13. Die Geschlechtsbeziehung als Konsummotiv

Um die aus der Schrumpfung der Familien konsequierende Einbuße an Konsumkraft aufzufangen, rekurriert der Markt vor allem aber auf die andere der beiden Hauptaufgaben, die im Rahmen ihrer bei aller Berufstätigkeit beibehaltenen hausfraulichen Funktion die Frauen erfüllen: ihre Rolle als Ehefrau. Während die mütterliche Rolle wegen ihrer konsumfeindlichen, weil in ihren marktunvermittelten Zuwendungsformen allzu zeit- und kraftaufwendigen Disposition zugunsten konsumintensiverer Aktivitäten abgebaut und demzufolge auch in Kauf genommen wird, daß die Geburtenrate sinkt und die Zahl der pro Familie verfügbaren Konsumenten entsprechend abnimmt, wird zur Kompensation dieses Verlustes an extensivem Fassungsvermögen nicht nur in der beschriebenen Weise der Schaffung einer eigenen Kinderkultur und der permanenten konsumtiven Revolutionierung des Haushalts eine Intensivierung der familiären Aufnahmefähigkeit betrieben, sondern auch und mehr noch die Hausfrau in ihrer anderen Hauptfunktion, ihrer Rolle als Ehefrau, mobilgemacht.

Oder vielmehr nicht eigentlich als Ehefrau, als Haushälterin des Mannes, sondern als Frau, als seine Geschlechtspartnerin, wird sie auf den Plan des nach Absatz gierenden Marktes gerufen, in die tobende Konsumschlacht geworfen. Tatsächlich sind ja, ganz in Übereinstimmung mit der bürgerlichen Ehe als einer staatlich sanktionierten Privateinrichtung zur Fortpflanzung und Aufzucht der Nachkommenschaft, die traditionellen ehefraulichen Leistungen, die Führung des Haushalts des Mannes, die Sorge für seine Ausstattung und sein leibliches Wohl, mit den mütterlichen Verrichtungen aufs engste verschränkt und vielfach gar nicht von diesen zu trennen; in eben dem Maße, wie die mütterlichen Verrichtungen dank rückläufiger Kinderzahl und technisiertem beziehungsweise unmittelbar vom Markt versorgtem Haushalt an Raum und Bedeutung einbüßen, verlieren auch die ehefraulichen Leistungen an Geltung und Gewicht. Jene zahlreichen, mit der Hausfrauenrolle verknüpften praktischen Verpflichtungen und handgreiflichen Verrichtungen entfallen oder verlieren dank der Verkleinerung und Rationalisierung des Haushalts ihre okkupierende Kraft, und zurück bleibt neben der lebensgeschichtlich nicht weniger als alltäglich reduzierten oder gar aufgehobenen mütterlichen Rolle als einzige dauerhafte innerfamiliäre Sozialbeziehung die zwischen Mann und Frau.

Zurück bleibt die Geschlechterbeziehung – aber nicht etwa in der durch Öffentlichkeit und Arbeitsleben vermittelten und vielfältig determinierten, geschlechtsneutralen Form, in der sie sich dank der Berufstätigkeit und der damit einhergehenden bürgerlichen Emanzipation der Frauen, dank ihrer Verwandlung in vollgültige bürgerliche Personen, in den spätkapitalistischen Gesellschaften allenthalben entwickelt, sondern eben nur als familiäres Verhältnis, als die in den Raum einer qua Ehe und Familie außergesellschaftlichen oder parasozialen Privatsphäre gebannte und mangels sonstiger Determinationen oder sekundärer gesellschaftlicher Ansprüche auf ein quasibiologisches Substrat, die sexuelle Korrespondenz, zurückgenommene Geschlechtsbeziehung. Tatsächlich scheint damit in der Spätphase der bürgerlichen Gesellschaft als Realverhältnis wiederzukehren, was in den Frühzeiten der bürgerlichen Gesellschaft als phantasierte Beziehung auftaucht, um dort sogleich der literarischen Durch- und Wegarbeitung überantwortet zu werden. In der Phantasie auftauchen läßt die entstehende bürgerliche Kleinfamilie das Geschlechterverhältnis als reine, in der Zweisamkeit und Exklusivität eines entmischten Trieblebens sich entfaltende Sexualbeziehung, weil die Entstehung der bürgerlichen Kleinfamilie Konsequenz der Entsozialisierung und strukturellen Entbindung des Geschlechterverhältnisses, seiner Herauslösung aus allen durch Arbeit und Öffentlichkeit definierten Kontexten ist.

Indem die mit der Kapitalisierung der Produktionsmittel und der Überführung selbständiger Arbeit in Lohnarbeit einhergehende Trennung von Haus und Arbeitsstätte die Männer ins Leben der kollektivierten gesellschaftlichen Arbeit und der auf ihrer Basis reorganisierten bürgerlichen Öffentlichkeit hinaustreibt, während die Frauen in der von allen unmittelbar sozialen Konnotationen gereinigten und qua Privatsphäre der Männer zu einer sekundären Vergesellschaftungsform degradierten Häuslichkeit zurückbleiben, tendiert diese für das Geschlechterverhältnis maßgebliche Bedeutung gewinnende reduzierte Vergesellschaftungsform Phantasien Vorschub zu leisten, in denen die Sexualität den wesentlichen und in der Tat einzigen Inhalt und Gegenstand des Verhältnisses bildet. Über bloße Phantasien von sexueller Entfesselung und Entfaltung geht es dabei allerdings nicht hinaus, da sich ja die reduziert-häusliche Vergesellschaftungsform qua Familie sogleich mit den ebenso okkupierend wie sekundär sozialen Aufgaben der Kinderaufzucht und der Hauswirtschaft befrachtet zeigt, die, wie sie zum einen den Frauen ein gewisses Maß an gesellschaftlichem Prestige und Schutz verschaffen und sie vor der Entpersönlichung und Degradation zum Lustobjekt bewahren, mit der ihre ökonomische Abhängigkeit und rechtliche Unterordnung sie andernfalls bedrohte, so zum anderen die Männer zwingen, die von ihnen festgehaltenen und immerhin literarisch kultivierten Sexualphantasien teils nur in entstellter und abgeschwächter Form überhaupt zur Geltung kommen zu lassen, teils in die Revision einer als gesellschaftliche Norm am Ende triumphierenden ehelichen Bindung und verklärten Mutterschaft zu treiben.

Da jene familiären Aufgaben der Hauswirtschaft und der Mutterschaft sich nun aber dank rückläufiger Geburtenzahlen und dank der Technisierung des Haushalts beziehungsweise seiner Versorgung mit Fertigprodukten auf ein Minimum verringern, wo nicht gar entfallen, und da zugleich ihre neuerrungene ökonomische Unabhängigkeit und bürgerliche Emanzipation die Frauen davor schützt, den Männern gegenüber in die Rolle der entrechteten Haussklavin und des entpersönlichten Sexualobjekts zu geraten, steht offenbar einer Realisierung des als familiärer Restbestand übrigbleibenden Geschlechterverhältnisses in eben der wesentlich sexuellen Dimension, in der es einst die Abstraktheit der um die Arbeitssphäre und die Einbindung in den öffentlichen Raum gekürzten bürgerlichen Familieninstitution als solcher aufscheinen und der männlichen Phantasie sich suggerieren ließ, nichts mehr im Wege. So gewiß die der Familie als einer Dependance der Gesellschaft ursprünglich aufgebürdeten sozialen Pflichten abnehmen oder gar wegfallen und so gewiß die Integration der Frauen ins Arbeitsleben und die fortschreitende Egalisierung der Geschlechter in der bürgerlichen Öffentlichkeit das Geschlechterverhältnis von dem gleichermaßen die persönliche Integrität und die bürgerliche Identität der Frauen bedrohenden Einfluß ökonomischer Abhängigkeit und rechtlicher Ungleichheit befreien, so gewiß scheint sich die auf eine feierabendlich-freizeitliche Zweisamkeit der Geschlechter zurückgeführte Familie als eben der sexuelle Spiel- und Entfaltungsraum realiter anzubieten, als den ihn die Herauslösung der Familie aus allen gesellschaftlichen Arbeitsverhältnissen und Öffentlichkeitsbezügen zu Beginn der bürgerlichen Gesellschaft nur erst formaliter oder für die Einbildungskraft vorstellig werden ließ.

Der Anschein eines für die Geschlechtsbeziehung als Sozialbeziehung sui generis nunmehr errungenen unmittelbaren Realfundaments und unabhängigen Freiraumes trügt indes. Wie zu Anfang der bürgerlichen Entwicklung die Gesellschaft sogleich bereitstand, die aus dem konkreten Sozialzusammenhang ausgefällte Familie für soziale Aufgaben, für die Aufzucht von Nachkommenschaft und den möglichst kostengünstigen Unterhalt der vom reorganisierten gesellschaftlichen Arbeitsprozeß vorläufig ausgeschlossenen, vornehmlich weiblichen Mitglieder der Gesellschaft, in Dienst zu nehmen und damit aller auf die abstrakte Konstellation der Geschlechter fliegenden sexuellen Phantasie den Star zu stechen, so ist auch jetzt, am Ende der Entwicklung, die Gesellschaft wieder zur Stelle, um das erneut als vielversprechend abstrakte Perspektive sich suggerierende Geschlechterverhältnis für ganz sexualfern-soziale Aufgaben mit Beschlag zu belegen. Und zwar ist es die der Familie als Konsumeinrichtung übertragene Wertrealisierungsfunktion, die nun der Geschlechtsbeziehung mitsamt aller an sie geknüpften sexuellen Verheißung in die Quere kommt und sie so gründlich an der eigengesetzlichen Entfaltung hindert, daß sie sich aus einem vermeintlichen Motivationszusammenhang sui generis, einer ihre Selbstrealisierung betreibenden eigenen Welt, tatsächlich in ein bloßes Konsummotiv, ein zu Zwecken nur der Wertrealisierung gebrauchtes Zitat verwandelt zeigt.

Um aber gleich einem denkbaren schwerwiegenden Mißverständnis zu wehren: Die Funktionalisierung, die der Geschlechtsbeziehung widerfährt, ihre Verwandlung in ein Konsummotiv, ist kein äußerliches Schicksal, das sie ereilt, sondern liegt ganz und gar in der Logik des Auftauchens der durch die spätbürgerliche Familie nach Maßgabe ihrer sonstigen funktionellen Verarmung auf die Tagesordnung gesetzten Geschlechtsbeziehung selbst. Schließlich ist es ja eben ihre Bedeutung als Konsumeinrichtung, eben dies, daß sie ein ideales Mittel im Dienste des Marktes und zum Zwecke des Warenabsatzes darstellt, was die bürgerliche Familie überhaupt fortbestehen oder vielmehr unter dem Deckmantel einer bloß kontinuierten Tradition neue Geltung gewinnen läßt. Einzig und allein dem neuen Auftrag, sich und die in ihrem Rahmen wahrgenommenen hauswirtschaftlichen Funktionen zu einer einzigen großen Warenabnahmeprozedur, einer Konsumgütervertilgungsveranstaltung ersten Ranges umzugestalten, verdankt die bürgerliche Familie, daß sie als Institution fortdauert, auch nachdem sich ihr doppelter Auftrag, durch Privatisierung der Frauen und der Nachkommenschaft die mit der Entwicklung eines kapitalistischen Reproduktionssystems befaßte Gesellschaft von der Sorge für die als Arbeitskräfte vorerst überflüssigen ersteren zu entlasten und mit letzterer in dem für einen raschen Aufbau des Systems erforderlichen Maße zu versorgen, offenkundig erledigt hat.

Wenn nun aber in der Konsequenz dieser konsumtiven Umgestaltung der Familie die traditionellen Funktionen der Kinderaufzucht und der Haushaltsführung an Bedeutung verlieren oder überhaupt entfallen und als familiäres Verhältnis am Ende nichts weiter übrig bleibt als die einander in privater Zweisamkeit zugeordneten Geschlechtspartner und die ihnen als solchen eigene Funktion sexuellen Verkehrs und libidinösen Umgangs, muß dann nicht ganz selbstverständlich diese Restfunktion den gleichen Auftrag übernehmen, dem bereits die mittlerweile marginalisierten beziehungsweise entfallenen traditionellen familiären Funktionen verpflichtet waren, und muß sie nicht sogar in augenscheinlicher Hypertrophierung ihres restfunktionellen Bestehens eine konsumtive Wirkmächtigkeit hervorkehren, die den Verlust an konsumtiver Leistung, den das Abenehmen oder Verschwinden der traditionellen Funktionen mit sich bringt, nach Möglichkeit wettmacht? Sosehr im abstrakt-symptomatischen Sinne die erneut ins Rampenplicht rückende Geschlechtsbeziehung spontanes, restfunktionelles Resultat des Abbaus der traditionellen familiären Funktionen ist, sosehr bleibt sie im konkret-systematischen Verstand bedingter Reflex des die Familie überhaupt nur am Leben erhaltenden konsumtiven Interesses, das ihre traditionellen Funktionen ebenso wie deren Abbau beherrscht und bestimmt und ist eben diesem ihr übergeordneten Interesse als ihrem szenischen Motivzusammenhang und dramaturgischen Stichwortgeber auf Gedeih und Verderb unterworfen. Sie ist durch das konstitutive Interesse an der Konsumeinrichtung Familie bis ins Innerste als Konsummotiv determiniert und muß sich in die Länge und Breite der nach Wertrealisierung mittels Konsum verlangenden industriellen Warenpalette als solches bewähren.

Mehr und mehr wird, vermittelt durch die als Reflexionsform des kapitalistischen Warenabsatzbedürfnisses um sich greifende Reklame, diese Restfunktion der Konsumeinrichtung Familie, die Geschlechtsbeziehung, zum Faktotum, zum Mädchen-für-alles, wenn es darum geht, Konsumbereitschaft einzufordern. Sie ziert die Kühlerhauben von Limousinen, drapiert Mobiliar und Haushaltsgeräte, gibt Zigaretten und Alkohol ihren tieferen Sinn, assoziiert sich verführerisch mit Toilett- und Hygieneartikeln, versteckt sich kaum verhohlen hinter jeglicher Art von Bekleidung, gibt allen Sorten von Lebensmitteln ihren Nährwert, bildet den Inhalt aller möglichen Konserven, erweist sich als Versicherungsprämie, Reiseziel, Lottogewinn, ubiquitäre Illustriertenbotschaft, universaler Kommunikationszweck. Kaum eine Ware, die nicht potentiell oder aktuell mit dem sexuellen Versprechen hausieren ginge, die sich nicht die Miene gäbe, jene libidinöse Lust, die der geschlechtlichen Zweisamkeit entspringt, auf der Stirn zu tragen, im Schilde zu führen, in petto zu bergen, in Aussicht zu stellen, zum Ziel zu haben.

Dabei drückt, wenn wir die als allgegenwärtiges Konsummotiv vereinnahmte Geschlechtsbeziehung als in Sachen Reklame und Warenabsatz veritables Mädchen-für-alles charakterisieren, dieses Bild ganz unfreiwillig die merkwürdige Wahrheit aus, daß in irritierendem Konkretismus, um nicht zu sagen Fetischismus, die Beziehung fast immer in effigie des einen der beiden Geschlechter, nämlich des weiblichen, erscheint, durchweg die Gestalt von Frauen annimmt. Männer tauchen im Zusammenhang mit dem reklamierten Kauf von Waren als sachkundige Fachleute oder höchstens noch als unmittelbar angesprochene, asexuelle Konsumenten auf; Frauen sind es, die überall da in Erscheinung treten, wo der reklamierte Warenkauf auf Sexualität anspielt und mit Konnotationen der Geschlechtslust verknüpft ist; sie sind es, die sich auf den Kühlerhauben von Autos räkeln, den Genuß von Süßigkeiten, Zigaretten, Alkohol und Früchten durch ihre Gegenwart überdeterminieren, am Reiseziel warten, den Glücksspielgewinn symbolisieren, die Illustrierten schmücken, sich auf Mobiliar drapieren, sich für Toilettartikel entblößen.

Die besondere Affinität zur Warenwelt, die als bevorzugte Verkörperungen einer mit den Waren als Konsummotiv assoziierten Sexualität die Frauen gewinnen und die in der Tat in ihrer reklameförmig entfalteten allgegenwärtigen Präsentationsform die Frauen mit dem, wozu sie motivieren sollen, gleichzusetzen, sie in persona abzudanken und ihnen selbst Warencharakter zu vindizieren scheinen, sorgt für eine Asymmetrie des im Konsum gespiegelten Geschlechterverhältnisses, die quer zu allem im beruflichen und öffentlichen Leben der bürgerlichen Moderne erhobenen und in zunehmendem Maß auch verwirklichten Emanzipations- und Gleichberechtigungsanspruch zu stehen scheint. Wenn demnach Männer konsumieren, stellen ihnen die Waren, die sie kaufen, Sexualität in objektiver Gestalt in Aussicht: die Waren suggerieren oder verheißen ihnen ihr Sexualobjekt, die Frau. Konsumieren hingegen Frauen, halten für sie die Waren die Kaufprämie Sexualität bloß in reflexiver Form bereit: als Dreingabe zur Ware erhalten oder erleben die Frauen sich selbst – als ein vom Mann begehrtes Sexualobjekt. So merkwürdig diese Asymmetrie im Blick auf die fortschreitende gesellschaftliche Gleichstellung der Geschlechter anmutet, so sehr gibt sie sich als ein Rückgriff oder besser Rückfall in frühbürgerliche Verhältnisse zu erkennen, in denen die ökonomisch-soziale Abhängigkeit und politisch-rechtliche Unterordnung der in die Privatsphäre der Männer verbannten Frauen die durch das abstraktiv-private Verhältnis, in dem sich die Geschlechter dort begegneten, beflügelte Phantasie der Männer dazu brachte, die geschlechtlichen Rollen auf solch extreme Weise zu sortieren und wie einerseits die Männer selbst in der Funktion des sexuellen Täters oder lustsuchenden Subjekts, so andererseits die Frauen in der Position des sexuellen Opfers oder erstrebten Lustobjekts vorzustellen. Wie in den literarischen und nichtliterarischen Phantasien der frühbürgerlichen Epoche der Mann der aktiv Handelnde, ein wollendes Wesen, die Frau hingegen die passiv Seiende, ein fühlendes Ding in der durch die abstrakt familiäre Situation intendierten Geschlechtsbeziehung war, so scheinen die Geschlechter auch jetzt wieder, da sie sich durch die konsumtive Funktion der Familie dort arretiert und ihr sexuelles Verhältnis nach dem Verlust der übrigen traditionell familiären Aufgaben zum zentralen Anliegen des um den Konsum kreisenden Familienlebens erhoben finden, in einer solch eindeutigen Subjekt-Objekt-Beziehung, einer solch nachdrücklichen Täter-Opfer-Dynamik befangen zu sein.

Nur, daß jetzt die Frauen, da sie ja im Berufsleben und in der bürgerlichen Öffentlichkeit relativ emanzipiert und den Männern weitgehend gleichgestellt sind, jene sexuell sortierte Beziehung und polare Dynamik nicht mehr als Bedrohung ihrer persönlichen Integrität und bürgerlichen Identität zu empfinden brauchen, wie sie das mußten, als sie noch den Männern ökonomisch ausgeliefert und politisch-rechtlich untergeordnet waren, und daß sie deshalb jetzt, statt sich diesem polarisiert geschlechtlichen Rollenspiel mit allen, empfindsamkeitskultlich zweideutigen Mitteln widersetzen und in die gesellschaftlich geschützte entsexualisierte Bastion der Hausfrau und Mutter entziehen zu müssen, es als ein den Ernst ihres beruflichen und öffentlichen Lebens nicht tangierendes Spiel gelten lassen und im Sinne eines ihren familiär-freizeitlichen Umgang mit dem männlichen Geschlecht disponierenden und strukturierenden Grundmodells akzeptieren können!

Warum allerdings sollten sie das? Warum sollten sie dieses, bestimmten historischen Bedingungen geschuldete phantasieentsprungene Geschlechtsbeziehungskonzept unter ganz anderen Bedingungen unverändert wiederaufgreifen oder neu in Szene setzen? Schließlich ist die Gleichheit der Geschlechter, ist der Anspruch der Frauen, in all ihrer differenten geschlechtlichen Bestimmtheit den Männern als bürgerliche Personen und gesellschaftliche Subjekte ebenbürtig zu sein, eine wesentliche Errungenschaft der Moderne. Warum sollten dann die Frauen in sexueller Hinsicht einer Konzeption des Geschlechterverhältnisses zustimmen, bei der die Rollenverteilung, die den Mann als handelndes Subjekt und initiativen Täter, die Frau hingegen als leidendes Objekt und rezeptives Opfer zeigt, unverkennbar die frühere soziale Ungleichheit der Geschlechter, die ökonomische Abhängigkeit der Frauen von den Männern und ihre politische Untertänigkeit ihnen gegenüber widerspiegelt? Warum sollten die Frauen nicht vielmehr ihre durch die Konsumsphäre und deren Reflexionsmedium, die Reklame, propagierte und damit nicht mehr nur als heimliche, mit der Realität der bürgerlichen Familie völlig unvereinbare Männerphantasie, sondern als restfunktionelle Realperspektive der bürgerlichen Familie selbst ins Spiel gebrachte Degradierung zum männlichen Lustobjekt als schiere Zumutung zurückweisen und statt dessen auf einer den egalitären Arbeits- und Lebensverhältnissen in der spätbürgerlichen Gesellschaft gemäße Neugestaltung der Geschlechtsbeziehung insistieren, mithin darauf dringen, daß sie auch in ihrer sexuellen Betätigung den Subjektcharakter hervorkehren und die Initiative beweisen können, auf die sie im praktischen Leben der Gesellschaft längst Anspruch erheben?

Derart kraß ist die Diskrepanz zwischen den praktischen Sozialverhältnissen, in denen die Frauen mittlerweile leben und tätig sind, und dem sexuellen Rollenverhalten, das ihnen durch die Konsumsphäre beziehungsweise durch deren Reflexionsmedium, die Reklame, zugeschrieben oder unterstellt wird, und derart verblüffend ist die Bereitschaft der meisten Frauen selbst, an dieser Diskrepanz keinen Anstoß zu nehmen und das allem Anschein nach anachronistische Bild, das die das Sexuelle als Kaufmotiv ubiqitär einsetzende Konsumsphäre von ihnen als dem verkörperten Sexus entwirft, zu tolerieren, wo nicht gar zu goutieren, daß sich diejenigen, die bereit sind, die Diskrepanz ins Auge zu fassen und sich mit der gesellschaftlichen Indifferenz beider Geschlechter ihr gegenüber auseinanderzusetzen, in einem regelrechten Erklärungsnotstand befinden.

Zwei Erklärungsversuche stechen dabei hervor, ein feministisch-soziologischer und ein maskulinistisch-psychologischer. Ersterer nimmt die Kontinuität der alten Geschlechterrollenverteilung in der als Konsummotiv bemühten Geschlechtsbeziehung, sprich, die mittels Reklame praktizierte Degradierung der Frauen zum Sexualobjekt der als Subjekt der Beziehung supponierten Männer, als Ausdruck und Beweis einer gegen allen Schein von Emanzipation und Gleichberechtigung andauernden gesellschaftlichen Unterdrückung der Frauen: unter dem dünnen Firnis ihrer ökonomischen Integration, sozialen Emanzipation und politisch-rechtlichen Gleichstellung sei im wesentlichen alles beim alten und gehe ihre ökonomische Abhängigkeit, politische Unterordnung, soziale Benachteiligung und sexuelle Ausbeutung weiter; wenn sie sich mit dem Bild, das die Reklame von ihnen entwerfe, und der Position, die sie ihnen zuweise, abfänden, so deshalb, weil sie resignativ oder eingeschüchtert akzeptierten, was der Fall sei. Der maskulinistisch-psychologische Erklärungsversuch dagegen möchte in der durch die Konsumsphäre beschworenen Geschlechterrollenverteilung den Offenbarungseid eines anthropologisch fixen Trieblebens gewahren: Wenn die Frauen ihre Degradierung zum Sexualobjekt des Mannes akzeptierten, so deshalb, weil sie aller gesellschaftlichen Emanzipation und bürgerlichen Gleichstellung zum Trotz in sexueller Hinsicht auf diese sexuelle Rolle abonniert seien und von Natur ihre Befriedigung in der den Männern die Initiative überlassenden Passivität des umworbenen Gegenstandes oder in Angriff genommenen Telos fänden.

Mit der Frage des spezifischen Inhalts und der immanenten Haltbarkeit dieser beiden Versuche, die Diskrepanz zwischen der durch die kapitalistische Konsumsphäre propagierten Geschlechtsbeziehung und dem durch das gesellschaftliche Arbeitsleben realisierten Geschlechterverhältnis zu interpretieren, brauchen wir uns zum Glück nicht weiter aufzuhalten. Beide Interpretationsversuche kranken daran, daß sie von dem objektiven Funktionszusammenhang abstrahieren, in den das Geschlechtsbeziehungsmodell eingebunden ist, und ohne Rücksicht auf diese objektive Funktion, die es erfüllt, den Grund seines Daseins in die immanente Bedeutung setzen, in der es sich dem Betrachter beweist oder suggeriert. Basis beider Erklärungsversuche ist mithin eine grundsätzlich falsche Einschätzung der Situation, die bereits zurückgewiesene Annahme nämlich, daß es bei der von der Reklame allenthalben bemühten und als familiäre Restfunktion eingeklagten Geschlechtsbeziehung um sie selbst geht, sie das originäre Anliegen ist, während in Wahrheit doch eben jener reklamatorische Kontext, in dem die Beziehung auftaucht und Relevanz gewinnt, keinen Zweifel daran läßt, daß sie als solche gar nicht der Interessenpunkt ist, daß sie vielmehr bloß als funktionelle Größe, als ein Hilfsmittel und Wirkfaktor, eben als Konsummotiv von Belang ist. So gewiß die sexuelle Beziehung durchweg ins konsumtive Spiel gebracht wird, um die mit ihr reklamatorisch assoziierten Waren an die Frau oder den Mann zu bringen, so gewiß geht es bei ihr nicht um sie selbst, sondern um sie als Mittel zum Zweck, als heteronomes Moment einer durch sie hindurch verwirklichten anderen Absicht.

So betrachtet aber erhält nun das Anachronistische in der Konstruktion der Geschlechtsbeziehung, der offenbare Rückgriff auf eine mit der allgemeinen Entwicklung des Geschlechterverhältnisses unvereinbare, längst überholte Geschlechterrollenverteilung, ein völlig anderes Ansehen. Was, für sich genommen, als Ausdruck einer erklärungsbedürftigen Diskrepanz erscheint, stellt sich sub specie seiner heteronomen Bestimmtheit vielmehr als Produkt einer leicht erklärlichen Indifferenz heraus. Weil die per Reklame zitierte Geschlechtsbeziehung nur als Konsummotiv, als Mittel zum Zweck figuriert, ist es demnach gleichgültig, in welcher Form und Bestimmtheit sie ins Feld geführt wird, ob auf die alte, Mann und Frau im Verhältnis von Subjekt und Objekt sortierende Konstellation rekurriert wird oder ob sich die Reklamierenden die Mühe machen, ein dem neuen egalitären gesellschaftlichen Verhältnis der Geschlechter angemessenes revidiertes Modell zur Geltung zu bringen. Oder vielmehr ist, weil es ja eben auf die Geschlechtsbeziehung als solche gar nicht ankommt, jede Mühe, die sich die Reklamierenden mit der Überarbeitung der alten Konstellation und ihrer Anpassung an die neuen Verhältnisse machen, verlorene Liebesmüh' und verschwendete Zeit und erscheint es allemal ökonomischer und also besser, auf bereits vorhandene und mehr oder minder bewährte Muster zurückzugreifen – vorausgesetzt, die zum Konsum zu motivierenden Adressaten verstehen überhaupt den Wink mit dem als Konsummotiv eingesetzten Zaunpfahl, bekommen die per Beziehungsmodell übermittelte sexuelle Botschaft grundsätzlich mit, lassen sich von ihr als von einem allgemein anerkannten Beweggrund ansprechen und akzeptieren sie als das wie auch immer vage und kursorische Versprechen, als das sie im öffentlichen Bewußtsein gehandelt wird. Dabei spielt es aus dieser Perspektive keinerlei Rolle, ob sie darüber hinaus und mehr noch in dem Modell, das die Botschaft überbringt, einen wirklichen, der historisch verfestigten Machtverteilung zwischen den Geschlechtern entspringenden Wahrheitsgehalt oder aber einen originären, in der anthropologisch fixen Geschlechterrollenaufteilung gründenden Lustgewinn entdecken.

Wenn wir nun aus dieser Perspektive, die das Problem des historisch-sozialen Wahrheitsgehalts beziehungsweise des anthropologisch-sexuellen Lustgewinns des reklamierten Geschlechtsbeziehungsmodells als für die Hauptsache seiner konsummotivationalen Funktionalisierung völlig irrelevante Rücksicht abzufertigen erlaubt, uns erneut fragen, warum die Betroffenen an dem Anachronismus, der das Modell im Vergleich mit dem in Beruf und Öffentlichkeit mittlerweile durchgesetzten Geschlechterverhältnis offenkundig auszeichnet, keinen Anstoß nehmen, und warum zumal die Frauen, denen dieser Anachronismus einen eklatanten Widerspruch zwischen ihrer tatsächlichen gesellschaftlichen Identität und bürgerlichen Individualität und ihrer reklamierten Rolle als Sexualwesen beschert, sich nicht lauthals gegen das Modell verwahren, sondern gute Miene zum bösen Spiel machen oder es mehr noch gutheißen, so liegt die Antwort auf der Hand: Die Betroffenen im allgemeinen und die Frauen im besonderen tun das, weil das reklamierte Geschlechtsbeziehungsmodell für ihre Wirklichkeit ohne Relevanz ist, für ihr Leben, das sexuelle eingeschlossen, ohne Bedeutung bleibt, und weil die Funktion, die es für sie hat, sich darin erschöpft, ihnen als stichwortgebendes oder vielmehr zur Handlung anweisendes Zitat, als verhaltensauslösendes Symbol, kurz, als ein Anreiz zum Konsum zu dienen. Ihre eigentliche gesellschaftliche Identität und wahre bürgerliche Individualität finden sie in eben dieser intendierten Konsumtätigkeit und nicht etwa in jener reklamierten Sexualität, die zu ersterer bloß anregen, bloß Lust machen, bloß den äußeren Anlaß bieten oder besser den initialen Anlasser bilden soll.

Die auf die Füße eigener Berufstätigkeit und relativer ökonomischer Selbständigkeit gestellte Konsumtätigkeit im Dienste kapitalistischer Wertrealisierung ist das, was die Frauen nicht zuletzt ihrer gesellschaftlich emanzipierten Stellung und ihres bürgerlichen Subjektcharakters versichert. Wenn nun als Motiv und Ansporn zur Ausübung dieser Konsumtätigkeit die Aussicht auf eine Sexualität ins Spiel gebracht wird, bei der, da sie ja nur etwas anderes in Gang setzen, nicht etwa selber zum Zuge kommen soll, die Reklamierenden sich gar nicht erst die Mühe machen, sie auf den neuesten Stand des Geschlechterverhältnisse zu bringen, und vielmehr mit dem antiquiertesten, abgeschmacktesten Modell bescheiden, mit einer Fassung, in der die Frauen sich zum Objekt degradiert, in die Rolle des passiven Opfers gedrängt finden und also in einen eklatanten Widerspruch zu ihrem tatsächlichen gesellschaftlichen Subjektsein und Anspruch auf bürgerliche Handlungsvollmacht gestürzt sehen, so mag das die Frauen irritieren und empören, oder es mag ihnen als Beweis für die Scheinhaftigkeit beziehungsweise Unfertigkeit ihrer Emanzipation und Gleichstellung gelten, oder sie mögen sogar daraus die heimliche Befriedigung eines anthropologisch fixen, geschlechterrollenspezifischen Verlangens ziehen – was letztlich zählt, ist die Tatsache, daß sie dadurch zu einem Verhalten motiviert werden, das eben jenes als Motiv bemühte Geschlechtsbeziehungsmodell mitsamt seinen sie diskriminierenden, weil verdinglichenden und als männliches Lustobjekt reklamierenden Konnotationen Lügen straft und in aller Konsequenz widerlegt, weil es sie vielmehr als in voller konsumtiver Tätigkeit begriffenes, gesellschaftlich anerkanntes Subjekt und nach Maßgabe seiner finanziellen Möglichkeit frei über seine Existenzbedingungen verfügendes Individuum zeigt.

Kein Wunder also, daß die Frauen zur grenzenlosen Enttäuschung und Erbitterung ihrer selbsternannten feministischen Mentorinnen gegenüber ihrer rekalamtorischen Degradierung und Diskriminierung gleichgültig bleiben und sie als festen Bestandteil der spätbürgerlichen Konsumsphäre und des mit dieser weitgehend deckungsgleichen modernen Kulturbetriebs unbeanstandet gelten lassen: Sosehr das ihnen in der Reklame begegnende Bild ihrer selbst, für sich genommen, ihrem gesellschaftlichen Emanzipationsanspruch und ihrem bürgerlichen Subjektstatus widerstreitet, sosehr bleibt es, im Kontext betrachtet, immer nur kursorisches Mittel zum Zweck einer konsumtiven Aktivität, die reale Reaffirmation eben der emanzipierten Stellung und bürgerlichen Selbstbestimmung der Frauen ist, die jenes Bild motivational verneint.

Was aber die Diskrepanz zwischen dem sexuell diskriminierenden Bild, das die Reklame von ihnen entwirft, und dem sozial emanzipierten Konsumleben, zu dem jenes reklamatorische Bild sie motivieren soll – was diese Diskrepanz den Frauen vollends akzeptabel werden lassen kann, ist die Tatsache, daß ja nicht nur sie, sondern auch und ebensosehr die Männer es sind, die durch jenes als Geschlechtsbeziehungsmodell entworfene Bild motiviert, zum Konsum verführt werden sollen. In der Tat markiert das in der Konsumsphäre ubiquitär eingesetzte Sexualitätsmotiv, insofern es definitionsgemäß beide Geschlechter involviert, auch und nicht zuletzt das Bestreben des Marktes, die bis dahin in Sachen Konsum eher zurückhaltenden, eher im zweiten Glied verharrenden oder überhaupt nur durch ihre Frauen vertretenen Männer stärker in die Konsumsphäre einzubeziehen und an dem dort betriebenen Wertrealisierungsgeschäft direkter und engagierter teilhaben zu lassen. Was bis dahin eher dem weiblichen Geschlecht als dem traditionell mit der Versorgung des Haushalts und der familiären Bedürfnisbefriedigung betrauten Gruppe vorbehalten war, dazu soll nun auch kraft des Geschlechtsbeziehungsmotivs das männliche Geschlecht entschiedener herangezogen werden und im Interesse des Absatzes einer immer wachsenden Gütermenge seinen Beitrag leisten. Mit anderen Worten, die Männer sollen in eine gesellschaftlich nützliche und mittlerweile quasi zur Arbeit sui generis entfaltete Tätigkeit eingeübt werden, in der die Frauen bereits zu Hause sind und eine von den Männern allererst zu erwerbende Kompetenz besitzen.

So gesehen, beschreibt das zwecks Konsumsteigerung mittels Reklame beschworene Bild von der Beziehung der Geschlechter in actu des gesteigerten Konsums selbst eine regelrechte Kehrtwendung: Dafür, daß die Frauen sich in effigie der zum Konsum motivierenden sexistischen Reklame zum Lustobjekt der Männer degradieren und in der Rolle passiver Opfer porträtieren lassen, finden sie sich in der konsumtiven Wirklichkeit selbst, zu der sie und das andere Geschlecht auf diese Weise motiviert werden, vielmehr in der Position von Vorreiterinnen und handelnden Subjekten wieder, an denen die Männer sich höchstens und nur ein Beispiel zu nehmen und als an Repräsentantinnen einer gesellschaftlich überlegenen Agentur zu orientieren gehalten sind. Was Wunder, daß es den Frauen leicht fällt, sich über die per Reklame propagierte Beeinträchtigung ihrer bürgerlichen Identität und persönlichen Integrität hinwegzusetzen, ganz unbhängig von der Frage eines eventuellen Gewinns an bitterer Wahrheit oder süßer Regression, den solche Beeinträchtigung ihnen verschaffen mag?

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