7. Die Sublimierung der Frau
So hieb- und stichfest die als quasipolitische Alternative zum bürgerlichen Tierreich, als eine Art immanente Utopie sich gerierende ästhetische Lebensform, in die der Bildungsbürger sein in die reservatio mentalis des Humanitätskults zurückgenommenes früheres Fortschrittsprogramm überführt – so hieb- und stichfest also diese Lebensform in gesellschaftlicher Hinsicht ist, so sehr beschwört sie doch ein privates Problem, eine, wenn man so will, hausinterne Komplikation herauf. Aus dem öffentlichen Raum, der politischen Sphäre verdrängt und in den Privatbereich als seinen ausschließlichen Aufenthaltsort und Entfaltungsraum abgeschoben, trifft dort der Bildungsbürger auf die angestammte Bewohnerin dieses Bereichs, die gesellschaftlich sanktionierte Privatperson par excellence, die Herrin der häuslichen Sphäre, die bürgerliche Frau, und muß sich mit ihr in den engen Grenzen dieses ihn als Privatier aufnehmenden neuen Ambientes arrangieren. Zum Hausherrn im Sinne des Wortes geworden und in dieser häuslichen Funktion sein von moralischen Werten und philosophischen Idealen, insbesondere aber von ästhetischen Prospekten bestimmtes quasipolitisch-paradigmatisches Leben beginnend, sieht sich der Bildungsbürger mit der am privaten Ort bereits festen Wohnsitz behauptenden Hausfrau konfrontiert und muß sich mit ihr über die feiertäglich-feierabendliche Zweisamkeit hinaus, in der sich sein Verhältnis zu ihr bis dahin erschöpfte, die häusliche Sphäre als gemeinsamen und beide vollständig vereinnahmenden Lebensraum teilen.Soweit die Privatsphäre bereits als ein um Heim und Herd zentrierter familiärer Zusammenhang, als eine die Frau mit dem Geschäft der Haushaltsführung und der Kinderaufzucht okkupierende und identifizierende quasigesellschaftliche Institution etabliert ist, stellt diese Sphärenaufteilung kein besonderes Problem dar. Der Mann erhält im Haus seinen eigenen Bereich, seinen Privattrakt, sein Arbeits- oder Herrenzimmer, sein Studio oder Atelier, wo er seiner neuen Aufgabe, der Entfaltung eines beispielhaft ästhetischen Lebens, geradeso frönen kann, wie er früher seiner Arbeit und seinen öffentlichen Geschäften außer Haus nachging, um sich in gewohnter Manier bei bestimmten, rituell fixierten Gelegenheiten, zum Beispiel zu gemeinsamen Mahlzeiten, am Feierabend und an Feiertagen, bei festlichen Anlässen, den übrigen Familienangehörigen beizugesellen und im Kreise der Familie seinen ebenso ehrenvoll-exponierten wie inhaltslos-peripheren Platz einzunehmen. Auch wenn sie aufs Ganze gesehen häufigeren Kontakt pflegen und ihr Verhältnis anfälliger für Störungen durch intersubjektive Dynamiken und sexuelle Versuchungen sein mag, das Interesse der Frau an der Wahrung ihrer haushälterischen Kompetenz und der Aufrechterhaltung ihrer hausmütterlichen Autonomie sorgt im Normalfall dafür, daß die Position des in der Familie ständig präsenten Mannes die eines geehrten exterritorialen Dauergastes und Enklavebewohners bleibt und es zu keiner durch die räumlich-reale Nähe und die sozial-ähnliche Lage der beiden Geschlechter provozierten ernsthaften Krise der Funktionentrennung und gravierenden Verschiebung der Kommunikationsebene kommt.
Solange allerdings dieser feste familiäre Zusammenhang noch nicht besteht und das Verhältnis zwischen den Geschlechtern sei's noch gar nicht als eheliche Verbindung konstituiert, sei's jedenfalls nicht durch Haushaltspflichten und die Aufgabe der Kinderaufzucht konsolidiert ist, erweist sich für den zur paradigmatisch alternativen Lebensform einer ästhetischen Existenz aufgerufenen bildungsbürgerlichen Mann die Beziehung zur Frau als heikler Punkt und stellt sich letztere in der Tat als Prüfstein für die Ernsthaftigkeit und Haltbarkeit seiner humanitätskultlichen Resolution heraus. Kraft Privatiersdasein auf eben die Privatsphäre beschränkt, die dem anderen Geschlecht bereits als ständiger Aufenthalt und gewohnter Lebensraum dient, und dank der konsumtiv-hedonistischen Existenz, die ihm dort winkt, von aller ökonomischen Lebensnot ebensosehr befreit wie von aller politischen Inanspruchahme entbunden, kann der ins behagliche Heim Entlassene, der ins annehmliche Nest Verbannte gar nicht anders, als sein begehrliches Auge auf die potentielle oder aktuelle Lebensgefährtin zu richten, mit der ihn bei aller als Privatsphäre definierten räumlichen Nähe und Gemeinsamkeit des Milieus unmittelbar-inhaltlich und empirisch-gesellschaftlich doch nichts weiter verbindet als die entmischt geschlechtliche Perspektive, das in der abstrakten Konfrontation der Körper und des Ausdrucks automatisch erwachende Triebinteresse, das Interesse an der Herstellung und Entfaltung einer qua Zweisamkeit zum Sozialkontrakt sui generis tendierenden sexuellen Beziehung.
Mehr noch als dem geschäftigen Bürger des 18. Jahrhunderts, dessen Aufenthalt in der als Reich der Frau firmierenden Privatsphäre auf Feierabend und Freizeit beschränkt bleibt, muß sich dem selber zum Privatmann gewordenen und das Reich der Frau permanent unsicher machenden müßiggängerischen Bildungsbürger des 19. Jahrhunderts die sexuelle Perspektive als eine sein ansonsten abstraktes und von aller sozialen Gemeinschaftlichkeit und Kooperation gereinigtes Verhältnis zum anderen Geschlecht zu konkretisieren und mit Sinn zu erfüllen geeignete Orientierung aufdrängen. Anders allerdings als der Bürger des 18. Jahrhunderts muß sich nun der Bildungsbürger dieser sexuellen Perspektive uneingeschränkt und kompromißlos verweigern, darf er ihr nicht einmal, wie das seinem Vorgänger noch gestattet war, in der Phantasie, im literarisch ausgesponnenen Gedankenspiel, nahetreten. Er darf es nicht, weil er sich mittlerweile in einer ähnlichen Lage befindet wie sein weibliches Pendant, die ihm beim Eintritt in die Privatsphäre als deren autochthone Bewohnerin, quasi als Eingeborene entgegentretende Frau: in einer Lage nämlich, in der seine bürgerliche Identität und personale Integrität akut bedroht wäre, wenn er sich auf die sexuelle Perspektive einließe.
Dabei ergibt sich in seinem Falle die Bedrohung der gesellschaftlichen Stellung und persönlichen Selbstachtung natürlich nicht wie bei der Frau daraus, daß ihn eine rücksichtslose Wahrnehmung der geschlechtlichen Option und asoziale Entfaltung der sexuellen Beziehung etwa in totale ökonomische Abhängigkeit geraten ließe und zum sozialen Anhängsel, zur Person minderen Ranges degradierte. Während die aus der gesellschaftlichen Öffentlichkeit in die Privatsphäre verbannte Frau in der Tat durch die Entscheidung für die sexuelle Option Gefahr läuft, sich zum Anhängsel und Spielzeug des ihr gegenüber gleichermaßen als ökonomischer Machthaber und politischer Entscheidungsträger figurierenden Mannes, zu seiner Privatangelegenheit, zu machen und als Geliebte und Sexualpartnerin jenes relativen gesellschaftlichen Schutzes und Respekts verlustig zu gehen, den sie als Ehefrau und Mutter genießt, muß der nun ebenfalls in die Privatsphäre verbannte Mann, da die Verbannung für ihn ja mit keiner ökonomischen Beeinträchtigung und sozialen Deklassierung einhergeht und im Gegenteil auf ein Leben im Wohlstand und in sozial gesicherten Verhältnissen hinausläuft, gewiß nicht befürchten, daß die Entscheidung für eine wesentlich sexuell orientierte Lebensgestaltung ihn im gleichen Sinne mit dem Verlust der bürgerlichen Identität und mit persönlicher Heteronomisierung bedrohen könnte wie sein weibliches Pendant.
Dennoch ist die Bedrohung, die seiner Identität und Integrität aus solcher Entscheidung erwüchse, nicht weniger real. Nur ist sie nicht ökonomisch-praktischer, sondern politisch-ideologischer Natur und betrifft nicht seine soziale Stellung und Geltung, sondern seine gesellschaftliche Aufgabe und Funktion. Aller politischen Kompetenz und staatstragenden Verantwortung beraubt und als maßgebender Repräsentant und bevollmächtigter Funktionär der bürgerlichen Öffentlichkeit abgedankt beziehungsweise gar nicht erst zum Zuge gekommen, findet, wie gesehen, der Bildungsbürger des 19. Jahrhunderts seine neue quasipolitische Aufgabe und metasoziale Bestimmung darin, die Rentiersexistenz, in die er verbannt ist, zum Schauplatz und Entfaltungsraum der moralischen Werte, philosophischen Ideale und ästhetischen Prospekte zu machen, die er innerlich festhält und für sich kultiviert, und damit denn aber diese Existenz ihrer konsumtiv-hedonistischen Unmittelbarkeit zu entziehen und in eine Veranstaltung zu überführen, in der sie gesellschaftliche Vorbildlichkeit, sprich, die Bedeutung eines dem Tierreich der bürgerlichen Verhältnisse vorgelebten humanitätskultlichen Paradigmas gewinnt.
Daß er das privatim gute Leben, das er führt, zum Vorgriff auf ein allgemein besseres Dasein, zum Vorschein einer humaneren Welt, erhebt – darin besteht die persönliche Genugtuung, die der Bildungsbürger sich mit Rücksicht auf seine Vertreibung aus aller öffentlichen Kompetenz und politischen Verantwortung verschafft, und die gesellschaftliche Rechtfertigung, die er für das Privatiers- und Rentiersdasein, in das er sich verwiesen findet, erringt. Wie sollte wohl mit diesem Anspruch auf gesellschaftliche Vorbildlichkeit der privaten Lebensführung die Verwandlung der Privatsphäre in den Schauplatz einer um alle Gesellschaft unbekümmerten Sexualisierung vereinbar sein, wie sollte mit der Forderung nach einer persönlichen Verwirklichung, deren einziger Sinn die bestimmte Negation oder konstruktive Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft, sprich, der Ausblick auf eine zu ihr als objektiver Zwangsvereinigung alternativen schönen Eintracht der Subjekte und humanen Gemeinschaft ist, das Verlangen nach einer persönlichen Befriedigung in Einklang zu bringen sein, deren alleiniges Ziel der Ausstieg aus der bürgerlichen Gesellschaft und der Rückzug in eine als Sozialform sui generis der Verwirklichung des geschlechtlichen Erfahrungs- und Empfindungspotentials gewidmete Zweisamkeit ist? Wie könnte mit einer ästhetischen Existenz, die exemplarisch die individuellen Bedingungen für eine ideale Vergemeinschaftung vorführen soll, ein Sinnenleben kompatibel sein, das nichts als die sexuellen Implikationen einer als realer Gesellschaftersatz wahrgenommenen totalen Paarbildung zu entfalten strebt?
Wenn es dem privatisierenden Bildungsbürger wirklich ernst mit seiner quasipolitisch paradigmatischen Lebensführung, seinem der bürgerlichen Gesellschaft mit Leib und Seele vorzulebenden Plädoyer für eine idealisch-humanere und das heißt vor allem ästhetisch-harmonischere Welt ist, die an die Stelle einer Vergesellschaftung durch Kapital schaffende Naturbearbeitung die Gemeinschaftsstiftung durch Bewußtsein bildendes Sinnerleben treten läßt – wenn es ihm damit wirklich ernst ist, so muß er sich die im anderen Geschlecht ihm entgegentretende Versuchung einer die Ästhetik in bloße Sinnlichkeit überführenden, die höhere Gemeinschaftsstiftung auf asoziale Paarbildung reduzierenden Versenkung ins Geschlechtsleben unbedingt vom Halse schaffen. Sosehr die zum Kult des Humanum, des Sinneswesens Mensch, generalisierte Selbsterfahrung, die der Bildungsbürger qua Ästhetik zelebriert, die Basis seines quasipolitischen Anspruchs auf eine paradigmatisch neue Gemeinschaftlichkeit und damit zugleich Garant seiner bürgerlichen Identität und seiner persönlichen Integrität ist, sowenig darf der Bildungsbürger die zum Triumph des Sexus, der Sinnenlust zwischen Mann und Frau, partikularisierte Erfahrung des anderen Geschlechts, das zum Privatisieren par excellence, zur haltlosen Abkapselung von allen übrigen disponierende Erlebnis einer als generisches Paar oder platonisches Sphäroid jenseits aller Gesellschaft scheinautarken Sozialform, die Oberhand oder auch nur Raum gewinnen lassen.
Wie aber soll er sich der Versuchung eines in seinem Privatiersdasein statt der ästhetischen Existenz kultivierten Geschlechtslebens entziehen können? Wie, wenn nicht durch die Beseitigung des Gegenstands der Versuchung, der bei seinem Rückzug in die heimische Privatsphäre von ihm dort vorgefundenen und ihm als Eingeborene, als angestammte Bewohnerin der heimischen Sphäre entgegentretenden Frau? Beseitigung des Gegenstands der Versuchung aber kann natürlich nicht die Entfernung der Frau in Person, ihre leibhaftige Wegschaffung bedeuten, da ja, von seiner biologischen Unentbehrlichkeit ganz abgesehen, das weibliche Geschlecht ebensosehr für die bürgerliche Privatsphäre einen als Herrin des Hauses unabdingbar zentralen Faktor und organisierenden Punkt darstellt, wie es für den bürgerlichen Privatmann ein als bessere Hälfte unverzichtbar komplementäres Faktum und bestimmendes Reflexiv verkörpert. Beseitigung des Gegenstands der Versuchung kann demnach nichts weiter als die Neutralisierung des Geschlechtlichen am anderen Geschlecht, die Ausblendung der Frau als eines sexuellen Wesens und herausfordernden Geschlechtspartners heißen. Diese Neutralisierung der Frau als Geschlechtswesens aber findet ja bereits routinemäßig statt: in der Überführung der Frau in die gesellschaftlich sanktionierte Rolle der Ehegattin und Mutter. Und auch die Methode der Überführung, eben ihre Routine, ist bereits fest etabliert: in Gestalt nämlich des beschriebenen Kults einer um die Tugend kreisenden weiblichen Seelentiefe und Empfindsamkeit, der, wie er einerseits quasisexuellen Ersatz für die verbotene Geschlechtsbeziehung bietet, so andererseits als Hysteriebewältigungsschule für Frauen und Gefühlserziehungsinstitut für Männer beiden Geschlechtern zur Verarbeitung ihrer sexuellen Impulse und mithin als Propädeutikum für ein Eheleben dient, das von aller Geschlechtlichkeit, die das für die Fortpflanzung erforderliche Maß übersteigt, befreit ist.
So gesehen, scheint dem Mann, wenn er im Interesse seiner neuen, quasipolitisch-ästhetischen Existenz der bedrohlich akuten Versuchung eines zur Autarkie asozialer Zweisamkeit sich entfaltenden Geschlechtslebens zu entrinnen sucht, der Weg hierzu klar und eindeutig vorgezeichnet. Genau das aber ist das Problem, daß sich dieser ihm traditionell vorgezeichnete Weg unter den situativ veränderten Lebensbedingungen, in denen er sich wiederfindet, als nicht mehr gangbar erweist. Unbegehbar erweist er sich deshalb, weil er ja jetzt in räumlicher Affinität und zeitlicher Parallelität zu der dem Manne aufgegebenen Verwirklichung einer ästhetischen Existenz beschritten werden muß und weil aber wegen des unmittelbaren Konkurrenzverhältnisses und vielmehr unvermittelbaren Widerspruchs zwischen asozial sexueller Entfaltung und idealgesellschaftlich ästhetischer Verwirklichung die letztere in der Tat voraussetzt, daß der Mann jenen Weg der empfindsamkeitskultlichen Erziehung bereits hinter sich gebracht und am Ziel der auf ihm durchzusetzenden Neutralisierung des Geschlechtlichen bereits angelangt ist. Solange der Mann seinen Lebensmittelpunkt noch außer Haus, in der Sphäre der gesellschaftlichen Arbeit und der bürgerlichen Öffentlichkeit hat, kann er im peripheren Bereich seines Privatlebens in aller Ruhe mit den Versuchungen einer aus allen sozialen Einbindungen und generellen Bezügen herausgelösten und zur reinen Privatsache gewordenen Geschlechtsbeziehung fertig werden und letztere soweit entsexualisieren, daß sie für die Überführung in die ebensosehr als Keimzelle der Gesellschaft mit ideologischer Legitimation versehene, wie als Einrichtung zur Kinderaufzucht mit praktischer Funktion ausgestattete Sozialform der Familie tauglich wird.
Nun aber, da der Mann sich in seiner neuen dysfunktionalen Rolle als Bildungsbürger jenem peripheren Privatbereich zur Gänze zugeschlagen und auf ihn als ausschließlichen Lebensraum beschränkt findet und da er um der Wahrung seiner bürgerlichen Identität und persönlichen Integrität willen bemüht sein muß, dort eine quasipolitisch-ästhetische Wirksamkeit zu entfalten und eine paradigmatisch-humanistische Existenz zu führen, die sich als höherer Ersatz oder sublimes Surrogat für seine gescheiterte politische Karriere und verlorene öffentliche Tätigkeit zu gerieren vermag, ist in der so für Zwecke einer kompensatorischen Profilierung und idealischen Legitimation mit Beschlag belegten Privatsphäre für eine gemächliche Abwicklung des empfindsamkeitskultlichen Entsexualisierungsprogramms kein Raum und keine Zeit mehr. Sosehr die der Entfaltung des Geschlechtslebens gewidmete asoziale Zweisamkeit, zu der die Privatsphäre den bürgerlichen Mann animieren möchte, und die der Stiftung humaner Gemeinschaftlichkeit geweihte ästhetische Lebensführung, für die der Bildungsbürger die Privatsphäre in Anspruch nimmt, einander widersprechen und ausschließen, sosehr ist eine empfindsamkeitskultlich ausführliche Auseinandersetzung und Abrechnung mit der sexuellen Zweisamkeitsperspektive, die zwangsläufig in räumlicher und zeitlicher Koinzidenz mit der Realisierung des ästhetischen Programms vor sich gehen müßte, ein Ding der Unmöglichkeit.
Wie aber, wenn nicht durch die erprobte empfindsamkeitskultlich durchgeführte Triebabfuhr und Trieberziehung, soll dann die Neutralisierung und institutionelle Normalisierung des Geschlechtslebens geschehen, die doch zugleich Voraussetzung für eine ungestörte Entfaltung der ästhetischen Existenz als quasipolitischer Position und idealbürgerlicher Verwirklichungsform ist? Die praktische Antwort des Bildungsbürgers besteht im Bravourakt einer Verdrängung aller in wechselseitigem Begehren wurzelnden Geschlechts- und Paarbildungsperspektive und einer Ersetzung dieser Perspektive durch einen in gemeinsamen Interessen gründenden Wahlverwandtschafts- und Seelengemeinschaftsprospekt, besteht mit anderen Worten darin, daß er sein weibliches Gegenüber als im Zeichen der Sinnlichkeit reklamierte Geschlechtspartnerin und Geliebte kategorisch abdankt, um sie statt dessen unter dem Banner der Ästhetik als schöne Seele und Gleichgesinnte zu rekrutieren. Weil in der Gemeinsamkeit der für Zwecke einer paradigmatischen Lebensführung in Anspruch genommenen Privatsphäre weder Raum noch Zeit für eine empfindsamkeitskultlich-traditionelle Bearbeitung und Bewältigung der Geschlechtsbeziehung bleibt, macht der Bildungsbürger kurzen Prozeß mit letzterer, sucht unvermittelt Zuflucht am Altar des Schönen und entledigt sich der zurückgelassenen sexuellen Versuchung dadurch, daß er deren Objekt, die Frau, in der neuen Funktion einer Glaubens- und Gesinnungsgenossin, einer Seelenfreundin im wahlverwandtschaftlichen Geiste der Ästhetik, einbezieht, um sich mit ihr in einer alle verfängliche Zweisamkeit und intime Paarbildung ausschließenden Gemeinschaftlichkeit des Gemüts dem Kult einer paradigmatisch-humanen Selbstentfaltung zu weihen, sich mit ihr in der Anbetung einer beide einschließenden objektiven Lebensform ebenso wesentlich wie uneigentlich zu vereinigen.
So ingeniös diese Umarmungstaktik ist, die das Genuß verheißende Objekt der zur asozialen Paarbildung treibenden sexuellen Versuchung dadurch kurzerhand aus der Welt schafft, daß sie es als genossenschaftliches Subjekt in den Versuch einer ästhetischen Lebensform einspannt – letztlich wird damit nicht mehr erreicht als die Wiederkehr des unerledigten Problems der geschlechtlichen Beziehung in der Sphäre des ästhetischen Lebens selbst. Was der Bildungsbürger kurzerhand verdrängt und durch die Hereinnahme des weiblichen Gegenübers in den magischen Zirkel der Ästhetik, durch die unvermittelte Sublimierung der potentiellen Geschlechtspartnerin zur aktuellen Gesinnungsgenossin, kategorisch ausschließt, das kehrt im Bannkreis des dem Schönen geweihten Lebens als eine das entsexualisiert-sublime Verhältnis auf die eine oder andere Weise in Frage stellende Anfechtung, eine das Tableau der wahlverwandtschaftlich-äquilibristischen Harmonie in der einen oder anderen Form dynamisierende Störung wieder. So gewiß der Bildungsbürger durch die Beteiligung der Frau am ästhetischen Lebensprojekt und ihre darin beschlossene Erhebung zum gleichgesinnten Subjekt die mit ihr verknüpfte Sexualobjektperspektive unmittelbar auszuschließen bestrebt ist, so gewiß ist das im Verstande einer Wiederkehr des Verdrängten unvermeidliche Ergebnis die in mehr oder minder symptomatischer Form vor sich gehende Resexualisierung dieser der Sexualperspektive mit dramatischer Unvermitteltheit entrissenen Teilhaberin am ästhetischen Projekt.
Das aber hat zur Folge, daß die Verwirklichung des ästhetischen Programms ad calendas graecas vertagt ist, weil für den Bildungsbürger die endgültige Klärung und Vereindeutigung seines Verhältnisses zu der als seelenverwandte Lebensgefährtin im Dienste am Schönen reklamierten Frau unbedingten Vorrang genießt. Wenn die in der Privatsphäre heimische Frau mit der Perspektive asozial-sexueller Paarbildung, die sie für den Mann verkörpert, für dessen Projekt eines die Privatsphäre in den Schauplatz ästhetisch-humaner Vergemeinschaftung umfunktionierenden paradigmatischen Lebens zum Stolperstein oder Stein des Anstoßes wird, wenn der Bildungsbürger daraufhin diesen Stein des Anstoßes dadurch aus dem Weg räumt, daß er ihn seinen asozialen Paarbildungassoziationen kurzerhand entreißt und in die Korona des ästhetischen Gemeinschaftsstiftungsprojekts eingliedert, ihn zu deren schönstem Juwel erhebt, und wenn der ins Kronjuwel umfunktionierte Stolperstein schließlich doch wieder anstößig wird und ebenso spontan wie mehr oder minder oblique die ursprünglich mit ihm verknüpften sexuellen Assoziationen erneut hervorkehrt, so bleibt dem Bildungsbürger gar nichts anderes übrig, als die Herausforderung anzunehmen und sich um eine Klärung und Vereindeutigung seines Verhältnisses zu dem zwischen schöner Seele und reizvollem Leib changierenden anderen Geschlecht zu bemühen.
Was wiederum bedeutet, daß sich der Schwerpunkt seiner im Rentiersdasein entfalteten quasipolitischen Aktivitäten, seiner qua Privatleben zelebrierten quasiöffentlichen Existenz markant verschiebt, daß er, der an sich die paradigmatische Ästhetisierung seines Lebens auf seine Fahnen geschrieben hat, sich vielmehr bis auf unbestimmt weiteres mit der Aufgabe okkupiert findet, die für solche Ästhetisierung des Lebens unabdingbare Vorleistung einer Bereinigung seines Verhältnisses zum anderen Geschlecht im Sinne einer Durchsetzung der mit dem weiblichen Gegenüber zu pflegenden schönen Gemeinsinnigkeit zu erbringen