1. Von der Unterversorgung zur Überproduktion
Die Idee vom Kapitalismus als von einer spezifischen, historisch begrenzten Form gesellschaftlicher Reproduktion ist heute zum sektiererischen Credo herabgesunken, das höchstens noch Splittergruppen am Kraterrand der implodierten Linken im Munde führen. Für die überwiegende Mehrzahl der Intellektuellen hat sie jeden Sinn verloren. Gut ein Jahrzehnt nach dem Ende der als Ostblock organisierten sozialistischen Staaten erscheint Kapitalismus als eine Lebensform, zu der es keine Alternative, geschweige denn ein Jenseits, gibt. Grundfigur und authentischer Ausdruck dieses Triumphs der kapitalistischen Perspektive und ihrer Erhebung zur Via regia oder Scala sancta des langen Marsches der Menschheit in den Fluchtpunkt einer Zukunft, die nur noch kontinuierliche Entwicklungen, quantitative Fortschritte, berechenbare Größen zu kennen und keine diskreten Veränderungen, qualitativen Sprünge, neuen Maße mehr vorzusehen scheint, – Grundfigur dieses Triumphs ist die zur absoluten Gewissheit geronnene Überzeugung, dass die Gesellschaften die subsistenziellen Bedürfnisse ihrer Mitglieder nur befriedigen können, wenn sie dafür Sorge tragen, dass auch das Akkumulationsbedürfnis des die erforderlichen Befriedigungsmittel erzeugenden kapitalistischen Produktionsapparats Befriedigung findet, dass mit anderen Worten die gesellschaftliche Reproduktion, die Produktion der für die Versorgung der Mitglieder der Gesellschaft nötigen Güter, nur in dem Grade gelingen kann, wie auch die erweiterte Reproduktion des die gesellschaftliche Reproduktion ebenso sehr organisierenden wie konditionierenden Produktionsfaktors Kapital gelingt. Diese Grundgewissheit ist den Menschen so sehr in Fleisch und Blut oder, besser gesagt, in Geist und Seele übergegangen, dass nicht einmal der krasseste, sie Lügen strafende empirische Widerspruch mehr an ihr zu rütteln beziehungsweise in ihr zu beirren vermag.
Dabei fehlt es an solcher die Gewissheit zu widerlegen geeigneten Empirie heute ebenso wenig wie einst. Ist in der hochbürgerlich-imperialistischen Phase der Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaften der zentrale, die Gewissheit von einer prästabilierten Harmonie zwischen Reproduktion der Gesellschaft und erweiterter Reproduktion des Kapitals zu erschüttern tendierende, empirische Widerspruch die Unterversorgung oder Pauperisierung des mit der Wertschöpfung, der Produktion, befassten Gros der Bevölkerung, so ist heute, in der spätbürgerlich-globalistischen Phase der Entwicklung, der die Überzeugung vom Einklang zwischen gesellschaftlicher Reproduktion und Reproduktion des Kapitals auf die Probe stellende Hauptwiderspruch im Gegenteil die Überversorgung oder Pleromatisierung, der sich das mittlerweile nicht weniger mit der Wertrealisierung, dem Konsum, als mit der Wertschöpfung, der Produktion, befasste Gros der Bevölkerung ausgesetzt findet.
Damals, im 19. Jahrhundert, ist das industrielle Produktionsvolumen noch relativ unentwickelt und bescheiden genug, um die kapitalistischen Unternehmer im heimischen Bürgertum und in den kolonialen Bourgeoisien eine hinlänglich große Konsumentenschicht für ihre Produkte finden und deshalb in der Versorgung dieses bürgerlichen Publikums ihre vordringliche, wo nicht gar ausschließliche, Aufgabe gewahren zu lassen. Die unteren Bevölkerungsschichten interessieren die Repräsentanten des Kapitals entweder gar nicht oder nur als wertschöpfende Arbeitskräfte; in letzterem Fall können die Kapitalagenten deshalb alles daran setzen, diese Arbeitskräfte rücksichtslos in den Dienst der Wertschöpfung zu pressen und im Interesse einer hohen Akkumulationsrate durch die Mechanismen der Lohndrückerei sowie einer extensiven, auf Verlängerung der Arbeitszeit, und intensiven, auf Erhöhung der Produktivität zielenden Ausbeutung den dem Kapital zufallenden Mehrwert im Verhältnis zu dem der Arbeitskraft überlassenen Lohn des Kapitals so weit wie möglich zu steigern.
Die aus dieser rücksichtslosen Vergrößerung des Mehrwertanteils zu Lasten des Arbeitslohns resultierende Not und Verelendung der unteren Schichten ficht dabei, sieht man einmal von einigen philanthropisch gesinnten oder christlich gestimmten Gemütern ab, das als Konsumentenpublikum aus der exorbitanten Ausbeutung proletarischer Arbeitskraft Nutzen ziehende Bürgertum ebenso wenig an wie die bourgeoisen Repräsentanten des Kapitals selbst. Was den bourgeoisen Kapitalagenten und den bürgerlichen Konsumenten allerdings zunehmend zu schaffen macht und sie schließlich zu einer Revision ihrer ungehemmten Ausbeutungsstrategie nötigt, ist deren allzu großer Erfolg, sind die ihrem Füllhorn entspringenden grenzenlosen materialen Reichtümer und konsumtiven Segnungen. Die durch die Deklassierung und Proletarisierung der unteren Schichten ermöglichte extensive, vor allem aber die durch den kapitalistischen Konkurrenzkampf erzwungene intensive Ausbeutung der Arbeitskraft treibt Subsistenzmittel und Konsumgüter in solcher Menge und Vielfalt hervor, dass die traditionell nutznießenden bürgerlichen Schichten (die durch imperialistische Expansion hinzukommenden kolonialen eingeschlossen) des Segens schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht mehr Herr werden, während die gleiche Ausbeutung dafür sorgt, dass die unteren Schichten über zuwenig Kaufkraft verfügen, um in die Bresche der wankenden Konsumfront springen zu können.
Damit aber gewinnt der bis dahin bloß logische, wenn auch für die Betroffenen höchst existenzielle Widerspruch einer Armut schaffenden Reichtumsproduktion die praktische und an den Bestand der Gesamtgesellschaft rührende Dringlichkeit eines drohenden Scheiterns der erweiterten Reproduktion des Kapitals an ihrer eigenen Maßlosigkeit; anders gesagt, die Akkumulationsrate ist so unmäßig hoch, dass die Wertproduktion der konsumtiven Realisierung des produzierten Werts davonzulaufen und sich mangels Realisierung als sinnlos und nichtig, weil in unverkäuflichen Waren, statt in mehr Kapital resultierend, herauszustellen droht.
Zur Sicherung des sub specie der kapitalistischen Verwertungslogik als Wertrealisierung firmierenden Absatzes der wachsenden Warensammlung und damit zur Rettung des kapitalistisch organisierten gesellschaftlichen Reproduktionssystems stehen der bürgerlichen Gesellschaft im Wesentlichen drei Wege offen, die sie auch allesamt beschreitet. Zum einen bemüht sie sich durch die imperialistische Intensivierung ihrer schon lange betriebenen kolonialistischen Expansion um die Erschließung neuer Märkte, auf denen sie ihr der exzessiven Ausbeutung entspringendes exorbitantes Mehrprodukt in seinem Wert realisieren kann. Zum anderen erweitert sie die durch die Schaffung neuer, vornehmlich von Staats wegen und in Diensten des Staates eingeführter Funktionen und Berufszweige die bürgerlichen Konsumentenschichten um neue, aus den unteren Schichten rekrutierte Gruppen, was sie, solange die zur Finanzierung dieser Gruppen aufgewendete Gesamtsumme die Summe des jeweils durch die Volkswirtschaft neugeschöpften Werts nicht übersteigt, auch tun kann, ohne inflationäre Entwicklungen auszulösen. Und drittens fängt sie an, durch Reduktion der quantitativen Ausbeutung der Lohnarbeit, das heißt, durch Beschränkung der Arbeitszeit, sowie durch Anhebung der Arbeitslöhne, das heißt, durch Erhöhung des Anteils der Arbeiter am erzeugten Mehrwert, und schließlich durch soziale Zuwendungen, das heißt, durch staatlich-indirekte Unterstützungsmaßnahmen, die unteren Schichten finanziell besser zu stellen und in die Lage zu versetzen, sich am Konsum, ökonomisch gesehen also an der Realisierung der von ihnen geschaffenen Werte, stärker zu beteiligen.
Die letztgenannten Maßnahmen wirken sich allesamt im Sinne einer Verringerung der Mehrwertrate und einer entsprechenden Senkung des Akkumulationstempos aus, während sie gleichzeitig den auf das konstante Kapital, den Produktionsapparat, entfallenden Wertanteil des Gesamtprodukts relativ zu dessen auf das variable Kapital, die Löhne, und auf den Mehrwert, das neugeschaffene Wertquantum, entfallenden Anteile schrumpfen lässt, womit sich der von diesem kapitaleigenen Teil des Gesamtprodukts ausgehende Absatzdruck – das heißt, der Druck, der sich daraus ergibt, dass für diesen mangels Äquivalent nicht von den Produzenten und den neuen Konsumenten zu realisierenden Teil die traditionellen bürgerlichen Gruppen mobilisiert beziehungsweise andere, systemfremde Käufer gefunden werden müssen – relativ vermindert. Vor dem Hintergrund des besagten, für das 19. Jahrhundert charakteristischen Zugleich von krasser Unterversorgung breiter Bevölkerungsschichten und exorbitanter Mehrwertrate, sprich, einer extremen Diskrepanz zwischen dem durch Lohnarbeit geschaffenen Wertvolumen und der dafür gezahlten Arbeitslohnsumme, erwecken jene drei Strategien, zusammen genommen, durchaus den Eindruck, als könnten sie die das Ende des 19. Jahrhunderts, das Fin-de-siècle, markierende Absatzkrise auf lange Sicht beheben und die konsumtive Realisierung der von der kapitalistischen Industrie produzierten Werte gewährleisten, ohne die Gefahr eines völligen Schwindens der Mehrwertrate und damit des Verlusts des für die kapitalistische Produktion maßgebenden Motivs heraufzubeschwören.
Was indes diese Perspektive durchkreuzt und jede Hoffnung auf eine kontinuierliche Entwicklung des kapitalistisch organisierten Systems der gesellschaftlichen Reproduktion als abwegig entlarvt, ist das unter dem Namen Profitmaximierung firmierende Grundprinzip kapitalistischer Logik, das den Agenten des Kapitals abverlangt, sich jedem durch den obigen Umverteilungsmechanismus bewirkten Sinken der Mehrwertrate mit allen politischen Mitteln zu widersetzen beziehungsweise dort, wo der politische Widerstand nicht mehr greift und sie nachgeben müssen, alles daranzusetzen, um dem Verlust an Mehrwert auf ökonomischem Wege entgegenzuwirken. Als vornehmste Strategie zur ökonomischen Konterkarierung des Sinkens der Mehrwertrate erweist sich dabei die Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit durch Mechanisierung und Technisierung der Arbeitsprozesse. Indem die Agenten des Kapitals durch die mechanische Beschleunigung und technische Perfektionierung der Arbeitsverfahren die Leistungskraft der Arbeit, ihre Produktivität, steigern, hoffen sie, das relative Mehr an Wert, das sie im Rahmen jener Umverteilung den Arbeitenden überlassen müssen, durch das absolute Mehr an Wert, das die produktiver gewordene Arbeit schafft, wettmachen zu können und am Ende mit der gleichen Mehrwertrate wie vorher, wo nicht mit einer trotz Umverteilung größeren Mehrwertrate als vorher dazustehen.
Diese Hoffnung trügt nun zwar, weil die durch Steigerung der Produktivität der Arbeit erreichte höhere Arbeitsleistung sich dank des ökonomischen Konkurrenzdrucks rasch als Maß der für die jeweilige Produktion notwendigen gesellschaftlichen Arbeit durchsetzt und deshalb der Wert des vermehrten Produkts am Ende nicht größer ist als der Wert der vor der Steigerung der Arbeitsleistung erzielten geringeren Produktmenge. Aber weil so lange, wie die gesteigerte Arbeitsleistung sich noch nicht als durchschnittliche Arbeitsnorm durchgesetzt hat und deshalb ihr vermehrtes Produkt noch einen größeren Wert darstellt, diejenigen, die über die höhere Produktivität verfügen, aus ihr Profit ziehen, trügt die Hoffnung auch wieder nicht so völlig, dass die Kapitalagenten nicht immer wieder versucht wären, mittels Technisierung und Maschinisierung der Produktionsprozesse solche Produktivitätssteigerungen zu betreiben. Die Folge dieser Situation ist eine das ganze 20. Jahrhundert hindurch bis in die Gegenwart andauernde Spirale industriellen Fortschritts, deren unmittelbar greifbares und in den kleinen und großen Konsumtempeln unserer Zeit zu bestaunendes Resultat ein ungeheurer Strom von immer zahlreicheren, vielfältigeren und wohlfeileren Konsumgütern ist.
Dass dank der wachsenden Produktivität, der immer größeren Leistungskraft der automatisierten Produktionsprozesse, immer mehr Waren in immer kürzerer Zeit beziehungsweise mit immer geringerem Arbeitsaufwand hergestellt werden können und deshalb der Wert der einzelnen Ware immer mehr sinkt, sie also immer preisgünstiger auf dem Markt feilgeboten werden kann, hat nun zwar die erfreuliche und um des Gemeinwohls und sozialen Friedens willen zu begrüßende Konsequenz, dass mit viel rascherer Geschwindigkeit, als im Zuge der erwähnten Umverteilung eigentlich zu erwarten wäre, die Versorgungslage der breiten Volksschichten sich bessert. Da jene gegen Ende des 19. Jahrhunderts eingeleiteten Umverteilungsmaßnahmen gegen massive gesellschaftliche Widerstände und also auf dem Wege langwieriger Klassen- und Arbeitskämpfe, begleitet von umständlichen staatlich-politischen Neuorientierungen und gesetzgeberisch-bürokratischen Umsteuerungen, durchgesetzt werden müssen und, wie bei gesellschaftlichen Widerständen solchen Ausmaßes und politisch-bürokratischen Prozeduren solcher Tragweite nicht anders möglich, auch nur in kleinsten Schritten oder in homöopathisch kleinen Dosen realisierbar sind, fällt ihr wertmäßig-objektiver Effekt, das heißt, die Veränderung im Verhältnis des auf die Arbeitslöhne entfallenden Wertanteils zu dem durch den Arbeitsprozess geschaffenen Mehrwertanteil auch entsprechend gering aus beziehungsweise vollzieht sich in entsprechend langsamem Tempo. Weil aber der rasante Anstieg der Produktivkraft dafür sorgt, dass der gesellschaftlich produzierte Wert sich in einer Warenmasse darstellt, die unverhältnismäßig schneller wächst als er selbst, und weil sich infolge dessen für den wertmäßig gleichen Lohn ein zunehmend umfänglicheres Warenkontingent erstehen lässt, finden sich trotz der Geringfügigkeit und Langsamkeit jener Umverteilung von Mehrwert auf die Lohnarbeit und in krassem Missverhältnis dazu die unteren Schichten bald schon markant besser versorgt und, wenn auch nur ganz hinten in der gesellschaftlichen Prozession beziehungsweise am unteren Ende der sozialen Stufenleiter, in die Reihen der bürgerlichen Konsumgenossenschaft eingegliedert. Sie partizipieren in wie immer anfänglich noch bescheidenem Maße an jenem konsumgesellschaftlichen Überfluss der westlichen Industriegesellschaften des 20. Jahrhunderts, in dessen Genuss natürlich auch und in weit höherem Maße die traditionellen Nutznießer der kapitalistischen Gütererzeugung kommen, die Kapitalklientel im engeren Sinne, die Bourgeoisie, und der ihr funktionell ebenso zugehörige wie sozial nachgeordnete bürgerliche Mittelstand einschließlich der neuen Gruppen, um die der Ausbau des Staatsapparats diesen erweitert.
Dass auch die traditionellen Nutznießer des kapitalistischen Überflusses von jener fortschreitenden Steigerung der industriellen Produktivkraft profitieren und dank ihrer größeren Kaufkraft sogar noch in weit höherem Maße aus dem Füllhorn schöpfen können, das sich jener wachsenden Produktivität verdankt, hat allerdings den gravierenden Nachteil, dass dadurch der Sinn und Zweck der oben genannten drei Strategien zur Belebung des Konsums und Förderung der Nachfrage mehr und mehr vereitelt wird. Ziel dieser drei Strategien ist es ja, die durch das industrielle Angebot überforderten traditionellen Konsumentenschichten der bürgerlichen Klasse zu entlasten und die Aufgabe der Wertrealisierung auf mehr Konsumentenschultern zu verteilen. Nimmt nun aber dank Produktivkraftentwicklung bei gleichbleibendem oder gar sinkendem Wert die Masse der diesen Wert verkörpernden Waren zu, so konterkariert dies die Entlastungsabsicht, weil sich, obwohl die unteren Schichten stärker am Konsum beteiligt und neue Konsumentenschichten ins Leben gerufen werden, der Anteil der von den traditionellen Konsumentenschichten als Wertverkörperungen zu realisierenden Warenmenge nicht oder nur vorübergehend vermindert beziehungsweise dank andauernd wachsender Produktivität bald sogar noch vergrößert. Eben die das Fin-de-siècle markierende und das kapitalistische System mit Verstopfung bedrohende Überflusssituation, aus der jene drei Strategien heraushelfen sollen, stellt sich so aufgrund der von den Kapitalagenten gegen die dritte Strategie aufgebotenen Gegenstrategie einer ständigen Produktivitätssteigerung in kürzester Zeit wieder her.
In dieser erneut eingetretenen Situation eines die kaufkräftigste gesellschaftliche Schicht, die um die neuen Staatsbedienstetengruppen erweiterte bürgerliche Klasse, in ihren Konsumbedürfnissen zunehmend überfordernden Warenstroms sehen sich die einzelnen Kapitalagenten um ihres Überlebens auf dem Markt willen genötigt, durch Verwohlfeilerung ihrer Produkte ihre Konkurrenzfähigkeit zu verbessern. Und um dies zu erreichen, rekurrieren sie abermals und in verstärktem Maß auf das bewährte Mittel einer mechanischen Beschleunigung und technischen Perfektionierung der Arbeitsprozesse. Nur dass dieses bewährte Mittel der Maschinisierung und Technisierung der Produktion jetzt nicht mehr offensiv auf ein vermehrtes Produkt und eine dadurch angestrebte Aufrechterhaltung oder gar Erhöhung der Mehrwertrate zielt, sondern defensiv im Dienste einer Verbilligung des Produkts und einer dadurch ermöglichten Verteidigung oder auch Stärkung der eigenen Marktposition steht.
Dient das erneut oder vielmehr unverändert in Anspruch genommene Mittel der Technisierung beziehungsweise Automatisierung der Produktion demnach aber auch funktionell einem wesentlich anderen Zweck, so zeitigt es reell doch den haargenau gleichen Effekt wie vorher: Es vergrößert durch die Steigerung der Produktivität der Arbeit, die es impliziert, den Strom der industriell erzeugten Waren und verschärft so aufs Ganze gesehen eben das Problem, das es im Einzelfall zu lösen dient. Mag der Einzelne schon dadurch, dass er bei gleichen Produktionskosten mehr Ware produziert und diese – jedenfalls so lange, wie die anderen seinen Produktivitätsvorsprung nicht eingeholt haben – billiger auf den Markt werfen und dort entsprechend leichter absetzen kann, den Kopf aus der Schlinge der durch das Überangebot an Waren hervorgerufenen Absatzkrise ziehen, aufs Ganze gesehen vergrößert er durch seine Selbstrettungsaktion nur das Warenangebot und verschärft die Absatzkrise nur immer weiter.
Und während einerseits die bürgerlichen Konsumentenschichten sich durch die konsumtiven Anforderungen, vor die das exorbitante Warensortiment sie stellt, immer mehr überfordert finden, nimmt andererseits die Möglichkeit, durch weitere Umverteilungsmaßnahmen eine Entlastung an der Konsumfront zu erreichen, immer weiter ab. Und das nicht primär deshalb, weil Gefahr bestünde, dass die Mehrwertrate zu sehr sinkt und damit das Grundmotiv jeder kapitalistisch organisierten Produktion entfällt; angesichts der anfänglichen Höhe der Mehrwertrate und der Langsamkeit des Umverteilungsprozesses stellt dies auf absehbare Zeit keine ernsthafte Bedrohung dar. Sondern der Entlastungseffekt der Umverteilung nimmt vor allem deshalb immer weiter ab, weil die in der Technisierung und Automatisierung der Produktionsprozesse bestehende Strategie zur Steigerung der Produktivität, insofern sie eine fortlaufende Veränderung des Größenverhältnisses zwischen konstantem und variablem Kapital, zwischen dem Wert des Produktionsapparats und der Summe der Arbeitslöhne impliziert, unter Bedingungen, unter denen die Produktivitätssteigerung nicht mehr auf expansive Wertschöpfung durch Vergrößerung der Produktion zielt, sondern nurmehr der defensiven Wertrealisierung durch Verbilligung der Produkte dient, auf eine kontinuierliche Schrumpfung des Arbeitskräfteheeres hinausläuft, so dass eine Umverteilung mittels Erhöhung der Arbeitslöhne, Verkürzung der Arbeitszeit und sozialpolitischer Zuwendungen im Blick auf die Hebung des Konsums mangels Menschenmasse immer weniger Effekt zeitigt.
Erschwerend kommt schließlich noch hinzu, dass im Laufe des 20. Jahrhunderts auch der oben an erster Stelle genannte Weg zur Realisierung des Werts der dank Produktivkraftentwicklung rasch wachsenden kapitalistischen Warensammlung, die weltweite Erschließung und Nutzung von kolonialen und halbkolonialen Märkten an Wirksamkeit und Bedeutung verliert. Zwar ändert die politische Emanzipation und nationale Unabhängigkeit, die fast alle vormals kolonisierten Völker und Regionen fordern und in der Konsequenz der beiden Weltkriege auch durchsetzen, an ihrer ökonomischen Abhängigkeit von den ehemaligen Kolonialherren im besonderen und den westlichen Industrieländern im allgemeinen wenig: Die Volkswirtschaften und Märkte der neuen Staaten bleiben nach wie vor den ökonomischen Strategien und finanzpolitischen Entscheidungen der kapitalistischen Industrienationen hilflos ausgeliefert. Weil aber diese Strategien und Entscheidungen in einem Austauschsystem resultieren, das, indem es die neuen Staaten mit Industriegütern überschwemmt und sie davon abhält oder auch aktiv daran hindert, eigene Industrien aufzubauen, sie immer stärker in die Rolle von Rohstofflieferanten drängt, die sich gegenseitig Konkurrenz machen und im Interesse der Finanzierung ihrer Einfuhren aus den Industrieländern bereit beziehungsweise gezwungen sind, ihre Rohstoffe zu Schleuderpreisen zu verkaufen – weil dies so ist, verarmen die neuen Gemeinwesen immer mehr beziehungsweise verstricken sich immer stärker in der Schuldenfalle der ihnen von den Industrieländern zwecks Verschleppung des Offenbarungseids gnädig gewährten Kredite und sind so immer weniger in der Lage, die ihnen vom imperialistischen Kalkül neben ihrer Rolle als Rohstofflieferanten ursprünglich zugedachte Funktion als Absatzmärkte zu erfüllen.