9. Ideologie als Wahn: Die jüdische Weltverschwörung
Dieser in den Vernichtungslagern im Osten kulminierende letzte Akt, dieser mit ebensoviel tayloristischer Effektivität wie bürokratischer Funktionalität betriebene Massenmord muß gleichermaßen wegen seiner Dimension, seiner "Sinnlosigkeit" und der unheimlichen Konsequenz, mit der er betrieben wird, als das eigentliche Änigma der nationalsozialistischen Judenverfolgung gelten. Zu ihm kommt es, weil unter den Bedingungen des Führerstaats, der die volksstaatliche Subsumtion der Arbeit unters Kapital in der faschistischen Arbeitsfront, der kapitalen Volksgemeinschaft, vollendet, die Ersatzfigur des Liberalitätsjuden nicht nur der beschriebenen intensiveren affektiven Besetzung oder vielmehr aggressiven Behandlung ausgesetzt ist, sondern tatsächlich auch eine Ausdehnung ihres "Geltungsbereichs", eine Erweiterung des Umfangs ihrer "Zuständigkeit" erfährt. Denn nicht nur im politisch-ideologisch erklärten Widerspruch zur naturwüchsig liberalbürgerlichen Kapitalklientel etabliert sich der die gesellschaftlichen Kräfte des Kapitals und der Arbeit zur nationalen Arbeitsfront kurzschließende faschistische Staat, er etabliert sich auch und nicht zuletzt im Widerspruch zu den beiden gesellschaftlichen Kräften selbst, insofern sie außerhalb ihrer staatlichen Formierung in der naturwüchsigen Unmittelbarkeit und organisatorischen Eigenständigkeit gegensätzlicher ökonomischer Parteien und sozialer Formationen sich behaupten. Während der starke Staat sich damit begnügte, unter dem Deckmantel eines Garanten des allgemeinen Wohls die Arbeit dem Kapital zu subsumieren, ging der Volksstaat dazu über, dieser Subsumtionstätigkeit durch die Maske einer sozialstaatlichen Parteinahme für die unteren Schichten ideologische Überzeugungskraft und politischen Nachdruck zu verleihen. Und jene Maske macht sich nun der faschistische Staat, indem er sie zur führerschaftlich sozialrevolutionären Person hypostasiert, zunutze, um den gesellschaftlichen Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit in dieser seiner Personalität überhaupt verschwinden zu lassen und beide Kräfte zur interessengemeinschaftlichen Formierung, zur Arbeitsfront, aufzuheben. Das aber bedeutet, daß als selbständige, führerstaatsunabhängige Kräfte weder Kapital noch Arbeit weiter existieren dürfen. Wie der faschistische Staat von der liberalbürgerlichen Kapitalklientel verlangt, daß sie auf jedes Moment von klassenspezifisch-parteilicher Eigenmacht und politisch-publizistischer Selbstbestimmung verzichtet und sich mit Leib und Seele einem ihre Konversion zum Staatsbürgertum krönenden "fanatischen" Staatsdienst verschreibt, so verlangt er jetzt überdies noch und in genauer Konsequenz seines kapitalsozialistischen Arbeitsfront-Modells von Kapital und Arbeit, daß sie allem Anspruch auf gesellschaftlich-organisatorische Eigenständigkeit und staatsunabhängig-korporative Partialität entsagen und sich dem Staatswillen als dem Inbegriff ihrer interessengemeinschaftlichen Fusionierung, ihrer verwertungsgesellschaftlichen Synthesis, ein- und unterordnen. Und wie er in Fortschreibung der Praxis des starken Staats ein vexierbildliches Alter ego braucht, um der staatsbürgerlich disziplinierten beziehungsweise in Staatsdienst genommenen bürgerlichen Kapitalklientel jene liberalistische Existenz, der sie ein für allemal entsagen soll, warnend und abscheuerregend vorzuführen, so benötigt er nun auch ein entsprechendes Menetekel, um die dem nationalsozialistischen Staatswillen unterworfenen Kräfte des Kapitals und der Arbeit mit einem abschreckenden Bild jenes partikularen Egoismus und blinden Interesses zu konfrontieren, vor der sie ihre Aufhebung im Führerstaat gerettet hat.Dies letztere Menetekel aber findet der faschistische Staat dort, wo er auch ersteres gefunden hat: in der Gestalt des Liberalitätsjuden. Im Bemühen, sich des Kapitals und der Arbeit als staatstragender oder vielmehr staatsintegrierender Kräfte durch Abgrenzung von einem asozial-partikularistischen, staatsfeindlich-liberalistischen Vexierbild ihrer selbst politisch-ideologisch zu versichern, ergänzt der faschistische Staat das nationale Menetekel, den Staatsfeind Nr. 1, den bürgerlichen Liberalitätsjuden, um zwei internationale Spielarten: um den monopolkapitalistischen Juden, der, wie von den westlichen Demokratien vorgeführt, Staat und Gesellschaft zum Spielball eines als privatives Kapitalakkumulationsunternehmen firmierenden Wirtschaftsliberalismus degradiere, und um den marxistisch-kommunistischen Juden, der, wie an der Sowjetunion zu sehen, Staat und Gesellschaft einem als primitiver Kult um die Arbeit funktionierenden kollektivistischen Anarchismus ausliefere. Mit dem Menetekel dieser beiden Zusatzversionen des Liberalitätsjuden also, der monopolkapitalistischen und der sowjetkommunistischen Variante, weist der Faschismus Kapital und Arbeit in die ihnen von Staats wegen qua kapitalsozialistische Arbeitsfront gesetzten Schranken, wobei die besondere Pointe dieser Doppelkonstruktion darin besteht, daß die Juden in ihr jeweils als die bis zum Verwechseln ähnlichen Konkurrenten des Faschismus firmieren und nämlich Kapital und Arbeit nicht als unmittelbare gesellschaftliche Kraft oder als einfache Partialität vertreten, sondern das Partielle auf seine besondere Weise totalisiert und die Kraft als zum gesellschaftlichen System entfaltete Macht vorstellen. Indem diese Doppelversion das liberalistisch losgelassene Kapital zum jüdischen Monopol organisiert und die kommunistisch entfesselte Arbeit zum jüdischen Kollektiv formiert darbietet, präsentiert sie Alternativversionen zur faschistischen Totalität selbst. Was sie als alternative Mächte beschwört, sind die qua kapitaler Monopolismus und qua Kollektivismus der Arbeit tragenden Momente auch und gerade des faschistischen Staats, allerdings als aus der integralen faschistischen Staatseinheit herausgebrochene und entmischte Gestalten eigenen Rechts, als "verselbständigte" politisch-ökonomische Ganzheiten. Verantwortlich für jene Entmischung und dämonische Verselbständigung der gesellschaftlichen Kräfte, die der faschistischen Synthesis entzogenen bleiben, soll, wie gesagt, der Liberalitätsjude sein, der damit in der Tat zum Weltverschwörer vom Dienst avanciert. Er hat in schöner trinitarischer Einheit alle drei Konstitutiva der modernen Gesellschaft in ihrer nicht faszierten, nicht ins Liktorenbündel der faschistischen Staatsform eingebundenen und eben deshalb zum Zuchtmittel für die unartige Menschheit dämonisierten, wildwüchsigen Gestalt zu repräsentieren und auf seine Kappe zu nehmen: den liberalen Bürger, das liberalistische Kapital, die "befreite" Arbeit.
Daß sich im Bild der jüdischen Weltverschwörung der nationalsozialistische Antisemitismus zu trinitarischer Vollständigkeit erweitert und rundet, darf indes nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Liberalitätsjude in seiner internationalen Doppelbestimmung als liberalistischer Monopol- und kommunistischer Kollektivjude eine durchaus andere Funktion erfüllt als in seiner nationalen, auf den liberalen Bürger gemünzten Bedeutung. In der Bedeutung des Liberalitätsjuden sans phrase ist er Reaktionsbildung auf den an Schizophrenie grenzenden inneren Widerspruch, in dem der mit quasisozialistischen Mitteln seine kapitalistische Ausbeutungs- und Verwertungsstrategie betreibende Volksgemeinschaftsstaat sich herumwirft. In der doppelten Bestimmung als internationaler Jude ist er hingegen ein politisch-ideologisches Hilfsmittel zur Durchsetzung des ökonomischen Programms, das der faschistische Staat ebensosehr zur Wiederankurbelung und Beförderung der Kapitalakkumulation in die Tat umsetzt wie zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Verarmung, von der im Gefolge der großen Wirtschaftskrise Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre vornehmlich die – zusammen mit dem Kapital staatstragenden – subbürgerlichen Gesellschaftsschichten betroffen sind. Dies Programm bezweckt, dem Hauptübel, das den wirtschaftlichen Zusammenbruch ausgelöst hat, nämlich dem Mangel an konsumtiver Nachfrage im Verhältnis zu einer konjunkturell überhitzten Produktion, durch Erhöhung der allgemeinen Kaufkraft beizukommen. Um die erlahmte Kaufkraft strikt der Logik der kapitalistischen Verwertungsstrategie gemäß wiederzubeleben, müßte der Staat durch finanz- und zinspolitische sowie steuerliche Anreize die Investitionstätigkeit des Kapitals anregen, um so die Schaffung neuer industrieller Arbeitsplätze zu bewirken und dafür zu sorgen, daß neue, mit Arbeitslohn ausgestattete Käuferschichten auf dem Markt in Erscheinung träten und das Absatzgeschäft wieder auf breiter Front in Gang setzten. Tatsächlich aber könnte dieses kapitalistisch "orthodoxe" Verfahren unter den gegebenen Umständen die Krise nur verschärfen, da es letztlich zur Überschwemmung des Markts mit weiteren Konsumgütern führte, die wegen des für alle kapitalistische Produktion konstitutiven Expropriationsmodus im Verhältnis zur ausgezahlten Lohnsumme einen Mehrwert darstellen und also die Schere zwischen der vorhandenen Kaufkraft und dem bestehenden Warenangebot nur noch weiter öffnen, mithin das Absatzproblem nur immer vergrößern würden. Eben das als Exploitationsrate durchgängige Mißverhältnis zwischen dem als Lohn figurierenden Wert der Arbeitskraft der Produzenten und dem Wert ihrer in den Produkten vergegenständlichten Arbeit war es ja, was die hochkonjunkturell produzierende Wirtschaft vor den jähen Fall einer massenhaften Unrealisierbarkeit der geschaffenen Werte brachte und ihr Florieren als Scheinblüte entlarvte, kurz, sie in die Krise stürzte. Eine Chance, auf diesem "orthodoxen" Weg einer rein finanzpolitischen, staatlichen Investitionsförderung den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, hätte die Wirtschaft nur dann, wenn sie ihr Absatzgebiet vergrößern, sich neue Märkte erobern und sich mit Hilfe des Staats eine koloniale oder imperiale Expansionsmöglichkeit erschließen könnte. Indes, solch ein "Lösungsversuch", wie er vom Deutschen Reich unter der Ägide Wilhelms II. unternommen wurde, ist nach dem Debakel des Ersten Weltkrieges unmöglich und vollends undenkbar angesichts des in den zwanziger Jahren herrschenden Zugleich von Weltmarktkonkurrenz und allgemeiner Entkolonialisierung.
So wäre nur der eher unorthodoxe Weg einer gesellschaftsinternen Umverteilung gangbar, einer mittels sozialpolitischer Entlastungen und steuerlicher Eingriffe betriebenen Umdisponierung, durch die Wertmittel (das heißt Titel auf gesellschaftlichen Reichtum) dem damit überreichlich gesegneten Kapitalbereich beziehungsweise dem Zugriff der davon vielfach "unproduktiven" Gebrauch machenden Kapitalklientel entzogen und in die Hände der unteren Schichten gebracht würden, damit die Massen durch Befriedigung ihrer ungestillten konsumtiven Bedürfnisse die industrielle Produktion erneut in Schwung und damit das über die industrielle Lohnarbeit an ihnen exekutierte Expropriationsspiel abermals in Gang brächten. Wie die der faschistischen Entwicklung praktisch zeitgleichen Experimente mit dem Keynesianischen New Deal in den angelsächsischen Ländern zeigten, ist eine solche Umverteilungspolitik, die sich mit einer Strategie der industriekapitalfreundlichen Investitionsanreize paart, durchaus machbar, auch wenn ihr politisch-ökonomischer Erfolg, zumal längerfristig, gänzlich unbewiesen und in der Tat höchst zweifelhaft ist. Diese Politik benötigt jedoch, um praktikabel zu sein, einen halbwegs handlungsfähigen starken Staat alten Musters beziehungsweise eine bürgerliche Fraktion nach Art der englischen Tories oder der Südstaatendemokraten, die das Industriekapital beziehungsweise seine Klientel in glaubhafter Vertretung des gesamtbürgerlichen Interesses zu sozialpolitischem Einlenken und verteilungsökonomischen Kompromissen bewegen können. Aber davon kann beim faschistischen deutschen Staat keine Rede sein. Soviel Handlungsvollmacht er hat, sowenig Handlungsspielraum hat er. Als eine aus sozialistischer Fasson und kapitalistischem Programm gefertigte, monströs-amphibolische Kunstfigur, die in ihrer Person die gesellschaftlichen Kräfte Kapital und Arbeit zur I. G. synthetisiert und zur völkischen Arbeitsfront formiert, ist dieser Staat zwischen den von ihm synthetisierten Kräften eingeklemmt. Er ist zu einem Erfolg verdammt, der nicht durch notgedrungene Kompromißbereitschaft, sondern durch komplizenhafte Kollaboration zustande gebracht werden muß, zu einem Erfolg, der nicht auf dem Wege eines langfristigen und opferbereiten politisch-ökonomischen Sanierungsprozesses, sondern nur mittels einer umstandslosen und dramatischen Besserung gleichermaßen der sozialen Lebensverhältnisse und der kapitalen Verwertungssituation erreicht werden darf. Zwar muß der ebensosehr als bevollmächtigter Agent des Kapitals firmierende wie als persönlicher Repräsentant der Arbeit figurierende faschistische Führerstaat die ökonomische Lage der unteren Schichten bei Strafe seiner politischen Diskreditierung rasch verbessern, um die Kapitalakkumulation wieder in Gang zu bringen und um ineins die Ansprüche seiner Auftraggeber und die Bedürfnisse seiner Schutzbefohlenen zu befriedigen – aber das bedeutet noch lange nicht, daß er sich die finanziellen Mittel dafür beim Kapital holen darf, das ja den Pakt mit ihm wesentlich an die Erwartung einer von Staats wegen sichergestellten Besitzstandswahrung und vielmehr Eigentumsmehrung knüpft.
Unter diesen Bedingungen bleibt dem nationalsozialistischen Staat nur der Weg, den er auch einschlägt: Er springt mit den ihm traditionell eigenen Bedürfnissen in die Bresche der Konsumtionsfront. Der Staat tritt an Stelle der mangels Finanzmittel verhinderten Konsumentenmassen als Großkonsument auf und bewirkt mittels einer größtenteils auf Kreditbasis betriebenen konsumtiven Bedürfnisbefriedigung eine direkte und indirekte Arbeitsbeschaffung, die ihrerseits zu einer Neubelebung des Markts durch die Konsumtätigkeit der wieder in Lohn gesetzten arbeitenden Schichten führt. Diese originär staatlichen Bedürfnisse, durch deren exzessive Befriedigung er eine kompensatorische Konsumentenrolle übernimmt, bestehen zum einen in der Verbesserung der Infrastruktur, im Bau von Straßen, Kanälen, Brücken, Eisenbahnen und anderen Großprojekten, zum anderen gehen sie auf den Aufbau einer schlagkräftigen, umfangreichen und technisch gutgerüsteten Streitmacht. Die bloße Befriedigung der infrastrukturellen Bedürfnisse hätte wegen der Zerstreutheit und mangelnden Zentralität der dazu in Gang gebrachten Arbeitsprojekte wie auch wegen des teilweise vorindustriell-frondienstlichen Charakters, des vielfach geringen technisch-maschinellen Bedarfs und des dementsprechend bescheidenen Sekundäreffekts der Arbeiten wohl eher begrenzte Auswirkungen auf den industriellen Gesamtmarkt. Im Verbund jedoch mit der Befriedigung des "wehrwirtschaftlichen" Staatsbedürfnisses, als dessen integrierender Bestandteil er sich zum Teil versteht (man denke nur an die vielbemühten Autobahnen), beweist dieser infrastrukturelle Staatskonsum eine Durchschlagskraft, dank deren er tatsächlich binnen kurzer Zeit eine relative "Sanierung" des Arbeitsmarkts und eine nachfolgende Stabilisierung des industriellen Absatzes bewirkt.
Um dieses Sanierungsprogramm einer infrastrukturell unterfütterten Rüstung, mit dem er als überdimensionierter Konsument auf dem Markt in Erscheinung tritt und in den verschiedensten Branchen nachfragebelebend tätig wird, ideologisch rechtfertigen beziehungsweise politisch plausibel machen zu können, hat der nationalsozialistische Staat allerdings für ein angemessenes Bewußtsein nationaler Gefährdung durch äußere Bedrohung zu sorgen. Denn aufrüsten, zumal in diesem eminenten Maß, und dabei das ganze Land in ein einziges Aufmarschgebiet für den Kriegsfall verwandeln, muß und darf ein Staat nur, wenn höchste Gefahr im Verzuge ist, wenn von äußeren Mächten und fremden Staaten sei's der staatlichen Souveränität, sei's gar der nationalen Existenz das Schlimmste droht. Um diese äußerste Bedrohung an die Wand zu malen und damit das für seine militaristische "Konsumstrategie" erforderliche nationale Klima zu schaffen, dafür braucht und erzeugt der Nationalsozialismus seine als Monopol- und als Kollektivjude janusköpfige, internationale Spielart des nationalen Liberalitätsjuden, seine Version vom Liberalitätsjuden als einem proteisch-allgegenwärtigen Weltverschwörer. Anknüpfend an das vom spätwilhelminischen Volksstaat genährte und zwischen imperialistischer Aggression einerseits, heroischem Abwehrkampf andererseits changierende Zweifrontenbewußtein des Ersten Weltkriegs und aufbauend auf dem in der Weimarer Republik weit verbreiteten Gefühl, Opfer einer im Versailler Frieden gestaltgewordenen Diskriminierungs- und Unterdrückungspolitik durch die Siegermächte zu sein, beschwört der Faschismus eine Welt von Feinden, von der die Nation umringt und gegen die zu rüsten für sie eine Frage von Tod und Leben sei. Der Drahtzieher dieser Weltverschwörung gegen die Nation ist der internationale Liberalitätsjude, dessen Vielgestaltigkeit und janusköpfige Natur es den faschistischen Propagandisten erlauben, ihm die Politik jeder anderen Regierung und die Existenz jedes politischen Systems anzulasten, ohne sich mit dem jeweiligen Staat selbst direkt anlegen beziehungsweise das betreffende System als solches offen angreifen zu müssen, und dessen Allgegenwart zugleich eine der Größe und Umfänglichkeit des Rüstungsprogramms angemessene Totalität der internationalen Bedrohung suggeriert. Das also ist der kalkuliert ideologische Sinn und böse politische Verstand der um die jüdische Weltverschwörung kreisenden Paranoia, die der Faschismus mit geradezu funktionalistischer Zielstrebigkeit ausbildet: als Inbegriff einer diffusen außenpolitischen Bedrohung bietet das Schreckenshaupt des in den monopolistischen und kollektivistischen Juden aufgespaltenen Liberalitätsjuden den innenpolitisch zureichenden Grund für die vom Staat auf Kreditbasis übernommene Großkonsumentenrolle und liefert zugleich die Rechtfertigung für die Autarkie- und außenwirtschaftliche Isolationspolitik, die das auf dieser Staatskonsumentenrolle aufbauende Wirtschaftsbelebungsprogramm eben wegen seiner bloß kreditiven Grundlage und seiner haltlosen Schuldenmacherei erzwingt.
Daß der faschistische Staat seine Großkonsumentenrolle nur um den Preis einer wachsenden Staatschuld zu spielen vermag, bringt nun allerdings das unkalkulierbare Risiko einer wesentlich auf die Rüstung sich stützenden Wirtschaftsbelebungsstrategie an den Tag. An sich steht nirgends geschrieben, daß ein finanziell hinlänglich potenter Staat sich den Luxus einer großen Streitmacht nicht soll leisten können, ohne sie deshalb zu anderem als zu Paraden und sonstigen etatistischen Selbstbespiegelungsaktionen, das heißt, zur Hebung seines narzißtischen Selbstwertgefühls einzusetzen. De facto mag zwar die Existenz schlagkräftiger Streitkräfte die Kriegsbereitschaft und Konfliktwahrscheinlichkeit erhöhen, aber einen notwendigen Zusammenhang gibt es nicht. Wenn jedoch, wie im Falle des nationalsozialistischen Deutschlands, der Luxusartikel wesentlich auf Pump beschafft, das heißt mit einer wachsenden Staatsverschuldung erkauft ist, dann gibt es diesen Konnex zwischen Rüstung und Kriegsbereitschaft sehr wohl. In diesem Fall nimmt in Korrespondenz zur Höhe der Verschuldung auch die Versuchung zu und wird am Ende unwiderstehlich, den Luxusartikel nicht bloß als solchen zu hegen und zu pflegen, sondern ihn vielmehr auf spezifische Weise zu konsumieren – ihn nämlich so zu verwenden, daß er als eine spezifische Art von "Produktionsmittel" funktioniert, nämlich als Mittel, wenn schon nicht zur Fabrikation und Herstellung, so jedenfalls doch zur Requisition und Beistellung von Reichtum, mithin als ein zu den herkömmlichen Methoden industriell-kommerzieller Bereicherung alternatives "kriegshandwerkliches" Instrument zur Tilgung der Staatsschuld. Die Versuchung wird, kurz gesagt, unwiderstehlich, die aufgestellte und hochgerüstete Streitmacht Krieg führen zu lassen und sich und das heimische Kapital durch die Doppelstrategie einer Aneignung fremden Besitzes und einer Eroberung fremder Märkte zu sanieren. Diese aus der Natur und Modalität des faschistischen Staatskonsums zwangsläufig resultierende raubstaatlich-wirtschaftsimperialistische Expansionspolitik muß wiederum auf den Widerstand der Nachbarstaaten und der konkurrierenden Marktgesellschaften stoßen – und so gesehen ist der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in der Tat nur eine Frage der Zeit und der passenden oder auch unpassenden Gelegenheit.
Mit dem Ausbruch des Kriegs allerdings gewinnt das Verhältnis des faschistischen Staats zu den von ihm generierten internationalen Versionen des Liberalitätsjuden, dem wirtschaftsliberalistischen Monopoljuden und dem sowjetkommunistischen Kollektivjuden, eine unvorhergesehene Konkretisierung und Zuspitzung. Was bis dahin ein schemenhaft äußerer Gegenspieler war, der eine eher innenpolitische Funktion zu erfüllen hatte und der dazu diente, das Rüstungsprogramm und die dazugehörige politisch-ökonomische Isolationspolitik zu rechtfertigen, das stellt sich dem Führerstaat plötzlich als ein ernstzunehmender, im Felde greif- und angreifbarer Gegner dar. Das mythologische Schreckenshaupt des jüdischen Weltverschwörers nimmt die empirische Gestalt der Mächte in Ost und West an, das abstrakte Gegenprinzip gewinnt die Konkretion feindlicher staatlicher Organisationen, verkörpert sich als militante Gegenmacht in den angelsächsischen Staaten einerseits, in der Sowjetmacht andererseits und tritt zum Endkampf gegen die nationalsozialistische Ordnung an. So jedenfalls will es die faschistische Kriegspropaganda, die damit in einer denkwürdig fehlgeleiteten Feststellungsklage das, was ursprünglich nur eine Ersatzfigur und Deckadresse für innenpolitisch ausgebeutete äußere Gegnerschaften war, mit den letzteren wieder zusammenbringt und empirisch reidentifiziert, aber so, daß diese selbst nun die Identität und Fasson ihres Substituts herauskehren. Als Verkörperungen der janusköpfigen Weltverschwörung der Juden werden die Kriegsgegner zum Realisierungsmedium, das den ideologischen Konstrukten des Faschismus eine unverhoffte empirische Evidenz verschafft und das der Auseinandersetzung mit ihnen zur nicht minder unverhofften Konsequenz eines aufs Ganze des Verhältnisses gehenden Entscheidungskampfes verhilft.
Genau diese Rückprojektion ideologischer Figuren auf empirische Mächte, die es ihm erlaubt, mit dem in den Kriegsgegnern gestaltgewordenen internationalen Liberalitätsjuden handgemein zu werden und einen in aller Scheinhaftigkeit wirklichkeitserfüllten, quasimythologischen Konflikt auszutragen, stürzt nun aber den faschistischen Staat hinsichtlich der eigentlichen ideologischen Figur: nämlich im Blick auf den als Ersatzfigur für den innergesellschaftlichen Gegner firmierenden nationalen Liberalitätsjuden, in ein Dilemma. Denn was ist mit ihm, dem vexierbildlichen Substitut für die bürgerliche Kapitalklientel, mit ihm, dem menetekelhaften Alibi der von der kapitalsozialistischen Interessengemeinschaft des Führerstaats ebensosehr politisch ausgeschalteten beziehungsweise in die staatsbürgerliche Pflicht genommenen wie ökonomisch unverändert begünstigten und eben deshalb mit allem volksgemeinschaftlich-verkniffenen Ressentiment bedachten liberalbürgerlichen Klasse? Soll ausgerechnet der im Land selber steckende jüdische Staatsfeind relativ unbehelligt bleiben, während das Land mit den hinter den Kriegsgegnern steckenden äußeren jüdischen Feinden des Staats den Kampf aufnimmt? Während das faschistische Deutschland sich mit der jüdischen Weltverschwörung anlegt, soll ausgerechnet ihr Quellpunkt und Ursprung, der als fünfte Kolonne im eigenen Land subsistierende jüdische Verschwörer, halbwegs ungeschoren davonkommen? Muß es nicht zum organisierten Vorgehen auf den äußeren Kriegsschauplätzen ein systematisches Gegenstück im nationalen Herrschaftsbereich selbst geben? Und ist dies nicht um so unabweislicher, als der antisemitische Affekt, den die "jüdische Sippe" im Inneren provoziert, im Unterschied zum eher funktionalistischen Antisemitismus, den die "jüdisch versippten" Feindstaaten in West und Ost auf sich ziehen, die bereits explizierte substantialistische Dringlichkeit und pseudoklassenkämpferische Ressentimentstruktur aufweist? Schließlich sind Monopol- und Kollektivjude, die internationalen Spielarten des Liberalitätsjuden, nur Ersatzfiguren äußerer Gegner, die selber ideologische Größen sind und deren der Nationalsozialismus bloß als Funktionen im innenpolitischen Kräftespiel bedarf. Daß die ideologischen Gegner zu empirischen Feinden werden und also auch den jüdischen Ersatzfiguren, die sie zu repräsentieren haben, eine entsprechend virulente Feindqualität mitteilen, ist eher eine unfreiwillige Konsequenz des innenpolitischen Kräftespiels, als daß es in einer originären Gegnerschaft zum wirtschaftsliberalistisch privatisierenden Kapital oder zur sowjetkommunistisch anarchisierenden Arbeit begründet wäre. Hingegen ist der Liberalitätsjude im Innern, der Jude im Schoße der Nation, das Substitut eines Gegners, der von Anfang an als empirischer Gegenspieler des starken Staats präsent war und der als dessen ebenso ökonomisch begünstigter wie politisch befehdeter Konkurrent in dem Maße die ambivalent verschlagene und zum Ressentiment unterdrückte staatliche Aggression auf sich zog, wie der starke Staat seine Wandlung zum sozialdemokratischen Volksstaat und schließlich zum nationalsozialistischen Volksgemeinschaftsstaat vollzog: das Substitut der gesellschaftlich als liberales Bürgertum firmierenden naturwüchsigen Kapitalklientel. Die liberalen Bürger, die der faschistische Staat als einen vom Kapital in die führerstaatliche Interessengemeinschaft mit eingebrachten sozialen Appendix ebensosehr als Klasse zu respektieren und ökonomisch zu favorisieren gezwungen ist, wie er sie politisch entbehrlich findet und am liebsten operativ entfernen würde, die liberalen Bürger, die ihm gewiß nicht dadurch sympathischer werden, daß sie entsprechend ihrer bei aller politischen Schwäche und bloßen Staatsdienerschaft starken ökonomischen Stellung seine Hauptgläubiger und mithin diejenigen sind, deren Ansprüche seine militärischen Aktionen nicht zuletzt zu befriedigen dienen – ausgerechnet sie sollen in der Figur ihres Substitus Liberalitätsjude vergleichsweise verschont bleiben, während er den anderen beiden gesellschaftlichen Kräften, die das Substitut Jude als janusköpfig außenpolitische Figur zu vertreten hat, nämlich dem monopolkapitalistisch-internationalistisch losgelassenen Kapital und der sowjetkommunistisch-anarchistisch entfesselten Arbeit den militärischen Prozeß macht? So ist es exakt diese Inkonsequenz seines Verhaltens, diese Ungleichbehandlung, die er seinen verschiedenen Gegnern in offenkundiger Diskrepanz zu deren jeweiliger Gefährlichkeit beziehungsweise Strafwürdigkeit angedeihen läßt, die den nationalsozialistischen Staat um sein eigenes prekäres "seelisches" Gleichgewicht bringt, die ihm das letzte Fünkchen Verstand raubt und die ihn dazu treibt, mitten im Weltkrieg und just in dem Augenblick, als die Kriegslage eine Wendung zu seinen Ungunsten nimmt, eine neue "Front" zu eröffnen: die Front gegen den Juden im Innern der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft. Vielleicht ist es auch die ungünstige Wendung, die der Krieg zu nehmen beginnt, was dem Bedürfnis nach "Gleichbehandlung" der Gegner und dem Verlangen, gegen das dritte und substantiellste Glied der jüdischen Weltverschwörungstriade aktiv zu werden, allererst die nötige Dringlichkeit und letzte Unwiderstehlichkeit verleiht. Vielleicht ist es die drohende militärische Niederlage, die den faschistischen Staat veranlaßt, die Schuld daran jener als Pfahl im Fleisch seiner widersprüchlichen Konstitution steckenden bürgerlichen Kapitalklientel zu geben, die er sich im Ersatzobjekt des Liberalitätsjuden exklusiv vor Augen stellt, und die ihn dazu bringt, dieses Ersatzobjekt Liberalitätsjude mit der noch einmal neuen Funktion einer die innere Geschlossenheit sabotierenden fünften Kolonne, eines die Wehrkraft der Volksgemeinschaft "zersetzenden" heimtückischen Unterminierers zu betrauen und sich von der Beseitigung des so den Liberalitätsjuden paranoisch im "Zersetzungsjuden" kulminieren lassenden inneren Feinds eine Abwendung der Niederlage zu erhoffen. Aber egal, ob das, was den faschistischen Staat aktiv werden läßt, der unwiderstehliche Zwang ist, dem "inneren" Juden die gleiche Behandlung widerfahren zu lassen wie den "äußeren", oder ob es die paranoische Bedeutung ist, die dem als "Endlösung der Judenfrage" apostrophierten Vorgehen gegen den "inneren" Juden für den Verlauf der Auseinandersetzung mit den "äußeren" beigemessen wird – das Ergebnis ist jedenfalls, daß die bisherigen bürokratisch-terroristischen Aktionen à la "Reichskristallnacht" die Form einer militärisch-systematischen Operation annehmen und daß sich die bisherigen, staatlich organisierten Pogrome in einen vom Staat generalstabsmäßig geplanten und durchgeführten Feldzug gegen die Juden verwandeln. Mit all dem mörderischen Nachdruck, den seinem Tun die Tatsache verleiht, daß er seinem eigenen, in die Ersatzbildung "Zersetzungsjude" gebannten, konstitutionellen Widerspruch zu Leibe zu rücken wähnt und sich von der Ausmerzung dieses Widerspruchs die ungestörte Sichselbstgleichheit einer von der "artfremden Rasse" – dem Substitut für die kapitalspezifische Klasse – befreiten, führerkultlich verschworenen Volksgemeinschaft der kapitalen Arbeit oder Interessengemeinschaft des arbeitenden Kapitals erhofft, führt der faschistische Staat Krieg gegen die Juden.
Zum Kriegführen allerdings gehört nicht nur ein staatspolitisch relevanter Grund, sondern auch ein staatsförmig organisierter Gegner. Wie sollten die durch Pogrome bereits massenhaft vertriebenen und fürchterlich dezimierten deutschen Juden, wie sollten die von der Parallelaktion aus repressivem Verwaltungshandeln und "spontaner" Volksaggression am Boden zerstörten "Reichsjuden" noch taugen, solch einen Gegner abzugeben? Bei der fieberhaften Suche nach einer Möglichkeit, diesen offenkundigen Mangel an Feinden zu beheben, der den Krieg an der neueröffneten inneren Front zu vereiteln droht, fällt der ebensosehr von bürokratisch-kriegswirtschaftlicher Improvisationskunst geschärfte wie vom Wagnerschen Endkampfwahn verschleierte Blick des faschistischen Staats auf die europäischen Juden, die jüdischen Gemeinden in dem von deutschen Truppen besetzten Ausland, speziell die mitgliederstarken Gemeinden Osteuropas, die Juden in Polen, Galizien, der westlichen Sowjetunion, Ungarns, des Balkans. Nach dem Vorbild der empirischen Reidentifizierung, die durch die angelsächsischen Länder und die Sowjetunion der ideologischen Ersatzfigur des außenpolitischen Monopol- beziehungsweise Kollektivjuden zuteil wird und durch die sich die faschistische Propaganda die Möglichkeit verschafft, den Weltkrieg als einen einzigen großen Kampf gegen die jüdische Weltverschwörung zu stilisieren – nach diesem Muster sollen nun die jüdischen Gemeinden in den besetzten Gebieten West- und Osteuropas dazu herhalten, der innenpolitischen Ersatzfigur des Liberalitätsjuden soviel Realität und empirisches Gewicht zu verleihen, daß die Kampagne gegen ihn sich im Charakter einer "militärischen" Auseinandersetzung, eines organisierten Feldzugs gegen den Verschwörer im eigenen Land behaupten kann. In einem Kurzschluß, der den fürchterlichen Irrsinn der Konstruktion schlaglichtartig erhellt, wird also das Ersatzobjekt Ostjude zwangsrekrutiert, um der Ersatzbildung Liberalitätsjude empirische Greifbarkeit zu verleihen. Der jüdische Bauer, Handwerker und Händler aus dem osteuropäischen schtetl muß als Surrogat der sozialen Substanz fungieren, die die Ersatzfigur Liberalitätsjude in der bürgerlichen Kapitalklientel der mitteleuropäischen Städte hat. Wie um zu bekräftigen, daß er es mit einem wirklichen, militärischer Operationen würdigen Gegner zu tun hat, richtet der Nationalsozialismus in den "eroberten" Gemeinden Judenräte ein und verleiht ihnen auf diese Weise wenn schon keinen staatlichen Charakter, so immerhin doch das Ansehen quasiautonomer politischer Gemeinschaften. Daß dieser Krieg gegen die Juden sich ganz und gar nicht kriegsmäßig abspielt, sondern die Züge eines zwischen bürokratischer Erfassung und terroristischer Schlächterei changierenden Angriffs, eines organisierten Gemetzels unter der Zivilbevölkerung annimmt, liegt in der Natur der Sache. Die für diese "Aktionen" (wie der nationalsozialistische Terminus technicus lautet) gebildeten und im Schatten der regulären Wehrmachtverbände operierenden Spezialtruppen, die sogenannten Einsatzgruppen, stoßen auf keinen Widerstand und sind reine Massenexekutionskommandos. So kann das Unternehmen rasch abgeschlossen werden. An seinem Ende steht die Errichtung der Ghettos, der Internierungslager für die bei diesem "Kriegszug" gemachten Gefangenen.
Aber auch die Ghettos sind noch nicht das Ende; die Internierungslager für die "gefangengenommenen" Juden sind bloß Durchgangslager, werden Zwischenstationen auf dem Weg in die Todeslager im Osten. Am Ende steht die physische Massenvernichtung in den Gaskammern von Sobibor, Auschwitz, Belzec, Treblinka. Dieser Mord an Millionen von Menschen ist von ebenso schrecklicher Stringenz wie entsetzlicher Akzidentialität. Akzidentiell ist er, weil er einer wahnhaften Ersatzhandlung des faschistischen Staats entspringt, deren Umfang und Erscheinung keiner inneren Gesetzmäßigkeit unterliegt, sondern eine variable Funktion äußerer Anlässe, eine blinde Reaktion auf heteronome Auslöser ist. Zwingend aber ist er, weil er in der gegebenen Auslösersituation Logik, um nicht zu sagen: Rationalität beweist. Es ist der Krieg, der den Wahnsinnsanfall des faschistischen Staats auslöst, der ihm durch das Beispiel des gegen die "äußeren Juden" geführten Entscheidungskampfs das Bedürfnis nach einer ebenso definitiven Auseinandersetzung mit dem "inneren Juden" unwiderstehlich werden läßt. Und der Krieg ist es auch, der dann als die jenseits allen Wahns gebieterisch fortdauernde Realität darauf dringt, mit der Hinterlassenschaft des Anfalls möglichst rasch fertig zu werden, seine Folgen möglichst bald zu überwinden und zur Tagesordnung, zu den Anforderungen des realen Krieges, zurückzukehren. Denn damit, daß der faschistische Staat seinen inneren Widerspruch in der durch die europäischen Juden ersatzweise substantiierten Ersatzfigur des Liberalitätsjuden dingfest gemacht und isoliert, kurz, ghettoisiert hat, hat er ihn ja nicht aus der Welt geschafft, sondern hat ihn im Gegenteil als "ständige Aufgabe", als eine Wachpersonal, Lebensmittel, Logistik beanspruchende Dauerbelastung installiert. Dieses "affirmative" Ergebnis seines Wahns verträgt sich schlecht mit den Erfordernissen eines zur totalen Mobilmachung fortgeschrittenen Mehrfrontenkriegs, der alle Mannschaften, alle Ressourcen, alle Organisation zunehmend in Anspruch nimmt. Die Ratio des äußeren Kriegs verlangt nach der Beseitigung des durch den inneren Krieg geschaffenen Internierungsproblems, nach Auflösung der Ghettos. Diesem Zweck gilt die Wannsee-Konferenz. Aber der Krieg fordert nicht nur die Erledigung des Problems im allgemeinen, sondern er diktiert auch deren besonderen Modus. Die im Vorfeld der Wannsee-Konferenz angestellten halbherzigen Überlegungen, das Problem durch die Aussiedlung der Gefangenen, durch ihre Zusammenführung und Exilierung in ein weit im Osten (oder in Madagaskar) zu schaffendes Reservat zu lösen, werden durch die Lage an den Fronten als entweder bloß interne Verschiebung oder allzu aufwendig beziehungsweise undurchführbar decouvriert. Nicht die räumliche Verlagerung, sondern die physische "Ausschaltung" (um einen Schlüsselterminus des Faschismus zu verwenden), nicht die Verschiebung, sondern die Vernichtung der ghettoisierten Juden ist die im Sinne der Kriegslogik angemessenste, "rationalste" Beseitigung der Hinterlassenschaft des durch den Krieg ausgelösten Wahnanfalls – und in diesem Sinne ist der "Endlösungs"-Beschluß der Wannsee-Bürokraten zwingend.
Aber zwingend ist nicht gleichbedeutend mit notwendig. Die "Vernichtung" von Millionen Menschen mittels einer gigantischen, organisatorisch ausgetüftelten, über lange Zeit kontinuierlich in Gang gehaltenen Tötungsmaschinerie ist nichts, was sich restlos aus reiner Zweckrationalität ableiten ließe. Den "rationalen" Anforderungen der Situation stehen die "irrationalen" Bedenken der Moral, des Herkommens, der Konventionen des Völkerrechts entgegen. Damit sich der faschistische Staat über all das hinwegsetzen kann, muß er vermutlich das Zwingende der äußeren Situation noch durch Elemente seines Wahns verstärkt und akzentuiert wahrnehmen. Möglich also, daß der faschistische Staat bei seinem "Krieg" gegen die Juden von einer heimlichen Ahnung der bloßen Ersatzleistung verfolgt wird, die er durch die mörderische Behandlung, welche er dem Ersatzobjekt widerfahren läßt, durch die konkretistische Konsequenz, mit der er es verfolgt, loszuwerden hofft. Möglich auch, daß die restlose "Beseitigung" seines in der Ersatzfigur des Liberalitätsjuden verkörperten internen Widerspruchs und die Herstellung einer widerspruchsfreien Volksgemeinschaftsfront für den faschistischen Staat mit zunehmender Aussichtslosigkeit des Krieges zur magischen Bedingung und zum okkulten Unterpfand des gegen alle Empirie und Wahrscheinlichkeit beschworenen "Endsieges" wird. Dafür spricht der gegenläufige Einfluß, den das Kriegsgeschehen auf den Massenmord an den Juden ausübt, die Art und Weise, wie sich der faschistiche Staat durch den unaufhaltsamen Weg in die militärische Niederlage zu seinem Vernichtungsplan eher noch anspornen und zusätzlich motivieren als von ihm abbringen und zu einem Abbruch der Operation bewegen läßt. Und dafür spricht auch das durch leitende Chargen der Operation vielfach bezeugte begleitende Pathos, das den Massenmord zu einem aufopferungsvollen Dienst am Volk, zu einer asketischen Selbstreinigungszeremonie des nationalsozialistischen Deutschland erklärt.
Die Psychopathologie des im vollen Gang seines bürokratisch normalen Funktionierens vom Wahnsinn geschüttelten faschisierten Leviathan soll uns indes nicht weiter beschäftigen. Was uns interessierte, war die Entstehung der als Faschismus bestimmten finalen Krankheit des bürgerlich-kapitalistischen Staats, nicht ihr letaler Verlauf. Wir wollten verfolgen, wie die Befrachtung der als Staatswesen figurierenden politischen Sphäre mit der Aufgabe, eine an ihr selber uneingestanden politische, heimlich mit der Zuteilung gesellschaftlicher Macht befaßte Ökonomie zu decken und zu stützen, den Staat zugrunde richtet und am Ende in den Wahnsinn treibt. Und wir wollten zeigen, wie der Antisemitismus als das ebenso stereotype wie aufgesetzte Symptom dieser Staatsentwicklung, als im Sinne der Wagnerschen Musik wohlverstandenes "Leitmotiv" sich durchhält und am Ende die europäischen Juden in die Gaskammern treibt.