3. Der Zwang zum Konsum
Mehr noch als die kapitaldemokratische Strategie des Sozialabbaus, die ja immerhin dem bürgerlichen Individuum oder der einzelnen Volkswirtschaft die wie sehr auch kurzlebige Aussicht eröffnet, den Kopf aus der Schlinge seiner Absatzprobleme zu ziehen, lässt die liberaldemokratische Steuersenkungsstrategie schlaglichtartig deutlich werden, wie weit die gesellschaftliche Bereitschaft, sich aus der Wahrnehmung der Wirklichkeit in Wahnvorstellungen zurückziehen, bereits gediehen ist und wie sehr diese Wahnvorstellungen das reale Verhalten bereits bestimmen. Conditio sine qua non jeder Hoffnung, durch Steuersenkungen und die auf diesem Wege verbesserte finanzielle Ausstattung vornehmlich der bürgerlichen Verbraucherschichten den Konsum anzukurbeln und die Absatzkrise zu lindern oder gar zu beheben, ist ja die strikte Abstraktion von dem, was letztlich für die Absatzkrise verantwortlich ist – nämlich der in den westlichen Industriestaaten mittlerweile chronischen Überforderung der menschlichen Bedürfnisse beziehungsweise Überbelastung der natürlichen und kultürlichen Umwelt der Menschen durch das bestehende Konsumniveau. Konsum büßt im Bewusstsein der Beteiligten allen kriteriellen Bezug zum System menschlicher Bedürftigkeit und gesellschaftlicher Subsistenz ein und wird zu einem abstrakten Durchgangsmoment des kapitalistischen Verwertungsprozesses, einem reinen volkswirtschaftlichen Faktor.
Wenn das Kapital auf den mangelndem Konsum geschuldeten stockenden Absatz mit dem Verzicht auf neue beziehungsweise der Reduktion laufender Wertschöpfungsprozesse reagiert und so eine Wirtschaftsflaute heraufbeschwört, die Arbeitslosigkeit nach sich zieht und die Absatzkrise beziehungsweise die Stagnation der Wirtschaft weiter verschärft, dann ist heute auch dem Letzten sonnenklar, weil mit aller medialen Gehirnwäschemacht indoktriniert, dass nichts aus der Not heraushelfen kann als eine Ankurbelung der Konjunktur, sprich, die Ingangsetzung neuer Wertschöpfungsprozesse durch eine außen- beziehungsweise binnenwirtschaftliche Belebung des Konsums. Rettung aus der Not der stagnierenden oder gar rückläufigen Autoproduktion verspricht einzig und allein der vermehrte Kauf von Neuwagen – mögen die bereits vorhandenen Exemplare auch noch so regelmäßig auf den Autobahnen und Überlandstraßen zu riesigen immobilen Blechlawinen erstarren, in den Städten noch so unaufhaltsam jede Urbanität über den Haufen fahren, bei den Menschen und in der Natur noch so verheerende organische, biosphärische und klimatische Schäden anrichten. Rettung aus der Not der von sinkenden Produktionszahlen heimgesuchten elektronischen Unterhaltungsindustrie verspricht einzig und allein der verstärkte Kauf elektronischer Geräte, Zubehörteile und Programme – selbst wenn dies wegen der krassen Überversorgung der Gesellschaft mit Artikeln dieser Art nötig macht, dass ständig neue, zu Generationen euphemisierte Versionen des Gleichen mit gigantischem technischem Aufwand entwickelt und auf den Markt geworfen werden müssen – mit aller aus der Rohstoffverschwendung und den Entsorgungsproblemen resultierenden Beanspruchung der Naturressourcen und der Umwelt. Rettung aus der Not des sinkenden Ausstoßes der Getränkeindustrie verspricht einzig und allein die Steigerung des Getränkekonsums – auch wenn sich dazu die Konsumenten die Seele aus dem Leib saufen und die abenteuerlichsten Geschmacksrichtungen und suchtträchtigsten Cocktails in Kauf nehmen müssen. Rettung aus der Not der unter ihren gigantischen Textilhaufen erstickenden Bekleidungsindustrie verspricht einzig und allein die durch den nächsten Modetrend neu erregte Kauflust, auch wenn vorher mittels wahnwitziger Schnäppchenjagden und Schleuderpreisverkäufe jedes Mal mühsam die Lager geräumt werden müssen, um Platz für den neuen Segen zu schaffen, den die Unerbittlichkeit, mit der er sich aufdrängt, nur zu verdächtig macht, in Wahrheit ein Fluch zu sein.
Es ist, als wäre die unmittelbare Rücksicht des Menschen auf sein Bedürfnis, seinen naturalen Trieb, wie von Zauberhand weggewischt oder, was im Effekt auf das Gleiche herauskommt, mit einem undurchdringlichen Tabu belegt, einem veritablen Verdrängungsakt zum Opfer gebracht, und als wäre an die Stelle jener Rücksicht ein als ökonomisches Kalkül erkennbarer sozialer Platzhalter, der Sinn für den Konsum, das Interesse des Verbrauchers getreten. Wie ja schon der Begriff selbst zu verstehen gibt, spielt beim Verbrauchen das Brauchen oder Gebrauchen keine oder nur eine sekundäre Rolle, geht es also beim Konsumieren nicht primär darum, an etwas seine Not zu stillen oder ein Bedürfnis zu befriedigen, sondern es geht ums Verzehren und Vertilgen von etwas, geht darum, Dinge aus der Welt zu schaffen, sie zu vernichten. Verbrauchen ist das konsumtive Pendant zum produktiven Verwerten.
Wer sich als Verbraucher sieht und begreift – und wer in unseren heutigen Gesellschaften tut das nicht? –, weiß, dass er die verantwortungsvolle Aufgabe wahrnimmt, das durch die gesellschaftlichen Produktionsprozesse Geschaffene wieder wegzuschaffen, die Gegenständlichkeit, die der Kapitalprozess hervorgetrieben und auf den Markt gebracht hat, wieder zu vertilgen und zum Verschwinden zu bringen, um Raum für weitere Produktionen zu schaffen, den Markt für neue Gegenstände frei zu räumen. Er weiß oder ist sich jedenfalls unreflektiert der Tatsache bewusst, dass die den gesellschaftlichen Produktionsprozessen entspringenden Objekte bloße Erscheinungen des Wesens Wert sind und dass es gilt, die Erscheinungen zu eliminieren und den in ihnen verborgenen Wert als solchen, ihn in seiner wesentlichen Gestalt als Geld, zu realisieren, um den Nachweis für das Gelingen des Produktionsprozesses, die mittels der Erscheinungen erzielte Vermehrung des Werts, zu führen und damit die conditio sine qua non für die Ingangsetzung weiterer, der Wertvermehrung dienender Produktionsprozesse zu erfüllen. Er weiß, dass die Nichterfüllung dieser im Konsum bestehenden conditio sine qua non, eben weil sie die Produktionsprozesse zum Erliegen, das Wirtschaftsleben zum Stillstand bringt, tendenziell in der Vereitelung auch jeglicher Subsistenz resultiert, weiß, dass letztere nurmehr im Schatten des Konsums, als dessen stillschweigende Begleiterscheinung, sein ebenso unwichtiges wie selbstverständliches Abfallprodukt zu subsistieren vermag, weiß, dass als der eigentliche soziale Sinn aller, für sich genommen, sinnlosen naturalen Bedürfnisbefriedigung der Konsum die absolut verpflichtende und alles ihrer kriteriellen Bestimmung unterwerfende Perspektive ist.
Wie absolut verbindlich die Konsumperspektive in den Köpfen der Menschen mittlerweile ist, zeigt sich beispielhaft etwa dort, wo die Umweltschäden, die aus ihr resultieren, und die katastrophischen Zukunftsaussichten, die sie eröffnet, gravierend und offenkundig genug sind, um bei sogenannten Grünen, jenen Teilen der Bevölkerung, die sich aus intellektueller Miesmacherei oder bürgerlichem Snobismus den Luxus eines kritischen Bewusstseins leisten, Protest und Opposition zu provozieren. Die Reaktion einer die Schädigung gesellschaftlicher Interessen in Kauf nehmenden rücksichtslosen Parteinahme für die gebeutelte Natur und eines planen Plädoyers für Konsumverzicht rufen Umweltprobleme und zukünftige Bedrohungen, mögen sie auch noch so groß sein, nur bei Fundamentalisten hervor, die sich aus asozialer oder misanthropischer Prinzipienreiterei zu abstrakter Negativität versteigen. Wer hingegen noch seine fünf Sinne beisammen beziehungsweise sich seinen den fünf Sinnen als transzendentaler Erfahrungsrahmen dienenden Sinn für gesellschaftliche Notwendigkeiten bewahrt hat und deshalb im Jargon der Medien als Realist firmiert, muss seine Bemühungen um den Schutz der Umwelt und die Abwehr künftiger Bedrohungen unbedingt mit der Konsumperspektive und der Forderung nach ihrer Kontinuität vermitteln.
Er muss deutlich machen oder jedenfalls überzeugend das Argument vertreten können, dass ohne eine Reduktion der Abgase bei Kraftfahrzeugen die wachsende Dichte des Straßenverkehrs und mithin das bestehende Niveau der Autoproduktion oder gar dessen weitere Erhöhung nicht aufrechtzuerhalten ist, dass ohne ein Dosenpfand die Getränkeindustrie zuviel Energie verschwendet und der Gesellschaft zu große Folgekosten aufbürdet und deshalb früher oder später vom hohen Ross ihres Produktionsniveaus heruntersteigen muss, dass ohne eine Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien und auf Mechanismen des Energiesparens der steigende Energiebedarf der Zukunft ohne irreparable Beeinträchtigungen der Umwelt nicht mehr zu befriedigen sein wird. Noch besser natürlich, wenn es gleichzeitig gelingt, die Konsumperspektive nicht nur ex negativo zu bestätigen und nämlich nachzuweisen, dass sich ihre Entfaltung bei entsprechenden Maßnahmen mit der Rücksicht auf die Umwelt verträgt, sondern sie mehr noch positiv zu beschwören und nämlich mit den durch jene Maßnahmen zum Schutz der Umwelt entstehenden neuen Arbeitsplätzen und der dadurch bedingten Stärkung der allgemeinen Konsumkraft hausieren zu gehen. Ohne das glaubhafte Argument, dass die Behebung der natürlichen und gesellschaftlichen Schäden, die das ökonomische Wachstum und sein vernichtender Erfüllungsgehilfe, der Konsum, anrichten, letztlich dem Schädiger und seinem Tun und Treiben zugute kommen, ist heute in unseren Gesellschaften nichts mehr politisch durchsetzbar.
Der über alle Rücksicht auf die Subsistenz oder naturale Bedürfnisbefriedigung triumphierende und nurmehr de facto – dadurch, dass er sich mit dem Leben der Menschen verträgt –, nicht mehr de jure – dadurch, dass er sich aus dem Leben der Menschen erklärte – an sie gebundene Konsum oder soziale Wertrealisierungsauftrag ist also mittlerweile unbestrittenes Prinzip gesellschaftlichen Verhaltens, eine dem gesellschaftlichen Bewusstsein des Menschen, seiner zweiten Natur, eingefleischte Selbstverständlichkeit. Die Schizophrenie, die darin liegt, dass die Menschen als natürliche Wesen nurmehr subsistieren, Befriedigung ihrer Bedürfnisse finden können, wenn sie als gesellschaftliche Wesen konsumieren, Wertrealisierung treiben, wenn sie verbrauchen, was sie brauchen, vertilgen, wovon sie zehren, vernichten, was sie erhält – diese offenkundige Schizophrenie wird allerdings dadurch abgemildert beziehungsweise verschleiert, dass die menschlichen Bedürfnisse alles andere als ein simples Naturdatum, eine anthropologisch fixe Gegebenheit sind, sondern, wie der Mensch selbst, ein hohes Maß von Plastizität, von Anpassungsfähigkeit an äußere Veränderungen, an neue, natürliche und gesellschaftliche Ansprüche und Angebote aufweisen.
Damit ist nicht nur gemeint, dass sich das menschliche Bedürfnissystem im Zuge der ökonomischen und kulturellen Entwicklung der Menschheit in einem Ausmaß diversifiziert und an Komplexität gewonnen hat, dass schon ein Zeitgenosse der Französischen Revolution größte Mühe hätte, sich in die Gepflogenheiten heutiger Bedürfnisbefriedigung hinein beziehungsweise in ihnen zurecht zu finden – auch wenn es ihm dank besagter menschlicher Anpassungsfähigkeit vermutlich rasch gelänge, sich zu reorientieren. Gemeint sind damit auch und vor allem zwei andere Eigenheiten menschlicher Bedürftigkeit, die geeignet sind, dem Konsumieren als einem alle natürliche Appetenz unter sich begrabenden gesellschaftlichen Entsorgungsprozess viel von seiner tatsächlichen Monstrosität zu nehmen. Da ist zum einen die dem Bedürfnis eingeschriebene archaische Tendenz, deren Folge unter anderem die in Wohlstandsgesellschaften verbreitete Fettleibigkeit ist: die Tendenz, sich, falls sich die Gelegenheit dazu ergibt, durch unmäßige Fresssucht gegen künftige Notzeiten zu wappnen – eine Neigung, die in der Tat dem konsumtiven Vertilgungs- oder Entsorgungsauftrag entgegenkommt und ihm einen größeren Anschein von Normalität und Natürlichkeit verleiht, als er von sich aus beanspruchen kann.
Zum anderen aber und vor allem ist da die Tatsache, dass, wie die menschliche Arbeit von Anfang an Hand in Hand mit dem Trieb zur kooperativ-arbeitsteiligen Vergesellschaftung geht, so auch die menschliche Bedürfnisbefriedigung seit jeher mit dem Hang zur Geselligkeit, zum gemeinsamen Genuss verknüpft ist. Diese mit der materiellen Bedürfnisbefriedigung verbundene Befriedigung sozialer Bedürfnisse findet, solange die Verteilung und die Nutzung der Güter, ihre Aneignung und ihre Einverleibung noch nicht institutionell geschieden sind, in Form von kollektiven Mahlzeiten, Lustbarkeiten und Festen statt. Daran ändert im Prinzip auch noch nichts die Einschaltung einer herrschaftlichen Instanz, die das gesellschaftliche Produkt mit Beschlag zu belegen und nach Kriterien politischer Machtausübung zuzuteilen beansprucht. Eine zur Befriedigung sozialer Triebe taugliche Situation von Kollektivität entsteht auch hier nach der Vergesellschaftung durch die Arbeit erst wieder im Augenblick der tatsächlichen Nutzung der materiellen Befriedigungsmittel, ihres subsistenziellen Gebrauchs.
Als indes im Zuge der Entstehung kommerzieller Austauschsysteme und der damit einhergehenden Ablösung herrschaftlicher Zuteilungsmechanismen die Distribution sich verselbständigt und objektiviert und im Markt eine eigene institutionelle Form erhält, kommt es zu einer Aufspaltung dieser sozialen Bedürfnisbefriedigung, die einerseits in actu des subsistenziellen Gebrauchs der materiellen Befriedigungsmittel, auf der Ebene also ihrer privaten, familiären oder gruppenspezifischen Kommunion, statthat und andererseits aber auch als integrierendes Moment der über die materielle Befriedigung disponierenden kommerziellen Verteilung der Güter, der die private Kommunion vorbereitenden öffentlichen Kommunikation des Marktes, erscheint. So gewiss die Menschen nicht nur zusammenkommen, um materielle Bedürfnisbefriedigung zu betreiben, sondern sich zuvor vergesellschaften, um per Austausch ihre jeweiligen Ansprüche auf materielle Bedürfnisbefriedigung gegeneinander geltend zu machen, so gewiss ist auch diese der Distribution der Güter dienende kommerzielle Zusammenkunft bereits Ort der Befriedigung sozialer Triebe.
Und dieses Moment sozialer Bedürfnisbefriedigung bleibt der Marktsituation ja erhalten, auch wenn nun maßgebend für die kommerzielle Distribution nicht mehr das Gebrauchen, sondern das Verbrauchen, nicht mehr das subsistenzielle Versorgen, sondern das konsumtive Vertilgen ist. Es bleibt indes nicht nur erhalten, es verstärkt sich sogar bis zur Hypertrophie. Tatsächlich bedeutet ja die Ersetzung beziehungsweise Überlagerung der Perspektive einer subsistenziellen Versorgung der Menschen durch die Zielvorstellung einer konsumtiven Vertilgung von Gütern eine massive Gewichtsverschiebung weg vom privaten oder spezifischen Kommunionsereignis und hin zum öffentlichen oder forensischen Kommunikationserlebnis. So gewiss im Extremfall reinen Konsumierens das materielle Befriedigungsmoment zu Nichts tendiert, was seinen Ausdruck darin findet, dass das durch Kauf in seinem ökonomischen Wert realisierte Befriedigungsmittel auf mehr oder minder direktem Weg auf die Müllhalde oder in die – der grünen Integration der Umweltrücksicht in die Konsumperspektive sei's gedankt! – mittlerweile neben der Müllhalde installierte Recyclinganlage wandert, so gewiss findet das an die materielle Bedürfnisbefriedigung gebundene Kommunionsereignis, die Vergesellschaftung im realen Genuss, im Zweifelsfall gar nicht mehr statt und verspricht die Befriedigung des Sozialtriebs einzig und allein noch das im Moment der Distribution, im Kaufakt, enthaltene Kommunikationserlebnis, auf das sich als auf seinen einzigen, außerhalb der Arbeitssphäre verbliebenen Entfaltungsraum das soziale Triebleben demgemäß kapriziert.
Das Monopol auf alle nicht durch arbeitsteilige Kooperation vermittelte Vergesellschaftung, die der auf nichts weiter als auf die Beseitigung der Waren, ihre Entfernung aus der Distributionssphäre gerichtete und eben deshalb seinerseits auf diese Sphäre beschränkte Konsum erringt beziehungsweise dieser Sphäre, in der er zuhause ist, vindiziert, hat das Kapital mit der Feinfühligkeit, die es überall dort beweist, wo seine Selbstverwertung auf dem Spiel steht und sicher gestellt werden muss, früh schon registriert und im Rahmen der Reklame, seiner effektivsten Strategie zur Stützung des Konsums, auszubeuten gewusst. Die Geschichte der modernen Reklame lässt sich als ein marktschreierischer Prozess beschreiben, an dessen Ende Gegenstand des bis zur Reizüberflutung laut- und bildstarken Werbens nicht mehr dieses oder jenes Befriedigungsmittel, eine spezielle Ware, sondern die Totalität der Warensammlung, der generelle Markt, und das durch die Werbung in Aussicht gestellte Ziel nicht mehr eine als Resultat des Kaufakts imaginierte materielle Befriedigung, sondern der actus purus des Kaufens als solcher, das Shopping, ist.
Und die Reklame hat guten Grund, sich auf diesen generalisierten Aspekt zu kaprizieren, weil unter Bedingungen des entfalteten Konsumbewusstseins jenes Resultat des Kaufakts, der materielle Genuss des Objekts, ja tatsächlich zu einem Akzidens oder einem Abfallprodukt verflüchtigt erscheint, und die einzig wirkliche Befriedigung, die noch gewährt wird, eben nur im Kaufakt beziehungsweise in dem sozialen Erlebnis, das er bedeutet, dem von der Reklame hellsichtig beschworenen "Come together", besteht. So gewiss unter Bedingungen des entfalteten Konsumbewusstseins nurmehr der Verbrauch, die Vertilgung der Ware im Sinne ihrer Entfernung aus dem Marktzusammenhang und ihres Verschwindens in der Privatsphäre beziehungsweise der unmittelbar hinter der Privatsphäre als Deponie, Müllverbrennungsanlage oder Recyclingbetrieb etablierten Entsorgungseinrichtung zählt, so gewiss reduziert sich die mit dem Konsum verknüpfte wirkliche Befriedigung auf das soziale Erlebnis der zwecks Distribution der Waren statthabenden forensischen Versammlung.
Wenn hier dem Kaufakt beziehungsweise der mit ihm inszenierten sozialen Begegnung das einzige im Konsum erhaltene Moment von wirklicher Bedürfnisbefriedigung bescheinigt wird, so ist das allerdings cum grano salis zu nehmen. Schließlich zeigt sich dies übrig bleibende Befriedigungsmoment nur um den Preis erhalten und von Dauer, dass es vielmehr nicht haltbar, nicht von Dauer, dass es kursorischer Augenblick, verschwindender Moment ist! So schnell der Kauf getätigt ist, so schnell ist das Befriedigungserlebnis der mit ihm statthabenden Sozialisation vorüber. Eben weil die im Dienste des Konsums getätigte kommerzielle Kommunikation im Kaufakt von keiner als Subsistenzhandlung vollzogenen materiellen Kommunion mehr gefolgt ist, fehlt ihr die Nachhaltigkeit, gewissermaßen der Sättigungsfaktor, und lässt sie die kursorisch Befriedigten vielmehr chronisch unbefriedigt, frustriert zurück.
Zur Bekämpfung ihrer Frustration bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich in neue Kaufakte zu stürzen und das mit ihnen verknüpfte flüchtige Befriedigungserlebnis möglichst rasch und möglichst oft zu wiederholen. Anders gesagt bleibt ihnen nichts anderes übrig, als das in der Sphäre des Konsums befriedigte Bedürfnis nach Vergesellschaftung, weil es dort vielmehr nicht oder nur kursorisch befriedigt wird, als Wiederholungszwang, als Suchtverhalten zu realisieren. Nicht von ungefähr tritt der einzelne Kaufakt, für sich genommen, gar nicht ins konsumtive Bewusstsein, sondern inszeniert sich unmittelbar als unabschließbare, den Konsumenten in die Sphäre, in der er jene ewig frustrierende Befriedigung findet, bannende Aktionsfolge, als eine zwischen Freizeitgestaltung und Zwangsmechanismus changierende tägliche Routine, eben als Shopping.
Dass die mittels Konsum betriebene Suche nach sozialer Befriedigung zwangsläufig zur Sucht gerät, bedeutet dabei nicht etwa eine Beeinträchtigung ihrer Funktion, sondern erhöht im Gegenteil ihre Zwecktauglichkeit. Schließlich geht es ja beim Konsumieren ums unablässige Beseitigen und Vertilgen eines sich ebenso unablässig reproduzierenden und wiedereinstellenden Warenstroms – und was könnte da der konsumtiven Funktionstüchtigkeit abträglicher sein als die tatsächliche Befriedigung des die Vertilgungsarbeit als positiver Anreiz, als Triebmotiv begleitenden Bedürfnisses nach Gesellschaft? Oder was – andersherum gefragt – kann der Vertilgungsarbeit, ihrem Fortgang, ihrer Effektivität, förderlicher sein als die ständige Frustration des Bedürfnisses, jener Zustand einer suchterzeugenden Enttäuschung, bei dem die Befriedigung immerhin so real ist, dass sie sich nicht als bloße Täuschung dekuvriert, aber auch nicht real genug, um nicht das Bedürfnis nach ihr im Handumdrehen wieder wachzurufen? Zusammen mit dem archaischen Reflex, sich für Notzeiten zu mästen, sorgt also das die Konsumtionstätigkeit begleitende Moment sozialer Befriedigung gerade durch seine ständige Frustration dafür, dass ungeachtet der als reines Beseitigungsverfahren andauernden Negativität, zu der sich die Menschen qua Konsum angehalten finden, diesem doch eine unausrottbar positive Perspektive, ein unverwüstlich motivierender Aspekt erhalten bleibt.
Von der subjektiven Seite oder emotionalen Disposition der das Konsumieren als soziale Bedingung jeder naturalen Subsistenz bedingungslos akzeptierenden Mitglieder der Gesellschaft her scheint also alles in bester Ordnung und nichts dazu angetan, die für diese Akzeptanz grundlegende Überzeugung von der konstitutiven Bedeutung des kapitalistischen Akkumulationsprinzips für alle gesellschaftliche Reproduktion, sprich, der Notwendigkeit permanenten ökonomischen Wachstums, in Frage zu stellen oder gar ins Wanken zu bringen. Was das Wachstumsdogma aber dennoch erschüttert und mit Skepsis zu infizieren droht, ist die oben beschriebene objektive Entwicklung eines Produktivitätsfortschritts, der sich mit derartiger Unaufhaltsamkeit vollzieht und in derart unübersehbaren Massen materialer Wertgestalten niederschlägt, dass auch die entschiedenste Bereitschaft zum Konsum und die disziplinierteste Verfolgung des qua Konsum betriebenen Wertrealisierungsgeschäfts den Absatz der Warensammlung nicht mehr zu gewährleisten vermag und dass sich deshalb die einzelnen kapitalistischen Volkswirtschaften gezwungen sehen, im Interesse des Absatzes der eigenen Produktion auf den internationalen Märkten immer preiswerter zu produzieren und zu diesem Zweck durch Rationalisierung und Sozialabbau die Produktionskosten zu senken, sprich, Arbeitsplätze abzubauen und auf eine Verwilderung des Arbeitsmarkts durch die Beseitigung sozialstaatlicher Schutzvorkehrungen und gewerkschaftlicher Tarife zu dringen.
Auf diese Weise kommt es zu der paradoxen Situation, dass zur Wahrung des gesamtgesellschaftlichen Wohlstands immer größere Gruppen der Industriearbeiterschaft und der privatwirtschaftlichen Angestellten der Arbeitslosigkeit und Verarmung ausgeliefert werden müssen. Gleichzeitig unterliegt auch das Heer der direkt oder indirekt vom Staat alimentierten Angestellten einem fortlaufenden Schrumpfungsprozess, weil der Staat seine Mittel immer stärker auf die Unterstützung jener Bemühungen konzentrieren muss, der heimischen Produktion im Rahmen des entbrannten internationalen Preiskampfs die Absatzfähigkeit zu erhalten.
Wie könnte wohl diese paradoxe Entwicklung verfehlen, auch im wildentschlossensten Konsumenten heimliche Zweifel am Sinn und Nutzen seiner konsumtiven Tätigkeit aufkeimen zu lassen? Während er auf Teufel komm `raus konsumiert, um die gemeinhin zum Wirtschaftsleben euphemisierte Kapitalakkumulation, wenn schon nicht in Schwung, so wenigstens doch in Gang zu halten und seine auf Gedeih und Verderb daran geknüpfte eigene Subsistenz zu sichern, muss er zusehen, wie der Nachbar seinen Arbeitsplatz verliert und über Arbeitslosenunterstützung und Arbeitslosenhilfe zur Sozialhilfe durchgereicht wird. Und während er noch dem nachbarschaftlichen Desaster beklommen zusieht, ohne deshalb in seinen konsumtiven Anstrengungen nachzulassen, erfährt er vielleicht, dass auch seine Firma wegen schlechter Bilanzen betriebsbedingte Kündigungen plant oder dass seine Kinder wegen staatlicher Einsparungen keine Chance haben, für ihr Lehramts- oder Jurastudium mit einer Anstellung im Staatsdienst belohnt zu werden. Was Wunder, dass er, wenn auch nicht gleich den tiefverwurzelten Glauben an den Imperativ fortlaufenden ökonomischen Wachstums, ständiger Kapitalakkumulation, so immerhin doch das Vertrauen verliert, durch seine Konsumtätigkeit zur Erfüllung solchen Imperativs einen wirksamen Beitrag leisten zu können?
Was Wunder, dass ihn die als "Verunsicherung des Verbrauchers" mittlerweile sprichwörtliche Befürchtung heimsucht, trotz emsiger Beteiligung am Wertrealisierungsgeschäft den Arbeitsplatz, den ihm seine konsumtive Geschäftigkeit ja eigentlich sichern soll, dennoch zu verlieren und sich damit der im Arbeitslohn bestehenden Basis für seine Teilhabe nicht nur am konsumtiven Geschäft, sondern auch an der darin beschlossenen subsistenziellen Versorgung beraubt zu finden? Und was Wunder dann schließlich, dass ihm diese Befürchtung den Gedanken nahe legt, sich aus seiner Beteiligung am Wertrealisierungsgeschäft zurückzuziehen und in einer Art Regression auf vorkonsumgesellschaftliche Einstellungen und Verhaltensweisen seinen Arbeitslohn, statt ihn dem Moloch Konsum in den Rachen zu werfen, vielmehr für die Befriedigung subsistenzieller Bedürfnisse, für eine möglichst lange währende Versorgung mit dem Lebensnotwendigen aufzusparen? Indem er dies aber tut und konsumtive Enthaltung übt, verschärft er das Problem, auf das er mit Konsumverzicht reagiert, nur noch weiter. Soll die Absatzkrise nicht die Dimensionen einer regelrechten Rezession und ausgemachten Wirtschaftskrise annehmen, so müssen doch jedenfalls diejenigen, die nicht dem internationalen Preiskampf und der Konkurrenz auf dem Weltmarkt zum Opfer gebracht werden, bei der Fahne ihrer konsumtiven Hochleistung bleiben und dürfen nicht in feiger Antizipation des eigenen potenziellen Opferstatus desertieren und den Rückzug in den Zynismus, die Asozialität, subsistenzieller Selbstbescheidung antreten.