XVII.

Diese Übereinstimmung des von den bildungsbürgerlichen Nachkriegsintellektuellen als Gegenmodell zum asozialen Fetischismus der Massenkonsumgesellschaft entworfenen kommunikationstheoretischen Konzepts mit der praktischen Reklameveranstaltung, die von der herrschenden gesellschaftlichen Macht, dem Kapital selbst, realiter ebenso sehr zur Stützung und Stärkung des Massenkonsums wie idealiter zur Kompensation der von letzterem angerichteten sozialen Verheerungen in Szene gesetzt wird – sie ist es schließlich, die den Nachkriegsintellektuellen jenes Gepräge von reflexiver Unmittelbarkeit und intellektueller Ehrlichkeit verleiht, von dem zu Beginn des Traktats die Rede war und durch das sie sich von allen ihren Vorgängern der letzten rund 200 Jahre markant unterscheiden. Diese Übereinstimmung nämlich bedeutet das glückliche Ende einer zweihundertjährigen Entfremdung zwischen der ökonomischen Substanz der bürgerlichen Gesellschaft, dem industriellen Kapital, und ihrem politischen Subjekt, der bildungsbürgerlichen Schicht – einer Entfremdung, die einerseits das Bildungsbürgertum nötigt, zum industriellen Kapital auf Distanz zu gehen und immer neue Theorien von einer an der eigenen kontemplativ-ästhetischen Lebensform orientierten und dadurch den kapitalistischen Zwängen und Deformationen entronnenen reformierten Existenz zu entwerfen, und die ihm andererseits aber sein Leben vergällt, weil sie es nicht von dem Gedanken loskommen lässt, Spielball höherer historischer Mächte und stärkerer gesellschaftlicher Kräfte zu sein und deshalb in seiner Theoriebildung, allem damit verknüpften Autonomiestreben und Emanzipationsanspruch zum Trotz, doch immer von reflexiver Heteronomisierung oder ideologischer Verblendung bedroht zu sein.

Anlass jener langdauernden Entfremdung ist die Anfang des letzten Jahrhunderts unter dem Eindruck des industriekapitalistischen Klassenantagonismus getroffene Entscheidung des industriellen Kapitals, mit dem traditionellen Staat statt mit der eigenen Klientel, der in seinem Schatten großgewordenen bürgerlichen Intelligenz, zu kontrahieren und den ersteren statt die letztere mit der Wahrung der politischen Geschäfte zu betrauen. Politisch entmachtet und um die an sich ihr zustehende Rolle eines qua bürgerliche Öffentlichkeit maßgebenden gesellschaftlichen Organisators und Entscheidungsträgers gebracht, bezieht die bürgerliche Intelligenz eine kritisch-reformerische Distanz gegenüber der in den transzendentalen Grenzen des traditionellen Staats verfassten industriekapitalistischen Gesellschaft, prangert deren Konkurrenzhaftigkeit und Abstraktheit an und setzt als Modell dagegen eine wesentlich an der eigenen, kontemplativ-sinnlichen, sublimiert-hedonistischen, kurz, ästhetischen Lebensform orientierte Alternative. Allerdings ist diese Lebensform der bürgerlichen Intelligenz, die das gesellschaftliche Realsubstrat aller egal ob ästhetisch-humanistischen, ästhetisch-materialistischen oder ästhetisch-artistischen Gegenvorstellungen bildet, in ihrer ebenso konsumtiven wie kontemplativen und ebenso gutdotierten wie sublimierten Verfassung wesentlich angewiesen auf, um nicht zu sagen konstituiert durch eben die industriekapitale Macht, gegen deren gesellschaftlich verhängte Rationalität und politisch verfügte Ordnung die Gegenvorstellungen sich richten. Politisch entmachtet, bleibt die bürgerliche Intelligenz doch zugleich als die Kapitalklientel, die sie ist, ökonomisch begünstigt durch die industriekapitalistische Entwicklung, bleibt sie Hauptnutznießerin der materialen Segnungen, die das Industriekapital in Verfolgung seiner sozialen Ausbeutungs- und Verwertungsstrategie hervortreibt. Der konsumtive Lebensstil, den diese bürgerliche Intelligenz pflegt, bleibt mit anderen Worten Setzung und Begleiterscheinung des von abstrakter Rationalität und blinder Konkurrenzhaftigkeit geprägten kapitalen Verwertungszusammenhangs, gegen den er zugleich als Alternative aufgeboten und zu dem er das durch sinnliche Konkretheit und unmittelbare Mitmenschlichkeit bestimmte ästhetisch-utopische Gegenmodell liefern soll.

Was Wunder, dass die bürgerliche Intelligenz das Gefühl nicht los wird, fremden Einflüssen zu unterliegen, in ihren sämtlichen Autonomiebestrebungen von ständiger Heteronomisierung bedroht zu sein, bei all ihren theoretischen Erkenntnisbemühungen und praktischen Selbstverwirklichungsanstrengungen Marionette von übermächtigen Drahtziehern, Spielball unüberwindlicher Schicksalsmächte zu sein! So wahr die eigene Lebensform, kraft deren die bürgerliche Intelligenz Kritik an der kapitalistischen Verfasstheit der bürgerlichen Gesellschaft übt und die sie als kriterielles Gegenbild gegen solch kapitalistische Verfasstheit ins Feld führt, deren ureigenstes Erzeugnis und quasi-leibliches Geschöpf ist, so wahr bleibt solche Intelligenz dem Verdacht der Ideologiebildung ausgesetzt, dem Verdacht, in aller manifesten Kritik latente Affirmation zu treiben, ein doppeltes Spiel zu spielen, bei dem, was scheinbar bekämpft und als einschränkender Zwang verworfen wird, zugleich doch in heimlicher Geltung bleibt und als grundlegende Kondition respektiert wird. Sei's dass die ideologieverdächtige Doppelbödigkeit oder Zweideutigkeit im Denken und Handeln der bürgerlichen Intelligenz sich qua Entfremdungsgefühl manifestiert und sich ihr zu dem Eindruck verdichtet, dass die Macht, von der sie freikommen will, allemal hinterrücks noch ihre Gangart bestimmt und die Fäden auch und gerade ihres vermeintlich emanzipatorischen Beginnens zieht, sei's dass diese Doppelbödigkeit als eigene, persönlich zu verantwortende Befindlichkeit von ihr wahrgenommen wird und ihr das Gefühl unendlicher Kompromittiertheit und abgründiger Unehrlichkeit vermittelt, stets findet sich diese in der Rolle des Bildungsbürgertums als ebenso ökonomisch feste wie politisch funktionslose gesellschaftliche Einrichtung etablierte Intelligenz in den unauflöslichen Widerspruch verstrickt, dass sie als Alternative zur herrschenden Realität einen Idealzustand propagiert, der doch in jener Wirklichkeit, die er ersetzen soll, seine Bedingung der Möglichkeit, seine conditio sine qua non hat.

An diesem fundamentalen Widerspruch ändert sich auch nichts, wenn unter dem Druck der die bildungsbürgerliche Lebensform unterminierenden und ins Abseits vernachlässigenswerter Apartheit stellenden massenkonsumgesellschaftlichen Entwicklung, die das Kapital zu Beginn des Jahrhunderts forciert, Phänomenologie und Existentialontologie ihren auf dieser Lebensform basierenden Gegenmodellen dadurch Glaubwürdigkeit und Bestand zu verleihen suchen, dass sie ein Vexierbild der Kapitalmacht selbst in die Gegenmodelle einführen und als sei's ontologisch-objektives Substrat, sei's existentialontologisch-subjektiven Garanten der in den Gegenmodellen beschworenen bildungsbürgerlichen Erscheinungswelt behaupten. Welchen besseren Beweis für die innere Widersprüchlichkeit der hier gegen die Realität geltend gemachten Idealität, gegen die kapitale Konsumtion aufgebotenen phänomenalen Kontemplation, gegen die massenkonsumgesellschaftliche Wertrealisierungsrücksicht inszenierten hohepriesterlich-seinskultischen Absicht könnte es wohl geben als die Tatsache, dass qua Sein eben die kapitale Macht ins phänomenale Gegenmodell aufgenommen und zu seinem idealen Kern oder existentialen Garanten erklärt wird, gegen deren reale Negativität und Zerstörungskraft das Gegenmodell doch gerade eine Alternative bieten soll. Dass Phänomenologie und Existentialontologie diesen im Zentrum ihrer phänomenalen Gegenentwürfe aufbrechenden und nämlich in der Seinskategorie selbst manifesten Widerspruch nicht wahrnehmen und dass sie statt dessen ein ihren Vorgängern in der Tradition bildungsbürgerlicher Theoriebildung unbekanntes Gefühl der Freiheit von Heteronomie und Kompromittierung genießen können, verdanken sie am Ende nur dem projektiv-wahnhaften, den Widerspruch zur Paradoxie versteinernden Charakter ihres Verfahrens, das heißt, der als Identifikation mit dem Aggressor beschriebenen vexierbildlichen Aneignung und Assimilation der kapitalen Macht, ihrer kurzschlüssigen Umwandlung in den haltgebend phänomenalen Logos oder vielmehr das einhaltgebietend ideale Pseudos des eigenen Gegenentwurfs, kurz, sie verdanken ihre Befreiung von allem Selbstzweifel oder selbstkritischen Ideologieverdacht dem Umstand, dass bei ihnen pathologische Mechanismen zum festen Bestandteil der Theoriebildung, halluzinatorische Reflexe zum integralen Faktor der philosophischen Reflexion werden.

An dem fundamentalen Widerspruch eines Gegenmodells, das eben das als Bedingung seiner Möglichkeit voraussetzt, wogegen es als Alternative aufgeboten wird, ändert schließlich auch die kommunikationstheoretische Wendung nichts, die nach dem Zweiten Weltkrieg die bildungsbürgerliche Modellbildnerei nimmt. Im Gegenteil, der Widerspruch scheint insofern auf die Spitze getrieben und mit Händen zu greifen, als es ja offenbar die kapitale Macht selbst ist, die mit ihrer totalisierten Reklamestrategie des "Come together" die praktische Vorlage für den kommunikationstheoretische Gesellschaftsentwurf liefert, den jene Nachkriegs-Modellbildner gegen die von dieser kapitalen Macht ins Leben gerufene asozial-privative massenkonsumgesellschaftliche Realität geltend zu machen suchen. Wo Phänomenologie und Existentialontologie noch ihre Zuflucht zum Wahn nehmen müssen, um das Kapital in der Rolle eines qua Seinsmacht wirksamen Garanten der gegen alle kapitalistisch-konsumtive Zerstörung der Erscheinungen behaupteten und mit hohepriesterlichem Gestus zelebrierten heilig-heilen Erscheinungswelt vereinnahmen zu können, da drängt sich den Kommunikationstheoretikern der Nachkriegszeit das Kapital als Garantiemacht ihrer Gegenentwürfe förmlich auf und liefert ihnen das als bildungsbürgerliche Alternative zum asozialen Potlatch des Massenkonsums wohlverstandene Modell einer mittels Verwandlung der Erscheinungen in metaphorische Spielmünzen, symbolische Funktionen inszenierten Sphäre systematischer Gemeinschaftlichkeit und allverbindender Kommunikation frei Haus. Und nicht nur die praktische Vorlage für ihr theoretisches Gegenmodell liefert ihnen das Kapital mit seiner totalisierten Reklametätigkeit, auch die Suggestion einer damit vorgetragenen ernstgemeinten Alternative zum zwischen Rausch und Zwang changierenden asozialen Massenkonsum steuert es bei; das heißt, es ist um den Eindruck bemüht, dass die von ihm inszenierte Reklamewelt eine kompensatorische Leistung ist, die wesentlich und primär einer Wiedergutmachung der sozialen Zerstörungen dient, die es durch seine Umfunktionierung der Gesellschaft in eine einzige große schizophrene Wertbildungs- und Wertrealisierungsmaschine selber anrichtet. Wie die Kommunikationstheorie ihre mittels smybolischer Erscheinungen propagierte systematisch-objektive Kommunikation dem mittels empirischer Erscheinungen betriebenen fetischistisch-privativen Konsum entgegensetzt, so tritt auch das Kapital selbst in seiner totalisierten Reklametätigkeit als ein gegen die eigene Wertrealisierungsstrategie aufbegehrender und sich verwahrender Menschheitsbeglücker, als ein den Verwerter von Arbeit und Ausbeuter von Bedürfnissen vergessen machender Veranstalter von Erlebnissen und Stifter von Gemeinschaft auf. Und diese reale Gleichförmigkeit und intentionale Gleichsinnigkeit zwischen kommunikationstheoretischem Reformstreben und kapitalpraktischem Sponsorentum gibt nun den Kommunikationstheoretikern die Möglichkeit, ihren Reformmodellen mit einer Ungebrochenheit, Selbstgewissheit und Positivität anzuhangen, wie das keinen bildungsbürgerlichen Theoriebildnern vor ihnen vergönnt ist. Alle bildungsbürgerlichen Vorgänger müssen sich bei ihren Alternativprogrammen damit abfinden, dass ihnen der ebenso verhasste wie unentbehrliche Große Bruder, die kapitale Macht, bei allen ihren theoretischen Anstrengungen sei's als heteronomisierender Drahtzieher hinter den Kulissen über die Schulter guckt, sei's als kompromittierender innerer Falschmünzer in die Suppe spuckt. Diesem durchgängigen Gefühl sei's der Heteronomisierung durch eigengesetzlich fremde Mächte, sei's der Kompromittierung durch widersetzlich innere Kräfte können auch Phänomenologie und Existentialontologie sich nur durch die als Identifikation mit dem Aggressor beschriebene Flucht in den Wahn entziehen. Der Kommunikationstheoretiker aber weiß von solchem die Theoriebildnerei begleitenden Gefühl externer Verfallenheit oder interner Korruptheit plötzlich nichts mehr. Intellektuelle Fremdbestimmtheit oder Unehrlichkeit sind ihm Fremdworte. Und dies nicht etwa, weil er sich mit seinem kommunikationstheoretischen Gegenentwurf zur atomistisch-asozialen Massenkonsumgesellschaft ernsthaft aus den transzendentalen Schranken der letzteren befreit und von deren verantwortlichem Veranstalter, der kapitalen Macht, emanzipiert hätte, sondern weil die kapitale Macht selbst mit ihrer im Rahmen der Massenkonsumgesellschaft als förmliches Alternativprogramm inszenierten totalisierten Reklameveranstaltung für den kommunikationstheoretischen Gegenentwurf einsteht. Wie sollte die kapitale Macht dem bildungsbürgerlichen Theoriebildner noch als heteronome Schicksalmacht in den Rücken fallen oder als kompromittierendes Alterego auf der Seele liegen können, wenn sie ihm doch als gemeinschaftsstiftender Sponsor und Wohltäter der Menschheit in der höchsteigenen Funktion totalisierter Reklame die praktische Vorlage für seine kommunikationstheoretischen Utopien liefert? Wie sollte die kapitale Macht noch konterkarieren oder unterminieren, was sie so offenkundig in der eigenen Praxis betreibt und sanktioniert?

Das einzige, was der bürgerliche Intellektuelle kommunikationstheoretischer Konfession braucht, um sich auf diese Weise von allem Gefühl der Heteronomie und Kompromittiertheit zu befreien und um mit einem Schlage der Erfahrung fragloser Autonomie und Ehrlichkeit in seinen theoretischen Anstrengungen teilhaftig zu werden, ist die Bereitschaft, zwischen dem Kapital in seiner Eigenschaft als Organisator des asozialen Massenkonsums und in seiner Funktion als Veranstalter gemeinschaftsbildender Reklame einen manichäische klaren Trennstrich zu ziehen und ein unbedingtes Ausschließungsverhältnis anzunehmen. Bringt er diese Bereitschaft auf und opfert also der vom Kapital selbst erzeugten empirischen Suggestion eines zwischen Vernunft und Unvernunft, Fetischismus und Humanität ums Ganze ausgetragenen Konflikts die dialektische Einsicht in die heillose Unvernunft dieses in Spiegelfechtereien sich umtreibenden Ganzen, darf er, das hartgeprüfte Subjekt der bürgerlichen Gesellschaft, mit seiner entfremdeten ökonomischen Substanz und deren jüngster sozialer Ausgeburt, der Massenkonsumgesellschaft, endlich seinen Frieden machen. Durch diese bereitwillig von ihm ernstgenommene Koinzidenz des eigenen theoretischen Bemühens mit dem praktischen Beginnen des Kapitals nach zweihundertjähriger entfremdungsbedingter Heteronomie und Ambivalenz zu guter Letzt wieder intellektuell ehrlich gemacht und in seiner theoretischen Autonomie retabliert, feiert der bürgerliche Intellektuelle das doppelte Spiel des Kapitals aus totaler privativer Verwertungsstrategie und totalisiertem kommunikativem Veranstaltungsprogramm als einfache Entscheidung zwischen Verdinglichung und Vergesellschaftung, zelebriert er die kapitale Spiegelfechterei aus asozialem Konsum und gemeinschaftsstiftender Reklame als manichäischen Kampf zwischen Irrationalität und Vernunft und schafft es damit erstmals in seiner Geschichte, kritische Distanz zum Bestehenden und interessiertes Bestehen auf dem Bestehenden zur Deckung zu bringen; kurz, es gelingt ihm, unter Verzicht auf alles Interesse an Erkenntnis Erkenntnis und Interesse miteinander zu versöhnen.

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