XVI.

Wie die seinsaffirmative Hermeneutik klammert sich demnach auch der seinskritische Existenzialismus insgeheim an die von der Phänomenologie beschworene Schimäre einer nicht mehr sowohl als Medium ästhetisch-vorbildlicher Befriedigung, sondern als Mittel idealisch-elitärer Selbstbestätigung reklamierten Erscheinungswelt. Und wie die Hermeneutik um ihres Festhaltens am fait positif der Erscheinungswelt willen in Kauf nimmt, dass sich ihr deren als Fundament angenommenes ontologisches Substrat, das Sein, zu einem archaisierenden, ursprungsmythischen Konstrukt, zum Sinn, verflüchtigt, so bezahlt der Existenzialismus, der von solchem Sein nichts mehr wissen will und es aufklärerisch für nichts erklärt, seinen phänomenalen Klammerreflex damit, dass er die aufklärerische Nichtigkeitserfahrung zu einem vom Wiederholungszwang beherrschten existenziellen Widerfahrnis stilisieren und mithin allen Aufklärungswert einer reinen traumatischen Erlebnisqualität zum Opfer bringen muss.

Als auseinandergesprengte Bestandstücke der vor den Fall des faschistischen Zusammenbruchs gekommenen Existentialontologie Heideggerschen Zuschnitts legen Hermeneutik und Existenzialismus Zeugnis davon ab, wie zählebig die soziale Interessenlage ist, der die Phänomenologie zu Anfang des 20. Jahrhunderts ihr Entstehen verdankt, und wie wenig darüber hinaus der Zusammenbruch des Faschismus eine wirkliche historische Zäsur darstellt, wie sehr der letztere vielmehr in die von ihm mitnichten unterbrochene, höchstens skandierte Kontinuität der spätkapitalistischen Entwicklung hineingehört. Eine Generation nach Kriegsende kommt es dann aber doch zu einer intellektuellen Neuorientierung, die der Phänomenologie auch und gerade in den epigonalen Versionen, die sie qua Hermeneutik und Existenzialismus behauptet, ein Ende macht. Basis dieser Neuorientierung ist ein Wandel in der Einstellung der bildungsbürgerlichen Intellektuellen gegenüber der massenkonsumgesellschaftlichen Warenwelt und den zwischen Konsumrausch und Konsumzwang changierenden Verhaltensformen, die diese provoziert. In dem Maß, wie im Zuge des Wiederaufbaus nach dem Weltkrieg die massenkonsumgesellschaftliche Warenwelt beispiellose Dimensionen annimmt und die Rolle einer für die westlichen Nachkriegsgesellschaften zentralen und prägenden Institution zu spielen beginnt, hört sie auf, sich im pointierten Gegensatz zu jener als ästhetische Sphäre maß- und beispielgebenden bildungsbürgerlichen Erscheinungswelt darzustellen, die vom ganzen 19. Jahrhundert hochgehalten wird und die zu Anfang des 20. Jahrhunderts die Phänomenologie gegen den aufkommenden Massenkonsum noch einmal unternimmt, als eine wenn auch nicht mehr Genuss versprechende materialästhetische, so immerhin doch Distinktion verheißende ideallogische Totalität zu reaffirmieren.

Als der riesige, gesellschaftsübergreifende Supermarkt, zu dem sie sich entfaltet, verkörpert die massenkonsumgesellschaftliche Warenwelt nicht mehr im Unterschied zur sinnhaften Unmittelbarkeit und suggestiven Sichselbstgleichheit der bildungsbürgerlichen Erscheinungssphäre partout nur den sinnlosen Funktionalismus und die haltlose Heteronomie der durch sie hindurch und in ihrem flüchtigen Medium sich vollziehenden Kapitalbewegung, präsentiert sie sich nicht mehr unbedingt als der Schauplatz und Inbegriff jener objektiven Abstraktions- und Entfremdungsbewegung, in die das kapitale Wesen mit seinem Verwertungsanspruch sie stürzt und deren subjektives Pendant, um nicht zu sagen empirische Ausdrucksform, das Potlatch der Massenkonsumsphäre, die konsumtive Vereinnahmung und Vertilgung des ungeheuren Warenangebots auf dem Markt durch ein ebenso diszipliniertes wie euphorisiertes, ein ebenso massiertes wie diversifiziertes Verbraucherverhalten ist. Vielmehr nimmt jetzt auch und gerade in den Augen des Bildungsbürgertums, das bislang noch phänomenologische Distanz zu ihr gewahrt hat, diese Welt des Massenkonsums die Züge einer neutralen condition humaine, die Bedeutung des in der bürgerlichen Gesellschaft allgegenwärtigen und sie als solche geradezu definierenden Normalfalls an. Das heißt, die bildungsbürgerlichen Intellektuellen vollziehen die Aussöhnung mit jener spätkapitalistisch-konsumgesellschaftlichen Realität, die entsteht, weil das Kapital seine kapitale Verwertung in einem mit Hilfe des Staats etablierten magischen Zirkel systematisch an die materiale Versorgung beziehungsweise Überversorgung derer knüpft, die es ausbeutet, weil mit anderen Worten die Ausbeutung der produktiven Arbeit direkt an die Ausbeutung der konsumtiven Bedürfnisse, die Schaffung von mehr Tauschwert durch die Produzenten an die Vertilgung von mehr Gebrauchsgütern durch die Produzenten in ihrer staatlich protegierten Rolle als Konsumenten gekoppelt erscheint – einer Realität, die dadurch bei all ihrer Gesetztheit durch und Bezogenheit auf das kapitale Wesen zugleich doch Leib und Seele der Konsumenten in solchem Maß okkupiert, ihre Sinne und ihren Geist derart fasziniert, sie dermaßen durch das Versprechen vielfältigster Bedürfnisbefriedigung und unabsehbarer Wunscherfüllung verführt, dass selbst der hartgesottenste Bildungsbürger insgeheim nicht mehr einsieht, warum er ihr gegenüber noch eine haltgebend phänomenologische Idealität geltend machen und solche Idealität, theoretisch zumindest, gegen sie ins Feld führen soll, statt unter Preisgabe aller theoretischen Vorbehalte kopfüber in sie hineinzustürzen und im Verein mit allen anderen Wohlstandsbürgern jenen diszipliniert-euphorischen Konsum zu treiben, zu dem im Interesse des mit der kapitalen Wertrealisierung stehenden und fallenden Gemeinwesens jedermann aufgerufen ist.

So gesehen, scheint die Aussöhnung mit der Realität der entfalteten Massenkonsumgesellschaft, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs der Bildungsbürger allmählich vollzieht, und scheint seine damit einhergehende Bereitschaft, den im theoretischen Vorbehalt gegen diese Realität, im phänomenologischen Seinskult, artikulierten Klassenerhalts- und Distinktionsanspruch aufzugeben und sich ins Corpus einer nach Maßgabe der generalisierten Verbraucherfunktion klassenlosen Konsumgemeinschaft einzureihen, einfache Konsequenz der Verführungskraft des ebenso diversifizierten wie massierten Warenangebots der wohlständigen Potlatch-Gesellschaft, wie sie sich in der Nachkriegsrestauration etabliert. Dass dennoch die zum Massenkonsum überlaufenden Bildungsbürger nicht das Gefühl haben, zu kapitulieren und ihre über mehr als 150 Jahre gepflegte pointierte Distanz und paradigmatische Stellung zugunsten eines halt- und hemmungslosen Hedonismus preiszugeben, dass sie vielmehr sogar die alte Prätention einer von ihnen wahrgenommenen Modellfunktion oder Orientierungsrolle aufrechterhalten beziehungsweise neu erheben können, verdanken sie der ganz eigenen Bewandtnis und Bedeutung, die sie der massenkonsumgesellschaftlichen Warenwelt uno actu der Aussöhnung mit ihr vindizieren. Nicht nämlich mit ihr als mit einer zum augenblicklichen Verzehr bestimmten Totalität, einem ständig wiederaufgefüllten und ständig erweiterten Arsenal von Mitteln zur Befriedigung subjektiver Bedürfnisse und privater Gelüste, nicht also mit ihr als mit dem qua Supermarkt subjektiven Pendant zu dem qua Wertrealisierungsanspruch sie durchwaltenden und ins Durchgangsmoment, in den Umschlagsplatz seines stereotypen Mechanismus heteronomisierenden objektiven Kapitalinteresse setzen die Bildungsbürger sich ins Benehmen und kommen sie ins Reine. Was sie vielmehr an jener zum Supermarkt entfesselten Warenwelt goutieren und womit sie als mit einem Aspekt, der ihrem alten Bedürfnis sei's nach sublim-ästhetischer Unmittelbarkeit, sei's nach autonom-logischer Haltbarkeit der Phänomene entgegenkommt, ihren Frieden machen können, ohne sich kompromittieren zu müssen, ist die ebenso neu ins Spiel gebrachte wie plötzlich entdeckte Eignung der in dieser Warenwelt aggregierten mannigfaltigen Erscheinungen, für anderes als für den bloßen Konsum, den sofortigen Verzehr, die umstandslose Vertilgung zur Verfügung zu stehen und nämlich in ihrer phänomenalen Positivität, in ihrer marktgegebenen Existenz als Erscheinungen einen Eigenwert zu beweisen, eine konsumunabhängige Evidenz hervorzukehren.

Gegen alle Tendenz zur direkten kapitalen Verwertung, die in der konsumtiven Vertilgung ihr subjektives Pendant hat, geben sich die auf dem Markt erscheinenden Phänomene, die teils im reflexiven Selbstbezug, teils im komparativen Verhältnis zu anderen Erscheinungen eine ganz eigene Verfasstheit und immanente Ordnung hervorkehren, dem Bildungsbürger als eine in sich – wie man will – ruhende oder bewegte Totalität, eine selbstbestimmte, systematische Objektivität zu verstehen, die, weit entfernt davon, einfach nur ein privatives Konsumtionsgelüst bei ihm herauszufordern, ihn vielmehr zu einer Art von interesselosem Wohlgefallen, nämlich zum sublimen Genuss einer neuaufgelegten ästhetischen Betrachtung und kontemplativen Erfahrung einlädt. Nur dass jetzt, im Unterschied zur Ästhetik des 19. Jahrhunderts, das zur Betrachtung einladende Schöne, die kontemplierte Totalität eher unter formalen als unter materialen Gesichtspunkten anspricht, eher durch ihren Sinnzusammenhang, das Wechselspiel ihrer Momente, ihre Korrespondenzen, ihre internen Beziehungen, kurz, ihre systematischen Eigenschaften einnimmt, als durch ihre sinnlichen Reize, die leiblich-seelische Resonanz, die sie beim Subjekt hervorruft, ihre Rolle als Augenweide oder Ohrenschmaus, kurz, ihre empirischen Qualitäten zu fesseln. In der Bedeutung eines individuellen Befriedigungsmittels, eines wie immer ästhetisch sublimierten Konsumartikels zum Gebrauch des einzelnen Subjekts bleibt die massenkonsumgesellschaftliche Warenwelt für den modernen Bildungsbürger, der seinen Frieden mit ihr macht, nicht minder hautgout als für den die Distanz eines hohepriesterlichen Seinskults wahrenden Phänomenologen. In dieser Bedeutung ist sie ein für allemal als subjektives Pendant der objektiven Kapitalrücksicht, als konsumtives Gegenstück zum zirkulativen Wertrealisierungserfordernis kompromittiert. Von Interesse ist sie allein als ein selbstreferenziell entfaltetes Gebilde, ein ohne Rücksicht auf den konsumtiv-materialen Subjektbezug in objektiv-formalen Selbstbezügen auseinandergelegtes Ganzes. Mit der phänomenalen Welt in dieser verbraucherunabhängigen Systembedeutung, in dieser Eigenschaft eines nicht zum Verzehr bestimmten Repräsentationskomplexes freundet sich der Bildungsbürger an, sie fasst er mit interesselosem Wohlgefallen ins Auge, um sie schart er sich in der Absicht, sie als in sich ruhende Totalität zu kontemplieren, als eine Objektivität, die Bestand hat, zu reflektieren. Und indem er sie kontemplativ ins Auge fasst, indem er sie in ihrer supermarktförmigen Totalität, ihrer systemganzen Phänomenalität zum Gegenstand einer analytisch-reflexiven Betrachtung macht, findet er sich hierin mit seinesgleichen vereint, findet er sich durch dies Objekt nicht etwa der Begierde, sondern der Teilhabe, nicht etwa der Konsumtion, sondern der Kommunikation zusammengeschlossen.

Kommunikation – dies ist es, was die massenkonsumgesellschaftliche Warenwelt, recht verstanden, dem Bildungsbürger verheißt. Geschart um das Ereignis des Markts, den zirkulativen locus communis, können sich die Bildungsbürger nicht sowohl über und durch das Warensortiment, sondern an und in ihm vergesellschaften. Keine communicatio bonorum, keine Gütergemeinschaft betreiben sie in corpore der ungeheuren Warensammlung, sondern communicatio idiomatum suchen sie in ihr, Informationsgemeinschaft. Communicatio bonorum zu treiben, die Dinge beim Schopf ihrer konsumtiven Brauchbarkeit zu fassen, heißt gerade, auf Kommunikation zu verzichten und zu privatisieren, heißt, sich mit dem per Teilhabe erworbenen Gut, der Ware, aus der forensischen Öffentlichkeit des Marktes zurückzuziehen und materialiter zu eliminieren, was idealiter Kommunikation stiften könnte. Communicatio idiomatum dagegen heißt, die Dinge als Zeichen eines objektiven Zusammenhangs, als Verständigungsmittel zu begreifen, sie beim Wort ihres systematischen Verweisungscharakters zu nehmen und hierin echte Teilhabe zu praktizieren, sich mit allen anderen in der einverständigen Betrachtung jenes objektiven Zusammenhangs vereint zu wissen. Nicht ihre individuelle Konsumtion, sondern ihre kollektive Kontemplation, nicht also, wie einer der Propagatoren des neuen gelösten Verhältnisses zu den Erscheinungen formuliert, dass sie gut zu essen, sondern dass sie gut zu denken sind, ist das auszeichnende Charakteristikum der massenkonsumgesellschaftlichen Warenwelt, mit der der bildungsbürgerliche Intellektuelle seinen Frieden macht.

Dass es darum geht, die Erscheinungswelt als objektiv-systematischen Darstellungszusammenhang gelten zu lassen und zu reflektieren, statt sie als ein Ensemble subjektiv-hedonistischer Befriedigungsmittel in Besitz zu nehmen und zu konsumieren, dies ist die allen intellektuellen Fürsprechern des neuen, entspannten Verhältnisses zur spätkapitalistischen Konsumsphäre gemeinsame Grundüberzeugung. In welchen Begriffspaaren der Gegensatz auch immer thematisiert werden mag, ob als Metapher versus Metonymie, als Struktur versus Ereignis, als Symbol versus Klischee, als Interagieren versus Privatisieren, als zeichenhafte Beweglichkeit versus dinghafte Fixiertheit, als öffentlicher Diskurs versus Privatsprachlichkeit – stets handelt es sich dabei um die grundlegende Konfrontation zweier Verhaltensweisen, von denen die eine die Erscheinungswelt als zwischen intellektueller Spielerei und logischer Stringenz freischwebendes objektiv-systematisches Medium der Reflexion begreift und anerkennt, während die andere sie als subjektiv-hedonistisches Mittel zum Zweck einer zwischen rauschhafter Hingabe und Zwangsverhalten oszillierenden Konsumtion realisiert und gebraucht. Und stets gilt das eine, die Erhebung der Erscheinungswelt zum Reflexionsmedium, als ideale Methode, mit seinesgleichen in Kontakt zu treten, sich zu vergesellschaften, Kommunikation zu treiben, während das andere, die Vereinnahmung der Erscheinungen als Konsumtionsmittel, tief in Misskredit steht, weil es den einzelnen allem gesellschaftlichen Zusammenhang entfremde und abstrakter Verdinglichung ausliefere, ihn fetischistisch fixiere, reduktiv isoliere, privativ heteronomisiere.

So gegensätzlich und einander ausschließend die beiden Verhaltensweisen, zwischen denen der bildungsbürgerliche Intellektuelle der Nachkriegszeit seine unschwer zu antizipierende Wahl trifft, aber auch konstruiert sein mögen, sie bleiben aufeinander bezogen, aneinander gebunden, sind nur im komplementären Verein das Ganze, das die Wahrheit ist. Und dies nicht bloß in dem allgemein-logischen Sinn, in dem ausschließende Gegensätze deshalb, weil sie einander ausschließen, sich auch gegenseitig implizieren und evozieren, sondern auch und vor allem in dem spezifisch-historischen Verstand einer gesellschaftlichen Wirklichkeit, in der sie sich, allem theoretisch behaupteten Alternativ- und Ausschließungsverhältnis zum Trotz, vielmehr ebenso sehr funktionell ergänzen wie strukturell bedingen. So wahr nämlich das eine, das von den modernen bildungsbürgerlichen Kommunikationstheoretikern als privatsprachlich-klischeehaft verworfene Verhalten einer privativ-asozialen Vereinnahmung der Erscheinungen, ihr realgesellschaftliches Substrat im Konsum, in der zwischen Rausch und Zwang changierenden Gütervertilgung, der zwischen Lust und Arbeit oszillierenden Warenbeseitigung hat, die das subjektive Pendant zu dem vom Kapital mit höchster Priorität versehenen objektiven Geschäft der Wertrealisierung darstellt, so wahr hat auch das andere, das von den Kommunikationstheoretikern als diskursiv-symbolisch gepriesene Verhalten einer interesselos-wohlgefälligen Kontemplation der Erscheinungen in der Rolle eines Sinnzusammenhang und geistigen Austausch stiftenden strukturellen Ganzen oder funktionellen Systems seinen realgesellschaftlichen Bezug, nämlich in der Reklame, die praktisch gleichzeitig mit dem Massenkonsum die Bühne der kapitalistischen Gesellschaften betritt und ihn als seine zunehmend prominentere, weil zunehmend unentbehrlichere Funktion begleitet.

Ihre Aufgabe hat die Reklame darin, die teils überhaupt neu geschaffenen, teils in ganz anderem Maße als vorher geforderten Bedürfnisse der als Konsumenten rekrutierten breiten Volksschichten zu mobilisieren und in Bereitschaft zu halten, sie für das Geschäft der Warenvertilgung zu reklamieren. Die Reklame tut das, indem sie den zum Potlatch aufgerufenen Konsumentenmassen die massenhaft auf den Markt geworfenen Waren als Befriedigungsmittel möglichst eindrücklich vor Augen führt und möglichst verführerisch nahelegt, sie in aller Anschaulichkeit und Sinnenhaftigkeit öffentlich zur Schau stellt und in effigie repräsentiert. Aber indem sie so das Konsumentenbedürfnis durch die Repräsentation des ihm nahegelegten Befriedigungsmittels umwirbt, organisiert sie unwillkürlich oder gezielt aus der Gesamtheit der Befriedigungsmittel einen immanenten Repräsentations- und Verweisungszusammenhang, ein semiotisches System. Sie tut dies unwillkürlich oder ex negativo, indem sie im Rahmen der kapitalistischen Konkurrenz das eine Befriedigungsmittel gegen das andere ausspielt, das Bedürfnis für die eine Befriedigung auf Kosten der anderen reklamiert, und damit aber nolens volens die Befriedigungsmittel in ihrer Mannigfaltigkeit, das Warensortiment als ganzes zitiert und repräsentativ beschwört. Und sie tut das in zunehmendem Maß aber auch gezielt und positiv, indem sie im Rahmen einer weniger durch Wettbewerb und gegenseitige Verdrängung als durch Konzentration und quasimonopolistische Ergänzung charakterisierten spätkapitalistischen Wirtschaft in Wahrheit gar nicht mehr auf den einzelnen Konsumartikel, sondern auf die Konsumsphäre als solche zielt, das heißt, von vornherein nicht eigentlich mehr das einzelne Befriedigungsmittel gegen die dabei implizit oder explizit mitgesetzte Gesamtheit der übrigen dem Bedürfnis nahezulegen sucht, sondern vielmehr durch das einzelne Befriedigungsmittel hindurch und unter dem Deckmantel des für es reklamierten Bedürfnisses die ganze Palette der übrigen Genussmittel, die ganze ungeheure Warensammlung, den ganzen ausufernden Supermarkt beschwört und dem System der Bedürfnisse beziehungsweise den Konsumenten, die solches Bedürfnissystem verkörpern, als ständige Aufgabe und nicht enden wollende Herausforderung präsentiert. Angesichts der gigantischen Masse von Konsumgütern, die das Kapital mit dem einzigen Ziel, ihren Wert möglichst rasch zu realisieren, auf den Markt wirft, fällt der Reklame mehr und mehr die zentrale Rolle zu, das durch den allgegenwärtigen Konsumtionsanspruch hoffnungslos überreizte und eigentlich überforderte Bedürfnis bei der Stange zu halten und durch die Beschwörung der gesamten Marktsphäre, durch die Präsentation des Supermarkts als totaler Veranstaltung in jenen Zustand permanenter Erregung und fortwährender Funktionsbereitschaft zu versetzen, in dem es sich befinden muss, um das, was seine Kräfte eigentlich übersteigt: die jede Gebrauchsdimension sprengende Vertilgung von Naturalhüllen, die nichts als Werthülsen sind, immer wieder doch noch zu vollbringen.

Und dieser ständige Appell an das Bedürfnis als solches durch den per Reklame in seiner Totalität repräsentierten Markt, diese fortlaufende Beschwörung der Konsumbereitschaft durch die öffentliche Präsentation, die allgegenwärtige Zurschaustellung der gesamten Sphäre, die solche Bereitschaft fordert, erzeugt aber im genauen Gegensatz zu dem, was am Ende damit erreicht werden soll, im Gegensatz nämlich zur privativen Asozialität und atomistischen Isolation des Konsumtionsakts selbst, den schönen Schein objektiver Vergesellschaftung und assoziativen Miteinanders, die an der objektiven Totalität des Beschworenen, an seiner systematischen Verbindlichkeit festgemachte Ideologie des "Come together". Während das tatsächliche Ziel der Reklame der Konsument, das heißt die Funktionalisierung der Subjekte zu privativen Werthüllenbeseitigungsapparaten, ihre Verwandlung in asoziale Warenvertilgungsautomaten ist, erweist sich als unmittelbarer Effekt der Reklame, als eine aus ihrer totalen Mobilisierungsstrategie ad hoc sich ergebende Konsequenz der Kommunikant, das heißt der schöne Schein eines dem Ziel diametral zuwiderlaufenden Beginnens, nämlich die Suggestion einer Herstellung forensischer Öffentlichkeit, einer nicht durch Konsumtionszwang diktierten, sondern durch Kontemplationslust bestimmten Zusammenkunft gesellschaftlicher Subjekte vor den gesellschaftsstiftenden Auslagen des Supermarkts, kurz, einer in objectu der ungeheuren Warensammlung, die per totalisierter Reklame nicht als zum sofortigen Verzehr bestimmte Konsumartikel, als Sortiment angeboten und deklariert, sondern erst einmal als selbstgenügsamer Verweisungszusammenhang, als System dargeboten und zelebriert wird, inszenierte Kommunikationsveranstaltung. Was die kapitalistische Massenkonsumgesellschaft mit ihrer Durchsetzung eines zwischen Zwang und Rausch, zwischen Arbeit und Lust changierenden privatistischen Verbraucherverhaltens oder atomistischen Hedonismus zerstört, jenen funktionalen Zusammenhang und sozialen Zusammenhalt also, den sie der ebenso egalen wie egalitären und ebenso gemeinschaftsfeindlichen wie objektfixierten Aufgabe einer aus Leibeskräften geübten Konsumtion, einer den ganzen Menschen okkupierenden Warenvertilgung zum Opfer bringt, ihn scheint sie im förmlichen Gegenprogramm zu dem, was sie selber angerichtet hat, per totalisierter Reklame wiederherzustellen und in der Form einer an der objektiven Gesamtheit der Warenwelt sich erbauenden Intersubjektivität, einer im System des Marktes zu sich kommenden Kommunikationsgemeinschaft neu zu inszenieren.

Und genau diese dem Anschein nach kompensatorische Leistung des spätkapitalistischen Massenkonsums aber, diese scheinbare Wiedergutmachung des von ihr selber angerichteten Schadens eines auf Kosten der Gesellschaftlichkeit gehenden Konsums, die im Rahmen ihrer aufs Ganze des Marktes zielenden Reklamestrategie die kapitalistische Wirtschaft betreibt, sie ist es, was den bildungsbürgerlichen Nachkriegsreflekteuren das Vorbild und Anschauungsmaterial für ihre symbol- und kommunikationstheoretische Versöhnung mit der massenkonsumgesellschaftlichen Warenwelt eingibt. Was die bildungsbürgerlichen Nachkriegstheoretiker gegen den von der allgegenwärtigen Wertrealisierungsrücksicht erzwungenen ebenso privativ atomistischen wie klischeehaft fetischistischen Hedonismus eines aus regressiver Verdinglichung und aggressiver Entsinnlichung gepaarten Konsumverhaltens als alternatives Modell ins Feld führen, ist nichts anderes als die theoretisierte Reproduktion jener Reklamerealität, die zwecks Reaffirmation der bestehenden Bedürfnisstruktur und um der Erhaltung einer allgemeinen Konsumbereitschaft willen das Kapital in Szene setzt und vor der es die Konsumenten, die zur Teilhabe am Wertrealisierungsgeschäft aufgerufenen Volksmassen, als vor ihrem organisierenden Zentrum, einigenden Band und kultstiftenden Objekt, kurz, vor dem Symbolon ihres Daseins, versammelt. Dabei besteht in der kommunikationstheoretischen Reproduktion der Reklamerealität das Moment von Theoretisierung im wesentlich darin, dass der Schein von Vergesellschaftung und kommunikativer Gemeinschaftlichkeit, den diese Realität erzeugt, für bare Münze genommen wird und eben das ausgeblendet bleibt, was den Schein als Schein entlarven könnte, die Tatsache nämlich, dass ja die systematischen Zusammenhang oder symbolische Kommunikation verheißende Reklamerealität nur der Aufrechterhaltung der vom Kapital entfalteten hpyertrophen Bedürfnisstruktur und hypertonischen Konsumbereitschaft und also in Wirklichkeit dem Zweck dient, eben den privativ-zwanghaften Hedonismus, eben das verdinglicht-asoziale Konsumverhalten zu kontinuieren und am Leben zu erhalten, von dem befreien und heilen zu wollen, sie formell den Anschein erweckt. Von diesem funktionellen Sinn der qua Reklamerealität inszenierten kommunikativen Lebensform, das heißt von der praktischen Tatsache, dass die den Anschein kommunikativer Gemeinschaftlichkeit erweckende Reklame im Dienste der Konservierung eben der konsumtiven Asozialität steht, der gegenüber sie sich als kompensatorische Leistung, als Heilmittel geriert – von diesem funktionellen Sinn oder vielmehr intentionalen Widersinn der als neue Lebensform von ihnen propagierten Reklamerealität wollen die bildungsbürgerlichen Kommunikationstheoretiker partout nichts wissen. Sie schützen sich vor der drohenden Einsicht in den funktionellen Zusammenhang zwischen suggestiver Reklame und privativem Konsum, Kommunikation und Asozialität dadurch, dass sie das in der historischen Praxis offenkundige Mit- und Durcheinander der beiden Verhaltensweisen zu einem qua anthropologische Theorie behaupteten strikten Neben- und Gegeneinander entmischen.

Symbolische Kommunikation und klischeehafte Fixierung, metaphorische Systematik und metonymische Atomistik sollen demnach einander prinzipiell ausschließende Attitüden sein und erscheinen als manichäisch- gnostisch gegeneinander aufgebotene Praktiken, statt sich in der Theorie als das zu präsentieren, was sie in Wirklichkeit sind: als Strategien, von denen die eine die andere ebenso funktionell bedient, wie die andere die eine substantiell bedingt und von denen nämlich die eine der anderen auch und gerade dort, wo sie ihr kompensatorisch entgegenzutreten und sich als Alternative gegenüberzustellen behauptet, vielmehr ergänzend zur Seite steht und schlicht und einfach in die Hände arbeitet. So gründlich werden in dieser theoretischen Fassung die beiden Verhaltensweisen des Massenkonsums und der totalisierten Reklame anthropologisch entmischt, um ihre geschichtsmächtige Verbindung gebracht und im ausschließenden Gegensatz einander gegenübergestellt, dass auch und nicht minder ihr gemeinsames Objekt, die massenkonsumgesellschaftliche Warenwelt, aller historischen Spezifik oder systematischen Topik entkleidet erscheint und den generellen Charakter einer alle Dinge dieser Welt, alle Phänomene aus Kultur und Natur einbegreifenden Gegenständlichkeit überhaupt annimmt, mithin eine der Anthropologisierung der auf es bezüglichen Verhaltensweisen entsprechende Universalisierung durchmacht. Ob es sich um mythologische Motive, Körperbemalungen, neurotische Symptome, Kleidermoden, Werkzeugformen, politische Optionen oder Warensortimente im Supermarkt handelt – stets sieht der Kommunikationstheoretiker das Subjekt vor die exakt gleiche Alternative gestellt: die Alternative zwischen einem als vernünftig angesehenen reklameförmig-kommunikativem Umgang mit dem Objekt und einem als irrational gebrandmarkten konsumsüchtig-privativen Zugriff auf es.

Der enthistorisiert-anthropologischen und entdialektisiert-gnostischen Theoretisierung der Reklamerealität zu einem vom privativen Konsumzwang, vom asozialen Werthüllenvertilgungsgeschäft emanzipierenden Vergesellschaftungsmodell leistet dabei das Kapital selbst mit der Entwicklungsrichtung, die es die totalisierte Reklamestrategie nehmen lässt, wesentlich Vorschub. Vielleicht, weil die aufkommende Kommunikationstheorie es auf das spezielle Bedürfnis nach sozialem Kontakt und integraler Gemeinschaft hinweist, das die Asozialität und desintegrierende Kraft des Massenkonsums in den konsumierenden Massen weckt und das die Reklamerealität ganz nebenbei zu befriedigen verspricht, wahrscheinlicher aber, weil sein hochentwickeltes Gespür für Bedürfnisse es ganz allein auf jene in der reklamatorischen Pflege der Konsumbedürfnisse mitenthaltene kompensatorische Leistung einer Reparation des durch den privativen Konsum destruierten öffentlichen Zusammenhangs aufmerksam werden lässt, nimmt sich das Kapital von sich aus und in zunehmendem Maß des von den Kommunikationstheoretikern hochgehaltenen kommunikativen Aspekts in der von ihm betriebenen Reklamation der massenkonsumtiven Warenwelt an. Was ursprünglich eher eine unbeabsichtigte Begleiterscheinung der ausschließlich auf eine Reaffirmation der konsumtiven Bedürfnisstruktur und Aufrechterhaltung der allgemeinen Konsumbereitschaft gemünzten totalisierten Reklamestrategie ist, wird so für das Kapital selbst zu einem immer zentraleren Anliegen und bewussteren Ziel der Strategie, hinter dem der eigentliche Zweck der Veranstaltung, die Konservierung und Absicherung des konsumtiven Bedürfnisniveaus, immer stärker zurücktritt und sich verbirgt.

Weil das Kapital rasch realisiert, dass es diesen eigentlichen Zweck um so besser erreicht, je mehr es jenen kommunikationspraktischen Begleiteffekt der Reklamestrategie zu seiner Sache und sich mithin zum scheinbar uneigennützigen Sachwalter einer qua Reklamestrategie verfolgten einzigen großen Vergesellschaftungsveranstaltung macht, die einem durch die kapitale Konsumforderung frustrierten und lädierten Bedürfnis nach sozialem Zusammenhang beizuspringen und also das veritable Alternativmodell und Kontrastprogramm zu dem destruktiven und desintegrativen massenkonsumtiven Verhalten in Szene zu setzen behauptet, das die Reklamestrategie doch eigentlich nur am Leben und in Kraft zu erhalten dient, weil also, mit anderen Worten, das Kapital begreift, dass die totalisierte Reklame die Aufrechterhaltung des Massenkonsums am besten sicherstellt, wenn sie sich als selbstloser Impresario von forensischen Gemeinschaftsunterhaltungen, als spendabler Förderer von öffentlichen Begegnungserlebnissen, als philanthropischer Sponsor von intersubjektiven Kommunikationsveranstaltungen geriert, die ihren Zweck, den Konsum, gar nicht mehr im Sinn und im Schilde zu führen, sondern höchstens noch als unwillkürlichen Nebeneffekt, als unabsichtlich spontanen Reflex nach sich zu ziehen und im Gefolge zu haben scheinen – weil dies die Einsicht ist, die das Kapital gewinnt und mehr und mehr in die reklamatorische Tat umsetzt, macht sie es den bildungsbürgerlichen Kommunikationstheoretikern leicht, ihren anthropologisch-gnostischen Gegensatz von erfüllt symbolischer Kommunikation und defizient privatsprachlicher Klischeeisierung, von metaphorisch-systematischem Strukturalismus und metonymisch-versprengtem Fetischismus gegen den tatsächlichen funktionellen Zusammenhang und intentionalen Verbund beider Verhaltensweisen zu behaupten und mit der Suggestion einer hierin gegebenen praktisch-politischen Entscheidungshilfe, wo nicht gar eines historisch-moralischen Orientierungsrahmens zur Geltung zu bringen. Was die bildungsbürgerlichen Kommunikationstheoretiker als in der spätkapitalistischen Massenkonsumgesellschaft angelegtes sozialisierendes Gegenmodell zum asozialen Massenkonsum in theoretische Form bringen und was ihnen Anlass wird, mit der ebenso sehr als Schauplatz für symbolische Kommunikationsakte wie als Schlachtfeld fetischistischer Konsumzwänge geeigneten massenkonsumgesellschaftlichen Warenwelt ihren Frieden zu machen, dafür liefert das Kapital selbst das Anschauungsmaterial und die tatsächliche Vorlage, indem es eine Reklametätigkeit entfaltet, die ihre konsumfördernde Wirkung daraus zieht, dass sie unter Verleugnung jeder unmittelbaren Konsumförderungsabsicht die Warenwelt, für die sie die Subjekte reklamiert, diesen wesentlich als eine Stätte der Begegnung, einen Ort der Zusammenkunft und Gemeinschaftsbildung präsentiert, mithin sich ihnen als Sponsorin einer den modernen Supermarkt quasi ins antike Forum rückverwandelnden, die Warensammlung als locus communis, als öffentlichen Raum zum Sozialisierungsereignis werden lassenden Kommunikationsveranstaltung empfiehlt.

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