XIV.

Damit aber ist der kritischen Distanz zur industriekapitalistisch bürgerlichen Gesellschaft, deren sich das Bildungsbürgertum durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch, angefangen von Schillers Reserve gegenüber dem "Notstaat" bis hin zu Nietzsches Ressentiment gegen das Philistertum, befleißigt, der Boden entzogen. Diesen Boden bildet ja eine Erscheinungswelt, die hinlänglich vom abstrakten Wertbildungsprozess des Kapitals abstrahierbar ist und hinlänglich dem Pandämonium konkurrierender Verwertungsinteressen entzogen erscheint, um sich auf sie als von geschichtlichen Bestimmungen freies naturhaft-unmittelbares Positivum und der gesellschaftlichen Vermittlung bares anthropologisch-sinnliches Konkretum berufen zu können. In den industriekapitalistischen Ausbeutungsprozess weder als Lohnarbeiter noch als Unternehmer einbezogen und dennoch mit genug Wertäquivalent versehen, um freien und privilegierten Zugang zu der vom Kapital auf dem Markt in Szene gesetzten Erscheinungswelt zu haben, können die zum Bildungsbürgertum formierten bürgerlichen Intellektuellen des 19. Jahrhunderts in dieser phänomenalen Welt etwas umstandslos Gegebenes, hintergrundslos Verfügbares sehen, das denkbar gut geeignet ist, der unter der Flagge von Bildung und Humanität kultivierten ästhetisch alternativen Lebensform, zu der ihre Distanz gegenüber der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft sich artikuliert, den nötigen Nährboden und Entfaltungsraum zu bieten. Ob es sich um das schöne Humanum Schillers, um die interesselose Kunstbetrachtung Schopenhauers, um den Feuerbachschen kontemplativen Materialismus, um das L'art pur l'art-Virtuosentum Nietzsches handelt – all diese gegen das Konkurrenzdenken und die abstrakte Instrumentalität der bürgerlichen Gesellschaft aufgebotenen ästhetischen Gegenvorstellungen und alternativen Ideale stehen und fallen mit der von der Objektivität ausstrahlenden Suggestion beziehungsweise dem auf die Realität projizierbaren Anschein umstandsloser Positivität und unmittelbarer Konkretheit.

Damit ist es in der Massenkonsumgesellschaft des 20. Jahrhunderts ein für allemal vorbei: Die Erscheinungen geben sich offen als Manifestationen jenes anderen, das ihr Wesen ausmacht, nämlich als Kapitalerscheinungen, als gesetzte Momente des industriekapitalistischen Verwertungsprozesses, als zirkulationssüchtige Wertträger, als Konsumartikel im janusköpfigen Sinn eines ebenso sehr auf die Realisierung ihres abstrakt-gesellschaftlichen Werts wie auf die Nutzung ihrer konkret-natürlichen Beschaffenheit abgezielten Verzehrs zu erkennen. Wie sollte mit Erscheinungen, denen ihr Kapitalverwertungszweck so offenkundig als primäres Interesse auf die Stirn geschrieben steht, noch eine Lebensform sich begründen lassen, die, gleichgültig, ob sie avantgardistisch Vorbildfunktion beansprucht und Reformansprüche erhebt oder sich elitär in der Vorzeigerolle erschöpft und einem virtuosen L'art-pour-l'art-Stil huldigt, sich doch aber jedenfalls als kritische Alternative zu der vom kapitalistischen Verwertungsinteresse beherrschten Existenzweise des industriekapitalistischen Bourgeois versteht und inszeniert. Sich von der abstrakten Instrumentalität der industriekapitalistischen Verwertungsperspektive zu distanzieren und dies kraft einer phänomenalen Realität tun zu müssen, die im Zuge ihrer massenhaften Reproduktion den schönen Schein unmittelbarer Positivität mehr und mehr einbüßt und sich in ihrer nüchternen Wahrheit als gleichermaßen logische Setzung und empirisches Produkt eben jener Verwertungsperspektive zu erkennen gibt, ist eine Haltung, die in ihrem manifesten Selbstwiderspruch sogar den in hermeneutischen Verrenkungen und ideologischen Volten sattsam geübten Bildungsbürger überfordert. An der schwindelerregenden Einsicht, dass seine konsumtiv-rezeptive Wirklichkeit mitsamt dem ästhetisch-kontemplativen Lebensstil, den sie ihm ermöglicht, exakt der kapitalistischen Mehrwertmaximierungs- oder Ausbeutungspraxis entspringt, gegen die er sie kritisch geltend macht und als Alternative aufbietet – an dieser Einsicht scheint für den Bildungsbürger angesichts der konsumgesellschaftlichen Offenlegung der jene Wirklichkeit konstituierenden zirkulativen Bedeutung und sie als ihr eigenes Wesen durchdringenden Wertrealisierungsintention kein Weg vorbeizuführen.

So gesehen, scheint ihm auch gar nichts anderes übrig zu bleiben, als in der Entwertung und Zerstörung der phänomenalen Unmittelbarkeit und sensualistischen Konkretheit jener Wirklichkeit durch den Massenkonsum die Götzendämmerung all seiner vermeintlich alternativen Lebensform-Modelle zur Kenntnis zu nehmen. Es scheint ihm nichts anderes übrig zu bleiben, als seinen Anspruch auf ein modellhaftes Sein jenseits der politisch-ökonomischen Auseinandersetzungen der bürgerlichen Gesellschaft für eine Erschleichung, seine im Zeichen der Schönheit und im Namen der Humanität gegen die Abstraktheit und Konkurrenzhaftigkeit der eigenen Klasse sich verwahrende soziale Existenz für getürkt zu erkennen. Es scheint ihm, mit anderen Worten, keine andere Wahl zu bleiben, als die durchs ganze 19. Jahrhundert hindurch qua Ästhetik von ihm geltend gemachte metakritische Distanz und quasi-politische Alternative zum industriekapitalistischen Gesellschaftssystem der eigenen Klasse als schlichte Lebenslüge ad acta zu legen und sich der nüchternen Wahrheit seiner primären Nutznießerfunktion oder Schmarotzerrolle im Rahmen dieses ästhetisch kritisierten oder idealistisch transzendierten Systems zu stellen.

Oder vielmehr bliebe dem Bildungsbürgertum nichts anderes übrig, wäre da nicht noch die Möglichkeit, die vom kapitalen Offenbarungseid bedrohte Erscheinungswelt, in der die ästhetische Lebensform gründet, durch jene ebenso offensive wie wahnhafte Gegenstrategie zu verteidigen und zu behaupten, die unter dem Namen Phänomenologie firmiert. Diese Möglichkeit nimmt das Bildungsbürgertum, das die obige Konsequenz partout nicht ziehen und sich dem illusorischen Charakter seiner ästhetischen Lebensform um keinen Preis stellen will, begierig wahr. Offensiv ist die qua Phänomenologie vorgetragene Gegenstrategie insofern, als sie sich nicht länger damit begnügt, das als abstrakter Wertrealisierungsbezug in und hinter den Erscheinungen lauernde kapitale Wesen einfach wie bisher zu verleugnen und demgegenüber an den Erscheinungen als unverändert sinnenfälliger Konkretheit und unmittelbarer Positivität festzuhalten – eben das lässt ja die im Massenkonsum die Phänomene zur Kenntlichkeit ihrer Warenexistenz entstellende Dominanz und Evidenz der Wertrealisierungsrücksicht schlechterdings nicht mehr zu. Und wahnhaft ist die Gegenstrategie insofern, als sie, um die Erscheinungen gegen ihre als Heteronomisierung erfahrene Identifizierung durch das kapitale Wesen offensiv zu behaupten und als Gebilde eigenen Rechts oder als Kreationen sui generis geltend zu machen, sich partout keinen anderen Rat weiß, als das kapitale Wesen vexierbildlich zu verdoppeln und in der veränderten Form eines den Erscheinungen als solchen immanenten und aus der eigenen Realität heraus Halt gebenden ontologischen Selbstbezugs gegen sich selbst ins Feld zu führen. Gegen sich selbst – das heißt, gegen die empiriologische Gestalt einer die Erscheinungen als solche transzendierenden und ihnen um der eigenen Realisierung willen den Boden entziehenden gesellschaftlichen Fremdbestimmung, in der das kapitale Wesen sich in Wirklichkeit an den Erscheinungen geltend macht!

Aber vielmehr ist, da dies einer dezisionistisch-intuitiven Umdeutung oder objektivistisch-unvermittelten Umfunktionierung der empirologisch negativen Fremdbestimmung in einen ontologisch positiven Selbstbezug gleichkommt und darin das Wahnhafte des Verfahrens besteht, die vexierbildliche Verdoppelung des kapitalen Wesens eher ein Fall von eskamotierender Ersetzung, die phänomenologische Entgegensetzung eher eine – nach dem Muster, das nicht zufällig gerade damals qua Psychoanalyse theoretische Schule macht, verlaufende – Verdrängung der Empirie und Wiederkehr des Verdrängten in wunschgemäß veränderter oder intentional entstellter Form. Konfrontiert mit der Gefahr, die Erscheinungen in ihrer durch das kapitale Wesen bedingten massenkonsumtiven Haltlosigkeit oder zirkulativ-abstrakten Wertträgerrolle wahrnehmen zu müssen, übt der Phänomenologe Epoché, sieht er radikal von dieser die Erscheinungen als ihr politisch-ökonomisches Wesen, ihre gesellschaftliche Wahrheit heimsuchenden kapitalen Fremdbestimmung ab und fasst sie rein als solche, als unmittelbar phänomenale Gebilde ins Auge. Um aber die Erscheinung als solche überhaupt im Blick behalten und gegen ihr sie als solche unmittelbar widerlegendes kapitales Wesen behaupten zu können, muss er für dies ausgeschlossene kapitale Wesen durch den Einschluss eines ihm vexierbildlich korrespondierenden phänomenalen Wesens quasi Ersatz schaffen, muss er im standrechtlich kurzen Prozess das empiriologische Heteros, das er per Epoché aus den Erscheinungen verdrängt, in den Erscheinungen selbst als deren eigentümlichen, ontologischen Logos reproduzieren, die Realisierung des kapitalen Werts der Erscheinungen, ihre tatsächliche Beziehung auf die negative Identität, die als solche ihren Bestand ausmacht, durch die Reflexion auf ein phänomenales Selbst der Erscheinungen, durch den vorgeblichen Bezug auf ein positives Sein, das ihnen als solchen Bestand verleiht, substituieren. Weil unter Massenkonsumbedingungen die Erscheinungen die Bewegung ihrer als Verwesentlichung wohlverstandenen Wertrealisierung quasi im Reflex anzustreben und im selbstzerstörerischen Automatismus zu vollziehen tendieren, muss der Phänomenologe, um sie als solche behaupten zu können, diese negative Bewegung per Epoché unterbinden und durch eine als Reflexion-in-sich angestrengte Verwesentlichung gegensinniger Art, durch die Rückführung der Erscheinungen auf das ontologische Substrat, das sie angeblich in sich bergen und als ihre Sichselbstgleichheit positiv reklamieren, ersetzen. Jeden realen oder objektspezifischen Reflex der Erscheinungen, sich in ihre heteronome Wahrheit, in kapitalen Wert sans phrase, zu überführen, muss er mit einer intentionalen oder subjektentsprungenen Reflexion beantworten, die darauf zielt, den Erscheinungen ihren autogenen Bezug, ihr phänomenales Sein in Reinkultur nachzuweisen.

Demnach nicht als Gegeninstanz gegen das empiriologisch-kapitale Wesen und als Alternative zu ihm führt der Phänomenologe das ontologisch-phänomenale Wesen, das er beschwört, ins Feld, sondern an seiner Statt und als Substitut für es setzt er es ins Szene. Wogegen er das inszenierte Ontologikum aber sehr wohl ins Feld führt, das sind die massenkonsumtiven Formen des Umgangs mit den Erscheinungen, die als symptomatische Konsequenzen des empiriologischen Grundverhältnisses, als subjektive Reaktionsweisen auf die Objektivität des kapitalen Wesens von diesem – durch das wahnhafte Sein des Phänomenologen eskamotierten – Wesen allemal noch und im Übermaß Zeugnis ablegen. Sosehr auch durch den phänomenalen Logos der Erscheinungen, durch die ihnen intentional unterstellte ontologische Idee das kapitale Wesen selbst in seiner empiriologisch primären Gestalt aus dem Blickfeld geschafft und kraft angestrengter ständiger phänomenologischer Reflexion auf Distanz oder vielmehr unter Epoché-Verschluss gehalten werden mag – die sekundären Ausdrucksformen des kapitalen Wesens, die als subjektives Pendant zum objektiven Wertrealisierungsanspruch praktizierten Formen zwanghafter Bedürfnisbefriedigung und massenhaften Konsums bleiben als herrschende gesellschaftliche Verhaltensweisen gegenüber den Erscheinungen nur allzu sichtbar und universal erfahrbar und drohen die Erscheinungswelt, die der Phänomenologe auf jenen ontologischen Selbstbezug einzuschwören und dadurch zu stabilisieren sucht, ständig neu in den Konkurs der kapitalen Fremdbestimmung hineinzutreiben, die sich in ihnen ausdrückt und deren subjektive Funktion sie sind. Tatsächlich stellt sich so das ontologische Unternehmen des Phänomenologen, seine Beschwörung des phänomenalen Kerns oder idealischen Seins der Erscheinungen als ein ununterbrochener Kampf gegen die symptomatisch privativen Entstellungen oder subjektivistisch konsumtiven Vereinnahmungen dar, in denen die kapitale Heteronomisierung der Erscheinungen – wie sehr sie sich auch als solche durch Epoché verdrängt und kraft reflexiver Intentionalität in phänomenale Sichselbstgleichheit umgemünzt darbieten mag – empirisch immer neue Geltung gewinnt und ihre alle vorgebliche Objektivität der Erscheinungen, allen Anspruch auf einen autonomen Logos der Phänomene Lügen strafenden Urständ feiert.

Zurück zu den Sachen selbst, hin zur reinen Objektivität der Erscheinungen, zu ihrem von allem Fremdcharakter gereinigten phänomenalen Sein, propagiert der Stifter des phänomenologischen Wahns, Husserl, und was er damit meint, sind nicht etwa die Erscheinungen in der unreflektierten Unmittelbarkeit, der abstrakten Konkretheit, der bodenlosen Positivität, in der das 19. Jahrhundert sie behauptet, sondern ist die epochal, durch äußerste Konzentration, zu gewahrende Seinsmacht der Phänomene, die intentional, durch angestrengteste Reflexion, zu erfassende Sinneinheit in den Erscheinungen, die als der den Erscheinungen ebenso sehr eingeborene wie von ihnen epiphanisch unterscheidbare Logos nichts anderes darstellt als ihre wahnhaft in einen Selbstbezug umgebogene kapitale Fremdbestimmung, ihr aus einem empiriologisch-transzendenten, negativen Bezugspunkt in einen ontologisch-immanenten, positiven Reflexionspunkt umgemünztes Wesen. Und diesen hypostasiert phänomenalen Selbstbezug, diese gegen die heteronome Transzendenz vexierbildlich aufgebotene autogene Immanenz führt also Husserl gegen alle Formen der konsumtiven Vereinnahmung der Erscheinungen durch die Subjektivität ins Feld, gegen jeglichen Psychologismus, Empirismus, Relativismus, mithin gegen jeden Anspruch von Seiten des Subjekts, die Erscheinungen als Objekte des persönlichen Dafürhaltens, des psychischen Auffassens, des physischen Wahrnehmens, kurz, als Dinge des leiblich-seelischen Bedürfens und Erlebens zu okkupieren. Nicht als Sache des Subjekts, als Projektionsfläche sinnlich-unmittelbarer Bedürfnisse und empirisch-konkreter Interessen, sondern vielmehr als die objektive Sache selbst, als Realisierungsebene sinnvoll-immanenter Beziehungen und logisch-reflektierter Bestimmungen will der Phänomenologe die Erscheinungen hochhalten und zur Geltung bringen. Was dem ästhetisch-materialistischen Erscheinungskult des 19. Jahrhunderts das Non plus ultra erfüllter Humanität war, nämlich die Durchdringung der als fait positif, als unmittelbare Natur gegebenen Phänomene mit sinnlichem Anspruch, empirischem Zweck, psychologischem Begehren, kurz, subjektivem Sinn, gilt dem zu Anfang des 20. Jahrhunderts die bildungsbürgerliche Bühne besteigenden Phänomenologen als Sündenfall par excellence, als Sünde wider den Geist der phänomenalen Objektivität, wider die Existenz der Erscheinungen rein als solcher und in ihrem idealiter eigenen Logos.

Der Grund für diesen ästhetischen Sinneswandel, diese Orientierung weg vom empiriologisch ungestörten Genuss der Erscheinungen hin zu ihrer phänomenologisch ungetrübten Schau liegt auf der Hand: Eben die positivistische Unmittelbarkeit und sensualistische Konkretheit, die dem Bildungsbürgertum des 19. Jahrhunderts als Ausweis einer zur Abstraktheit und Konkurrenzhaftigkeit des bürgerlichen Kapitalismus kritische Distanz wahrenden alternativen Lebensform gilt, zeigt sich mit dem im 20. Jahrhundert aufkommenden Massenkonsum in die distanzlose Aggressivität und den fetischistischen Konkretismus eines arbeitsförmig organisierten Konsumverhaltens umfunktioniert, das, weit entfernt davon, die phänomenale Welt zu stützen und zu kultivieren, sich vielmehr als ein zwanghafter Erscheinungsvertilgungsprozess darbietet und nämlich als subjektives Pendant zu jenem qua Wertrealisierungsrücksicht die Erscheinungen durchdringenden allgegenwärtigen Kapitalinteresse fungiert, das den letzteren nunmehr jeden – ursprünglich ja von ihm selbst erzeugten – Schein konkreter Unmittelbarkeit und positiver Eigenständigkeit verschlägt und sie zu immer manipulativer inszenierten Setzungen und immer haltloser verschwindenden Momenten ihres als kapitaler Wert sich durch sie hindurch unablässig reproduzierenden negativen Wesens deklassiert. Um die Erscheinungen dennoch als von der kapitalistischen Verwertungslogik unabhängige, als vom politisch-ökonomischen Ausbeutungszusammenhang der Gesellschaft ablösbare Gegebenheiten, mithin als Kreationen sui generis behaupten und die auf ihnen aufbauende ästhetisch-alternative Lebensform retten zu können, entzieht der Phänomenologe sie deshalb per Epoché dem Konkurs jenes als subjektives Pendant zur objektiven Wertrealisierung fungierenden Bedürfnis- und Konsumzwangs, den er unter den Pseudonymen Psychologismus, Empirismus, Relativismus meint und brandmarkt, und unterwirft sie einem als logische Selbstfindungsaktion zelebrierten ontologischen Neubegründungsverfahren, dessen wahnhafte Pointe darin liegt, dass es als idealiter erscheinungsbegründende Macht ein vexierbildliches Double dessen beschwört, was realiter die Erscheinungen untergräbt und in den Konkurs treibt, dass es also das phänomenologisch-positive Sein dem empiriologisch-negativen Wesen der Erscheinungen nachbildet, ihren angeblichen phänomenalen Selbstbezug als spontanes Nachbild ihrer tatsächlichen kapitalen Fremdbestimmung inszeniert. Gegen die Entwertung der Erscheinungen zu flüchtigen Masken oder Durchgangsmomenten eines heteronom-transzendenten Kapitalverhältnisses, wie sie in der Deklassierung sinnlicher Positivität zur Negativität eines konsumtiven Potlatch ihren subjektiven Ausdruck findet, setzt die Phänomenologie einen als autogen-immanentes Kapital konzipierten phänomenalen Logos, der den Erscheinungen ihren Selbstbezug, ihre ontologische Haltbarkeit und Objektivität zurückerstatten soll. Dass die so durch das Wahngebilde eines wertförmig immanenten Logos, eines kapitalartig autogenen Bestimmungsgrunds konsolidierten und in ihrer Eigenständigkeit "geretteten" Erscheinungen kein Gegenstand sinnlichen Genusses und ästhetischer Erfahrung mehr sein können, liegt auf der Hand.

Dies ist der Preis, den der Phänomenologe dem Bildungsbürgertum, seinesgleichen, für die phänomenologische Rettung der Erscheinungswelt abverlangt: Um sie als alternative Wirklichkeit, als kontemplative Sphäre, als Objekt einer eigenständigen phänomenologischen Schau, systematischen Erkenntnis und absoluten Erfahrung behaupten zu können, dankt er die Erscheinungen als alternativen Lebenszusammenhang, als konsumtives Gut, als Gegenstand eines subjektdienlichen psychologischen Wahrnehmens, empirischen Erlebens und relativen Genießens ab. Weil alle konkrete Sinnlichkeit oder konsumtive Unmittelbarkeit sich unter Bedingungen des Massenkonsums als ein im Dienste der Wertrealisierung stehender frontaler Angriff auf die Erscheinungswelt, als ein die Phänomene heteronomisierender und destruierender Zugriff herausstellt, nimmt der Phänomenologe Abstand von der bis dahin kultivierten und wie immer ästhetisch sublimierten konsumtiv-sinnlichen Haltung des Bildungsbürgertums und ersetzt den psychologischen Subjektivismus des 19. Jahrhunderts durch den ontologischen Objektivismus Husserlscher Prägung, lässt an die Stelle der genussvoll-ästhetischen eine vielmehr rigid-logische Kontemplation, an die Stelle des positivistischen Erscheinungskults einen idealistischen Wesenszauber treten. Der Phänomenologe stilisiert sich als der Hohepriester der Erscheinung, der seine Aufgabe darein setzt, in aller logischen Strenge und ontologischen Ernsthaftigkeit über die Sichselbstgleichheit der Erscheinung, ihr phänomenales Wesen zu wachen. Der herrschende laizistisch-profane, von psychologischen Bedürfnissen, empirischen Interessen, relativen Rücksichten bestimmte Umgang mit den Erscheinungen ist durch diese priesterlich-sakrale Sorge um sie in ihrer Reinkultur zwar beileibe nicht ausgeschlossen und tatsächlich nicht einmal eingeschränkt, wohl aber in der Uneigentlichkeit und halb von Notdurft, halb von Zügellosigkeit geprägten Kleingeistigkeit eines Subjektivismus bloßgestellt, den nur die priesterliche Profession und sakrale Intention des Phänomenologen davor bewahrt, in haltloser Konsumtionswut und Genusssucht das zu verspielen und zugrunde zu richten, was einst Basis der qua Ästhetik propagierten bildungsbürgerlich-alternativen Lebensform war.

Oder eigentlich bewahrt das phänomenologische Hohepriestertum den massenkonsumtiven Subjektivismus gar nicht davor, so erscheinungsverzehrend und seinsvergessen zu sein, wie er ist, sondern es beansprucht höchstens und nur, jene phänomenale Basis der bildungsbürgerlich alternativen Lebensform davor zu bewahren, der Auszehrung und dem Vergessen anheim zu fallen, die der massenkonsumtive Subjektivismus für sie bereithält. Und diesen Anspruch auf Bewahrung der phänomenalen Basis der alternativ-ästhetischen Lebensform des Bildungsbürgertums des 19. Jahrhunderts erhebt das phänomenologische Hohepriestertum nicht, weil es die alternativ-ästhetische Lebensform als solche wieder zur Geltung zu bringen und ins Werk zu setzen hofft – sie ist ja in dem als subjektiver Ausdruck des kapitalen Wertrealisierungsgeschäfts firmierenden Massenkonsum gerade ein für allemal in Konkurs gegangen oder, besser gesagt, vor ihren Offenbarungseid gekommen. Vielmehr erhebt das phänomenologische Hohepriestertum den Anspruch auf Bewahrung jener phänomenalen Basis, um der alternativen Lebensform in eben dieser Bewahrfunktion einen neuen Inhalt und Sinn nachzuweisen. Was auf den ersten Blick nur eine Veranstaltung scheint, der alten bildungsbürgerlichen Lebensform ihre phänomenale Bedingung der Möglichkeit zu erhalten, ist so bei genauerem Hinsehen eine veritable Neubegründung und Neubestimmung der bildungsbürgerlichen Lebensform selbst, die hiernach in nichts weiter als in diesem, die Bedingung der Möglichkeit ihrer selbst konservierenden Tun mehr bestehen soll.

So wahnsinnig diese für die Phänomenologie konstitutive Figur einer Verflüchtigung der Erscheinungen zur Bedingung der Möglichkeit einer Wahrnehmung des ihnen immanenten Logos oder eigenen phänomenalen Wesens und einer korrespondierenden Reduktion allen qua alternative Lebensform intendierten wirklichen Verhältnisses zu den Erscheinungen auf jene logisch-wesenhafte Wahrnehmungsleistung anmuten mag – sie ist tatsächlich nur konsequente Fortsetzung und logische Vollendung des Wahns, dem die Phänomenologie von Anfang an dadurch huldigt, dass sie die Erhaltung der Phänomenalität als solcher, die Bewahrung der durch keine Kapitalrücksicht heteronomisierten Erscheinung in Reinkultur ausgerechnet einem Vexierbild der Kapitalrücksicht selbst, nämlich einem zur Garantiemacht phänomenaler Sichselbstgleichheit umgedichteten erscheinungsimmanenten Wesen und ontologischen Objektiv überträgt und anvertraut. Indem der Phänomenologe durch diesen vorgeblich autogenen Logos der Erscheinungen deren tatsächliches kapitales Wesen kurzerhand ersetzt und verdrängt und alle Heteronomisierung der Erscheinungen durch das kapitale Wesen nurmehr in der als subjektives Pendant oder sekundäre Funktion des letzteren wirksamen und unter den Decknamen Psychologismus, Empirismus, Relativismus angeprangerten Form eines massenkonsumtiv-privativen Umgangs mit den Erscheinungen wahrnimmt und verwirft, sichert er die Phänomenalität eigentlich nur in der Weise, dass er die primäre Heteronomisierung und vielmehr originäre Identifizierung der Erscheinungen durch das kapitale Wesen mittels Beseitigung ihrer im konsumtiven Verhalten bestehenden sekundären Funktionen oder subjektiven Ausführungsbestimmungen aller sie als Wertrealisierung, als Umsetzung von materialem Schein in realen Wert nachvollziehbar machenden Prozessförmigkeit beraubt und als ebenso unvermittelte wie spontane Entscheidung der Erscheinungen selbst für das dadurch in ihren selbstbezüglichen Reflexionspunkt verkehrte Heteros, als ebenso intuitive wie immanente Preisgabe der Erscheinungen an das dadurch zum eigenen Logos oder phänomenalen Sein verklärte kapitale Wesen ausgibt.

Ein und dieselbe von ihnen als Fremdbestimmung erfahrene äußere Zwangsidentifizierung, der die Erscheinungen kraft eines zum Massenkonsum durchschlagenden allgegenwärtigen Wertrealisierungsanspruchs empirisch-nachweislich verfallen, lässt der Phänomenologe die Erscheinungen kurzschlüssig-ontologisch von sich aus und im quasi spontanen Reflex vorwegnehmen und als für ihr phänomenales Sosein wesentliches inneres Selbstfindungsereignis vollziehen und kehrt auf diese Weise, was sonst eine mit Konnotationen der Entäußerung und des Selbstverlustes befrachtete Bewegung wäre, in eine Selbstbehauptungsmotion, einen Akt konversionshaften Zusichkommens um. Kurz, er wappnet die Erscheinungen gegen ihre Heteronomisierung dadurch, dass er sie antizipatorisch zum Heteros überlaufen, vor ihm als vor ihrem wohlverstanden eigenen Schicksal kapitulieren, mit ihm als mit ihrem haltgebend internalisierten Aggressor sich identifizieren lässt. Und so gesehen, besteht denn auch das Vexierbildliche des von der Phänomenologie als phänomeneigener Logos oder selbstbezügliches Sein vereinnahmten kapitalen Wesens eigentlich nur darin, dass es nicht erst in seiner empiriologisch realen Gestalt als Geldwert die Erscheinungen seiner selbst überführt und als von ihm negiertes, zu ihm aufgehobenes und in ihm verschwindendes Moment sich einverleibt, sondern dass die Erscheinungen ihrerseits vorweg und aus freien Stücken zu ihm sich bekennen, um ihm in der halluzinatorisch idealen Figur eines ihnen als solchen Geltung verleihenden und Währung gewährenden kristallinen Kerns sich zu assimilieren und als seine nurmehr vom Gefühl ihres inneren Wertes erfüllte Epiphanie oder von nichts als von der kristallinen Struktur, die sie bezeugen, geprägte Versteinerung zu überdauern.

Wie sollten wohl die so durch plane Identifikation mit ihrem Aggressor konsolidierten, durch schiere Umarmungstaktik gegenüber dem, was sie negiert, reaffirmierten Erscheinungen bildungsbürgerlicher Dependenz noch irgend dazu taugen, die alte ästhetische Lebensform, die in ihnen gründete und aus ihnen sich speiste, zu kontinuieren? Wie sollten sie, die nach dem Willen ihres phänomenologischen Erretters und Erhalters alle frühere anschaulich-prospektive Positivität und Konkretheit gegen eine wahnhaft-projektive Idealität und Sinnhaftigkeit, schiere phänomenale Wertförmigkeit, eingetauscht haben, noch einen über die logische Sichselbstgleichheit und reflexive Haltbarkeit, die sie versprechen, hinausgehenden ästhetischen Genuss und kontemplativen Lustgewinn gewähren können? Somit reduziert sich die Lebensform, die jene phänomenologisch konsolidierten Erscheinungen begründen, auf die tautologisch in sich verlaufende Figur noch einmal nur dieses in der logischen Konsolidierung und reflexiven Bewahrung seiner eigenen phänomenalen Bedingung der Möglichkeit sich erschöpfenden hohepriesterlich-phänomenologischen Wirkens. Was diese auf die wahnhafte Erhaltung der Bedingung ihrer eigenen Möglichkeit reduzierte Lebensform, diese hohepriesterlich in sich kreisende Selbstbehauptungsfigur des von der Massenkonsumgesellschaft in die Ecke getriebenen Bildungsbürgertums davor schützt, schiere Tautologie zu sein, ist am Ende nur der soziale Sinn, den sie bei aller materialen Gegenstandslosigkeit immerhin behält, ist, mit anderen Worten, dies, dass sie denen, die sich auf sie versteifen, den Klassenerhalt sichert. Mag die Lebensform, die der Phänomenologe Husserlscher Prägung dadurch zu gewährleisten sucht, dass er die Erscheinungswelt, an die sie sich knüpft, einer vexierbildlichen Neubegründung durch eine in phänomenalen Idealismus umgedichtete Kapitalmetaphysik unterzieht – mag diese Lebensform noch so sehr in Logizität und Reflexivität sich erschöpfen und aller ästhetischen Qualitäten, aller leiblich-seelischen Befriedigungsversprechen ermangeln, mag sie, wie Husserl eindrücklich vorführt, noch so sehr den von Sinnenfreude oder Lust am Erscheinen denkbar weit entfernten prozeduralen Bierernst des Bürokraten oder formelhaften Ordnungszwang des Kontoristen atmen oder vielmehr rasselnd bekunden, sie beansprucht jedenfalls das mit ihr als kritischer Alternative und paradigmatischer Perspektive seit jeher verknüpfte soziale Prestige und Privileg auf bildungsbürgerliche Distinktion, und in dieser statussichernden Funktion besteht am Ende ihr einziger nachweislicher Sinn.

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