4. Das karthagische Vexierbild
Indem die Römische Republik im Zuge ihrer Expansion mit dem karthagischen Machtbereich in Kontakt kommt, stößt sie erstmals auf Gebiete, die weder politisch autonom, noch ökonomisch disparat sind, sondern einer der römischen Hegemonie und Inanspruchnahme vergleichbaren Herrschaft und Nutzung unterliegen. So sehr das karthagische Gemeinwesen im stadtstaatlichen Prinzip dem römischen ähnelt, so wenig ist es doch die außenpolitischen Konflikten und innenpolitischen Spannungen ausgesetzt, die dem letzteren seine territoriale Einbettung und seine soziale Zusammensetzung bescheren. Trotz seiner spannungsarmen Genese bleiben aber auch dem von den Karthagern entlang der Küste des westlichen Mittelmeers ins Leben gerufenen Reich militärische Konflikte nicht erspart: Es muss sich gegen die räuberischen Stammesherrschaften Nordafrikas behaupten und gegen die griechischen Kolonien Magna Graecias durchsetzen und fühlt sich durch diese doppelte Anforderung mangels autochthoner militärischer Rekrutierungsbasis überfordert.
Durch jene strategisch-logistische Voraussetzung in Versuchung geführt und vielmehr wie durch einen unwiderstehlichen Impuls zum Paradigmenwechsel motiviert findet sich die Republik erst, als sie, nachdem das ganze mittel- und süditalische Festland bis hinunter zur Spitze des Stiefels, nach Rhegion, unter Kontrolle gebracht und der römischen, "wehrgenossenschaftlich" organisierten Machtsphäre einverleibt ist, ihren begehrlichen Blick auf die Inseln richtet und damit aber Gebiete ins Auge fasst, die in der Tat ganz anderen als den bis dahin gewohnten politisch-ökonomischen Bedingungen unterliegen. Weder sind die sizilianischen, sardischen und korsischen Gebiete politisch autonom, noch sind sie ökonomisch disparat. Vielmehr gehören sie zum Machtbereich Karthagos, haben dort ihr politisches Organisationszentrum, und sind in das von Karthago betriebene und beherrschte Handelssystem integriert, stehen im Austausch mit den Küsten Vorderasiens ebenso wie mit dem ganzen westlichen Mittelmeer. Diese Gebiete mit der Aussicht auf weiträumige wirtschaftliche Beziehungen und systematischen kommerziellen Austausch ködern und zum föderalen Anschluss, zur vertraglich besiegelten politischen Unterordnung bewegen zu wollen, wäre vergebene Liebesmüh: Was Rom diesen Gebieten bringt, die Integration in ein umfassenderes kommerzielles Austauschsystem, besitzen sie bereits, und sie besitzen es dank einer überregionalen militärischen Macht und politischen Herrschaft, die so weit entfernt davon ist, die ökonomische Integrationsofferte Roms als reizvolles Angebot zu betrachten und gar als Köder zu schlucken, dass sie darin im Gegenteil nur den unsittlichen Antrag erkennen kann, ihr bestehendes, eigenes System kommerziell betriebener indirekter Ausbeutung zurückzunehmen und zuzulassen, dass es durch ein kongeniales anderes, eben das römische, verdrängt und ersetzt wird.
In der Tat ist es das Besondere und Neue an den Gebieten, die im Zuge ihrer Expansion die römische Republik nunmehr erreicht, dass sie, weit entfernt davon, über eine autonome politische Struktur und über disparate ökonomische Beziehungen zu verfügen, vielmehr integrierender Bestandteil eines ökonomischen Systems sind, das von einer fremden politischen Macht organisiert und beherrscht wird, und dass mit anderen Worten in effigie dieser Gebiete der römischen Republik ein Vexierbild ihrer selbst entgegentritt. Und zwar ist die karthagische Macht ein Vexierbild der römischen in dem strengen Sinne, dass sie bei aller grundsätzlichen intentionale Ähnlichkeit und Übereinstimmung, die sie mit letzterer hat, doch zugleich charakteristische operationale Unterschiede und Eigentümlichkeiten aufweist und deshalb der römischen Macht einen Spiegel vorhält, der dieser erlaubt, sich darin ebenso sehr zu gewahren und nämlich als ihresgleichen, als Konkurrenten, auszumachen, wie nicht zur Kenntnis zu nehmen und nämlich als den ganz anderen, Fremden abzutun. Die grundsätzlichste Ähnlichkeit besteht dabei in der prinzipiellen Intention selbst, in der für das Gemeinwesen richtungweisenden Absicht nämlich, sich durch das indirekte Aneignungsmittel kommerziellen Austausches an anderen Gemeinschaften zu bereichern. Während aber im römischen Zusammenhang diese Grundintention eher die Rolle eines treibenden Motivs spielt, als die Bedeutung eines grundlegenden Konstitutivs beansprucht und eingebettet erscheint in ein ihr vorausgesetztes und sie tragendes Milieu aristokratisch verfasster, bäuerlich-territorialer Sesshaftigkeit, stellt sie im Falle Karthagos in der Tat das umfassende Existenzprinzip, den ausschließlichen Seinsgrund dar: die karthagische Republik entsteht und entfaltet sich als Handelsrepublik, als mit der kommerziellen Erschließung und Ausbeutung seiner näheren und zunehmend ferneren Umgebung befasster städtischer Markt.
Von einem Handelsvolk am Ostrand des Mittelmeeres, den Phöniziern, als Vorposten und Stützpunkt für den kommerziellen Austausch mit dem westlichen Mittelmeer gegründet, entwickelt sich Karthago rasch zu einem wichtigen Umschlagshafen und Handelszentrum, erringt gegenüber der Mutterstadt Tyros ökonomische und politische Selbständigkeit und schwingt sich zur Schutzmacht der anderen phönizischen Kolonien in der Region auf beziehungsweise beginnt seinerseits mit der Gründung von Handelsstädten und kommerziellen Stützpunkten auf den Inseln und entlang der nordafrikanischen Küste. Auf Basis einer strategisch günstigen Lage, einer agrarisch fruchtbaren Umgebung und eines hervorragenden Hafens schafft sich Karthago ein Handelsimperium, das bis auf die römisch-italische Handelssphäre in der Tat den gesamten westlichen Mittelmeerraum umfasst und mit dem östlichen verknüpft und ins kommerzielle Verhältnis setzt. Dabei geht das imperiale Ausgreifen der Stadt sehr viel leichter und rascher vor sich als die hegemoniale Expansion Roms. Anders als die römische Ausbreitung hat die karthagische nicht die Form territorialen Vordringens, sondern vollzieht sich übers Meer und berührt die Territorien, die mittels Expansion kommerziell erschlossen werden, auch nur peripher, nur an den Küsten, wo Handelsniederlassungen und Faktoreien gegründet werden, die dann für den geregelten Zugang zu den betreffenden Territorien und ihren Reichtümern und für den regelmäßigen, gewinnträchtigen Austausch mit ihnen Sorge tragen. Weil so die Expansion fast ohne militärische Konfrontation und praktisch ohne Eingriffe in die autonomen Strukturen und politischen Ordnungen der erschlossenen Gebiete und ihrer lokalen Gemeinschaften vor sich geht, haben die letzteren noch weniger Grund als die von der römischen Republik Assoziierten, das Moment von indirekter Ausbeutung und objektivierter Expropriation zur Kenntnis zu nehmen, das im kommerziellen Austausch beschlossen liegt; sie gewahren unmittelbar nichts als die allgemeinen, marktgesellschaftlichen Verbesserungen des Konsums und die besonderen gruppenspezifischen Chancen zur Bereicherung, die der Austausch mit der fremden Macht mit sich bringt, und nehmen an deren zwecks regelmäßigem Austausch durchgesetzter peripherer kolonialistischer Anwesenheit und exterritorialer Behauptung vor Ort kaum oder gar keinen Anstoß.
Und wie den Karthagern expansionsstrategisch oder nach außen die harten Konfrontationen der römischen Frühgeschichte erspart bleiben, so bleiben sie auch gesellschaftspolitisch oder im Innern von den tiefen Verwerfungslinien und Konflikten verschont, mit denen die römische Republik leben muss. In der römischen Republik wächst die kommerzielle Funktion und gedeihen ihre Repräsentanten im Schoße einer territorial fundierten Aristokratie, die zusammen mit den übrigen, als wehrfähige Freie firmierenden, kleinen und mittleren Landbesitzern ein etabliertes Sozialgefüge bildet, das für die kommerzielle Expansion die Rolle des militärischen Wegbereiters und Bestandsgaranten übernimmt und zu dem die kommerziell Tätigen im Zuge ihrer Karriere und nach Maßgabe der teils negativen, teils positiven Auswirkungen dieser Karriere auf es, das vorausgesetzte Sozialgefüge selbst, ein ebenso spannungs- und konfliktreiches wie komplexes und intim verwobenes Verhältnis ausbilden. Im karthagischen Stadtstaat hingegen sind die kommerziell Tätigen und ihr marktbezogener Anhang aus Handwerkern und Gewerbetreibenden von Anfang an unter sich. So gewiss die Stadt insgesamt eine kommerzielle Stiftung ist und ihr Entstehen einem Kolonisationsakt verdankt, dessen von Haus aus einziger Zweck die Einrichtung eines Stützpunktes und einer Versorgungsbasis für den phönizischen Fernhandel ist, so gewiss fehlt hier das für die römische Entwicklung wesentliche Element eines der kommerziellen Funktion vorausgesetzten und ebenso bäuerlich-bodenständig verhaltenen wie herrschaftlich-aristokratisch verfassten Gemeinwesens. Was die Karthager aus der alten Heimat an hierarchischer Ordnung und aristokratischer Besonderung mitbringen, sogar von einem anfänglichen Königtum ist die Rede, verliert hier seine reale Existenzbasis und seinen haltgebenden sozialen Kontext und wird in die Revision einer rein kommerziell fundierten Reichtumsbildung und Konzentration sozialer Macht geschickt. Das heißt, tradierter hierarchischer Rang und mitgebrachter sozialer Status finden nur in dem Maße Bestätigung beziehungsweise erfahren eine Neubegründung, wie sie sich aus den in den Austauschakten des Handels angelegten Akkumulations- und Expropriationsmechanismen ergeben, wie sie mit anderen Worten Resultat des in der kommerziellen Funktion beschlossenen Sortierverfahrens sind, das die Gesellschaft wie von Natur in Reich und Arm auseinanderlegt.
Was auf dem Wege dieses ausschließlich durch kommerziellen Austausch determinierten katalytischen Prozesses entsteht, ist ein städtisches Gemeinwesen, das in der Tat dem römischen einen vexierbildlichen Spiegel vorhält: Auch Karthago ist eine Adelsrepublik, nur dass hier nicht wie in Rom die Führungsschicht eine aus alteingesessenen Patriziern und neureichen Plebejern, Grundbesitzern und Marktrepräsentanten, Adel und Geld zusammengewachsene Gentryschicht darstellt, sondern einen vergleichsweise homogenen, als Geldadel aus dem Marktgeschehen herausprozessierten Kaufherrenstand bildet, und dass es hier anders als dort keine Armen gibt, die in dem Sinne Opfer des Marktes sind, dass sie sich durch das kommerzielle Geschehen aus ihrer früheren marktunabhängigen Stellung verdrängt und dem Schicksal der Pauperisierung und Deklassierung ausgesetzt finden, sondern dass vielmehr die Armen insgesamt im Kontinuum einer marktabhängigen Unterschicht stehen, die von Anfang an der expropriativen Logik kommerziellen Austausches unterworfen ist und als Geschöpf des Marktes das Schicksal, das dieser ihr bereitet, als eine ebenso naturgesetzlich gegebene wie durch ihr eigenes Zutun gewirkte Fatalität begreift. Dass das karthagische Handelspatriziat im Unterschied zur römischen Nobilität so homogen und in Intention und Lebensstil uniform ist, kommt unter normalen Umständen seiner Resolution und Handlungsbereitschaft zugute, mindert in Krisenzeiten allerdings auch seine Anpassungs- und Kompromissfähigkeit, sein Vermögen, Zielsetzungen zu verändern und Strategien zu wechseln. Und dass die karthagische Unterschicht anders als zumindest der aus dem bäuerlichen Mittelstand sich rekrutierende dynamische Kern der römischen Plebs so fügsam und bereit ist, seine Lage, wie bedrängt sie auch immer sein mag, als selbstgewirktes Schicksal hinzunehmen, bewahrt die Stadt vor internem Konfliktstoff, bringt sie allerdings auch um die Chance einer Dynamisierung und Neuorientierung ihrer Entwicklung unter den Druck aufbegehrender Gruppen.
So vergleichsweise spannungsarm der politisch-ökonomische Aufstieg Karthagos aber auch verläuft und so relativ gewaltlos die kommerzielle Expansion der Stadt vor sich geht, ganz und gar ohne Widerstand und ohne die Notwendigkeit, diesem Widerstand militärisch zu begegnen, ihn mit Waffengewalt zu überwinden, lässt sich das karthagische Imperium denn doch nicht ins Werk setzen. Zwei Gruppierungen vor allem kommen den karthagischen Bestrebungen, im westlichen Mittelmeer ein ebenso umfassendes wie geschlossenes Handelssystem zu errichten, in die Quere. Zum einen sind das die nomadisierenden und traditionell auf räuberische Einfälle in die Küstenregionen spezialisierten Stämme im nordafrikanischen Landesinnern: Sie blicken begehrlich auf die reichen Handelsniederlassungen an der Küste, zu denen sie höchstens sporadische Austauschbeziehungen unterhalten und an deren Reichtümer sie deshalb nur mit Gewalt zu gelangen vermöchten, und müssen militärisch in Schach gehalten werden. Zum anderen und wichtiger noch machen den Karthagern das italische Handelssystem und die griechischen Gründungen in Unteritalien und auf Sizilien zu schaffen.
Während sich das von Rom kontrollierte und in allmählicher Ausdehnung begriffene latinisch-italische System vorläufig noch außerhalb oder am Rande des von den Karthagern beanspruchten Entfaltungsraumes befindet und sich das Verhältnis zu ihm deshalb durch eine Aufteilung der Interessensphären vertraglich-friedlich regeln lässt, liegen die griechischen Städte Magna Graecias mitten in der von Karthago beanspruchten Einflusssphäre, machen dank ihres hohen handwerklich-technischen Entwicklungsstandes und ihrer regelmäßigen Handelskontakte ins östliche Mittelmeer den Karthagern eine nicht zu verachtende kommerzielle Konkurrenz und stellen mit anderen Worten ernstliche Hemm- und Stolpersteine auf dem Wege der karthagischen Expansion dar. Die Folge sind wiederkehrende beziehungsweise anhaltende militärische Auseinandersetzungen, für die das karthagische Gemeinwesen von Haus aus schlecht gerüstet ist. Nicht, dass die Bürger Karthagos allesamt kriegsuntüchtige, wehrlose Handel- und Gewerbetreibende wären, die nur in friedlichen Geschäften bewandert sind und sich aufs Kämpfen nicht verstehen. Diese moderne Vorstellung vom unkriegerischen Kaufmann und Handwerker, die sich in voll entwickelter Arbeitsteilung ihren militärischen Schutz kaufen oder auf anderen Wegen beschaffen müssen, hat in der Antike nichts verloren. In einer Zeit ohne zentralstaatlich durchgesetzten Landfrieden und ohne zuverlässige internationale Konventionen müssen auch und gerade die im kommerziellen Zusammenhang Tätigen sich und ihre Produkte oder Waren gegen die stets gegenwärtige Tendenz ihrer potentiellen Kunden, den Austausch kurzzuschließen und als Raub abzuwickeln, zur Wehr setzen und militärisch behaupten können. Sowohl bei der Gründung der Kolonie als auch bei der Selbstbehauptung in dem fremden, libyschen Umfeld beweist die Handelsrepublik zur Genüge, dass sie imstande ist, sich erfolgreich zur Wehr zu setzen.
Jetzt aber überfordern die mit der Expansion des Handelssystems sich ergebenden militärischen Herausforderungen die Kräfte der Stadt. Während ihre Gegner, insonderheit die griechischen Städte auf Sizilien, mangels weiterreichender Ambitionen ihre Kräfte auf die Wahrung regionaler Interessen konzentrieren können, muss die karthagische Republik an immer mehr Punkten ihres expandierenden Handelsreiches militärisch präsent sein. Was ihr, der eingewanderten Handelskompanie und angelandeten Faktorei, jetzt fehlt, ist eine territoriale Einbettung, wie sie die römische Republik ihrem Kommerz bietet, sind jene unter landbesitzend-aristokratischer Führung mobilisierbaren bäuerlich-bodenständigen, mittelständisch-wehrhaften Gruppen im eigenen Gemeinwesen wie dann auch bei den bundesgenossenschaftlich assoziierten Nachbarn und umgebenden Völkerschaften, die als unabhängig von der kommerziellen Funktion vorausgesetzte soziale Verbände und politisch-ökonomische Strukturen doch aber an letzterer interessiert genug sind und von ihr hinlänglich profitieren, um sich mit ihr zu verbünden, sie mit allen Konsequenzen einer allmählichen Umkrempelung und Reorganisation der gesamten Gemeinschaft immer ausschlaggebendere Bedeutung für die gesellschaftliche Reproduktion gewinnen zu lassen und ihrem Bedürfnis nach systematischer Entfaltung, ihrem Expansionsdrang, sich sogar unter Inkaufnahme der ökonomischen Nachteile, die ihnen, den bäuerlich-mittelständischen Gruppen selbst, aus solcher Expansion erwachsen, als strategische Wegbereiter und militärische Schützenhelfer zur Verfügung zu stellen. Dieses historisch gegebene, quasinatürliche Fundament also eines agrarisch fundierten streitbaren Sozialkörpers, einer ineins als Nähr- und als Wehrstand firmierenden aristokratisch geführten Bauernschaft fehlt der karthagischen Handelsgesellschaft, und eben deshalb bringen sie die mit der imperialen Expansion verknüpften Anforderungen an ihre strategische Präsenz und militärische Stärke in arge Verlegenheit.
Mangels hauseigener Rekrutierungsbasis befriedigt das karthagische Gemeinwesen seinen Bedarf an militärischem Personal mittels angeworbener und entlohnter fremder Soldaten, kurz, Söldner. Die Stadt kann das, weil sie über genügend Geld verfügt, zu dem sie nicht nur eine organisatorisch-instrumentelle, sondern mehr noch eine akquisitorisch-intentionale Beziehung unterhält: Sie firmiert nämlich als wichtige Geldbeschafferin für die Märkte des östlichen Mittelmeers, deren strukturbedingte Liquiditätsprobleme sie mittels ihrer speziellen Handelsbeziehungen zu lösen hilft.
Was indes der karthagischen Handelsmacht historisch, und das heißt: aus Gründen einer ihrer Entfaltung vorausgesetzten autochthonen politischen Organisation, nicht in die Wiege gelegt ist, dafür schafft sie sich systematisch, und nämlich auf Grund des ihrem Wirken entspringenden autogenen ökonomischen Potentials, Kompensation. Sie nutzt mit anderen Worten den Reichtum, den sie durch ihre kommerziellen Aktivitäten akkumuliert, um sich auf dem Markt zu kaufen, was die Geschichte ihr versagt hat: sie rekrutiert Menschengruppen, die für den Lohn, den sie ihnen zahlt, den Sold, den sie erhalten, die benötigten militärisch-strategischen Leistungen erbringen. Sie wirbt bei den unmittelbaren Nachbarn und in den an ihre imperialen Gründungen im westlichen Mittelmeer angrenzenden Gebieten ein Söldnerheer, dem sie gegen Beteiligung an ihrem kommerziell akkumulierten Reichtum die militärischen Offensiv- und Defensivaufgaben, die ihre Expansion mit sich bringt, als seine besondere Zuständigkeit, eben als Kriegshandwerk, überlässt. Weil die natürlich gewachsenen, historisch gegebenen Lebensumstände Karthagos für keine militärische Schlagkraft im mittlerweile erforderlichen Ausmaß zu sorgen vermögen, zaubert die Handelsstadt das Fehlende aus dem Hut jener kommerziellen Transaktion, auf die sie sich wie keine andere Gemeinschaft versteht und der sie gleichermaßen ihre ökonomische Stärke und ihre politische Stellung verdankt, macht sie also die Beschaffung militärischer Stärke zu einem Handelsgeschäft der üblichen Art, indem sie gegen Anrechte auf ihren Markt, Ansprüche auf die dort versammelten Güter, Dienstleistungen eintauscht, die diesen ihren Bedarf an militärischer Schlagkraft zu decken taugen.
Sosehr sich indes die soldvermittelte Rekrutierung von Soldaten formell-funktionell im Rahmen normaler kommerzieller Transaktionen bewegt, sosehr fällt sie inhaltlich-strukturell aus eben diesem Rahmen heraus. Schließlich zeichnen sich kommerzielle Transaktionen im eigentlichen Sinne, wie bereits an früherer Stellen mehrfach ausgeführt, dadurch aus, dass markteigene Güter, Waren, gegen marktgängige sächliche oder persönliche Leistungen, effektive Produkte oder zirkulative Dienste, ausgetauscht werden – und zwar unter der für allen Markt konstitutiven, dem kapitalen Akkumulationsprinzip genügenden Bedingung, dass der Wert der im Austausch neu auf den Markt gelangenden Produkte den Wert der Waren, die für sie und die dazugehörigen zirkulativen Leistungen vom Markt zur Verfügung gestellt werden, um die als Mehrwertrate habituell vom Markt beanspruchte Proportion übersteigt. Von einer solchen normalen kommerziellen Transaktion aber kann im Falle der Besoldung von Spezialisten fürs Kriegshandwerk keine Rede sein. Was die Handelsrepublik für die Ansprüche an den Markt, die sie den Söldnern einräumt, als Gegenleistung erhält, sind Dienste, die weder die Akkumulationsbedingung erfüllen, weder also im Vergleich mit dem gezahlten Sold ein Mehr an Wert darstellen, noch überhaupt einen Beitrag zum Markt, eine in irgendeinem Sinne marktgängige sächliche oder persönliche Leistung verkörpern. Marktrelevanz beweisen die Dienste der mittels Beteiligung an den kommerziellen Segnungen der Handelsrepublik gekauften Söldner nicht etwa in der Bedeutung, dass letztere durch handwerkliche Tatkraft und Arbeit am materiellen Bestand und funktionellen Betrieb des Marktes mitwirkten, sondern höchstens und nur in dem Verstand, dass sie mit handgreiflicher Schlagkraft und Gewalt für dessen kontextuelles Bestehen, seine konditionelle Behauptung sorgen. Stellen demnach aber die Söldnerdienste einen Beitrag nicht zur tatsächlichen Reproduktion und Entfaltung, sondern nur zur grundsätzlichen Reaffirmation und Erhaltung des Marktzusammenhanges dar, so erfüllen die für sie gezahlten Vergütungen eher den Charakter eines gezollten Tributs oder exaktiven Schutzgelds als den eines reziproken Lohnes und transaktiven Entgelts und ist, wofür sie einstehen, eigentlich gar kein kommerzieller Austausch, sondern ein existenzielles Opfer, kein zur Wirklichkeit des Marktes selbst gehörendes Verhältnis auf Gegenseitigkeit, sondern eine dem Markt zur Sicherstellung seiner Möglichkeit oktroyierte Zwangsabgabe.
Damit dieses in Form von Sold geleistete Opfer, das die karthagische Handelsrepublik bringt und durch das sie sich, was ihr an naturgegebener, historisch gewachsener Wehrkraft fehlt, mittels ihres kommerziell akkumulierten Reichtums beschafft – damit also dieses Opfer nicht als erratisch-fremdbürtige, quasiherrschaftliche Abschöpfung von Reichtum, als mit Mitteln des Marktes vollzogene Dotierung marktfremder Gruppen heraussticht und sich vielmehr den für die karthagische Gesellschaft maßgebenden kommerziellen Prozessen integriert, sprich, das Ansehen einer normalen Transaktion, eines regulären Austauschvorganges gewinnt, braucht es jene als allgemeines Äquivalent, Geld, bestimmte ökonomische Einrichtung, die der Dynamik des Marktes selbst entspringt und ohne die keine entwickelte Marktwirtschaft denkbar ist. Wie an früherer Stelle – nämlich bei der Darstellung des ökonomischen Aufstiegs der griechischen Polis – gezeigt, ist es das allgemeine Äquivalent, das, indem es seine ursprüngliche Rolle als analytisches Zirkulativ, als symbolischer Repräsentant sächlicher Werte, transzendiert und beginnt, die in den sächlichen Werten ihren objektiven Niederschlag findenden unterschiedlichen Arbeitsleistungen epiphanisch zu vertreten, sie als ihr unmittelbar objektiver Ausdruck zu verkörpern, die Aufgabe übernimmt, die aus jenen unterschiedlichen Arbeitsleistungen resultierenden Ansprüche an den Markt höchsteigen abzugleichen und im Medium seiner selbst zu regulieren, kurz, als synthetisches Konstitutiv, als Geld im eigentlichen Sinne zu firmieren. Und wie dort ebenfalls gezeigt, ist es diese wertkonstitutive Funktion, diese allen kommerziellen Austausch reorganisierende generalbevollmächtigte Prokura oder mittlertümliche Stellvertretung, die das Geld qua Geld übernimmt, was die Möglichkeit schafft, in den Austausch zwischen marktbezüglichen Arbeitsleistungen und auf dem Markt versammelten Gütern auch Leistungen einzubeziehen, die überhaupt keine oder jedenfalls keine marktrelevanten sind und denen einfach nur dadurch, dass sie mit Geld vergütet, durch den epiphanischen Generalvertreter der wertbildenden Substanz Arbeit gutgesagt werden, die Marktrelevanz bescheinigt wird.
Um eine solche, zwar vielleicht für das konditionelle Bestehen des Marktes unabdingbare, nicht hingegen für seinen funktionellen Bestand relevante Leistung handelt es sich aber offenbar bei den kriegshandwerklichen Diensten, die sich die Handelsrepublik mangels eigenen Potentials bei fremden Gruppen besorgen muss; und damit die Vergütung dieser keinen materiellen oder strukturellen Beitrag zum Markte bildenden Dienste, die Honorierung dieser keinen systematischen Bestandteil des Austauschsystems ausmachenden Leistung, sprich, die Beteiligung der fremden Gruppen an den Segnungen des handelsrepublikanischen Marktes, nicht ihren Charakter eines das kommerzielle System wenn schon nicht sprengenden, so immerhin doch erratisierenden außerkommerziellen Tribut- und Opferverhältnisses hervorkehrt und sich vielmehr ihrer Darstellungsform und Verfahrensweise nach den als Norm firmierenden Austauschprozessen angleichen und eingliedern kann, braucht es das allgemeine Äquivalent in seiner entfalteten Funktion als synthetisches Wertkonstitutiv, braucht es mit anderen Worten die Voraussetzung einer entwickelten Geldwirtschaft. Diese Voraussetzung erfüllt die karthagische Republik, ja, sie erfüllt sie sogar in ganz besonderem Maße. Sie verfügt über ein voll entwickeltes geldwirtschaftliches System und muss darüber verfügen, weil sie ihre komplizierten, durch zahlreiche Stationen und viele Metamorphosen hindurch verfolgten, räumlich weitgespannten und zeitlich langwierigen Austauschgeschäfte ohne Geld gar nicht abwickeln könnte und weil sie die vielfältigen, als Hersteller und Dienstleister mitwirkenden Gruppen, die Vielzahl von Beteiligten, die der Seehandel und die ihm zuarbeitenden Gewerbe ins Spiel bringen, ohne Geld gar nicht kalkulatorisch erfassen und zu einem Ganzen aus nachweisbaren Leistungen und Ansprüchen, zu einem Gesamtgeschäft, synthetisieren könnte.
Aber damit nicht genug, hat sie auch noch ein ganz eigenes Interesse am Geld und unterhält nämlich zu ihm nicht nur eine organisatorisch-instrumentelle Beziehung, sondern mehr noch einen akquisitorisch-intentionalen Bezug, betrachtet es nicht nur als operatives Medium, sondern ebenso wohl als effektives Objekt. In der Tat verdankt die karthagische Handelsniederlassung ihre Existenz wesentlich dem wachsenden Bedarf des östlichen Mittelmeerraumes an den als allgemeines Wertäquivalent brauchbaren Edelmetallen, die das westliche Mittelmeer dank der reichen Lagerstätten in Spanien und entlang der nordafrikanischen Küste bietet. Neben den normalen Warenaustauschgeschäften, die Karthago mit den westlichen Mittelmeerküsten betreibt und durch die es zur wichtigen Schalt- und Verbindungsstelle für das nicht zuletzt dank seiner Aktivitäten in Entfaltung begriffene kommerzielle Gesamtsystem des Mittelmeerraumes avanciert, dient die Republik von Anfang an als Stützpunkt für den Handel mit dem Gold, Silber und Zinn, über das der Westen verfügt und das in den kommerziellen Systemen des Ostens als die Münze des Marktes, als Geld, benötigt wird. Sie hat es mit anderen Worten auf das Geld als Ware eigener Art abgesehen und fungiert als Geldbeschafferin für die östlichen Märkte, indem sie das dort kommerziell erzielte Mehrprodukt gegen das im Westen vorhandene Edelmetall austauscht, und das heißt: als Mehrwert realisiert, aber nicht, um es sogleich vor Ort gegen andere Produkte einzutauschen und diese mit dem Ziel einer Realisierung des in ihnen steckenden mehrwertigen Werts auf die östlichen Märkte zu schaffen und dort zu verkaufen, nicht also, um der die Wertvermehrung im Osten bestätigenden Wertrealisierung im Westen eben dort einen neuen Wertvermehrungsakt folgen zu lassen, der wiederum nach seiner Bestätigung mittels Wertrealisierung im Osten verlangt, sondern um vielmehr das Edelmetall selbst und mithin das in ihm seine materiale Gestalt findende Geld als solches in den Osten zurückzubringen und auf die eine oder andere Weise in dessen kommerziellen Zusammenhang einzuspeisen.
Mit dieser ihrer als veritabler Geldhandel firmierenden und aus dem wirtschaftlich unentwickelten Westen in den wirtschaftlich hochentwickelten Osten verlaufenden Edelmetallzufuhr hilft die karthagische Handelsniederlassung ein systematisches Problem lösen, vor das die östlichen Märkte der wachsende Umfang ihrer kommerziellen Aktivitäten und das entsprechend zunehmende Wertvolumen der zirkulierenden Waren stellt: das Problem, für die auf dem Markt sich sammelnden Waren ein ausreichendes allgemeines Äquivalent zu beschaffen, sprich, dafür zu sorgen, dass die verfügbare Geldmenge im Einklang mit der in den Waren verkörperten steigenden Wertmenge bleibt. Mit jedem Austauschakt zwischen Marktrepräsentanten und Güterproduzenten vergrößert sich ja, da die ersteren den letzteren nur einen Teil des Werts ihrer Produkte in Geldform vergüten und den Rest als ihren Anteil, den Mehrwert, einbehalten, die auf dem Markt in Produktform vorhandene Wertmenge, und die Marktrepräsentanten müssen, um diesen vorhanden Produktwert als Wert zu realisieren, will heißen, zurück in die Geldform zu überführen, beim Verkauf der Waren mehr Geld eintreiben, als sie vorher für den Kauf der Produkte ausgegeben haben. Sie können sich mit anderen Worten nicht damit begnügen, im einfachen Bäumchen-wechsel-dich die Produzenten als Konsumenten in Anspruch zu nehmen und ihnen die Waren, die sie ihnen vorher gegen Geld abgekauft haben, nun für das gleiche Geld wieder zu verkaufen, vielmehr sind sie mit systematischer Unentrinnbarkeit gezwungen, zwecks vollständiger Realisierung des Werts ihrer Waren nach weiteren, neuen Konsumenten Ausschau halten.
In der Tat ist ja eben die Ausdehnung der östlichen Märkte ins westliche Mittelmeer, ist die Gründung von Karthago selbst als eines vorgeschobenen Stützpunkts und Außenpostens der handeltreibenden Phönizier Ausdruck nicht zuletzt dieser systemeigenen und insofern logischen Notwendigkeit, für die geldförmige Realisierung des jeweiligen Wertzuwachses in Warenform neue Konsumenten aufzutun und in das Austauschsystem einzubeziehen. Vollzieht sich diese Einbeziehung nun aber in den Formen des vollentwickelten Warenaustauschverhältnisses und benutzen mit anderen Worten die Marktrepräsentanten jene neuen Konsumenten, kaum dass sie sie gefunden und als Wertrealisierer in Dienst genommen haben, wiederum als Produzenten, denen sie für das Geld, das sie von ihnen bekommen haben, zu den marktüblichen, gewinnbringenden Konditionen andere, neue Waren abkaufen, um diese mit zurück auf die Märkte im Osten zu nehmen und dort zwecks Realisierung des in ihnen steckenden Gewinnes feilzubieten, so konterkarieren sie, systematisch betrachtet, die Entlastungsfunktion, die hinsichtlich der Realisierung des im Osten in Warenform akkumulierten Werts die westlichen Konsumenten erfüllen, indem sie am Ende das östliche Marktsystem mit einer gemäß den lukrativen Einkäufen, die sie im Westen gemacht haben, sogar noch größeren und entsprechend schwerer zu realisierenden Wertmenge in Warenform konfrontieren.
Historisch-empirisch allerdings – um den eventuell erzeugten irreführenden Eindruck einer ökonomischen Bilderbuchkonstellation und quasimathematischen Modellhaftigkeit gleich wieder zu zerstreuen! – stellt sich die Situation auf den östlichen Märkten keineswegs so dramatisch und nämlich durch jeden zusätzlichen, vollständigen Warenaustausch mit der Außenwelt tiefer ins ausweglose Dilemma gestürzt dar, wie die rein systematisch-logische Betrachtung suggerieren möchte. Schließlich sind die östlichen Märkte kein geschlossenes, zwischen gütererzeugenden Produzenten und geldbesitzenden Handeltreibenden zirkulär sich verlaufendes System, sondern haben von Anfang an Gruppen von Konsumenten im eigenen Haus oder jedenfalls auf der Rechnung, die aus systemfremden Quellen, aus Bergwerken, Kriegsbeute, Tributen, über Edelmetall verfügen und deshalb als Abnehmer für das Mehrprodukt, das die Handeltreibenden auf kommerziellem Wege erwerben, zur Verfügung stehen. Diese Konsumentengruppen, die durch ihr Edelmetall den im Mehrprodukt steckenden Mehrwert als solchen und nämlich in Geldform zu realisieren helfen und also durch Erfüllung der in der Wertakkumulation bestehenden Grundbedingung aller kommerziellen Aktivität entscheidend zur Aufrechterhaltung und Entfaltung des Marktsystems beitragen, sind im wesentlichen identisch mit den territorialherrschaftlichen Führungsschichten, denen die kommerzielle Funktion, wie an früherer Stelle gezeigt, überhaupt ihr Entstehen verdankt und mit deren fronwirtschaftlich erzielten Produktionsüberschüssen nämlich die Handeltreibenden zuerst als bloße Kommissionäre und dann in zunehmendem Maße als eigenständige Zwischenhändler eine ursprüngliche handelskapitale Akkumulation ins Werk setzen, in deren Konsequenz die kommerzielle Funktion im handeltreibenden Stadtstaat ihre eigene, politisch unabhängige Heimstatt und mehr noch ihre eigenen, in den als Handwerker und Bauern tätigen Bürgern der Stadt bestehenden Produktionsquellen gewinnt, sprich, sich als Marktsystem, als ein aus Produzenten für den Markt und Repräsentanten des Marktes komponierter Zusammenhang etabliert, in dem die ersteren zugleich als Konsumenten ihrer eigenen arbeitsteiligen Produkte fungieren, während die letzteren die für solchen Wechsel zwischen Produzenten- und Konsumentenstatus vorausgesetzte Aufgabe übernehmen, die Produkte vom Ort ihrer Produktion in die für ihre Konsumtion geeigneten Hände gelangen, kurz, sie als Waren zirkulieren zu lassen.
Wie die territorialherrschaftlichen Gruppen für die Entstehung und Bildung des handelsstädtischen Marktsystems von ausschlaggebender Bedeutung sind und in der Tat durch ihre fronwirtschaftlich erzeugten Überschüsse eine existenzstiftend-geburtshelferische Funktion erfüllen, so spielen sie nun aber auch bei dessen Fortbestand und weiterer Entfaltung eine zentrale und schlechterdings unverzichtbare Rolle. Weit entfernt davon, dass das städtische Marktsystem, nachdem es ins Leben getreten ist und sich als politisch eigenständiges Gebilde etabliert hat, ein in splendid isolation funktionierendes geschlossenes System, einen autarken Organismus darstellte, bleibt es auf seine Geburtshelfer, die umgebenden Territorialherrschaften, bezogen und angewiesen und findet in ihnen Austauschpartner, die für die Entwicklung und das Gedeihen seiner eigenen, vornehmlich handwerklichen Produktionsquellen ebenso unentbehrlich wie dank der Arbeitsteilung zwischen städtisch-handwerklicher und agrarisch-frondienstlicher Produktion, die sich im Zuge des Austausches herstellt, und dank des mit dieser Arbeitsteilung Hand in Hand gehenden Produktivitätsgefälles für die Mehrung seines kommerziell akkumulierten Reichtums von entscheidender Bedeutung sind.
Aber nicht nur für den qualitativen Bestand und die quantitative Entfaltung des städtisch organisierten kommerziellen Systems sind und bleiben die territorialherrschaftlichen Handelspartner von zentraler Bedeutung, auch für die Befriedigung des Geldbedürfnisses des Systems, für seine Versorgung mit dem allgemeinen Wertäquivalent, das im Zuge der wachsenden Komplexität und Synthesisleistung des Systems immer stärker die Funktion des als synthetisches Konstitutiv wirksamen und das heißt: alle Waren als seine Erscheinung, weil allen Warenwert als seine Setzung bestimmenden Wertkörpers übernimmt und das in dieser neuen Eigenschaft der mit der Expansion des Marktes zunehmenden Wertmenge in Warenform quantitativ immer neu angepasst werden muss – auch also für die Befriedigung des Bedürfnisses nach einer in Korrespondenz zur Erweiterung des Marktes wachsenden Geldmenge sind die benachbarten Territorialherrschaften unentbehrlich. Teils aufgrund des Produktivitätsgefälles zwischen vornehmlich handwerklich-städtischer und hauptsächlich frondienstlich-agrarischer Produktion, das den städtischen Handeltreibenden ermöglicht, ihre Produkte bei den territorialen Handelspartnern mit unverhältnismäßig hohem Gewinn loszuschlagen, teils dadurch, dass die territorialen Herrschaften vielfach als reine Konsumenten, als Abnehmer von Waren ohne korrespondierende Anbieterfunktion, auftreten, erweist sich der Handel mit den territorialherrschaftlichen Gebieten auch und nicht zuletzt als ein Goldesel- und Geldbeschaffungsunternehmen, das dank der in den Händen der territorialen Herrschaften in Form von Ärarien, Tempelschätzen und persönlichen Wertsachen angehäuften Edelmetallreserven dazu taugt, den expandierenden Markt im östlichen Mittelmeer mit dem jeweils erforderlichen Quantum an allgemeinem Wertäquivalent zu versorgen.
Das östliche Handelssystem verfügt also durchaus über hausgemachte, ihm die Expansion aus eigenen Stücken ermöglichende Geldquellen, und von daher gesehen mag die kommerzielle Ausdehnung nach Westen unmittelbar nur als Moment und Konsequenz der Expansion des östlichen Systems selbst erscheinen, das heißt, als eine territoriale Erweiterung und materiale Vermehrung des Warenverkehrs, die bloß darauf zielt, neue und andere Befriedigungsmittel für neue und andere Bedürfnisse beizuschaffen, um so jene Geldquellen in territorialherrschaftlicher Hand besser anzapfen zu können und stärker zum Fließen zu bringen.
Was indes, allen hauseigenen monetären Ressourcen des östlichen Systems zum Trotz, dem Handel mit dem westlichen Mittelmeer neben seiner unzweifelhaften Rolle, die Warenpalette zu erweitern und den Handel im Osten zu beleben und an Volumen gewinnen zu lassen, von Anfang an auch und ebenso sehr die Aufgabe einer für die hinlängliche Ausstattung des östlichen Marktes mit allgemeinem Äquivalent unentbehrlichen Veranstaltung zur Realisierung des dort geschaffenen Mehrwerts, sprich, eines für das Gedeihen und die Funktionsfähigkeit des östlichen kommerziellen Systems wesentlichen Geldbeschaffungsunternehmens zuweist, ist eine Verknappung der hauseigenen monetären Ressourcen des Ostens, die ihren Grund weniger in deren faktischem Bestand und quantitativem Umfang als vielmehr in ihrer systematischen Verteilung und relativen Verfügbarkeit hat. Nicht, dass zuwenig Edelmetall im östlichen System existiert und der expandierende Markt im Zuge der Befriedigung seines Bedarfs an allgemeinem Äquivalent die vorhandenen Reserven erschöpft, sondern dass sich die vorhandenen Reserven in den falschen Händen befinden und ihre soziale Verteilung eine kontinuierliche, ungehinderte Inanspruchnahme durch den expandierenden Markt vereitelt, bildet mit anderen Worten das Problem. So gewiss das dank Bergbau, Kriegsbeute und Tributen in in den Händen der Territorialherren und ihrer Gefolgschaften versammelte Edelmetall den letzteren im Blick auf die Entstehung und Entwicklung des auf der Grundlage unabhängiger Handelsstädte organisierten kommerziellen Systems eine geburtshelferische Rolle und lebenserhaltende Funktion zuweist, so gewiss bedeutet doch aber die Tatsache, dass sich das Edelmetall in territorialherrschaftlicher Verfügungsgewalt befindet, eine nach Maßgabe der Entfaltung des Systems zunehmende Beeinträchtigung und Beschränkung dieser vom System benötigten maieutischen Leistung und Entwicklungshilfe.
Zu sehr nämlich ist das Edelmetall in territorialherrschaftlicher Hand eingebunden in die fronwirtschaftlich-königsherrschaftliche Machtstrukturen der territorialen Gesellschaften, ausgerichtet auf ihre theokratisch-opferkultlichen Legitimationsprozeduren und in Anspruch genommen von ihren hierarchisch-lebensartlichen Darstellungsformen, zu sehr ist es mit anderen Worten präokkupiert durch repräsentative Symbolfunktionen, rituelle Verwendungsformen und Zwecke demonstrativen Konsums, als dass es jene freie Zugänglichkeit und umfassende Verfügbarkeit beweisen könnte, die der expandierende Markt von ihm erwartet. Geradeso, wie die auf die Konsumbedürfnisse der Oberschicht abgestellte Beteiligung der theokratisch-fronwirtschaftlichen beziehungsweise hierarchisch-ständegesellschaftlichen Territorialstaaten am stadtstaatlich organisierten Warenaustausch geknüpft bleibt an die einschränkende Bedingung einer quasi naturwüchsigen Überschussproduktion der Territorialherrschaften, unbeschadet aller Tendenzen der Territorialherren, im Interesse ihres Konsums die Überschussproduktion am Markt zu orientieren und der bloßen Naturwüchsigkeit zu entreißen, bleibt auch der territorialstaatliche Beitrag zum Geldhandel abhängig von den Restriktionen, denen das Edelmetall in theokratischen oder ständehierarchischen Herrschaftssystemen unterliegt, das heißt, er bleibt konditioniert durch den nichtkommerziellen Gebrauch, der in jenen Systemen vom Edelmetall gemacht wird, beschränkt durch die quasi naturwüchsigen, weil historisch gewachsenen rituellen, repräsentativen und demonstrativen Funktionen, die es um den Preis seiner Aktualisierbarkeit als Geldstoff dort erfüllen muss.
Die herrschaftssystemspezifischen Restriktionen, denen der in den Händen der territorialherrschaftlichen Führungsschichten konzentrierte Geldstoff unterliegt, die nicht sowohl quantitativen Knappheitstendenzen als vielmehr qualitativen Unverfügbarkeitsaspekte, die er hervorkehrt – sie also sind es, was dem stadtstaatlich organisierten kommerziellen System im Zuge seiner Entwicklung als ein nicht nur seine Dynamik lähmendes, sondern mehr noch seine Funktionsfähigkeit in Frage stellendes Hemmnis in die Quere kommt. Um den Hemmschuh zu beseitigen und den weniger empirisch-materiell als systematisch-strukturell bedingten Mangel an Geldstoff zu beheben, kann das kommerzielle System, wie der athenische Griff nach Thrakien und der Kampf um die Goldinsel Thasos illustriert, danach streben, Lagerstätten des begehrten Edelmetalls unter seine direkte Kontrolle zu bringen und deren Ausbeute einer durch keine territorialherrschaftlichen Ansprüche und Vorbehalte restringierten Nutzung zugänglich zu machen. Indes sind solche nicht schon in territorialherrschaftlichem Besitz befindliche Lagerstätten rar, und ihre militärische Okkupation und politische Behauptung setzen außerdem eine einschneidende Reorientierung des handelsrepublikanischen Gemeinwesens voraus, sprich, seine Hinwendung zu jener imperialen Expansions- und hegemonialen Machtstrategie, die nach den Perserkriegen die athenische Polis vollzieht.
Weniger einschneidend und zudem auch leichter gangbar und langfristig erfolgversprechender mutet demgegenüber der Versuch des kommerziellen Systems an, seine Liquiditätsschwierigkeiten im Rahmen und mit Mitteln seines spezifischen kommerziellen Handlungsrepertoires zu überwinden und nämlich durch Austauschprozesse zu bewältigen, die keine kommerzielle Aktivität im ganzen Umfange, kein Warenaustauschvorgang in voller Konsequenz sind, weil sie nicht auf eine möglichst lückenlose Verschränkung von Werterwerb und Wertrealisierung, nicht also darauf zielen, in möglichst ununterbrochener Folge mehrwertigen Warenwert in die Geldform zu überführen, um dann die Geldform sogleich wieder in neuen, mehrwertigen Warenwert zu verwandeln und mit diesem zum Zwecke seiner Realisierung in Geldform zu den Erzeugern des früheren Warenwerts zurückzukehren, sondern weil ihr maßgeblicher Sinn und primärer Nutzen sich darauf beschränkt, nach der Überführung des auf dem Markt versammelten mehrwertigen Warenwerts in die Geldform stante pede auf den Markt zurückzukehren und mit dem realisierten Wert, dem Geld, die Erzeuger des früheren mehrwertigen Warenwerts in die Lage zu versetzen, im gleichen oder größeren Umfang weiteren mehrwertigen Warenwert zu produzieren, kurz, sich darin erschöpft, die im Verhältnis zum Quantum des mittlerweile vorhandenen Warenwerts fehlende Menge an allgemeinem Äquivalent herbeizuschaffen. Um den auf dem Markt eingetretenen relativen Mangel an Geld zu beheben, brauchen dieser Strategie zufolge die Handeltreibenden Geschäftspartner, die sie nur als geldbesitzende Konsumenten, als wertrealisierende Abnehmer ihrer Waren, nicht hingegen auch als werterzeugende Produzenten, als den Erwerb von Mehrwert ermöglichende Lieferanten neuer Waren in Anspruch nehmen, das heißt, sie bemühen sich um Geschäfte, bei denen sie darauf verzichten können, den vollen Ware-Geld-Ware-Zyklus zu absolvieren, und von denen sie deshalb, statt mit neuen mehrwertigen Waren auf den Markt zurückzukehren, deren Realisierung die hauseigene Knappheit an Wertrealisierungsmitteln, die die Handeltreibenden auf der Suche nach neuen Geschäftspartnern ja hinaustreibt, höchstens zu verschlimmern taugt, vielmehr nichts zurückbringen als eben das, woran Mangel herrscht: Wertrealisierungsmittel, Geld.
Und es sind genau diese im kommerziellen Rahmen entfalteten spezifischen Bemühungen um die Behebung des weniger empirisch-materiell als systematisch-strukturell bedingten Liquiditätsproblems im eigenen Haus des östlichen Marktzusammenhanges, für die sich nun in der Tat der Handel mit dem westlichen Mittelmeer als ideales Aktionsfeld anbietet. Nur zu offenkundig entsprechen die dort siedelnden Gruppen dem Profil eines geeigneten Geschäftspartners für jenen zwecks Beschaffung von Geldstoff unvollständig absolvierten Austauschzyklus. Nicht nur verfügen die das Gebiet bevölkernden Stämme und kleinen Gemeinschaften dank verbreiteter und leicht abbaubarer Fundstätten über reichliche Mengen an Edelmetall, sie weisen außerdem auch dank ihrer ökonomischen Rückständigkeit, sozialen Undifferenziertheit und politischen Zersplitterung Organisationsstrukturen auf, die das vorhandene Edelmetall weit weniger in rituelle, repräsentative oder demonstrative Machtkontexte einbinden und viel unmittelbarer und freier für konsumtive Zwecke verfügbar sein lassen als in den östlichen Theokratien beziehungsweise ständehierarchischen Gesellschaften. Und zu allem Überfluss lässt sie ihre ökonomische Rückständigkeit den entwickelten Konsumgütern und vielfältigen Bedürfnisbefriedigungsmitteln aus dem Osten mit besonderer Faszination und förmlichem Heißhunger begegnen und sorgt gleichzeitig dafür, dass sie gar nicht über die erforderliche eigene Produktion für einen regulären Warenaustausch verfügen und als Äquivalent für die begehrten Güter aus dem Osten gar nicht viel mehr anzubieten haben als eben das Edelmetall, mit dem ihre natürliche Umgebung sie versieht. Nimmt man noch hinzu, dass ihre ökonomische Unbedarftheit und ihr politischer Partikularismus sie halbwegs in die Position von Primitiven, von Stammeswilden, drängen, die eine breite Angriffsfläche für ökonomische Übervorteilung und politische Manipulation bieten, so ist nicht weiter verwunderlich, dass die beiden wichtigsten handeltreibenden Gruppen aus dem Osten, Griechen und Karthager, hier ihr gefundenes Fressen wittern und auf der Jagd nach der Mangelware Geld kolonisierend und Handelsniederlassungen gründend ins westliche Mittelmeer, ins Eldorado der Antike, vordringen.
Dabei ist die Tatsache, dass die Karthager schließlich bei diesem Wettlauf die Oberhand behalten und den Löwenanteil der Region unter ihre Kontrolle bringen, nicht sowohl dem zeitlichen Vorsprung, den sie dabei haben, oder der strategisch ungemein günstigen Lage ihrer Stadt und seines Hafens gedankt als vielmehr ihrer stärker kommerziellen Ausrichtung, mit anderen Worten der Tatsache, dass sie sich bei ihrer Kolonisationstätigkeit weit weniger als die Griechen auf ein begleitendes Stratum aristokratisch-bäuerlicher Landnehmer stützen, dass ihre Gründungen keine einem Bündnis zwischen Markt und Oikos, zwischen Handel, Handwerk und Landbau entspringende Städte sind, sondern dass sie eine relativ reine Form von handwerksgestütztem Handelsunternehmen darstellen, dass ihre Niederlassungen Faktoreien bleiben, die sich dem jeweiligen Milieu, in dem sie sich etablieren, relativ fremdkörperhaft aufpfropfen und als wesentlich kommerzielle Standorte oder Stützpunkte nicht ernsthaft Fuß in ihm fassen, keine nennenswerten agrarisch fundierten Wurzeln in ihm schlagen. In der direkten Konfrontation zwar, dort, wo die Konkurrenten einander ins Gehege kommen, in Sizilien, wirkt sich diese der rückhaltloser kommerziellen Ausrichtung entsprechende geringere Bodenhaftung des karthagischen Gemeinwesens, sein Verzicht auf die sozistrukturelle Zweibeinigkeit der griechischen Siedlungen, eher zum Nachteil Karthagos aus; das heißt, sie verschafft den griechischen Städten in der umkämpften Region leichte militärisch-strategische Vorteile, die ihnen ermöglichen, den karthagischen Einfluß zurückzudrängen und auf den westlichen Teil Siziliens beziehungsweise auf das unwirtliche Landesinnere zu beschränken.
Eben das aber, was sie militärisch-strategisch ins Hintertreffen bringt, ihre durch die Konzentration auf den Handel bedingte geringere lokale Verankerung und Standfestigkeit oder, positiv ausgedrückt, größere Beweglichkeit und Flexibilität, erlaubt den Karthagern nun, aus ihrer relativen Unterlegenheit und defensiven Stellung in Sizilien Kapital zu schlagen und nämlich die offensive Konsequenz eines raschen und mangels ernstzunehmender Konkurrenz unaufhaltsamen Ausgreifens nach Westen zu ziehen. Weil das karthagische Gemeinwesen bei seiner Ausbreitung nach Unteritalien und Sizilien auf die schwer überwindlichen Schranken der griechischen Konkurrenz stößt, vollzieht es mit der Leichtigkeit seiner relativ rein kommerziellen Lebensweise, seines Denkens in raumübergreifenden Beziehungen und zwischen fremden Gemeinschaften geknüpften Verbindungen, eine Umorientierung und schweift – anders als die griechischen Gemeinden, die nach der anfänglichen, vom Mutterland ausgehenden und im Extremfall bis zur Rhonemündung reichenden Kolonisation höchstens noch in der näheren Umgebung der entstandenen Siedlungen Tochterkolonien gründen – weit nach Westen aus, etabliert sich auf den übrigen Inseln, entlang der gesamten nordafrikanischen Küste und in Spanien und errichtet ein Netz von Handelsstützpunkten und Häfen, durch die es sich die Kontrolle über die Gewässer und Küsten fast des ganzen, westlich von Sardinien und Korsika gelegenen Mittelmeerabschnittes sichert.
Und indem sich Karthago so im äußersten Westen als führende kommerzielle Macht in Szene setzt und quasi ein Handelsmonopol erringt, sichert es sich zugleich den Zugang zu dem Edelmetall, über das der Westen reichlich verfügt und das die dort lebenden unterentwickelten Stämme und Gemeinschaften bereitwillig nutzen, um trotz aller ökonomischen Rückständigkeit ein dem Entwicklungsstand im Osten halbwegs entsprechendes Konsumniveau zu erreichen, während die östlichen Märkte es dringend brauchen, um über ein der Wertmenge in Warenform, die sich auf ihnen sammelt, entsprechendes und deren Wachstum immer wieder anzupassendes Quantum an allgemeinem Äquivalent zu verfügen. Mit anderen Worten, die Karthager werden dank ihres Handelsmonopols im Westen zu Hauptagenten jenes mit Hilfe auswärtiger Konsumenten absolvierten verkürzten Austauschzyklus, auf den das östliche kommerzielle System angewiesen ist, will es die weniger aus empirisch-materiellen als aus strukturell-systematischen Gründen stockende Wertrealisierung mit dem florierenden Werterwerb zur Deckung bringen, die vorhandene, die Ansprüche der Produzenten auf Konsumtion, auf den Verzehr der Waren, repräsentierende Geldmenge mit der wachsenden, den Anspruch des Marktes auf Akkumulation, auf Mehrprodukt, verkörpernden Warenmenge Schritt halten lassen – kurz, sie werden im Kontext eines dank ihrer Aktivitäten den ganzen Mittelmeerraum umfassenden kommerziellen Systems zu Geldbeschaffern, Geldhändlern vom Dienst.
So sehr die Söldner Leistungen erbringen, die einen konstitutiv existenziellen, systemerhaltenden Faktor darstellen, so sehr wird, weil es sich dabei um keinen positiv materiellen Beitrag zum Markt handelt, weil also, rein ökonomische betrachtet, die Söldner nichts als Konsumenten sind, die Vergütung für die soldatischen Leistungen als Tribut, als ein Opfer erfahren. Solange die militärischen Ausgaben die Gewinne des Handelssystems nur schmälern, nicht in Frage stellen, wird das Opfer hingenommen. In dem Maße aber, wie die Militärausgaben den kommerziellen Wertzuwachs aufzufressen drohen, wächst die Neigung, das Söldnerheer zur nichtkommerziellen Reichtumsbeschaffung zu nutzen und selber für seinen Unterhalt Sorge tragen zu lassen. In diesem Punkt ähnelt die Entwicklung der karthagischen Handelsstadt der Entwicklung Athens zur ägäisch-peloponnesischen Hegemonialmacht.
Und dieses Geld nun, das die Karthager quasi im Auftrage des Ostens im Westen erhandeln und das durch ihre Hände auf die nach ihm dürstenden östlichen Märkte gelangt: es macht sie nicht nur reich, weil es ihnen ermöglicht, bei jedem Warenkauf im Osten sei's direkt, durch den Produzenten in Rechnung gestellte Handelsspannen, sei's indirekt, durch Beteiligung an den Handelsspannen der östlichen Handeltreibenden, Werterwerb zu betreiben, der sich dann bei den Konsumenten im Westen in klingender Münze realisieren lässt – es erlaubt ihnen auch und mehr noch die Lösung des militärisch-strategischen Problems, vor das die ihnen die Rolle von Geldlieferanten für den Osten bescherende und dadurch zu Reichtum verhelfende Ausdehnung nach Westen sie stellt. Jene militärische Wehrhaftigkeit und Schlagkraft, die ihr ausgedehntes Handelsimperium von den Karthagern erheischt und die sie aus eigener Kraft, aus den beschränkten Ressourcen ihrer im wesentlichen auf kommerzielle und handwerkliche Tätigkeiten ausgerichteten Bevölkerung nicht aufzubringen vermögen – sie lässt sich mittels des Geldes ohne Mühe besorgen: in Gestalt nämlich von bezahlten Kriegshandwerkern, besoldeten Fachleuten fürs Militärische, kurz, Soldaten, die als Gegenleistung für den Sold, den sie empfangen, die zur Erhaltung des Imperiums nötigen Angriffs- und Verteidigungsfunktionen erfüllen. Was die Natur ihrer Gründungs- und Kolonisationsgeschichte der Handelsstadt versagt hat, wehrhafte bäuerlich-aristokratische Gruppen, die um der generellen konsumtiven Vorteile und der speziellen Beuteaussichten willen für das Gemeinwesen ins Feld ziehen, das verschafft ihr kompensatorisch das Geld, indem sie es als Sold gebraucht, es, statt es in die östlichen Märkte nutzbringend einzuspeisen und nämlich für den Kauf produktiver Leistungen in Gestalt neuer Waren zu verwenden, vielmehr anderen Gruppen zuwendet und nämlich für den Erwerb der nichtproduktiven, aber dennoch beileibe nicht unnützen und für den Erhalt des Imperiums in der Tat unabdingbaren Leistungen gemieteter Kriegshandwerker opfert.
Dabei soll der mit der Rede von nutzbringender Verwendung einerseits und Zum-Opfer-bringen andererseits suggerierte schroffe Gegensatz im Gebrauch des Geldes mitnichten den Eindruck vermitteln, als sei das eine und das andere, der für den Kauf von Waren gezahlte Preis und der für den Kauf von Soldaten gezahlte Sold, etwas toto coelo Verschiedenes und als handele es sich bei den Soldzahlungen um eine völlige Abweichung vom kommerziellen Tugendpfad der Einspeisung von Wertmitteln, allgemeinem Äquivalent in den Markt, als übten mit anderen Worten die Karthager, wenn sie ihr Geld benutzen, sich Truppen zu mieten, regelrecht Verrat an der ihnen im kommerziellen System zufallenden Aufgabe der Geldbeschaffung für die östlichen Märkte. Ihr Geldbeschaffungsgeschäft verrichten sie vielmehr so oder so – egal, ob sie das im Westen erhandelte Edelmetall für den Kauf neuer Waren oder für die Besoldung von Soldaten ausgeben. Schließlich tragen die Söldner ihr als Sold empfangenes Geld zu Markte, um sich Subsistenzmittel und Konsumgüter dafür zu kaufen, und speisen es somit in das kommerzielle System ein. Der Unterschied ist einzig und allein, dass es in diesem Falle nicht nutzbringend eingespeist, dass es nicht dazu verwendet wird, Produzenten gegen ein Wertäquivalent, bei dem der Anteil des Marktes, die Handelsspanne, in Abschlag gebracht ist, Waren abzukaufen, um diese dann zum vollen Wert weiterzuverkaufen und mit dem dergestalt vermehrten Wertäquivalent neue Waren einzukaufen, sondern dass es den Handeltreibenden nur dazu dient, bereits vorhandene, in ihren Händen befindliche Waren den mit ihm besoldeten Kriegshandwerkern zukommen zu lassen und diese nämlich in die Lage zu versetzen, mit ihm als vollem Wertäquivalent jene von ihnen als Bedürfnisbefriedigungsmittel benötigten Waren auf dem Markte einzutauschen.
Die von der Handelsstadt dotierten Söldner speisen also mittels ihrer Konsumtätigkeit das empfangende Geld sehr wohl in den Zirkulationszusammenhang des Marktes ein und entsprechen, so gesehen, dem für die Erhaltung des Marktes grundlegenden Erfordernis, die auf dem Markte fehlenden und durch den Handel mit systemfremden Konsumenten beschafften Wertmittel zur Wiederherstellung eines Gleichgewichts zwischen allgemeinem Äquivalent und Warenkontingent, zwischen der vorhandenen Geldmenge und der in Warenform akkumulierten Wertmenge zu verwenden, aber sie tun das, ohne der normalerweise von den Handeltreibenden erhobenen und mit dem Geld quasi automatisch verknüpften Forderung nach einem der konsumtiven Wertrealisierung, die das Gleichgewicht herstellt, korrespondierenden produktiven Wertzuwachs, der es gleich wieder aufhebt, zu genügen, ohne dass also die durch Anpassung des Geldmenge an die Menge des Warenwerts sichergestellte Erhaltung des Marktes mit einer im Anpassungsakt beschlossenen neuerlichen relativen Vergrößerung der Wertmenge in Warenform, kurz, mit einer weiteren Entfaltung des Marktes einherginge. Mit anderen Worten, die mit dem Geld aus den Handelsgeschäften im Westen dotierten Söldner treten nur in der Eigenschaft von Konsumenten, nicht auch in der normalerweise mit dem Konsumentenstatus janusköpfig verknüpften Funktion von Produzenten auf, liefern nicht uno actu des Anspruchs auf ein Quantum Warenwert, den sie kraft des empfangenen Geldes erheben, neuen vermehrten Warenwert, mit dem sie den Empfang des Geldes vergelten.
Nicht, dass sie überhaupt nichts lieferten, nicht als Gegenleistung für den empfangenen Sold eine im Kriegsdienst bestehende Arbeit verrichteten, die sich, gemessen an der für sie verausgabten Lebenskraft und aufgewendeten Lebenszeit, den materiellen oder strukturellen Leistungen der anderen, direkt oder indirekt an der Warenproduktion beteiligten Konsumenten durchaus vergleichen lässt. Nur schlägt diese Leistung nicht auf der Habenseite des Marktes selbst zu Buche, ist keinerlei Beitrag zu dem qua Markt entfalteten System der mittels Produktion, Zirkulation und Distribution organisierten Versorgung des Sozialcorpus mit Subsistenzmitteln, sondern hat ausschließlich Relevanz für das Sein des Systems selbst, beschränkt sich darauf, zur Erhaltung der Marktinstitution als solcher beizutragen. Und weil nun aber die Gegenleistung der Söldner nicht als positiv materieller oder struktureller Beitrag zum Markt zu Buche schlägt, weil sie bloß die Funktion eines konstitutiv existentiellen, systemerhaltenden Faktors erfüllt, geht der Sold, der für sie bezahlt wird, nolens volens zu Lasten des Systems selbst und laufen nämlich die Ansprüche auf Leistungen des Marktes, die dieser Sold verkörpert, auf eine Teilhabe an den materiellen und strukturellen Beiträgen der anderen, zugleich als Produzenten dem Markt zuarbeitenden Konsumenten hinaus – genauer gesagt, sie beziehen sich, da ja die anderen, als Produzenten für den Markt tätigen Konsumenten den Teil ihrer Beiträge zum Markt, auf den der dafür erhaltene Lohn ihnen einen Anspruch verleiht, mit Beschlag belegen und konsumieren, auf jenen als Mehrwert geschaffenen Teil der Beiträge, den der Markt als seinen Anteil, seinen Gewinn am Austauschgeschäft mit den anderen, den Produzenten, akquiriert und den er, um ihn seiner Warenhülle zu entkleiden und als Wert zu realisieren, an Konsumenten verkaufen muss, die nicht zur Schar der dem Markt zuarbeitenden und von ihm für ihre Beiträge Geldlohn empfangenden Produzenten gehören, die vielmehr ihr Geld aus fremden, von der Geldmenge, die als allgemeines Äquivalent auf dem Markt zirkuliert, unterschiedenen Quellen schöpfen.
Die Rolle dieser Konsumenten, die nicht zugleich Produzenten sind, aber über Geld aus anderen Quellen verfügen und deshalb die Realisierung des im Mehrprodukt der Produzenten, im Warenanteil des Marktes, steckenden Mehrwerts übernehmen können, spielen also die Söldner; nur, dass das Geld, über das sie verfügen, ja nicht aus fremden Quellen, sondern vom Markt selbst stammt, eben der Sold ist, den ihnen die Betreiberin des Marktes, die Handelsstadt, für ihre soldatische Tätigkeit zahlt. Dieses Geld hat der Markt, haben seine Repräsentanten, die karthagischen Handeltreibenden, zuvor bei Konsumenten im Westen im Austausch gegen Waren aus dem Osten beschafft; aber statt es nun in neue Waren aus dem Osten investieren und das heißt, darauf sehen zu können, dass es, wie einerseits zur nötigen Anpassung der auf den östlichen Märkten zirkulierenden Menge allgemeinen Äquivalents an die in Warenform vorhandene Wertmenge, so andererseits aber gleich auch wieder zur Vermehrung eben jener in Warenform vorhandenen Wertmenge genutzt wird – statt also zusehen zu können, dass das Geld der aus der kommerziellen Perspektive mit ihm verknüpften simultanen Aufgabe oder janusköpfigen Funktion von Wertrealisierung und Werterwerb gerecht wird, müssen sie, die karthagischen Handeltreibenden, zulassen oder besser eigenhändig dafür sorgen, dass es in die Hände von Gruppen gelangt, die dafür keinerlei produktiv-materiellen oder zirkulativ-strukturellen Beitrag zu der qua Markt vorhandenen Warensammlung leisten, sondern nichts weiter damit anfangen, als sich aus der vorhandenen Warensammlung zu bedienen und an ihr schadlos zu halten, und die also, weil sie sich ja nolens volens nur an dem Teil der vorhandenen Warensammlung schadlos zu halten vermögen, den deren Produzenten mit dem ihnen als Entgelt für ihre Arbeitsleistung gezahlten Geld nicht in Anspruch nehmen können und der vielmehr den Handeltreibenden als ihr Gewinn, ihr Anteil verbleibt, kompensationslos aufzehren und als kostspielige Kostgänger verbrauchen, was die Handeltreibenden per Marktmechanismus akkumulieren und um dessentwillen sie das Geschäft des Marktes überhaupt nur betreiben.
So betrachtet, lässt sich durchaus von einem Opfer sprechen, das die Handelsrepublik um ihrer politisch-militärischen Selbstbehauptung willen bringen, von einem Tribut, den sie in Form des an ihre Mietstruppen gezahlten Soldes entrichten muss. Sosehr es für sie naheliegt, zur Bewältigung der mit ihrer Expansion entstehenden militärisch-politischen Aufgaben den spezifischen Reichtum, den sie im Handel mit dem Westen akkumuliert, zu nutzen, und sosehr die Beschaffenheit dieses Reichtums, seine Geldform, die Form der Aufgabenlösung, die Schaffung einer aus Söldnern, aus Kriegshandwerkern, die Geldlohn empfangen, bestehenden Streitmacht prädisponiert, sosehr empfindet sie es doch als Ärgernis, dass sie ihr gutes Geld für solch unproduktiven Zweck ausgeben, das Kapital, mit dem sie wuchern, mehr Kapital in Warenform anhäufen könnte, bloß für die Realisierung bereits angehäuften Kapitals, seine Überführung in die Geldform verschwenden muss, sosehr bleibt es mit anderen Worten aus ihrer Sicht ein Stein des Anstoßes, dass sie zwecks Erhaltung ihres Marktes und der Bereicherungschancen oder Akkumulationsraten, die er bietet, auf einen Teil dieser Bereicherungschancen verzichten, bei den Akkumulationsraten Abstriche machen müssen. Mag der finanzielle Aufwand für das Söldnerheer politisch-militärisch noch so zwingend geboten sein – ökonomisch-kalkulatorisch betrachtet, widerstreitet er nicht nur prinzipiell der Funktion des Geldes, das als allgemeines Äquivalent der auf dem Markt versammelten Werte unfehlbar den Mehrwertanspruch dieser Werte vertritt, er bedeutet auch ganz reell eine Beeinträchtigung des Wachstums und Gedeihens eben der kommerziellen Institution, um deren Bestehen und Wohlergehen willen die Republik ihn doch gerade treibt.
Solange sich diese Beeinträchtigung des kommerziellen Wachstums, mit der die Handelsrepublik die Sicherung ihrer Existenz erkauft, in Grenzen hält, solange mit anderen Worten der finanzielle Aufwand für das Söldnerheer den Wertzuwachs aus den kommerziellen Transaktionen nicht übersteigt, die Handelsgewinne, die mit dem nicht als Sold verwendeten Geld die Republik auf den östlichen Märkten erzielt, nicht aufzehrt, sondern vielmehr noch Raum lässt für eine wenn auch geschmälerte Akkumulation, mag das schließliche Ergebnis den Tribut noch zu verlohnen, der Gewinn das Opfer noch wert scheinen. Je weiter indes Karthago seine Expansion vorantreibt, um so prekärer wird die Bilanz zwischen den kommerziellen Bereicherungsmöglichkeiten, die sich der Handelsstadt durch neuerschlossene Gebiete eröffnen, und dem militärischen Aufwand, den sie treiben muss, um diese Gebiete ihrem Handelssystem einzugliedern und ihre Präsenz vor Ort strategisch und logistisch abzusichern. Je größer die Entfernungen zu den Grenzregionen werden und je mehr der Umfang des kontrollierten Gesamtgebiets wächst, um so stärker tendieren tatsächlich die Aufwendungen für den Militärapparat, die Ausgaben für die Einrichtung von Stützpunkten und Grenzbefestigungen, für den Bau und die Ausrüstung von Kriegsschiffen, für die Ausstattung des Waffenarsenals, aus dem Ruder zu laufen und sich über die für das handelsstädtische Gesamtunternehmen konstitutive Rücksicht auf kommerzielle Rentabilität hinwegzusetzen.
Und je mehr aber die Gefahr wächst, dass die Militärausgaben den mittels Handelskapital erzielten Wertzuwachs auffressen und am Kapital als solchem zu zehren beginnen, um so größer wird nun die Versuchung und um so unwiderstehlicher in der Tat der Zwang, auf die nur uneigentlich so zu nennende Produktivkraft, die besondere Kapazität zur Beschaffung von Reichtum zurückzugreifen, die im Söldnerheer selbst steckt, und also die besoldete Streitmacht mit den ihr eigenen, kriegshandwerklichen Mitteln exaktiver Gewalt und expropriativer Besitzergreifung für die Kompensation der durch sie verursachten Unkosten, die Reparation des für sie aufgewendeten Soldes sorgen zu lassen. Ganz ähnlich wie die griechische Polis gelangt so auch die karthagische Republik schließlich dazu, die Flotte und das Heer, die sie sich aus militärisch-strategischen Gründen zugelegt hat, für ökonomisch-ärarische Zwecke einzusetzen und nämlich zu benutzen, um auf anderem als kommerziellem Wege Reichtum zu beschaffen und Ersatz für die Unkosten zu leisten, die mit der kommerziellen Entwicklung und Ausbreitung des Gemeinwesens verknüpft sind. Allerdings sind nach ihrer Herkunft und Bestimmung diese Unkosten in den beiden Fällen höchst verschieden: Bei der Polis Athen sind sie eher eine interne Affäre und primär in der Notwendigkeit begründet, die den inneren Frieden bedrohende Armut zu bekämpfen, in die sich Teile der Polisbevölkerung durch den Expansions- und Akkumulationsprozess der kommerziellen Funktion und der ihr zuarbeitenden Gewerbe gestürzt finden; während im Falle der karthagischen Republik die Unkosten eher ein externes Phänomen bilden und sich dem Zwang zur Bewältigung der die äußere Stabilität in Frage stellenden strategischen, organisatorischen und logistischen Probleme verdanken, mit denen eben jener Expansions- und Akkumulationsprozess der kommerziellen Funktion das Gemeinwesen konfrontiert.
In der auf einer Kombination aus bäuerlich-aristokratischen und handwerklich-kommerziellen Gruppen basierenden griechischen Republik sind mit anderen Worten die in Form von Rüstungsausgaben und Soldzahlungen entstehenden und zu Lasten der kommerziellen Funktion gehenden Unkosten Resultat der negativen Auswirkungen auf die Sozialstruktur, die das expansive Tun und akkumulative Treiben der kommerziellen Funktion hat; dass die Unkosten die Form von militärischen Aufwendungen annehmen, ist dabei weniger der systematischen Konsequenz der kommerziellen Expansion selbst, als dem historischen Zufall einer auswärtigen Aggression geschuldet. Als die persische Bedrohung gebannt ist, hat sich aus militärpolitischer Sicht diese Form von Aufwendungen eigentlich erledigt und könnte wieder abgeschafft werden; sozialpolitisch betrachtet indes hat sie sich bewährt und dringt auf Beibehaltung. Beibehalten werden aber soll das als Streitmacht installierte sozialpolitische Instrument nach Möglichkeit nicht auf Kosten der kommerziellen Funktion; es liegt in der innersten Logik des auf eine hohe Akkumulationsrate und niedrige Betriebskosten, kurz auf eine Maximierung des Profits, abgestellten Marktsystems, die Unkosten für sein Funktionieren, soweit irgend gangbar, auf andere als die Repräsentanten der kommerziellen Funktion abzuwälzen, und dies um so mehr, als im Falle der griechischen Polis die Unkosten ja nicht einmal in einem positiven und direkten, betriebsfunktionellen Zusammenhang mit dem kommerziellen Treiben stehen, sondern sich bloß aus den negativen und indirekten, sozialstrukturellen Folgen jenes Treibens ergeben.
Und hier bietet sich denn als geeignetes Instrument für das Abwälzen der Unkosten, die das qua Streitmacht ins Leben gerufene sozialpolitische Instrument macht, eben es selbst, die Streitmacht an: Sie soll mit dem ihr eigenen Wirkmechanismus, nämlich mit Gewalt oder der Androhung von Gewalt, aus anderen herauspressen, was sonst ihr eigenes Gemeinwesen für sie aufbringen müsste, soll sich ihren Unterhalt, der ineins sie als sozialpolitisches Instrument und als Instrument und als Selbsterhaltungsinstrument unterhält, von anderen bezahlen lassen. Als diese anderen aber bieten sich nach Maßgabe der geographischen Lage, strategischen Ausrichtung und ökonomischen Einbettung der Polis Athen zuerst und vor allem die dem ägäischen System zugehörigen Handelsstädte und Inselrepubliken an. Der unter dem Vorwand einer fortdauernden militärischen Bedrohung der Ägäis geschlossene und von der überlegenen athenischen Streitmacht beherrschte Attisch-Delische Seebund ist der institutionelle Rahmen, in dem Athen die Bundesgenossen zur Kasse bittet und aus ihnen herauspresst, was es für die Aufrechterhaltung, sprich, für den Unterhalt seiner überlegenen Streitmacht und des in dieser implizierten sozialpolitischen Instruments benötigt.
Systematisch gesehen, und das heißt, aus der Perspektive des gesamten ägäischen Handelssystems betrachtet, bleibt allerdings diese durch die Umfunktionierung der Streitmacht in einen Reichtumsbeschaffungsapparat erreichte Entlastung der kommerziellen Funktion von den Kosten für sie und Abwälzung dieser Kosten auf andere eine Spiegelfechterei. Wenn die bundesgenossenschaftlichen Handelsstädte unter dem Druck und Diktat der überlegenen athenischen Streitmacht die Zeche für eben diese, von der athenischen Polis bei Gelegenheit der persischen Aggression als sozialpolitisches Instrument installierte Streitmacht zahlen, dann ist es, aufs Ganze gesehen, nach wie vor die kommerzielle Funktion, die die Rechnung begleichen muss; nur hat sie sich quasi aufgespalten, in die kommerzielle Funktion der Polis Athen und in die des übrigen Handelssystems auseinanderdividiert und kann so eine als Aneignung fremden Reichtums erscheinende Selbstausbeutung betreiben. Das zum Hegemon und Wasserkopf mutierte dynamischen Zentrum des Handelssystems schröpft seine Handelspartner und finanziert mit deren Tribut seinen internen Sozialausgleich; aber aller Aufspaltung und verfremdenden Perspektive zum Trotz bleiben die Handelspartner doch mit dem Hegemon systematisch verknüpft, bleiben tragende Säulen seines eigenen Wohlstandes, und indem er sie tributär ausbeutet, finanziell entkräftet, unterminiert der Hegemon seine eigene Stärke und Stellung und erhält im Peloponnesischen Krieg die Quittung für seinen untauglichen Versuch, sich die Aufwendungen für sein ihn, den Kopf des Organismus, betreffendes Sanierungsprogramm aus den eigenen Rippen der zum Fremdcorpus deklarierten übrigen Organe zu schneiden.
In der karthagischen Republik ist die Streitmacht nicht wie in der griechischen Polis sozialpolitisch motiviert, sondern rein vom positiven Interesse an der kommerziellen Expansion diktiert. Dennoch empfindet auch die karthagische Republik die militärischen Unkosten als Belastung und sucht sie anderen aufzubürden. Die Umfunktionierung der Streitmacht in ein Instrument zur aktiven Reichtumsbeschaffung, die in der unter staatlicher Kontrolle betriebenen Ausbeutung von Bodenschätzen und Bewirtschaftung von Frongütern resultiert, verschiebt das Machtverhältnis zwischen den Vertretern der Handelsfunktion und den militärischen Befehlshabern zugunsten der letzteren. Dass es nicht zu einer Machtübernahme durch die Heerführer kommt, ist einmal mehr der relativen sozialen Konfliktfreiheit geschuldet, die das karthagische Gemeinwesen im Unterschied zur athenischen Polis und zur Römischen Republik auszeichnet.
Anders als in der athenischen Polis bringt in der karthagischen Republik die Entfaltung der kommerziellen Funktion die Sozialstruktur nicht oder jedenfalls wesentlich weniger in Unordnung und lässt deshalb auch eine als sozialpolitisches Instrument, als Brotgeber für die städtischen Armen, funktionierende Streitmacht nicht oder jedenfalls nicht zwingend erforderlich werden. Als eine den ländlich-agrarischen Regionen, in denen sie sich niederlässt, abstrakt aufgesetzte, unvermittelt oktroyierte, relativ homogene Gemeinschaft aus Handeltreibenden und Handwerkern, verfügt die karthagische Republik über keine bäuerlichen Schichten, die verarmen und zur zentralen Belastung für den sozialen Frieden in der Stadt werden könnten. Wie die Führungsschicht keine ökonomisch anders fundierte und mit den Handeltreibenden bloß paktierende Aristokratie, sondern eben nur die als Patriziat sich etablierende Gruppe der Handeltreibenden selbst ist, so gleicht auch die Bürgerschaft nicht dem für die Polis charakteristischen, aus bäuerlicher Mittelschicht und handwerklicher Unterschicht zusammengesetzten, zwieschlächtigen Gebilde, das die elektrisierende Kraft der kommerziellen Funktion einem Katalyseprozess unterwirft, an dessen Ende beide Schichten zur neuen sprengkräftigen Konstellation aus vielen Armen und wenigen Reichen sortiert erscheinen.
Wenn es zu Verarmungsphänomenen kommt, dann im weiteren Umfeld der Handelskolonie, wo die nicht zur Bürgerschaft zählende einheimische Bevölkerung einerseits als Zulieferer landwirtschaftlicher Produkte in ökonomische Abhängigkeit von der Stadt gerät und andererseits durch billige Lebensmittelimporte, für die der Seehandel sorgt, unter Preisdruck gesetzt wird, und an den Rändern der Kolonie, wo sich Abwanderer aus dieser verarmenden Landbevölkerung und Zuzügler aus den benachbarten Territorien auf der Suche nach Arbeit und Brot niederlassen und durch die Konkurrenz, die sie sich auf dem städtischen Arbeitsmarkt gegenseitig machen, ein ad libitum ausbeutbares Fremdarbeiterheer bilden. Da diese durch die Handelsstadt evozierten Armen keinen Bürgerstatus besitzen und in einer ganz marginalen Stellung zur Stadt situiert sind, braucht sich das Gemeinwesen in keiner Weise verantwortlich für sie zu fühlen und kann auf jene sozialpolitischen Maßnamen, zu denen sich unter gleichen oder ähnlichen Umständen die athenische Polis gedrängt sieht, verzichten; solange die Fremden ordnungspolitisch unter Kontrolle zu halten sind und nicht durch ihre schiere Zahl und Bedürftigkeit zur Bedrohung des Stadtfriedens werden, kann nichts die Bürgerschaft davon abhalten, rücksichts- und gewissenlos von ihrer wohlfeilen Arbeit zu profitieren beziehungsweise ihnen gegebenenfalls andere für das Wohlergehen des Gemeinwesens nötige Leistungen abzuverlangen. Eine solche andere Leistung aber ist der Söldnerdienst, für den die Expansion der kommerziellen Funktion nicht etwa indirekt und negativ, durch innerstädtische sozialstrukturelle Konsequenzen, sondern direkt und positiv, durch imperiumsspezifische militärstrategische Implikationen, Bedarf schafft.
Anders als bei der griechischen Polis erweist sich bei der karthagischen Republik der militärische Faktor bald schon als integrierendes Moment der kommerziellen Expansion selbst. Die athenische Polis hat es bei ihrer kommerziellen Entfaltung teils mit ihresgleichen, nämlich mit den übrigen im ägäischen System einbegriffenen griechischen Handelsstädten, teils mit starken, gut organisierten Territorialherrschaften zu tun. In der einen wie in der anderen Hinsicht kann sie mit militärischer Unterstützung von Haus aus wenig anfangen. Auf die zum beiderseitigen Vorteil unterhaltenen Austauschbeziehungen mit ihresgleichen kann sich militärische Gewalt im Normalfall nur nachteilig auswirken, während bei den territorialstaatlichen Handelspartnern die Polis mit militärischen Mitteln ohnehin nichts ausrichten kann, weshalb sie ebenso sehr auf deren Interesse an friedlichen und stabilen Austauschbeziehungen angewiesen wie in ihren Expansionsmöglichkeiten auf die peripheren Kontaktstellen beschränkt bleibt, die ihr jene auf ihrem Territorium jeweils einräumen. Die karthagische Republik hingegen steht teils in von kriegerischer Feindseligkeit geprägter Konkurrenz mit den handeltreibenden griechischen Kolonien vor ihrer Haustür, teils stößt sie, da sie sich dieser Konkurrenz, mit der sie mehr schlecht als recht zurande kommt, in Richtung Westen entzieht, in Gebiete vor, die ihr zwar dank des geringen politischen Organisationsgrades der sie besiedelnden Völkerschaften eine relativ ungehinderte Expansion erlauben und ihr ermöglichen, sich mit Hilfe von Koloniegründungen und Handelsstützpunkten in vergleichsweise kurzer Zeit ein ansehnliches Küstenreich zu schaffen, die sie aber auch durch ihre geographische Weitläufigkeit, ihre politisch-ökonomische Zusammenhanglosigkeit und ihre ethnisch-kulturelle Vielfalt vor die besagten strategischen, ordnungspolitischen und logistischen Probleme stellen – zumal die ihr Küstenreich umlagernden Volksgruppen, mit denen sie Handel treibt, zwar dank ihrer ökonomischen Partikularität und ökonomischen Rückständigkeit einerseits als Gegenmacht wenig zu fürchten und als Handelspartner leicht zu handhaben, andererseits aber auch zu unkontrollierten Übergriffen und räuberischen Überfällen geneigt und als Vertragspartner wenig vertrauenswürdig sind.
Während sich also die athenische Polis, den Zufall der äußeren Bedrohung nutzend, aus wesentlich sozialpolitischen Gründen, die indirekte Konsequenz der kommerziellen Expansion sind, eine Streitmacht zulegt, tut dies die karthagische Republik direkt aus dem Grund und im positiven Interesse der kommerziellen Expansion selbst; und die Rekruten für diese Streitmacht, die Kriegshandwerker, die sie gegen Sold anwirbt, bezieht sie aus jenem das Gemeinwesen umlagernden Fundus von Armen und Deklassierten, der hier wie dort Produkt der kommerziellen Expansion ist und der aber, während er dort, in Athen, die Sozialstruktur belastet und um des inneren Friedens willen nach Lösungsanstrengungen und Kompensationsleistungen verlangt, hier, in Karthago, ein die Sozialstruktur gar nicht berührendes Reservoir billiger Fremdarbeiter darstellt, das für die Lösung anderer, äußerer Konflikte und für die Kompensation expansionsstruktureller Defizite zur Verfügung steht.
Obwohl aber demnach die Aufrüstung Karthagos eine originäre Folge und authentische Implikation des Aufbaues eines Handelsimperiums ist und obwohl sie von daher gar nicht im Verdacht steht, tote Kosten, sprich, den Preis darzustellen, den die kommerzielle Funktion für die sozialen Schäden zahlen muss, die sie im Zuge ihrer Expansion im Innern des Gemeinwesens anrichtet, sondern vielmehr beanspruchen kann, eine notwendige Investition, sprich, der Preis zu sein, den die kommerzielle Funktion für ihre weitere Expansion zahlen muss und den die von ihm im Umkreis des Gemeinwesens angerichteten Schäden höchstens und nur gering zu halten dienen, weil sie unter anderem in der Bereitstellung wohlfeiler Söldner resultieren – obwohl das so ist, widerstrebt es der kommerziellen Funktion in der karthagischen Republik um kein Jota weniger als ihrer Kollegin in der athenischen Polis, diese in der Schlussbilanz als unproduktive Ausgaben, als den Gewinn schmälernde, die Akkumulation beeinträchtigende Unkosten zu Buche schlagenden Aufwendungen für die Rüstung zu tragen und aus der eigenen Tasche zu bestreiten. So zwingend ist das mit der Kapitalakkumulation verknüpfte Profitmaximierungsgebot, so verpflichtend das Prinzip, den im kommerziellen Austausch erzielten Gewinn nach Möglichkeit ungeschmälert in neue gewinnträchtige Austauschprozesse zu stecken, dass selbst die grundlegendste, für den Erhalt des Systems unabdingbarste Investition, soweit sie nicht ihrerseits wieder Gewinn abwirft, von der kommerziellen Funktion als Belastung erfahren, als ein Opfer, ein schmerzlicher Tribut empfunden und letzterer deshalb zum Anstoß wird, sie, wenn irgend machbar, von anderen tragen zu lassen, die Kosten für sie anderen aufzubürden.
Und das aber ist nun bei dieser im karthagischen Söldnerheer bestehenden systemerhaltenden, weil für den strategischen, ordnungspolitischen und logistischen Zusammenhalt des karthagischen Handelsimperiums unentbehrlichen Investition ein Leichtes und weit einfacher zu bewerkstelligen als im Falle der athenischen Polis. Während in Athen die Abwälzung der Unkosten für die qua Streitmacht getätigte Investition auf andere, das heißt, die Umfunktionierung der Streitmacht in ein sich selbst tragendes, direktes Reichtumsbeschaffungsinstrument, nur durch einen Trick gelingt und nämlich in der Weise verwirklicht wird, dass die kommerzielle Funktion der athenischen Polis sich selbst in der entfremdeten Gestalt der kommerziellen Funktion der Bundesgenossen melkt und schröpft, dass mit anderen Worten die Polis Athen kraft ihrer Streitmacht bei ihresgleichen, den übrigen Poleis, abkassiert und schmarotzt, erscheint in Karthago die Reichtumsbeschaffung durchs Militär, die Verwandlung der Streitmacht in eine Art Produktionsapparat, der für seinen eigenen Unterhalt sorgt, eine ohne weiteres praktikable Perspektive und zur Akkumulation durch kommerzielle Aktivitäten echte Alternative. Im Unterschied zu Athen, das durch seine Einbettung ins ägäische Handelssystem beim Versuch, sich auf anderen als kommerziell-transaktiven Wegen und nämlich mit militärisch-exaktiven Mitteln Reichtum zu beschaffen, zwangsläufig erst einmal auf seinesgleichen, die übrigen Handelsrepubliken, stößt und das, soweit andere, nicht schon dem Markt integrierte, sondern ihm entweder überhaupt fernstehende oder aber als reine Produzenten beziehungsweise Konsumenten äußerlich attachierte Gruppen als Reichtumslieferanten wider Willen in Betracht kommen, diese vornehmlich in der integralen Gestalt gut organisierter, wehrhafter Territorialherrschaften antrifft – im Unterschied also zum eingekreisten Athen bekommt es Karthago bei seiner ins Blaue des mittelmeerischen Wilden Westens vorgetragenen Expansion fast durchweg mit solchen, nicht als kommerzielle Funktionäre dem Markte eingegliederten, sondern ihm bloß in der Rolle von Produzenten beziehungsweise Konsumenten zuarbeitenden Gruppen zu tun, die sich zudem aufgrund ihres politischen Partikularismus und ihres geringen Grades an Organisation und Wehrkraft als Kandidaten für eine unfreiwillige Übernahme der von der kommerziellen Funktion gescheuten Unterhaltskosten fürs Söldnerheer geradezu anbieten: So gewiss der Reichtum, über den diese Gruppen verfügen, kein bereits durch Zirkulation herausprozessierter, durch kommerzielle Austauschprozesse akkumulierter, sondern ein vor allem Markt aus Natur, Arbeit, Tausch, Raub hervorgegangener Reichtum und so gewiss es ein vergleichsweise Leichtes ist, sich mit den nichtkommerziellen Mitteln militärischer Gewalt Teile davon anzueignen, so gewiss drängt sich hier das karthagische Söldnerheer als ein passendes Instrument auf, die eigenen Gestehungskosten auf andere, eben jene fremden Gruppen, abzuwälzen und so die kommerzielle Funktion der Handelsrepublik und den durch sie akkumulierten Reichtum von der Bürde dieser Kosten zu befreien.
Dabei sorgt die ökonomische Rückständigkeit der betroffenen Gruppen dafür, dass die mittels Streitmacht ins Werk gesetzte Strategie einer zwangsweise-direkten, nichtkommerziell-expropriativen Reichtumsbeschaffung vornehmlich zwei Richtungen einschlägt und nämlich auf die beiden wertvollen Rohstoffe zielt, die der westliche Mittelmeerraum zu bieten hat: Edelmetall, das auf den östlichen Märkten als allgemeines Wertäquivalent, als Geld, benötigt wird, und Menschen, die sich als Arbeitskräfte, als Wertschöpfer, einsetzen lassen. Zum einen dient ihr Söldnerheer der karthagischen Republik dazu, sich durch territoriale Eroberungen in den Besitz von Silber-, Zinn- und Goldgruben zu bringen und deren Ausbeutung in die eigene Hand zu nehmen. Zum anderen nutzt die karthagische Republik das militärische Zwangsinstrument dazu, auf den fremden Territorien landwirtschaftliche Betriebe in Form von Staatsgütern einzurichten, das heißt, Land zu beschlagnahmen und von Zwangsarbeitern, die aus den umgebenden Gruppen rekrutiert werden, bewirtschaften zu lassen.
So lukrativ diese beiden Methoden einer gewaltsam-direkten Reichtumsbeschaffung sein mögen und so sehr sie sich in der Tat geeignet zeigen, die Unkosten für das als Steigbügelhalter und Flankenschutz der kommerziellen Funktion aufgestellte Söldnerheer ohne Rekurs auf die finanziellen Mittel der letzteren zu decken beziehungsweise mehr als wettzumachen, ihre Auswirkungen auf die ökonomische Struktur der Republik und die auf ihr aufbauenden politischen Machtverhältnisse sind einschneidend! Wenngleich es stimmt, dass die Reichtumsbeschaffung, zu der die Streitmacht das Instrument und die Handhabe bietet, zu Lasten der fremden Gruppen geht und also die kommerzielle Funktion der Republik nicht im Sinne einer unmittelbaren Belastung tangiert, stimmt es doch auch, dass die fremden Gruppen ein und dieselben sind, mit denen die kommerzielle Funktion Handel treibt und an denen sie sich mittels kommerziellen Austausches bereichert, und dass, so gesehen, die exaktiv-direkte Reichtumsbeschaffung durch die Ausübung von Gewalt mit der kontraktiv-indirekten Reichtumsbeschaffung durch Handelsaustausch in Konkurrenz tritt und mittelbar das konkurrierende Verfahren ebenso sehr in seinem Procedere stört wie in seinen Erfolgsaussichten beeinträchtigt. So gewiss die zwangsweise Aneignung fremden Reichtums durch eine unter staatlicher Regie praktizierte Ausbeutung von Bodenschätzen und Bewirtschaftung von Frongütern die gleichen Volksgruppen und Gemeinschaften trifft, mit denen der karthagische Handel seine der Beschaffung von Edelmetall für die östlichen Märkte und von Nahrungsmitteln für die Stadt selbst dienlichen Geschäfte treibt, so gewiss kommt die neue, exaktive Reichtumsbeschaffungsmethode der alten, kontraktiven ins Gehege und etabliert sich auf ihre Kosten oder schränkt jedenfalls ihre Entfaltungsmöglichkeiten und Akkumulationsaussichten ein.
Nicht, dass dies, ökonomisch betrachtet, ein Einwand gegen die zweigleisige Bereicherungsstrategie sein könnte, die nunmehr die karthagische Republik verfolgt. Mögen auch die Formen einer gewaltsamen Aneignung fremden Reichtums, die das ins Beschaffungsinstrument verwandelte militärische Korps praktiziert, die von der kommerziellen Funktion geübte konventionell-austauschförmige Aneignungsmethode einschränken und zum Teil sogar ersetzen, dank der Effektivität der unter direkter militärischer Kontrolle geübten Ausbeutung der Bodenschätze und Arbeitskräfte und der kompensationslosen Einseitigkeit des auf diese Weise getätigten Reichtumstransfers erweist sich die ökonomische Bilanz als positiv und kommt unter dem Strich mehr heraus, als ein rein kommerzielles Procedere zu erbringen vermöchte. Politisch gesehen allerdings verändert die zweigleisige Bereicherungsstrategie das Gesicht der karthagischen Republik nachhaltig. In dem Maße, wie die karthagische Streitmacht ebenso sehr als extraktionsökonomisches Instrument wie als expansionsstrategisches Vehikel an Bedeutung gewinnt, nimmt nolens volens auch der politische Einfluß zu, den sie beziehungsweise ihre militärische Führung auf die Staatsgeschäfte ausübt. Der patrizischen Bürgerschaft entstammend, mausern sich die Feldherren der aus Bürgern und immer größeren Söldnerkontingenten gemischten Streitkräfte, zu einer politischen Fraktion, die kraft der zunehmend wichtigeren Rolle, die im Blick auf die Wahrung nicht nur der Sicherheit und Integrität, sondern mehr noch des Wohlstands und der Prosperität der Republik den Streitkräften zufällt, als ein bestimmender Machtfaktor der als patrizische Oberschicht regierenden Kaufmannschaft, wie man will, stützend zur Seite oder konkurrierend gegenüber tritt.
Das politische Gewicht der Heerführer wird noch zusätzlich dadurch gestärkt, dass eben das Söldnerheer, dessen für die Integrität und Prosperität der Handelsstadt und ihres Imperiums segensreichem Wirken sie ihre machtfaktorelle Stellung verdanken, zu Aktivitäten tendiert, die der Handelsstadt und ihrem Imperium im Gegenteil verderblich zu werden drohen, und nämlich dazu neigt, Meutereien anzuzetteln und sich gegen den eigenen Arbeitgeber zu erheben, sei's, um Solderhöhungen zu erzwingen, sei's, um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu erreichen, sei's, um sich verhasster militärischer Disziplin zu entziehen, sei's, um freie Hand zum Plündern und Brandschatzen zu bekommen, und dass deshalb die Heerführer die doppelte Aufgabe erfüllen müssen, einerseits das Söldnerheer als Sicherheitsdienst und Bereicherungsinstrument für die Republik verfügbar zu halten und zum Einsatz zu bringen und andererseits aber auch die Republik gegen die Gefahren und Schrecken zu schützen, die das Söldnerheer in sich birgt und die es gegebenenfalls zu einem Unsicherheitsfaktor ersten Ranges, zu einer Räuberhorde übelster Sorte mutieren lassen. Weil die angeworbenen Kriegshandwerker nur ein Soldverhältnis, ein Arbeitsvertrag an die Republik bindet, weil sie keine familiären Bande, keine kulturellen, traditionellen, habituellen Lebensumstände mit dem karthagischen Gemeinwesen verknüpfen, besteht immer die Gefahr, dass sie den Vertrag aufkündigen, brechen, ins Gegenteil feindseliger Übergriffe umschlagen lassen und gewähren sie der Republik Sicherheit beziehungsweise verschaffen ihr Reichtum nur unter der Bedingung, dass es gelingt, sie bei der Stange ihrer vertraglich eingegangenen Verpflichtungen zu halten, dass mit anderen Worten diejenigen, die sie als als Instrument handhaben, ihre karthagischen Führer, sie davon abhalten können, abstrakte militärische Disziplin in ihr implizites Negativ, in zügelloses Marodieren, beziehungsweise bezahlte Dienstbarkeit gegenüber dem Gemeinwesen in ihr unwillkürliches Gegenbild, in asoziale Selbstbedienung, umschlagen zu lassen.
Die karthagischen Heerführer erfüllen also die doppelte Aufgabe, einerseits die Vorteile wahrzunehmen, die das als Reichtumsbeschaffungsinstrument einsetzbare Söldnerheer bietet, und andererseits die Gefahren zu bannen, die in dem solcherart instrumentalisierten Söldnerheer lauern. Dass sie die ungeheure politische Macht, die ihnen diese doppelte Funktion verleiht, nicht nutzen, um diktatorische Vollmachten zu erlangen und sich zu Herren über die Stadt aufzuwerfen, mithin der republikanischen Verfassung der Handelsstadt den Garaus zu machen, wirft noch einmal ein Schlaglicht auf die relative sozialstrukturelle Homogenität und politisch-ökonomische Übereinstimmung, durch die sich, anders als Rom, Karthago auszeichnet. Weil die sich als Faktorei und kommerzieller Umschlagsplatz an der nordafrikanischen Küste etablierende Kolonie Karthago kein Mischgebilde aus ländlich-agrarischer Subsistenz und städtisch-gewerblicher Performanz, aus bäuerlich-aristokratisch fundierten Schichten und handwerklich-kommerziell orientierten Gruppen ist, sondern eine bei allen Unterschieden in Kompetenz und Vermögen, bei aller Differenzierung zwischen Patriziern und Bürgern vergleichsweise einheitliche Bevölkerung von Handel- und Gewerbetreibenden umfasst, kommt es im Verlauf der politisch-ökonomischen Karriere der Stadt auch nicht zu der für die Entwicklung Athens oder Roms charakteristischen Entstehung benachteiligter Gruppen und Ausbildung sozialen Konfliktstoffs, kraft deren ein politisches Kräfteungleichgewicht wie das zwischen patrizischem Rat und militärischer Macht, Suffeten und Feldherrn, zum Anlass eines Umsturzes der Verfassung und einer der Kaufherrenrepublik ein Ende machenden institutionellen Neuordnung werden könnte. Sosehr das gleichermaßen als Reichtumsbeschaffer und als Ordnungsfaktor ins Gewicht fallende Söldnerheer seinen Befehlshabern Macht verleihen und zu einer Vorrangstellung im Kreis der patrizischen Führungsschicht verhelfen mag, diese Vorrangstellung in eine diktatorische Position, ein Alleinherrschaftssystem zu überführen besteht kein äußerer Anlass, kein mittels sozialstruktureller Verwerfungen und Spannungen gegebener Anreiz; so gewiss Heer und Handel beide auf die Mehrung des Reichtums der Stadt gerichtet, beide auf zum Teil alternativen, insgesamt aber komplementären Wegen mit der Ausbeutung des im westlichen Mittelmeer geschaffenen Reiches befasst sind, so gewiss halten beide, das karthagische Patriziat einerseits und die Hamilkars, Hasdrubals und Hannibals andererseits, an der in der merkwürdigen Schieflage ihrer militärstaatlichen Unterfütterung arretierten und, wenn man so will, stabilisierten handelsrepublikanischen Konstitution der Stadt fest.