze der Erscheinungswelt, das die Wesensverkünder an die Wand eines als einzige Alternative anzustrebenden Nichts malen, mit dem bösen Ganzen des sozialen Kosmos zusammenfällt, der sie von sich ausschließt und in Not und Elend hinausstößt, nimmt in ihren Augen die mittels asketischer oder meditativer Negativität angestrebte Aufhebung phänomenaler Unwirklichkeit ebensowohl und primär die Züge einer Überwindung sozialer Ungerechtigkeit an, präsentiert sich ihnen die in Aussicht gestellte Befreiung vom Schein, den diese Welt darstellt, auch und wesentlich als Erlösung vom Leid, das diese Welt bereitet. Und spätestens mit Dschina und Buddha geben die Propheten aus der Oberschicht dem sozialen Druck von unten nach, tragen sie der Erwartungshaltung der Parias Rechnung und geben von sich aus ihrer befreiungstheoretischen Botschaft eine erlösungspraktische Wendung, begreifen selber den propagierten Auszug aus der Welt des Scheins als Ausbruch aus einem Qualen bereitenden Kerker, einem Leiden verursachenden Jammertal. Das heißt, sie bilden jene Blickrichtung aus, die den Zweifel und Überdruß an den weltlichen Erscheinungen, sofern diese zur Verfügung stehen, mit der Unlust und Verzweiflung vor ihrer tödlichen Objektivität, sofern sie sich verweigern, amalgamiert und dementsprechend die Befreiung von Täuschung und Verblendung mit der Erlösung von Vereitelung und Entbehrung zusammenfallen läßt und die als universale Heilsperspektive ihre paradigmatische Ausprägung im Buddhismus findet. Diese universale Heilsperspektive, die nach Maßgabe der in ihr wirksamen Durchdringung der Wahrnehmung von Schein mit der Leidenserfahrung und Unterwanderung des Befreiungsgedankens durch das Erlösungsmotiv ihre Adressaten also nicht mehr in den sozial Etablierten und funktional Integrierten, sondern in den Ausgestoßenen und Entrechteten der Gesellschaft hat, diese Perspektive dient nun die zur Pflege des Heilsmittels, der mönchischen Haltung, ins Leben gerufene ordensgemeinschaftliche Institution aufrecht und für zukünftigen Gebrauch in Kraft zu erhalten.
Daß es beim bloß zukünftigen Gebrauch bleibt, daß auch in ihrer auf die Parias gemünzten, die Befreiung wesentlich als Erlösung interpretierenden Version die in der institutionalisiert mönchischen Haltung gewahrte Heilsperspektive nur Perspektive, das heißt keine unmittelbar zu verwirklichende Möglichkeit, kein hier und jetzt in die Tat umzusetzender Plan, sondern ein auf lange Sicht angelegter Prospekt, eine irgendwann später geltend zu machende Option ist, mag dabei auf den ersten Blick überraschen. Schließlich ist, was die Unbereitschaft der säumigen eigenen Artgenossen, der Laien, bedingt, dem Aufruf der Wesensverkünder zur Weltflucht stante pede zu folgen, und was deshalb die Wesensverkünder, soweit ihr Aufruf an die eigenen Artgenossen sich richtet, zwingt, ihre Heilsperspektive durch die Lehre von der mönchischen Haltung als Heilsmittel und durch die Institutionalisierung dieses Heilsmittels als Garanten und Trägers einer langfristig offenstehenden universalen Heilsperspektive zu ergänzen – schließlich ist dies Bedingende und Zwingende die positive Bindung der Artgenossen ans Dasein, ihre gleichermaßen reale und emotionale Verfallenheit an die Welt der Erscheinungen, ihre trieb- und gewohnheitsmäßige Verstrickung in deren Bedürfnis- und Befriedigungszusammenhänge. Und schließlich zeichnen sich die Parias, die sich nach Maßgabe der buddhistischen Identifizierung des Erlebens von Schein mit der Erfahrung von Leid nunmehr als die wahren Adressaten des Weltflucht-Aufrufs der Wesensverkünder oder jedenfalls der Institutionalisierung des Aufrufs zur heilsperspektivisch perennierenden Botschaft herausgestellt haben, gerade durch das Fehlen solch positiver Bindung ans Dasein aus, sind also im Unterschied zu den Artgenossen der Wesensverkünder, den Laien, gerade dadurch charakterisiert, daß ihnen jene triebstrukturelle Einbindung in und befriedigungshabituelle Verfallenheit an die Erscheinungswelt abgeht, die sie zur Weltflucht unbereit machen und auf eine heilsperspektivische Vertagung der Entscheidung erpicht sein lassen könnte. Warum lassen bei all ihrer Bindungs- und Wurzellosigkeit nicht einmal sie sich zum sofortigen Aufbruch bewegen, warum bleiben auch und gerade sie auf jene die Entscheidung fürs Heil als unbestimmt zukünftige Option wahrende institutionell dauerhafte Bereitstellung des Heilsmittels angewiesen?
Die Antwort liegt darin, daß fehlende Einbindung ins Dasein eine Fixierung an es nicht nur nicht ausschließt, sondern geradezu zwangsläufig herausfordert, daß mithin die Parias in ihrer sozialen Preisgegebenheit, ihrer ebenso überflüssigen wie funktionslosen Randexistenz einen dem laizistisch positiven Lebensverlangen und Verhaftetsein in der Welt durchaus vergleichbaren negativen Überlebenswillen und Klammerreflex ausbilden. In den Überlebenskampf mit einer Welt verstrickt, die sie am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen Miene macht und die sich ihnen ständig zu entziehen, sie ständig ins existentielle Nichts zu verstoßen droht, haben die Parias ebensowenig Kraft und Gelegenheit, zu dieser Welt auf Distanz zu gehen und sie in ihrer von den Wesensverkündern angeprangerten Scheinhaftigkeit und Nichtigkeit ins erleuchtete Auge zu fassen, wie die Laien, die sich in ihr eingenistet, in sie eingelebt, es sich in ihr bequem gemacht haben und die mit ihren sämtlichen Triebbedürfnissen von ihr abhängen, mit allen ihren leiblich-seelischen Gewohnheiten auf sie angewiesen sind. Damit befaßt, die lebenspendenden Erscheinungen, die sich ihnen partout verweigern wollen, dennoch an irgendeinem Zipfel zu packen und festzuhalten und mithin der abweisenden Objektivität des gesellschaftlichen Reproduktionszusammenhanges einen ebenso unplanmäßigen wie unzuverlässigen, ebenso kärglichen wie zufälligen Unterhalt abzutrotzen, sind die Parias auf ihre eigene Weise geradesosehr von weltlichen Geschäften okkupiert wie die Laien, die mit den Erscheinungen auf vertrautem Fuße stehen, wo nicht Intimverkehr pflegen, und bringen ebensowenig wie die letzteren die nötige Reflexionsbereitschaft und innere Sammlung auf, um jene selbstbezüglich mönchische Haltung einzunehmen, die Buddha als das Mittel zum Heil, nämlich als via regia der meditativen Weltverneinung und Einkehr ins Nirwana, lehrt. Sogar noch weniger als die Laien sind sie zu solch reflexivem Selbstbezug disponiert, da ja der besondere Charakter ihrer weltlichen Geschäfte, die ständige Entbehrung und bittere Not, von der diese gezeichnet sind, ihnen nicht einmal jene dem Überfluß entspringende Muße und aus Überdruß geborene Besinnung läßt, die für die geforderte innere Sammlung wenn schon nicht als eine ontologisch wirkliche Bedingung, so immerhin doch als eine psychologisch nützliche Konditionierung gelten kann.
Und weil also die Parias, die Ausgestoßenen der Gesellschaft, ex negativo ihres Kampfes ums Überleben nicht weniger und vielleicht sogar mehr noch als die laizistischen Artgenossen der Wesensverkünder ans Dasein gefesselt erscheinen, muß auch und gerade die als Verheißung einer Erlösung von Leid primär auf sie gemünzte Heilsbotschaft jenen universalperspektivischen, langfristig zukunftsorientierten Charakter annehmen, der eine ebenso anhaltende wie fortlaufende Verfügbarkeit der Lehre vom Weg zum Heil, kurz, die Institutionalisierung des qua mönchische Haltung gelehrten Heilsmittels notwendig impliziert. Bis die Parias bereit sind, die auf die Entlarvung des leidvollen Daseins als Schein und auf die Vernichtung des Scheins gerichtete Heilsbotschaft als Anweisung zum seligen Leben oder praktisches Erlösungsrezept im Empfang zu nehmen, will heißen, jene von Buddha gelehrte selbstbezügliche Abstraktion von der Welt zu vollziehen, die kriterieller Ausgangspunkt für die meditative Versenkung, die erlösende Einkehr ins Nichts, ist – bis es soweit ist, gilt es die Lehre von jener grundlegend selbstbezüglichen Abstraktion für solch unbestimmt künftigen Gebrauch der Parias zur Verfügung und in Kraft zu halten. Dies leistet die als Einrichtung zur systematischen Tradierung des Heilsmittels konzipierte Ordensgemeinschaft, für deren materiellen Bestand und personellen Nachschub die als Werkheiligkeit, als Wirken fürs Heilsmittel gepriesene weltlich-praktische Opferbereitschaft der Laien sorgt. Eine laizistische Opferbereitschaft, an der das Moment des weltlich-praktischen Darbringens und Preisgebens allerdings den geringfügigsten Aspekt darstellt, bei der vielmehr das eigentlich Ungeheure und Staunenswerte darin besteht, daß sie Bereitschaft ist, sich eben durchs Wirken fürs Heilsmittel den Zugang zu ihm de facto zu verstellen und zu verbauen und also der weltlichen Sorge ums Heilsmittel das durch letzteres vermittelte geistliche Heil selbst effektiv aufzuopfern.
Der Widerspruch zwischen Heilsversprechen und Wirken fürs Heil löst sich im Sinne zweier verschiedener gesellschaftlicher Subjekte, der mit dem Heilsversprechen angesprochenen Parias und der fürs Werkewirken rekrutierten Laien, auf. Daß die Laien ihre undankbare Aufgabe geduldig erfüllen und sich mit dem sekundären Heilsweg abspeisen lassen, hat seinen Grund in der sozialen Nützlichkeit des qua universale Heilsperspektive praktizierten Wesenskultes. Die Parias setzen zwar durch, daß die von diesem Wesenskult verheißene Befreiung vom Schein den Charakter einer Erlösung von Leid annimmt, aber gleichzeitig sorgt die Identifizierung der Leid erzeugenden Erfahrungswelt der Parias mit der Illusionen machenden Erscheinungswelt der Oberschicht für eine Entschärfung des sozialen Konfliktpotentials, das die Parias darstellen. In einer Mischung aus faktischem Trost und praktischer Vertröstung taugt die das Leid für Schein und den Schein für im Grunde nichts erklärende Heilsbotschaft dazu, die Parias in quietistischer Passivität zu verhalten. Daran ändert auch das Barmherzigkeitsgebot nichts, weil es eher auf eine weltfluchtdienliche Befindlichkeit des Subjekts als auf ein objektives Engagement in der Welt abzielt.
Und damit sind wir denn wieder bei dem alten eklatanten Widerspruch zwischen erklärter Absicht und tatsächlichem Tun, zwischen heilsorientiertem Wollen und heilswidrigem Tun, der das laizistische Wirken stigmatisiert und der nun allerdings, da sich uns als maßgebender Adressat der Heilsmittelinstitution und der durch sie gewahrten universalen Heilsperspektive statt der als Volk, als Laien, firmierenden Artgenossen der Wesensverkünder vielmehr die Ausgestoßenen und Elenden der Gesellschaft, die Parias, herausgestellt haben, seinen Widerspruchscharakter zugunsten einer offen zynischen Beschaffenheit ablegt. Wenn wirklich, wie das die Befreiung von Schein wesentlich als Erlösung von Leid begreifende buddhistische Heilsversprechen deutlich macht, die eigentlichen Adressaten der von der mönchischen Gemeinschaft gewahrten universalen Heilsperspektive nicht die zur Gesellschaft gehörenden und ihre Stände, ihre funktionellen Strata bildenden Laien, sondern die von der Gesellschaft ausgeschlossenen und ihre funktionslose Unterschicht, ihren Bodensatz ausmachenden Parias sind, so ist dank der Unterscheidung zwischen fürs Heilsmittel wirkendem und das Heilsmittel empfangendem Subjekt in der Tat der Widerspruch eines Subjekts, das sich durch seinen Einsatz von eben der Bestimmung ausschließt, für die es sich vermeintlich mit dem Ziel, sie zu erlangen, einsetzt, verschwunden – aber nur, um dem nach der Devise, daß der Zweck die Mittel heilige, funktionierenden offenen Zynismus eines Verhältnisses Platz zu machen, bei dem das eine Subjekt seine Bestimmung darin findet, sich für das andere aufzuopfern und bei dem nämlich die Laien im Bemühen, den Parias das Heil zu sichern, ihr eigenes drangeben. Dieser Zynismus ist nun zwar für die Beteiligten unerträglich genug, um die Wesensverkünder zur Konstruktion eines den Laien eigenen, in ihrem Wirken fürs Heilsmittel heimlich angelegten alternativen Weges zum Heil zu nötigen, sie also zu dem oben geschilderten Versuch zu zwingen, die durch ihr weltliches Wirken vom Heilsmittel Ausgeschlossenen kraft einer in petto des Wirkens angenommenen schrittweisen Adäquation ans Heilsmittel oder stufenweisen Überführung der Seele in die mönchische Haltung, die das Heilsmittel ist, mittelbar doch noch in die Heilsperspektive zu integrieren, deren sie durch ihren Ausschluß verlustig zu gehen drohen. Aber so wahr dieser Integrations- und Rettungsversuch gezwungen ist, mit der aberwitzig-spekulativen, kopfgeburtlich-münchhausenschen Auskunft einer den Bios sprengenden Seelenwanderung und vom Tode skandierten Existenzenfolge zu operieren, so wahr bleibt der im Blick auf die laizistische Einzelbiographie offenbare Zynismus, den er heilen oder jedenfalls halbwegs reparieren soll, ein hinter der kosmologisch-phantastischen Fassadenbauerei, die er betreibt, unschwer erkennbares und kaum kaschiertes brutales Fakt.
Daß Buddha und seine Nachfolger selbst, nachdem sie sich, ihren Auszug aus der Welt vertagend, zur Lehre vom Heilsmittel und zu deren systematischer Verbreitung, kurz, zur Entfaltung einer universalen Heilsperspektive entschlossen haben, daß sie da im Überschwang ihres Bemühens, die Universalität des Heilsversprechens sicherzustellen, jenem Zynismus huldigen, daß sie also, um auch noch dem verlorensten, von der Botschaft am schwersten erreichbaren, weil aus allem gesellschaftlichen Funktions- und Kommunikationszusammenhang ausgestoßenen und im peripher-prekären Überlebenskampf blind und taub für alle Verheißung dahinvegetierenden Paria das Heil zu sichern, bereits sind, tendenziell die ganze übrige Gesellschaft einem Dienst an der Heilsmittelinstitution zu unterwerfen, der deren eigene Heilsaussichten offenkundig durchkreuzt und im Zweifelsfall zunichte macht – dieses an Widersinn grenzende Verhalten mag aus dem Enthusiasmus und zugleich Dogmatismus, kurz, dem Fanatismus, einer in die letzte Konsequenz getriebenen Erlösungsmission noch verständlich erscheinen. Schwerer verständlich hingegen mutet auf den ersten Blick an, daß auch die von ihm primär Betroffenen, die in den Dienst der Heilsmittelinstitution genommenen Laien, jenen hinter der Fassade der Werkheiligkeit als alternativen Heilsweges kaum verhohlenen Zynismus bereitwillig mittragen. So objektiv ironisch es ist, daß die Laien ihr geistlich-ewiges Heil ausgerechnet den Heilsaussichten und Erlösungshoffnungen derer zum Opfer bringen, die, weltlich-irdisch gesehen, Opfer des laizistischen Tuns und Vollbringens sind und nämlich von ihnen, den Laien, aus dem gesellschaftlichen Funktionszusammenhang verdrängt, von den Fleischtöpfen der Gesellschaft getrennt und in die Not und das Elend ihrer peripheren Existenz hinausgestoßen werden – so objektiv ironisch das ist, so unglaublich wirkt es auch. Nicht, daß die Laien, da sie ja bei aller prinzipiellen Anerkennung der Wahrheit des Wesens und des damit verbundenen Aufrufs zur Weltflucht gern noch ein Weilchen im Dasein verweilen und ihre Positionen auf Erden erhalten möchten, nicht bereitwillig die ihnen von den Wesensverkündern übertragene weltliche Aufgabe eines Wirkens für die Heilsmittelinstitution übernähmen und nicht auch besten Willens wären, sich das dieser Aufgabe innewohnende Moment von Unvereinbarkeit mit dem eigenen Heilsanspruch durch das Irrsinnskonzept eines todesvermittelten, karmageleiteten, metempsychotischen Weges zum Heil ausreden und aus dem Bewußtsein schaffen zu lassen. Aber daß die Aufgabe, für die sie sich von der Ordensgemeinschaft der Wesensverkünder rekrutiert finden, nun ausgerechnet darin besteht, für das künftige Seelenheil derjenigen vorzusorgen und indirekt die Gewähr zu bieten, deren trauriges Los auf Erden in der Hauptsache ihr, der Laien, eigenes Werk und deren leibliches Ergehen oder vielmehr Dahinvegetieren ihnen im übrigen absolut gleichgültig ist – diese paradoxe Bestimmung oder Ungereimtheit in ihrem Verhalten müßte ihnen doch eigentlich unangenehm aufstoßen und ihren Protest herausfordern beziehungsweise sie zur entrüsteten Ablehnung der ihnen zugemuteten Dienstbarkeit motivieren.
Und daß in der Tat den Laien der ihnen zugemutete Einsatz für die außerweltlich-ontologische Erlösung von einem Leid, das sie innerweltlich-empiriologisch den zu Erlösenden eigenhändig bereiten, daß ihnen also dieser Widersinn eines weltlichen Wirkens für ein Heilsmittel, das von Leiden heilen soll, die Folge des gleichen weltlichen Wirkens sind, zu schaffen macht, dafür spricht ihre Bereitschaft und Neigung – eine Neigung, der die Lehre eines Dschina stärker noch als die des Buddha Rechnung trägt –, die Leidenskategorie über den bloß human-sozialen Kontext hinaus ins Reich des umfänglich Animalischen, wo nicht gar in allumfassend kosmische Dimensionen expandieren und damit ihren spezifischen sozialkritischen Charakter zugunsten einer daseinsanalytischen Universalbedeutung verlieren zu lassen. Nicht bloß und nicht einmal primär die leidende Menschheit in specie, sondern die leidende Kreatur in genere, nicht bloß der verhungernde Arme, der notleidende Paria, sondern ebensowohl der geschundene Ochse, die in Staub getretene Ameise ist es, wofür die Lehrinstitution der Ordensgemeinschaft das von ihr tradierte Heilsmittel der weltfluchtorientiert mönchischen Haltung als universales Mittel zur Erlösung von Leid bereithält. Mögen indes die Wesensverkünder den Adressatenkreis ihrer Heilsbotschaft noch so sehr universalisieren und in der Tat kosmologisieren, um hinter solch kosmologischer Totalität den spezifisch gesellschaftlichen Resonanzboden zum Verschwinden zu bringen, auf den ihre Heilsbotschaft trifft und der in dem Maß, wie er sie in eine Erlösungsverheißung umfunktioniert, sich ihr als eigentlicher Adressat aufdrängt – angesichts der durch Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen erzeugten sozialen Spannung, angesichts des Antagonismus zwischen Begüterten und Besitzlosen, Mitgliedern der Gesellschaft und Ausgestoßenen, angesichts der Not und des Elends, die eine ihre höhere Produktivkraft ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verluste entfaltende herrschaftliche Reichtumerzeugung heraufbeschwört, bleibt das spezifische Leiden hinter aller Universalisierung erkennbar und tendiert mindestens ebensosehr, wie es vom universalen Leid verdeckt und verschluckt wird, umgekehrt dazu, letzteres in einen Ausdruck, ein Symbol seiner selbst zurückzuverwandeln.
Und eben deshalb bleibt aber auch die Frage, was die Laien dazu bringt, sich im unaufgelöst intentionalen Widerspruch zu ihrer spezifisches Leiden, menschliches Elend erzeugenden gesellschaftlichen Praxis in den Dienst der universale Erlösung vom Leid schlechthin, von der Lebensnot überhaupt verkündenden ordensgemeinschaftlichen Lehre nehmen zu lassen und also unter Gefahr des Verlusts des eigenen Heilsanspruchs sich um das Seelenheil derer verdient zu machen, deren leibliches Wohl sie bereitwillig dem eigenen opfern. Welchen Vorteil bringt es den Laien, durch weltliche Werke die primär den Opfern ihrer weltlichen Tätigkeit, den Parias, geltende geistliche Fürsorge der Mönchsgemeinschaft aufopferungsvoll zu unterstützen? In dieser Zuspitzung aber die Frage gestellt, ist sie bereits die halbe Antwort. Der Vorteil, den die Laien aus ihrer Unterstützung der universalen Heilsperspektive ziehen, ist die in Geduld und Leidensbereitschaft sich äußerende Seelenruhe und Friedfertigkeit, worein die als weltflüchtige Desillusionierung, als Befreiung von einer Welt aus Schein gefaßte Heilsaussicht die Parias versetzt. So wahr die Existenz jener sozial Ausgestoßenen, jener breiten Schicht von gesellschaftlich Elenden, dafür sorgt, daß die elitäre Vorstellung einer Befreiung von Schein in die ordinäre Erwartung einer Erlösung von Leid umfunktioniert wird, so wahr sorgt aber auch umgekehrt die Identifizierung der Leid erzeugenden Objekt- oder Erfahrungswelt der Unterschicht mit der Illusionen machenden Prospekt- oder Erscheinungswelt der Oberschicht dafür, daß die erwartete Erlösung einen definitiv quietistischen Charakter annimmt und nämlich nicht durch ein aktives Einwirken auf die Welt, sondern durch bloße Abwendung von ihr, nicht durch alloplastische Veränderungen der widrigen Daseinsbedingungen, sondern durch die autoplastische Selbstzurücknahme angestrebt wird.
Eben deshalb, weil die Leid verursachenden Erscheinungen nur Schein, eine vor dem ursprünglichen Sein und wahren Wesen für nichts sich erklärende Einbildung der haltlosen Sinne und Täuschung des irrenden Triebes sind, besteht nun auch die Befreiung vom Leid nicht in einem weltkritischen, als praktisches Verhalten bestimmten Bemühen, den leidvollen Erscheinungen entgegenzutreten, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, in sie einzugreifen, sondern in dem weltflüchtigen, zur mönchischen Haltung entschlossenen Bestreben, den leidigen Erscheinungen zu entfliehen, von ihnen abzulassen, sie in toto dranzugeben. Mit anderen Worten, die als Erscheinung, als ein Ganzes des Scheins, durchschauten Lebensbedingungen werden eben deshalb, weil sie im Grunde, der das Wesen ist, für ohne Bestand, für nichtig gelten, als solche oder in ihrem unmittelbaren Sosein gelten und bestehen gelassen. Als eine Objektivität, die nur ein Schein, nur Vortäuschung falscher Tatsachen ist, stellt die Leid erzeugende Welt der Erscheinungen etwas dar, das sich nicht verändern und umgestalten, nur vernichten und ersetzen, nicht empirisch detailliert kritisieren und neumachen, nur als systematisches Ganzes verwerfen und ablegen läßt, etwas, dessen Überwindung zugleich der Initiative des einzelnen überlassen bleibt, der nicht etwa in solidarischer Gemeinsamkeit mit anderen, sondern im ganz und gar mönchischen Alleingang die Vernichtung des Scheins als Selbstvernichtung, nämlich als die Aufgabe betreibt, sich aus der Scheinverfallenheit in die selbstbezügliche Haltung zurück- und zusammenzunehmen, um kraft meditativer Versenkung ins Nirwana, in das großgeschriebene Nichts an Schein, das Wesen ist, einzugehen und zu verschwinden. So gesehen, sind die als Welt der Erscheinungen ausgemachten gesellschaftlich-empirischen Lebensbedingungen der Heilsbedürftigen gleich doppelt gegen aktive Angriffe und verändernde Eingriffe sichergestellt, gleich in zweifacher Hinsicht dagegen geschützt, zur Zielscheibe praktisch konkreter Kritik und politisch bestimmter Negation zu werden. Dank der Negativität, mit der die Heilslehre die Leiden erzeugende Erscheinungswelt als einen einzigen großen Schein verwirft und den praktischen Vollzug der Verwerfung zur Sache einer als reine Selbstzurücknahme begreiflichen Weltflucht erklärt, die jeder einzelne für sich allein antreten muß, bleibt als die Scheinwelt, die sie ist, diese Welt der Erscheinungen so, wie sie ist, und bleibt sie vor jedem chiliastischen Aktivismus, vor allem per Heilsbotschaft vorgetragenen Veränderungs- und Erneuerungsansinnen bewahrt.
An dem quietistischen, von Weltveränderungsabsichten denkbar weit entfernten, weil auf die Rettung des einzelnen Selbst aus einer Welt, die als schierer Schein durchschaut wird, abgestellten Charakter der Heilsverheißung ändert auch nichts der Anschein von tätigem Einfluß und praktischem Engagement, den die mit der Verheißung einhergehende, auf die Verhütung von Leid gerichtete Mitleidsforderung, die Aufforderung, auf die in der Welt der Erscheinungen drohende oder geschehende Not mit aktiver Anteilnahme, mit Barmherzigkeit zu reagieren, erweckt. Nicht nur zeigt sich diese Barmherzigkeitsforderung, die der Ausfüllung der oberschichteigenen Scheinkategorie mit der unterschichtspezifischen Leidenserfahrung quasi im Reflex entspringt und die als solch reflexhafter Anspruch in die Heilslehre einfließt, topisch dadurch hoffnungslos entstellt, daß auch sie sich sogleich ins Kosmische verbreitet und dort in abwegigsten Zwangshandlungen niederschlägt, daß sie also ihr Objekt eher in den Fliegen findet, die durch das Tragen eines Mundschutzes vor dem versehentlichen Verschlucktwerden bewahrt werden müssen, oder in den Ameisen, die von der Straße gefegt werden müssen, damit der Fuß sie nicht unbemerkt zertritt, als daß sie dem leidenden Mitmenschen gälte. Mehr noch und vor allem erweist sich die Mitleidsforderung dadurch systematisch entschärft, daß sich das Interesse, das sie motiviert, gar nicht auf die Beschaffenheit des Objekts, sondern auf die Befindlichkeit des Subjekts selbst richtet, daß mithin ihr funktioneller Sinn nicht etwa darin liegt, den Zustand der leidenden Kreatur zu verbessern, sondern vielmehr darin besteht, die Ablösung des Mitleid Übenden von der Welt zu beschleunigen. Als Strategie, die darauf zielt, an die Stelle jedes triebhaft emotionalen Interesses an den anderen Wesen und aller begehrlich engagierten Hinwendung auf sie eine motivlos universale Anteilnahme und ein uneigennützig degagiertes Mitgefühl treten zu lassen und die also letztlich auf die Lösung und Vermeidung von Kontakten, auf eine kraft der Verdrängung sämtlicher anderer Regungen und Bezüge durch das eine empfindsam beziehungslose Verhalten herbeigeführte generell interesselose Distanz zur Welt abgestellt ist, dient die Barmherzigkeit wesentlich nur dazu, beim Barmherzigen selbst die mönchisch selbstbezügliche Haltung zu befördern und durchzusetzen, beziehungsweise hat als Teil des laizistischen Werkewirkens den Erwerb von Karma zum Ziel, das den Grund für eine Annäherung des barmherzigen Laien an die selbstbezügliche Haltung im metempsychotisch nächsten Leben legt, und beansprucht daneben keine eigenständige, als aktives Engagement in der Welt oder objektiv eingreifendes Beginnen beschreibbare Funktion.
In jeder Hinsicht also ist die Heilsbotschaft einer Erlösung vom Leid dieser Welt, das, wie die ganze Welt selbst, Schein ist, eine quietistische Verheißung, die, sosehr sie die Überwindung der leidvollen Welt als ganzer in Aussicht stellt, sowenig aber auch diese in Aussicht gestellte Überwindung mit dem mindesten Gedanken, an der Welt im einzelnen Kritik zu üben, und mit der geringsten Absicht, ihr den auf aktives Eingreifen und auf praktische Veränderung abgestellten Prozeß zu machen, verknüpft. In jeder Hinsicht ist mithin die auf die Flucht nach innen, auf Selbstversenkung gerichtete Negativität gegenüber der leidvollen Welt, mit der die Heilsbotschaft ihre Empfänger impft, von der Art, daß sie folgenreich höchstens und nur für deren eigenes Sein in der Welt, ihre subjektive Befindlichkeit ist und im übrigen also in die Länge und Breite der objektiven Beschaffenheit alles so beläßt, wie es ist, daß sie sogar einen konstruktiven Beitrag zur Aufrechterhaltung der Welt insofern leistet, als sie durch die Identifizierung der Leidenserfahrung als Scheinerleben allem Affekt, der zum aktiven Widerstand und zum praktischen Aufbegehren gegen die Welt motivieren könnte, in aller Form den Gegenstand verschlägt und statt dessen den Weg zu einer als Rückwendung ins Wesen propagierten Abwendung von der Welt weist, den Ausweg in ein zur Motion des scheinzerstreuenden Zusichkommens deklariertes Weltfluchtpathos eröffnet.
So gesehen, leistet die Heilsbotschaft der Wesensverkünder mit ihrer Lehre von der Erscheinungswelt als einem Ganzen des Scheins zur Entschärfung und Neutralisierung des Sprengstoffs, den die gesellschaftliche Erzeugung einer Schicht funktional Ausgestoßener und Entrechteter schafft, einen nicht weniger bedeutenden Beitrag als sie zur Bewältigung und Auflösung des Konflikts liefert, den zuvor die Dichotomisierung der theokratischen Gesellschaft in eine Reichtums- und Subsistenzsphäre, eine Sphäre der luxurierenden Herren und der fronenden Knechte, einer im Überfluß schwelgenden Oberschicht und einer von der Hand in den Mund lebenden Schicht der Bauern und Handwerker heraufbeschwört. Wie dort die Botschaft von der Erscheinungswelt als durchgängig wesenlosem Schein dazu dient, die von der fronenden Unterschicht im Protest gegen das Unterdrückungssystem herrschaftlicher Reichtumerzeugung erhobene Prätention einer den einfachen agrarischen Subsistenzmitteln eigenen natürlichen Substantialität und emanzipatorischen Qualität mitsamt dem auf diese Prätention sich gründenden Kult einer der Reichtumsrücksicht enthobenen rauschhaft-libertären Selbstgenügsamkeit zu entkräften und um den Preis einer zur Rücksicht aufs transzendente Wesen verpflichtenden durchgängigen ontologischen Entwertung der Welt für die neuerliche Nivellierung zwischen Subsistenzmittel und Reichtum, zwischen Bauernschmaus und Herrengut, will heißen, für wiederhergestellte Kontinuität im gesellschaftlichen Erfahrungsspektrum zu sorgen, geradeso gut taugt jene Botschaft von der leidvollen Erscheinungswelt als einem einzigen großen Schein hier dazu, alles eventuelle Aufbegehren der ausgestoßenen Pariaschicht gegen ihr gesellschaftliches Schicksal, jeden Impetus der nicht sowohl Geknechteten als vielmehr Entrechteten, sich mit der Objektivität, die ihnen ihr Recht auf Leben streitig macht, tatkräftig auseinanderzusetzen, kurz, jedes Scharfwerden des in den Parias angehäuften sozialen Sprengstoffs im Keim zu ersticken und die letzteren in einer merkwürdigen Mischung aus faktischem Trost und praktischer Vertröstung mit eben dem Leidenszusammenhang quietistisch zu versöhnen, dessen Überwindung sie ihnen als das Ergebnis einer jederzeit möglichen Absentierung aus ihm und qua ontologischer Sprung oder Wesentlichwerden wohlverstandenen Selbstaufhebung in Aussicht stellt. Mag demnach auch die soziale Leidenserfahrung der Elenden und Entwurzelten die von den Wesensverkündern aus der Oberschicht zur Verfügung gestellte Kategorie vom universalen Schein noch so sehr unterwandern, mit ihrer phänomenalen Not und existentiellen Dringlichkeit erfüllen und in ein Darstellungsmittel für sich selbst umfunktionieren – letztlich tut die Scheinkategorie doch ihre Wirkung und verschlägt, indem sie der Quelle des Leidens, der Erscheinungswelt alle Realität oder Seinshaltigkeit bestreitet, auch der Leidenserfahrung selbst jede zur Widerstandshaltung motivierende und mit dem Willen zur objektiven Veränderung inspirierende Faktizität und Sachhaltigkeit