4. Die universale Heilsperspektive
Die zusammen mit der Erscheinungswelt, an der sie festhalten, durch den bevorstehenden Weggang des Buddha von Irrealisierung bedrohten Artgenossen können den Abgängigen weder in der alten Weise arretieren, noch können sie ihn als ihre einzige und letzte Verbindung zum Wesen ziehen lassen. Sie müssen ihm nachfolgen, müssen nachmachen, was er ihnen als ein in meditativer Versenkung sich vollbringendes Zusichkommen vormacht. Die Frage ist nur, ob er ihnen, den vom Dasein Okkupierten, die Zeit läßt, die für die Imitation nötige Kraft und Sammlung zu gewinnen, ehe er sich ins Nirwana davonmacht. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als an sein Mitgefühl, seine Solidarität zu appellieren. Daß er ihnen die Kraft und Sammlung, um deren künftiger Gewinnung willen sie einen zeitlichen Aufschub erbitten, ja längst vorlebt und durch sein Beispiel hier und jetzt gibt, läßt allerdings Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Imitationsbereitschaft aufkommen.
Vom Blendwerk, das, einschließlich seiner eigenen historischen Person und empirischen Identität, der Erleuchtete hinter sich läßt, wie von einer undurchdringlichen Abschirmung umfangen und wie von unüberwindlichen Kerkermauern umgeben, erfahren die Artgenossen den Abschied des Weltflüchtigen als weltentscheidendes Ereignis, als eine ontologische Scheidung, bei der sich der Seinsanspruch von der Scheinhörigkeit, das wesensbestimmte Selbst von der täuschungsspezifischen Identität ein für allemal trennt. Mit seinem in meditativer Versenkung sich vollbringenden Abgang ins Nirwana, ins großgeschriebene Nichts des Daseins, nimmt der Buddha alles mit, was im Dasein Bestand hatte, und läßt das Dasein als eine wesenlose Erscheinung, eine aufgelassene Kulisse, eine entleerte Hülse zurück, in der die von der Erscheinungen gespiegelten halluzinatorischen Wiedergänger des entschwundenen Buddha, seine in der Kulisse geisternden illusionsentsprungenen Schemen, eben die mit dem Dasein zurückgelassenen Artgenossen, ihr Unwesen treiben und ihr nach Maßgabe der erwiesenen Irrealität des Daseins spukhaftes Leben führen. In dieser Bedeutung aber des aus dem Hier und Jetzt verschwindenden Seinsbezuges, der durch sein Verschwinden dies Dasein mit allen seinen Bewohnern dem Schicksal eines gespenstischen Scheinzusammenhanges überläßt, können die Artgenossen ihn unmöglich ziehen lassen. Um nicht hic et nunc im Alptraum einer um jedes Selbstsein und alle Wesensbestimmung gekürzten Identität zum Schein und durch und durch illusionären Bewandtnis zu versinken, müssen sie alles daransetzen, den jenes Selbstsein verkörpernden Buddha zu einer Vertagung seiner Einkehr ins Nirwana zu bewegen, ihn dazu zu bringen, als ihre letzte Brücke zum Wesen nicht sich abzubrechen und ins Wesen zurückzuziehen, sondern vorerst stehenzubleiben, als ihr einziges Tor zum Sein nicht sich zu schließen und dem Sein exklusiv zuzuwenden, sondern bis auf weiteres da zu sein. Sosehr der Buddha es ist, der durch seinen Abschied vom Dasein und Auszug ins Nirwana den Artgenossen allen im wesenhaften Selbst bestehenden Bezug aufs Sein entzieht und sie in der Trostlosigkeit einer wesenlosen Scheinidentität zurückläßt, sosehr ist er es nun auch, der, solange er seinen Abschied hinausschiebt und vor dem Auszug ins Nirwana verweilt, ihre letzte Verbindung zum Wesen darstellt und ihren einzigen Zugang zum Sein offenhält.
Frägt sich nur, wie sie ihn aufhalten, ihn dazu bringen sollen, in der Weltflucht innezuhalten. Nach dem alten Muster einfachen Insistierens auf ihrer personalen Daseinsverfallenheit, ihrer habituellen Fixierung an die Welt der Erscheinungen jedenfalls nicht! Dagegen, sich durch den simplen Vorweis ihrer triebnatürlichen Abhängigkeit und leiblich-seelischen Bindung ins Bockshorn einer umständlich-asketischen Auseinandersetzung mit dieser flugs als das eigene Problem erkannten Abhängigkeit locken zu lassen – gegen diese Versuchung ist der als Buddha, als Erleuchteter zu sich gekommene Weltflüchtige nunmehr gefeit. Er hat ein für allemal erfaßt und weiß, daß diese zur triebnatürlichen Identität ausgebildete Abhängigkeit vom Dasein – Schein vom Schein, die sie ist – nicht mittels einer direkten – sie fälschlich als wie immer auch negativen Bestandteil des Selbstes realisierenden – Auseinandersetzung zu bewältigen ist, sondern sich nur kraft einer im Zusichkommen bestehenden konsequenten Verneinung des Daseins gewissermaßen als automatischer Zusatzeffekt bewerkstelligen läßt. Er weiß es nicht nur, er tut es auch, setzt seine Einsicht unverweilt in die Tat der meditativen Versenkung und des kraft Versenkung bewirkten Versinkens der Erscheinungswelt um. Er macht es also den Artgenossen wenn auch nicht anschaulich, so doch aber wahrnehmbar vor, wie man durch die einfache Selbstzurücknahme meditativen Insichgehens der Fesseln des Daseins und automatisch damit auch der falschen Identität, die solcher Fesseln bedarf, los und ledig wird – und eigentlich brauchen sie, um an seiner praktischen Einsicht und seiner hierin beschloßnen Einkehr ins Nirwana teilzunehmen, ihm, was er ihnen vormacht, bloß, wenn schon nicht abzuschauen – da ja das Sinnesorgan Auge ebensosehr Teil der falschen Identität wie alles mit ihm Geschaute Moment der abzustreifenden Fesseln ist –, so jedenfalls doch – im Sinne seiner auch und nicht zuletzt das Sinnesorgan Auge evakuierenden meditativen Praxis – nachzumachen.
Sie brauchen es ihm nur nachzumachen – vorausgesetzt, sie finden die Kraft und Sammlung zu jener nicht etwa aus einer abstraktiven Distanzierung von der triebhaft persönlichen Identität hervorgehenden, sondern ausschließlich in der meditativen Orientierung auf das wesenhaft sichselbstgleiche Selbst bestehenden daseinsnegativen Bewegung, und vorausgesetzt erst einmal, es bleibt ihnen überhaupt die Zeit dazu, diese für die Nachfolge des Buddha erforderliche Kraft und Sammlung zu finden. In der Tat erkennen die Artgenossen darin nun das im Wortsinn entscheidende und nämlich in der weltentscheidenden Stellung des Buddha ante portas des Nirwana ihnen sich stellende Problem: ob sie überhaupt noch genug Zeit haben für die erforderliche Anspannung der Kräfte und innere Sammlung, ob ihnen überhaupt noch die Frist bleibt, sich auf die imitatio des Buddha ausreichend einzustellen und zu konzentrieren, ehe dieser, was er im Begriff zu tun ist, tatsächlich tut und, Einzug ins Nirwana haltend, jenen ontologischen Sprung macht, der in ihrer, der Artgenossen, Sphäre und Erreichbarkeit ein für allemal entrückt. Mag als schon die Drohung völliger Entwertung und Entwirklichung, die das Scheiden des Buddha für sie und ihr irdisches Dasein bedeutet, die Artgenossen noch so entschieden zur Einsicht bringen und ihnen noch so sehr vor Augen führen, daß das Gebot der Stunde nicht mehr ein Insistieren auf der eigenen persönlichen Bindung ans Dasein sein kann, unter dem Vorwand der ebenso heuchlerischen wie widersprüchlichen Hoffnung, der Weltflüchtige werde sich dadurch bewegen lassen, ihnen die Befreiung von solcher Bindung persönlich vorzumachen, sondern nurmehr das Imitieren der meditativen Daseinsverneinung des Weltflüchtigen ist, auf Grund der zuversichtlichen Erwartung, daß die eigene Bindung ans Dasein sich dadurch von selbst erledigt – mögen mithin die Artgenossen, vom Abseits absoluter Scheinweltlichkeit, in das ihre Sabotagestrategie sie hineinzumanövrieren im Begriff steht, zur Vernunft gebracht, noch so guten Willens sein, ihren hinhaltenden Widerstand aufzugeben, aller Rücksicht auf die eigene daseinsverfallene Identität sich zu entschlagen und das meditativ-daseinsverneinende Selbst des Weltflüchtigen sich zum ebenso verpflichtenden Vorbild wie verbindlichen Bezugspunkt zu nehmen – mögen sie, kurz, von der Resolution des Buddha, das Leben mit sich zu nehmen und sie als Gespenst ihrer selbst zurückzulassen, zu Tode erschreckt, noch so bereit sein, in die Fußstapfen des Scheidenden zu treten oder, besser gesagt, ihm in seine meditative Versenkung nachzufolgen – die vordringliche und stante pede oder vielmehr meditationis sede der Weltflucht des Buddha entscheidende Frage ist, ob den Artgenossen die Stunde, deren Gebot sie nunmehr nach Kräften zu erfüllen willens sind, nicht bereits unwiderruflich geschlagen hat, ob es also nicht schon zu spät ist für allen Versuch, dem just Scheidenden und ins Nirwana seinen Abgang Nehmenden noch das Geheimnis seiner kraft affirmativer Selbstreduktion und meditativen Zusichkommens statt mittels disruptiver Abstraktion von sich und asketischen Sichunterscheidens erfolgreich bewerkstelligten Daseinsverneinung abzumerken. Mögen also die Artgenossen noch so disponiert sein, dem Buddha auf seinem über die Daseinsverneinung kraft meditativer Selbstversenkung statt über die asketische Selbstreinigung zwecks Daseinsverneinung führenden Weg ins großgeschriebene Nichts mit allen Kräften und gesammelt nachzufolgen – was nutzt ihnen das, wenn der Buddha, noch ehe sie die initiale Kraft und erforderliche Sammlung zur Nachfolge gefunden haben, bereits am Ende seiner Bahn angelangt ist und sich, nichts weiter zurücklassend als das Gestrüpp aufgelassener Erscheinungen, die verwischten Spuren abgelegten Daseins, mitsamt den von ihm gewiesenen, mit seinem Beispiel gegebenen Weg abgesetzt und ins Nichts verloren hat?
So gesehen, ist nun aber auch klar, was allein den Artgenossen zu tun bleibt, um den Buddha vorläufig aufzuhalten, ihn von seiner weltentscheidenden, das ganze Dasein mit Entwertung bedrohenden Einkehr ins Nichts erst einmal abzuhalten: es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als an sein Mitgefühl, seine Solidarität mit ihnen, den Artgenossen, zu appellieren – nicht in der alten, passiv-auftrumpfenden Weise eines einfachen Insistierens auf der eigenen Ohnmacht und Verfallenheit und der darin enthaltenen Forderung, der Weltflüchtige möge ihnen den Ausweg aus ihrer Not- und Zwangslage gefälligst weisen und vorführen, sondern vielmehr in der aktiv-kooperativen Form eines einfältigen Bauens auf die bahnbrechende Kraft des meditativen Beispiels, das der Buddha ihnen gibt, und des daraus konsequierenden hochundheiligen Versprechens, dem Weltflüchtigen auf dem selbstreduktiv-daseinsverneinenden Weg, den er bloß dadurch, daß er ihn geht, ihnen beispielhaft vormacht, so bald wie möglich nachzufolgen. Um sich den ausschließlichen Zugang zum Wesen, den absoluten Seinsbezug, als der der Buddha sich kraft seiner in meditativer Selbstzurücknahme erwirkten Emanzipation vom Dasein herausgestellt hat, vorläufig zu erhalten und die mit dem Abgang des Erleuchteten ins Nirwana dem Dasein und ihnen drohende Disqualifizierung zum wesenlosen Schein fürs erste abzuwenden, müssen die Artgenossen den Flüchtigen bitten, seinen Abschied um ihretwillen noch ein weniges aufzuschieben und ante portas des Nichts, in das er eingehen will, noch ein bißchen zu verweilen, in der Schwebe zwischen Schein und Sein, die er im ontologischen Sprung zu überwinden im Begriff steht, noch ein Weilchen auszuharren. Um ihretwillen – das heißt, daß sie ihre Bitte mit der hoch und heilig erklärten Absicht verknüpfen müssen, den Aufschub, den er gewährt, imitativ zu nutzen und also in der Zeit, um die der Enteilende sein endgültiges Verschwinden hinauszögert, auf dem Weg, den sein Beispiel ihnen weist, mit gesammelter Tatkraft und ohne Zögern seine Nachfolge anzutreten. Nur wenn sie glaubhaft machen oder jedenfalls glaubhaft versichern können, daß sie, bar jeder von Daseinsverfallenheit diktierten heimlichen Absicht, dem Schein bloß ein Sein zu erhalten, willens sind, den verweilenden Flüchtling als verbindlichen Anhaltspunkt und verpflichtenden Wegweiser für den eigenen Auszug aus der Erscheinungswelt wahrzunehmen und zu nutzen, und nur also, wenn der Buddha überzeugt sein kann, durch den Aufschub seiner endgültigen Vernichtung nicht etwa den Wahnvorstellungen einer illusionären Identität einen Schein von Sein zu erhalten, sondern vielmehr seinesgleichen beim meditativen Insichgehen und weltverneinenden Austritt ins Nirwana Hilfestellung und Vorschub zu leisten – nur dann können sie erwarten, daß der Buddha Mitgefühl für sie aufbringt und sich bewogen sieht, den wahren Weg, den er ihnen weist, vorerst zu ihrer Verfügung zu halten, das gute Beispiel, mit dem er ihnen vorangeht, vorläufig für sie dastehen zu lassen.
Genau diese Glaubhaftigkeit der Artgenossen allerdings ist für den Buddha das Problem. Glaubt er dem Bekunden der Artgenossen, so soll er seinen Abgang ins Nirwana aufschieben, soll er in seiner meditativen Grenzstellung zwischen dem Dasein, das Schein, und dem Nichts, das Sein ist, innehalten und verweilen, damit sie unterdes die nötige Kraft finden und sich hinlänglich sammeln können, um ihm auf dem einzig richtigen Weg, den er weist, nachzufolgen. Aber gibt er ihnen nicht bereits durch sein Beispiel die Kraft, die sie zur Nachfolge brauchen, vermittelt er ihnen nicht schon mit seiner meditativen Versenkung die Sammlung, deren sie zum Insichgehen bedürfen? Warum nutzen sie nicht einfach die Gunst der flüchtigen Stunde, den Kairos seiner vergänglichen Gegenwart, und folgen ihm nach? Auf welche – zur reduktiven Kraft, die er beispielhaft verkörpert, stark machende – prologische Kraft warten sie denn noch, auf welche – zur meditativen Sammlung, die er wegweisend praktiziert, bereit machende – propädeutische Sammlung spekulieren sie überhaupt? Und ist nicht, daß sie, statt der Kraft seines Beispieles nachzugeben und an seiner wegweisenden Sammlung kurzerhand teilzunehmen, ihn unter Berufung auf eine allererst zu findende Kraft zur Kraft, eine erst einmal zu gewinnende Sammlung zur Sammlung um einen Aufschub, eine Galgenfrist bitten, untrügliches Zeichen dafür, daß ihr Wunsch nach Vertagung jenes weltentscheidenden Ereignisses der Einkehr des Erleuchteten ins Nirwana nicht sowohl einer ernsthaften Nachfolgeabsicht als vielmehr einer veritablen Verzögerungstaktik entspringt und daß also die eigentliche Absicht, die sie mit ihrem Moratoriumsantrag verbinden, nicht dahin geht, sich dem Erleuchteten in seiner entscheidenden Daseinsverneinung möglichst rasch anzuschließen, sondern darin besteht, unter dem Vorwand der Anschlußbereitschaft den Erleuchteten möglichst lange von diesem allentscheidenden Verneinungsakt abzuhalten? Ist jene ominöse Kraft zur Kraft, die sie zu brauchen vorgeben, denn mehr als Chiffre ihrer Schwäche, im vollen Bewußtsein der Unwirklichkeit des Daseins dennoch an ihm zu hängen, und ihres aus solcher Schwäche geborenen Verlangens, den Offenbarungseid dieser Unwirklichkeit, den der Auszug des Erleuchteten bedeutete, möglichst lange hinauszuzögern? Ist jene mirakulöse Sammlung zur Sammlung, deren sie angeblich bedürfen, mehr als die Deckadresse dafür, daß sie von der Erscheinungswelt, wiewohl über ihre Scheinhaftigkeit völlig im Bilde, dennoch nicht lassen können und deshalb so lange wie möglich diesem Schein, dem Anschein von Sein, den die Gegenwart des Erleuchteten ihm verleiht, erhalten wollen? Und geht mithin der Buddha den Artgenossen nicht abermals auf den Leim, wenn er, ihre Verzögerungstaktik für echte Nachfolgeabsicht nehmend, innehält und ante portas des Nirwana ihnen zum Exempel verweilt? Fällt er nicht, wenn er ihnen die Zeit zum Kräftesammeln für einen Kraftakt einräumt, dessen gesammelte Kraft er ja bereits verkörpert und ihnen durch sein Beispiel zu geben bereitsteht, erneut auf sie herein – nicht zwar mehr im früheren aktiv-asketischen Sinne einer Ablenkung vom Geschäft der Daseinsverneinung und darin beschlossenen Verstrickung in die Daseinsverfallenheit der eigenen leiblich-seelischen Identität oder triebnatürlichen Person, wohl aber in der Bedeutung einer passiv-moratorischen Stillstellung des Daseinsverneinungsgeschäfts und damit bekundeten Bereitschaft, durch sein Verweilen der Daseinsverfallenheit der Artgenossen unter dem Vorwand, ihr als Wegweiser für ihre in Bälde zu erwartende Überwindung zu dienen, vielmehr ad infinitum einen Schein von Wirklichkeit zu erhalten?
Was den Buddha bewegt, sich im Dilemma zwischen Gehen und Bleiben für letzteres zu entscheiden, ist nicht ganz klar. Jedenfalls knüpft er sein Bleiben an die im Achtteiligen Pfad kodifizierte Bemühung, die Artgenossen die Kraft und die Sammlung für das zum Auszug aus der Welt geschickt machende meditative Insichgehen, nämlich Haltung im Doppelsinn von Zurückhaltung und Verhaltenheit, zu lehren. Obwohl der Buddha Proselyten macht, bleibt das Gros der Artgenossen noch an die Welt gebunden. Selbst wenn er der dezisionistischen Versuchung widersteht, sich irgendwann aus dem Staub zu machen, droht doch der Dezisionismus seines natürlichen Todes: Deshalb muß er seinen Jüngern abverlangen, das fortzusetzen, was er begonnen hat, und diese müssen es wiederum ihren Schülern abverlangen; mit jedem Mal wird das Gigantische, das heilsperspektivisch Ungeheure der Aufgabe deutlicher.
Dies also ist das politisch-strategische Dilemma, vor das sich der sein Heil in der Flucht ins Nirwana suchende Buddha durch die Bitte der Artgenossen, seine Flucht zu vertagen und sich als allgemeiner Fluchthelfer, als universaler Wegweiser für die artgenosssenschaftliche Heilssuche noch ein Weilchen zur Verfügung zu halten, gestellt sieht: ob er ihrer hochundheiligen Absichtserklärung trauen und ihnen glauben soll, daß sie den gewährten Aufschub nutzen wollen, um sich an ihm, dem Verweilenden, so rasch wie möglich das Beispiel für die eigene, qua meditative Daseinsverneinung ins Werk gesetzte Flucht ins Nirwana zu nehmen, oder ob er annehmen muß, daß sie unter dem Vorwand der Nachfolgeabsicht nur wieder seine Arretierung im Dasein betreiben, um dessen mit seinem Auszug besiegelte Disqualifizierung zu verhindern, und ob er deshalb, statt Mitgefühl zu beweisen und ihnen die gewünschte Hilfestellung zu leisten, vielmehr der Versuchung zu einer neuerlichen Einlassung in den Schein und illusorischen Anteilnahme zu trotzen und seine Weltflucht unbeirrt fortzusetzen Grund hat. Und in diesem Dilemma entscheidet sich nun der Buddha nach langen inneren Kämpfen für die erstere Version und beschließt, der artgenossenschaftlichen Bitte um Aufschub seines Fortgangs ins Nirwana zu willfahren. Was genau den Buddha dazu bringt, die Artgenossen beim Wort ihrer zweifelhaften Nachfolgebereitschaft zu nehmen, was eigentlich den Ausschlag für ihn gibt, sich im Sinne der wohlmeinenden Lesart vom artgenossenschaftlichen Sinnen und Trachten zu entscheiden, ist schwer und vielmehr unmöglich zu sagen. Mag sein, daß er sich für diese dem Prinzip des in dubio pro reo verpflichtete moralisch-juridische Lösung des politisch-strategischen Dilemmas deshalb entscheidet, weil er sich seiner Weltverneinungssache hinlänglich gewiß ist, um sie, ohne an ihr irre zu werden und die zu ihr erforderliche Determination beziehungsweise Konzentration einzubüßen, ein Weilchen auf sich beruhen oder vielmehr in actu ihres Vollzuges stehen lassen zu können. Mag aber auch umgekehrt sein, daß ein Hauch von Ungewißheit und Trennungsschmerz, der ihn beim Abschied von der Erscheinungswelt befallen will, ein leises Schaudern vor dem Nirwana, in das er einzugehen sich anschickt, ein Anflug von Kleinmut, ob das Nichts des Daseins, das seiner harrt, auch wirklich und wahrhaftig das wesenhafte Sein sei, auf das er baut – mag sein, daß ihn diese Anfechtung dem Prinzip des in dubio pro reo geneigt und bereit macht, vor der endgültigen Desertion ins Nichts den Artgenossen noch das gewünschte Beispiel zu geben.
Aber wenn auch der letzte Grund für seine mitfühlende Kooperationsbereitschaft, seine zwecks Orientierung der Artgenossen kontinuierte Anwesenheit unklar bleiben mag, klar ist jedenfalls die besondere Bedingung, unter der er mitmacht, die spezifische Form, in der er seine Orientierungshilfe leistet. Diese Bedingung und Form ist die Verkündigung der Lehre vom achtteiligen Pfad. Eben deshalb nämlich, weil der Buddha an der Ehrlichkeit der Absicht zweifeln muß, mit der die Artgenossen ihre Bitte um einen Aufschub seines Fortgangs ins Nirwana begründen, weil er dem geltend gemachten Desiderat eines präliminarischen Kraftschöpfens und einer vorbereitenden Sammlung, an das sie ihre Nachfolge knüpfen, keinen unmittelbaren Sinn und keine offensichtliche Wahrheit abzugewinnen vermag, kann er sich nun auch im Blick auf diese zweifelhafte Intention der Artgenossen nicht mit der Rolle des rein Abwartenden, geduldig Sich-zur-Verfügung-Haltenden, passiv Beispielgebenden begnügen. Vielmehr muß er bestrebt sein, im Rahmen des Beispiels, das er gibt, und im Zuge der Wegweiserfunktion, die er erfüllt, aktiv auf eine Klärung und Vereindeutigung der artgenossenschaftlichen Absicht hinzuwirken, um so seinen Entschluß, die Einkehr ins Nirwana aufzuschieben, bis über das Heil der Artgenossen entschieden ist, als moralisch gerechtfertigt zu erweisen. Und zwar wird der Buddha in der Weise tätig, daß er den Artgenossen, was er theoretisch-problematisch von ihnen annehmen möchte, praktisch-dogmatisch selber einzugeben sucht, daß er sich also der klassischen Technik einer für die eigene Erfüllung Sorge tragenden Erwartung bedient: Jenem von den Artgenossen als Voraussetzung für ihre Nachfolge geltend gemachten Kräftesammeln, das seine Skepsis erregt, verleiht er mittels Dogma eben die systematische Bedeutung und strategische Eindeutigkeit, die es von sich aus vermissen läßt. Das heißt, er lehrt sie jene den selbstreduktiven Kraftakt vorbereitende Kraftleistung, jene zur meditativen Sammlung bereit machende Sammlung, worauf sie sich zur Begründung ihrer Bitte um Aufschub zweifelhafterweise berufen, als in der Tat eine unabdingbare Voraussetzung für die Imitation seines beispielhaften Vorgehens, ein für die Nachfolge in der Weltflucht notwendiges Stück Wegs recht verstehen.
Jenem zweideutigen, sabotageverdächtigen Vornehmen der Artgenossen, angesichts des in meditativer Versenkung beispielgebenden Selbstseins des Buddha erst einmal ein für dieses Selbstsein präparierendes eigenes Selbstsein gewinnen zu wollen, vindiziert er, der Buddha, dadurch Eindeutigkeit und konstruktiven Sinn, daß er es als ein durch ihre personale Daseinsverfallenheit, ihre habituelle Zerstreuung an die Erscheinung erzwungenes Bemühen interpretiert, sich aus dem Dasein hinlänglich zurückzuziehen und zusammenzunehmen, gegenüber der Erscheinungswelt genug Distanz und Selbständigkeit zu gewinnen, um überhaupt als ein für das Weltfluchtunternehmen reklamierbares Etwas in Betracht zu kommen, als eine für das Nachfolgeansinnen des Buddha ansprechbare Instanz zur Verfügung zu stehen. Im Bemühen, das artgenossenschaftliche Verlangen nach einem Aufschub der weltentscheidenden Verneinung allen Verdachts einer daseinssüchtigen Hinhaltetechnik oder weltfluchtdurchkreuzenden Verzögerungstaktik zu überheben und ihm eben die eindeutige Heilsorientierung nachzuweisen, die es vielleicht unmittelbar gar nicht hat, lehrt der Buddha die Artgenossen, das zur Begründung ihres Verlangens von ihnen als Erfordernis geltend gemachte Kräftesammeln für die Nachfolge als in der Tat eine nachfolgedienlich unabdingbare Vorstufe ins Auge zu fassen und nämlich als ein Propädeutikum anzusehen, das sie, die ins Dasein eingelassenen, an die Erscheinungen verlorenen Artgenossen, überhaupt erst in den Zustand eines vom Beispiel meditativen Insichgehens, das der Buddha ihnen gibt, ansprechbaren Subjekts versetzt und mit der Fasson eines dem Appell zum weltverneinenden Selbstverhältnis, mit dem der Buddha sie konfrontiert, zugänglichen Adressaten versieht. Statt ihnen bloß als kraft Gegenwart einleuchtendes Exempel passiv zu dienen und abwartend zur Verfügung zu stehen, verwandelt sich also der Buddha, um ihrem verschleppungsverdächtigen Zögern eine weltfluchtkonforme Auslegung oder vielmehr Ausrichtung zu geben, in ein im Wortsinn redendes Beispiel und lehrt die Artgenossen, dies Zögern als in Wahrheit ein Streben, als Streben nämlich nach einem für die finale Abwendung von den Erscheinungen die Voraussetzung schaffenden epochalen Rücktritt von ihnen, nach einer für die meditative Verneinung das Daseins den Grund legenden definitiven Distanzierung von ihm recht begreifen. Weil die Artgenossen in ihrer triebnatürlichen Unmittelbarkeit so völlig ins Dasein versunken, so ganz und gar an die Erscheinungswelt verloren sind, müssen sie nach dieser vom Buddha lancierten Interpretation ihres Verhaltens erst einmal hinlänglich Abstand vom Dasein gewinnen und genügend Reserve gegenüber der Erscheinungswelt entwickeln, um überhaupt die als Reflexionsort unabdingbare Voraussetzung für die kraft meditativen Insichgehens zu vollbringende Daseinsverneinung schaffen und mithin eine qua Selbstverhältnis zureichende Basis für die geforderte imitatio der im Modus der Selbstreduktion sich vollziehenden Weltflucht des Buddha zu bieten.
Und der Schaffung dieser im relativen Abstand vom Dasein bestehenden Voraussetzung für die meditative Abkehr vom Dasein, der Bildung dieser aus dem reflexiven Rückzug von den Erscheinungen sich ergebenden Basis für die reduktive Verflüchtigung der Erscheinungen – ihr dienen nun also die dogmatisch-propädeutischen Bemühungen, mit denen der Buddha die Zeit seines eigentlich bloß um des demonstrativ-überzeugenden Beispiels willen prolongierten Aufenthalts diskursiv-überredend ausfüllt. Um sie aus ihrer Verzettelung in die Verrichtungen des Daseins, ihrer Verlorenheit an die Bewandtnisse der Erscheinungswelt so weit immerhin herauszuführen, daß sie ein als initiale Voraussetzung für den meditativen Kraftakt der Daseinsverneinung vorgestelltes selbstbezügliches Kraftfeld zu bilden, eine als intentionale Basis für die reduktive Sammlung ins Nichts annehmbare sichselbstgleiche Konzentration zu beweisen vermögen – um ihnen also überhaupt zur Statur eines das Zusichkommen und Insichgehen als solches bestimmenden integralen Bezugsrahmens zu verhelfen, kurz, die Fasson eines für das Unternehmen Weltflucht ein- und geradestehenden formalen Reflexivs zu verleihen, lehrt der Buddha die Artgenossen, sich gegen das Dasein zu verwahren, sich gegenüber der Erscheinungswelt zu verhalten, lehrt er sie Haltung im epochalen Doppelsinn einer qua Zurückhaltung und Verhaltenheit zum Dasein gewonnenen Distanz und eines qua Innehalten und Ansichhalten zu sich unterhaltenen Verhältnisses. In der erklärten Absicht, die Artgenossen auf die Negation des Daseins, die Absage an die Welt vorzubereiten, lehrt der Buddha sie, ihre daseinsunmittelbare Position so weit zu räumen, ihr Engagement und Verlöbnis mit der Welt so weit zu lösen, daß ihr dadurch erreichtes Detachement und ihre dadurch gewonnene Reserve ausreichen, sie eines Selbstbezugs zu überführen, der ihnen im qualitativen Unterschied zur vorherigen Daseinsbeziehung eine im Sinne der Daseinsverneinung wirksame Entscheidungskraft ermöglicht, sie einer Selbstbeherrschung zu versichern, die ihnen in spezifischer Differenz zur bis dahin gewohnten Welthörigkeit eine in Richtung Weltflucht weisende Handlungsfähigkeit eröffnet.
Dadurch also, daß er in eigener dogmatischer Regie und Verantwortlichkeit die Position oder vielmehr Sukzession einer zur Daseinsverneinung präliminarischen reflexiven Distanzierung vom Dasein, eines für die Weltflucht propädeutischen selbstzentrierten Rückzugs von der Welt ins Spiel bringt, vindiziert der Buddha dem artgenossenschaftlichen Zögern und Abwarten vor der Nachfolge einen nachfolgeverträglichen, wo nicht gar nachfolgedienlichen Sinn und eröffnet dem kompromittierend sabotageverdächtigen Verhalten der Artgenossen die Chance, sich als vielmehr grundlegend konstruktive oder bahnbrechende initiative Haltung herauszustellen. Und die solchermaßen das heilspraktische Beispiel mit der heilstechnischen Lehre verknüpfende Rechnung des Buddha scheint in der Tat aufzugehen, der Erfolg scheint ihm recht zu geben. Durch seine selbstbestimmende Lehre ebenso spezifisch zurechtgewiesen, wie durch sein weltentscheidendes Beispiel generisch herausgefordert, lassen sich etliche der Artgenossen tatsächlich bewegen, aus ihrer gegebenen Daseinsgebundenheit, ihrer gewohnten Welthörigkeit zu desertieren und mit dem qua reflexive Sammlung artikulierten Vorsatz einer Teilhabe an seinem in der meditativen Versenkung alles verschwinden lassenden Verneinungsgeschäft zu ihm überzulaufen. Vom Buddha in der Technik eines relativen Heraustretens aus dem Dasein oder reflexiven Abstandgewinnens von den Erscheinungen unterwiesen und in die Kunst der durch die relative Ungebundenheit oder reflexive Entlassung ermöglichten Haltung einer als Selbstbezug sich behauptenden Reserve, als Selbstverhältnis sich gerierenden Verhaltenheit eingeführt, nutzen sie die in solchem Selbstbezug oder Selbstverhältnis beschlossene Neuorientierungschance oder Entscheidungsfreiheit, um sich ihrem Lehrmeister anzuschließen und sich, in seinen Fußstapfen wandelnd oder an seiner Seite die meditative Versenkung übend, für die Mitwirkung am aufgeschobenen Schlußakt der daseinsverneinenden Einkehr ins Nirwana bereit zu machen und bereit zu halten.
Mögen es aber auch etliche sein, die sich dem Buddha, durch seine Lehre angeleitet, beigesellen und ihm, durch sein Beispiel erleuchtet, nachfolgen – keineswegs sind es schon alle, ja, nicht einmal eigentlich viele, die sich also entscheiden. Das Gros oder, genauer gesagt, die überwältigende Mehrzahl der Artgenossen zögert vielmehr noch immer, verharrt, von der wahnhaften Bindung ans Dasein ebenso materialiter okkupiert, wie von der wesenhaften Weltflucht des Buddha formaliter fasziniert, nach wie vor in ihrer des Spiels auf Zeit oder der Sabotage verdächtigen abwartenden Stellung und erklärt in derselben Weise, wie sie zuvor die Nachfolge selbst als vorerst über ihre Kräfte gehend und ihre Konzentrationsfähigkeit überfordernd deklariert hat, nun auch die als der achtteilige Pfad bestimmte dogmatische Leiter, die der Buddha ihr zwecks Vorbereitung auf die Aufgabe der Nachfolge reicht, für vorläufig zu hoch oder zu schwer zu erklimmen. Wie soll der Buddha es mit diesem Gros der Zögerlichen halten? Soll er sich weiter um sie bemühen, ihnen weiterhin den Lehrpfad weisen, oder soll er sie aufgeben, sie ihrer als Daseinsverfallenheit ausgemachten Scheinexistenz überlassen und sich mit den glücklich Bekehrten, mit dem Kreis seiner Schüler, ein für allemal aus dem Staub und auf den Weg der Weltflucht, die Reise ins Nirwana machen? Sind aber eben die Konvertierten, die neugewonnenen Schüler, mit denen der Buddha sich aus dem Staub zu machen erwägt, nicht vielmehr ein moralischer Ansporn und Appell, die Stellung zu halten und die Bekehrungsarbeit fortzusetzen? Ist nicht die Existenz der Schüler selbst, dies, daß immer wieder einer die Leiter erklimmt, die der Buddha reicht, und sich dem Kreis um ihn beigesellt, Beweis dafür, daß sich das Ausharren, das vom dogmatischen Wirken begleitete exemplarische Dableiben lohnt? Plötzlich zu erklären, daß des Wartens genug, das Maß voll, der Kreis geschlossen sei, und mit der Schar der Geretteten das Weite zu suchen, wäre das nicht blanker, durch nichts in der Sache begründeter und mit Rücksicht auf einen Mangel an Mitgefühl schlechterdings amoralischer Dezisionismus?
Mag sich indes auch der Buddha durch solche Überlegungen zum Verweilen bewegen, zur fortgesetzten Präsenz bestimmen lassen – ewig ist seines Bleibens auf keinen Fall mehr. Begrenzt ist sein Aufenthalt, die Zeit seiner dogmatischen Wirksamkeit und exemplarischen Wirklichkeit, durch sein früher oder später zu erwartendes Ableben, seinen absehbaren natürlichen Tod. Und selbst wenn er die Fortsetzung seiner Weltflucht bis zu diesem letztmöglichen Zeitpunkt aufschiebt, den Einzug ins Nirwana regelrecht mit dem natürlichen Tod koinzidieren läßt – daß bis dahin die ganze Konversionsarbeit vollbracht und abgeschlossen ist, daß sämtliche Artgenossen die Lehre angenommen und das Propädeutikum für eine in meditativer Versenkung finale Daseinsverneinung absolviert haben, kann der Buddha schlechterdings nicht erwarten. Will er verhindern, daß seine eigene Sterblichkeit zum objektiv dezisionistischen Grund für den Abbruch der Bekehrungsarbeit und für die weltentscheidend endgültige Preisgabe der zufällig noch nicht bekehrten Artgenossen wird, muß er deshalb dafür Sorge tragen, daß die Lehre auch nach seinem mit der Einkehr ins Nirwana zusammenfallenden Tod weiterverkündet, die Missionsarbeit mit dem Ziel einer Errettung sämtlicher Artgenossen, einer Salvierung aller vorläufig noch dem Dasein Verfallenen fortgesetzt wird. Wer aber soll das missionarische Werk fortsetzen, wenn nicht die Konvertierten, die als seine zur Nachfolge bereiten Schüler der Buddha um sich versammelt hat? Statt sich dem Meister bei seinem Einzug ins Nichts anschließen zu dürfen, erhalten die Schüler von ihm den Auftrag, zurückzubleiben und zum Frommen der anderen jenes Lehramt weiter auszuüben, das bis dahin er zu ihrem eigenen Nutzen wahrgenommen hat. Statt nach ihrer Umkehr zusammen mit dem Buddha das Feld zu räumen und sich aus dem Schein des Daseins ins Sein des Nichts ebenso dezisionistisch wie endgültig abzusetzen, bleiben die Konvertierten zurück, um ihrerseits andere zur Umkehr zu bewegen und mit der vom Buddha begonnenen Evakuierung des Daseins, der von Mitgefühl oder welcher Regung auch immer diktierten rettungsdienstlichen Räumung des eigentlich bloß fluchtartig zu verlassenden brennenden Hauses fortzufahren. Auch aber diese erste Schülergeneration, die nach dem Weggang des Meisters die Verkündigung der Lehre fortführt, vermag das kraft Lehre betriebenen Bekehrungswerk beileibe nicht abzuschließen. Vielmehr wird sie in dem Maß, wie sie voll Eifer die Lehre verbreitet und in aller Welt Proselyten macht, überhaupt erst gewahr, welch gewaltige Dimension das begonnene Unternehmen hat, wie unabsehbar, um nicht zu sagen unabschließbar, die übernommene rettungsdienstliche Aufgabe angesichts der Vielzahl und Vielfalt von Artgenossen eigentlich ist. Um also nicht ihre vom Buddha übernommene Wirksamkeit abermals der Gefahr eines objektiv dezisionistischen Abbruchs durch das factum brutum des natürlichen Todes auszusetzen, müssen sie die gleichen Vorkehrungen wie der Buddha treffen und ihrerseits dafür Sorge tragen, daß die von ihnen Bekehrten, die Schüler zweiter Generation, das begonnene Missionswerk fortführen.
Das Schwergewicht der Lehrtätigkeit verschiebt sich von der den Weggang des einzelnen befördernden transportativen zu einer die Tradition der Lehrtätigkeit selbst sicherstellenden reproduktiven Funktion. Hauptzweck der gelehrten Haltung reflexiver Selbstbezüglichkeit wird die Aufrechterhaltung der universalen Heilsperspektive, während das damit zu gewinnende Heil des einzelnen sich auf ein Abfallprodukt reduziert. Aus der doktrinellen Funktion wird eine reguläre Institution. Mit dieser Verwandlung der als Heilsmittel fungierenden selbstbezüglichen Haltung aus einer individuell brauchbaren Vorrichtung in eine generell verfügbare Einrichtung und der damit einhergehenden Unterscheidung zwischen Mönchen und Laien kommt es zu einer Veränderung der Stellung aller Beteiligten. Die für die Erhaltung des Heilsmittels rekrutierten Mönche sind von seinem Gebrauch ein Leben lang abgehalten, die für die Erhaltung der Mönche zuständigen Laien sind davon für immer ausgeschlossen. Die Mönche können immerhin noch am Ende ihres Lebens das Heilsmittel nutzen; die Laien hingegen sind Opfer des Widerspruchs einer Heilsperspektive, die, um für die Zukunft verfügbar zu bleiben, von ihnen verlangt, daß sie hier und jetzt auf sie verzichten.
Damit aber gewinnt nun in der Tat die in der Nachfolge des Meisters geübte Lehrtätigkeit ein anderes Ansehen und kehrt zunehmend eine von ihrer unmittelbar produktiven Funktion oder transportativen Bedeutung abgelenkte und in die Sorge um die eigene Reproduktion oder Selbsterhaltung reflektierte Zielrichtung heraus. Indem mit jeder weiteren Generation von Verkündigern der Lehre die auf die Fortsetzung und Erhaltung des eigenen Tuns gemünzte Rücksicht der auf die Überführung und Erlösung des artgenossenschaftlichen Seins gerichteten Absicht sich erneut beigesellt oder vielmehr in die Quere kommt, gewinnt allmählich jene Rücksicht Vordringlichkeit und verwandelt sich als conditio sine qua non einer, aufs Ganze gesehen, unabsehbar fortzuführenden Bekehrungsarbeit, als schlechthinnige Existenzbedingung der als solche kontinuierten Erlösungsabsicht, in den wenn schon nicht revisorisch dirigierenden, so jedenfalls doch organisatorisch dominierenden Gesichtspunkt. Weil jedesmal, wenn Artgenossen kraft verkündigter Lehre sich bewegen lassen, zum Dasein auf Distanz zu gehen und eine zur Voraussetzung allen meditativen Insichgehens erklärte innere Reserve oder Haltung reflexiven Selbstbezugs auszubilden, sie erst einmal gehalten sind, diese kraft Lehre gewonnene Haltung mittels Lehre anderen nahezulegen, die ihrerseits ihre neue, lehrvermittelte Einstellung erst einmal zur Weitergabe der sie vermittelnden Lehre und also zur Rekrutierung kontinuitätssichernd weiterer Vermittler nutzen müssen – weil mithin die Bekehrten in erster Linie aufgerufen sind, ihren Beitrag zur Aufrechterhaltung der den Pfad zum Weg ins Nichts weisenden, zur Weltflucht bereit machenden Lehrinstituts als solchen zu leisten, und erst in zweiter Linie daran denken dürfen, ihre kraft Lehre angenommene Haltung tatsächlich nun auch als Ausgangsbasis für jenen Weg ins Nichts zu nutzen, für den sie sie eigentlich ja gewonnen haben – weil das sich so verhält, bildet diese Haltung reflexiver Selbstbezüglichkeit allmählich einen ganz neuen Sinn aus und erringt als gleichermaßen Repräsentant und Garant einer potentiell allgemeinen Rettungsaktion eine innere Statur und eigene Zweckhaftigkeit, die über den jeweils besonderen, aktuellen Erlösungsanspruch, der sich mit ihr verknüpft, weit hinausgeht und in der Tat geeignet ist, die Einlösung dieses besonderen Anspruchs zu einem Abfallprodukt, um nicht zu sagen einer Nebenerscheinung, der Aufrechterhaltung der in der reflexiven Haltung implizierten allgemeinen Zielsetzung zu degradieren.
So wahr sich das von Mitgefühl bestimmte Verlangen des Buddha, die Artgenossen zu einer als Voraussetzung für ihre Teilnahme am Weltfluchtunternehmen dogmatisch supponierten selbstbezüglichen Haltung zu bekehren, unter der Hand der zu dieser Haltung bekehrten und in sie eingeführten Schüler mehr und mehr in das von Verantwortungsgefühl gegenüber dem Meister und seinem Auftrag getragene Bestreben verkehrt, im Interesse einer ad infinitum der ganzen Artgenossenschaft fortzuführenden Lehrtätigkeit und Missionsarbeit für die Weitergabe und Aufrechterhaltung der Haltung als solcher zu sorgen und sie erst dann, wenn diese generelle Kontinuität gesichert ist, als das individuelle Sprungbrett ins Nichts zu nutzen, das nach getanem Dienst mitsamt dem Dasein, über das es erhebt, zurückbleibt und verschwindet – so wahr also dieser Perspektivenwechsel zwischen Meister und Schülern statthat, demzufolge die Leiter, die er ihnen reicht, das Sprungbrett, das er ihnen bietet, von ihnen nicht einfach nur als zum individuellen Zweck brauchbares Mittel genommen werden darf, sondern ebensowohl als für die generelle Zielsetzung unentbehrliches Medium behandelt werden muß, so wahr verwandelt sich die lehrweise mitgeteilte selbstbezügliche Haltung aus einer organologischen Vorrichtung zur Umorientierung der Artgenossen zwecks Teilnahme an der Weltflucht in eine organisatorische Einrichtung zur mittels Umorientierung von Artgenossen bezweckten Beibehaltung der organologischen Vorrichtung selbst – kurz, aus der doktrinellen Funktion wird eine reguläre Institution.
Als eine Funktion, die aufgrund des vom Buddha seinen Schülern erteilten weltweiten Missionsauftrags aufhört, bloße Jakobsleiter für den Ausstieg einzelner zu sein, um sich zur Scala sancta einer universalen Erlösungsprozession zu mausern, und in deren Erhaltung und Ausbildung zwecks Erfüllung jenes Missionsauftrags fortan nicht weniger, wo nicht sogar mehr Energie fließt als in ihre Verwendung und Ausübung, wird die selbstbezügliche Haltung zur Institution, die Vorrichtung zur Einrichtung – in dem prägnanten Sinn eines zweckdienlichen Mittels, das, über alles partielle Funktionieren hinaus, in Abwesenheit der Totalität des Zwecks, dem es dient, zugleich als dessen Repräsentant sich vorstellt, kurz, selber Zweckcharakter annimmt. Indem so aber der dogmatisch weitergegebene Selbstbezug fundamental den Charakter ändert und sich aus einem den einzelnen zum Heil zu verhelfen gedachten, vom Buddha improvisierten Instrument in eine im Auftrag des Buddha von den einzelnen, den Schülern, organisierte und die Erlösung aller sicherzustellen bestimmte Institution verwandelt, verändert sich auch und in geradezu paradoxer Weise die faktische Stellung aller gegenüber diesem, ihnen den Heilsweg offenhaltenden, organisierten Selbstbezug, ihre praktische Rolle in bezug auf diese, universale Erlösung verheißende, institutionalisiert reflexive Haltung. So gewiß nämlich sie alle, die Artgenossen in ihrer Gesamtheit, es sind, denen die Überführung des Selbstbezugs aus einer individuell brauchbaren Vorrichtung in eine generell verfügbare Einrichtung inskünftig dienen und zugute kommen soll und die also letztlich als Adressat und Nutznießer jener Institutionalisierung der vom Buddha gelehrten reflexiven Haltung gelten müssen, so gewiß sind sie es nun aber auch, die Gesamtheit der Artgenossen, die sich unmittelbar in eine dienstbare oder trägerschaftliche Stellung zu jener selbsterhaltenden Einrichtung versetzt finden und die im Blick auf deren Selbsterhaltung hier und jetzt die Rolle einer bloßen Subsistenzgrundlage, um nicht zu sagen eines schieren Ausbeutungsobjekts, zugewiesen bekommen.
Wenn die Bekehrten, statt ihre kraft Lehre angenommene reflexive Haltung als Sprungbrett für die meditative Einkehr ins Nichts zu nutzen, sie vielmehr erst einmal durch eigene Lehrtätigkeit zu tradieren und an ihresgleichen weiterzugeben bemüht sind, und wenn sie das in erster Linie nicht etwa tun, um Anwärter für den anzutretenden Weg ins Nichts zu gewinnen, sondern um Lehrer für die Einführung in die Anwartschaft zu rekrutieren, die ihrerseits ihre primäre Aufgabe in der Rekrutierung weiterer Lehrer zu dem gleichen Behufe sehen, dann mag das zwar in letzter Instanz auf die Erlösung der Artgenossen in ihrer Gesamtheit abzielen, aber erst einmal und bis auf unabsehbar weiteres verschlägt es der Gesamtheit der Artgenossen im Gegenteil allen Erlösungsprospekt, indem es sie als Rüstkammer für die Instandhaltung des Erlösungswerkzeugs als solchen zwangsverpflichtet, als technisch-praktisches Unterpfand für die Aufrechterhaltung des Heilsmittels selbst mit Beschlag belegt. Sie, denen potentia oder in der Totalperspektive ihrer generischen Missionierung die Einrichtung und Befestigung, die Instauration und Tradition jenes in der reflexiven Haltung bestehenden Heilsmittels zugute kommen und den Weg ins Nirwana offenhalten soll, sehen sich in paradoxer Gegensinnigkeit actu oder in die Länge und Breite ihrer empirischen Rekrutierung in den Dienst solcher Ein- und Fortsetzung des Heilsmittels gestellt und damit in der Tat von der zweckmäßigen Verwendung des letzteren und also von der Wahrnehmung des Heils, zu dem es an sich bloß Mittel sein soll, nicht allein – was die einzelnen Rekruten angeht – ein Leben lang abgehalten, sondern mehr noch – was die Gesamtheit betrifft, aus der die einzelnen rekrutiert werden – für immer ausgeschlossen.
Nicht nämlich nur, daß die für die reflexive Haltung, die das Heilsmittel ist, lehrweise rekrutierten einzelnen von dem Heilsmittel als solchem nicht einfach Gebrauch machen dürfen, es vielmehr als den Zweck weiterer lehrweise vorzunehmender Rekrutierungen gelten lassen müssen, daß sie es also, statt mit seiner Hilfe gegenwärtiges Heil wahrzunehmen, vielmehr als das Unterpfand künftigen Heils hegen und pflegen müssen, daß sie, kurz, durch die ihnen aufgetragene Sorge ums Mittel bis an ihr Lebensende von eben dem Zweck abgehalten werden, den es eigentlich erfüllen soll; darüber hinaus und schlimmer noch finden sich die vielen, die Artgenossen im allgemeinen, zur personellen Operations- und materiellen Subsistenzbasis für jenes auf das Mittel als Zweck gerichtete Rekrutierungs- und Konservierungsgeschäft degradiert und eben deshalb von dem Zweck, dem das Heilsmittel eigentlich dienen, dem Heil, das es an sich vermitteln soll, systematisch ausgeschlossen. Indem die einzelnen in erster Linie nicht mehr für das Heilsmittel gewonnen werden, um sich als ein erlöster Teil der Gesamtheit der Artgenossen mit dem Heil versorgen zu lassen, sondern um vielmehr als erwähltes Kontingent der Artgenossenschaft für die Aufrechterhaltung des Heilsmittels selbst zwecks späterer Erlösung der Gesamtheit der Artgenossen zu sorgen, reduziert diese Inanspruchnahme der einzelnen in der Rolle von Konservatoren des Heilsmittels und Kuratoren seiner Bekräftigung und Tradierung die übrigen Artgenossen, die vielen, auf eine Dienstgenossenschaft und Zuliefererfunktion, bei der sie ihre Bestimmung darin erschöpfen, ebensowohl als personelles Reservoir für die Rekrutierung der mit der Erhaltung des Heilsmittels betrauten einzelnen zur Verfügung zu stehen, wie dann auch als materielle Basis für den Unterhalt der mit der Erhaltung des Heilsmittels betrauten Rekruten da zu sein. So wahr die einzelnen für jene dogmatisch tradierte selbstbezügliche Haltung, die das Heilsmittel ist, nicht primär rekrutiert werden, um sich durch sie der meditativ erlösenden Fluchtlinie in das Nichts, das Sein ist, überführen zu lassen, sondern um im Interesse ihrer Erhaltung zwecks künftiger Verwendung weitere einzelne als Rekruten für sie zu werben, so wahr finden sich die vielen auf die passive Funktion beschränkt, den personellen Nachschub für die Tradierung jenes kraft des replikativen Tuns der einzelnen als ein Zweck sui generis institutionalisierten Heilsmittels zu stellen. Und so gewiß das in praxi bedeutet, daß die aus der Schar der vielen jeweils geworbenen einzelnen, statt sich stante pede aus dem Staub zu machen, vielmehr als reguläres Rekrutierungsbüro inmitten der letzteren Stellung beziehen, um aus ihr lehrweise neue Rekruten, neue Verkünder des Heilsmittels, auszulesen, so gewiß sehen sich die vielen über ihre personelle Nachschubfunktion hinaus nun auch noch mit der dienenden Aufgabe betraut, die materielle Versorgung der um der Tradierung des Heilsmittels willen in ständiger, generationsweiser Replikation begriffenen einzelnen zu gewährleisten.
Wie sollten wohl die vielen, die sich dergestalt durch die praktischen Erfordernisse einer institutionellen Reproduktion der selbstbezüglichen Haltung auf das Heilsmittel als Zweck bezogen und vereidigt finden, das letztere noch als Mittel, als ihnen zugängliche Vermittlungsinstanz irgend festhalten können? Wie sollten sie, die für solch institutionelle Reproduktion gleichermaßen die personelle Nachschublinie abgeben und als materielle Versorgungsbasis herhalten müssen, wohl umhin können, die selbstbezügliche Haltung in der Bedeutung eines aller reziproken Verpflichtung ihnen gegenüber entrückten, aller Dienstbarkeit mit Rücksicht auf sie überhobenen unerreichbaren höchsten Wertes, eben in der Unvermitteltheit eines absoluten Zweckes wahrzunehmen? In diesem Punkt unterscheiden sich die vielen von den einzelnen, die sich zwar als Betreiber und Sachwalter des die selbstbezügliche Haltung tradierenden Lehrinstituts ebenfalls an einer unmittelbaren Nutzung des in jener Haltung bestehenden Heilsmittels gehindert und vielmehr umgekehrt auf eine Vermittlertätigkeit zum Nutzen des letzteren vereidigt sehen, denen es aber doch immerhin freisteht, zum Abschluß ihres aktiven Dienstes das ein Leben lang zum Zweck gemachte Mittel zu refunktionalisieren und nämlich die selbstbezügliche Haltung, die sie bis dahin als ein allgemeines Anliegen gepflegt und weitergegeben haben, endlich doch noch in den Dienst des eigenen Heils und Fortkommens zu stellen. Während also jene, die das Lehrinstitut betreibenden Schüler des Meisters, die sich zur Ordensgemeinschaft rekrutierenden einzelnen, die selbstbezügliche Haltung zu guter Letzt doch noch als das Mittel, das sie eigentlich ist, nutzbar zu machen vermögen, verlieren die vielen sie als dies Mittel ganz und gar aus dem Auge und sehen sich von ihr als einem vielmehr substantiellen Zweck des Lebens gleichermaßen funktionell abgeschnitten und existentiell auf den Fleck eines dienstbaren Daseins gebannt. Sie, die vielen, müssen in ihrem Laienstand ausharren und dürfen nicht im Traum daran denken, in einer levée en masse ihren Standort zugunsten der selbstbezüglichen Haltung zu räumen, da ja die Institution der einzelnen, die Ordensgemeinschaft, zur Rekrutierung ihres personellen Nachschubs oder Auffüllung ihrer Reihen darauf angewiesen ist, daß es diesen Laienstand gibt. Und sie, die vielen, müssen unverdrossen ihren weltlichen Berufen und irdischen Obliegenheiten nachgehen und dürfen partout nicht generell danach streben, ihren weltlichen Beruf um einer Berufung zur Weltflucht willen an den Nagel zu hängen, da ja die Ordensgemeinschaft, die Verwalterin des Heilsmittels, für ihren Fortbestand davon abhängig ist, daß der Laienstand ihre materielle Versorgung sichert und ihr mit seiner Hände Arbeit das tägliche Brot sichert oder die Reisschale füllt.
Mit der dergestalt entwickelten Differenz zwischen Mönchswesen und Laienstand, zwischen den zwecks Erhaltung des Heilsmittels sich zur Ordensgemeinschaft organisierenden einzelnen und den zwecks Erhaltung der einzelnen im weltlichen Dasein arretierten vielen, liegt in der Tat nun der fundamentale Widerspruch zwischen dem theoretischen Sinn der dogmatisch-traditiven Institutionalisierung des Heilsmittels und ihrem praktischen Effekt klar zutage. Theoretisch bestimmt, den vielen den Zugang zum Heil offenzuhalten, wird die Institutionalisierung des Heilsmittels vielmehr zum praktischen Ausschließungsgrund für die vielen. Mit dem Versprechen, ihnen für alle Zukunft jene achtteilig reflexive Einstellung zur Verfügung zu halten, die nach Buddhas Lehre als Mittel zum in der Weltflucht zu suchenden Heil firmiert, versetzt diese Institutionalisierung die vielen in eine sie als Laienstand definierende dienstbare Stellung gegenüber den mönchischen einzelnen, die ihnen hier und jetzt die Verfügung über das Heilsmittel ebenso unwiderruflich wie systematisch entrückt. Von der in der Gemeinschaft der einzelnen verkörperten Hoffnung auf ein in Zukunft mögliches Heil verführt, läßt sich die Gesellschaft der vielen als Erzeugerin des Nachwuchses und Beschafferin der Subsistenzmittel für den Mönchsorden in die Pflicht nehmen und geht nach Maßgabe ihrer hiernach laizistischen Präokkupation mit weltlichen Geschäften jeder Aussicht auf ein in der Gegenwart realisierbares Heil verlustig. Im paradoxen, um nicht zu sagen absurden Handel bringen, kurz, die vielen ihrer in der instutitionellen Erhaltung des Heilsmittels gewahrten Hoffnung auf mögliches Heil alle in der funktionellen Verwendung des Heilsmittels bestehende wirkliche Aussicht darauf zum Opfer.
Während die Laien mit dem Widerspruch eines Wirkens fürs Heilsmittel, das vom Heil ausschließt, ganz gut leben könnten, nimmt ein Teil der Mönche Anstoß an dem Widerspruch und gibt die universale Heilsperspektive auf, konzentriert sich aufs individuelle, eigene Heil. Aber insofern diese Vertreter des kleinen Gefährts gleichzeitig am Lehrinstitut festhalten, machen sie sich eines neuen Widerspruchs schuldig, der sie entweder des kompromißlerischen Elitedenkens oder des institutionellen Zynismus' überführt. Die Laien lassen folgerichtig das kleine Gefährt im Stich, das sich in Rückzugsgebiete abgedrängt und auf die Funktion eines kulturellen oder ethnischen Identifikationsmittels reduziert findet.
Diese subjektlogisch-biographisch gesehen, absurde Konsequenz der ordensmäßigen Institutionalisierung des Heilsmittels, daß die Laien zukünftiges Heil mit einer heillosen Gegenwart bezahlen müssen, so, als gebe es für sie eine von ihrer Gegenwart ablösbare Zukunft, als sei im Opfer der Gegenwart nicht das der Zukunft für sie miteingeschlossen – diese offensichtlich widersinnige Konsequenz kann den die Institution tragenden einzelnen, den Mönchen, nicht gleichgültig sein. Zwar, die Laien selbst läßt der Widersinn eher kalt oder kommt ihnen sogar zupaß, da er ihnen eben das zu tun erlaubt, was sie möchten: ihnen nämlich gestattet, an ihren irdischen Gewohnheiten festzuhalten und in ihren weltlichen Geschäften fortzufahren. Sie, die bei aller systematisch-grundsätzlichen Anerkennung ihrer Heilsbedürftigkeit sich empirisch-persönlich zum Empfang des Heils noch nicht recht bereit fühlen und die, ehe sie der Notwendigkeit ihrer daseinsverneinenden Erlösung von der Welt des Scheins stattgeben, lieber noch ein bißchen in der Erscheinungswelt verweilen und mit ihr Umgang pflegen möchten – sie also finden jene Umorientierung der Heilsperspektive, die ihnen im Namen künftigen Heils das Fortfahren in den heillos gewohnten Gegenwartsbahnen und Festhalten an den perspektivlos vertrauten Weltläuften nicht nur einräumt, sondern mehr noch zur heiligen Pflicht der Wahrung eben des künftigen Heils macht, ohne weiteres annehmbar. Was kann ihnen Besseres widerfahren als diese neue, kraft Institutionalisierung des Heilsmittels durchgesetzte, universale Sicht aufs Heil, die ihre von Daseinshörigkeit geprägte Zögerlichkeit, sich bekehren zu lassen, und Unbereitschaft, der Lehre Buddhas augenblicklich Folge zu leisten, nicht etwa bloß entschuldigt oder exkulpiert, sondern mehr noch rechtfertigt und sanktioniert, indem sie die Zögernden als im Dienste der Institution des Heilsmittels stehend erweist und ihrem ebenso widersetzlichen wie eitlen Festhalten an der Welt den guten Sinn eines ebenso unentbehrlichen wie indirekten Beitrags zur Wahrung jener universalen Heilsperspektive verleiht?
Daß solche Rechtfertigung und Bekräftigung des weltlichen Tuns der Laien als wesentlichen Beitrags zum personellen Bestand und zur subsistentiellen Erhaltung der Heilsmittelinstitution und der in ihr gewahrten Perspektive eine eklatante contradictio in adjectum des Heils insofern darstellt, als damit den Laien praesenti casu oder in ihrer empirischen Wirklichkeit eben der Zugang zum Heil definitiv versperrt wird, der ihnen futuri causa oder der systematischen Möglichkeit nach gerade offengehalten werden soll – dieser innere Widerspruch braucht sie, die Laien, so lange nicht zu kümmern, wie die Experten des Heils, die in der Ordensgemeinschaft assoziierten einzelnen, keinen Anstoß an ihm nehmen und vielmehr das eine, den weltlichen Dienst am Heilsmittel, mit dem anderen, der im Heilsmittel gewahrten weltflüchtigen Perspektive, als ebenso sinnvoll wie notwendig verknüpft behaupten. Genau diese den fundamentalen Widerspruch in der Institutionalisierung des Heilsmittels dementierende Unbedenklichkeitsbescheinigung und Garantieerklärung fällt indes den als Orden organisierten einzelnen, den mönchischen Heilsmittelverwaltern, zunehmend schwerer: In dem Maß, wie um der Tradierung des Heilsmittels und der Erhaltung der darin gewahrten universalen Perspektive willen eine Mönchsgeneration nach der anderen eine Laiengeneration nach der anderen als personellen Steinbruch in Anspruch und als subsistentielle Milchkuh in Dienst nimmt, stößt den Mönchen der Widerspruch zwischen theoretischem Vorhaben und praktischem Verhalten, zwischen dem generellen Missionsauftrag und dessen spezifischen Konsequenzen, der besagte Widerspruch nämlich zwischen einerseits der Erhebung der vielen zum potentiellen Objekt einer universalen Heilsperspektive und andererseits ihrer heillosen Degradierung zum Laienstand, das heißt, ihrer aktuellen Aufopferung im Dienste der Erhaltung eben jener universalen Perspektive – stößt ihnen also diese contradictio in adjectum ihres Tuns als eine immer anstößigere Ungereimtheit, ein immer unverdaulicheres Skandalon auf und macht es ihnen immer unmöglicher, mit dem erforderlichen Brustton der Überzeugung den Laien die Institutionalisierung des Heilsmittels als eine wie hier und jetzt auf ihre Kosten, so zu guter Letzt aber doch zu ihren Gunsten verfolgte Heilsstrategie zu verkaufen.
Was Wunder, daß sich unter diesen Umständen Teile der Ordensgemeinschaft entschließen, die universale Heilsperspektive überhaupt aufzugeben und ihre um die selbstbezügliche Haltung kreisenden Bemühungen fern jeder weiterreichenden Absicht auf den Zweck eines ganz und gar partikularen Heils, einer Rettung strikt nur des eigenen Selbst zu beschränken? Was Wunder, daß, um der falschen Indienstnahme der vielen durch die Institution des im reflexiven Selbstbezug bestehenden Heilsmittels, ihrer sie von aller wirklichen Verwendung des Heilsmittels ausschließenden Rekrutierung für dessen förmliche Erhaltung einen Riegel vorzuschieben, Teile der Ordensgemeinschaft beschließen, den reflexiven Selbstbezug partout nicht mehr als einen Zweck sui generis, will heißen, um der in ihm gewahrten allgemeinen Heilsperspektive willen, zu tradieren, sondern einzig und allein noch als ein Mittel zu lehren, das es dem jeweils Belehrten ermöglichen soll, ohne Rücksicht auf Verluste, ganz zu schweigen von der Rücksicht auf den Gewinn des universalen Heils, die Beine in die Hand zu nehmen und das Weite zu suchen oder, dem wesentlich kontemplativen Charakter der Aktion entsprechender ausgedrückt, die große Leere zu schauen und in sie einzugehen? Was Wunder, daß diese Mönchsgruppen den Entschluß fassen, das große Gefährt der als ordensgemeinschaftliches Lehrinstitut perennierenden allgemeinen Erlösungsaussicht stehen und im Stich zu lassen und nach dem Motto des Rette-sich-wer-kann auf den kleinen Karren der eigenen Belehrtheit umzusteigen, um sich mit seiner Hilfe davonzustehlen und aus dem Staub zu machen? Was Wunder, daß sie – um ein späteren Traditionen gemäßeres Bild zu wählen und den Feuersbrand, dem man flüchtend entrinnt, durch die Wasserflut, die man schwimmend übersteht, zu ersetzen – ihren Nachwuchs, ihre Schüler lehren, die um den Preis ganzer Völker den Weg ans sichere Ufer steuernde Arche zu verlassen und gegen ein nur den einen Mann fassendes und ausschließlich von dessen eigener Kraft bewegtes Rettungsboot zu vertauschen?
Damit allerdings, daß sie ihren Verzicht auf die universale Heilsperspektive und ihre Option fürs Rette-sich-wer-kann nicht schlicht und einfach in die Tat umsetzen, sondern zuvor wiederum zum Gegenstand einer Lehrtätigkeit machen, begehen diese Gruppen eine manifeste Ungereimtheit, um nicht zu sagen einen heillosen Widerspruch. Indem sie aus ihrer Einsicht in die kontradiktorischen praktischen Konsequenzen der am Heilsmittel als selbstreproduktiver Dauereinrichtung festgemachten universalen Heilsperspektive die Konsequenz bloß einer veränderten Lehre, nicht dagegen einer anderen Praxis ziehen, geben sie sich zwar als gute Schüler des Meisters, als getreue Verweser des von ihm erteilten Missionsauftrags zu erkennen, aber sie setzen die Mission tatsächlich nur noch um den Preis sei's eines faul elitären Kompromisses, sei's eines offen institutionellen Zynismus fort. Sie lehren das kleine Gefährt, das Rettungsboot, lehren mit anderen Worten die Sinnlosigkeit aller Sorge ums Heil anderer, geschweige denn der Welt, und die Vordringlichkeit oder vielmehr absolute Verbindlichkeit des Strebens nach dem privaten Heil, mithin der Verwendung des im reflexiven Selbstbezug bestehenden Heilsmittels pro domo der anzutretenden eigenen Weltflucht. Sie lehren Selbstbeschränkung und mitleidslose Gleichgültigkeit gegen die anderen – aber sie lehren dies beides und beweisen damit ein Interesse an den anderen, das sich mit dem, was sie lehren, partout nicht verträgt. Sie lehren einen Inhalt, den die Tatsache, daß sie ihn lehren, Lügen straft.
Für diesen Widerspruch gibt es zwei mögliche praktische Erklärungen. Entweder es ist ihnen mit dem, was sie lehren, nicht so ganz ernst: Sie wollen zwar nicht mehr das große Gefährt, das kraft institutioneller Lehrtradition in die Zukunft projizierte universale Heil; aber diejenigen, die sich durch die Lehreinrichtung hier und jetzt bekehren und zur selbstbezüglichen Haltung bewegen lassen, die möchten sie gerne noch mitnehmen, und weil die, kaum belehrt, ihrerseits das gleiche Bedürfnis verspüren, dauert die Lehre, obwohl sie ihren Inhalt eigentlich Lügen straft, fort. Oder es ist ihnen wirklich ernst mit dem, was sie lehren: Dann ist die Tatsache der Lehre, die Lehre selbst als ein Tun, Ausdruck der Insistenz der bestehenden Einrichtung, die sich ohne Rücksicht auf den anderen, sie als Institution ad absurdum führenden Lehrinhalt kontinuiert. Das heißt, sie ist das Wirken einer Ordensgemeinschaft, die nur deshalb, weil es sie gibt und weil ihre Funktion die Tradierung des als reflexiver Selbstbezug bestimmten Heilsmittels ist, die Weitergabe des Heilsmittels unverdrossen fortsetzt, obwohl letzteres jede, seine Tradierung rechtfertigende, öffentliche Bedeutung und universale Relevanz eingebüßt hat und sich eben in seiner Weitergabe als ein dieser spottendes, gemeinschaftsfeindliches mönchisches Privatissimum und anachoretisches Selbsthilfemittel behauptet. Kurz, sie ist dann Ausdruck des nackten Überlebenswillens der einmal ins Werk gesetzten Institution als solcher und insofern blanker institutioneller Zynismus.
Aber gleichgültig, welche der beiden Erklärungen für das inkonsequente Verhalten der ihren geistlichen Dienst am weltlich dienstbaren Laien als ein ebenso trügerisches wie widersprüchliches Beginnen aufkündigenden Heilsmittelverwalter zutreffen mag, ob es also kompromißlerisches Elitedenken oder institutioneller Zynismus ist, was sie trotz aller im Lehrinhalt vollzogenen Abkehr von der universalen Heilsperspektive das große Rad der Lehre weiter in Gang halten läßt – im einen wie im anderen Fall sind die vielen, die Laien, die eigentlich Dummen und Leidtragenden solcher Inkonsequenz. Weit entfernt davon, sich durch den anderen Lehrinhalt aus ihrer personellen und subsistentiellen Dienstbarkeit gegenüber dem institutionalisierten Heilsmittel befreit und in die Heilsunmittelbarkeit von unterschiedslos zur Entscheidung aufgerufenen Artgenossen entlassen zu finden, sehen sie sich durch die trotz anderen Lehrinhalts unverändert fortbestehende Lehrpraxis in ihrer Dienstbarkeit festgehalten. Und während aber das unverändert kontinuierte Lehrinstitut sie in ihrer alten Dienststellung festhält, raubt es ihnen gleichzeitig den Trost der bis dahin gewahrten universalen Heilsperspektive, nimmt es ihnen jegliche, wie immer trügerische Hoffnung auf ein in unbestimmt ferner Zukunft ihnen selber winkendes Heil. Während die Abstand von der universalen Heilsperspektive nehmenden Teile der Ordensgemeinschaft nunmehr statt des großen das kleine Gefährt verkünden, statt der Arche das Rettungsboot lehren, sind sie im Blick auf diese Lehrtätigkeit nach wie vor darauf angewiesen, daß die Laien ihren personellen Nachschub und ihre materielle Versorgung sichern, ihre Reihen auffüllen und ihre Mägen füllen, und haben den letzteren als Gegenleistung dafür doch nichts weiter zu bieten als die zweifelhafte Genugtuung, einer religiösen Elite, die sich auf ihre Kosten rücksichtslos absetzt, den Steigbügel oder einer religiösen Einrichtung, die sich zu ihren Lasten sinnlos fortsetzt, die Stange gehalten zu haben.
Im praktisch-weltlichen Dienstverhältnis gegenüber der heilsmittelverwaltenden Ordensgemeinschaft verharren zu können und sich nicht in die Heilsunmittelbarkeit des zur Entscheidung aufgerufenen Artgenossen entlassen zu finden liegt durchaus im Interesse der bei aller grundsätzlichen Anerkennung der daseinsverneinenden Heilsperspektive allzu tief in dies Dasein verstrickten und deshalb zur sofortigen Umkehr wenig bereiten Laien. Aber sich dabei aller wie immer unmittelbaren und faktisch trügerischen Aussicht aufs Heil beraubt und zum Steigbügelhalter einer religiösen Elite beziehungsweise zum Arbeitsvieh oder zur Milchkuh einer religiösen Institution degradiert zu sehen, kann unmöglich ihr Interesse sein. Und weil eben das der Fall ist, weil die Laien sich durch die Abdanker der universalen Heilsperspektive zur heillos säkularen Basis eines ohne heilsgeschichtliche Rechtfertigung perennierenden religiösen Überbaus herabgesetzt sehen, versagen sie dem zur elitären Karosse aufgedonnerten Karren die Gefolgschaft, lassen sie das zur Privatjacht aufgeblasene Rettungsboot im Stich und sorgen so dafür, daß das kleine Gefährt sei's überhaupt zu Bruch und zugrunde geht, sei's scheiternd sich in Rückzugsgebiete oder an ferne Gestade verschlagen und dort zu einer den Zwecken kultureller Identität oder ethnischer Abgrenzung dienstbar gemachten kümmerlichen Restexistenz verurteilt findet. In der Tat empfangen auf diese Weise jene die universale Heilsperspektive abdankenden und aufs kleine Gefährt setzenden Teile der Ordensgemeinschaft ihren gerechten Lohn dafür, daß sie den Widerspruch, an dem sie doch eigentlich Anstoß nehmen, den im Laienstand Gestalt gewordenen Widerspruch zwischen theoretisch-genereller Hoffnung aufs Heil und praktisch-spezieller Ausschließung vom Heil, nur elitär und zynisch aufzulösen und nämlich dadurch aus der Welt zu schaffen vermögen, daß sie das den Widerspruch provozierende Sollen fallen und ansonsten alles beim alten, will heißen, die vom verschwundenen Sollen unverändert geprägte Realität als ein nach Maßgabe seiner brutalen Faktizität oder grundlosen Gegebenheit frei von Widerspruch sich behauptendes Sein weiterbestehen lassen