6. Ist der Terrorismus faschistischer Natur oder Wie übt man affirmative Kritik?

So merkwürdig diese Reaktion auf den ersten Blick anmutet, der Schlüssel zu ihrem Verständnis liegt in der Bewährungsprobe, der die Antiterrorismuskampagne das Bild unterzieht, das sich die Kritischen Theoretiker vom gegenwärtigen kapitalistischen System machen und das auch und nicht zuletzt ihrer Vorstellung vom Verblendungszusammenhang zugrunde liegt. Den Kritischen Theoretikern erscheint das kapitalistische System als eine demiurgische Welt, eine ebenso unaufhebbare wie kritikwürdige Gegebenheit, eine ebenso fest gegründete wie falsche Totalität. Der allmächtige Wert in seinem objektstiftenden Selbstverhältnis, seiner demiurgischen Funktion als Kapital beherrscht und durchdringt die Welt, hat sie fest im Griff. Er beraubt die Welt ihrer Unmittelbarkeit und Eigenständigkeit, verschlägt ihr jeden originären Eigenwert, jede traditionelle Gebräuchlichkeit und gestaltet sie von Grund auf um, erschafft sie nach seinem Bilde neu. Er nivelliert, destruiert, objektiviert sie, raubt ihr jede eigene Zweckmäßigkeit und autonome Bestimmung und macht sie zum willenlosen Schlachtfeld seiner mit sich selbst ausgetragenen Diadochenkämpfe, zum gleichgültigen Durchgangsmoment seines schlecht unendlichen Ringens um Selbstbestätigung.

Aber was auch immer Schlimmes und Verabscheuungswürdiges der als Kapital die Wirklichkeit sich anverwandelnde Wert mit der Welt anfängt und ihr antut, wie immer er sie zum Spiegelbild seiner selbst entstellt und verunstaltet – zugrunde jedenfalls richtet er sie nicht, einer sie als Ganzes, als systematische Totalität ereilenden Vernichtung treibt er sie nicht in die Arme. Wenn er die Welt von einer Krise in die andere stürzt, sie ständigen Zerstörungen aussetzt, so im Rahmen eines als Verwertung selbstreflexiven Prozesses, in dem er sie aus einem Aggregatzustand in einen anderen überführt, sie der Unmittelbarkeit, in der sie sich ihm gibt, entreißt und sie zum Ebenbild seines abstraktiven Wesens vermittelt. Der neue Aggregatzustand mag noch so falsch, das neue, vom Kapital geschaffene Ganze noch so unwahr sein, weniger stabil und dauerhaft als die Welt, aus der es hervorgetrieben wurde, ist es nicht. Jede Negation der Dinge außerhalb des kapitalistischen Systems ist gleichbedeutend mit einer Reaffirmation ihrer Existenz innerhalb des Systems, jede der Welt vom Kapital zugefügte Zerstörung hat zuverlässig die Erhaltung des Zerstörten als Bestandteil des an die Stelle der Welt gesetzten Systems zur Konsequenz. Diese Sicht bietet also eine Art Trost, stellt sich quasi als eine Form der Zuversicht heraus: Das Kapital mag das Ganze noch so unwahr werden lassen, zunichte macht es das Ganze nicht, sondern reproduziert es als die falsche Totalität, die sein Werk ist; das kapitalistische System mag noch so essenziell kritikwürdig sein, in eine existenzielle Krise stürzt es die Welt nicht, sondern kontinuiert sie in der alterierten Gestalt, in der es sie erscheinen lässt.

Die Gefahr einer existenziellen Krise bestünde nur, wenn der als Kapital die Welt demiurgisch umgestaltende Wert Teil dessen wäre, was er umgestaltet, wenn er in der Welt gründete, auf sie als die unverzichtbare Basis seiner exponierten Existenz angewiesen wäre. Dann könnte es in der Tat geschehen, dass er sich durch sein Zerstörungswerk selbst die Grundlage entzieht, sich sein eigenes Grab schaufelt und mitsamt dem System, das er auf dem zerstörten Grund errichtet, kollabiert. Diese Möglichkeit indes – nach unseren obigen Überlegungen zum konsumgesellschaftlichen Wahn die Wirklichkeit, auf die die kapitalistische Entwicklung zielstrebig hinsteuert! – scheint für die Kritischen Theoretiker nicht zu bestehen. Für sie ist der Wert offenbar kein Bestandteil der Welt, kein in ihre natürliche oder historische Prozessualität einbegriffenes Moment, sondern ein der Welt absolut und autonom gegenüberstehender beziehungsweise entgegentretender Faktor.

Zwar sind die Kritischen Theoretiker nicht Metaphysiker genug, um zu bestreiten, dass der Wert aus der Welt hervorgegangen, ihr entsprungen ist – aber der Welt entsprungen ist er nach ihrer Überzeugung im vollen Doppelsinne des Wortes, das heißt, in kriminologischer nicht weniger als in genealogischer Bedeutung: Der Welt entstammend, hat er sich von ihr gelöst und absentiert, sich ihrem Einfluss und Zugriff entzogen, um nun seinerseits in der Selbstherrlichkeit seiner hypostatischen Abstraktheit auf sie zuzugreifen, über sie zu verfügen. Statt ein als Wechselbalg, der seinen eigenen Existenzgrund vernichtet, aus der Art geschlagenes Geschöpf der einen Welt ist der als Kapital triumphierende Wert nurmehr ein an die Stelle der einen Welt eine andere Welt, sein eigenes System, setzender satanischer Schöpfer, statt ein General, der die Welt zum Schlachtfeld seiner herrschsüchtig habituellen Zerstörungswut werden lässt, ist er ein Transzendental, das sie zum Objekt einer ordnungswütig apperzeptionellen Neuordnung macht. Er ist der archimedische Hebel, der zwar die Welt aus den Angeln hebt, an dem sie aber in der neuen Fasson, die sie hierbei erhält, sicher befestigt erscheint, ist der Galgen, der das um alle Fundierung gebrachte Weltganze als eine ebenso freischwebende wie selbsttragende systematische Totalität, ironisch gesagt, "begründet".

Und genau diese bei aller Aussichtslosigkeit Zuversicht weckende, in aller Trostlosigkeit tröstliche Sicht vom kapitalistischen System als einer zwar durchgängig zerstörerischen, aber doch selber gegen Zerstörung gefeiten statisch-stabilen Schöpfung, einer Hölle, die dank ihres luziferischen Souveräns ebenso fest fundiert ist, wie die von Gott geschaffene Erde, aus der sie Luzifer herausprozessiert, diese Sicht vom System als einem Schreckenskabinett, das seine Insassen zwar um Sinn und Verstand bringt, sie nicht aber Leib und Leben kostet – genau diese vergleichsweise angenehme Sichtweise, die sich die Kritischen Theoretiker gestatten, gerät nun also durch jene als Terrorismus-Spektakel gleichermaßen staatlich inszenierte, medial sanktionierte und militärisch exekutierte Verschiebungsleistung ins Wanken. Modo obliquo oder im symptomatischen Rückschluss seiner als Verschiebung unschwer erkennbaren Behauptung einer dem System von außerhalb drohenden destruktiven Gewalt tut die in die Dreieinigkeit des Staats, der Medien und des Militärs gegossene volonté générale der westlichen Industrienationen allen, die es wissen wollen, kund, dass sie das System für aus sich heraus bedroht hält, in ihm eine Dynamik am Werk sieht, durch die es sich eigenhändig zugrunde zu richten tendiert.

Hielte die staatsmächtig organisierte öffentliche Meinung diese interne Gefährdung des Systems nicht für gegeben, sähe sie das System nicht aus eigenen Stücken diese katastrophische Dynamik entfalten, warum sollte sie sich dann die Mühe machen, das Drohende zu verschieben, sprich, es hinauszuprojizieren und als fremdkörperhaftes Phänomen, als quasi aus einer anderen Welt introduzierten Störfaktor zu beschwören? Schließlich ist angesichts des tatsächlichen Kräfteverhältnisses, angesichts der unendlichen Diskrepanz zwischen der von Machtmitteln starrenden und bürokratisch erdrückenden weltweiten Präsenz des Systems einerseits und der selbstzerstörerischen Partikularität und strohfeuerhaften Punktualität der als Terroristen ausgemachten Gegner andererseits deren Erhebung zu einem dem Mongolensturm oder dem nationalsozialistischen Regime vergleichbaren Feind Nr. 1 und Systemzerstörer vom Dienst so offenkundig absurd, dass ohne die Annahme einer hierbei statthabenden Verschiebungsleistung, ohne die Einsicht mit anderen Worten, dass die Antiterrorismuskampagne eine reaktive Verdrängung des den Bürgern des Systems dämmernden Bewusstseins von der dem System eingeschriebenen selbstzerstörerischen Dynamik leisten soll, sich weder der qua Antiterrorismuskampagne getriebene absurde politische, ökonomische und militärische Aufwand begreifen, noch verstehen lässt, warum die Staatsbürger diesen Aufwand bereitwillig akzeptieren und mittragen.

Und dies tun eben auch die Kritischen Theoretiker, die sich in diesem Fall ganz gegen ihre liebgewordene Gewohnheit splendider Besonderung eilfertig in die Phalanx der Staatsbürger einreihen. Sie, die ansonsten die staatsbürgerliche volonté générale unter den Generalverdacht permanenter ideologischer Verschiebung stellen und ihren Anspruch auf ideologiekritische Kompetenz eben an die Aufdeckung und Anprangerung solcher Verschiebungsleistungen knüpfen, zeigen sich hier plötzlich entschlossen, das offenkundige Falschgeld als bare Münze, die evidente Lüge als lautere Wahrheit gelten zu lassen. Der Grund für dieses atypische Verhalten ist nach dem Obigen klar: Was die Kritischen Theoretiker hindert, die qua Antiterrorismus praktizierte Verschiebung als solche zu erkennen und anzuprangern, ist der Inhalt, der hier verschoben wird, das in der Verschiebung ebenso symptomatisch angezeigte wie topologisch verdrängte Bewusstsein von der selbstdestruktiven Dynamik des kapitalistischen Systems.

Modo obliquo ihrer Kampagne bedeutet die staatsbürgerliche volonté générale den Kritischen Theoretikern, dass ihr beruhigender Glaube an die Stabilität und Haltbarkeit des geschmähten Systems irrig ist, dass die reale, praktische Krisenanfälligkeit des Systems ihrer verbalen, theoretischen Kritik an ihm weit mehr Substanz und Impetus verleiht, als ihnen, die sich im Zuge ihrer ständigen kritischen Beschäftigung mit ihm häuslich im System eingerichtet haben und im festen Glauben an die Allmacht seines luziferischen Demiurgen Wert keiner die kapitalistischen Zerstörungen in der Selbstzerstörung des Kapitals kulminieren lassenden Katastrophe gewärtig sind, lieb sein kann. Angesichts dieser vom Sachwalter des Systems, der in Staat sich werfenden volonté générale, ebenso indirekt wie höchstpersönlich gegen das System und seine Beständigkeit erstatteten Anzeige sind die Kritischen Theoretiker existenziell betroffen und nur zu geneigt, die staatliche Verschiebungsleistung, die Ersetzung des eigentlichen Adressaten der Anzeige durch den im Alibi seines exotischen Fanatismus aufgespürten Alius des islamistischen Terroristen, gutzuheißen. Von dem in der Symptomhandlung der staatlichen Verschiebung aufscheinenden Bewusstsein der wirklichen Bedrohung zutiefst schockiert, sind sie willens, das in der Symptomhandlung selbst bestehende staatliche Angebot anzunehmen und unter Verdrängung des Bewusstseins der wirklichen Bedrohung das durch die Symptomhandlung verabreichte Bedrohungssurrogat zu schlucken.

Freilich ist das nicht so ohne weiteres möglich. Schließlich sind sie Intellektuelle, und als solche finden sie sich bei Strafe schieren Selbstverrats gezwungen, die Affirmation, die sie nur zu gern vollziehen möchten, immer noch einmal der Reflexion auszusetzen. Und die wiederum sagt ihnen, dass die armen Teufel von Terroristen, mit denen die industriekapitalistische Staatsmacht hausieren geht, unmöglich die ganze Bedrohung darstellen können, und verweist sie zurück an das System selbst als den nach ihrer eigenen Überzeugung allmächtigen Akteur, den alleinigen Gewalthaber, von dem jede Bedrohung letztlich ihren Ausgang nehmen muss. Sie stecken also in dem veritablen Dilemma, dass sie einerseits die in der Verschiebungsleistung der staatlichen Terrorismuskampagne beschworene Destruktivität des Systems in Panik versetzt und existenziell geneigt macht, die Verschiebung gelten zu lassen, und dass sie andererseits aber intellektuell gezwungen sind, die Verschiebung als solche wahrzunehmen und nach Möglichkeit rückgängig zu machen, das heißt, die Reflexion auf die systemimmanente Destruktivität, das Objekt der Verschiebung, anzustellen.

Ein Zielkonflikt, der eigentlich nicht lösbar ist beziehungsweise der sich – und damit sind wir beim Sonderweg deutscher Intellektueller! – nur dort einer Art von "Lösung" zugänglich zeigt, wo das System selbst gespalten ist und – zumindest in historischer Perspektive – in zwei Erscheinungsformen auftritt, die erlauben, zwischen der systematischen Destruktivität, die durch Verschiebung verdrängt wird, und derjenigen, zu der die Reflexion zurückführt, zu trennen und beide strikt auf die zwei Erscheinungsformen des Systems aufzuteilen. Die "Lösung", die sich den Kritischen Theoretikern deutscher Provenienz (und nur ihnen) erschließt, besteht mit anderen Worten darin, den deutschen Faschismus als eine andere Erscheinungsform des kapitalistischen Systems zu nutzen, um die vom normalen, derzeit herrschenden kapitalistischen System auf den Terrorismus verschobene Destruktivität reflexiv an ihren angestammten Ort und wahren Ursprung zurückzuverfolgen, ohne dass sich als dieser wahre Ursprung das normale kapitalistische System selbst herausstellt: Statt des letzteren erkennt die an der Entlastung des normalen Systems interessierte Reflexion die andere, exzeptionelle Erscheinungsform des Systems, die faschistische Volksgemeinschaft, als den gesellschaftlichen Ort, an dem die Destruktivität zu Hause ist und entspringt. Durch eine der staatlichen Verschiebungsleistung korrespondierende Aufspaltung des kapitalistischen Systems selbst kann also dem intellektuellen Reflexionsbedürfnis Genüge getan werden, ohne dass die Verschiebung einfach als solche dekuvriert und rückgängig gemacht werden muss.

Die Verschiebungskategorie selbst hat sich damit natürlich erledigt. Der Terrorismus in all seiner Exotik ist jetzt originäre Äußerung, ausdrückliches Symptom jenes vom normalen kapitalistischen System abgespaltenen und als dessen vexierbildliches Alter ego perennierenden notständischen faschistischen Systems. Dass sich letzteres nicht in Leibesgröße und mit aller Macht, also quasi in eigener Person, zur Geltung bringt, sondern nur mittels jenes exotischen Symptoms, jenes partikularen Stellvertreters, als der der Terrorismus ins Spiel gebracht wird, liegt dabei in dem prekären Ausschließungsverhältnis (quasi einer Unschärferelation) begründet, in dem es zum normalen kapitalistischen System steht, und in der diesem Ausschließungsverhältnis geschuldeten Geschichte der beiden. Zwar ist das faschistische System Ausgeburt des kapitalistischen und dessen letzte und schrecklichste Konsequenz, aber als dieser vom kapitalistischen System hervorgetriebene Wechselbalg ist es ein Entmischungsprodukt, das sein Erzeuger abstoßen und niederringen muss, will er sich nicht selbst aufgeben und dem Monstrum, das er hervorgebracht hat, zum Opfer fallen. Das kapitalistische System bekämpft und unterdrückt also um seiner Selbsterhaltung willen das faschistische System, das er doch gleichzeitig durch den Modus seiner Selbsterhaltung heraufbeschwört und in Szene setzt.

Auf der Basis dieses Modells vom Verhältnis beider begreifen die Kritischen Theoretiker die jüngere Geschichte und die aus ihr hervorgegangene spätbürgerliche Gegenwart. Im deutschen Nationalsozialismus hat jene dem normalen kapitalistischen System ebenso aktuell fremde wie virtuell innewohnende letzte, zerstörerische Konsequenz schreckliche Wirklichkeit gewonnen und sich zum System sui generis verselbständigt, zu einem Wechselbalg, der sich nun gegen seine eigene Matrix wendet und sie zugrunde zu richten droht; der Zweite Weltkrieg stellt sich als ein mit knapper Not errungener Sieg der Matrix über ihre Ausgeburt dar. Durch eine ebenso verlustreiche wie gewaltige kriegerische Anstrengung gelingt es dem staatsbürgerlich-normalen, liberaldemokratischen Kapitalismus, den volksgemeinschaftlich-leviathanischen, führerstaatlichen Faschismus niederzuringen und aus einer manifesten Erscheinung in eine latente Bedrohung zurückzuverwandeln, sprich, zu verdrängen. Es gelingt ihm mit anderen Worten, jenes vexierbildliche Alter ego wieder von der Bildfläche verschwinden zu lassen, das eben die maßlose Destruktivität konstitutionell herauskehrt, eben die Vernichtungswut hemmungslos auslebt, die es, das normale System selbst, habituell in die Konstruktion einer demiurgisch-gottverlassenen Welt umfunktioniert, zwanghaft in die Affirmation seiner selbst, in Wertbildung, ummünzt.

Die Frage ist nur, wie dieser Verdrängungsakt, dieses von der Bildfläche-verschwinden-lassen zu verstehen ist. In Begriffen des Freudschen Triebmodells, seiner Vorstellung vom dynamischen Unbewussten, läge es nahe, das Verdrängen als eine Rückführung aus der Aktualität in die Potenzialität, sprich, als einen Vorgang zu fassen, bei dem eine zum Akt hervorgetriebene, als Wirklichkeit außerhalb des normalen Systems und neben ihm sich manifestierende Potenz wieder entaktualisiert, in die ursprüngliche Latenz einer dem normalen System innewohnenden und von ihm im Doppelsinn des Wortes festgehaltenen und nämlich ebenso unterdrückten und am Ausbruch gehinderten, wie aufbewahrten und am Leben erhaltenen Kraft zurückgeführt wird. Dann aber wäre das Verdrängen gleichbedeutend mit dem Nachweis, dass es sich bei der zu selbstzerstörerischer Totalität entfesselten Vernichtungswut des faschistischen Systems um das Potenzial, das unmittelbare Innere, des normalen kapitalistischen Systems selbst handelt, und wäre letzterem also eben das vindiziert, was ihm die Kritischen Theoretiker doch um keinen Preis unterstellt und was sie eben deshalb dem faschistischen System als seine spezifische Differenz vorbehalten wissen wollen – dass es potentia seiner selbst und ex cathedra seiner Disposition der Katastrophe zustrebt, dass seine an der Welt geübte Zerstörungstätigkeit Ausdruck einer die eigene Totalität betreffenden Destruktivität ist.

Wollen die Kritischen Theoretiker diesem Schluss entrinnen, so müssen sie der Verdrängungsleistung, kraft deren das kapitalistische System sich seiner faschistischen Ausgeburt erwehrt hat, eine gegenüber der Freudschen Vorstellung modifizierte Bedeutung verleihen, der zufolge die faschistische Destruktivität zwar in der Tat entaktualisiert und von der Bildfläche verschwunden, aus ihrer Manifestation in die Latenz zurückgetrieben ist, aber so, dass sie die systematische Differenz, in der sie sich manifestierte, in der Latenz beibehält, dass sie als entaktualisiertes Potenzial sich ihre vormalige Aktualität als alle künftigen Aktualisierungen determinierenden Archetyp zu eigen gemacht hat, als von der Bildfläche Verschwundene sich im Blick auf ihr Wiederauftauchen an eben diese Bildfläche als ausschließlichen Entfaltungsraum gebunden zeigt. In Ansehung des historischen Falles bedeutet das dann, dass es die deutsche Gesellschaft ist, die, wie sie in der Vergangenheit der faschistischen Destruktivität als Ausbruchsstelle und Erscheinungsort diente, so jetzt als die "geheime Verschlusssache", als das spezifische Behältnis und Silo eben dieser wieder in die Latenz verbannten faschistischen Destruktivität firmiert.

Die Rede vom Verbannen scheint hier durchaus am Platze, denn gemäß der Konkreszenz zwischen allgemeinem Inhalt und besonderer Form, zwischen der generischen Dynamik und dem spezifischen Medium, in dem sie sich entfaltet, nimmt das Verdrängen hier eher den Charakter eines Bannens, das Unterdrücken die Bedeutung eines Kaltstellens an. Einem schlafenden Vulkan gleich birgt die bundesrepublikanisch-demokratische Gesellschaft als latente Gefahr das, was die nationalsozialistisch-völkische Gemeinschaft als manifeste Gewalt zur Äußerung gelangen ließ. Einmal zur Emanationsstätte der dem normalen kapitalistischen System ebenso als potenziell letzte Konsequenz entspringenden wie als aktuell finaler Gegenspieler fremd gegenübertretenden faschistischen Ausgeburt geworden, bleibt die deutsche Gesellschaft auch nach der Niederschlagung ihres naturkatastrophalen Ausbruchs die ewig tickende Zeitbombe – bleibt sie Bombe im Doppelsinn einer Ummantelung oder Hülle, die, wie sie einerseits die Sprengkraft, die in ihr steckt, als deren aggressiv praktisches Mittel nach außen trägt und wirksam werden lässt, so andererseits diese Sprengkraft, solange sie in ihr steckt, als deren exklusiv spezifisches Medium in sich birgt und unter Verschluss hält. Als in die deutsche Bombe, in sein spezifisches Medium, gebanntes Zerstörungspotenzial erscheint der Faschismus als eine existenziell geprägte Essenz und kann als der in dieser seiner existenziellen Gestalt latente, kaltgestellte Sprengsatz auch nur in dieser seiner existenziellen Gestalt wieder scharf gemacht werden und sich entzünden, zerstörerisch manifestieren.

Die vulkanologische Arretierung des faschistischen Zerstörungspotenzials am Ort seines ersten Auftauchens und früheren Wirkens, die im Interesse einer Freisprechung des normalen kapitalistischen Systems von aller selbstzerstörerisch letzten Konsequenz oder ultimativen Vernichtungswut die Kritischen Theoretiker zelebrieren, gewinnt für letztere zusätzliche Plausibilität und Haltbarkeit, weil dabei das anrüchige objektive Interesse Hand in Hand mit einer subjektiv ehrenwerten Absicht geht, das theoretisch-gesundbeterische Strategem sich auf unheilvolle Weise mit einem praktisch-moralischen Motiv verquickt zeigt. Schließlich sind die Betreffenden Sprösslinge eben der deutschen Gesellschaft, die unter dem nationalsozialistischen Regime mit allen Kräften der faschistischen Zerstörungswut gefrönt und den Schrecken der Vernichtungslager und die Geißel des großen Krieges über die Welt gebracht hat. Sie sind in der Scham und der zornigen Selbstverachtung aufgewachsen, mit der solch furchtbare Vergangenheit alle politisch bewussten beziehungsweise moralisch empfindenden Mitglieder der Gesellschaft erfüllen muss. Kann es da verwundern, dass sie ihr mit Hilfe der anderen kapitalistischen Mächte mühsam und nur unter größten Opfern vom faschistischen Exzess befreites und der kapitalistischen Normalität zurückgegebenes Gemeinwesen mit Argusaugen beobachten und, erfüllt von tiefem Misstrauen gegenüber der Haltbarkeit dieser Normalität und der Verlässlichkeit des durch sie suggerierten Sinneswandels, mit dem Schlimmsten rechnen und akribisch auf jedes Zeichen neuerlichen, im schlafenden Vulkan sich sammelnden Explosionsdruckes, neuerlicher, im affirmativen Gemüt der seelenvollen Deutschen sich aufstauender mörderischer Ungemütlichkeit und psychotischer Vernichtungswut achten, dass sie quasi überall das Gras wachsen oder, besser gesagt, die Knobelbecher knallen hören, an allen Ecken und Enden der in einen republikanischen Freizeitpark umfunktionierten völkischen Allmende die alte Drachensaat aufkeimen sehen?

Diese durchaus verständliche, aus ihrer Biographie erklärliche praktische Sorge nutzen nun also die Kritischen Theoretiker, um ihr weit weniger Verständnis verdienendes theoretisches Interesse an einer Freisprechung des normalen kapitalistischen Systems von allem zur exklusiv faschistischen Disposition erklärten Selbstzerstörungspotenzial zu befriedigen. Das biographisch-persönliche Engagement, die auf existenzielle Betroffenheit pochende Konzentration auf das eigene stigmatisierte nationale Milieu wird instrumentalisiert und dient ihnen als Camouflage, um dem gesundbeterischen Konstrukt einer manichäischen Trennung zwischen Kapitalismus und Faschismus, Muttersystem und systemsprengender Ausgeburt, demiurgisch geordneter Welt und satanisch gegenweltlicher Schreckensherrschaft Plausibilität und Geltung zu verschaffen. Was sie mit diesem aus ehrlicher biographischer Motivation und weit weniger ehrlichem ideologischem Interesse gestrickten Konstrukt erreichen, ist ein Ordnungs- und Deutungsschema, das allen auf die historische Kontinuität zwischen kapitalistischer Gesellschaftsform und faschistischer Sozialorganisation abzielenden reflexiven Anfechtungen, aller Versuchung, die Destruktivität im Akkumulations- und Verwertungsanspruch beider Formationen für ein- und dieselbe zu erklären, standhält und das nun natürlich auch bereit steht, die von den Medusenhauptschwenkern beschworene Terrorismusgefahr recht zu interpretieren und einzuordnen.

Das Dilemma der Kritischen Theoretiker ist ja, wie gesagt, dass sie einerseits die von Staats wegen intendierte, von der volonté générale gewollte Verschiebung der inneren Destruktivität des kapitalistischen Systems auf einen von außen drohenden exotischen Zerstörer nur zu gern gelten lassen beziehungsweise mitmachen möchten, sich andererseits aber durch die Forderungen der Reflexion und intellektuellen Redlichkeit genötigt sehen, das äußere Phänomen als symptomatischen Ausdruck eines inneren Prozesses, das Verschobene als auf den Ort seiner Herkunft verweisendes Resultat, die von draußen hereinschlagende Lohe als Projektion eines im Inneren schwelenden Brands wahrzunehmen. Und dieses Dilemma löst sich nun aber zu nichts auf, indem ihr Deutungsschema ihnen erlaubt, die Reflexion auf die Art zu vollziehen, die Verschiebungsleistung in der Weise rückgängig zu machen, dass das aus dem System nach außen Verschobene zwar an einen Ursprungsort zurückverfolgt und als ein in Wahrheit Systemimmanentes sichtbar wird, dass aber die Rückführung auf den Ursprung einen förmlichen Systemwechsel impliziert und nämlich das nach außen Verschobene sich als das Innere nicht etwa des demokratisch-kapitalistischen Systems, von dem die Verschiebung praktisch-empirisch ausgeht, sondern vielmehr des völkisch-faschistischen Systems entpuppt, auf das sich das Verschobene selbst mit der ganzen Suggestivkraft seiner theoretisch-systematischen Beschaffenheit angeblich bezieht.

Dieser Systemwechsel, diese Verschiebung des Verschobenen vom allgemeinen kapitalistischen auf ein ganz eigenes faschistisches System, seine Rückführung auf eine gesellschaftliche Zerstörungskraft, die nicht mehr Begleiterscheinung des allgemeinen Reproduktionsmechanismus, der politisch-ökonomisch herrschenden Produktionsweise, sondern zentraler Aspekt eines der letzteren entsprungenen spezifischen Aggressionsverhaltens, einer eigentümlichen, barbarisch-bürokratischen Destruktionsveranstaltung, ist, verändert dabei zugleich, wie schon oben angedeutet, seine systematische Stellung und prozessuale Funktion: Das Verschobene kommt in der Rückführung unmittelbar zu sich selbst, gewinnt ohne alle umständliche Rekonstruktionstätigkeit, ohne alle analytische Deutungsarbeit seine Identität, weil es in der Perspektive dieses seines faschistischen Ursprungs aufhört, etwas nach außen Gestülptes und Entstelltes, die selbstverleugnende Projektion eines Triebs, der latent bleiben soll, Symptom, das verbirgt, was es offenbart, zu sein, und sich vielmehr als ein offen zum Ausdruck Gebrachtes und Vorgestelltes, als bekenntnisfreudiges Projekt eines Subjekts, das nach Manifestation giert, als Fanal, das offenbart, was es birgt, erweist.

So gewiss die Kritischen Theoretiker den ins Exotische verschobenen Terror bei der kritisch-reflexiven Reduktion auf seinen vertrauten kapitalistischen Ursprung einem Systemwechsel unterwerfen und nämlich nicht dem kapitalistischen Gesellschaftssystem als solchem, sondern dem in letzterem ausgeburtlich-fremdkörperhaft perennierenden völkisch-faschistischen System zuordnen und gutschreiben, so gewiss verändert dieser exotische Terror grundlegend seine Bedeutung und Funktion: Er stellt nicht mehr etwas dar, wovon das (kapitalistische) System als von seinem eigenen Wesen nichts wissen will und was es deshalb ersatzbildnerisch aus sich herausprojiziert, um sich von ihm als von seinem negativen Alibi distanzieren zu können, vielmehr verkörpert er jetzt das, was das (faschistische) System als seine positive Wahrheit weiß und will, die sich aber, weil sie unter den gegebenen historischen Umständen latent bleiben muss und sich nicht manifestieren darf, nur in exotischer Form oder an anderer Stelle, quasi platzhalterisch, zum Ausdruck zu bringen vermag.

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