14. Sexualität im Spiegel der Ware

Sosehr die per Reklame bemühte Sexualität auf die Rolle eines bloßen Kaufmotivs beschränkt ist, sosehr die in den Dienst des Konsums gestellte Geschlechtsbeziehung bloß die Funktion eines Auslöserreizes erfüllt und, für sich genommen, außer Betracht bleibt beziehungsweise nur in der anachronistisch-klischeehaften Form thematisch wird, in der das heterogene Warenabsatzbedürfnis sie kurzerhand dingfest macht – ohne Folgen für sie bleibt ihre ständige Assoziation mit der Warenwelt, ihre dauernde konsumstrategische Indienstnahme deshalb noch lange nicht, und ihre Äußerlichkeit und periphere Stellung zu dem als die Sache selbst praktizierten Wertrealisierungsgeschäft hindert am Ende nicht, daß letzteres auf sie zurückwirkt und in der Tat prägenden Einfluß auf sie nimmt, will heißen, sie all ihrer klischeehaften Fixundfertigkeit zum Trotz nach Maßgabe seiner Dazwischenkunft neu bestimmt und als das Motiv, das sie darstellt, real vermittelt und intentional revidiert.

Anders als konkrete Sozialverhältnisse wie die durch Arbeit, Kult oder Spiel determinierten Kooperationen sind abstrakte menschliche Beziehungen, wie etwa die durch persönliche Konkurrenz, Pietät, Fürsorge oder, nicht zu vergessen, Sexualität geknüpften Relationen zu sehr eine Sache des unmittelbaren Kontakts und der subjektiven Direktheit und zu wenig abgestellt auf das Tertium einer sie als solche allererst konstituierenden objektiven Vermittlung oder medialen Darstellung, um nicht durch die permanente Intervention einer Objektivität und Medialität, die im Blick auf sie eben diese konstitutive Bedeutung reklamiert, im Kern berührt und von Grund auf verändert zu werden. Als kursorisch bemühtes Kaufmotiv bleibt die Sexualität dem sächlichen Bezug des Warenkonsums zwar ganz und gar äußerlich und als verschwindendes Moment gleichgültig, aber weil sächliche Bezüge in der Bedeutung konstitutiver Faktoren oder notwendig begleitender Umstände der Sexualität fremd sind und in der Tat im Widerspruch zu der mit ihr ins Werk gesetzten personalen Unmittelbarkeit und abstrakten Sozialität stehen, schlägt nun umgekehrt ihre ständige zwanghafte Assoziation mit dem Warenkonsum auf die Geschlechtsbeziehung zurück und induziert ihr jenen sächlichen Bezug, von dem sie nichts weiß und der in dem Maße, wie sie ihn zur Kenntnis beziehungsweise sich zu Herzen nimmt, sie ins innerste Wesen hinein zu verändern beginnt.

Das wird symptomatisch, das heißt im vorliegenden Fall reklamatorisch, dort deutlich, wo die Waren, für deren Kauf die Geschlechtsbeziehung als Motiv bemüht wird, zu letzterer ein wenn auch beileibe nicht im Sinne konstitutiver Medialität, so immerhin doch im Verstand instrumenteller Materialität gefaßtes Verhältnis beweisen und wo also ihre Assoziation mit Sexualität keine bloß an den Haaren des Kaufakts herbeigezogene ebenso äußerliche wie flüchtige Verknüpfung, sondern ein in die Länge und Breite der Konsumhandlung selbst zu bewährender, ebenso innerer wie bleibender Zusammenhang ist. Es wird mit anderen Worten deutlich, wo die Assoziation von Ware und Sexus keine bloß willkürlich pragmatische Koindzidenz, sondern eine habituell thematische Korrespondenz ist – sei's, daß diese Korrespondenz, dieser konsumtiv-innere Zusammenhang, sich in genere als sinnlich-leiblicher Genuß suggeriert, sei's, daß er sich in specie als Geschlechtsbegierde, als Fleischeslust darbietet. Anders als Motorkühlerhauben oder Staubsauger, bei denen sich das in effigie weiblicher Galionsfiguren oder leichtgeschürzter Raumpflegerinnen beschworene Geschlechtliche auf die Rolle eines epiphanischen Lichthofs, einer rasch flüchtigen Aureole beschränkt, halten Duschgels, Lippenstifte, Pralinen, Unterwäsche, Zigaretten, Aperitive, Karibikstrände die Sexualität als eine in objectu ihres konsumtiven Gebrauches sich entfaltende Perspektive fest und führen sie als eine sei's in genere des sinnlichen Genusses, den sie verheißen, sei's in specie der Fleischeslust, die sie befördern, intendierte und also der Konsumhandlung, zu der sie das Motiv, den abstrakten Beweggrund liefert, ebensowohl ihr Telos, ihren konkreten Zweck bietende Wirklichkeit vor.

Bei diesen generell sinnlichen oder speziell geschlechtlichen Genußartikeln bleibt also die von der Reklame der Sexualität zugewiesene Rolle nicht auf eine bloße Auslöserfunktion beschränkt und erschöpft sich mit anderen Worten nicht darin, zur warenförmigen Objektivität den Weg zu weisen und sie als durch die unbestimmt sexuelle Konnotation zwar auratisierte, aber ansonsten in ihrer profanen Selbigkeit verharrende Wirklichkeit in Szene zu setzen – vielmehr hält hier die Reklame an der Sexualität, die sie als Kaufmotiv geltend macht, ostentativ fest und läßt sie in die Länge und Breite der konsumtiven Verwendung jener warenförmigen Objektivität, zu der sie das Motiv liefert, als das von letzterer objektiv vermittelte und medial entfaltete Szenarium sichtbar werden. Und indem so aber die Reklame die Sexualität als nicht bloß das A, sondern ebensowohl auch das O der warenförmigen Objektivität beschwört, indem sie vorführt, wie nicht bloß das mit der Warenwelt assoziierte Sexuelle zu dieser das Motiv abgibt, sondern wie nun auch umgekehrt die Warenwelt das Medium bildet, in dem das Motiv sich zu entfalten, das Sexuelle sich zu materialisieren und zu konkretisieren Gelegenheit erhält, wird zugleich deutlich, wie sehr diese mediale Intervention der Warenwelt, diese Reklamation der konsumtiven Objektivität als konstitutives Element der von Haus aus selbstgenügsamen, im wechselseitigen Bezug der Subjekte, im Objektsein füreinander, ihre ebenso vollständige wie unmittelbare Konstitution behauptenden Geschlechtsbeziehung die letztere tangiert oder vielmehr im Kern alteriert. Es zeigt sich mit anderen Worten, wie sehr unter dem Einfluß jener konsumsphärischen Warentotalität die Sexualität jene aus Quasifetischismus und Pseudonarzißmus gemischte Erscheinung hervorkehrt, von der zu Anfang des Traktats die Rede war und die dort als für das moderne Triebleben insgesamt charakteristische Komplexion diagnostiziert wurde.

Zwar unmittelbar oder zu Anfang der jeweiligen reklamatorischen Bewegung will die als Kaufmotiv für den Genußartikel bemühte Geschlechtsbeziehung noch als Beziehung, als intersubjektives, zwischen zwei Menschen qua Wechselwirkung sich entfaltendes Verhältnis erscheinen; aber indem nun im Fortgang des reklamatorischen Prozesses der Genußartikel das Motiv als Telos reaffirmiert, die Geschlechtsbeziehung thematisch festhält und als seine eigene Perspektive, sein Anliegen und Projekt entfaltet, kurz, die Geltung eines intervenierenden Mediums gewinnt, erweist sich das Sexuelle vielmehr als reiner Selbstbezug der beteiligten Subjekte, verlieren die Sexualpartner die Intention auf ihr Gegenüber aus dem sinnlichen Auge oder dem geschlechtlichen Sinn und finden sich auf sich selbst, auf das eigene Begehren als auf ihr zirkuläres Reflexiv, ihr eigentliches Objekt der Begierde zurückgeworfen. Zwar sollen die Duftwässer den anderen verführen, aber indem sie ihre Reizwirkung entfalten, stellt sich heraus, daß vom Parfüm verführt und vom Duft betört primär und wesentlich die das Mittel anwendende und vielmehr in ihm als Reflexionsmedium sich auf sich zurückwendende Person selber ist. Zwar sollen Süßigkeiten den Verkehr mit dem anderen antizipieren oder simulieren, aber indem sie genossen werden, erweist sich dieser Genuß vielmehr als den anderen vergessen machender veritabler Akt der Selbstbefriedigung. Zwar sollen Hygiene- und Pflegemittel den Körper für andere attraktiv machen und begehrenswert erhalten, aber indem sie angewandt werden und Effekt zeitigen, ist, was sie bieten, Balsam auf die eigene lustvoll gestimmte Seele oder, besser gesagt, Liebkosung der eigenen seelenvollen, libidinös stimulierten Haut. Zwar sollen schicke Kleidung oder Reizwäsche den anderen anziehen, aber im vollen Doppelsinne des Wortes fühlt sich primär und wesentlich die Person, die die Sachen trägt, von ihnen angezogen, während sie auf den Reklamewänden betörten, törichten Blickes in die Spiegelleere starrt, zu der sich ihr der andere verklärt und verflüchtigt.

Indem die Ware sich in die sie als festen Bestandteil reklamierende Geschlechtsbeziehung einschaltet und konstitutive Bedeutung für diese erlangt, hebt sie die der Intention nach heterosexuelle Beziehung, das Begehren nach dem anderen, ebensowohl in einen als Retention erscheinenden Selbstbezug, ein autoerotisches Verlangen, auf, schiebt sich realiter zwischen die Subjekte, die sie formaliter zu vermitteln dient, und verleiht dem sexuellen Trieb jene Züge einer in die unendliche Reflexion getriebenen Lust an der Lust, eines an der eigenen Projektion sich befriedigenden erotischen Erlebens, die zu Anfang als die Signatur der Geschlechtlichkeit unserer Tage vorgestellt wurde. Durch die Requisition des Geschlechtslebens für Konsumzwecke in dessen Spiel gebracht, verschafft sich die Ware in der Geschlechtsbeziehung selbst die Geltung eines kriteriellen Elements oder vielmehr katalytischen Ferments und zerfällt, indem sie die Wirkung eines narzißtischen Reflektors und fetischistischen Fixierers, eines unhintergehbar unendlichen Spiegels und unüberschreitbar konkreten Widerstandes entfaltet, die in Wechselwirkung aufeinander bezogenen Personen in parallelweltlich einander zugeordnete Monaden, die in perfekter Homo- oder besser Autoerotik das sexuelle Heteros entweder überhaupt aus dem Blick verlieren oder höchstens noch als das nach ihrem Bilde geschaffene Phantasma an die Wand ihrer leerlaufreaktiven Imaginationen projizieren.

Keine Frage, daß angesichts dieser katalytischen Zerfällung der Geschlechtsbeziehung von Narzißmus beziehungsweise Fetischismus zu reden sich aufdrängen muß. Keine Frage aber auch, daß es ein uneigentlichter, bloß analoger, Gebrauch ist, der in diesem Zusammenhang von den beiden Kategorien gemacht wird. Sosehr beide Begriffe von Haus aus sexuelle Verhaltensweisen bezeichnen, die ihren Grund in einer individuellen oder kollektiven Triebgeschichte finden sollen, sosehr ist das hier behandelte konsumvermittelte Sexualverhalten, als dessen Ursache die von außen intervenierende und sich als Konstitutiv der Geschlechtsbeziehung etablierende Ware erscheint, bei aller funktionellen Ähnlichkeit, die es mit originär narzißtischen und fetischistischen Attitüden teilt, etwas strukturell anderes.

Kein Niederschlag von – wie auch immer bewußtloser – Erfahrung, sondern ein – wie auch immer von Bewußtsein begleiteter – Handlungsreflex ist dieser Pseudonarzißmus und Quasifetischismus der jüngsten Moderne. Kein Triebschicksal ist er, das aus irgendwelchen zur Charakterspur internalisierten repressiven Bedingungen resultiert, unter denen die vergangene kulturanthropologische Entwicklung sich vollzogen hat, sondern eine habituelle Bestimmtheit, die den zur zweiten Natur herausprozessierten objektiven Gegebenheiten entspricht, unter denen die gegenwärtige industriekapitalistische Gesellschaft funktioniert. Und nicht also eine bei aller schicksalhaften Unausweichlichkeit bloß partikulare und – egal, ob auf individueller oder kollektiver Ebene – subjektive Abweichung von einer anthropologisch vorgezeichneten sexuellen Norm ist er, sondern eine im gesamtgesellschaftlichen Maßstab sich vollziehende und in der Lebenswirklichkeit, die sich die Gesellschaft ebenso eigenhändig wie blindlings schafft, begründete totale und objektive Veränderung der sexuellen Norm selbst.

Die Ubiquität des Warenkonsums läßt die in besagten Genußartikeln symptomatisch sichtbar werdende Überführung des heterosexuellen Prozesses in eine autosexuelle Parallelaktion zu einem normativen Vorgang werden, der das Geschlechterverhältnis, während es sich in Berufsleben und Öffentlichkeit als generelle Sozialbeziehung faktisch ausgleicht und neutralisiert, als die spezielle Sozialbeziehung, die es qua Geschlechtsbeziehung ist, unter dem ideologischen Vorwand ihrer Intensivierung und Totalisierung vielmehr dissoziiert und aufhebt. Der Verlust der Geschlechtsbeziehung, der sich in actu eines umfassend warenvermittelten Kults der Geschlechtsbeziehung, einer in der Monstranz der Ware ihre als Entkoppler wirksame Copula findenden Hierogamie, vollzieht, gibt nun allerdings dem gesellschaftlichen Bewußtsein dort zu denken, wo es über bloße, auf die kapitalistische Wertrealisierung, den Konsum, abgestellte Reklame hinausgeht und die Vermittlung des Wertrealisierungsinteresses mit anderen, für den Bestand und die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft unabdingbaren Rücksichten zu seiner Sache macht, nämlich in den Medien.

Das in den Medien, jener Konkreszenz aus Reklame und Reflexion, materiellem Konsumanspruch und existentieller Kostenrechnung, kapitalistischem Wertrealisierungsinteresse und gesellschaftlicher Selbsterhaltungsrücksicht, umgetriebene gesellschaftliche Bewußtsein sorgt sich um die sexuelle Beziehung, die sie in der Konsequenz ihrer Vereinnahmung durch den Konsum einem Katalyse- und Entrealisierungsprozeß unterworfen sieht, und macht sich Gedanken, wie das Interesse der Geschlechter aneinander vor deren in objectu der Waren effektuierten Regression in sich und schlecht unendlichen Selbstbespiegelung zu bewahren und als wechselseitiger Prozeß, eben als Beziehung, aufrechtzuerhalten sei. In einer unentwirrbaren Mischung aus Angst vor dem Verlust einer wesentlichen Form sozialen Kontakts, Sorge um ein zentrales Motiv sozialen Handelns und Furcht vor unabsehbaren bevölkerungspolitisch-demographischen Folgen legen die Medien in Wort und Bild ein Programm zur Rettung der Heterosexualität vor der ihr in ihrer Funktionalisierung durch die Konsumrücksicht drohenden Verflüchtigung zur pseudonarzißtischen beziehungsweise quasifetischistischen autosexuellen Parallelaktion auf.

Dabei verfolgen sie eine Strategie der starken Reize und suchen die isolierende Wand und monadisierende Membran, die der Warenbezug zwischen den Geschlechtern errichtet und durch die er sie auf narzißtische Selbstbefriedigung und fetischistische Lust am eigenen Körper zurückwirft, durch Rekurs auf den harten Kern des Geschlechtslebens, die als solche zur Schau gestellten Geschlechtsteile, den pornographisch herausgestellten sexuellen Akt sans phrase, zu durchbrechen. Gegen die narzißtische totale Libidinisierung und die fetistischistische partikulare Erotisierung, die beide die Geschlechter einander entfremden und in die schlecht unendliche Regression der Lust an sich selbst als quasi ansichseiender Lust führen, bieten die Medien den hard core des Sexus, den actus purus der Kopulation, die außer sich seiende Lust am Geschlecht des anderen auf.

Daß die Medien dies vermögen, daß sie qua Pornographie den Geschlechtsapparat als solchen ins Feld führen und zur Erzwingung einer die konsumnarzißtische Abdichtung der Individuen durchbrechenden heterosexuellen Beziehung instrumentalisieren können, ist allerdings seinerseits bereits Resultat der warenvermittelten quasinarzißtischen Liebe zur eigenen Person und pseudofetischistischen Fixierung auf den eigenen Körper. Erst jener Quasinarzißmus und Pseudofetischismus macht die Individuen zu Herren ihres eigenen Geschlechts, läßt sie freie Verfügung über die ihrem Körper eingepflanzten Gattungswerkzeuge erlangen. Solange die Individuen noch ein eher funktionell-instrumentelles Verhältnis zu ihrem Körper haben, solange ihr Körper ihnen als Arbeits- und Subsistenzwerkzeug noch wesentlich dazu dient, sich in der Welt zurechtzufinden, zu behaupten und im geistigen und leiblichen Stoffwechsel mit der Natur zu erhalten, begegnet ihnen ihr Geschlecht, wie es sich qua Sexualapparat ihrem Körper eingefleischt zeigt, in der Fremdartigkeit und Konkurrenzhaftigkeit einer alternativen Bestimmung, um nicht zu sagen, eines anderen Subjekts. Indem das Geschlecht vom Körper Besitz ergreift, entfremdet es ihn dem Individuum, entzieht ihn der Verfügungsgewalt der Person, läßt ihn außer sich geraten und unterwirft ihn jenen anderen, unpersönlichen Zielsetzungen, die im Geschlechtsapparat, in den Gattungswerkzeugen, ihre Objektivität, ihre funktionelle Wirklichkeit haben.

Soweit das Individuum diesen im Begattungsverhältnis implizierten Subjektwechsel mitmacht, soweit es mit seinem Körper außer sich gerät, in dem fremdbestimmten Werkzeug sich selber verliert, kann es den Subjektwechsel als Entbindung von sich als bloßer Person, als Befreiung von seinem beschränkten Dasein, als in einem umfänglicheren Selbst kulminierenden Erfüllungszustand erfahren. Soweit das Individuum hingegen dem von seinem Körper Besitz ergreifenden Gattungssubjekt widerstrebt und das Außersichgeraten als Selbstaufgabe, als Verlust der Person erfährt beziehungsweise solange es selbst die herrschende Wirklichkeit ist und jenen Subjektwechsel nur erst als eine diese Wirklichkeit in Frage stellende Möglichkeit antizipiert, gilt ihm das Gattungssubjekt und gelten ihm die Werkzeuge, mittels deren das Gattungssubjekt Präsenz gewinnt, als ein Pfahl im Fleisch seines Körpers, als seinen Körper ihm raubende Macht und gleichermaßen seine organische Identität und seine persönliche Integrität bedrohende Gewalt. Konsequenz und Ausdruck dieses Gefühls, am eigenen Leibe von einer fremden Macht überwältigt zu werden und einer entpersönlichenden Gewalt unterworfen zu sein, ist die Scham, das dringende Bedürfnis, den Sexualapparat mitsamt dem ihn durchherrschenden Gattungswesen, dem durch ihn seine Herrschaft zur Geltung bringenden anderen Subjekt, dem Blick und Bewußtsein der anderen und möglichst auch der eigenen Person zu entziehen, ihn als nicht existent zu behandeln, für nichts zu erklären.

Als die Gestalt gewordene persönliche Kränkung, die verkörperte eigene Scham, ist der Geschlechtsapparat abstoßendes Zeugnis des in ihm die Person als solche ereilenden Konkurses, hochnotpeinlicher Beweis für den mit ihm dem Individuum blühenden Selbstverlust. In ihrem Geschlechtsapparat tritt den empirischen Subjekten vor Augen, daß sie nicht Herr ihres Körpers sind, daß ihre ganze, auf der Beherrschung ihres Körpers fußende personale Identität und soziale Selbstherrlichkeit eine Anmaßung, eine nur in absentia des anderen, mächtigeren Gattungswesens aufrechtzuerhaltende Fiktion ist – und eben deshalb ist es ihnen ein dringendes, nicht weniger individuell empfundendes als sozial verfügtes Bedürfnis, die Augen vor dem Geschlecht und seiner Apparatur zu verschließen, schamerfüllt von der Scham nichts wissen zu wollen.

Genau dies schamvolle Verhältnis zum Geschlechtsapparat wird nun aber in dem Maße obsolet, wie der letztere seine Stellung als vom Körper wesentlich verschiedenes Werkzeug des Gattungswesens, als im Dienste nicht der Person selbst, sondern eines anderen Subjekts stehender Pfahl im Fleisch des empirischen Daseins einbüßt. Daß die Geschlechtswerkzeuge ihre schamerregende Andersartigkeit und Fremdkörperhaftigkeit ablegen, hat dabei seinen Grund nur sekundär und mittelbar im Verschwinden ihres Werkzeugcharakters, darin also, daß sie dank Rückgangs des Bevölkerungswachstums und perfektionierter Geburtenkontrolltechniken an reproduktiver Funktionalität und Verbindlichkeit verlieren, ihre biologische Wirkmächtigkeit und Gewalt einbüßen und sich in zunehmendem Maße auf ein mit nichts als mit libidinösem Gewinn, der Lustprämie, winkendes Spiel- und Erholungsgerät, ein Instrumentarium zur Freizeitgestaltung, reduziert finden.

Ursache dieser dem Geschlechtsapparat seine Fremdbürtigkeit und Bedrohlichkeit austreibenden entmächtigenden Assimiliation der Geschlechtsteile ans Körperganze, ihrer funktionellen Integration in den individuellen Organismus und persönlichen Körper, und des damit Hand in Hand gehenden Verlusts der Scham ist primär und unmittelbar die oben beschriebene quasinarzißtische beziehungsweise pseudofetischistische Wendung, die das moderne Triebleben nimmt und die in dem Maß, wie sie den Körper als ganzen und in allen seinen Teilen zum Geschlechtsorgan und libidinös besetzten Corpus kurz, zum Subjektobjekt eines selbstbezüglichen Lustgewinns, einer in sich kreisenden Erotik erhebt, umgekehrt die Geschlechtsteile aus ihrem traditionellen Monopol auf Lustempfinden und libidinöses Erleben verdrängt und zum bloßen, wie auch immer eminenten Korrolar und exponierten Anhängsel des Körpers, zu einem dem Körper beigegebenen und ihn bei seiner erotischen Entfaltung in Gang zu setzen, auf Touren zu bringen, bei der Stange zu halten, zu steuern, kurz, anzuleiten und zu stützen bestimmten dienenden Faktotum degradiert.

Indem durch die narzißtisch-fetischistische Wendung, die der moderne Trieb nimmt, die traditionell an den funktionellen Einsatz und die nolens volens fortpflanzungsbezügliche Instrumentalisierung der Genitalien geknüpfte Lustprämie, an der der Körper nach Maßgabe der Rückhaltlosigkeit, mit der er sich im Akt engagiert, mehr oder weniger teilhat – indem diese Lustprämie also von ihrer wesentlich genitalen Bedingtheit abgelöst und dem Körper als ganzem beziehungsweise diesem oder jenem seiner vielen Teile unmittelbar zugewendet wird, verliert das Individuum, unterstützt durch die parallellaufende Kontrolle, die es dank wissenschaftlicher Empfängnis- und Schwangerschaftsverhütungsmethoden über die Fortpflanzungsfunktion der genitalen Werkzeuge gewinnt, deren schamerregenden, weil seinen eigenen Körper einer ihm, dem Individuum, fremden Zweckmäßigkeit unterwerfenden Werkzeugcharakter überhaupt aus den Augen: Aus dem faktorellen Fremdkörper, der an der ihm eigenen sexuellen Funktionslust den Körper teilhaben läßt, ihn dabei aber der Person entzieht und einer bedrohlich fremden Macht und beschämend anderen Teleologie überantwortet, wird das individuelle Hilfsorgan, das motivierenden und maßgebenden Anteil an der Erzeugung einer dem Körper eigenen erotischen Sensationslust hat und dessen vertraute Liebesdienste und zuverlässigen libidinösen Leistungen es dem narzißtisch-fetischistischen Individuum lieb und teuer machen, es zum besten Stück und liebsten Spielzeug der Person werden lassen.

Ihren Grund hat die narzißtisch-fetischistische Haltung des Individuums, wie oben gezeigt, in der zunehmend warenvermittelten Konstitution der Sexualität, das heißt darin, daß die Geschlechtsbeziehung in der von Absatzproblemen geplagten kapitalistischen Gesellschaft als zentrales Konsummotiv reklamiert und eingesetzt wird und aber durch die hierin implizierte Erhebung des Bezugs auf die Waren zum konstitutiven Moment der Beziehung, die Überführung der Waren in eine unabdingbare Vermittlungsinstanz und Copula des Sexualverhältnisses, die Sexualpartner sich vielmehr aufgespalten und in die Verhältnislosigkeit einer parallelweltlichen Monadologie gestürzt finden. Eben dies, daß die formell als Kopulationsmedium ins Spiel gebrachten Konsumartikel materiell oder der Logik ihrer konsumtiven Verführungskraft nach als eine die sexuelle Motion brechende und auf sich zurückwerfende Scheidewand, ein die libidinöse Lust in die unendliche Reflexion treibender Spiegel fungieren, bewirkt ja jene narzißtisch-fetischistische Haltung, die, sowenig sie originär sein, sosehr ihr der Pseudo- und Quasicharakter einer heterogen induzierten Analogiebildung eignen mag, doch die für das moderne Triebleben authentische Existenzform und verbindliche Praxis darstellt. Wie der durch seine Verheißungen fürs Subjekt unwiderstehliche objektive Konsumzwang es ist, der die mit der Geschlechtsbeziehung traditionell verknüpfte Fortpflanzungsfunktion, die reale Fremdbestimmtheit der Sexualität, kontrollierbar beziehungsweise neutralisierbar werden läßt, so ist er es auch, der die Geschlechtsbeziehung selbst jeden Moments von Entfremdung und Außersichsein beraubt, indem er durch die als unabdingbare Vermittlungsinstanz eingeschaltete Konsumtätigkeit aus der heterosexuellen Emotion die autoerotische Sensation, aus der Orientierung auf das geschlechtliche Gegenüber, das Sexualobjekt, die narzißtisch-fetischistische Haltung reflexiver Lust, schierer Selbstbefriedigung macht.

Und dieser konsumvermittelte Pseudonarzißmus und Quasifetischismus sorgt nun also für den Verlust der Scham, sorgt dafür, daß die Geschlechtswerkzeuge ihren traditionellen Charakter bedrohlicher Fremdbestimmtheit und dem Individuum feindlicher, unpersönlicher Zweckmäßigkeit verlieren, daß sie sich als bloße Funktionsträger des individuellen Lebens, dienende Organe des persönlichen Körpers, der Verwendung durch das Individuum, der Handhabung durch die Person erschließen und so aber auch für jenen Gebrauch und Einsatz verfügbar werden, den das von den Medien zwecks Rettung der Geschlechtsbeziehung aufgelegte Pornographieprogramm von ihnen erheischt. So gesehen, scheint die konsumbedingt narzißtisch-fetischistische Haltung des modernen Sexualtriebs beides in einem: Krankheit und Heilmittel. Einerseits ist sie es, die das parallelweltlich-monadische Nebeneinander bewirkt, das die Geschlechtsbeziehung aller formellen Beschwörung und Zurschaustellung zum Trotz, zum Schattendasein einer realiter aufgehobenen Relation verurteilt. Andererseits ist sie es aber auch, die den Geschlechtsapparat dadurch, daß sie ihn entmystifiziert und als unbeschadet seiner besonderen Qualitäten schlichten Körperteil, profanen Funktionsträger setzt, für die Aufgabe einer Wiederanknüpfung oder Bekräftigung der Geschlechtsbeziehung durch die ostentative Kopula des Akts, die von Rücksichten auf die Scham befreite Propagation engagierten Kopulierens verfügbar werden läßt.

Indes, wie das allenthalben in den Medien beobachtbare Schicksal der pornographischen Bemühungen um die Sexualität bezeugt, ist es mit dem Heilaspekt der Pornographie am Ende nicht weit her. Zu gründlich räumt die narzißtisch-fetischistische Krankheit mit der Geschlechtsbeziehung auf, zu entschieden steckt sie den Rahmen für jede weitere sexuelle Konstellation ab, als daß jenes gleichzeitig von ihr zugänglich gemachte pornographische Heilmittel, der schamlos freie Rekurs auf die geschlechtliche Vereinigung und ihre bindende Kraft, jenen Rahmen erfolgreich durchbrechen und die Wiederaufnahme der narzißtisch abgebrochenen beziehungsweise fetischistisch arretierten Beziehung bewirken könnte. So oder so, in seiner weichen ebenso wie in seiner harten Spielart, scheitert der pornographische Vorstoß, findet sich das dem Narzißmus entlehnte Sanierungsprogramm durch eben das, was die Möglichkeit zu ihm schafft, auch wieder vereitelt.

Entweder der öffentliche, ostentative Gebrauch, der von den privatisierten, in den persönlichen Besitz der Individuen übergegangenen Gattungswerkzeugen im pornographisch inszenierten Geschlechtsverkehr gemacht wird und durch den das in narzißtisch-fetischistische Monaden atomisierte Publikum zur imitatio conjunctionis animiert, zur heterosexuellen Motion, zur autoerotisch verlorenen Lust auf den anderen zurückgeführt werden soll – entweder dieser inszenierte Einsatz des Sexualapparats verläuft sich im Narzißmus beziehungsweise bleibt im Fetischismus stecken: dann ist das Resultat der Softporno, ein kopulativer Akt, der sich in eine choreographische Begegnung auflöst, spastische Friktionen, die sich zur rhythmischen Gymnastik mäßigen, Fremdkörpererfahrung, die zum Ganzkörpererlebnis verschwimmt, weichgezeichnete Leiber, die sich in der stilisierten Berührung, in der gespielten gemeinsamen Verzückung von der Lust ihrer samten beseelten Haut durchschauern lassen, an ihrer in sich pulsierenden libidinösen Energie berauschen. Oder aber es gelingt, durch den pornogaphisch inszenierten Geschlechtsakt die narzißtische Scheidewand zu durchbrechen, die fetischistische Selbstfixierung zu transzendieren: dann ist das Ergebnis die Hardcore-Version, eine Beziehung, die zwangsläufig als narzißtische Kränkung und promiskuitive Gewalttat, als Verbrechen wider die Integrität der Individuen und Persönlichkeit der Personen erscheint, die also für beide Geschlechter die Bedeutung einer durch den jeweils anderen gegen das eigene empirische Dasein geübten Aggression gewinnt, beiden den Eindruck vermittelt, daß der jeweils andere ihnen definitiv zu nahe tritt, und deshalb mit bezeichnender Stereotypie die vom Mann verfolgte Frau als Objekt rücksichtsloser Penetration und brutaler Vergewaltigung, den von der Frau umgarnten Mann hingegen als Opfer hinterhältiger Manipulation und fataler Verführung zur Vorstellung bringt.

So oder so triumphiert der erotische Narzißmus über die sexuelle Beziehung, so oder so ist die Befriedigung der wiederhergestellten Beziehung durch die Lust oder Pein determiniert und in der Tat negiert, die der modernen conditio humana, dem Pseudonarzißmus und Quasifetischismus der konsumvermittelten Existenz, daraus erwächst.

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