5. Die gesellschaftskritische Intelligenz in ihren Spielarten
Ein ebenso haltbarer wie durchschlagender Erfolg also lässt sich von der Antiterrorismuskampagne der tonangebenden industriekapitalistischen Gesellschaften nicht erwarten: Im besten Falle gewinnen die Initiatoren der Kampagne und ihre in unterschiedlichem Grade engagierten Mitläufer ein paar Jahre Ruhe an diversen Krisenpunkten des imperialistischen Herrschaftssystems und ein paar Jahre geminderte Verunsicherung oder gar gestärktes Vertrauen bei der eigenen Bürgerschaft. So bescheiden, um nicht zu sagen armselig, dieser praktische Erfolg sich aber auch ausnehmen mag, eines umwerfenden theoretischen Triumphs darf sich die Antiterrorismuskampagne immerhin rühmen. Der Durchbruch und Sieg auf der ganzen Linie, der den Veranstaltern der Kampagne auf der großen politischen Bühne, beim konsumierenden Staatsvolk, versagt bleibt, er wird ihnen auf einem ideologischen Nebenschauplatz, bei der reflektierenden Intelligenz, überraschend zuteil.
Nicht, dass mit diesem Triumph viel anzufangen, geschweige denn, Staat zu machen wäre! Was die mit der gesellschaftlichen Selbstreflexion betraute Intelligenz denkt und erkennt, ist von keinem großen Belang – schon gar nicht in einer Zeit, in der die Hauptaufgabe solcher Reflexion, die kritische Konfrontation der gesellschaftlichen Wirklichkeit mit dem Bild, das sich die Gesellschaft von sich macht, obsolet und durch das mediale Geschäft eines unaufhörlichen Widerspiegelungsprozesses ersetzt ist, bei dem jedes Bild von der Wirklichkeit, noch ehe es sich als Reflexionspunkt, als Kriterium für die Beurteilung der letzteren, zur Geltung hat bringen können, bereits durch das nächste, es als die ebenso distanz- wie perspektivlos neue Wirklichkeit überlagerndes Bild verdrängt ist. Die von der medialen Selbstbespiegelungspraxis der Gesellschaft weitgehend aus dem Feld des öffentlichen Bewusstseins geschlagene intellektuelle Gesellschaftskritik hat also bei weitem zu wenig soziales Gewicht, um aus ihrer Düpierung beziehungsweise Umkrempelung viel politische Befriedigung, geschweige denn praktischen Gewinn ziehen zu können.
Hinzu kommt, dass es gar nicht die westliche Intelligenz als Ganze, sondern nur ein kleiner provinzieller Teil von ihr, nämlich die deutsche Intelligenz, ist, die ins Bockshorn des Antiterrorismus zu jagen oder, weniger bildbrüchig formuliert, vor dem Fetisch exotischen Terrors in ihrer Reflexionstätigkeit erstarren zu lassen den Medusenhauptschwenkern auf so durchschlagende Weise gelingt. Und wenn wir schließlich noch konstatieren, dass es auch nicht einmal die ganze deutsche Intelligenz, sondern aus ihren Reihen nur eine kleine, sektiererisch anmutende Gruppe ist, die sich durch die Antiterrorismuskampagne zu radikal neuen Einsichten und einer konversionsartig gewandelten Weltsicht inspirieren lässt, drängt sich zwangsläufig die Frage auf, ob es überhaupt verlohnt, sich mit dieser Nebenwirkung der auf den Terror setzenden staatlichen Verschiebungsaktivität näher zu beschäftigten. Wenn das hier dennoch geschieht, dann aus der Überzeugung heraus, dass ungeachtet all ihrer praktischen Marginalität und politischen Bedeutungslosigkeit die Reaktion jener versprengten Intellektuellengruppe nützliche Einblicke in die generellen Mechanismen bürgerlicher Ideologiebildung bietet, genauer gesagt, Aufschluss über die Funktionsweise einer Konsumentenreflexion gibt, die sich zwischen lebenspraktisch gebotener Affirmation und erkenntnistheoretisch geforderter Kritik in der Klemme sieht und nach einem ebenso sehr für ihr intellektuelles Gewissen theoretisch akzeptablen wie mit ihren Lebensumständen praktisch kompatiblen Ausweg sucht.
Dabei sagt, dass es sich bei der Gruppe nur um einen kleinen Teil der gesamten gesellschaftskritischen Intelligenz des Landes handelt, keineswegs etwas über ihre intellektuellen Fähigkeiten und ihre reflexive Urteilskraft aus. Die ebenso panisch affirmative wie distanzlos kollaborative Reaktion der Gruppe auf das ineins als Haupt- und Staatsaktion exekutierte und als Medienspektakel inszenierte Antiterrorstück zeugt im Gegenteil eher wohl von der besonderen intellektuellen Empfänglichkeit und reflexiven Sensibilität der Gruppe, ihrem ausgeprägten Gespür für den tatsächlichen Zustand unserer industriekapitalistischen Konsumgesellschaften, ihrem feinen Gefühl für das, was die sogenannte Kritische Theorie der Frankfurter Schule, in deren Tradition die Gruppe selbst sich gewahrt, als Verblendungszusammenhang bezeichnet. Im Wesentlichen zielt dieser Begriff auf eben das, was oben als konsumgesellschaftlicher Wahn vorgestellt wurde, als die zur absoluten Gewissheit geronnene Überzeugung aller Staatsbürger, aller im Staat zur volonté générale synthetisierten Mitglieder der Gesellschaft, dass die Reproduktion der Gesellschaft und ihre darin einbegriffene eigene Subsistenz unlöslich gebunden ist an das diese Reproduktion organisierende kapitalistische Produktionssystem und dessen als Akkumulationserfordernis, als Imperativ ständigen Wertwachstums, firmierendes Grundprinzip.
Verblendung bedeutet mit anderen Worten, dass die Mitglieder unserer Gesellschaften, unabhängig von ihrer politischen Orientierung beziehungsweise ideologischen Ausrichtung, in einer förmlichen Identifikation mit dem Aggressor die historisch entstandene, durch ihr eigenes bewusstloses Tun hervorgetriebene, spezifische Konditionierung ihrer Subsistenz, nämlich den kapitalistischen Verwertungszwang, den Zwang, mittels jeder gesellschaftlichen Produktion mehr Wert zu schaffen, als in sie investiert worden ist, und zwar einzig und allein zu dem Zweck, den Wert als Kapital in weitere, auf die Schaffung von noch mehr Wert gerichtete Produktionen zu investieren – dass die Mitglieder der Gesellschaft also diese Konditionierung ihrer Subsistenz mittlerweile als eine Naturbedingung akzeptieren, außerhalb deren sie sich kein Überleben vorstellen können und die sie deshalb zu ihrer eigensten Sache, ihrem existenziellen Anliegen machen. In dem nach Maßgabe seiner praktischen Begründetheit jeder theoretischen Hinterfragung entzogenen Bewusstsein, dass es dem Kapital gut gehen muss, wenn es ihnen gut gehen soll, werden sie aus Opfern zu Tätern, aus Spielfiguren zu Mitspielern, aus einer Manövriermasse des Systems zu dessen treibender Kraft, und zwar durch die Bank der mehr oder minder großen Vorteile, die das System ihnen bringt, der ganz unterschiedlichen Dotierungen, die es für sie bereit hält, und ohne Rücksicht auf die oben beschriebenen konsumtiven Verhaltensweisen, die ihnen zur Erhaltung des Systems abverlangt werden, die mit keinem subsistenziellen Erfordernis mehr vereinbaren Verschwendungs- und Vernichtungsorgien, zu denen sie sich im Zuge der oben geschilderten zunehmenden Absatz- oder Wertrealisierungsprobleme verstehen müssen.
Von diesem als Verblendung charakterisierten zielstrebig-konspirativen Einklang der Staatsbürger und der ihren gemeinschaftlichen Willen repräsentierenden Staatsmacht mit dem blinden Akkumulationstrieb des ihre gesellschaftliche Reproduktion organisierenden Kapitals also hat jene Gruppe von Intellektuellen ein Bewusstsein oder jedenfalls eine Ahnung, und darin unterscheidet sie sich von anderen gesellschaftskritischen Zirkeln, die sich nach wie vor die Freiheit nehmen, das bürgerliche Individuum als aktuell oder potenziell autonomes, zu jeder politischen Entscheidung fähiges Subjekt zu behaupten – aller gesellschaftlichen Evidenz zum Trotz, die die Staatsbürger in der Rolle einer zu besinnungsloser Gefolgschaft verhaltenen Kapitalklientel und ihre demokratische Ordnung in der Funktion eines politischen Instruments zeigt, mit dem die sozialpartnerschaftliche Volksgemeinschaft keinen anderen Zweck mehr als den der um jeden Preis zu gewährleistenden Aufrechterhaltung des ökonomischen Status quo verbindet. Entgegen dieser Evidenz einer zur Rechtfertigungs- und Rationalisierungsinstanz für den ökonomischen Wahnsinn degradierten politischen Kultur insistieren jene gesellschaftskritischen Zirkel auf der prinzipiellen Autonomie und Integrität des staatsbürgerlichen Bewusstseins, das es nur wachzurütteln und zu mobilisieren gelte, um es für das doppelte Ziel eines kompromisslosen Schutzes der Umwelt und einer gerechten Sozialordnung zu gewinnen.
Nicht zufällig allerdings denken sie dabei gleich in weltumspannenden Dimensionen und richten als erklärte Globalisierungsgegner das Hauptinteresse ihres sozialen Engagements und ihrer politischen Agitation auf die Dritte Welt und die gesellschaftlichen Zerstörungen und Verwüstungen der Natur, die dort ein Imperialismus angerichtet hat, dessen in letzter Zeit weitgehende Beschränkung auf das Herrschaftsinstrumentarium des Weltmarkts und der internationalen Finanzpolitik es erlaubt, seine aggressive Strategie zu einem quasi der Kugelform der Erde geschuldeten naturprozessualen Vorgang zu euphemisieren. Angesichts dieser Zerstörungen und Verwüstungen, die sie zu Recht dem Wirken der westlichen industriekapitalistischen Staaten zur Last legen, appellieren jene gesellschaftskritischen Zirkel nun also an die bürgerliche Öffentlichkeit der betreffenden Staaten und deren moralisches Bewusstsein; sie wollen sie dazu bewegen, sich für eine veränderte Politik ihrer Gemeinwesen einzusetzen, dem Raubbau Einhalt zu gebieten, den ihre großen Konzerne in der Dritten Welt treiben, die Ungleichverteilung der Marktchancen zwischen industriekapitalistischen Staaten und Ländern der Dritten Welt zu beenden, die Entwicklungshilfe zu forcieren, marktunabhängige Umverteilungen vorzunehmen, den Impetus des Globalisierungsprozesses zu bremsen. Was immer sie propagieren, ist erfüllt und geprägt von der Sorge um die Dritte Welt, von der Parteinahme für die Notleidenden und Schwachen in anderen Weltgegenden und für die außermenschliche Natur.
Genau in dieser karitativen Exzentrik, dieser fürsorglichen Fixierung auf die sekundären Auswirkungen des kapitalistischen Wertschöpfungsprozesses aber liegt das Schräge solcher antiglobalistischen Gesellschaftskritik. Was jene Kritik nämlich vergessen macht beziehungsweise worüber sie hinwegzusehen erlaubt, ist die Tatsache, dass jene imperialistischen Auswirkungen nur zwangsläufige Folge des normalen kapitalistischen Procedere in den hochindustrialisierten westlichen Ländern selbst sind und dass deshalb, wer etwas verändern will, eben jenes Procedere unterbinden, sprich, das kapitalistische System selbst in all seiner industriestaatlichen Normalität bekämpfen und für seine Abschaffung eintreten muss. Der moralische oder politische Appell an die bürgerliche Öffentlichkeit, Partei gegen die imperialistischen Konsequenzen des kapitalistischen Tuns zu ergreifen, kommt einem Aufruf zur Schizophrenie gleich, dem Aufruf an das Bewusstsein, sich gegen die Wirkungen des eigenen Daseins zu verwahren, ohne dieses Dasein als solches in Frage zu stellen.
In der Realität der westlichen Gesellschaften nimmt diese Schizophrenie allerdings eher das Aussehen einer aller pathologischen Implikationen baren ideologischen Arbeitsteilung an: Die gesellschaftskritisch-antiglobalistische Parteinahme gegen die imperialistischen Verwüstungen und Zerstörungen in der Dritten Welt und in der Natur ist Sache der bürgerlichen Jugend, die sozialverantwortlich-globale Übereinstimmung mit der kapitalistischen Wertschöpfung und Akkumulationsstrategie in der eigenen Gesellschaft bleibt den Eltern überlassen. Die von den Globalisierungsgegnern als Bedingung der Möglichkeit ihres Engagements vorausgesetzte Urteilsautonomie und Entscheidungsfreiheit des bürgerlichen Bewusstseins reduziert sich damit auf die den nachwachsenden Generationen gebotene Gelegenheit, ihr Unbehagen im kapitalistischen System zu artikulieren und abzureagieren, ohne mit dem System selbst zu brechen und sich den späteren Eintritt in es zu verbauen und die künftige Mitwirkung an ihm zu verunmöglichen.
Nicht ganz so naiv wie die im Vollgefühl ihrer moralischen Lauterkeit die Nebenerscheinung des Kapitalismus, den Imperialismus, attackierenden Globalisierungsgegner geht ein anderer gesellschaftskritischer Zirkel, die Gruppe der sogenannten Krisentheoretiker, zu Werk. Zwar sind auch sie weit entfernt davon, die konsumgesellschaftlichen Staatsbürger der Konspiration mit dem ihre Reproduktion besorgenden kapitalistischen System zu verdächtigen und ihr Bewusstsein als verblendet zu diagnostizieren, das heißt, die staatsbürgerliche Perspektive als im Interesse einer Subsistenz, die mit dem Konsum auf Gedeih und Verderb amalgamiert erscheint, vollständig mit dem Akkumulationsimperativ des Systems identifiziert zu gewahren – immerhin aber ist ihnen klar, dass eine aus eigenen Reflexionsstücken und freier Urteilskraft vollzogene Distanzierung und Ablösung des staatsbürgerlichen Bewusstseins vom kapitalistischen System und der durch es geschaffenen Gesellschaftsstruktur angesichts der grundlegenden Bedeutung, die das System für den Fortbestand der bürgerlichen Gesellschaft in Anspruch nehmen kann, ein Ding der Unmöglichkeit beziehungsweise dass eine solche Distanzierung höchstens und nur in der Form der von den Globalisierungsgegnern praktizierten, auf den Sack statt auf den Esel, auf den kapitalistischen Imperialismus statt auf das industrielle Kapital einprügelnden Alibikritik denkbar ist.
Was den Krisentheoretikern indes dennoch erlaubt, die Augen vor dem Verblendungstheorem zu verschließen und im Vertrauen auf einen unverändert vorhandenen, das heißt, durch den kapitalistischen Wahnsinn unversehrten und nur seiner Wiedererweckung bedürftigen, gesunden bürgerlichen Menschenverstand guten Muts zu sein, ist ihre durch das Marxsche Theorem von der sinkenden Profitrate genährte Überzeugung, dass das Kapital durch seine eigene Logik und objektive Bestimmtheit dazu verurteilt ist, sich selbst zu demontieren und außer Gefecht zu setzen und damit die durch ihn in ihrer Verstandestätigkeit paralysierten Staatsbürger von seinem Bann zu erlösen und wieder zu sich kommen zu lassen. Durch den immer größeren technischen und apparativen Aufwand, den es treibe, den wachsenden Anteil an konstantem Kapital, den es aufbringen müsse, um mit dem Produktivitätsstand Schritt zu halten und wettbewerbsfähig zu bleiben, sehe sich das Einzelkapital, ungeachtet steigender Mehrwertraten vor immer größeren Schwierigkeiten, seine Investition sich amortisieren zu lassen und am Ende mit einem dem Akkumulationsimperativ Genüge leistenden Gewinn aus dem Geschäft hervorzugehen. Je mehr das konstante Kapital die Oberhand über das variable Kapital gewinne, die Sachinvestitionen den Arbeitslöhnen den Rang abliefen, um so mehr nehme der auf diesem Wege zu erzielende Gewinn relativ ab, sinke mit anderen Worten die Profitrate, ganz abgesehen davon, dass wegen der Dauer des Amortisierungsprozesses die Gewinnperspektive, die Aussicht auf eine erfolgreiche Abwicklung des Akkumulationsgeschäfts immer unsicherer werde.
Die Folge dieser Entwicklung sei sozusagen ein Motivationsverlust auf Seiten des Kapitals, es gebe seinen ihm von Max Weber attestierten Geist auf, immobilisiere sich und verfalle, statt sich weiterhin der industria zu verschreiben, weiterhin "produktiv" zu sein, entweder der Untätigkeit und dem Luxusleben oder spekulativen Hirngespinsten und den Seifenblasen der Börse. Und das wiederum habe zur Folge, dass sich das Kapital entgegen allem Gerede von Globalisierung aus ganzen Regionen und Fertigungsbereichen zurückziehe, dass es, wie in vielen Teilen der Dritten Welt oder auch in der ehemaligen DDR zu beobachten, ganze Gebiete räume und sich selbst überlasse und dass nun aber diese vom Kapital aufgelassenen Gebiete beziehungsweise ihre nicht mehr dem Interesse und Zugriff des Kapitals ausgelieferten Populationen, wie ebenfalls an manchen Stellen der Dritten Welt zu beobachten, dadurch die Chance zur Selbstorganisation erhielten, die Möglichkeit, ohne das Organisationsprinzip Kapital und dessen Maßgabe ihr Leben nach Gesichtspunkten der Kommunalität und Subsidiarität, eines den Austausch durch Teilhabe ersetzenden Miteinander, neu zu gestalten.
Gerade das Beispiel Deutschlands und der Gebiete der ehemaligen DDR zeigt allerdings, wie wenig realistisch diese von den Krisentheoretikern mit dem Unvermögen des Kapitals, die verfallenen beziehungsweise demontierten sozialistischen Industrien wieder aufzubauen, verknüpfte Hoffnung auf eine vom kapitalistischen System unabhängige, selbstbestimmte Reorganisation der betroffenen Menschen ist. Abgesehen von ein paar versprengten und eher traditionalistisch anmutenden Betriebsbesetzungen durch Belegschaften sind die staatsbürgerlichen Anstrengungen vielmehr allesamt und in schönem, Kapitalfunktionäre und Gewerkschaften, Politiker und Kirchenvertreter, Parteien und Medien verbindendem Einklang darauf gerichtet, durch Senkung von Lohnkosten und Sozialabgaben, Steuervergünstigungen und staatliche Investitionshilfen die Rendite des Kapitals zu erhöhen, seine Profitchancen zu verbessern, um ihm so seine Motivation zu erhalten und es davor zu bewahren, seinem neuen Hang zur Initiativlosigkeit und Immobilität immer weiter nachzugeben.
Und diese von praktisch allen Bevölkerungsgruppen getragenen und im vollsten Sinne des Wortes staatsbürgerlichen Anstrengungen zum Abbau sozialstaatlicher Errungenschaften werden nicht etwa – oder höchstens mittels unaufrichtigsten Lippenbekenntnisses – in der Erwartung unternommen, dass sich das Kapital durch steigende Profite dazu bewegen lässt, neue Arbeitsplätze zu schaffen und die aufgelassenen Reviere sozialistischer Werktätigkeit in blühende Industrielandschaften zu verwandeln. Wäre diese Erwartung wirklich vorhanden, sie müsste längst gründlich enttäuscht und in offene Animosität beziehungsweise Parteinahme gegen das System umgeschlagen sein. Tatsächlich aber wissen die Staatsbürger, dass gar nicht die Kapitalrendite, sondern die simple Reproduktion des Kapitals das Problem ist, dass es gar nicht mehr primär darum geht, per Wertschöpfung einen möglichst hohen Profit zu erzielen (dem Teufel gleich, der in der Not Fliegen frisst, gibt sich das Kapital notfalls auch mit kleinen Gewinnspannen zufrieden!), sondern nurmehr darum, den Profit mittels Wertrealisierung in Kapitalform zurückzubringen. Sie wissen, dass nicht ein wegen der technischen Entwicklung, die der Kampf um die Steigerung der Produktivität forciert, alle Dimensionen sprengender Produktionsapparat, sondern ein wegen der Überproduktion, die Folge eben jener unablässigen Produktivitätssteigerungen ist, aus den Nähten platzender Weltmarkt das Kapital in Konkurs zu treiben droht. Sie wissen, dass die ehemaligen DDR-Gebiete nicht deshalb vergeblich ihrer Reindustrialisierung harren, weil das Kapital zu korpulent und schwerfällig geworden ist, um noch große Gewinnsprünge machen zu können, sondern wesentlich deshalb, weil die Produktionskapazitäten der alten Bundesrepublik allein schon vollständig ausreichen, um die gesamte neue Republik mit Konsumgütern zu überschwemmen und weil unter diesen Umständen die industrielle Aufrüstung der neuen Landesteile der Republik deren Wirtschaft vor unlösbare Absatzprobleme stellen würde.
Dass die Menschen dies alles wissen, ist vielleicht zuviel gesagt: Schließlich sieht der ganze riesige Meinungsformierungskomplex aus Medien und Politik eine seiner zentralen Aufgaben darin, jede Reflexion auf den menschlichen Bedürfnis- und Befriedigungsaspekt und auf dessen eventuelle Bedeutung für die ökonomische Aktivität auszublenden oder zu verleugnen und die Version vom existenziell gebotenen und bloß durch ungünstige Produktionsfaktoren gehemmten Wirtschaftswachstum eisern aufrecht zu erhalten. Aber auch wenn die Staatsbürger vielleicht nicht explizit wissen, dass es längst nicht mehr um die Schaffung von mehr Wert, sondern nur noch um die Realisierung des geschaffenen Zuviel an Wert, nicht mehr um die offensive Teilhabe der einzelnen Volkswirtschaft an einer allgemeinen Expansion, sondern höchstens noch um die defensive Behauptung der nationalen Position auf einem mit Waren überfüllten Weltmarkt geht, ist ihnen diese Wahrheit doch implizit präsent, und deshalb halten sie klaglos, obzwar mehr oder minder verunsichert still, wenn das Kapital ihnen ihre Kooperationswilligkeit, ihre Bereitschaft, Sozialabbau und Arbeitslosigkeit als notwendig zu akzeptieren, in der Weise lohnt, dass es die bessere Rendite, die es durch ihr Opfer erzielt, statt sie in neue Arbeitsplätze zu investieren, vielmehr teils zwecks Verbesserung der Absatzchancen seiner Produkte zu Preisreduktionen nutzt, teils in neue Technisierungs- und Rationalisierungsmaßnahmen steckt, um durch weiteren Arbeitsplatzabbau in Zukunft noch ein bisschen preiswerter produzieren zu können.
Die Staatsbürger halten still, akzeptieren den zu ihren Lasten gehenden Kampf "ihrer" Nationalökonomie, "ihres" Kapitals um die Behauptung auf dem Weltmarkt als letztlich ihren eigenen Überlebenskampf und machen damit deutlich, wie sehr sie auf die kapitalistische Produktionsweise als einzig vorstellbare gesellschaftliche Reproduktionsform eingeschworen und wie sehr sie bereit sind, auch noch die irrsinnigsten Konsequenzen, die sich aus der Beibehaltung dieser Reproduktionsform ergeben, gutzuheißen und mitzutragen. Die dem staatsbürgerlichen Verhalten zugrunde liegende und durch das hirnlose Geschwätz vom nahe herbeigekommenen Wirtschaftswachstum kaum kaschierte Irrenlogik, dass in eben dem Maße, wie es unter dem kapitalistischen Regime abwärts geht, das Regime unterstützt und hochgehalten werden muss, nur damit es nicht noch weiter abwärts geht – sie verdeutlicht die ebenso verblendete wie unter den gegebenen Umständen verständliche, wo nicht gar realistische Identifikation mit dem Aggressor Kapital, in der die Gesellschaften der westlichen Industrienationen, die primären Nutznießer seiner konsumtiven Segnungen, sich um so unverbrüchlicher befangen zeigen, je prekärer und zweifelhafter ihr eigenes Nutznießertum wird und je mehr das Kapital die mit seinen Segnungen konstitutionell verknüpften Teufelspaktkonnotationen oder konsumterroristischen Entgleisungstendenzen zum Vorschein bringt.
Anders als die Gruppen der Globalisierungsgegner und der Krisentheoretiker sind sich, wie gesagt, die in der Nachfolge der Kritischen Theorie stehenden Intellektuellen dieser verblendeten Anhänglichkeit der staatsbürgerlichen Gesellschaft ans Kapital und an dessen mittlerweile offen zerstörerische Akkumulationsstrategie bewusst. Für sie steht außer Frage, dass die staatsbürgerliche Gesellschaft ein Leben außerhalb des vom Kapital und seinem Fetisch Wert beziehungsweise vom Wert und seinem Faktotum Kapital gestifteten Reproduktionszusammenhangs sich schlechterdings nicht mehr vorzustellen vermag und deshalb diesen Zusammenhang als transzendentalen Rahmen all ihres Denkens und Handelns, als ihr unüberschreitbar historisches Schicksal gelten lässt und reaffirmiert.
Um so erstaunlicher allerdings auf den ersten Blick die Betroffenheit und existenzielle Erschütterung, mit der die gleichen Intellektuellen auf das von der volonté générale, vom industriekapitalistischen Staat, inszenierte Terrorismus-Spektakel reagieren. Müssten sie nicht ebenso wie die anderen gesellschaftskritischen Gruppen und sogar mehr noch als diese das Spektakel als Ablenkungsmanöver durchschauen? Müsste nicht der einzige Unterschied zu den anderen Gruppen darin bestehen, dass die Inszenierung letzteren als ein die Moral des staatsbürgerlichen Bewusstseins zu untergraben gedachtes Verwirrspiel oder als eine die Leibesschwäche des Kapitals selbst zu kaschieren bestimmte Alibiveranstaltung erschiene, während sie, die Kritischen Theoretiker, dem Schauspiel die Qualität einer Haupt- und Staatsaktion zur Reaffirmation beziehungsweise Wiederherstellung des Kapital, Staat und Staatsbürger umfassenden und durch die "Verunsicherung des Verbrauchers" bedrohten allgemeinen Verblendungszusammenhangs beimäßen? Wie kommen die Kritischen Theoretiker statt dessen dazu, das von den Staatsheroen des Westens hochgehaltene Medusenhaupt Terror als ebenso akute wie reale Gefahr ernst zu nehmen und dementsprechend denn aber auch den von den gleichen Heroen propagierten Kampf gegen den Terror als unabweisbare gesellschaftliche Notwendigkeit zähneknirschend anzuerkennen oder gar mit – im Blick auf staatliche Kampagnen bis dahin völlig unbekannter – Begeisterung gutzuheißen.