X.

Wie auch immer aber – um von dieser kurzen Reflexion über den geschichtsphilosophischen Sinn der kapitalistischen Wertakkumulation zum eigentlichen Thema zurückzukehren – die Strategien zur Ausbeutung der Arbeitskraft in ihrem Verhältnis zueinander und in ihrer je eigenen Funktionalität zu bewerten sein mögen und wie immer ihr als Vermehrung des relativen Mehrwerts erklärter Zweck sich zumal bei der dritten und zentralen Strategie einer Erhöhung der objektiven Arbeitsleistung oder Produktivität als illusorisch beziehungsweise als bloße Triebfeder zur Durchsetzung eines anderen, in der Entfaltung menschlicher Produktivkraft bestehenden Zieles herausstellen mag – sie ziehen allesamt entweder indirekt dadurch, dass mehr Mehrwert in seiner Eigenschaft als Kapital in neue Produktionsprozesse fließen kann, oder direkt dadurch, dass der gleiche Mehrwert sich in einer größeren Produktmenge darstellt, eine fortlaufende Vermehrung des als gesellschaftlicher Reichtum verfügbaren Quantums materialer Güter, wertverkörpernd konkreter Waren nach sich. Mögen die in der extensiven und intensiven Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft bestehenden Wertakkumulationsstrategien in ihrer sozialpolitischen Zielsetzung und in ihrem geschichtsphilosophischen Sinn noch so zweifelhaft sein, in ihrem unmittelbaren Ergebnis und gesellschaftspraktischen Effekt sind sie jedenfalls unmissverständlich: Sie vergrößern unermüdlich und mit zunehmender Rasanz das gesellschaftliche Gebrauchsgüterreservoir, jene "ungeheure Warensammlung", als die der im industriellen Prozess geschaffene Reichtum sich darstellt, insofern er wesentlich und ex cathedra seiner gesellschaftlichen Produktionsbedingungen Wert verkörpert.

Und diese ungeheure Warensammlung, diese ständig wachsende Menge gesellschaftlicher Gebrauchsgüter, sie ist es, die den bildungsbürgerlichen Schichten des 19. Jahrhunderts, der gesellschaftlichen Intelligenz im weitesten Sinne, ihre oben als wesentlich konsumtive Existenz charakterisierte Lebensweise ermöglicht und also jenes wenngleich nicht durch Arbeit vermittelte, dennoch mit genügend Wertäquivalent ausgestattete, bedürfnisbestimmt-sinnliche oder hedonistisch-rezeptive, scheinbar spontane Verhältnis zu den gesellschaftlich produzierten Dingen erlaubt, das, wie ausgeführt, diese Schichten kompensatorisch für ihre fehlende politische Praxis und gesellschaftliche Funktion zu einer unter dem Banner der Ästhetik aufgebotenen alternativen Lebensform oder gar modellhaften Gegenpraxis stilisieren. Weil die ungeheure Warensammlung oder wachsende Masse von Gebrauchsgütern die Erscheinungsform oder vielmehr Camouflage ist, unter der die Kapitalagenten ihre in der extensiven und intensiven Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft bestehenden Strategien zur Mehrwertproduktion in die Tat umsetzen, haben die letzteren selbst an diesem als Erscheinungsform figurierenden Gebrauchsgut nicht das mindeste Interesse und haben nichts Eiligeres zu tun, als es zu Markte zu tragen und es dort gegen Geld auszutauschen, um an ihm das zum Vorschein zu bringen oder zu realisieren, was ihnen als sein Wesen, seine Wahrheit gilt: den mehrwertig produzierten Wert, auf den sie aus sind, nur um ihn als Kapital für neue Mehrwertbildungsprozesse, als Ausgangsbedingung für eine erweiterte Reproduktion der immer gleichen Selbstverwertung des Wertes durch die zum Kapitalfaktor funktionalisierte Arbeitskraft einzusetzen. Sie stoßen die Camouflage auf dem Markt ab, verkaufen die Erscheinungsform dem, der ein Bedürfnis nach ihr hat und über das Äquivalent der in ihr verborgenen Essenz, über Wert sans phrase, über Geld verfügt, und finden diesen als Wertrealisierer wohlverstandenen Käufer vorzugsweise in den bildungsbürgerlichen Schichten, in jener gesellschaftlichen Intelligenz, die sich mangels politischer Aufgabe und historischer Zielsetzung einem zum ästhetischen Alternativprojekt sublimierten, zur Lebensform sui generis stilisierten Konsum verschreibt.

Wiewohl um die ihr ursprünglich zugedachte politische Aufgabe gebracht und durch den Pakt der bürgerlichen Klasse mit dem traditionellen Staat aus der relevanten gesellschaftlichen Öffentlichkeit und Sphäre des historischen Handelns verdrängt, sieht sich diese bürgerliche Intelligenz doch zugleich von ihrer Klasse und vom Staat, den beiden Paktierenden, auf direktem und auf indirektem Weg, durch Pfründen, Gehälter, Pensionen, Renten und sonstige Kapitalbeteiligungen, mit genug Wertäquivalent abgefunden, um als Rentiers mit gesellschaftlichem Status, als Privatleute mit öffentlicher Statur ein Leben, wenn nicht im Überfluss, so jedenfalls doch im Wohlstand führen und Nutzen aus der Überfüllung des Markts mit jenen als Wertträger, als Erscheinungsformen des Wesens Kapital firmierenden Konsumgütern ziehen zu können, die unmittelbares Resultat der geschilderten Strategien zur extensiven und intensiven Ausbeutung der Ware Arbeitskraft sind. So wahr sie sich politisch kaltgestellt finden, so wahr sehen sich diese bürgerlichen Bildungs- und Intelligenzschichten dank ihrer Klassenzugehörigkeit und honorierten sozialen Stellung ökonomisch warm gebettet und nämlich als die primären Nutznießer der "ungeheuren Warensammlung", die durch die Verwertungsstrategien des sich industriell organisierenden Kapitals hervorgezaubert oder vielmehr aus dem Moloch einer mit menschlicher Arbeitskraft gefütterten industriellen Maschinerie herausgepresst werden.

Und diese Position des primären Nutznießers der materialen Segnungen der kapitalistischen Industrieproduktion bestimmt die Perspektive des Bildungsbürgertum unabhängig davon, in welchem politischen Lager die einzelnen stehen oder zu stehen meinen; sie determiniert die theoretische Welterfahrung und das systematische Lebensgefühl der bürgerlichen Intelligenz, relativ unabhängig davon, wie bei den einzelnen die biographischen Umstände und praktischen Lebensumstände beschaffen sind. In diesem Punkte der fürs Bildungsbürgertum und sein Denken maßgebenden Position und Perspektive unterscheidet sich der in bescheidensten Verhältnissen lebende progressive Intellektuelle und Sozialreformer Feuerbach nicht von dem ein wohlhäbiges Rentiersdasein führenden reaktionären Intellektuellen und asozialen Ästheten Schopenhauer, und deshalb ist die im Zeichen des Materialismus vorgetragene frohe Botschaft, die er den breiten Volksschichten bringt, ein objektiver Zynismus. Was er diesen in ökonomischer Not und sozialer Bedrängnis befangenen Unterschichten als paradigmatisches Dasein und lebenswertes Leben vorführt, ist die durch gesellschaftliche Tätigkeit, Arbeit, unvermittelte und von leibhaftiger Sinnlichkeit und unmittelbarem Genuss geprägte "materialistische" Konsumentenexistenz, die das ökonomische Privileg des politisch kaltgestellten Bildungsbürgertums des 19. Jahrhunderts ist und deren wesentliche Voraussetzung oder vielmehr konstitutive Bedingung eben jene in den Unterschichten herrschende ökonomische Not und soziale Bedrängnis darstellt.

Mag Feuerbach diese Musterexistenz mit Rücksicht auf die kleinen Leute, zu deren Fürsprecher er sich macht, noch so sehr mit Maßhalteappellen verknüpfen und auf schlichte Befriedigungsformen und einfache Lebensgenüsse, kurz, auf ein luxusfeindliches Mittelschicht-Niveau verpflichten, sie bleibt die sensualistisch-rezeptive, ästhetisch-kontemplative, materialistisch-konsumtive Existenz seiner eigenen, als gesellschaftliche Einheit von der industriekapitalistischen Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft wesentlich profitierenden Schicht. Sie bleibt die Lebensweise derer, die den hauptsächlichen materialen Nutzen aus der kapitalistisch verwerteten Lohnarbeit ziehen und die insofern ihr wie immer bescheidenes, wie immer epikuräisch-maßvolles Glück auf die Armut und das Elend derer bauen, die qua Lohnarbeiter den kapitalistischen Verwertungsstrategien ausgesetzt sind. Diesen Ausgebeuteten mutet er zu, das bildungsbürgerliche Glück sensualistischer Unmittelbarkeit und ästhetischen Genusses, das mit ihrer Ausbeutung steht und fällt, als Paradigma menschlicher Verwirklichung und als verbindlich alternative Lebensform anzuerkennen. Sie sollen es als das Nonplusultra menschlicher Möglichkeiten, als schlechthinnige Konkretisierung dessen anerkennen, was der Mensch mit Leib und Seele sein möchte und erstrebt.

Und anerkennen als den Gipfel menschlicher Entfaltung und menschlicher Konkretion sollen sie es vor allem ohne Vorbehalt und das heißt, ohne jene religiöse reservatio mentalis, die alle irdische Wirklichkeit zu transzendieren beansprucht und die jedem irdischen Verhältnis flugs als den Ausweis seiner Unvollkommenheit und Gebrechlichkeit den Spiegel seiner ins Jenseits verschlagenen vollkommenen Gestalt und offenbaren Idealität vorhält. Diese von der religiösen Tradition übernommene Neigung, dem irdischen Guten das himmlische Gut, der irdischen Familie die heilige Familie, dem menschlichen Sein das göttliche Wesen im Doppelsinn des Wortes verweisend entgegenzusetzen, gilt Feuerbach als der antihumane Sündenfall par excellence – sie geißelt er als abstrakt, als Sünde wider den Geist der hier und jetzt erreichbaren und tatsächlich bereits erreichten Konkretion und Verwirklichung menschlichen Wesens. Nicht nur sollen also die sozialen Schutzbefohlenen Feuerbachs, die als Lohnarbeiter ihr Leben fristenden kleinen Leute, zu deren sozialreformerischem Fürsprecher er sich aufwirft, eben die ästhetisch-konsumtive Existenz als allgemeinverbindliche menschliche Lebensform anerkennen, die Konsequenz ihrer ökonomischen Ausbeutung ist und die sie mit Not und Elend bezahlen müssen, sie sollen mehr noch jedem Anspruch entsagen, sich mit Mitteln der religiösen Tradition auf eigene Faust und in eigener Regie Trost durch den Glauben an einen gnostisch-höheren Sinn ihrer Not und durch die Überzeugung von einem chiliastisch-letzten Zweck ihres Elends zu verschaffen. Dies leistet ja der Glaube an ein jenseitig höheres Sein und an ein zukünftig besseres Leben, dass er erlaubt, der Not des diesseitigen Daseins und dem Elend des gegenwärtigen Zustands die Rolle einer zu jenem höheren Wesen geschickt und zu jenem besseren Leben bereit machenden Prüfungs- und Bewährungssituation zuzusprechen und mithin den lebensgeschichtlich oder aus irdischer Sicht sinn- und ziellosen Leidensweg der Funktion eines heilsgeschichtlich oder sub specie aeternitatis zweck- und absichtsvollen Vorgangs zu überführen. Indem die irdische Existenz auf ein himmlisches Sein bezogen und als dessen rein negative Voraussetzung oder in der Selbstaufhebung bestehende Grundlage begriffen wird, erklärt sich, was sonst ein angesichts seiner Trost- und Hoffnungslosigkeit grausam letzter Zweck und die Hölle auf Erden wäre, zu einem subjektiv ebenso passionsreichen wie objektiv sinnvollen Mittel und Moment jenes höheren Zwecks und wahren Kairos, zu einem Jammertal, das es bloß zu durchschreiten gilt, um auf dem Gipfel der Glückseligkeit anzulangen.

Genau gegen diese religiöse Überdeterminierung und Verklärung des irdischen Lebens zum flüchtigen Durchgangsmoment eines bleibenden Seins und zur vergänglichen Bewährungsprobe fürs ewige Heil aber läuft Feuerbach Sturm. Von einer transzendenten Alternative zum Hier und Jetzt weltlich-irdischer Gegebenheit und sinnlich-leiblicher Materialität will er so ganz und gar nichts wissen und auf die Behauptung der von ihm propagierten ästhetisch-konsumtiven Lebensform als ausschließlichen und durch keine religiöse Übergipfelung in Frage zu stellenden Nonplusultras der Humanität und letzten Zwecks allen Menschseins wirft er sich mit solcher Inbrunst, dass seine Gesellschaftskritik hauptsächlich, wo nicht zur Gänze, die Züge einer Religionskritik, einer gegen den Transzendenz- und Erlösungsglauben des Christentums wortreich und monoman vorgetragenen Philippika annimmt. Oberflächlich gesehen und einer gängigen Lesart gemäß, könnte das, was Feuerbach gegen die Fremdbestimmung und Marginalisierung des irdischen Daseins durch jene höhere, himmlische Zwecksetzung derart in Harnisch bringt, die Versöhnungsbereitschaft und Laissez-faire-Haltung scheinen, die in den Betroffenen die Gewichts- und Bedeutungsverlagerung vom Diesseits aufs Jenseits gegenüber der Not und dem Elend des Diesseits erzeugt. Weil ihr Glaube an ein anderswo ihrer harrendes wahres Sein und ewiges Leben ihnen das Elend ihres irdischen Daseins teils als kursorische Vorstufe, teils mehr noch als initiatorische Voraussetzung künftiger Erfüllung vorspiegelt, begegnen sie dem Unglück und Elend ihrer ökonomischen Ausbeutung und sozialen Unterdrückung mit einer Geduld und Toleranz, die sie andernfalls schwerlich aufbrächten.

Indes, dass diese Stillstellung und Pazifizierung der proletarischen Schichten durch die Religion der eigentliche Grund für die Feuerbachsche Religionsschelte ist, kann füglich bezweifelt werden. Schließlich verknüpft ja Feuerbach selbst mit der Propagation seines ästhetischen Materialismus, mit der Erhebung jener auf leiblich-seelische Rezeptivität gemünzten bildungsbürgerlich-konsumtiven Lebensform zur paradigmatischen condition humaine keinerlei praktische Absicht, keinerlei Anspruch auf eine politische Strategie und organisatorische Perspektive, die geeignet wäre, dieser Lebensform zu allgemeinverbindlicher gesellschaftlicher Realität zu verhelfen. Wie sollte er auch, da ja jeder Versuch einer sozialreformerischen Durchsetzung dieser Lebensform als allgemeingesellschaftlicher Norm notwendig zum Vorschein bringen müsste, dass hier der Bock zum Gärtner gemacht und nämlich als Heilmittel gegen die Not und das Elend industriekapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse der gedeihlich-kontemplative Weltgenuss eines ästhetisch veredelten, bildungsbürgerlichen Hedonismus geltend gemacht wird, der in solcher Not fundiert ist und sich von solchem Elend nährt? Weit entfernt davon, als Wegbereiterin und Vorkämpferin einer im Anschluss intendierten gesellschaftlichen Reformpraxis und Veränderungsstrategie gelten zu können, ist die Feuerbachsche Religionskritik vielmehr das, worauf sich gesellschaftliche Reformbemühung und sozialkritischer Veränderungswille unter den Bedingungen jenes von Feuerbach an die Wand gemalten Vexierbilds sozialer Erfüllung reduziert, ist die mit der Religionskritik angestrebte Bewusstseinsveränderung das einzige Moment von gesellschaftlicher Praxis, das sich bei Feuerbach überhaupt finden lässt. Die Forderung nach Abschaffung der religiösen Hypostasierung, der Verhimmelung irdischen Lebens steht somit als erratischer Block im leeren Raum eines umfassenden Praxisverzichts und bindet im reziproken Verhältnis zu seiner praktischen Funktionslosigkeit allen Affekt von der Welt an sich, gibt sich, seiner politischen Bedeutungslosigkeit zum Hohn, den Anschein des höchstbesetzten, allerwichtigsten öffentlichen Geschäfts.

Diese offenbare Diskrepanz zwischen der affektiven Besetzung und der effektiven Funktion des religionskritischen Geschäfts, zwischen der Bedeutung, die Feuerbach damit verknüpft, und der Wirkung, die er damit erzielen kann, ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass seine Kritik an der religiösen Hypostase und an der mit ihr einhergehenden jenseitigen Abstraktion vom diesseitigen Konkretum ihren eigentlichen Bezugspunkt auch gar nicht in der Rücksicht auf die politische Praxis und gesellschaftliche Perspektive der unteren Schichten findet, die solche Hypostase vorzugsweise pflegen, sondern vielmehr in einer Wahrnehmung der aktuellen ökonomischen Interessen und der klassenspezifischen Sichtweise der intellektuellen Kritiker à la Feuerbach selbst. Was Feuerbach und seinesgleichen an der religiösen Verhimmelung irdischen Daseins stört, ist die darin sich bekundende grundsätzliche Bereitschaft, im Sichtbaren, Konkreten das bloße Ausdrucksorgan eines dahinter verborgenen Unsichtbaren, Abstrakten, im scheinbar Unmittelbaren das Mittel eines höheren Zwecks, im erscheinenden Physischen das flüchtige Moment und den an sich selber verschwindenden Repräsentanten eines metaphysischen Wesens zu erkennen. Als allgemeine Haltung rüttelt diese Bereitschaft an den Grundfesten der Welterfahrung und des Weltverständnisses der bildungsbürgerlichen Schicht. Deren soziale Existenz gründet ja in der geschilderten, von dinglich-phänomenaler Unmittelbarkeit und sinnlich-materialer Konkretheit geprägten Lebensform, die eine nicht durch primäre gesellschaftliche Arbeit vermittelte Verfügung über Wertäquivalent, Geld, ihr ermöglicht. Weil sie auf den Markt gehen und ohne große gesellschaftliche Umstände die dort feilgebotenen Gebrauchsgüter oder leiblich-seelischen Befriedigungsmittel kaufen kann, erfährt diese Schicht die Welt als eine Welt der Erscheinungen, der dinghaften Gegebenheiten, der phänomenalen Fixundfertigkeiten, der faits positifs.

Ein phänomenaler Positivismus oder positives Erscheinungswissen ist die "Weltanschauung" dieser auf eine – wie man will – rezeptiv-konsumtive oder ästhetisch-kontemplative Anschauung der Welt abonnierten Schicht. Aber die Unmittelbarkeit des fait positif ist gesellschaftlich erzeugter Schein, ist Ergebnis eines sich selbst verleugnenden, sich selber in Abrede stellenden Vermittlungsprozesses. Die Konkretheit der Phänomene ist kaschierendes Resultat und symptomatischer Ausdruck eines Abstraktionsprozesses, dessen einziges Ziel es ist, gesellschaftlichen Anspruch auf die Phänomene deren Produzenten in der virtuellen Form ihrer entlohnten Arbeitskraft zu entziehen und den Eignern der Produktionsmittel in der aktuellen Form von Mehrwert, gestaltgewordener Mehrarbeit, zuzueignen, nur damit dieser Anspruch dann den Produzenten als Lohn für weitere und erweiterte Anspruchsenteignungsprozesse zurückerstattet werden kann. Was auf dem Markt erscheint, ist in all seiner Konkretheit Abstraktion von einem Vorgang, der ein nichts als seine eigene Kontinuität und vielmehr Eskalation bezweckendes gesellschaftliches Enteignungsverfahren darstellt und der als dieses Enteignungsverfahren zugleich die konstitutive Bedingung dafür ist, dass auf dem Markt überhaupt etwas in Erscheinung tritt.

Von diesem, in den Phänomenen, die es hervortreibt, von sich selber abstrahierenden Abstraktions- oder Enteignungsverfahren, das nichts anderes ist als der per Lohnarbeit funktionierende industrielle Mehrwertbildungs- oder Kapitalakkumulationsprozess, wollen Feuerbach und seinesgleichen partout nichts wissen. Ihr Widerstand gegen seine Wahrnehmung entspringt dabei nicht primär moralischen oder psychologischen Rücksichten, nicht dem subjektiven Bedürfnis, sich den Genuss der ihnen in falscher Unmittelbarkeit vom Markt zur Verfügung gestellten Phänomene durch die Einsicht in deren kapitale Gestehungskosten und durch das schlechte Gewissen, das solche Einsicht in ihnen wachrufen müsste, nicht verderben zu lassen. Vielmehr hat der Widerstand ganz und gar praktische oder reallogische Gründe und resultiert aus dem objektiven Erfordernis, sich nicht durch die Reflexion auf den hinter der Konkretheit der Phänomene als hinter seiner eigenen resultativen Camouflage steckenden abstrakten Kapitalprozess als heillos widersprüchlich bloßstellen und ad absurdum führen zu lassen. Immerhin propagieren diese Intellektuellen ja ihre auf den fait positif, auf phänomenale Unmittelbarkeit gegründete ästhetisch-konsumtive Existenz als eine Lebensform, das heißt, sie verknüpfen mit dieser Existenz den Anspruch auf ein im Prinzip ebenso allgemeinverbindliches und vorbildliches wie in der Substanz eigenständiges und selbstbestimmtes gesellschaftliches Dasein. Und immerhin richtet sich ja diese Lebensform, auf die sie als auf eine vollgültig alternative Wirklichkeit pochen, wie einerseits gegen alle religionskritisch aufs Korn genommene Verhimmelung irdischer Verhältnisse, so auch und vor allem gegen die sozialkritisch abgewiesene Abstraktheit und falsche Zweckrationalität einer von Egoismus und Gewinnstreben beherrschten bürgerlichen Konkurrenzgesellschaft. Was sonst aber ist diese konkurrenzgesellschaftliche Abstraktheit und Zweckrationalität, die sie im Namen ihrer Lebensform abweisen, als die soziale Außenseite oder phänomenale Oberfläche des politisch-ökonomischen Kernprozesses, der kapitaler Verwertungs- und realer Ausbeutungsvorgang ist und den die bürgerliche Gesellschaft konstituierenden Rahmen aller Subsistenzmittelerzeugung und arbeitsbestimmten Reproduktionstätigkeit bildet. Und dieser abstrakt-zweckrationale, kapitale Prozess – was sonst ist er als der Waren im Überfluss produzierende und auf dem Markt zur Verfügung stellende industrielle Produktionsvorgang, mithin die Bedingung der Wirklichkeit jener ästhetisch-konsumtiven Existenz, auf die als auf eine alternative Lebensform Feuerbach und seinesgleichen pochen.

So gesehen, liegt der fundamentale Unsinn oder vielmehr kapitale Widerspruch, in den diese linksliberalen bürgerlichen Intellektuellen sich verstricken, auf der Hand. Gegen die "zweckrationale", sprich, kapitalistische Orientierung der bürgerlichen Gesellschaft propagieren sie eine reformgesellschaftliche Perspektive und alternative Lebensform, die in Wahrheit Folgeerscheinung und abhängige Funktion jener "zweckrationalen" Orientierung ist, die sie angeblich ersetzen und von der sie die Gesellschaft heilen soll. Weit entfernt davon, dass die positive Konkretheit und erscheinende Unmittelbarkeit des irdisch-sinnlichen, "materialistischen" fait positif, auf den Feuerbach baut und den er als die Grundlage eines gründlich reformierten Lebens behauptet, eine wirkliche Alternative zur abstrakten Negativität und erscheinungsfeindlichen Vermittlungslogik des kapitalen Verwertungsprozesses darstellte, gegen den sie ausgespielt wird, ist diese Konkretheit abstrakt und diese Unmittelbarkeit falsch in dem Sinn, wie der beides simulierende fait positif sich bei genauerem Hinsehen als die auf dem Markt erscheinende Ware, mithin als eine durch Verleugnung ihres prozessualen Moments und Mittelcharakters in Erscheinung tretende Setzung oder Ausfällung nur und ausschließlich des kapitalen Verwertungsprozesses selbst erweist. Wie könnte Feuerbach, ohne seinen in der bildungsbürgerlichen Konsumentenexistenz gründenden ästhetisch-materialistischen Lebensformanspruch aufzugeben, diesem abstrakten Grund der von ihm gepriesenen Konkretion, diesem kapitalen Vermittlungsprozess hinter dem phänomenalen Unmittelbaren ins Auge schauen? Wie könnte er beides in Anspruch nehmen: die Anschauung des fait positif der sich gleichermaßen genetisch und logisch als unmittelbar behauptenden Markterscheinung, auf dem die Lebensform aufbaut, und den Begriff der ebenso erscheinungsnegativen wie erscheinungssetzenden Vermittlungsbewegung, die den Schein solcher Positivität erzeugt, um hinter dieser Maske das kapitale Macht- und Akkumulationsinteresse durchzusetzen, dem sie ins Unendliche reproduktiv dient und das sich leerlaufreaktiv in ihr befriedigt? Was Wunder, dass Feuerbach, da tertium non datur, sich für das Konkrete, den fait positif entscheidet und alles daransetzt, die abstrakte Kapitalbewegung, die sich als die den fait positif setzende, den Schein eines unmittelbaren Konkreten erzeugende Macht dahinter verbirgt, in dieser Verborgenheit zu belassen und vom Bewusstsein fernzuhalten!

Es ist dieses logisch-praktische Verleugnungs- und Abwehrinteresse, das ihn dazu bringt, auch und vor allem gegen jede Form der religiösen Heteronomisierung säkularer Verhältnisse, der "Verhimmelung" irdischen Lebens vom Leder zu ziehen. Stein des Anstoßes ist die offenkundige Parallele, die das von ihm verteufelte religiöse Vorstellen zu der von ihm verdrängten politisch-ökonomischen Reflexion aufweist, ist dies, dass sich das religiöse Vorstellen bereit findet, den fait positif der diesseitig-konkreten Existenz zum Mittel und Durchgangsmoment eines jenseitig-abstrakten Zwecks und höheren Ziels zu erklären, das materiell-sinnliche Geschehen zum Symbol und Ausdrucksorgan einer spirituell-übersinnlichen Bewegung zu degradieren und damit jene Figur zu beschreiben, die auch die politisch-ökonomische Reflexion vollziehen muss, wenn sie dem abstrakt-gesellschaftlichen Interesse im konkret-gegenständlichen Sinnenschein, dem kapitalen Vermittlungsprozess hinter dem phänomenalen Unmittelbaren auf die Spur kommen will. Weil das religiöse Vorstellen der formalen Figur und intentionalen Orientierung nach jene das Konkrete als zeitweilige Hypostase eines durchgängigen Abstrakten, das Unmittelbare als das exoterische Mittel einer esoterischen Vermittlung, das immanente Dasein als die vergängliche Hülle eines transzendenten Begriffs erweisende Reflexionsbewegung vollzieht, die als die politisch-ökonomische Wahrheit jedes Positivismus der als ästhetischer Materialist firmierende bildungsbürgerliche Konsument fürchtet und hasst wie nur irgendein Hochstapler den Offenbarungseid, entlädt sich Feuerbachs Zorn gegen dies religiöse Vorstellen als gegen einen Ersatzausdruck, einen symptomatischen Repräsentanten des Verpönten und aus allem Bewusstsein Verdrängten. An der religiösen Transzendierung des Gegebenen ficht Feuerbach stellvertretend jenen Kampf aus, der seiner allgemeinsten, vom Comteschen Positivismus in die Welt gesetzten Devise nach Kampf gegen die Metaphysik, gegen die auf letzte Ursachen zielende Hinterfragung des fait positif und seiner Physik ist und dessen gesellschaftlicher Sinn der im Interesse einer Aufrechterhaltung der bildungsbürgerlichen Konsumexistenz als vorgeblich eigenständiger Lebensform geleistete Verzicht auf die Wahrnehmung der diese Konsumexistenz in Wahrheit als abhängige Funktion und systematische Begleiterscheinung ihrer Wirksamkeit hervortreibenden industriekapitalistischen Ausbeutungspraxis ist.

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